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Robinson Crusoes weitere Abenteuer Buchvorstellung

Autor:  halfJack

Normalerweise leide ich an Komplettionismus. Habe ich einmal ein Buch angefangen, fällt es mir schwer, es wieder wegzulegen, wie scheiße es auch sein mag. Vielleicht kommt ja doch noch etwas. Vielleicht gibt es eine Kleinigkeit, die ich daraus mitnehmen kann. Vielleicht enthüllt sich mir der Zauber am Schluss. Oder vielleicht brauche ich nur einen Grund, um am Ende mit Gewissheit sagen zu können, dass das ganze Buch wirklich kacke ist und nicht nur der Anfang.

Seit meiner Jugend gab es dennoch drei Bücher, die mir als unbeendet im Gedächtnis blieben.
Erstens: Wie der Stahl gehärtet wurde von Nikolai Alexejewitsch Ostrowski
Zweitens: Die Architekten von Stefan Heym
Und drittens:

Daniel Defoe
Die weiteren Abenteuer des Robinson Crusoe

Da ich während des Lesens an Ulysses in einer Mir-egal-alles-ist-besser-als-das-Stimmung war und generell einen Hang dazu habe, frühzeitig Bücher zu lesen, die wahrscheinlich nicht so toll sind und die ich möglichst bald aus meiner Sammlung aussondern möchte, griff ich erneut nach dem zweiten Teil von Robinson Crusoe, den ich das letzte Mal in meiner Kindheit in der Hand hatte. Bereits den ersten Teil, den die meisten als Klassiker kennen, fand ich damals ziemlich ätzend, aber der zweite war dann richtig schrecklich.

Mein Leid habe ich wie vormals in einem Lesetagebuch festgehalten, zum Teilen, Erheitern und zum Gedenken an schlimmere Tage, sollte ich mal wieder ein mieses Buch lesen.

Robinsonade: Noch eine langweilige Irrfahrt

Lesetagebuch


Erstes Kapitel von Robinsons Heimreise:
Er schreibt über seine Pflanzungen und Finanzen.

Zweites Kapitel:
Pflanzungen und Finanzen.

Drittes Kapitel:
Aufbruch nach England.
"Aber ich will nicht mit einem Reisebericht langweilen."
Haha, dafür mit allem anderen.

Viertes Kapitel:
Abschlachten eines Bären, der sich gar nicht für sie interessierte und der friedlich weitergegangen wäre. Einfach nur, damit alle was zu lachen haben. (Ja, ernsthaft, damit sie was zu lachen haben.)
Toter Körper wird liegen gelassen; haben ja eh genug Proviant und Kleidung ...

Fünftes Kapitel:
Über 300 Wölfe fallen sie an (na klar), aber sie sind siegreich und kommen schließlich ans Ziel.

Sechstes Kapitel:
"Von hier aus reiste ich nach Brasilien und sandte ihnen ein Fahrzeug, das ich dort kaufte. Außer dieser Unterstützung schickte ich ihnen sieben Frauen, die ich sowohl für das Hauswesen geeignet fand, die auch der eine oder andere, wenn er mochte, heiraten konnte. Den Engländern hatte ich versprochen, sofern sie Ackerbau betreiben wollten, Frauen aus England zu schicken. Ich übersandte ihnen von Brasilien fünf Kühe, von denen drei trächtig waren, und einige Schafe und Schweine, die sich bei meiner Wiederkehr ansehnlich vermehrt hatten."
... Ob er auf der Ladungsliste wohl die Frauen mit unter das Fahrzeug, die Kühe, Schafe und Schweine geschrieben hat?

Was beim letzten Mal bei Robinson Crusoe 2 geschah; Robinson erzählt:
"Ich legte mir ein paar neue Pflanzungen zu und kümmerte mich um meine Finanzen (mal wieder). Nebenbei habe ich auch geheiratet, Kinder gezeugt und bin alt geworden (das alles auf einer Seite). Dann starb meine Frau (was nicht überraschend kommt, weil ich das gleich am Anfang erzählte, damit es nicht zu spannend wird). Nach dem Tod meiner Frau hielt mich in meiner Heimat nichts mehr (bis auf meine drei Kinder, aber was soll's). Ich beschloss, zu meiner Insel zurückzukehren, und segelte los. Unterwegs begegnete uns ein brennendes Schiff; wir retteten alle und ich konnte mal wieder meinen Großmut unter Beweis stellen. Das waren Franzosen und die gebärdeten sich vor Freude echt unmöglich, total unkontrolliert und unhöflich, wie Franzosen halt so sind. (Ich stelle auf zwei Seiten Überlegungen darüber an, warum Franzosen und ähnliche Nationen ihr Temperament so wenig und vor allem ungebührlich unter Kontrolle haben.) Wir setzten die Franzosen irgendwo ab und segelten weiter. Unterwegs begegnete uns ein vom Sturm fast zerstörtes Schiff; bis auf eine Frau retteten wir alle vorm Hungertod und ich konnte mal wieder meinen Großmut unter Beweis stellen. Abgesehen von dem Sohn und der Dienstmagd der Verstorbenen ließen wir aber alle auf dem Schiff, mehr konnte man ja nicht tun. Später erfuhren wir, dass der Rest der Mannschaft offenbar nie Land erreichte (na ja, ist ja auch kein Wunder, so viel Wasser, wie da schon ins Schiff gelaufen war, Shit happens). Endlich kamen wir auf meiner Insel an. Ich hatte dort ein paar Spanier mit einigen kriminellen Engländern zurückgelassen. Die haben sich in meiner Abwesenheit ständig bekriegt, das erzähle ich auch haarklein, ohne den Akteuren Namen zu geben, damit man mir nicht zu leicht folgen kann. Selbstverständlich kamen auch Wilde auf die Insel, vor denen man sich in Acht nehmen muss, denn, wie man weiß, essen die alle Menschenfleisch. Ein paar von den Engländern erbeuteten ein paar Wilde, die sie für sich arbeiten lassen wollten, weil sie laut eigener Aussage selbst zu faul waren, um durch Ackerbau zu überleben. Unter den Erbeuteten waren auch ein paar Frauen, die waren sehr hübsch, obwohl ihre Haarfarbe schwarzbraun war; zwei von denen hätten sogar in London als hübsch gegolten, wenn sie weiß gewesen wären. Jedenfalls teilte man die Frauen gerecht untereinander auf."

Was beim letzten Mal geschah:
Auf Robinsons Insel wurden also die Frauen auf die Engländer verteilt, sie gründeten Familien und bekamen Kinder, die restlichen Wilden wurden Diener. Es entstand eine Kolonie. Ein paar Kriege mit den Wilden wurden geführt, denn die griffen sie immer wieder an, weil ... weil ... weil Wilde das halt tun und Menschen essen. Robinson schleppte einen Geistlichen an, der zwar römisch-katholisch war, also nicht dem richtigen christlichen Glauben angehörte, aber hey, nobody is perfect. Die Wilden wurden also zivilisiert und missioniert. Danach und zwischendurch geht es um Pflanzungen und Finanzen, unser Lieblingsthema. Dann will Robinson die Insel verlassen; auf dem Meer werden sie (mal wieder) von Wilden angegriffen. Die schießen mit Pfeilen, aber Robinson hält es für eine gute Idee, Sidekick Freitag aufs Deck zu schicken, um mit ihnen zu reden. Es kommt, wie es kommen muss, Freitag wird erschossen und das Gejammer von Robinson ist groß. Wie auch immer, die Insel ist Geschichte. Es geht nochmal um die Finanzen seiner Pflanzungen in Brasilien, dann setzen sie nach Madagaskar über. Dort gibt es erneut Wilde, mit denen sie ein bisschen handeln und tauschen. Einer von Robinsons Leuten macht ein junges Mädchen von den Wilden an und zerrt es in einen Busch, den Rest kann man sich denken. Die Wilden rasten aus und greifen sie an. Den einen, der das Mädchen verschleppte, erwischen sie. Die restliche Mannschaft will des Nachts nochmal zu den Wilden zurück und sich "rächen". Sie finden den besagten Vermissten am Baum aufgehängt, sind sauer, zünden das Dorf der Wilden an und erschießen jeden, der aus den Hütten kommt. Da hatte ich erstmal keine Lust mehr. Meines Erachtens sollten diese selbsternannten Rächer neben dem Vergewaltiger am Baum hängen, aber was weiß ich schon.

Das Ende einer Irrfahrt:
Trotz seiner zweifelhaften und selbstgefälligen Moral ist Robinson diesmal nicht der Meinung der anderen Leute auf dem Schiff. Er fand es nicht ganz fair, dass die Mannschaft ein ganzes Dorf niedermetzelte, nachdem sich eines ihrer Wildenmädchen so uneinsichtig gegen ihre Vergewohltätigung gewehrt hatte. Als Konsequenz wurde Robinson von seinem eigenen Schiff verbannt und irgendwo an einem Hafen ausgesetzt. Da war er lange Zeit und bereitete irgendwas für seine Abreise vor, mehrere Monate lang. Er bereitet sowieso ständig irgendwas vor und wartet mehrere Monate oder Jahre. Gefühlt ist er für mich schon über 100.
Er will nach Japan reisen, findet einen Geschäftspartner, sie kaufen Waren ein, die Waren werden akribisch aufgezählt, genauso die Besatzung des Schiffes und anderer Kram, der niemanden interessiert. Dann reisen sie nach Japan, aber von dort erzählt er nichts, wäre ja auch langweilig. Sie kommen zum Hafen zurück, wollen noch eine Reise unternehmen, kaufen Waren ein usw., setzen wieder über nach Japan, erzählen nichts von dort,  kommen zurück und überlegen, was sie als nächstes tun sollen. Dann kaufen und verkaufen sie Waren, reisen mal hierhin und dorthin, handeln, schiffen Waren herum, warten irgendwo, blablablangweilig.
Dann möchten sie sich ein eigenes Schiff besorgen, ihnen wird überraschend billig eines angeboten. Anstatt mal ein bisschen an diesem Bombengeschäft zu zweifeln, machen sie sich mit dem Schiff auf den Weg. Sie müssen aber bald feststellen, dass sie von allen möglichen Leuten verfolgt werden, die erst mit Kanonen schießen und dann Fragen stellen. Ihr Schnäppchenschiff gehörte nämlich einer meuternden Bande, die als Piraten herumzog und überall gesucht wird. Als diesen Piraten die Sache zu heikel wurde, verkauften sie das Schiff an den erstbesten Idioten, sprich: Robinson. Es gibt also noch diverse Kämpfe, Schlachten und Fluchten. Dann endlich schaffen sie es, ihren Kahn an den nächsten unwissenden Trottel weiterzugeben. Dem wird schon nichts passieren, der fährt damit bestimmt ganz woanders herum.
Mit einer Karawane geht es dann ewig durch die Steppe, Wüste, über Berge, es tauchen Banditen auf und warum ist dieses Buch eigentlich bei dem ganzen Zeug, das da passiert, trotzdem so extrem langweilig?
Egal, Robinson kommt jedenfalls irgendwann nach Hause und will angeblich nie mehr reisen. Hoffentlich. Ende.

Nachwort:
"Ein jeder von Euch hat gewiss voller Spannung und Begeisterung die Abenteuer des Robinson verfolgt (...)"
... HAHAHA!

Obwohl Robinson danach nicht mehr reisen wollte, gibt es trotzdem einen dritten Teil. Darin soll er wohl nur noch sein moralisches Gedankengut zum Besten geben. Schon bei der Veröffentlichung des ersten Teils war Robinson Crusoe sehr bekannt und beliebt, deshalb dachte sich Defoe wahrscheinlich, es wäre doch super, mit seinem Gedankenbla die Kuh weiter zu melken, er müsse nur den richtigen Titel auf das Buch klatschen. Den dritten Teil tue ich mir jedenfalls nicht mehr an. Wie dieses moralische Gedankenbla aussieht, kann ich mir vorstellen.


Mein Fazit
oder: Wieder ein Vergleich mit anderen Werken

Von derartigen Klassikern habe ich einige gelesen. Die Schatzinsel fand ich toll; ist ja schließlich von Robert Louis Stevenson, der bei mir auch mit Der seltsame Fall des Dr. Jekyll und Mr. Hyde ins Schwarze getroffen hat. Gullivers Reisen ist eher ein utopischer Roman im Stile von Bacons Neu-Atlantis, Campanellas Sonnenstaat oder Morus' Utopia. Jules Vernes In 80 Tagen um die Welt war für mich gleichfalls unterhaltsam. Ebenso moderne Bücher, die man im Unterricht liest, wie etwa Scott O'Dells Insel der blauen Delphine, wovon ich anschließend, unabhängig vom Schulstoff, sogar noch die Fortsetzung Das verlassene Boot am Strand las.
Aber Robinson Crusoe? Für manche besteht nicht einmal ein Unterschied zu den anderen Werken. Den klassisch ersten Teil fand ich in meiner Kindheit grausig. Seine weiteren Abenteuer gehen dann genauso unwissend, hanebüchen, selbstherrlich, langweilig und schlecht erzählt weiter. Sicher, das Buch ist hornalt. Aber Jonathan Swift hat zur gleichen Zeit geschrieben und Gullivers Reisen beinhaltet geschickte Gesellschaftskritik und tut durch die fantastischen Elemente gar nicht erst so, als könne es sich um Realität handeln.
Gefangenschaft auf einem kleinen Flecken ohne menschlichen Kontakt, das ist das einzige Thema, das ich an Robinson halbwegs interessant finde. Doch daraus hat Defoe überhaupt nichts gemacht. Das, was man heute unter einer Robinsonade versteht, ist überall besser umgesetzt als im Original. Die soziale Isolierung müsste eigentlich durch Robinsons Innenleben rübergebracht werden. Stattdessen: Pflanzungen, Finanzen und Handel. Auf der einen Seite beschäftigt er sich mit funktionalen Gedanken: Was baue ich an? Wie baue ich es an? Wie schütze ich meinen Acker? Was sammle ich dafür? Wie baue ich das auf? Was ernte ich? Was könnte ich jetzt noch Langweiliges tun und mich ewig damit beschäftigen? Der Schreibstil macht all diese Tätigkeiten noch langwieriger und öder. Andererseits beschäftigt sich Robinson mit zweifelhafter, fast schon ekelhaft überlegener Moral. Er wirkt auf mich einfach unsympathisch. Spätestens mit dem Auftauchen von Freitag war es das mit der Isolation und Einsamkeit, doch auch sein neuer Diener scheint kaum Charakter zu haben. Alle auftauchenden Personen wirken wie Pappfiguren, bekommen oftmals von ihm nicht mal einen Namen, sie handeln wie aus weit entfernter Draufsicht. Das ist im ersten Teil so und wird in der Fortsetzung nur schlimmer.
Inhaltlich könnte man Die weiteren Abenteuer des Robinson Crusoe tatsächlich mit Jules Vernes In 80 Tagen um die Welt vergleichen, das ich in meiner Kindheit ungefähr zur selben Zeit las wie den ersten Teil von Robinson. Die Darstellung von Phileas Fogg und seinem Diener Passepartout war so viel lebendiger und menschlicher als das, was Freitag stellvertretend für die ganzen menschenfressenden Wilden ist oder Robinson für den erhabenen weißen Mann. Ja, das ist es eigentlich: Robinson steht für die Überlegenheit des weißen Mannes und seinen geduldigen Blick auf Wilde, Andersgläubige, Frauen, andere Nationalität usw. Er tut zwar so, als übte er Toleranz, aber stets aus einem erhabenen Blickwinkel. Man muss es wohl der Zeit zuschreiben; das macht es dennoch aus heutiger Sicht zu einer nicht nur ermüdenden, sondern häufig inakzeptablen Lektüre.



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