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Der Glasgarten

von

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Lebe!

~ Lebe! ~
 


 

Frohe Weihnachten, Aya.
 

Es war zu früh, ihr das zu wünschen, das wusste Aya. Denn das hatten sie immer erst am 25. getan…im Brauch ihrer Familie. Heiligabend. Hätte sie denn nicht warten können? Hätte sie denn nicht aufwachen können? Hätte sie denn nicht überleben können? Nein, hätte sie nicht, wie er gerade erfahren hatte. Gerade eben, als er ins Krankenhaus gekommen war…mit dem Arzt gesprochen hatte…versucht gewesen war, wie gewohnt, ihr Zimmer zu betreten und zu lächeln, in der Erwartung, ihre stille Form dort zu sehen. Doch da würde nichts sein. Ein leeres Bett, eine leere Blumenvase, ein leeres Zimmer. Eine leere Seele.
 

Ein Arzt hatte vorsorglich auf ihn gewartet, ihn mit einem warmen, jedoch ernsten Lächeln begrüßt. Zu warm, das hatte Aya am Anfang nicht gewusst. Zu warm für die grausigen Neuigkeiten, die der ältere Mann ihm zu unterbreiten hatte. Gestorben. Einfach so. Keine Chance auf Rettung. Alles Mögliche versucht. Gesprächsfetzen, die ihm im Gedächtnis blieben. Die das leere Bett erklärten. Die seine Stummheit erklärten.

Er hatte geschwiegen, danach. Kein einziger Ton war über seine Lippen gekommen. Tot war sie? Das konnte nicht. Aya starb nicht, Aya lag im Koma. Sie würde wieder aufwachen, dafür mühte er sich doch die ganze Zeit. Dafür tötete er doch. Sie konnte nicht sterben. Tot war sie nicht, nein.
 

Warum er ihren Körper nun auf einer Bahre sah, konnte er sich nicht wirklich erklären. Sie müsste doch in ihrem Bett liegen, an die Geräte angeschlossen... Ruhig, friedlich. Nein, daran hatte sich nichts geändert. Sie war immer noch der Engel, der sie nun mal war. So wie sie nun eben aussah. Warum dann die Bahre? Und warum hier oben, auf der ruhigen Station, wo keine kranken Menschen gebettet waren?
 

Er strich ihr sanft über das schlafende Gesicht, schauderte unwillkürlich angesichts der Kälte, die diesen großen Raum beherrschte. Weiß, fensterlos, kalt. Sie hatte doch besseres verdient. Besseres als das einzelne Laken, mit dem sie bedeckt war. Sah hoch zu dem Arzt, dessen Lippen sich bewegten, dessen Worte er aber nicht vernahm. Gar nichts…wieso lag sie hier? Was war die Begründung des Arztes? Sie war tot? Nein…das konnte nicht sein, das war sie nie gewesen…
 

Eine starke Hand nahm ihn am Arm und führte ihn aus dem Raum, brachte ihn weg von Aya. Wieso ließ er das mit sich machen? Wieso wehrte er sich nicht dagegen? Aya nickte, ohne wirklich die Worte verstanden zu haben, verbeugte sich automatisch…alles automatisch. Drehte sich um, ging. Wohin, das wusste er nicht. Ging einfach…irgendwohin. Wenn er einen Fuß vor den anderen setzte, funktionierte das. Einen…vor den anderen. Und noch einmal. Einen vor den anderen.
 

Er streifte durch die Straßen, unbeachtet der Menschen, die ihm entgegen kamen. Ungeachtet derer, die er anrempelte, die ihn anrempelten. Schneite es? Mochte es wohl so sein bei den weißen Flocken, die vor ihm auf die Straße fielen und verglühten…Flocken, die auf ihm haften blieben.

Flocken, reine, weiße Schneeflocken…Schneewittchen, das Märchen der toten Prinzessin, die durch den Prinzen wieder erweckt wurde…Weiß wie Schnee, schwarz wie Ebenholz. Aya.
 

Er strauchelte. Fing sich mechanisch und ging weiter. Was hatte er für ein Ziel vor Augen? Er wusste es nicht…gar keines? Er fühlte sich nicht danach, nach einem Ziel zu suchen…er fühlte nicht, wieviel Zeit verging. Mochten es Minuten oder eher Stunden sein, die er hier in der dunklen, lauten Kälte zubrachte…
 

…bis er sie sah. Da war etwas…eine kleine, unscheinbare Bank. Aya blinzelte taub. Vielleicht sollte er sich etwas ausruhen…hinsetzen. Er war so…müde. So erschöpft…woher nur? Was hatte er getan? Sollte er nicht bei Aya sein? Sollte er das nicht?

Er wusste es nicht. Blinzelte ein zweites Mal. Setzte sich auf die völlig mit Schnee bedeckte Bank und lehnte sich an die kalten Metallverstrebungen. Starrte vor sich ins Dunkel…unsehend, nichts denkend, nichts wissend…es war…Leere. Völlige Leere.
 

o~
 

Das Gefühl des Verlustes haftete noch immer wie der Gestank eines Skunks an ihm und er zog eine Grimasse als er eher unbewusst die Entscheidung traf, den Rest des Weges zu Fuß zurück zu legen. So verließ er die Bahnlinie mit den Händen tief in den Taschen seines Mantels, der noch immer diverse Blutspuren im roten Innenfutter aufwies. So fielen sie wenigstens nicht über Gebühr auf. Es gab Tage, an denen er einfach nicht arbeiten sollte. Vielleicht sollte er bei Gelegenheit Crawford fragen, ob sie nicht so eine Art Sonntag oder Ruhetag einführen sollten.

Er wäre begeistert. Farfarello wäre es egal und Nagi...hmm schwierig.
 

Sich nicht näher mit der Thematik befassend, weil nicht wirklich diskutabel - zumindest nicht unter dem Aspekt, dass er mit Crawford darüber verhandeln wollte, ob sie nun einen Ruhetag einführten oder nicht - streifte er durch die Gassen.
 

Doch auch wenn er noch so unsinnige Gedanken heranzog und sich während des Weges damit herumschlug, machte es das Loch in seiner Brust nicht kleiner. Es legte lediglich einen Hauch von unschöner Tarnfarbe darüber. Er hatte ihn verloren, nicht wahr?

Mit diesem Kampf hatte er ihn verloren. Obwohl er ihn niemals besessen hatte, hatte er ihn verloren. Dadurch, wie er ihn angesehen hatte, dadurch, wie er ihn verletzt hatte…
 

Wenn er doch wenigstens schon zu Hause wäre, grummelte er nach einer halben Stunde, die er bereits durch die Stadt gelaufen war. Warum hatte er unbedingt laufen müssen?

Weil er nachdenken wollte?

Seine interne Schaltzentrale gab ihm wie immer die Antwort, auch wenn diese etwas bissig klang.

Er schnaubte und trottete weiter.
 

Dichte Flocken fielen vom dunklen Dach des Abendhimmels, als er aufblickte und beim Anblick der ihm entgegen wirbelnden Schneekristalle breit lächelte.

Er kam sich vor wie ein Schwachkopf, wie er so dastand den Kopf in den Nacken gelegt und die Flocken anstarrend wie sie sich auf ihn niederließen. Debil und geistesgestört.
 

Wirklich dunkel wurde es in dieser Stadt nie.

Deshalb fühlte er sich hier auch so wohl. Ein Gewimmel an Menschen und an Gedanken, die es zu erforschen galt. Aber bitte schön der Reihe nach und nicht drängeln. Schuldig ist für alle da. Aber bitte nacheinander und nicht wie manchmal: alle auf einmal...
 

Ein gemeines Grinsen später, setzte er seine Füße wieder in Bewegung. Die Kälte kroch ihm langsam durch die Kleidung, die nicht gerade dazu geeignet war um abends – bei diesen Temperaturen - durch die Stadt zu laufen. Aber woher sollte er auch ahnen, dass ...ein gewisser Herr ihn zum erklärten, persönlichen Ziel erkoren hatte und auch noch Ernst machte. Und um sein schweres Los noch schwerer zu machen, kam hinzu, dass ein anderer Herr - Großherz Bradley Crawford persönlich - ihn ins Krankenhaus verfrachtet hatte. Hätte er ihn nicht zu Hause absetzen können? Irgendwie hätte er das schon zusammengeflickt...machte er ja nicht zum ersten Mal.
 

Aber nein, stattdessen musste er sich von diesen Krankenhausfuzzis mit ihrem kryptischen Geschwätz erklären lassen was er ohnehin wusste: Dass er dem Tod von der scharfen, glänzenden Schneide seiner Sense – in diesem Fall Klinge – gesprungen war.

Hach! Welch Weisheit.
 

Er kam der Wohngegend, in der er sein trautes Heim hatte näher und sondierte das Areal gewohnheitsmäßig nach Gefahrquellen.

Und siehe da, er wurde fündig.

Ein Kritikeragent.

Ja, Himmel, fluchte er unterdrückt und verzog das Gesicht abfällig, langsam wurde er wirklich wütend. So wütend, dass es für einen Generalangriff reichte, der den nächsten drei Blocks im Umkreis Kopfschmerzen verursachen konnte.

Sprossen diese Kritikeragenten jetzt wie Pilze aus dem Boden? Ja, genau, Schimmelpilze, befand er, zufrieden mit dieser Bezeichnung und tastete die Gedanken des Agenten ab, noch bevor er in dessen Nähe war oder Sichtkontakt hatte.

Wollen doch mal sehen...
 

Sein Schritttempo verlangsamte sich, doch die Richtung behielt er bei. Auch warum der Agent genau hier weilte, fand er heraus, bevor er ihn mit einem posthypnotischen Auftrag wegschickte.

In diesem Gebiet wildere nur ich, das ist mein Territorium, Bürschchen, verzieh dich, sonst piss ich dir wirklich noch ans Bein, dachte er wütend.

Der Agent ging, sang und klanglos um sich einen Film anzusehen. Was er danach machte war Schuldig egal, aber er hatte ihm eingetrichtert, dass er hier nichts gefunden hatte, was interessant war und dass er des Objektes, welches er zu observieren hatte, verlustig gegangen war.
 

Schuldig blickte sich um, als der Agent weg war. Nur schemenhaft konnte er die Umrisse des Objektes - eine schmale Gestalt auf einer Bank - ausmachen. Die linke Braue hochmütig erhoben fixierte er den Mann, dessen Gesicht selbst im diffusen Licht noch weiß wie der Schnee war, der auf ihn niederfiel und ihn langsam bedeckte.

"Erst abstechen und meucheln wollen und dann auch noch auf der Parkbank herumlungern."
 

Unschlüssig stand Schuldig immer noch da, den kühlen Gesichtsausdruck Aya zugewandt, der immer noch reglos dasaß, obwohl die Blickrichtung ihn Schuldig eigentlich hätte erkennen lassen müssen.

Sein erstes Gefühl war Trotz und eine gewisse Sturheit, die ihm sagte, dass er einfach weitergehen sollte. Doch sein zweites Gefühl nahm die eklige Tarnfarbe von seinem Loch in der Brust und statt es kleiner werden zu lassen, wurde es nur größer. Er kam näher.

"Was willst du hier? Wolltest du nicht einen Schlussstrich ziehen?" Er lächelte kalt, als er vor Aya stand, dessen Haare ihm ins blasse Gesicht geweht waren. Sein Kinn zeigte leicht nach unten, sodass Schuldig Ayas Augen nicht sehen konnte. "Den Strich hast du gezogen, tut immer noch weh."
 

Er holte aus und seine Hand klatschte unnatürlich laut auf die Wange des anderen. Die Haut hatte sich glatt und kalt unter seinen Fingern angefühlt. Glatt wie Eis.

In Schuldigs Ohren hörte sich sein Schlag so an, als hätte es die Stille zerrissen, die der Schnee mit sich gebracht hatte. Ayas Kopf ruckte zur Seite, kehrte jedoch mit traumwandlerischer Sicherheit in seine Ausgangsposition zurück, als hätte es diese Maßregelung nicht gegeben.

"Hey, ich rede mit dir", versuchte er erneut eine Regung in dem stoisch dasitzenden Mann zu erzeugen. Einige Augenblicke stand er aber nur da glotzte und wirkte bestimmt wie jemand dem gerade erzählt wurde, dass er in einem Märchenland war, in dem Feen und Zwerge lebten und er selbst eigentlich auch....nun wahlweise eine Fee war. Gut, ein Feerich...falls er die Wahl hätte und die männliche Ausgabe vertreten war... .

Was zur Hölle dachte er denn für eine gequirlte Scheiße zusammen...? Hatten sie ihm zuviel Schmerzmittel verabreicht?
 

Stirnrunzelnd fasste er sich wieder und beugte sich zu dem Sitzenden, stützte die Hände auf die Bank rechts und links neben Aya ab und warf einen direkten Blick in die Augen des Anderen, die nun auf gleicher Höhe mit seinen waren. Hätte er besser nicht gemacht.

Er zuckte zurück und richtete sich abrupt wieder auf, wandte sich im Affekt ab und holte tief Luft.

"Gut. Also was geht hier ab?", versuchte er sich in Beherrschung seiner Selbst, das ihm hier suggerierte, dass etwas nicht in Ordnung war. So derart nicht in Ordnung, dass es ihn selbst zu betreffen schien. Nein, ihn betroffen machte, denn die Augen von Aya wirkten leblos und fern jeder Realität. Sie waren offen, fixierten den Blick nicht, starrten ins Nichts.
 

Seine Frage prallte an der Mauer des Schweigens ab und verlor sich zwischen ihnen im Schneefall.

Stumm war sein Blick auf Aya gerichtet, dabei ruhig jede Einzelheit, jede Linie in sich aufnehmend. Und so vergingen Minuten, bis er sich erneut in die Gedanken des Kritiker Agenten einklinkte, der auf dem Weg ins Kino war - wohin er ihn geschickt hatte. Dort las er, dass der Agent Aya bis zur Klinik gefolgt war, auf ihn gewartet und ihn danach hierher begleitet hatte.

Er löste sich aus den Gedanken des Agenten, stand mit hängenden Armen da. Es war nicht schwer eins und eins zusammenzuzählen...und auf das unschöne Ergebnis von Minus Eins zu kommen.

"Weiß!" herrschte er Aya an, schüttelte ihn leicht. Mit herzlich wenig Erfolg.
 

Als wenn er nicht wusste, dass dies wenig bis gar nichts bringen würde, wollte er sich gern eines Besseren belehren lassen. Er wollte es wenigstens versucht haben.

Sanft befühlte er Ayas Wange, die er zuvor eher gegenteiliger Behandlung zugeführt hatte. "Wie lange sitzt du hier schon, hmm?"

Die Haut war eiskalt, feucht vom getauten Schnee. "Steh auf, komm mit rein und wärm dich auf."

Er nahm Aya unter dem Arm und bewegte ihn etwas nach oben, dieser stand langsam auf. Doch Schuldig wusste, dass er nicht unter ihnen weilte, wie es so schön hieß. Ja, Aya war momentan an einem anderen Ort. Vielmehr Ran, denn Aya war vermutlich tot, oder ihr ging es sehr schlecht. Eins von beiden, war sehr wahrscheinlich, so wie der Rotschopf sich ihm hier zeigte.

Wie er Weihnachten hasste... dachte er übellaunig und warf einen missmutigen Blick hinauf zum Himmel, als hätte sich da oben jemand gegen ihn verschworen. Er mochte nämlich keine ungebetenen Gäste und er mochte keine Weihnachtsgeschenke. Beides an einem Tag. Er mochte auch Weihnachten nicht, fügte er hinzu. Der kommerzielle Terz darum, das verlogene Getätschel hatten ihn schon immer angewidert. Ein Tag wie jeder andere, das war es für ihn und das sollte es auch bleiben.
 

Das konnte nur noch besser werden, seufzte er innerlich, das Gesicht Aya zugewandt und ein trauriges Lächeln barg sich in den grünen Augen, als sie das verschlossene Profil des Anführers von Weiß anblickten.
 

o~
 

Da war etwas. Etwas, das ihn aus seiner Ruhe herausholen wollte. Etwas, das ihn in Bewegung setzte, schweben ließ. Er ging…das wusste Aya. Er setzte einen Fuß vor den anderen…wieder und wieder. Immer wieder. So schwer war das gar nicht. Einfache Befehle an seinen Körper, an die Mechanik, die ihn bewegte. Doch die weißen Flocken…sie waren weg. Nicht mehr da. War es warm? Er wusste es nicht. War es vorher kalt gewesen…er hatte es nicht bemerkt. Doch die dichten, weißen Flocken waren nicht mehr da. Weiß wie Schnee…aber nicht mehr Schwarz wie Ebenholz. Das nicht mehr. Licht…hier war Licht und Wärme. Keine kalten, weißen Wände. Keine Kacheln…
 

"Wir sind gleich da", faselte Schuldig und schlug sich innerlich vor die Stirn, für diesen Satz. Aber was sollte er sonst sagen?

Er öffnete die Tür und zog Aya in die Wohnung, schloss sie leise wieder und starrte für einen irrsinnigen Moment auf das Schloss. So, jetzt waren sie wieder da, wo sie schon einmal gewesen waren.

Er blickte in das ihm zugewandte Gesicht. Fahl und Weiß, ausgekühlt und leblos wirkend. Puppenhaft. Eine Puppe, die man zurückgelassen hatte...

Nicht ganz. ... sie waren nicht ganz dort wo sie schon Mal waren. Sie waren viel weiter zurück und doch viel weiter voran.
 

Er schluckte.

"Ich...zieh dir erst Mal die Sachen aus, ja?" Mehr eine Frage als eine direkte Aufforderung, denn sobald er den Arm losließ, fiel er schlaff an die Seite des Jüngeren.

"Ich ...helf dir", murmelte Schuldig.
 

Schnell entledigte er sich seiner eigenen Sachen, machte dabei eine ungeschickte Drehbewegung mit dem Oberkörper und warf seinen Mantel auf den Boden neben die Tür. Ein Zischen entschlüpfte zwischen seinen Zähnen - er hatte die genähte Wunde vergessen...vor lauter...Aya.

Nachdem er seine Schuhe ausgezogen und achtlos stehengelassen hatte, hob er seine Hände an die Verschlüsse von Ayas Mantel, öffnete einen nach dem anderen und wunderte sich, dass seine Hände dabei nicht zitterten. Völlig ruhig taten sie ihr Werk und bald darauf schälte er Aya aus seinem Mantel heraus. Vorsichtig als hätte er es mit Kristall oder einer Zeitbombe zu tun, immer wieder einen Blick in das Gesicht erhaschend.
 

Er führte Aya zur Couch, drückte ihn sanft nieder ..."Ich zieh dir die Schuhe aus." ...und machte sich daran dem anderen die Stiefel auszuziehen. Dafür schob er die Hosenbeine nach oben, zog Aya die Schuhe aus.

Die Bewegungen waren nicht gerade förderlich für die Wundheilung und er verzog des Öfteren das Gesicht. Aber ein Indianer kennt keinen Schmerz, verkniff er sich eine Äußerung.

Er holte eine Decke für Aya, legte sie ihm über die Schultern.
 

Der Körper war völlig ausgekühlt. Er nahm die im Schoß liegenden Hände in seine. Sie waren bläulich und eiskalt. Ein Bad, wäre jetzt die Lösung, aber das tat höllisch weh, wenn die Durchblutung wieder einsetzte.

Schuldig sah Aya in die leer vor sich hin blickenden Augen. "Wie wäre es damit, hmm, Aya? Ein warmes Bad?"

Er hoffte auf eine Reaktion.
 

So ließ er das Badewasser ein, lauwarm.
 

"Komm mit", er nahm ihn wieder am Arm und zog ihn mit sich ins Bad, drückte ihn wieder nieder, diesmal auf die kleine Bank.

Es war absurd was er hier tat, völlig bescheuert. Tief einatmend - er hatte das Gefühl tiefer ging es gar nicht mehr - und dabei gleichzeitig den Schmerz fühlend, der sich von seiner Wunde ausbreitete, machte er sich daran Aya auszuziehen. Das konnte heiter werden...sehr heiter...

Er griff um den anderen Mann herum, um an dessen Rücken zu kommen, zog zunächst den Rollkragenpullover über Ayas Kopf nach vorne um dann die Arme daraus zu befreien. Es war ja nicht so, dass er Aya nicht schon nackt gesehen hatte...nein, nackt getragen hatte, korrigierte er sich und wollte schon ein düsteres Grinsen auflegen als er sich zur Räson rief.

Reiß dich am Riemen, mahnte er und griff im selbem Gedankengang an Ayas...Riemen, vielmehr Gürtel. Nicht SEINEN, schrie der kümmerliche Rest seines rationalen Denkens schrill auf. DEINEN ...du sollst dich an deinem Riemen...
 

KLAPPE! herrschte er es an und es schwieg.
 

Er knöpfte die Lederhose auf.
 

"Aya, stellst du dich hin, damit wir dir die Hose ausziehen können?" Dabei achtete er darauf, das Wort "Ich" nicht zu sehr zu benutzen. Oh man, das war nicht leicht, ganz bestimmt nicht.
 

Der rothaarige Mann erhob sich schweigend, als wenn nur sein Körper der Frage des Telepathen Tribut zollen würde…sein Körper. Sonst nichts. Er stand, völlig reglos, nur sein Kopf reagierte. Sein Blick, der sich senkte, dennoch nicht wahrnahm, was dort unten geschah. Auch wenn er leer auf Schuldig ruhte…immer noch schrecklich leer und unbeteiligt, so schien er die Gestalt des Deutschen schier zu durchbohren, so wie er hier stand.
 

Schuldig zog dem anderen Mann die Hose in möglichst kontaktlosen Bewegungen herunter, mied die nackte Haut des anderen, es reichte schon sie zu sehen, er musste sie nicht unbedingt auch noch betatschen. Es wäre ihm vorgekommen als würde er es ausnutzen. Auch wenn es nicht so war, sein fieser Verstand würde es ihm bestimmt einreden, dass er das alles mit Absicht machte, nur um Aya anfassen zu können.

Augen rollend und eine Grimasse ziehend – über so viel dummes Zeug in seinen Gedanken - zog er ihm die Pants herunter.

Schnell stand er wieder auf, einen Kloß im Hals und etwas anderes war auch dabei an Volumen zuzunehmen.

Es war einfach lächerlich. Die ganze Situation, einfach schrecklich. Wie Aya dastand der Blick nach unten gerichtet, auf das was er wohl getan hatte und er stand da wie ein begossener Pudel.

"Setzt du dich wieder, dann ziehen wir dir das Zeug aus und du kannst in die Wärme des Wassers."
 

Aya tat wie ihm geheißen und Schuldig kam sich vor als hätte er einen Zombie vor sich, einen hübschen Zombie, zugegeben. Er verzog die Stirn in gespielter Verzweiflung.

Er war durcheinander. Ganz klar. Seit ...seit er Aya hier gehabt hatte, machte er einen Unsinn nach dem anderen und seine Gedanken verselbstständigten sich und laberten wilden Mist durcheinander. Als hätte ihn ein Virus infiziert.

Mit etwas Mühe schälte er die Lederhose von Ayas langen Beinen, ebenso die Pants. Socken gesellten sich dazu und Aya saß apathisch und nackt vor ihm. Gänzlich schutzlos und unbeteiligt, wie als ginge ihn das Ganze nichts mehr an, was mit ihm gemacht wurde.

Schuldigs Gesichtsausdruck wurde schlagartig ernst, ja vielleicht sogar streng.

"Das glaubst auch nur du. Dich hier heimlich verdrücken wollen", wisperte er und hob den Kopf am Kinn an. "Du schleichst dich nicht davon. Ich hab noch ein Hühnchen mit dir zu rupfen, mein Lieber."

Er ließ ihn wieder los und wies ihn an aufzustehen. "Steig in die Wanne. Das Wasser wird dich wärmen."

Genauso wie zuvor auch tat Aya genau das und saß schlussendlich in der Wanne.

Er hatte die Gesichter in den unzähligen psychiatrischen Anstalten noch genau vor Augen, wie sie ausgesehen hatten. Sie sahen alle gleich aus. Wie Aya jetzt.

Die unbestimmte Angst, Aya könnte sich in diese Welt der ziellosen Suche verirren und nicht wieder in ihre Realität zurückkommen schob er weit von sich.
 

Und wieder floss er…vernahm das Plätschern von Wasser…floss. Er war nicht mehr fest verankert mit dem Grund, auf dem er stand…nicht mehr auf dem Boden. Es war warm, nicht mehr kalt. Warm, schier angenehm. Woher Aya dieses Wissen nahm, wusste er nicht, hatte es vermutlich gelernt. Irgendwann einmal. Doch das Wasser löste in ihm einen Reflex aus, den er schwerlich unterdrücken konnte, es auch gar nicht wollte.

Haltlos glitten seine Lider zu und er nach unten, unter die Wasseroberfläche. Warum das…er fühlte, dass es ihm gut tat. Dass es etwas Bekanntes war. Etwas Vertrautes.
 

Gerade noch wollte er sich umdrehen, hatte sich seines eigenen zerfetzten Pullovers entledigt

als er das Plätschern hörte. "Oh SHIT", fluchte er und riss seine Augen auf. Im gleichen Moment setzte sein Herz für einen Schlag aus und er hetzte zur Wanne, ein Bein neben den untergegangen Körper stellend und packte Aya unter den Achseln, wuchtete ihn hoch. Doch er hatte eine ungünstige Position eingenommen, sodass er das andere Bein nachzog und seitlich mit Aya im Arm in der Wanne kauerte. Das warme Wasser in Wellen um sie herum durch seine Aktion aufgewühlt und gegen sie schlagend. Er hielt Aya fest, den Oberkörper auf sein angewinkeltes Bein gestützt in der Wanne sitzend.

"Was machst du nur für Sachen, Blumenkind, hmm?" flüsterte er an den nassen Haarschopf und hielt Aya in fester Umarmung. Schwer ging sein Atem und die Wunde brannte, doch er saß nur da und starrte blicklos auf einen Punkt auf dem Boden des Badezimmers.

"Baden ist eine schlechte Idee bei dir, das hab ich jetzt schon herausgefunden. Das müssen wir noch Mal üben, was?", sagte er sanft und leise.
 

Aya blinzelte.

Da war kein Wasser mehr, das ihn zu ertränken drohte. Das ihm die Routine nahm. Da war nur kühle Luft. Schmerz, der seinen Körper durchzog. Da waren Geräusche, nein Worte, die sich an seine Ohren kämpften. Jemand sprach und das noch mit ihm. Er blinzelte erneut. Wieso wollte er nicht in die Realität zurückkehren? Was hinderte ihn daran?

Er hatte das Gefühl, dass es etwas Wichtiges war…zu wichtig, als dass er es vergessen konnte. Aya…der Name schwebte in seinen Gedanken. Aya…die Reine, der Engel. Engel? Engel waren keine Menschen…sie lebten nicht. Lebte Aya nicht mehr? Er wusste es nicht…
 

"Zeit die Wasserspiele zu verlassen." Schuldig tastete nach dem Hebel um das Wasser abzulassen und ließ den Griff um Ayas Rücken etwas lockerer. Er war in der Wanne geblieben und Aya war zwar noch nicht wirklich komplett warm, aber es reichte. Er würde ihn ins Bett packen und ihm etwas zu trinken geben, dann sollte er schlafen und morgen sah der Tag vielleicht schon wieder anders aus. Dann hatte sich der erste Schock gelegt und Aya war wieder der Alte und beschimpfte ihn was er sich hier herausnahm.

Irgendwie hoffte das Schuldig inständig, dass es so sein würde...
 

Er stand auf, das Wasser wie ein Wasserfall aus seiner Hose triefend und verzog das Gesicht nicht wirklich begeistert. Danach stieg er aus der Wanne. "Steh auf und komm bitte aus der Badewanne heraus."
 

Jeder seiner Anweisungen wurde zwar langsam und mit seiner Stütze ausgeführt, doch als Schuldig Aya das Handtuch hinhielt, es ihm in die Hand gab, da klappte das leider nicht mehr so ganz.

"Das war klar, das war ja so klar...", rollte Schuldig mit den Augen und huschte mit dem Handtuch über den für ihn so aufreizenden Körper.

Tu einfach so als wäre er ein Mann...

ER IST EIN MANN HIRNIE

Ja…ein Mann den du widerlich findest...

WITZBOLD, wie denn bitte?

Mach die Augen zu.

Super Ratschlag.
 

Energisch griff er zu einem größeren Handtuch um soviel Stoff wie möglich zwischen seinen Händen und der heiß begehrten Haut zu bringen. Schlussendlich stand er da stolz wie Oskar auch diese Hürde gemeistert zu haben.

Was stellte er sich hier eigentlich so an? fragte er sich und spürte die Hitze in seinem Gesicht.

Zieh ihm endlich was an, und steh hier nicht so gaffend in der Gegend herum, herrschte ihn die Stimme in seinem Innern trocken an und er zog Aya seinen Bademantel über. Das lange Haar in ein Handtuch gewickelt, welches mehr schlecht als recht hielt. So zog er Aya wieder mit sich, nahm ihn diesmal an der Hand.

"Du solltest etwas schlafen, ausruhen."

Sie gingen zum Bett und er bedeutete Aya wieder sich zu setzen. Danach trottete er nass wie er immer noch war zum Schrank um warme Socken für seinen Gast herauszusuchen. Irgendwo musste er doch noch...

Er verschwand halb in dem Kleiderschrank, zog dann nach einigem Suchen einen Pyjama heraus. Warm, mollig...schon etwas älter...aber gut.

Er kam damit wieder zu Aya und die Prozedur wie er sie bereits im Bad veranstaltet hatte wiederholte sich - diesmal in umgekehrter Reihenfolge. Bis Aya im etwas größeren Pyjama vor ihm saß und er die Haare mit dem Handtuch leicht trocknete.
 

Geruch drang zu Aya durch. Nicht seiner…sondern fremder. Nicht steril, nicht kalt…eher weich. Warm. Weich wie das Bett, das sich unter ihm befand. Ein Bett, Ruhe, Vergessen. Aya blinzelte, verspürte mit einem Male nichts als den überwältigenden Drang nach eben dieser Harmonie. So sehr, dass er sich, mechanisch schmerzfrei auf das Bett zog und sich zurück gleiten ließ. Sich auf das wohl duftende Laken bettete. Ein Wimpernschlag mehr. Irgendwoher kannte er diesen Geruch…irgendwoher…doch seine Denkmaschinerie wollte ihm keine Informationen liefern. Nicht jetzt, nicht nachdem…
 

Was nachdem? Was war geschehen?
 

Schuldig sah das alles mit Besorgnis, sputete sich, wickelte Ayas noch feuchtes Haar in ein Badetuch und deckte ihn zu, legte vorsichtshalber noch eine weiche Decke darüber.

Erst nachdem das getan war kümmerte er sich um sich selbst und ging zurück ins Badezimmer um das grobe Chaos dort beseitigen und sich einen neuen Verband anlegend.

Ein hübsches Andenken, seufzte er innerlich als er die Naht begutachtete die schräg über seine Brust verlief. Der Streifschuss an seiner Schläfe ...

Nein, er wollte jetzt nicht darüber nachdenken was gewesen wäre wenn...
 

Dann wäre Aya dort draußen auf der Bank erfroren?
 

Er wischte die Gedanken weg und verließ das Bad, ging automatisch in die Küche und machte vor der unsichtbaren Linie halt die ihn mit treuen Knopfaugen anblickte. Das Küchenmesser noch immer durch den Bauch geschlagen.

Er wollte daran vorbeigehen und drehte sich doch energisch um, trotzig zog er das Messer heraus, verstaute es und starrte den Bär bissig an.

"Ich kann dich nicht mehr sehen, du gehst mir echt auf den Zeiger!"

Knurrig und mit finsterer Miene schnappte er sich den Schwerverletzten und blieb auf dem Weg zu seinem Schrank stehen, warf einen Blick zu Aya, der reglos im Bett unter der Decke lag.

Schuldigs Finger pulten und wühlten gedankenverloren im Innenleben des Kuscheltiers herum bis er sich gottergeben umdrehte und ins Bad stapfte.

Missmutig klebte er ein großes weißes Pflaster auf den Bauch, nachdem er das Füllmaterial wieder in selbigen geschoben hatte und ging zum Bett. Das Pflaster hatte nicht besonders gehalten also hatte er noch Klebeband einmal um die Ränder geklebt, nur dünnes, fiel sicher kaum auf.
 

Aya hatte die Hände vor die Brust gelegt und er legte ihm den Bären sachte hinein.

"Ich sollte eine Klinik aufmachen...für schwer verletzte Teddybären und verletzte Blumenkinder..."

Er verzog sich in die Küche, löschte das Licht, ließ nur einige kleine Lampen an.
 

o~
 

Blasse, schlanke Finger befühlten das sanfte Material unter ihren Händen, strichen über das Fell des Bären in ihren Händen. Ein Fremdling in seiner stumpfen, trägen Welt. Fremd und doch bekannt…woher…?

Seine Finger stockten, stolperten über etwas, das in seine Erinnerungen eingebrannt war. Dass sein Denken beherrschte. Tape. Infusionsschlauch. Aya. Die…er…

Ayas Blick fiel auf den Gegenstand in seinen Händen. Auf das Pflaster…das Tape darum. So…sah…Aya…
 

Aya.
 

Seine Augen weiteten sich. Aya…sie…
 

….brauchte dieses Tape nicht mehr. Die Infusionen nicht mehr. Sie lag dort auf der Bahre, ein Engel, der nicht mehr bei ihm war. Sie war…nicht mehr auf die Infusionen angewiesen, weil sie nicht mehr da war. Nie mehr zurückkommen würde. Sie hatte kein Leben mehr in sich, so bleich, wie sie da gelegen hatte. Bleich, friedlich. Sie war nicht mehr bei ihm…hatte ihn alleine gelassen…sie war weg.
 

Aya blinzelte, versuchte, seine Sicht zu klären, scheiterte jedoch immer und immer wieder. Scheiterte an den Kristallperlen salziger Tränen, die sich zu dutzenden aus seinen Augen stürzten und gar nicht mehr aufhören wollten.
 


 

Schuldig setzte sich an seinen Lieblingsplatz auf dem Fensterbrett und blickte über die Stadt. Sollte er Crawford bescheid geben?

Wusste dieser vielleicht schon was Sache war?

Die Vermutung lag nahe.
 

Er nippte an seinem Glas mit Wasser.
 

Besser wäre er sagte es gleich.

‚Brad?’, nahm er Kontakt zu dem Amerikaner auf.

‚Wir wollten dich soeben besuchen, Schuldig’

‚Ähm...ja gut’, antwortete dieser etwas verspätet.
 

Hieß das nun, dass Brad bereits wusste, dass Aya da war oder nicht? Nun er würde sich überraschen lassen.

Aber eine laute Szene konnte er jetzt nicht gebrauchen...hoffentlich wusste Crawford wenigstens das!
 

So saß er noch ein Weilchen da bis das Türschloss wirklich knackte und Nagi und Crawford seine Wohnung betraten. Nagi ersparte sich wie erhofft das "Frohe Weihnachten" und Schuldig war ihm dankbar dafür. Froh oder sonst irgendetwas war dieses Weihnachten beileibe nicht.
 

"Na wie war das Essen?" fragte er freundlich und mit einem anzüglichen Grinsen, dass er selbst jetzt noch aufbrachte. Nur nichts anmerken lassen. Klar würden sie dahinter kommen, dass er Besuch hatte, wenn Brad das nicht schon längst wusste, doch wenn dann überspielte er es geschickt.

"Vom Feinsten", nickte Nagi und lächelte sogar zur Feier des Tages, was Schuldig doch etwas erstaunte.

"Wie nicht anders zu erwarten", grinste er wieder und schob sich von der Fensterbank.

"Wollt ihr Kaffee oder Tee?"
 

Schuldig machte die Küchenbeleuchtung an, senkte die Intensität jedoch auf ein angenehmes gemütliches Licht herab.

Die beiden setzten sich an die Theke auf die Barhocker und unterhielten sich über den Tag.

Währenddessen kramte und werkte Schuldig in der Küche herum, die Gedanken teils bei Crawford und wieder bei Aya.

Crawford hatte nichts mehr wegen seiner Attacke auf ihn erwähnt. Sie hatten aber auch keine derartigen Gespräche mehr geführt.

Schuldig wusste jetzt nicht, ob er einen wichtigen Punkt in seinem Leben verloren hatte, oder ob Crawford einfach so darüber hinwegsehen konnte. Er wagte nicht zu fragen.
 

"Hier Kaffee und Tee, die Herren", reichte er die Tassen weiter, machte sich selbst auch einen Tee.
 

Da waren Stimmen, die an sein Ohr drangen…durch die Tränen, die so unzählig flossen. Durch die Schicht an permanenter, erdrückender Verzweiflung. Aya…sie war nicht mehr da…ganz im Gegensatz zu den Stimmen. Sie hatten ihn verlassen…keine Wärme in ihm mehr zurückgelassen. Er war völlig leer, völlig überfüllt von Trauer um den Menschen, den er so verehrt hatte….für den er bis zuletzt gekämpft hatte. Doch sie hatte sich davon gestohlen, ihn alleine gelassen. Er war alleine…völlig alleine.
 

Verlust, quälender als es jeder körperliche Schmerz nur sein konnte, bestimmte seine Gefühle, ließ ihn lautlos aufschluchzen. Aya…Aya…wieso war sie nicht mehr da? Er verstand es nicht…doch was war mit diesen Stimmen, die ihm so bekannt vorkamen? Würden sie…Linderung versprechen?

Ebenso stumm wie die Stunden vorher auch erhob er sich. Das Handtuch fiel von seinen Haaren, er ließ es ohne Beachtung hinter sich. Nicht so den Bären, dessen Pfote seine linke Hand immer noch starr umschlossen hielt. Der zusammen mit seinen Armen schier leblos an seinem Körper hing, als er sich Schritt für Schritt zu den Stimmen kämpfte.
 

Schließlich stehenblieb, als er sie sah. Die Stimmen. Er sah sie.
 

Nagi verstummte.

Crawford hatte geschwiegen als er die Gestalt vom Bett her auf sie aus dem abgedunkelten Bereich zukommen sah, griff nur kurz zu Nagi über den Tisch um dessen Hände, die sich aus Gewohnheit gegenüber Gefahren reflexartig erheben wollten, abzubremsen. Und im gleichen Moment wie Crawford wieder aufsah und die Gestalt, die er zugegebenermaßen etwas anders in Erinnerung hatte, stehen blieb, sah Schuldig ihn an und drehte sich abrupt um.
 

Schuldig hatte in Crawfords wechselnder Aufmerksamkeit und Nagis Reaktion gesehen, dass ...so vermutete er ...wohl etwas mit Aya war. Er drehte sich schnell um, doch selbst diese Sekunde schien ihm schon zu lang.

Wie erstarrt blieb er stehen.

Der Mann, der vor ihm in einigem Abstand dastand war völlig aufgelöst, eine Hülle aus Verzweiflung und Schmerz. Die Augen waren lebendiger, voller Verzweiflung und mit dem Wissen was geschehen war angefüllt und dies entlud sich in Tränen die unaufhörlich liefen, stumm davon liefen.

Schuldig konnte sich nicht rühren, fühlte sich wie gelähmt. Dieses Bild erschien ihm zu unwirklich.
 

Aya kannte sie alle drei. Jeden Einzelnen von ihnen. Kein Gesicht, das Aya neu war…dennoch war seine Aufmerksamkeit einzig auf eines von ihnen gerichtet. Das, das ihn geschockt ansah. Das ihn spiegelte. Er zitterte leicht, rührte sich nicht von der Stelle, konnte es gar nicht. Er stand einfach nur da und fragte mit seiner ganzen Gestalt nach dem Warum. Dem Grund…

Doch ein Teil von ihm wusste bereits, dass es keinen gab. Es war geschehen, weil es geschehen war. Keine Begründung, nichts, das ihm weiterhalf. Gar nichts.
 

Sie waren dort…eine Gemeinschaft und er völlig alleine. Losgelöst von allem nur erdenklichen war er einsam, wie noch nie in seinem Leben zuvor. Ohne jegliche Hoffnung, dass jemals eine Besserung eintreten würde. Er hatte niemanden…mehr.
 

Aya sah ihn an. Direkt. Oh Gott. Wie konnte er diesem Blick standhalten? Wie nur.

Er hatte das Gefühl als würde das Loch in seiner Brust wieder aufgerissen und dieser Riss tat weh. Sie standen zu weit entfernt, fiel ihm auf. Ein ganzer Canyon trennte sie.

Er ging näher, bis er kurz vor Aya stand, eine Armlänge Abstand wahrte. Doch den Blick noch festhielt.

"Aya?" fragte er. Sich bewusst, dass es sowohl die Frage nach seiner Schwester sein könnte, oder die Anrede für ihn, den Mann, der hier so verzweifelt und am Ende seiner seelischen Kräfte vor ihm stand.
 

„Tot.“ Ein einziges, schwaches, raues Wort…und dennoch brach es in Aya alles los, was er bisher zurückgehalten hatte. Er sah auf, in die grünen Augen des anderen Mannes, der so nah und doch so fern vor ihm stand. Tot. Sie war tot. Tot…nicht mehr bei ihm.

Tränen perlten sich aus seinen widerstandslosen Augen ab, tropften zu Boden, versanken dort in dem weichen Teppich. Aya war tot…mit allen Bedeutungen, die dieser Satz mit sich brachte. DAS war das Wissen, was seine Gedanken, sein Verstand ihm bisher hatten verschweigen wollen. Das war die schreckliche Wahrheit, vor der er zu flüchten versuchte. Nichts anderes…nur das.
 

Schuldig nickte, als Zeichen, dass er verstanden hatte, näherte sich ganz Aya, schloss seine Arme um Aya und drückte ihn leicht an sich.

Wie oft hatten sie um dieses Thema herumgeredet, gestritten...

Seine Schwester, der Grund für sein Dasein, seine Rache, all das…

Und nun war das alles Schuldig sowas von Scheißegal... sowas von...
 

Da waren Hände, die ihn berührten, Arme, die ihn umschlossen. Da war Wärme, die ihm unverdienterweise zuteil wurde. Ayas Stirn bettete sich auf die Schulter des Mannes, verbarg sich vor den Blicken der anderen Anwesenden. „Sie ist tot…sie ist tot…“, wiederholte er wieder und wieder…wie eine stumpfe Litanei, ein Gebet an Gott, dass er ihr gnädig war. Wie hässlich doch dieses Wort tot war. Wie schrecklich es doch in seinen Ohren nachhallte. Aya schluchzte leise.
 

"Ran", versuchte Schuldig leise zu trösten, raunte nur diesen Namen, als wäre das die Lösung für diese Katastrophe.

Er spürte das Beben wie es durch Ayas Leib ging und er nur dastehen konnte und ihn halten konnte. Aber das war gut, das war für den Moment das was Aya brauchte.

Er konnte sich nicht wirklich vorstellen was es hieß von einem Familienmitglied verlassen worden zu sein ...wenn man sich mit ihm umgeben hatte, wohlgemerkt. Ihn hatte es bisher nicht gekümmert, es verdrängt, wollte nicht darüber nachdenken, wie es wohl gewesen wäre, wenn er seine Eltern gekannt hätte. Es war einerlei. Vorbei.

Ganz im Gegenteil zu dem weinenden Mann, dessen Leid schier unendlich schien, nicht aufzuhören schien, egal was er machte, egal wie sehr er sich anstrengte...

Behutsam strich er ihm über den Rücken.
 

Mehr als alles andere verdeutlichte dem rothaarigen Weiß der Name ‚Ran’, dass der Grund, für den er jahrelang gekämpft hatte, nicht mehr da war. Sie waren voneinander losgerissen, die unzertrennlichen Geschwister. Wo sie doch alles zusammen gemacht hatten, noch vor diesem schrecklichen Unfall…und auch danach, hatte er sie nie im Stich gelassen. Das war nun mehr so…sie hatte ihn hier zurückgelassen. Er war alleine hier. Mit seinem Schmerz und seiner Verzweiflung. Er war Ran…nur noch Ran. Aya gab es nicht mehr. Es hatte keinen Sinn mehr, für Aya zu kämpfen.
 

Schuldig spürte die Blicke im Rücken, doch was sollte er jetzt machen? Aya zu ihnen führen...nein, eher nicht, zur Couch? Hier stehen bleiben, zurück ins Bett?

Etwas hilflos kam er sich vor, war in so einer Situation noch nie gewesen, denn jemandem Trost spenden zu müssen, ...vielmehr zu wollen, war neu für ihn.

"Komm wir setzen uns, ja?", fragte er vorsichtig nach, dirigierte sanft in Richtung Couch die noch etwas im Dunkeln lag, da er vorhin nur die Küche beleuchtet hatte.
 

In dem gleichen, willenlosen Zustand, in dem er sich schon seit Stunden befand, ließ sich Aya auf die Couch platzieren, krallte seine linke Hand förmlich in den kleinen Bären, der momentan der Anker war, den er brauchte, um nicht völlig abzudriften.

Er fühlte das weiche Polster unter seinem Körper, fühlte die stoffliche Wärme, die davon ausging, in ihm auch gleichzeitig den Wunsch weckte, sich völlig in sich zusammenrollen.

Dem nun teilweise nachgab, als er die Beine zu sich auf die Couch zog und sie an seinen Oberkörper presste.
 

Schuldig, ließ Aya auf die Couch gleiten und seine Hände strichen dabei leicht über den Pyjama. Richtig warm war er noch nicht, dachte Schuldig. Ran war noch nicht lange im Bett gewesen um warm zu werden. Wirklich geschlafen hatte er sicher auch nicht.

"Ich hol dir etwas zu trinken."

Er mied den Blick der beiden anderen und ging an ihnen vorbei. Lieber etwas Hochprozentiges, oder doch...eher Wasser? Grübelte er vor dem Schrank.

Er öffnete den Hochschrank und griff zu einer Flasche Hochprozentigem...

"Tee."

Vor Schreck hätte er beinah die Flasche fallen lassen. Mit schnell schlagendem Herzen drehte er sich zu den beiden schweigenden Gesichtern um, die ihn betrachteten, als könnten sie nicht nachvollziehen was er da gerade im Begriff war zu tun.

"Tee", wiederholte er die Worte des Amerikaners etwas unsicher, die Flasche noch immer im Arm.

Dieser nickte nur und nahm einen Schluck Kaffee, deutete mit dem Kinn auf besagten Alkohol. "Ja. Er trinkt dir das Zeug da nicht."
 

Schuldig hielt die Flasche wie einen Rettungsanker und starrte Crawford an. "Ähem", räusperte er sich. "Ja. Stimmt. Tee. Ist besser."

Hatte Crawford also seine Sprache wieder gefunden und nur Nagi beobachtete ihn genau als ginge es darum dem Angriff einer schwarzen Mamba zuvor zu kommen.

Er hatte noch etwas heißes Wasser, genug für etwa zwei Tassen und machte einen Tee für Ran fertig.
 

Schuldig trat mit der Tasse wieder neben Ran, setzte sich neben ihn und hielt ihm die Tasse hin. "Was zum Trinken", murmelte er von sich selbst nicht wirklich überzeugt.

‚Brad...ich glaube es wäre besser wenn...wenn ihr geht', wandte er sich in die Gedanken des Amerikaners.

Er hörte wie dieser aufstand.

"Wir sehen uns morgen."

Schuldig nickte. Den Blick weiterhin Ran zugewandt. ‚Ja, gut.'
 

Aya starrte auf die Tasse heißen Tees. Roch den verführerischen Duft…wusste ihn in diesem Moment jedoch nicht im Geringsten zu schätzen. Warum er dann die Tasse mit zögerlichen, zitternden Händen annahm, wusste er nicht…trieb sie ihm doch nur wieder neue Tränen in die Augen. Wieso hatte er versagt, sie zu beschützen? Hatte er etwas falsch gemacht? Hatte er nicht gut genug für ihre Versorgung gearbeitet? War es zu wenig Geld gewesen? Hätte mehr Geld für bessere Medikamente…für eine bessere Versorgung gereicht?
 

Schuldig behielt die Tasse noch solange in der Hand wie er sicher war, dass die zitternden Hände sie fassen konnten. Er zog die weiche Decke, die auf der Couch lag heran und hüllte Ran damit ein, bis nur noch der Schopf herauslugte, die Knie, die Hände, welche um die Tasse geschlungen waren.

"Soll ...ich jemandem Bescheid geben?" fragte er vorsichtig. Er wollte jetzt nicht in den Köpfen der Weiß Mitglieder herumschnüffeln, wollte sich lieber ganz auf den Mann konzentrieren, der neben ihm saß.
 

Eben dieser verpackte Mann schüttelte unmerklich seinen Kopf. Wen sollte er auch schon benachrichtigen…es war ja niemand mehr da, der es wissen musste. Niemand mehr…Aya schluchzte lautlos auf, brachte nicht viel mehr als ein leichtes, leises Hicksen hervor. Schüttelte ein weiteres Mal den Kopf. Das Letzte, was er jetzt wollte, war, sich Gedanken machen zu müssen. Gedanken über alles…

Der Kloß in seiner Brust drohte ihn zu ersticken. Der Kloß an Trauer und aller Verzweiflung, die sich in den letzten Wochen angesammelt hatte. Er…hatte doch für sie gekämpft, alles getan. Hatte alles richtig gemacht…wieso also?
 

Schuldig war nicht gut in solchen Sachen. Er verursachte lieber Kummer als ihn zu vertreiben.

Hör auf mit deinen dummen Witzen, herrschte er sich selbst an und sah betrübt und auch etwas zerknirscht das Häuflein Elend an, das neben ihm saß.

Da schnüffelte er in den Gehirnen anderer Leute herum...solange er denken konnte und jetzt wusste er nicht was er in so einem Fall zu sagen hatte?

Vermutlich gab es kein Rezept dafür, befand er. Na dann eben improvisieren...

"Sie machen sich bestimmt Sorgen, ...Ran, wenn du nicht nach hause kommst"

Seine Stimme ruhig, tragend. Ran nur nicht aufschrecken, lautete das Motto.
 

Sorgen? Nach…Hause?

Nichts schien Aya im Moment ferner, wie diese beiden Begriffe. Er hatte kein Zuhause mehr. Die letzte Verbindung in seine geordnete Welt, zu seinem Kampfgeist, war abgebrochen…nicht mehr vorhanden.

Er zog die Decke noch ein Stückchen höher, führte zum ersten Mal die durch seine Hand zitternde Teetasse an seine Lippen. Sah, wie seine Tränen sich mit der heißen Flüssigkeit mischten. Sah sich selbst in dem unruhigen Wasser. Doch…war er das?

„Wer…sollte das schon tun?“, flüsterte er mehr zu sich als zu seinem stetigen Begleiter, schloss schmerzerfüllt die Augen. Er wollte sich nicht sehen…seine traurige, verzweifelte Gestalt.
 

Selbstmitleid, au Backe, verzog Schuldig den rechten Mundwinkel ratlos.

Das mochte er ja so ganz und gar nicht. Gut, er räumte Ran momentan Sonderrechte ein.

"Sieh mich bitte einmal an, Ran, würdest du das tun? Nur für einen Moment." Schuldig lächelte sanft, den warmen Blick auf dem verheulten Gesicht ruhend.
 

Was sprach auch dagegen? Aya öffnete seine Augen ein weiteres Mal und drehte seinen Kopf, seinen überhaupt nicht mehr leeren Blick, zur Seite…zu Schuldig. Bettete seine Schläfe auf seine Knie und erwiderte den Blick des anderen Mannes. Er blinzelte Tränen aus seinen Augen, von denen er sich fragte, wann sie denn endlich zu fließen aufhörten...er hatte doch schon genug geweint…wieso auch jetzt noch? Waren sie nicht schon längst versiegt?
 

Und Schuldig schluckte trocken.

Ja, sieh es dir an, was du dir nun eingebrockt hast! Jetzt blickt er dich direkt an und du würdest am liebsten wie ein Reh im Scheinwerferlicht stehen bleiben, reglos. Genau so fühlst du dich doch jetzt, oder?

Warum wollte er noch gleich, dass Ran ihn ansehen sollte?

Ihm wurde plötzlich heiß.

Der Blick mit dem er bedacht wurde, war so offen und hilflos, dass er selbst mit in diese Hilflosigkeit gezogen wurde.

Und dabei wollte er doch etwas anderes...er hätte Ran lieber umarmt, ihm mit Gesten gezeigt, dass er nicht gänzlich von allen verlassen war. Aber er traute sich nicht mehr. Es war nicht mehr wie vorhin.

Ran wirkte so zerbrechlich auf ihn, als hätte ihn sein Schwert verlassen.
 

Das Bild und die dazu gehörigen Worte tauchten aus den Tiefen seiner Erinnerung auf, als Brad Ran in der Badewanne gehalten hatte. Was hatte er noch gleich gesagt?

‚Das ist der wahre Mensch hinter dem Schwert, hinter dem Hass auf uns. Er ist verletzlich und unschuldig’

Ja genau das war es.

Und hier saß nun dieser Mensch.

"Du hast deine Jungs. Es ist unfair sie voller Sorgen hängen zu lassen. Sie hätten dich sonst nicht ständig vom Boden aufgesammelt, als wir dich auf die Bretter geschickt haben. Sie sorgen sich, weil sie dich gern haben, Ran. Sie müssten es nicht tun." Er schwieg und senkte den Blick etwas auf die Decke, die Ran umhüllte, spielte mit ihrem Saum.

"Eine Nachricht würde ja genügen, oder nicht?"

Nicht das die Meute hier auch noch Einzug hielt. Das wollte er nun wirklich vermeiden.
 

Ayas Blick ruhte jedoch weiterhin auf den nun abgewandten Augen des anderen Mannes. Auf der neben ihm sitzenden Gestalt, die das aussprach, was er noch nicht einmal zu denken wagte. Weiß…seine Jungs? Ihn…gern haben…aber…das wusste er doch. Wenn er nur an Youji dachte, wie sie beide sich zusammengerauft hatten. Und an Ken erst. Omi…

Doch… „Sie...sind alle nicht meine Familie…“

Sein Blick sog sich an dem roten Feuer fest, das ihm gegenüber saß und zum ersten Mal nahm er wirklich bewusst in sich auf, wo er hier war. Wer der zweite Mann war. Was er tat. Was geschehen war. Aber das machte es um keinen Deut besser…in diesem Moment nicht.
 

Dennoch wollte er die Worte nicht aufhalten, die nun an die Oberfläche seiner Lippen sprudelten und nach Freilassung schrieen. „Sie sind…Freunde, vielleicht mehr als das…aber sie sind nicht meine Familie. Sie sind nicht…“, seine Stimme verkam zu einem erstickten Flüstern. „…Aya…“
 

"Hmm" Er nickte, bestätigte Ran diese Aussage. Ja, ein Mensch konnte man nicht durch einem anderen ersetzen.

Schuldigs Gesicht huschte zum Fenster.

"Familie", fügte er noch an und besah sich wieder den Saum der Decke, verfolgte wie seine Finger damit spielten. Vorsichtig lugte er auf, als er das Wort noch einmal aussprach

"Ich...ich kenne das Gefühl nicht so wirklich, das ...familiäre mein ich."

Er lächelte etwas schräg, völlige Offenheit in seinem Gesicht, als er ungelenk mit den Schultern zuckte.

"Hab immer gedacht, Familie ist das, wo man sich wohl und geborgen und aufgehoben fühlt, ein zu Hause eben. Da wo sie sich zoffen bis die Balken biegen und sich aber auch sehr gut kennen, dass sie fast Gedanken lesen könnten. Dumm was?“
 

Aya schloss seine Augen…wurde nicht mehr Herr des überwältigenden Schmerzes. Sein Kopf barg sich ein weiteres Mal in der Kuhle zwischen seinen Knien und seinem Oberkörper, wurde geschüttelt von stummen Schluchzern und verzweifelten Tränen. Wieso…sagte Schuldig das? Wieso musste er ihn noch darauf stoßen, was er verloren hatte? Wieso…

So viele Fragen, auf die es keine Antwort gab, keine Erlösung. Wieso empfand er es auch um Schuldigs Willen als so schrecklich, nie die Familie gekannt zu haben? Sie verloren zu haben, bevor sie überhaupt da sein konnte? Was war denn schlimmer?
 

Ja. Volltreffer. Genau das musste das Wort Familie bedeuten. Du Esel! schimpfte er sich selbst und rückte näher an Aya heran und zog ihn in seiner ganzen zusammengekauerten Gestalt an sich indem er den Arm um ihn legte und ihn an sich drückte.

"Ich bin ein Idiot...finde immer nur das was weh tut", nuschelte er in den Haarschopf den anderen. Klar, Berufskrankheit, machte er das nicht immer so? Nach Schwachstellen fahnden?

"Es tut mir leid..."
 

Ein zweites Mal konnte Aya nichts anderes tun als Zuflucht in der Umarmung des anderen Mannes zu suchen und seine Stirn gegen dessen Schulter zu pressen. „Sie haben es nicht genug versucht…sie haben sie sterben lassen…sie hätten alles versuchen sollen….ich war nicht bei ihr…“, wisperte er. „Ich habe sie alleine gelassen…ich war nicht dabei, als sie…“ Er trieb seine

Zähne in die zitternde Unterlippe. Es war…seine Schuld.
 

Schuldig schloss die Augen, bei diesen Worten.

"Warum glaubst du das, Ran?“, fragte er beruhigend.

"Du warst doch immer bei ihr. Jeder Atemzug war ihr gewidmet." Tröstend strich er Ran über den Arm.
 

„Sie…ist gestorben…als wir diese Mission hatten“, presste Aya hervor. „Sie haben angerufen…während wir weg waren…während ich sie beschützen wollte…haben sie angerufen um mir zu sagen…dass sie nicht mehr lebt…alles umsonst…es war alles umsonst…“ Ein leiser, verzweifelt-kehliger Laut entkam seinen Lippen. Nicht menschlich…nicht mehr menschlich.
 

Ein erzwungenes Lächeln kam von Schuldig als ihm Rans Nähe plötzlich zuviel wurde, er nach diesen Sätzen den dringenden Wunsch verspürte sich zu entfernen. Weit weg, von diesem Mann, von dieser Situation, von der Nähe, diesen Worten.

Seine Wunde trat plötzlich wie ein Mahnmal in den Vordergrund seiner Wahrnehmung, brannte unangenehm, das Pflaster zog und spannte.

Er hob seine Hand, als wollte er sie auf dem Haarschopf ablegen, doch er sah wie sehr sie zitterte und senkte sie stattdessen auf das Polster, löste sich behutsam von Ran und stand wacklig auf.

Er sagte nichts, ging zum Fenster und brauchte Abstand. Die Arme verschränkt, holte er tief Luft.
 

Warum reagierte er so stark auf das was eben geschah?

Weil Ran nur an seine Schwester dachte? Weil sie gekämpft hatten, Ran für sie gekämpft hatte und ihn dabei mit Hass im Blick und Kälte im Herzen töten wollte, nein beinahe hätte.

Und jetzt schmiegte er sich schutz- und haltsuchend an eben diese Wunde, als brächte sie ihm Trost, als gäbe es keine Verletzung auf seiner Brust.

Seine Arme in der Verschränkung enger an sich ziehend, lehnte er sich an die Außenwand und blickte hinaus. Ein Teil von ihm sah die Verzweiflung, sah wie grausam und schrecklich das alles war und wollte Trost spenden. Doch ein anderer Teil sah auch die dadurch entstandene Schwäche, die paradoxe Situation und lachte verächtlich darüber.

Doch es war nur ein flüchtiges Gefühl, um sich vor der Gefühlswelle zu schützen, die über ihn vor Momenten geschwappt war und die ihn immer noch mit ihrem Treibgut mitschwemmte.
 

Doch derjenige, der eben diese Gefühlswelle ausgelöst hatte, saß nun auf der Couch die Arme vor sich auf dem breiten Sitzpolster gestützt, die Augen weit aufgerissen. Tränen entkamen ihrem sonstigen Gefängnis, als Aya begriff, dass selbst oder vielleicht auch gerade dieser Mann ihm nicht helfen konnte und wollte…oder wie hatte er sonst das Lösen von ihm zu verstehen…? Aber dabei war es doch nur Schuldigs Recht, ihn von sich zu stoßen. Da versuchte er, seinen Gegner wieder und wieder umzubringen, nur um seine Schwester zu retten und was passierte…auf schicksalszynische Art und Weise? Während seine Schwester starb, hätte er beinahe ein völlig sinnloses Opfer gebracht.
 

Was erwartete er dann von dem anderen Mann?
 

Aya blieb noch einen Moment sitzen, bevor er mit zittrigen Beinen aufstand, jetzt erst bemerkte, dass er seine Kleidungsstücke nicht mehr trug. „Wo sind meine Sachen?“, richtete er leise an Schuldig. „Ich glaube, es ist besser…wenn ich gehe…“
 

..mit dem Treibgut mitschwemmte ...und ihn auf einer einsamen Insel aussetzte. Schuldig wandte sich abrupt um, ließ die Arme sinken, blickte einen Moment mit leicht gesenktem Kopf zur Seite, bevor er sein offenes Gesicht direkt zu Ran wandte.

"Für ...wen ist es ...besser?", fragte er mit mühsam beherrschter und belegter Stimme. Ihm war zumute als stochere jemand mit einem Messer in ihm herum, als er Ran die Worte sagen hörte.

"Für wen soll es denn besser sein?", wiederholte er bitter, presste die Lippen aufeinander, schloss dabei die Augen für Sekunden. Für lange Sekunden. "Für mich nicht."

"Bleib", flüsterte er rau.

"Bitte."
 


 


 

Vielen Dank für's Lesen!

Fortsetzung folgt…
 

Coco & Gadreel



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Kommentare zu diesem Kapitel (3)

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Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  radikaldornroeschen
2018-07-10T08:57:55+00:00 10.07.2018 10:57
ooowwwwwwwwww~ <3
Jetzt wirds ... ich find gar kein Wort dafür... innig? schmelzend? Also zumindest ich schmelze dahin XD
Von:  silvermoonstini
2007-04-26T13:28:27+00:00 26.04.2007 15:28
Und ich verstehe echt nicht, warum ihr so wenig Kommis habt!!!!!!!!
Von:  silvermoonstini
2007-04-26T13:27:56+00:00 26.04.2007 15:27
Aaaaaaaaaaaaah! Hilfe!Der arme Ran der arme Schuldig und die arme Aya!!!! Sehr schön geschrieben! Die Gefühle habt ihr wieder mal genial dargestellt! Weiter so!


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