Zum Inhalt der Seite



Monsieur Teste: Ein Ideenungeheuer Buchvorstellung, Zitatsammlung

Autor:  halfJack

Paul Valéry
Monsieur Teste

"Dummheit ist nicht meine Stärke."

So beginnt der Unbekannte seine Gedanken über sich selbst und Monsieur Teste.
Die Idee erschließt sich leicht von selbst beim Lesen: Der Monsieur soll gänzlich dargestellt werden, in jedem Abschnitt aus anderer Perspektive und versehen mit einem anderen Stil. Die erste Person sieht den Monsieur Teste in der Oper. Die zweite Person schreibt ihm einen Brief, nachdem sie ihm auf einer Fahrt begegnete. Die dritte Person ist die Frau des Monsieurs, die in einem Brief dem zweiten Unbekannten antwortet. Die vierte Perspektive ist die Sicht des Monsieurs selbst, in ungeordneten aphoristischen Fragmenten, als habe man seine Notizen eingesammelt.
Dies alles geschieht wortgewandt und teils unabhängig von der Darstellung des merkwürdigen Monsieur Teste, denn es ist nicht eigentlich seine Figur, die im Fokus steht, sondern es sind die Assoziationen seiner Betrachter. Interessant sind deshalb eher die ersten beiden Herren, die in ihren Gedanken und Persönlichkeiten kaum verschieden scheinen. Wir folgen ihren Gedankenketten, die nur eines Monsieur Teste als Anstoß bedurften.

"Was sie ein höheres Wesen nennen, ist ein Wesen, das sich getäuscht hat. Um über dieses zu erstaunen, muss man es sehen - und um es zu sehen, muss es sich zeigen. Und es zeigt mir, dass es der einfältigen Besessenheit von seinem Namen verfallen ist. So ist jeder große Mann von einem Irrtum befleckt. Jeder Geist, den man gewaltig findet, beginnt mit dem Fehltritt, der ihn bekannt macht."

"Früher - es mag zwanzig Jahre her sein - war mir jede überdurchschnittliche, von einem anderen vollbrachte Tat eine persönliche Niederlage. In der Vergangenheit erschaute ich Ideen, die man mir gestohlen hatte! Welche Torheit! ... Zu denken, das unser eigenes Bild uns nicht gleichgültig ist!"

"Mein schlechtes Gewissen rät mir bisweilen, sie anzuschuldigen, um mich zu verteidigen. Es raunt mir zu, dass nur jene, die nichts suchen, der Dunkelheit nie begegnen, und dass man den Leuten nur das vorsetzen darf, was sie schon wissen."

"Ich misstraue allen Worten, denn die geringste Überlegung erweist es als sinnlos, darauf zu trauen. Ich bin, leider, soweit gekommen, die Worte, auf denen man so unbekümmert die Weite eines Gedankens überquert, leichten Brettern über einem Abgrund zu vergleichen, die wohl den Übergang, nicht aber ein Verweilen aushalten. Der vorwärts eilende Mensch benützt sie leihweise und macht, dass er weiterkommt, doch falls er nur im mindesten darauf verharrt, so zerbricht das bisschen Zeit sie und das Ganze verschwindet in der Tiefe. Wer sich beeilt, hat begriffen; nur nicht verweilen: man fände bald heraus, dass die klarsten Wortgespinste aus dunklen Ausdrücken gewoben sind."

Die Gedanken des Monsieur Teste hingegen wirken wirr und unverständlich.

Aus seinem Logbuch:
"Anderer, mein Zerrbild, mein Vorbild, beides.
Anderer, den ich gerade im Schweigen töte; den ich verbrenne vor der Nase meiner-Seele!
Und ich! Ich, das ich zerreiße und das ich mit seiner eigenen immer wiedergekäuten Substanz nähre, der einzigen Nahrung, damit es wachse!
Anderer, den ich als Schwachen liebe, den ich vergöttere und einsauge, wenn du stark bist - ich habe dich lieber klug und tatlos ... es sei denn (Seltenheit!) und bis dass - vielleicht - ein anderes Selbst erschiene - eine klare bestimmte Antwort ... Was bedeutet bis dahin alles andere!"

Paul Valéry arbeitete lange Zeit weiter an der Grundidee, an seinem Ideenungeheuer, wie er es nannte. Zur Ergänzung erschuf er weitere und weitere Perspektiven. Das Konzept konnte beliebig fortgesetzt oder eingeschränkt werden, ohne dass jenes Fundament verloren ging. Allerdings sind alle diese Sichtweisen nur auf die Innenschau gerichtet; es gibt keine Handlung. Das Ideenungeheuer ist nur eine Möglichkeit und gleichzeitig eine Unmöglichkeit. Mit dem Versuch beeinflusste Valéry zahlreiche Schriftsteller nach ihm und neben ihm.
Ein Werk entstünde nicht durch den Autor allein, sondern in Zusammenarbeit mit dem Leser, der etwas darin erkennt. Darum erschuf Huysman ebenso den Monsieur Teste von Valéry, wie jener an den Werken von André Gide mitwirkte. So ist jedes Wort das Resultat eines gemeinsamen Ideenungeheuers.



Zum Weblog