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Die Zeit des Trauerns geht wieder los, oder auch: Winterzeit = Busfahrzeit Alltag, Kummerkasten, Wetter

Autor:  SmilingMana
Das Wetter hat mich in der Nacht von Donnerstag auf Freitag vom selbstständigen Mopedfahrer zum von willkürlichen Busfahrzeiten abhängigen Nutzer öffentlicher Verkehrsmittel degradiert. Die logische Folge für mich besteht darin, dass ich nun, wenn ich Pech habe und gar nicht mehr selbst fahren kann, statt wie bisher 20 € monatlich für Benzin 60 € für den Bus ausgeben muss, während sich gleichzeitig meine tägliche Fahrzeit zur Ausbildung/Berufsschule und wieder zurück im besten Falle verdreifacht hat.

Ich würde mich ja nicht aufregen, aber es gibt zwei Dinge, die mich letzten Winter über die endlosen Wochen hinweg richtiggehend fertig gemacht haben, bis ich mich irgendwann rund um die Uhr in einem Zustand zwischen angehender, aber nicht ausbrechender Krankheit, bodenloser Erschöpfung, unendlicher Müdigkeit und einer Art Trance befand, weshalb ich mitunter auch Halluzinationen bekam.

Mehr in der Weblogansicht unter "weiter", sollte es jemanden interessieren...
Die erste Unannehmlichkeit besteht darin, dass ich von dem Kuhkaff, in dem ich wohne, keine direkte Busverbindung zu der Stadt habe, in der ich arbeite. Überhaupt kommen an meinem Dorf pro Tag nur vier Busse vorbei (höchstens!), und in den Ferien fährt hier gar nichts. Von Bahnverbindungen kann ich nur träumen.

Ich muss also jeden Morgen erst mal eine halbe Stunde über einen unbefestigten Schlammweg ins nächste Kuhkaff laufen. Von dort aus fährt ein Bus in die Stadt.
Nachmittags fahre ich dann per Bus zurück in das Nachbarkaff und laufe wieder eine halbe Stunde lang nach Hause.

So viel zu der ersten Geschichte, wegen der ich, wenn ich 7:30 Uhr in der Berufsschule sein will, gegen 6:10 Uhr loslaufen muss, anstatt wie bisher kurz nach 7 mit dem Moped loszufahren.

Doch das ist nicht das Schlimmste, und wenn das mein einziges Problem wäre, würde ich mich schon lange nicht mehr darüber aufregen.

Mein Hauptproblem im letzten Winter waren die berufsschulunfreundlichen Busfahrzeiten, wegen denen ich fast immer, wenn ich Berufsschule hatte, die 11 Kilometer Luftlinie quer über hüfthoch zugeschneite Felder nach Hause gelaufen bin.

Wenn ich meiner Ausbildung nachgehe, egal ob in meinem tollen Praktikumsbetrieb oder meinem nicht so tollen "Bildungsträger", habe ich erst spät Schluss und kein Problem, per Bus nach Hause zu kommen. Aber die Berufsschule endet meist irgendwann gegen 14 Uhr, was mich als Mopedfahrer zwar freut, als Busfahrer hingegen einfach nur ankotzt.
Der Grund: Es fährt ein Bus um 13:40 Uhr und einer um 16:10 Uhr. Dazwischen fährt gar nichts.
Welcher Depp denkt sich bitte solche dämlichen Busfahrzeiten aus? Es ist ja nicht so, dass das nur alte Berufsschüler wie mich betrifft, die zusehen können, wie sie nach Hause kommen. Es gibt ja auch normale, minderjährige Gymnasiasten und Hauptschüler, die unter diesen Zeiten leiden und deshalb von ihren Eltern jeden Tag abgeholt werden müssen. Meine Eltern würden mich wohl auch abholen, wenn wir denn ein Auto hätten.
Aber meine Familie hat seit Jahren kein Auto mehr, und da ich keine zwei Stunden lang in der Kälte rumstehen will, ich sowieso nach dem Bus noch 2,5 km laufen muss und zudem errechnet habe, dass ich so eine halbe Stunde an Zeit einspare... laufe ich.
Zweieinhalb Stunden lang.

Ich habe mir aber vorgenommen, das diesen Winter nicht mehr zu machen. Ich kenne zwar keine Alternative, außer vielleicht doch Moped zu fahren, auch auf die Gefahr hinaus, mir dabei alle Knochen zu brechen oder mal wieder die Motorhaube irgendeines Autos zu küssen (wie Winter 2008)... Aber ich WILL einfach nicht SCHON WIEDER laufen. Das wäre zu viel.

1. ist es lebensgefährlich. Die Gegend, durch die ich laufe, ist unglaublich menschenleer, und das letzte Drittel beschreite ich in einer Feldlandschaft, in der ich außer meinen eigenen Fußspuren kein Lebenszeichen sehen kann. Da kommt kein Mensch außer mir vorbei. Wenn mir etwas passieren würde, mich könnte auf dieser langen Strecke keiner so leicht finden. Zudem gibt es kaum Dinge, an denen man sich orientieren kann, erst recht nicht, wenn die Sicht durch überraschende Schneestürme, Dunkelheit oder Nebel eingeschränkt ist. Ich habe mich letztes Jahr bei schlechter Sicht hauptsächlich daran orientiert, ob ich bergauf oder bergab laufe, und bin teilweise sonstwo herausgekommen.

2. ist es unglaublich ermüdend. Schon die halbe Stunde, die ich ohnehin jeden Morgen zum Bus laufen muss, sorgt dank Sauerstoffschock und der Kälte dafür, dass ich bereits müde auf Arbeit ankomme. Die zweieinhalb Stunden mit schwerem Schulranzen auf dem Rücken verbrennen alles, was noch an Energie in meinem unsportlichen Körper steckt.

3. es ist, sagen wir mal, nicht gerade gesundheitsfördernd. Man kühlt nach und nach immer mehr aus und bekommt vielleicht auch noch nasse Füße. Das Gefährliche daran: Man merkt es nicht.
Bei mir ist es so, dass mir beim Laufen immer heißer und heißer wird, bis ich irgendwann anfange, mich auszuziehen. Der Hintergrund dazu ist, dass ich um jeden Preis verhindern will, zu sehr zu schwitzen. Wenn zu den Minustemperaturen, bei denen ich so gelaufen bin (der Rekord lag bei -18 Grad tagsüber), auch noch Nässe hinzukommt, kann ich ja gleich einen Termin beim Arzt ausmachen. Also entblättere ich mich teilweise bis zum Pullover hin und nehme die Jacke(n) unterm Arm, auch wenn ich genau weiß (oder es spätestens zu Hause merke), dass mein Körper in der Zwischenzeit immer weiter auskühlt. Irgendwie scheint diese Ich-werd-lieber-kalt-als-nass-Taktik ja funktioniert zu haben, denn obwohl ich letzten Winter wohl um die 20 Mal so nach Hause gelaufen bin, war ich nicht ein einziges Mal krank.

4. es ist beängstigend. Damit meine ich nicht eventuelle Geräusche einheimischer Tiere wie Rehe, Füchse oder Hasen, die ich bei meinen unfreiwilligen Spaziergängen zu sehen bekam. Abgesehen davon höre ich nicht viel, da ich grundsätzlich nur mit meinem MP3-Player unterwegs bin.
Es ist vielmehr so, dass ich auf dem bereits erwähnten letzten Drittel meiner Reise, wo ich außer Schnee bis zum Horizont und ein paar kahlen Bäumen wirklich GAR NICHTS zu sehen bekomme und es meist auch schon dunkel wird, langsam schneeblind werde. Ich selbst bezeichne diesen Zustand aber als "Kältedelirium", da ich jedes Mal anfange, zu halluzinieren.
Ich merke, dass "Es" losgeht, sobald ich meine eigenen Fußstapfen sehen kann. An manchen Stellen sehe ich sie im Dunkeln kilometerweit, denn sie leuchten blau. Der Schnee erscheint mir nicht mehr weiß, sondern entweder grün oder rötlich, und überall sind farbige Schatten oder wahlweise auch Umrisse von Tieren, Menschen und Fahrzeugen, die gar nicht da sind. Mein eigener Schatten ist violett. Besonders schlimm war es an einem Tag, wo ich abgesehen davon auch noch Blumen(!) im Schnee gesehen habe und die eigentlich kahlen Laubbäume grüne Blätterkronen trugen, von denen ich genau wusste, dass sie gar nicht da sein können. Das geschah bei einem der letzten Male, die ich laufen musste. Als ich am nächsten Tag wieder an dieser Stelle vorbeilief, sah alles wieder ganz normal aus, von den farbigen Schatten einmal abgesehen.

Der 5. und letzte Grund, der auch sehr wichtig für mich ist: ES. IST. EINE. EINZIGE. ZEITVERSCHWENDUNG.
Wenn ich nur daran denke, wie viel Zeit durch das tägliche Herumgelaufe im Nirgendwo für Nichts und wieder Nichts verloren geht, könnte ich kotzen. Meine busfahrenden Kollegen, die das Glück haben, nicht in so einem Kackdorf zu wohnen wie ich, sind innerhalb von 40 Minuten zu Hause. Wenn ich Moped fahre, brauche ich keine 20 Minuten - kann ich nicht Moped fahren, dauert es im besten Fall eine Stunde, im schlimmsten zweieinhalb Stunden. Ich war letzten Winter fast jeden Tag 12 Stunden lang nur für die Ausbildung unterwegs, egal, ob ich im Praktikum oder in der wesentlich kürzeren Berufsschule stationiert war.

Ich weiß nicht, wie ich das anstellen soll, aber dieses Jahr laufe ich nicht mehr heim. Das verkrafte ich nicht. Auf den Bus warten ist aber auch keine Alternative, denn da wäre ich ja noch länger unterwegs. Vielleicht sollte ich doch versuchen, an solchen Berufsschultagen Moped zu fahren. Die Zeit, in der ich dieses Jahr fahren konnte, war dank des geradezu lächerlich langen Winters ohnehin viel zu kurz. Eine andere Möglichkeit fällt mir nicht ein, denn meine autofahrenden Kollegen wohnen allesamt ganz woanders als ich und sind meist, was autolose Mitreisende angeht, ganzjährig ausgebucht. In der Stadt übernachten kommt nicht in Frage, nicht zuletzt, weil ich mir das nie und nimmer leisten kann und es auch keinen gibt, der mir diese Gelder ersetzt.

Gestern hatte ich noch Glück, da ich bereits 11:45 Schluss hatte und den Bus um 12:40 nehmen konnte. So musste ich "nur" zweimal meine halbe Stunde laufen. Da mein Körper das aber nicht mehr gewohnt ist, hat das gereicht. Als ich 13:30 Uhr Zuhause ankam, fiel ich unmittelbar ins Bett und wachte erst heute früh um 5 mit einem kratzenden Hals und schmerzenden Beinen wieder auf.

Ich kann nur hoffen, dass dieser Winter nicht so schlimm wird, wie es das Fell meines dick gewordenen Katers vermuten lässt.

Guten Gruß an alle, die nicht laufen müssen,
und mein tiefstes Beileid an alle Mitläufer,

SmilingMana


PS.:
Würde mich echt interessieren, ob jemand diesen Roman überhaupt liest. Eigentlich geht der ganze Mist ja nur mich persönlich was an...


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