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Yes, you have to! Stress, Studium

Autor:  BlueFuchs
Yes, we can! sagte Obama zu seinem Volk.

Yes, I can! sagte ich zu mir selbst und ballte entschlossen die Hände zu Fäusten.

Yes, you have to! sage ich nun jeden Morgen zu meinem Spiegelbild.
Und es gibt eine Menge "you have to" in meinem Leben.

Praktika zum Beispiel. You have to! Aber massig! Sonst gehst du als Geisteswissenschaftler später unter. Bewerbung raus an eine Online-Redaktion. Hoffen. Beten. Wünschen. Warten.
Anruf bei einem Verlag. Ob sie Praktikanten einstellen? "Nee! Nee, nee." die Antwort der Frau am Telefon. Sie hätte auch gleich sagen können: "Praktikanten?! Um Himmels Willen, wo denken Sie denn hin?!" Aber das hätte sicher länger gedauert, als dreimal "nee" zu sagen.


Noch ein "have to": Soft Skills. Meine Lieblingsseite für Bewerbungstips spricht immer von Ehrenämtern, Sportvereinen, Klubs. "Tut mir leid, Herr Arbeitgeber", sehe ich mich schon sagen. "Hier gab es leider keinen Sportverein, der sein Training zu einer studiumskompatiblen Zeit angeboten hätte.
Da ich Tiere oft den Menschen vorziehe und Kinder nicht leiden kann, wollte ich einfach nicht mit Behinderten, Krebskranken, Alten oder Kindern "arbeiten". Darum studiere ich Germanistik. Bücher sabbern nicht, Bücher stinken nicht. Sie müssen nicht in Grenzen gewiesen werden und müssen nicht verstehen, was ich sage. Außerdem kosten Mitgliedschaften oft Geld, das ich lieber anderweitig investiert habe."


You have to have Zusatzqualifikationen!
Sicherer Umgang mit Windows (als ob jemand außer Bill Gates wirklich "sicher" mit Windows umgehen könnte ^^), MS Word, Excel, Power Point. Drei, vier, fünf Sprachen fließend. Mindestens 3 Auslandsaufenthalte. Berufserfahrung. "Zählen Sie Strärken und Erfolge auf". Was für Erfolge? Ich hab in der 5. Klasse mal einen Vorlesewettbewerb gewonnen. Aber sonst? Ich hab keine Erfolge. Ich hab ja nicht mal eine gute Allgemeinbildung!

Zusatzqualifikation: Guter Geruchssinn. Ich kann noch Stunden später riechen, wer bei meinem Bruder zu Besuch war. Oder wer in meinem Hausflur gewesen ist. Sogar in welcher Reihenfolge die Bewohner ihre Wohnungen verlassen haben. Zigrattenqualm rieche ich gegen den Wind, Parfumspuren könnte ich in der Stadt wie ein Hund verfolgen.

Zusatzqualifikation: Gutes Wiedererkennung-Gehör. Ich höre Disharmonien in Musik, falsche Wortwiedergaben, erkenne Stimmen, merke mir Dialoge und deren Betonung. Na, wenn das nicht erfolgsversprechend für ein Unternehmen ist!


Ah, und mein Favorit unter den "have to"s: Latein
Jaja, die Sprache von Gelehrten und Gebildeten, die schon lange, lange tot sind. Die Sprache der größenwahnsinnigen Herrscher und einer der größten Sekte der Menschheit - der Katholiken.
Nun gut, der Einfluss auf die germanischen Sprachen ist nicht wegzureden, also akzeptiere ich notgedrungen, dass diese tote Sprache eine wichtige Grundlage meines Studiums ist. Bin schließlich ein Bachelor of Arts. Aber warum müssen angehende Deutschlehrer, zukünftige Vermittler unserer Sprachkultur, nicht zwangsweise ein Latinum vorweisen können?
Dieses Semester packe ich das Latinum nicht. Also noch mal einen Schritt zurück machen, noch ein Jahr die Ferien in Latein investieren. Keine Zeit für Praktika. Geschweige denn für Urlaub.


Man muss sich bilden, formen, ein Leben lang. Sich immer wieder verbiegen, verstauchen, zurechtstutzen, schmieden, solange man heiß ist.
"Eine Hand trägt die Welt und die andere bietet Getränke an"


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