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Der Glasgarten

von

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Judas

~ Judas ~
 


 


 

Stille.
 

Er sah. Sah den Frisör, den mutmaßlichen, der das Wunder der Kopfhautmassage vollbracht und ihn so entspannt hatte. Er sah den Mann, der hinter ihm stand und erkannte nun auch die samtige Stimme. Wie hatte er sie eben überhören können? Wie?
 

Stille…immer noch.
 

Aya sah sich selbst im Spiegel, sah die weit aufgerissenen, violetten Iriden, die alles, nur keine Ruhe mehr spiegelten. Entspannung, eben noch so präsent im Körper war dem sekundenschnellen Adrenalinschub gewichen, der sein Herz brutal hart in seiner Brust schlagen ließ. Er sah das Lächeln des anderen Mannes, das er mittlerweile so gut kannte. Der Jäger hatte seine Beute.
 

„Schuldig“, brachte er das Offensichtliche mit größter Mühe beherrscht hervor.
 

"Nun, wie der Zufall es will, ist das mein kleiner Nebenjob. Kann ja nicht jeder Blumen verkaufen", sagte dieser salopp, als müsse er sich sein Zubrot hart verdienen, im Gegensatz zu den Weiß Killern.

"Jaja, die Welt ist schlecht, also zurück zum Geschäft."

Er machte eine winzige Handbewegung, wischte das Thema damit vom imaginären Tisch und grinste vielsagend, das amüsierte Funkeln in den Augen in die vor Schock geweiteten Amethyste sengend.

"Spitzenschneiden, wie mir mein Kollege sagte, lehnen Sie sich ruhig zurück, entspannen Sie", plapperte er in allerfeinster Manier eines Scherenkönigs. "Sie haben Recht. Dieses Haar zu schneiden wäre wirklich Frevel. Manch einer würde dafür töten, das können Sie mir glauben. Ich kenne da jemanden, ein vollkommener Trottel, sag ich Ihnen! Man hat ihm doch tatsächlich ein Versprechen gegeben und er hat es doch tatsächlich geglaubt. Da ging’s auch um Haare, glaube ich. Ich sag’s Ihnen, Leute gibt's!"

Gespielt fassungslos schüttelte er den Kopf und ein ironisches Lächeln legte sich auf die offenen Gesichtszüge, doch der Schalk in den grünen Iriden funkelte mit dem Lächeln um die Wette.

Schuldig wartete einen Augenblick und führte seine Hand langsam auf die Haare über Ayas Ohr, legte die Handkante etwas an, um den Kopf nicht zu stark zu bewegen, als er vorsichtig begann das Haar glatt zu kämen. Seine Augen in seine Arbeit vertieft.
 

Aya war sich bewusst, dass er reichlich dümmlich auf die hinter ihm stehende Gestalt starrte und sich bisher noch keinen Deut gerührt hatte. Auch die geöffneten Lippen nicht, die nun ihren Weg zueinander fanden und geräuschvoll zuklappten.
 

Was…..Was ERLAUBTE Schuldig sich? Wie konnte es der andere Mann wagen, so in seine Privatsphäre einzudringen und ihn zu…hintergehen. Ja, hintergehen. Etwas vorzuspielen, was nicht war. Ihn ausnutzen, auf welch verquere Art und Weise auch immer! Wie KONNTE Schuldig es wagen, ihm auch noch einen Vorwurf daraus zu machen?
 

Ayas Hand schnappte nach der ihn kämmenden und zwang sie eisern zum Stillstand. „Und ich habe von jemandem gehört, der auf Versprechen nichts gibt“, erwiderte er dunkel zischend und funkelte wütend. „Sowas…solche Menschen soll es auch geben. Und wenn Sie jetzt so nett wären, mir die Haare GESAMT zu schneiden und Ihren JOB zu tun, wäre ich Ihnen SEHR verbunden!“
 

Schuldig hatte die Wut in den Augen gesehen, hatte mitverfolgt, wie Aya sich fasste, zu seiner alten Form zurückfinden wollte.

Er hatte ihn doch tatsächlich überrumpeln können. Etwas stolz war Schuldig schon, das gestand er sich ein.

"Ja, solche Menschen gibt es mit Sicherheit. Aber ich persönlich halte Versprechen ein und erwarte dies ohne Worte auch von anderen, die sie mir geben."

Die Hand, die Seine festhielt, war unnachgiebig und hart, Schuldigs dagegen ließ diese grobe Behandlung über sich ergehen, mit einem Lächeln wie es sich für einen Angestellten gehörte.

"Ich mache meinen Job immer gründlich", betonte er das Wort ‚gründlich‘, Aya im Spiegel dabei anblickend. Wieder fing er an die Haare zu kämen.
 

„Tatsächlich?“
 

Ein einziges Wort, das Aya dafür brauchte, um alles, was der andere Mann gerade gesagt hatte, in Frage zu stellen. Er wusste es besser…er hatte schließlich die Reaktion des Telepathen auf seine letzte Geste gesehen. Doch das war kein öffentliches Thema und dafür hier einen Aufstand zu veranstalten, konnte er sich nicht leisten.

Was blieb ihm also anderes übrig, als Schuldig gewähren zu lassen? Seinen Arm sinken zu lassen und sich angespannt zurück zu lehnen.
 

„Da sind wir schon zu zweit. Beide Perfektionisten in dem, was wir tun“, gab Aya zurück, erwiderte Schuldigs Drohung mit seiner ganz eigenen.
 

Schweigend machte sich Schuldig wieder ans Werk, kämmte das lange Haar, entfernte die losen Haarsträhnen und scheitelte das Haar in der Mitte.

Sein suchender Blick fand auch kurz darauf die Schere in dem Rollwagen der neben dem Waschbecken stand.

Er fühlte sich wie ein experimentierfreudiger Schüler vor seinem großen ersten Versuch. Wie schneide ich meinem Feind die Haare, möglichst so, dass ich dabei selbst nicht sterbe? Das war die große Herausforderung dieser und der folgenden Momente, grinste Schuldig in sich hinein und griff zur Schere.
 

Während der nächsten Minuten arbeitete er konzentriert, nahm Strähnen auf, kämmte wieder glatt, schritt um Aya herum, versuchte möglichst ein symmetrisches Ergebnis zu erzielen. Akribisch und konzentriert beäugte er die Haarlänge und nach getaner Arbeit war er sichtlich stolz auf sein Werk. Also griff er sich fluchs den Haarföhn, stellte auf eine kühlere Temperatur und fing an Ayas Haar zu föhnen. Zunächst nur die Länge, dann immer weiter zum Ansatz hin arbeitend, berührte er dabei hin und wieder die Kopfhaut, strich mit dem Rücken der Finger um die Strähnen aufzunehmen und sie für die laue Luft des Föns aufzufächern. Den Kamm ließ er außer Acht, zunächst arbeitete er nur mit den Fingern.
 

Aya saß währenddessen kaum mehr entspannt auf dem Stuhl, sondern hatte vielmehr seine Hände in die Lehnen desselbigen gekrallt. Seine Augen versprachen Schuldig einen ruhmvollen, grausamen Tod nach dem anderen, als er mit Argusaugen die Schere verfolgte, immer darauf bedacht, dass er nicht erstochen wurde. Den Fön anstierte, der schließlich die nur wenig kürzeren, gepflegten Strähnen trocknete.
 

Doch so reglos er nach außen hin war, so sehr rasten seine Gedanken im Inneren. Was wollte Schuldig hier? Wieso wusste er davon? Für Aya gab es da nur eine Möglichkeit…der andere Mann beschattete ihn. Bespitzelte ihn und hatte immer noch nicht genug. Wieso konnte er ihn einfach nicht in Ruhe lassen? Oder war es etwa genau das? Ein kurzes Zwischenspiel in Freiheit, bevor Schwarz gleich auftauchen und ihn wieder zurückbringen würden? Aya schluckte mühsam. Wenn er ehrlich war, hatte er Angst. Große Angst davor.
 

Zu sehr vertieft in seine Arbeit bemerkte Schuldig das angespannte Verhalten des Anderen nur marginal.

Er zuckte innerlich mit den Schultern. Aya wollte sich schließlich die Haare schneiden lassen und seinen Schwur brechen, dafür musste er jetzt eben etwas leiden und sich in Schuldigs Hände geben.
 

Schuldig hätte das Haar am Liebsten an der Luft trocknen lassen, aber im Winter war dies weniger günstig. Er griff zur Bürste und kämmte das schwere, lange Haar. Die blutrote Farbe leuchtete im Licht des Frisörgeschäfts als wäre Aya ein Model für eine neue Haarfarbe und würde von einem der Poster in dem Geschäft lächeln.

Wobei....lächeln wohl nicht, eher kühl blickend, korrigierte er seine Gedanken.

Er fing an die Strähnen einzeln abzuteilen und einige gesondert mit der Rundbürste zu fönen, sodass sie sich übereinanderlegten und etwas voller wirkten. Obwohl Ayas Haar glatt war, wirkte es voll, gesund und stark.

Zufrieden mit seinem Werk nahm er Aya den Schutzumhang ab und erst dann blickte er ihn im Spiegel mit einem spöttischen Lächeln an.

"Gefällt es?", fragte er höflich.
 

„Nein“, gab Aya ehrlich zurück, ließ all die falsche Höflichkeit außer Acht. Seine Stimme hörte sich gepresst an, voller Misstrauen und Anspannung, die seinen Körper hart wie Stahl hatte werden lassen. Nur eine Berührung…nur eine, das wusste er, und er würde seinen Vorsatz vergessen, alle anderen Anwesenden nicht einzuweihen.

Er sah sie, die offenen, langen Haare und hasste sie für einen Moment wie nichts anderes auf der Welt. Wenn er doch nur die Gewissheit hätte, dass Schuldig wieder verschwinden würde…dieses Mal für immer und ihn in Ruhe lassen würde. Vielleicht…vielleicht hätte er die Situation dann entspannter angehen können.
 

Aya stand ohne Kommentar auf und wandte sich um, begegnete dem gegnerischen Telepathen nun von Angesicht zu Angesicht. Ließ diesen stumm an seiner Wut teilhaben.
 

Die Reaktion war vorauszusehen, ebenso die Antwort, befand Schuldig.

Von diesem wutgetränkten Blick gebannt, genoss er den angespannten Körper und die harten Gesichtszüge an dem anderen Mann, die ihn am Liebsten hier, vor den Augen aller Anwesenden zerrissen hätten. Für seine Unverfrorenheit, für seine Dreistigkeit.

Die Haarsträhnen umschmeichelten diese Härte, nahmen ihr die Kanten.

Schuldig überlegte einen Moment und befahl den Frisör per Gedanken heran, suggerierte ihm, dass er die Haare geschnitten hatte. Er wandte sich zur Tür von Aya ab und winkte beiläufig. "Vergiss nicht zu zahlen, Blumenkind", lächelte er verschmitzt und verschwand hinaus in das Schneegestöber, welches sich gebildet hatte.
 

Nach wenigen Metern jedoch blieb er stehen und verbarg sich in einer Seitenstraße, sich nicht sicher, ob er nicht die Gedanken eines Weißmitgliedes aufgeschnappt hatte. Er forschte nach und prompt befand er sich in der Gedankenwelt eines ehemals Privatdetektiv - jetzt Weiß Killers - Yohji Kudou, der sich in der Nähe befand und Aya scheinbar beobachtete.

Schuldig schmälerte die Augen, denn dieses Verhalten gefiel ihm ganz und gar nicht. Seit wann bespitzelten sich Teammitglieder? War das bei Weiß so üblich? Er hatte immer gedacht, der Zusammenhalt bei Weiß wäre sehr gut, so wie sie sich oft verhielten.

Zeit um die Gedanken des Ex-Schnüfflers zu erforschen, um die Motive des Mannes zu kennen.
 

o~
 

Die feinen, blauen Adern an Ayas Schläfe pochten verdächtig heftig, als er sich plötzlich dem lächelnden Frisör gegenüber sah, der anscheinend der Meinung war, dass dieser Service erstklassig gewesen war. Natürlich war er das...

Aya schnaubte. Dafür auch noch BEZAHLEN? Er…wenn er Schuldig mit seinem Katana begegnete, würde der andere Mann das keine zwei Sekunden überleben, auch wenn Aya erleichtert war, dass der Telepath diesen gottverdammten Laden endlich verlassen hatte. Hieß das doch vielleicht, dass er einfach mit dem Schrecken davon gekommen war…

Mit vor Wut roten Wangen drückte er dem armen Frisör wortlos das Geld in die Hände und griff seinen Mantel, war in Sekunden raus aus dem Salon. Ohne das Haargummi mitzunehmen, das seine Mähne zusammengehalten hatte. Verdammt. So ein beschissener Tag.
 

Aya schnürte sich den warmen Stoff bis unter das Kinn hoch und steckte seine Hände in die warmen Taschen. Und wie erklärte er seinem Team, dass seine Haare beinahe überhaupt nicht kürzer waren? Zum Teufel…er konnte schon fast ahnen, dass es Schuldig mehr als Spaß machte, ihm Schwierigkeiten zu bereiten.
 

o~
 

Yohjis Gedanken beinhalteten sowohl Sorge, als auch Misstrauen, wobei sich letzteres eher zum Wohle des Anführers verhielt. Er hatte auch gesehen wie Aya sich verhalten hatte, als er zuhause angekommen war. Yohjis Erinnerungen lagen offen für ihn da, der Mann schien sich sehr mit Ayas Zustand zu befassen.

Selbst der Verdacht, Schuldig habe Aya missbraucht kam in diesen Gedankengängen auf, was Schuldig sehr störte. Es missfiel ihm, dass ihm dieses Verhalten zugedacht wurde.

Das Schlimme war, dass er in seinem Leben bereits einiges auf dem Kerbholz hatte und mit Sicherheit hatte er vieles davon vergessen. Er konnte nun nicht einmal mehr mit reinem Gewissen einige Dinge leugnen. Da er es schlicht vergessen hatte. Doch Vergewaltigung hatte nicht dazu gehört. Er konnte es sich nicht vorstellen, dass er das tun könnte. Aber ausschließen bei seinem Manko konnte er es nicht...
 

Er wartete noch einen Moment in der Gasse und wollte sie schon verlassen, während er Yohjis Gedanken observierte, als er darin aufschnappte, dass Aya den Frisörsalon verlassen hatte.

Wenige Augenblicke später erreichte Aya die Gasse, war gerade auf ihrer Höhe und Schuldig entschied spontan, dass er Aya so nicht nach Hause gehen lassen wollte. Mit einem Griff um die Taille zog er Aya mit sich, die Arme, die dieser am Körper hatte, da die Hände in den Taschen steckten, festhaltend. Schuldig griff schnell, fest und bestimmt zu.
 

Also doch…
 

Ayas Herz machte einen entsetzten Sprung, als er plötzlich ins Dunkel gezogen wurde. Nein…da war es, sein Horrorszenario. Schuldig hatte sich einen Spaß daraus gemacht, ihn freizulassen, nur um ihn danach wieder einzufangen. Er bäumte sich auf, verfluchte wortlos seine Nachlässigkeit, in Folge derer er nun seine Arme nicht mehr gebrauchen konnte. Wehrlos war im Gegensatz zu dem Mann, der ihn festhielt.
 

Er versuchte, auszuschlagen, seine Fersen in den Boden unter sich zu graben…er versuchte alles, um von Schuldig loszukommen, dessen Geruch sich in seine Sinne fraß, dessen Augen ihn schier aufzuspießen schienen.
 

„Lass mich gehen, verdammt!“, zischte er schließlich, hielt still, hörte auf, sich gegen seinen Häscher zu wehren. Es hatte keinen Sinn…so nicht. „Was soll das hier?“ Auch wenn er tief in sich panische Angst vor der Antwort hatte.
 

Aya fast augenblicklich aus seinem festen Griff lassend, behielt er nur noch dessen Arme neben seinem Körper, bis er sich beruhigt hatte.

Einige Treffer konnte Aya für sich verbuchen, Schuldig jedoch ignorierte sie.

Er hat Angst, meldete Schuldigs Gehirn, als er in diese violetten Augen sah, die voller Emotionen waren, Wut, Angst, und noch viel mehr spiegelten sich darin wider.

Schuldig bemerkte wie Ayas Körper weicher wurde, wie er sich wohl zwang ruhig zu bleiben. Eine immense Anstrengung von sich selbst forderte, um Beherrschung bemüht.

"Ich will dir nichts tun, dir nur etwas geben", sagte Schuldig leise und ließ von Aya ab. Dessen Haar hatte sich etwas unter dem Kurzmantel aufgeschoben und die Strähnen bauschten sich unter dem Kragen auf, sodass sie Aya im Gesicht streiften und die rechte Hälfte fast verdeckten.
 

Schuldig verlor sich kurz in der Betrachtung des aufgewühlten Mannes, bevor er sich mit unergründlichem Gesichtsausdruck daran machte, in seine Innentasche zu greifen und die weiche Wolle, die er unter seinen Fingern fühlte hervorzuziehen.

Die schwarze Mütze, war einfach und schlicht und auch nicht mehr wirklich neu, aber in der Eile hatte er nichts besseres gefunden in den Tiefen seines heimischen Bermudadreiecks, das sich auch Kleiderschrank nannte.

"Hier", zeigte er Aya die Mütze bevor er sich vorsichtig näherte und Aya die Mütze aufsetzte, sie behutsam leicht in den Nacken zog.
 

Aya zuckte regelrecht zusammen vor der nahen Berührung des anderen Mannes, der – so sanft wie er sprach und handelte – mehr als Aya selbst jemals dazu in der Lage gewesen wäre ihn zu beruhigen vermochte. Er sah das Stück Wolle, wusste, was es war. Wusste, dass es keine Gefahr bedeutete.

Fragte sich instinktiv, ob Schuldigs Motive nicht ebenso harmlos waren und er völlig panisch vor einer neuen Entführung falsch reagiert hatte.

Ruckartig löste Aya seine Hände aus den Taschen und starrte Schuldig stumm an, die Zähne fest zusammengepresst. Auch wenn sein Unterbewusstsein es bereits vermutete, so hatte er doch keinen festen Anhaltspunkt dafür, dass Schuldig so friedlich war, wie er es momentan auf ihn projizierte.
 

„Warum spionierst du mir nach? Reichen dir die fünf Tage nicht? Oder macht es dir Spaß zu sehen, wie Kritiker mich fertig machen, wenn sie herausfinden, dass ich ihnen eines ihrer Ziele nicht ausliefere, sondern mir von ihm die Spitzen schneiden lasse?“, drangen Worte an sein Ohr, die selbst dort fremd klangen.
 

Schuldig nahm seine Hände herunter, steckte sie in die Taschen und lehnte sich an die Mauer neben Aya.

"Es ist niemand in der Nähe der dich beobachtet und dir dabei schaden will, Aya, die Umgebung ist sauber."

Nach einer kurzen Pause fuhr er fort.

"Du hast mir ein Versprechen gegeben. Ich möchte von dir nicht hintergangen werden, deshalb habe ich dem vorgebeugt." Er zuckte mit den Schultern.

"Kritiker ist allerdings ein Problem, das weiß ich ...Crawford ist nicht blöd, er hat das bereits erwähnt."

Schuldig lehnte sich nun vollständig an die kalte Mauer, der Blick ernst auf die gegenüberliegende Mauer gerichtet. "Sie wollen mich immer noch?" fragte er seltsam ruhig.
 

„Ja meinst du denn, sie haben dich aufgegeben, nur weil du einen ihrer Agenten entführt hast? Meinst du, die Sache hat sich von selbst gelöst?“ Aya schüttelte stumm den Kopf. Wieso bedachte Schuldig das nicht? „Es ist ja schön, wenn Crawford sich dem Problem für euch annimmt, aber MIR hilft das nicht im Geringsten. ICH muss für sie arbeiten, nicht ihr.“
 

Sein Blick streifte durch die enge, dunkle Gasse, suchte nach Anzeichen von Schwarz, von irgendeiner feindlichen Aktivität, die er nicht fand. Hier war nichts…außer Schuldig. Als wäre das nicht schon schlimm genug.

„Du gibst doch nichts auf Versprechen…oder suchst du dir aus, welches du zu schätzen weißt und welches nicht?“, setzte er schließlich bitter nach.
 

Schuldig dachte einen Augenblick über die Worte nach, bevor er zu einer Antwort ansetzte und sich wieder Aya zuwandte, der seitlich zu ihm stand.

"Mir fiel es nicht leicht, dich gehen zu lassen. Da waren Gedanken, die mich nicht losließen...Kritiker, deine Gesundheit, meine Sicherheit, das Team...nur weil ich wieder einmal einer spontanen Idee nachgegeben habe und dich nicht Brad überließ." Er hob die Hand, führte sie zu Ayas Schläfe, fuhr sanft über die kalte Haut, strich die Haarsträhne sanft beiseite.

Wie ruhig Aya plötzlich war. Schuldig hatte die Befürchtung gehabt, dass Aya gleich wieder gehen würde, sobald er sah, von wem er in die Gasse gezogen worden war.

"Ich war zu sehr mit mir beschäftigt, als dass ich reagieren konnte. Und ich war nicht darauf gefasst, dass du das Versprechen gleich einlöst. Es hat dich sicher Überwindung gekostet in dem Augenblick, die Freiheit vor Augen und dann noch einmal zurückzukehren zu dem, der dir diese verwehrt hat."

Schuldig atmete tief die kalte Luft ein, ließ die Hand wieder sinken, barg sie in seiner Tasche.
 

Ayas Blick verweilte schon seit dessen Berührung auf dem Profil des Telepathen, folgte nun der sich senkenden Hand. Seine Schläfe…die empfindliche Haut dort…kribbelte. Nur eine simple, unerwünschte Berührung und sie kribbelte. Oder war es vielmehr, als unterstützte die Berührung Schuldigs Worte, die ihm das widerlegten, was er sich vorher zurechtgelegt hatte. Nein…Schuldig hatte es nicht vergessen. Ihm war bewusst gewesen, was es Aya selbst gekostet hatte.
 

Der rothaarige Japaner schluckte schwer. Überwindung. Alleine dieses Wort löste Dinge in ihm, die er bisher zurückhalten konnte. Alleine die Stille des anderen Mannes brachte ihn dazu, den Blick gen Himmel zu heben nur um das zu stoppen, was sich in ihnen anzubahnen drohte. Freiheit…er war alles andere als frei.
 

„Und jetzt?“
 

Ein leises Lächeln erhellte das umwölkte Gesicht von Schuldig. Es war das erste Mal, dass sie in solch einer Umgebung relativ normal redeten. Aya fragte ihn um Rat. Ein seltsam neues Gefühl breitete sich in Schuldig aus. Wärme legte sich in seinen Blick, der jedoch auf die gegenüberliegende Wand gerichtet war.

"Jetzt?", wiederholte er die Frage.

"Jetzt, gehst du nach hause und ruhst dich aus", sagte er die Frage bewusst falsch verstehend. Er wusste, dass Aya die nahe und die ferne Zukunft damit meinte - und ihre Begegnungen darin. Am Besten auf Null reduziert.
 

Aya runzelte missbilligend die Stirn. Natürlich…Schuldig verstand ihn mit Absicht falsch…doch das war ihm recht so. Vertrieb das doch die Schwere in seinen Augen und ließ ihn den Deutschen ohne Scheu ansehen. „Danke für den Hinweis, aber ich meinte nicht das sicherlich kommende Bad, sondern das, was weiterhin geschieht. Wenn sie mich damit beauftragen zu kämpfen und zu töten, dann werde ich das tun. In jedem Fall.“
 

Schuldig stieß sich von der Mauer ab, erwiderte den Blick. "Das weiß ich. Ich sehe es in deinen Augen, nicht in deinem Kopf." Die Stimme des Telepathen war leise, aber fest.

Ayas Augen waren mit einem leichten Schimmer behaftet, es kostete ihn Mühe mit ihm zu sprechen, ohne sich auf Schuldig zu stürzen? War es so, dass er seine Wut so stark unterdrücken musste? Schuldig wusste nicht, wie er diesen leichten Tränenschleier deuten sollte.

"Ich hatte nicht vor dich nach deinem Weggang auszuspionieren, ich wollte lediglich wissen, ob du wohlbehalten zuhause angekommen bist, du bist noch nicht fit", stellte er stirnrunzelnd fest.

"Ich werde dich in Ruhe lassen, Aya."
 

Ayas Blick erwiderte die Ehrlichkeit der grünen Augen ebenso offen. „Nein…das bin ich nicht. Aber es wird besser“, erwiderte er und wusste im selben Moment nicht, ob das als Versicherung ihm oder Schuldig gegenüber gedacht war. Schuldig, dessen Bedauern er auch jetzt noch zu spüren meinte. Er stieß sich von der Wand ab und ruckte sich die warme, weiche Mütze auf seinem Kopf zurecht.
 

„Es wäre besser so. Besser für alle von uns“, nickte er schließlich und ließ seinen Blick ein weiteres Mal in die Dunkelheit der Gasse schweifen. Nein…es war wirklich niemand hier.
 

Nein, da war keine Wut, erkannte Schuldig in den Augen des anderen. "Ja, es wäre besser für uns, aber der nächste Auftrag kommt bestimmt und wir werden uns wieder begegnen, dessen bin ich mir sicher", stieß Schuldig auch dieses Thema an, obwohl es nur eine Feststellung war, er kannte Ayas Motive, sein Ziel. Er hatte es ihm vorhin gesagt.

Schuldig vernahm plötzlich jemanden, der sich ihnen näherte und hinter ihm war. "Du kannst aus dem Schatten treten, Balinese, oder glaubst du tatsächlich, du könntest uns unbemerkt von mir die ganze Zeit beobachten?", troff seine Stimme vor Spott. Die grünen Augen hart, wandte er sich jedoch nicht um, sondern blieb weiterhin Aya zugewandt.
 

Der ihn geschockt, wenn nicht sogar mehr als das anstarrte und wie erstarrt mit ansah, wie eine große, männliche Gestalt mit in die Gasse trat. Seine Augen weiteten sich entsetzt. Nein. Nein…das konnte nicht sein. Youji…ausgerechnet Youji.
 

„Aya…Schwarz“, grüßte die ebenso wenig freundliche Stimme des ältesten Weiß die beiden Männer. „Ich muss es ja sehr bedauern, eure Unterhaltung zu unterbrechen, aber ich möchte jetzt doch wissen, wie du dich mit solchem Abschaum rumtreiben kannst, Aya. Hat er dir soweit das Hirn verdreht, dass du vergisst, wo du die letzten fünf Tage verbracht hast?“
 

Aya schluckte, war nicht in der Lage, darauf zu antworten. Aber…Schuldig hatte doch gesagt, dass niemand sie belauschen würde. Niemand, der ihm schaden wollte. Wollte Youji das nicht? Würde er sich nicht an Kritiker wenden?
 

Schuldig wandte den Kopf seitlich, drehte sich noch immer nicht zu Balinese um. Aya stand vor ihm und Yohji, der hinter Schuldig stand, war die Sicht auf Aya zum Teil verdeckt. "Wir sind eben fertig geworden", sagte Schuldig kalt und richtete sein Augenmerk wieder auf Ayas schreckerbleichtes Antlitz. Zugern hätte er ihn jetzt in Gedanken beruhigt, hätte ihm Ruhe geschenkt, Gewissheit. Schuldigs Augen verloren ihre Härte, als er Ayas Blick fixierte. "Er sorgt sich", sagte er nur, hob die Hand und berührte mit den Fingerspitzen den Haaransatz über der Schläfe, strich zart über die Haut bis hinunter zum Ohr, in Richtung Kiefer.

Sekunden der Nähe, die wohl die letzten sein würden.

Bedauernd löste er diese letzte Verbindung und wandte sich ab, ging auf Balinese zu und wortlos an ihm vorbei, die Hände in den Taschen vergraben verließ er die Gasse und macht sich nach hause auf.

Vielleicht würde Brad noch vorbeikommen, seinen Kaffee trinken, nach dem Rechten sehen...sprich ob er keinen Mist gebaut hatte. Er brauchte Ablenkung. Dringend.
 

Youji…sorgte sich? Wusste Schuldig das aus den Gedanken seines Teammitgliedes? Ayas Hand hob sich langsam, versuchte, das neuerliche Kribbeln auf seiner Haut zu dämpfen, indem er die Spur des Telepathen nachfuhr. War es wirklich Sorge? Konnte es jetzt nicht nur noch Misstrauen sein? Er sah doch den Hass und die Wut in den Zügen seines Freundes. Emotionen, die sich ihm kalt und klar offenbarten, als er Youjis Blick begegnete.

Ich kann das erklären…, schrie alles in ihm. Ich bin kein Verräter! Ich habe euch nicht verraten!
 

Bild für Bild hatte er in sich aufgesaugt und zusammen mit den Gefühlen die sich damit aufgestaut hatten, war das Chaos für Yohji perfekt.

War es wirklich das was er gesehen hatte? Gerade eben?

Aya fuhr die Berührung des Telepathen nach?

Alles Bisherige war nicht so klar gewesen, nicht so extrem, wie diese Geste. Was zur Hölle machte Aya da?

Die Kiefer aufeinandergepresst blieb Yohji wo er war, ging keinen Schritt näher auf die schmale Gestalt zu, die im Moment nicht an den Aya erinnerte den er kannte.

Gekannt hatte.

Denn hier stand ein junger Mann, in einen Mantel gehüllt, dem der Schreck und auch die Verzweiflung im Gesicht standen. Yohji konnte ihn förmlich durch den Schlund fallen sehen in die völlige Schwärze, so wie Aya vor ihm stand, in der Gasse, allein.

"Erklär’s mir, alles", forderte er, die Wut hinunterschluckend, die Lippen schmal. Er wollte keine abgespeckten Versionen, keine Umgehungen, keine Verschönerungen.
 

Aya nickte stumm.
 

Es war eine eckige Geste, die nichts mit menschlicher Grazie zu tun hatte. Er hatte keine Wahl, wollte auch keine Unwahrheiten mehr erfinden müssen, nur um sich selbst zu schützen. Er wollte ehrlich sein. Wollte nicht, dass Youji Lügen aufgetischt wurden. Youji war sein Freund…jemand, den er hintergangen hatte. Doch damit war Schluss. Er konnte nichts mehr verheimlichen, hatte Youji sie beide doch gesehen…nahezu friedlich.
 

Ohne Kampf. „Alles, was du willst…alles.“
 

Diese bereitwillige Zustimmung erstaunte Yohji trotz der Umstände, denn leugnen konnte Aya die Szene, der Yohji gerade ansichtig geworden war, nicht. Aber diese völlige andere Person, die vor Yohji stand, die Arme hängend, neben dem Körper und dieser Satz, ließen Yohji zweifeln, ob nicht wirklich Schuldig Aya manipuliert hatte.

Es war nicht der Aya, den er kannte, der hier nun stand, ohne eine Spur von der sonstigen Wehrhaftigkeit, der üblichen Blockade, wenn Yohji etwas von ihm wissen wollte.

"Lass uns gehen, Aya. Wir reden unterwegs", sagte er mit erzwungener Ruhe.

Er rührte sich jedoch nicht, stand immer noch da und blickte die verlorene Gestalt vor sich an. Yohji schluckte die Wut hinunter, atmete tief ein, wiederholt. "Sag mir eins, bevor wir gehen."
 

Er machte eine Pause, Ayas Augen mit seinen festhaltend. "Bist du dir selbst noch treu?"

Im Innern sah es nämlich nicht ruhig aus. Tausend Vorwürfe spukten ihm im Kopf herum. Es war als hätte man ihm den Boden unter den Füßen fortgezogen, als er Aya mit Schuldig dort stehen gesehen hatte, als führten sie einen netten Plausch. Alte Bekannte, die sich hin und wieder trafen, um Tee zu trinken, keine Todfeinde, die sich hin und wieder trafen um sich darin zu üben, wie sie sich am Besten umbrachten.

Aber wie konnte er Aya verdammen? War es nicht er selbst gewesen, der Weiß beinahe verlassen hätte um mit Neu wegzugehen? War Aya da nicht ebenso wütend gewesen? Und hatte er nicht Recht behalten mit seinem Argwohn?

Yohji war innerlich zerrissen. Zwischen Pflichterfüllung und Freundschaft und nicht zuletzt seiner eigenen Vergangenheit, die ähnlich wie diese Situation geartet war. Doch der Ausgang war grausam gewesen.
 

Ob er sich selbst noch treu war? Ayas Augen hielten die des anderen Mannes verzweifelt fest. Wenn es eine Frage gab, die er haltlos mit ja beantworten konnte, dann war es das. Er war sich selbst treu…immer gewesen. Er war nicht jemand anderes. Er war nicht beeinflusst. Er war er. Wenn auch…
 

„Ja. Das bin ich. Dennoch…gibt es Dinge, die Änderungen hervorgerufen haben, Youji. Ich…habe Einblick in verschiedene Ansichten erhalten. Ich bin mir selbst treu…auch den neuen Facetten.“
 

Er bewegte sich hölzern auf seinen Freund zu und ging mit ihm langsam durch die Straßen. Es brauchte seine Zeit, bis er anfing, zu reden. Bis er den Mut gefasst hatte, das auszusprechen, was er vor nicht mal ganz drei Stunden Weiß verheimlicht hatte. Aya schnupperte unwillkürlich an seinen frisch gewaschenen Haaren, war unbewusst dankbar für die ihn wärmende Mütze, die sich so weich um seinen Kopf schmiegte.
 

„Ich habe euch nicht angelogen, Youji“, begann er schließlich. „Es…ist wahr, dass sie mich entführt haben. Vor fünf Tagen, nachdem sie Schuldig aus dem Keller befreit haben. Allerdings war das nicht ihr ursprünglicher Plan…Crawford wollte mich töten, Schuldig hat sich aber dagegen ausgesprochen. Er hat…gesagt, dass er mich haben möchte.“

Ein unmerkliches, beinahe bitteres Lächeln huschte über Ayas Lippen, als er die Ereignisse von vor fünf Tagen in seine Gedanken zurückrief. Unschöne, für ihn auch zum jetzigen Zeitpunkt schreckliche Erlebnisse.
 

Yohji hörte schweigend zu, zunächst wirklich froh über die ersten Worte. Aya war sich selbst treu geblieben, konnte noch klar sehen.

Doch die folgenden ließen Yohji stehen bleiben, erstarren. Um sie herum strebten die Menschen ihren Zielen entgegen nur sie hatten keins. Aya war etwas weitergelaufen und Yohji starrte ihn an, die Stirn voller Fassungslosigkeit in winzige Falten gelegt.

"Weißt du was du da sagst, Aya? Wie sich das anhört? Und du lächelst dabei?" Er schüttelte den Kopf, den Mund öffnend um etwas zu sagen, aber es kam kein Laut hervor, denn in seinen Augen spiegelten sich Verständnislosigkeit und Verwirrung wider, mit einer Spur Trauer.

"Oh Gott, Aya, was haben sie dir angetan? Was hat diese Ratte mit dir gemacht?" War es wirklich so wie er vermutete, dass Schuldig Aya gefangen gehalten und sich ihn gefügig gemacht hatte?

War Aya deshalb so anders?
 

Aya blieb nun auch stehen, sah sich zu seinem Teammitglied um. Youji war entsetzt, das sah er über den Lärm der sie umgebenden Stadt hinaus. Er konnte es spüren, dieses Unverständnis. Die Angst, dass Schwarz so grausam und böse waren, wie auch er es vermutet hatte.
 

„Das ist es ja, Youji…sie haben gar nichts gemacht. Schuldig hat gar nichts getan. Glaub mir, ich hatte die gleichen Befürchtungen wie du jetzt. Doch es hat sich anders herausgestellt, als ich es mir gedacht hatte. Niemand hat mir irgendetwas getan. Nicht körperlich, nicht geistig. Sie haben mich nicht gefoltert, nicht missbraucht, nichts. Schuldig hat mich zu sich geholt, um mich zu studieren. Um mir eine Auszeit zu gönnen. Eine Auszeit von Kritiker. Er wollte, dass ich sehe, dass es auch andere Dinge außer kämpfen gibt. Deswegen hat er mich bei sich gefangen gehalten. Es ist nichts passiert, Youji. Ich bin immer noch ich…er kontrolliert meine Gedanken nicht.“
 

Aya seufzte leise und nickte dann. „Lass uns weitergehen…mir wird kalt, wenn wir hier stehen bleiben.“
 

Yohji starrte immer noch, und seine Brauen zogen sich enger zusammen. Doch er ging weiter, musste die Worte erst verdauen.

Erst Minuten später fand er seine Sprache wieder.

"Und warum hast du so mitgenommen ausgesehen, wenn nichts passiert ist? Du warst fertig, bist jetzt noch ausgezehrt", murmelte er. Es war kein Vorwurf, aber eine Tatsache die er aussprach.

"Andere Dinge? Du warst in seiner Wohnung?"
 

Aya schauderte innerlich. Da hatte er doch gedacht, er würde eben dieser Frage entkommen. Doch da war sie und er würde sie beantworten, aller Ehrlichkeit nach. „Sie haben mich in seine Wohnung gebracht, ja. Und das Erste, was er mir dort eingerichtet hat, war ein warmes Bad…um schließlich auch mit dem Verdacht auszuräumen, dass er mich meines Körpers wegen will. Ich habe ihm das vorgeworfen…und er hat es nicht bestätigt.

Ja, es ist…richtig, dass er mich gefesselt hat. Zum Schlafen gehen, damit er sicher sein konnte, dass ich ihn nicht umbringe. Doch…darüber konnte ich mich frei bewegen. Bis auf…“, er stockte leicht, wusste, dass es ihm nicht leicht fallen würde, das Folgende auszusprechen. Die Angst, der Schmerz zu verhungern…alleine in dieser kalten Wohnung.
 

„Bis auf den zweiten Tag…er war einkaufen und hatte mich angekettet. Er ist erst zwei Tage später wiedergekommen…konnte nicht anders. Deswegen sehe ich so ausgezehrt aus. Ich bin ihm fast verhungert. Doch es war schließlich Crawford, der mich gefunden und aufgepäppelt hat.“ Gott…er wusste jetzt schon, wie schlecht Youji das aufnehmen würde.
 

Crawford ...ihm verhungert...aufgepäppelt von Crawford?

Schlagworte, die Yohji herausfilterte, brachten ihn wieder dazu stehen zu bleiben, nur kurz um Aya anzusehen.

"Das hört sich nach einem verdammt schlechten Film an, Aya."

Und wieder ein tiefer Atemzug bevor er seinen Gang wieder aufnahm. "Diese...Ratte", suchte er nach der ihm richtig erscheinenden Betitelung Schuldigs. "Diese Ratte, hat dich zwei Tage angekettet gelassen und..." er verstummte.

"Wie menschenverachtend ist das eigentlich?" Wut kochte in ihm auf, als er die bitteren Worte aussprach.

"Versteht Schuldig das unter ‚Auszeit von Kritiker?'", spottete er. "Das ist Wahnsinn, Aya. Der Typ ist wahnsinnig."
 

„Wenn es so einfach wäre, Youji“, erwiderte Aya und suchte den Blick des anderen Mannes, sah das Entsetzen, welches er schon in dessen Worten gehört hatte. Er streckte eine seiner in den Manteltaschen vergrabenen Hände aus und berührte den Älteren sacht an dessen Oberarm…eine Geste, die er sich selten erlaubte, Youji gegenüber schon gar nicht.
 

„Schuldig hat das nicht mit Absicht getan. Der Grund dafür…sind seine Fähigkeiten. Er hat mich nicht absichtlich dort liegen gelassen. Und er bereut, was passiert ist, das weiß ich. Ich habe es in seinen Augen gesehen, in seinem Verhalten. Es ist nicht so, dass er mich danach einfach hat links liegen lassen. Er hat sich wieder und wieder darum bemüht, mich zum Essen zu bewegen, selbst dann, als ICH nicht wollte. Er wollte nicht, dass ich verhungere. Und er hat mich danach nicht mehr gefesselt, aus Reue.“
 

"Du wirst das vermutlich nicht Kritiker auftischen, wenn sie dich befragen werden?", sagte Yohji plötzlich ruhiger werdend. Er wurde daraus nicht schlau.

"In den Tagen scheint viel passiert zu sein zwischen euch, oder? Ich frage das, weil es absurd klingt, nicht mit dem Bild welches ich von Schwarz...von dem Telepathen und dem Orakel habe ...zusammenpasst.

Crawford hat dich gerettet...warum hat er zwei Tage gewartet?" fragte Yohji mehr zu sich selbst.
 

„Nein, das werde ich nicht. Es ist eine Sache, die Kritiker nichts angeht. Weißt du…es ist nicht so, dass ich nicht mehr bereit bin, mit Weiß und gegen Schwarz zu kämpfen, das stimmt nicht. Meine Loyalität gilt uneingeschränkt euch. Doch ich will nicht mit unfairen Mitteln töten. Wenn ich Schuldig töte, dann draußen im Kampf, aber nicht in einem der Kritikerlabore. Das will ich nicht.“
 

Er seufzte ein zweites Mal. Ja…es war viel passiert in den vergangenen Tagen. Zuviel für seinen Geschmack, doch daran ließ sich jetzt wohl kaum noch etwas ändern.
 

„Er hatte erst dann eine Vision von der Situation in Schuldigs Wohnung…hat aber dann eingegriffen. Mir ein widerlich schmeckendes Gebräu eingeflößt, das Schuldig mit dem Titel Suppe bezeichnet hat. Das große Orakel kann nicht kochen…“ Aya lächelte, wurde sich dann erst bewusst, was er dort sagte.
 

Er schüttelte sich unwillkürlich aus seinen Gedanken und überschlug kurz die nachfolgenden Ereignisse. „Der Auftrag, an dem ihr ihm begegnet seid…und er meine Lederhose getragen hat. Ich habe währenddessen ein Foto von ihm gefunden…als Kind. Und einem Bären. SEINEM Bären, den er immer noch aufhebt.“
 

Aya hatte den Mensch hinter dem Auftragskiller kennengelernt, dämmerte Yohji es. Ob dies so gut war...

"Der Auftrag hat uns allen nicht geschmeckt, Aya. Das war und ist nicht unser Stil...auch nicht der Stil von Kritiker. Wenn man dieses Wort mit der Organisation in Verbindung bringen will"

Sie gingen weiter und Yohji sortierte die Fakten etwas, sah langsam wieder klarer und konnte die Details langsam zusammenfügen.

"Glaubst du es war eine Taktik von Schuldig? Dich so nah an ihn ranzubringen, damit du ihn kennenlernst und ihn nicht unvoreingenommen bekämpfen kannst? Meinst du, es war kalkuliert?"

Ging er einem möglichen Motiv nach.
 

„Wenn sie uns schaden wollten, hätten sie das schon längst getan. Sie wissen, wo wir wohnen, sie wissen, wo wir arbeiten…sie hätten uns töten können, ohne dass wir eine Chance gegen sie haben. Ich weiß es nicht hundertprozentig, doch ich bin mir sicher, dass sie uns akzeptieren, eben weil wir nicht in der Lage dazu sind, ihnen außerhalb des Kampfes gefährlich zu werden. Zumindest Schuldig scheint vielmehr…Interesse zu zeigen, als wirkliche Absicht, uns zu vernichten.“ Aya lachte amüsiert.
 

„Und er hat Gefallen an meinen Haaren gefunden. Hat mir einen Handel aufgeschwatzt, dass nur er es sein darf, der mir die Haare schneidet, wenn überhaupt. Deswegen sind sie noch da, wo sie mich stören. Deswegen war er auch hier. Weil er in euren Gedanken gelesen und gesehen hat, dass ich sie mir abschneiden will.“
 

Ayas Augenbraue hob sich spöttisch, als er seinen Blick erneut Youji zuwandte. Er zuckte mit den Schultern.
 

"Ist ihnen langweilig, oder was?", knurrte Yohji und lachte dann zynisch.

"Wir mühen uns ab...und erreichen doch nichts. Du hättest sehen sollen wie harmlos einfach Schuldig diese ‚Vertretung' von dir ausgeschaltet hat. Im Nachhinein dachte ich mir nur - sie spielen wirklich mit uns. Oder ...sind wir Schwarz und Weiß aufeinander eingespielte Teams, die schon fast in einem automatisierten Verhalten gegeneinander kämpfen? Wir kennen die Taktiken der anderen, wir vermuten Schwachstellen, Bewegungsabläufe."

Sie überquerten eine große Kreuzung.

"Sie hassen uns nicht", sagte Yohji tonlos.

Es war erdrückend momentan. Schwarz fehlte die Last des Hasses.
 

Aya warf einen Blick auf seine warmen, bequemen Stiefel, deren dumpfe Laute zu ihm heraufschallten. „Natürlich spielen sie nur mit uns. Der Kleine könnte uns mit einem Wimpernschlag töten, wenn sie es darauf anlegen. Sie hassen uns nicht…nein.“ Auch Aya lächelte für einen Moment bitter. „Damit haben wir ihnen etwas voraus…wir sind so dumm und versuchen, das eine ums andere Mal, sie umzubringen, angetrieben von unserer eigenen Wut über das Schlechte der Welt und Kritiker. Genau das war es auch, was Schuldig mir zeigen wollte. Dass sie es anders können. Wir aber nicht. Aus dem Grund hat er mich nachher auch gehen lassen. Mich praktisch vor die Tür gesetzt.“
 

"Sie sind freier als wir."

Yohji blickte Aya nicht an, Melancholie hatte ihn erfasst und er sah sich um. Viele Menschen, viele Erinnerungen.

"Sie schleppen nicht die Vergangenheit mit sich herum und lassen sich von ihr fesseln, oder?", fragte er mit einem bitteren, fast schon abwesenden Lächeln.

"Hassen wir sie, weil wir sie beneiden...Aya?", wisperte er und suchte den Kontakt mit den violetten Augen.

Eine provokante Frage, doch sie plagte ihn, nicht erst seit heute.
 

Aya erwiderte völlig offen den Blick des größeren Mannes. Seines Freundes.

„Wir hassen sie, weil Kritiker es so will. Weil sie uns das zeigen, was mit ihrer privaten Seite nichts zu tun hat, Youji. Sie sind Killer, wie wir. Doch sie sind frei von den Banden einer Organisation.“
 

Er schwieg einen Moment, wandte sich jedoch nicht ab. Zu wichtig war ihm der Kontakt mit den grünen Augen des Älteren. „Hassen wir nicht uns selbst, weil wir nicht von Kritiker loskommen, sondern weiter ihre Drecksarbeit machen müssen, die nichts mehr mit der ‚edlen Rache der weißen Ritter’ zu tun hat?“
 

Yohji nickte und lächelte dann zynisch.

"Schuldig ist wirklich ein Teufel. Er hat die Frucht des Zweifels aufgehen lassen, als hätte er die Samenkörner genau liegen sehen, wo sie bereits seit vielen Monaten liegen, nicht wahr?"

Sein Blick wurde traurig.

"Wir kommen von Kritiker nicht los, wie auch? Wollen wir das überhaupt? Und wenn, was dann?"
 

„Es ist müßig, darüber nachzudenken“, erwiderte Aya in den Zynismus des blonden Mannes. „Wir werden nicht von ihnen loskommen. Wenn überhaupt, dann ihr. Ihr habt keine Bindungen, die euch verpflichten, ihr Geld annehmen zu müssen. Dennoch…wer weiß schon, wie groß sie wirklich sind und ob wir ihnen jemals entkommen könnten.“
 

Aya glaubte es nicht. Sie waren damals alle eingefangen worden, mehr oder minder im übertragenen Sinne und hatten das Angebot der Rache gegen die ‚Bösen’ dieser Welt angenommen, ohne eine Ahnung, wie sehr sie das alle zerstören würde. Schon nach drei Jahren und sie waren kaputt. Hatten nur noch sich…sonst niemanden, der ihnen Halt gab.
 

„Ja…Schuldig war das vermutlich bekannt, diese Art von Zweifel. Er hat mich mehr oder minder unsanft darauf gestoßen, dass es auch anders hätte sein können…aber er hat doch Recht. Was tun wir hier, Youji? Wir morden…und nun gehen wir dazu über, Menschen für Versuchslabore einzufangen.“
 

Yohji nickte und kramte in seiner Tasche nach einer Packung Zigaretten. Er klopfte sich eine heraus und hielt sie in die Flamme seines Feuerzeugs. Einen tiefer Zug später, verzog er die Mundwinkel etwas.

"Komm lass uns gehen, sonst macht sich Omi nur wieder Sorgen. Willst du, dass die Anderen etwas erfahren?", fragte er sicherheitshalber, damit er wusste, wie er sich zu verhalten hatte. Er wusste die Antwort schon, glaubte nicht, dass Aya es Omi oder Ken sagen würde.
 

„Nein…noch nicht. Ich möchte nicht, dass du irgendjemanden etwas darüber sagst. Ich will mit Omi und Ken sprechen, wenn ich sicher sein kann, dass sie nichts weitergeben an Kritiker.“ Aya verzog missbilligend seine Nase.
 

„Du solltest aufhören zu rauchen. Diese Dinger sind nicht gut für dich“, wiederholte er den gleichen Satz, den er auch schon hunderte Male vorher zu Youji gesagt hatte. Immer wieder mit der gleichen Leidenschaft ihn zum Aufhören zu bewegen.
 

Beinahe hätte Yohji die Augen gen Himmel gerichtet, bei soviel Hartnäckigkeit. Warum gab Aya es eigentlich nicht endlich auf, ihm das Rauchen ausreden zu wollen?

Er lachte leise und schüttelte den Kopf.

"Was ist schon gut für mich?", fragte Yohji nicht wirklich ernst.
 

„Ich bin gut für dich“, antwortete Aya mit einem ebenso unverhohlenem Lachen zurück und funkelte den anderen Mann herausfordernd an. Er wusste, dass sie sich gegenseitig stützten und halfen, wenn es Probleme innerhalb des Teams gab. Dass sie, trotz aller Anfangsschwierigkeiten, Freunde geworden waren. Damals schon, als Aya in Youjis Bett aufgewacht war.
 

"Das stimmt, Aya, das stimmt", lachte Yohji und sie bogen um die nächste Ecke, die Wohnung in Sichtweite.

Sie schwiegen den Rest des Weges und betraten die Wohnung. Wohlige Temperatur schlug ihnen entgegen und sie zogen ihre Jacken aus. Yohji blickte auf die Mütze auf Ayas Kopf und sein Blick wanderte zur Jacke, die dieser getragen hatte, als er von Schuldig nach diesen fünf Tagen wiedergekehrt war. Sie hing noch am Haken.
 

Aya bemerkte Youjis Blick und zuckte hilflos mit den Schultern. „Damit mir nicht kalt ist“, war das Einzige, was er als Erklärung dafür darbot…als wenn es nicht schon offensichtlich war, was der Telepath damit bezweckte.

Er stopfte die Mütze in die Tasche von Schuldigs Mantel und hängte seinen eigenen darüber, verbarg eher unbewusst das verräterische Stück vor den Augen der Anderen. Er betrat wohlig fröstelnd das Wohnzimmer und warf einen Blick auf die heimische Couch.
 

„Hallo Aya…Willkommen zurück.“
 

Aya blieb sein Gruß im Halse stecken. Birman. Manx. Kritiker waren hier.
 

o~
 

Schuldig legte die Schlüssel auf die Ablage zurück, schnaubte unwillig und entledigte sich der Stiefel und seiner Jacke. Ihm war kalt.

"Seit wann treibst du dich hier herum, wenn ich nicht da bin?", giftete er Crawford an, als er den Mann am Fenster stehen sah...wie sollte es anders sein - mit einer Tasse in der Hand, die womöglich Kaffee enthielt?
 

Crawford drehte sich nicht um, genoss die Aussicht. "Seit du diesem Rotfuchs hinterher läufst. Also erst seit kurzem", gab er trocken zurück.
 

Schuldig hielt kurz inne seine Jacke zu verstauen und blickte auf, Brad stand ihm gegenüber an der entfernten Fensterfront bei der Sitzgruppe.

Zunächst eine hitzige Antwort auf der Zunge liegend, besann er sich. "Es sieht vielleicht so aus, aber ich weiß, dass es unmöglich ist."

"Du bist ein Sicherheitsrisiko, Schuldig."

Crawfords Stimme war pures Eis und Schuldig kaute auf seiner Unterlippe herum, blieb dort stehen wo er war.

"Das heißt? Willst du mich wieder in eine Anstalt stecken? Um Urlaub zu machen, oder eine Strafe abzusitzen?", fragte er ernst, mit dem Hauch von Bitterkeit unterlegt.

Vermutlich eher um ihn von Aya fern zu halten.

Würde Brad das wirklich wieder tun?

Hatten sie jetzt ein gewaltiges Problem?
 

Schuldig stand etwas überfordert mit der Situation an der Tür, er war nicht in der Verfassung sich gegen Brads Vorwurf zu verwehren. "Es tut mir leid, ich werde ihn nicht mehr sehen", sagte er fest, sein Gesicht wirkte hart.
 


 

Aya hatte noch nie etwas so gefürchtet, wie das Lächeln der dunkelhaarigen Japanerin, die nun auf ihn zukam und zuvorkommend nickte. In deren Augen aber Fragen standen, die er nicht beantworten wollte. Jetzt, genau diesem Moment fühlte er sich wie ein Verräter, was jedoch an Youjis und seinem Gespräch lag. Sie hatten sich die Wahrheit gesagt…eine Wahrheit, die Kritiker niemals erfahren durften.
 

„Birman. Manx“, grüßte er die beiden Frauen und nickte höflich. Schluckte unbemerkt den allzu großen Kloß in seinem Hals hinunter.
 

Auch Manx stand nun auf und griff in der gleichen Bewegung nach ihrem Mantel. „Wir würden dich bitten mitzukommen, Abyssinian. Wir haben ein paar Fragen an dich.“
 

Aya strich sich eine verirrte, lange Strähne zurück, bemerkte nur nebenbei Omis verwirrten Blick. Das hatte Zeit bis später…bis viel später. Er sah zu Youji, der ihn mit schweigendem, aufmunternden Blick maß. Das schaffst du schon, sagte der Blick. Du packst das. Wir sind bei dir. Wir sind Weiß und du gehörst dazu. Aya seufzte innerlich. Er fühlte sich sicherer als zuvor. Viel sicherer.
 

Wortlos folgte er den beiden Frauen, stieg ein in das bereit gestellte Auto. Starrte ebenso stumm aus dem Fenster. Wenn weder Birman noch Manx ein Gespräch beginnen würden, wäre er der Letzte, der sich darum bemühen würde. Er ließ sich einfach durch die Gegend fahren, in Gedanken völlig abwesend. In Gedanken war er nicht Abyssinian, sondern der Mann, der sich bei Schuldig aufgehalten hatte und all das noch einmal Revue passieren ließ. Der sich eine Wahrheit zurechtlegte, die er in den kommenden Momenten brauchen würde.
 

Irgendwann, mitten in seinen Überlegungen, hielten sie bei einem unscheinbaren Gebäude. Behörde…schrie es von außen, doch Aya wusste, dass dem nicht so war. Eines von Kritikers Gebäuden. Von innen mit schlichtem, sandfarbenen Stein ausgekleidet.

Sie führten ihn durch die Gänge, brachten ihn nach unten, in den Keller. Wie typisch, schoss es Aya zynisch durch den Kopf. Der große, böse Verbrecher wird in den Keller gebracht, wo er im Schein einer einzelnen Lampe in einem dunklen Raum verhört wird. Wie absolut typisch…
 

Wie absolut wahr.
 

Es WAR ein dunkler Raum. In diesem Raum STAND ein einfacher Stuhl und sonst nichts. Eine grelle, einzelne Leuchte, die eben diesen Bereich und einen kleinen Radius drum herum erhellte. Sonst aber war es völlig schwarz. Er würde also im Licht sitzen…ohne eine Möglichkeit sich an einem Tisch oder ähnlichem festzuhalten.
 

„Setzen Sie sich, Abyssinian.“
 

Aya schluckte. Sein Codename. Die Stimme aus dem Dunkel heraus. Sein Herz pochte unangenehm laut in seinen Ohren. Wenn er es sich ehrlich zugestand, hatte er Angst davor. Vor ihren Fragen, ihren Verdächtigungen, den Konsequenzen, die sie daraus zogen.

Wortlos setzte er sich auf den ihm angewiesenen Platz und sah nichts außer Licht. Keine Gesichter, keine Bewegungen, gar nichts. Hier war nur er. Er und seine frisch duftenden Verräterhaare. Von denen er eine Strähne abgezweigt hatte und sie nun im festen Griff hielt.
 


 

Ungesehen von Schuldig blitzten Brads Augen amüsiert auf, weiterhin in den beginnenden Abend blickend. Er nahm einen Schluck seines Kaffees und ein schmales Lächeln erschien für wenige Wimpernschläge auf seinen Lippen, bevor es erlosch und er sich zu Schuldig umwandte.

"Weshalb? Hast du vor bei uns auszusteigen?"
 

Schuldig zog die Brauen unwillig zusammen. "Verarsch mich nicht, Crawford! Du weißt genau, wie ich das gemeint habe." Er selbst wusste aber auch, was Brad damit andeuten wollte. War Schuldig in der Lage Aya zu töten, falls es erforderlich sein würde? Deshalb griff er die unausgesprochene Frage, die hinter den Worten lauerte auf, fast als hätte er sie in den Gedanken des Amerikaners gelesen.

"Ich werde ihn angreifen und aufhalten, falls er das Team gefährdet, das steht außer Frage, Brad! Wir...", wollte er gerade sagen, dass sie bisher Weiß auch nicht mit Tötungsabsichten entgegen getreten waren, weshalb also jetzt?

Doch Brad unterbrach ihn.

"Natürlich wirst du das, Schuldig", sagte Brad ruhig. Fast schon zu ruhig.

"Oder hast du ‚ vergessen', wie du dich bei Einsätzen verhältst? Dass du dich veränderst in deinem Verhalten? Wie soll dich da jemand stoppen können, der keine Fähigkeiten wie unsere hat? Aya?"

Er lachte kalt auf. "Hast du ihm bereits so viele Dinge anvertraut, dass er dich ausschalten kann? Sind wir wieder soweit? Ist dein Selbstmordtrieb wieder soweit an die Oberfläche getreten, dass du dich Weiß in die Hände spielst?" Schuldig starrte Crawford an, der ihn wütend ansah, die Worte kalt wie Eis und ebenso der Blick, fast schon verächtlich. "Ich dachte, dass Thema hätten wir hinter uns", fügte dieser an.
 


 

„Sie wissen, warum Sie hier sind, Abyssinian?“, tönte es aus dem Dunkel um ihn herum. Die Stimme kam von seinem Rücken her. Saßen sie im Kreis um ihn? Aya schluckte mühsam. Er hasste es nicht zu wissen, was hinter ihm geschah. Er hasste es, die Menschen nicht sehen zu können, die ihm Fragen stellten.
 

„Ja, das ist mir bekannt“, antwortete er trotz seines wild schlagenden Herzens. Er war Weiß. Sie waren ein Team. Er hatte sich nichts zu Schulden kommen lassen.
 

„Sie hatten einen Auftrag vor fünf Tagen.“

„Ja.“

„Sie wurden verschleppt.“

„Ja.“

„Von Schwarz?“

„Ja.“

„Wurden Sie gefoltert?“

„Nein.“

„Vergewaltigt?“

„Nein.“

„Ist man in Ihre Gedanken eingedrungen?“

„Nein.“

„Warum nicht?“

„Ich weiß es nicht.“

„Wo wurden Sie gefangen gehalten?“

„In einem schalldichten Raum.“

„Ohne Feindkontakt?“

„Wenig.“

„Haben Sie mit dem Feind kollaboriert?“

„Nein.“
 

Fragen über Fragen prasselten auf ihn ein, ließen ihn immer kürzer und abgehackter antworten. Seine Hand hatte sich schon längst zur Faust geballt und zerrte schmerzhaft an der Strähne, die sie gefangen hielt. Er sah sie nicht, die Inquisitoren, er hörte sie nur. Starrte ins Leere und hörte die Stimmen, die ihn in die Enge drückten. Die ihm keine Wahl ließen.
 


 

"Das Thema haben wir hinter uns"

Schuldig fühlte sich zu sehr im Fokus dieser wissenden Augen und er ging zur Küche hinüber, um diesem zu entgehen, suchte nach einem Glas, das er mit Wasser füllen konnte.

Er hatte früher oft in selbstmörderischer Absicht Angriffe gestartet, verrückte, wahrlich verrückte Manöver abgezogen, mit seinem Leben gespielt, ohne Rücksicht auf irgendjemanden. Er hatte nicht umsonst, diese ‚sichere’ Wohnung, die ihn teils vor sich selbst schützte. Die abschließbaren Fenster waren nur ein Teil davon. Das hatte sich aber gelegt.

"Warum wärmst du das jetzt wieder auf, Brad?", fragte er lauernd.

Schuldig nahm einen Schluck Wasser und sah zu dem Amerikaner hinüber, der seine Tasse mit einem lauten Geräusch auf der Fensterbank abstellte.
 

"Weil es nötig ist."

"Und das bestimmst du? Was nötig ist? Führ dich nicht auf wie mein nicht vorhandener Vater", zischte Schuldig und funkelte Brad an, die Hand um das Wasserglas gekrampft.
 

Crawford hob eine Augenbraue. "Du weißt doch gar nicht, wie sich ein Vater verhält, geschweige denn eine Mutter, dir fehlt die Erziehung von beiden", schallte die Frage in den Raum zwischen ihnen hinein und raubte Schuldig den Atemantrieb.

Stockend holte er Luft, war sich sicher, dass Brad diese Schwäche nicht gesehen hatte. Er stellte das Glas hart auf die Arbeitsplatte und ging auf Crawford zu.
 


 

„Sind Sie ein Verräter?“

„Nein.“

„Haben Sie Kritiker hintergangen?“

„Nein.“

„Verheimlichen Sie uns Informationen?“

„Nein!“

„Sind Sie Weiß untreu geworden?“

„Nein!“

„Wollen Sie wirklich das Leben Ihrer Schwester riskieren?“

„NEIN!“
 

Aya ertrug es nicht mehr…er sagte die Wahrheit! Er HATTE nichts getan! Es war nicht seine Schuld gewesen, dass sie ihn entführt hatten! Es war nicht seine Schuld gewesen, dass er nicht eher fliehen konnte! Er wollte nichts Böses! Er wollte niemanden hintergehen! ER WAR KEIN VERRÄTER!
 

Alles…alles, was er wollte, war doch nur, seine Freunde und seine Schwester zu schützen…sonst nichts. Er wollte niemandem schaden…Sein Körper schmerzte vor Anspannung, vor Gewalt, mit der er sich zurückhielt.
 

„Wir wissen, dass Sie Informationen zurückhalten.“

„Nein…ich habe Ihnen alles gesagt!“

„Denken Sie an Ihre Schwester.“

„Wollen Sie mir drohen?“

„Wir weisen Sie nur auf die Konsequenzen hin.“

„Ich habe nichts getan! Ich bin kein Verräter!“
 

Es dauerte…Stunden, bevor er gehen durfte. Völlig zittrig und fertig. Stunden, bis er geschwächter als je zuvor den Raum verließ und nach draußen begleitet wurde. Gehen durfte. Endlich gehen…endlich. Auch wenn die quälende Unsicherheit in ihm schwelte, ob sie ihm glaubten oder nicht.

Aya wankte durch die Kälte nach Hause, rempelte mehr als einen Passanten an. Ihm war kalt…er konnte nicht mehr. War am Ende.
 

Noch während Schuldig auf den Amerikaner zuging, begann er rücksichtslos in dessen Gedankenwelt einzudringen, hart, kalt und bezwingend. Er konnte sehen wie Brad die Erkenntnis befiel, doch es war schon zu spät. "Hör...", hörte Schuldig noch, bevor der Amerikaner seinen Mund mit einem Schmerzenslaut schloss und zu Boden ging. Die Knie krachten auf den harten Holzboden und Schuldig fing den Kopf ein bevor er auf die Fensterbank auftraf.

Crawford stöhnte unterdrückt, die beißenden Schmerzen in seinem Kopf lähmten ihn, zwangen ihn beinah in die Bewusstlosigkeit.

Schuldigs Gesicht war eine Mischung aus unterdrückter Verzweiflung und kalter Wut. "Warum redest du so mit mir? Das hast du noch nie gemacht, nicht so...!" Verständnislos zog er sich vorsichtig aus Brads Gedanken zurück, hielt ihn an die Wand gelehnt. "Du weißt, wo meine Schwachstellen sind, nutz dieses Wissen nicht aus."

Schuldig beruhigte sich langsam, sein Blick verlor sich auf dem Boden, er hasste sich dafür, was er gerade getan hatte.

Und es würde ein Nachspiel haben.
 

Da….war das Koneko. Seine Heimat….

Aya taumelte die letzten paar Meter, schleppte sich zum Hintereingang. Ihm war kalt…er war völlig erfroren. Zitternd werkelte er an dem Knauf ihrer Tür, bekam ihn schließlich auf. Er musste hinein in die Sicherheit. Hinein zu seinen Freunden…

Wärme begrüßte ihn…sanfte, angenehme Wärme. Aya strauchelte zum Treppengeländer, konnte gerade noch nach den hölzernen Verstrebungen greifen, bevor er sich daran auf die harten Stufen fallen ließ. Blicklos auf irgendetwas starrte. Das war die Hölle…es war eine einzige, schreckliche Hölle.
 

Das Wasser sickerte in die Erde und Yohji stellte die Gießkanne ab, warf einen kritischen Blick auf die kranken Blätter der Pflanze. "Die macht’s auch nicht mehr lange", murmelte er als er die Tür hörte. Sie hatten versucht sich abzulenken, die letzten Stunden, und die Anderen waren im Fernsehzimmer, arbeiteten an dem nächsten Auftrag, den ihnen Birman und Manx hiergelassen hatten.

Er eilte zur Tür und sah gerade noch wie Aya zitternd und kreidebleich auf die Stufen sank, förmlich in sich zusammenfiel. Der leere Blick alarmierte Yohji und er kniete sich auf die untere Stufe und lehnte sich auf die Fersen zurück, um Ayas Gesicht zu sehen. Eine Hand stahl sich auf die blasse Rechte "Alles ist gut, Aya. Du bist wieder hier."
 

Ein Zittern durchlief Ayas Körper. Youji…zuhause. Er war zuhause…

Seine Hand griff nach der des blonden Mannes, quetschte sie beinahe mit der Intensität, in der er sie nun festhielt. Sein Anker in die Realität…es war sein Anker. Aya hob seinen Blick, traf den Youjis.

„Youji…Youji…“ Seine Augen weiteten sich angstvoll, als er nicht anders konnte, dem anderen Mann in die Arme zu fallen und dessen Schutz zu suchen. Die Versicherung, dass das hier alles real und diese Hölle dort Einbildung war. Dass er zuhause war und alles gut werden würde.
 

Was hatte dieser Telepath nur alles angerichtet, dachte Yohji als er Aya in einer festen Umarmung barg. Dieses Verhör hatte jegliche Kraft aus Aya gezogen und dieses menschliche Bündel Angst zurückgelassen.

"Es ist vorbei."

Seine Hand fuhr über den schmalen Rücken, gab Aya Halt. "Wir sind da, Aya"
 

„Es ist nicht vorbei…sie haben so viele Fragen gestellt…sie werden mir sicherlich nicht glauben…so viele Fragen..“, murmelte Aya und barg seinen Kopf für einen langen, schmerzlichen Moment an der Halsbeuge des älteren Weiß. Sie waren da…das hörte er in den Worten seines Freundes. Das erkannte er. Das stützte ihn. Sie ließen ihn nicht alleine.

Noch…einen kleinen Augenblick, dann würde er sich von Youji lösen und wieder stark sein. Nur noch einen kleinen Moment.
 


 

Brad lag auf der Couch, war noch halb abwesend und Schuldig wollte ihn nicht ansprechen, obwohl er wusste, dass der attackierte Mann vieles um sich herum mitbekam und nicht bewusstlos war.

Schuldig hatte sich auf die breite Fensterbank gesetzt, die Beine darauf ausgestreckt und lehnte sich an den Rahmen.

Und wie sollte es auch anders sein, kaum hatte er die Augen geschlossen, flohen seine Gedanken zu Aya. Doch wie schon in dem Keller und einige Male danach, war Aya für ihn nicht zu fassen. Jemand in seiner Nähe dagegen schon. Yohji, war da, sehr nahe sogar und wie Schuldig in dessen aufgewühlten und besorgten Gedanken wahrnahm, war diese Nähe auch von Nöten.

Die gehörten Worte, die Schuldig durch Yohjis Gedanken aufnahm, alarmierten ihn und ließen ihn körperlich zurückzucken. Als würde er eine Treppe hinabgehen und der nächste Schritt war Bodenlosigkeit, dort wo zuvor eine Stufe gewesen war.

Schnell hatte er die Gründe für Ayas Zustand herausgefunden. Das Verhör, Kritiker, auch Teile des Gespräches mit Yohji, welches er nicht belauscht hatte.

Aya war aufgelöst und suchte Schutz, den er bei Yohji fand.
 

Schuldig atmete tief ein, zog unwillkürlich die Beine an den Körper und legte den Kopf darauf.

‚ Ich bin...'
 

Das Zittern ließ stetig nach und Aya schien sich zu beruhigen, auch wenn die Worte nicht danach klangen, sie festigten sich.

Er hielt Aya noch immer mit der gleichen Fürsorge fest.

„Ich bin da, Aya. Deiner Schwester und dir wird nichts geschehen, das lasse ich...wir nicht zu."

Yohjis Worte waren sanft und leise, als er sie an den roten Schopf auf Ohrhöhe richtete.
 

Aya blinzelte langsam, konnte seine Stirn jedoch immer noch nicht von ihrer warmen, schützenden Stütze heben. Lediglich seine Gedanken reagierten auf die Worte seines Freundes, hüllten sich mehr und mehr in Wärme und Stärke. Er ließ sich beeinflussen durch die Sanftheit, durch ihre Versicherung. Youji war für ihn da…als Einzelperson. Und sie als Team. Beide…als Freund und Vertrauter.

„Danke Youji…ich danke dir…“, murmelte er ebenso leise und zog den anderen Mann etwas näher zu sich.
 

"Blumenkinder sollten doch zusammenhalten, nicht?"
 

Ein sanftes Lächeln begleitete die Worte, auch wenn eine Spur Trauer sie durchzog. Behutsam strich er Aya über den Rücken.
 

Ayas Augen öffneten sich abrupt. Blumenkinder? Es war die Umarmung Youjis…es war Youji selbst, der ihn empfangen hatte, es war Youji, der ihn tröstete…aber das waren nicht Youjis Worte. Sein Blick glitt hoch zu den grünen Augen. Grün…wie Schuldigs. Schuldig…er kannte den Begriff Blumenkind. Schuldig hatte ihn so genannt.

Der Groschen fiel. Spät, aber er fiel und ließ Aya seinen Freund und Feind stumm anstarren. Die Hand des Telepathen lag auf seinem Rücken, spendete ihm die Wärme, die Youji gegeben hatte. Es war Youji…und Schuldig.

„Ja…das sollten sie…“, war das Einzige, zu dem Aya fähig war.
 


 


 


 

Vielen Dank fürs Lesen!

Fortsetzung folgt.

Coco & Gadreel



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  radikaldornroeschen
2018-07-05T12:05:49+00:00 05.07.2018 14:05
Hihiii, das mit den "Blumenkindern" ist wirklich geil XD
Von:  silvermoonstini
2007-04-24T09:21:57+00:00 24.04.2007 11:21
Blumenkinder...*g*Jetzt ist er sogar zu verblüfft um sauer zu werden.*lol* Hat mir sehr gut gefallen fru mich auf mehr!


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