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André Gide: Paludes Buchvorstellung, Zitatsammlung

Autor:  halfJack

"Paludes, das ist die Geschichte des neutralen Bodens, desjenigen, der jedermann gehört ... oder besser: des normalen Menschen, desjenigen, mit dem jeder anfängt - die Geschichte der dritten Person, derjenigen, von der man spricht - die in jedem von uns lebt und die nicht mit uns stirbt. Bei Virgil heißt er Tityrus - und es heißt dort ausdrücklich, dass er liegt - 'Tityre recubans'. - Paludes, das ist die Geschichte des liegenden Menschen."
"Ach so, ich dachte, es sei die Geschichte eines Sumpfes."

André Gide
Paludes

Es ist ein Buch über das Buch Paludes, welches von Tityrus erzählt, der angeln will, ohne etwas zu fangen, ohne etwas fangen zu dürfen; über Tityrus, der den Sumpf betrachtet. Ist sein Autor histrionisch, selbstverliebt, unsicher, faul?
Es ist die Parodie auf einen Schreiber, der den ganzen Tag nichts zu tun hat, außer ein extrem nichtssagendes Werk zu verfassen und sinnlose Listen zu führen. Auf diesen Listen stehen seine Vorhaben für den Tag, zum Beispiel:

- Am Abend versuchen, über Brücke xy zu laufen
- Seine Empfindungen mannigfaltig machen
- Hoffen, dass ich Darwin zu Ende lese

Da steht nicht als Vorsatz: "Darwin zu Ende lesen", sondern "hoffen", das man es tut.
Diese Listen sind Rechtfertigung für ... ja, wofür eigentlich? Für Prokrastination?

"Das Merkbuch hat doch sein Gutes, dachte ich, denn wenn ich für heute morgen nicht aufgeschrieben hätte, was ich tun sollte, hätte ich es vergessen und mich nicht freuen können, dass ich es nicht getan habe."

An vielen Stellen ist Paludes voller trockenem Humor. Am amüsantesten tritt Angèle auf, eine Freundin des Erzählers. Sie wirkt interessiert am Schaffen und Schreiben und sogar an diesem neuartigen, unverständlichen Werk. Gleichzeitig scheint sie immer verschmitzt. Sie lädt den Erzähler zu einem Literaturabend ein, mit vielen anderen Intellektuellen. Er könnte ja etwas aus Paludes vortragen oder eines seiner belanglosen Gedichte:

Spaziergang

Wir sind durch die Heide gegangen.
Gott, erhöre doch unser Verlangen!
Wir irrten über die Heide weit,
Und als der Abend niedersank,
Da suchten wir nach einer Bank,
So groß war unsre Müdigkeit.

Seine geistigen Ergüsse wären natürlich alle etwas für Paludes und wer das nicht gut findet, der hat es nicht verstanden; der hat nicht verstanden, dass es nicht darum geht, ein Werk gut, sondern sich selbst darin zu finden, denn "ein Buch ist immer eine gemeinsame Arbeit". So oder so ähnlich wäre die unsichere, rechtfertigende Antwort des Schreiberlings.
Angèle sagt es nicht offen, aber es ist, als suchte sie nur nach einer lustigen Abendgestaltung. Ihre ersten Worte auf Paludes waren: "Ich fürchte, ihre Geschichte ist ein wenig langweilig."
Aber es geht nicht darum, ob das langweilig ist, sondern darum, dass man in der Langwierigkeit das Wollen erkennt und niemand sollte sich mit sinnvollen Tätigkeiten beschäftigen müssen. Oder so ähnlich. Tatsächlich scheint sich der Schreiber selbst nicht ganz im Klaren, was er eigentlich ausdrücken will.
André Gide war sich sehr wohl im Klaren, was er darstellen wollte: Ohne zu ahnen, worauf ich mich einlasse, erkannte ich in Paludes eine sehr witzige Satire. Sie ist gleichzeitig subtil und übertrieben und absurd.
"Er sieht aus wie ein Grinsilator." - Ja, so kam ich mir manchmal beim Lesen auch vor. Ob man nun den Intellektuellen beiwohnt, die vor dem Betreten der Räumlichkeiten von Angèles Zusammenkunft im Treppenhaus sitzen und Zettel mit ihren geistigen Ergüssen austauschen, auf denen irgendwie genau das Gleiche und irgendwie genau das Gegenteil steht. Oder ob man den verworrenen, sich ständig wiederholenden Überlegungen des Schreiberlings folgt. Seine Gedanken wirken auf jeden Fall echt, gerade durch die wirre Redundanz, manchmal sind sie auch regelrecht lyrisch.

Gehst du hinaus, gib acht! auf was?
Doch schlimmer noch, du bleibst am Ort.
Der Tod ist nah - ist überall,
Er nimmt dich mit und sagt kein Wort.

Es geht um Langeweile, sinnloses Handeln, ewiges Wiederholen. Offenbar kann sich der Schreiber diesen Müßiggang leisten, er hat sogar einen Diener. Er legt sich schlafen, ihm fällt etwas zu Paludes ein, er nimmt einen Zettel, schreibt etwas Nichtssagendes darauf, legt sich wieder hin. Dann fällt ihm wieder etwas ein, ähnlich bedeutungslos, ein zweiter Zettel. Er liegt, er steht wieder auf, nimmt einen dritten Zettel und .....
........................................................................................ hat vergessen, was er schreiben wollte.
 

Am Ende gibt es eine Seite für ein:

Verzeichnis
der bemerkenswertesten Sätze
aus Paludes

Seite 57     Er sagte: "Siehe da! Du arbeitest?"
Seite 113   Bis zum Ende muss man alle Ideen weiterschleppen, die man einmal aufgehoben hat.
Seite *

*Aus Achtung vor der Idiosynkrasie jedes einzelnen überlassen wir es dem Leser, diese Seite vollends auszufüllen.

Das fand ich so sympathisch, dass ich hinzufügte (obwohl ich das sonst niemals tue, allerdings mit Bleistift):

Seite 37     [...] wenn ein Philosoph einem antwortet, versteht man überhaupt nicht mehr, was man ihn gefragt hatte.



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