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Der Glasgarten

von

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A Red Kiss For A Red Boy

~ A Red Kiss For A Red Boy ~
 


 

o~
 

Es war eine mühsame Angelegenheit gewesen, das konnte Aya nur bestätigen, als sie in dem nach völlig neuem Leder riechendem Geländewagen saßen, der um ein Vielfaches größer war, als sein alter Porsche.

Aya… gefiel er. Einigermaßen. Es war ein Auto und es fuhr.

Doch alleine Schuldigs Augen, als er den Wagen gesehen hatte, waren den Kauf wert gewesen. Was Aya nämlich nicht vergessen durfte, war, dass auch Schuldigs einiges aufgab um sicher zu sein, um sich abzusichern.

Aya ließ sich Zeit, sich an den Wagen zu gewöhnen und beobachtete Schuldig am Steuer, wie er nun anhielt.

Sein Blick glitt das große Hochhaus hinauf, das inmitten von Tokyo stand. Sie würden hier eine Wohnung besichtigen, damit sie sich ein neues Domizil schaffen konnten und nicht mehr auf Crawford angewiesen waren.

Es wurde mittlerweile schwer, in das neue Haus des Amerikaners zurück zu kehren, spürte Aya doch die gereizte Stimmung, die zwischen ihnen schwelte und ausbrechen würde. Dazu kam noch die Spannung zwischen Schuldig und Crawford.

Aya selbst wollte Ruhe und Normalität.

„Wie weit oben ist das Apartment?“, fragte er und runzelte die Stirn.
 

„Weit oben“, gab Schuldig kryptisch zurück. Er parkte den Wagen in dem zugehörigen Parkhaus, welches neben dem Gebäude stand und sie gingen hinüber zur Eingangshalle, in dessen Foyer sie der Makler erwartete.

„Turner“, stellte sich Schuldig vor.
 

Aya sah, dass dieser Gebäudekomplex weit luxuriöser war als der, in dem Schuldig vorher gewohnt hatte. Schwarzer und weißer Marmor begrüßte sie, war mit Tropenholz und Glas das Gerüst für das luxuriöse Gebäude. Geld schwitzte hier aus allen Poren.

„Willkommen, Turner-san, Makino mein Name“, verbeugte sich der Makler höflich und wandte sich an Aya. Er erwiderte die Geste des Mannes.

„Takahashi“, verbeugte auch Aya sich und lächelte, ein höfliches, nichts sagendes Lächeln, ebenso wie das des Maklers.

„Meine Herren, wollen wir uns das Apartment anschauen? Wie Sie sehen, spricht ja alleine schon die exklusive Eingangshalle des Komplexes für sich und für den Luxus, den Sie hier genießen werden.“

Wenn Makino-san die Tatsache verwirrte, dass hier zwei Männer auf Wohnungssuche waren, so zeigte er es nicht. Aya nahm an, dass es in der gehobenen Preisklasse dazu gehörte, sich Abneigung oder Bestürzung nicht anmerken zu lassen.
 

Schuldig fragte sich gerade in diesem Moment und in vielen weiteren Momenten, als sie dem Makler hinauf in die oberste Etage folgten - inklusive eines informativen Monologes - ob es klug war, eine Wohnung in dieser Preisklasse näher ins Auge zu fassen. Das war nicht gerade DAS, was er sich unter ‚Ich verschwinde in den Untergrund’ vorstellte. Wie unauffällig war man in der kleinen Menge an Menschen, die diese Art Luxus besaßen? Vor allem, wie viele männliche Pärchen gab es in ihrer Konstellation?

Er fiel ohnehin bereits auf wie ein bunter Hund. Groß und rothaarig und männlich. Davon abgesehen dass er himmlisch gut aussah…

Und dann noch zusammen mit diesem…ebenfalls rothaarigen Japaner, ebenfalls lange Haare und so attraktiv, dass ihm die Frauen hinterher glotzten.

Und nicht nur die.
 

Aya bemerkte später als der Makler, dass Schuldigs Aufmerksamkeit nicht ganz auf der momentanen Situation lag, sondern auf anderen Dingen. So wurde er Opfer der exzessiven Beschreibungen der Lage, der Schönheit, der Eleganz und anderen tollen Dingen des Apartments, das doch so groß war, soviel Platz und soviel Luxus bot…

Aya hatte das Gefühl, dass seine Ohren qualmten und überlegte sich ernsthaft, Makino-san zu eröffnen, dass er nicht derjenige mit dem Geld war.

Doch das würde er nicht, dafür hatte er selbst zu viel daran zu knacksen, dass er wieder keinen großen Teil dazu beileisten können würde.

Sie traten aus dem Aufzug in die oberste Etage und Aya konnte sich ein kurzes Stirnrunzeln nicht verkneifen, als er durch eine ungünstige Bewegung das Ziehen in seinem Hinterteil etwas mehr spürte. Schuldig war wieder sehr… enthusiastisch gewesen.

„Und hier wären wir, in unserem Glanzstück“, öffnete Makino-san die Tür und gab Aya einen Blick auf… Weite. Nichts als Weite.
 

Nichts als Leere, die man einrichten musste. Schuldig sah sich schon in Katalogen blättern und Möbelhäuser abklappern. Eine für ihn gruselige Vorstellung.

Er stellte einige belanglose Fragen um Makino zumindest etwas Aufmerksamkeit zukommen zu lassen, interessierte sich aber nicht wirklich für die ausführlichen und motiviert vorgetragenen Antworten. Als wäre sein Mundwerk und ein kleiner geschäftlicher Teil seines Gehirns abgekapselt und in Makinos Welt, während der andere Teil seines Gehirns sich mit anderen Fragen beschäftigte. Der Sicherheit beispielsweise.

Er durchmaß langsam den Raum um zur anderen Seite zu gehen und den gigantischen Ausblick zu genießen. Schön, teuer, aber sehr risikoreich.

Er konnte es nicht genau an einem Punkt festmachen, aber ihm behagte diese Umgebung nicht. Das Parkhaus auf der anderen Seite. Zu wenige Ausgänge.
 

„…also die perfekte Anschaffung für Sie beide!“, beendete Makino seinen Beinahe-Monolog und lächelte beiden zu.

Für Aya war es die perfekte Anschaffung, wenn sie nicht darauf aus gewesen wären, sich abzusichern. Seine Gedanken verliefen in ähnlichen Bahnen wie Schuldigs, wenngleich ihn immer wieder der Ausblick faszinierte, der sich hier bot.

Doch was nutzte ihnen der Ausblick, wenn sie angegriffen und getötet wurden?

„Was meinen Sie, Turner-san?“, behielt er die förmliche Ebene bei.
 

„Die Aussicht ist phänomenal, allerdings finde ich sie etwas ungenügend, was die Aufteilung und unsere Ansprüche angeht. Im Übrigen hätte ich mir eine zweite Panoramawand gewünscht. Was meinen Sie dazu?“, wandte er sich zu Ran halb um, noch immer die Aussicht ins Hauptaugenmerk gefasst.
 

„Die zweite Panoramawand ist wichtig, das stimmt. Das ist ein sehr großes Manko.“ Aya tat der arme Makler jetzt schon leid, der immer noch höflich lächelte, aber schon wusste, dass er verloren und seine kostbare Zeit umsonst geopfert hatte.

„Das ist wirklich sehr bedauerlich und tut mir außerordentlich leid. Wenn Sie möchten, kann ich Ihnen jedoch auch noch andere Objekte anbieten, die vielleicht eher Ihrer Zufriedenheit entsprächen“, erwiderte Makino-san und Aya runzelte die Stirn. Das Angebot war sicherlich verlockend, aber auch gefährlich, wenn sie mit ein- und derselben Person suchten.
 

„Vielen Dank, Makino-san. Wir haben bereits zwei Objekte in die engere Auswahl gezogen, suchten jedoch noch eines im Zentrum.“ Somit hatten sie die Sache erledigt und konnten hier abhauen. Schuldig gefiel die Wohnung nicht wirklich. Warum das so war, ließ sich von seiner Seite her nicht feststellen.
 

Der Makler begleitete sie nach unten und sie verabschiedeten sich. Gemütlich schlenderten sie wieder zum Wagen zurück.
 

„Am Sichersten wären wir im Ausland.“

Aya besah sich die Umgebung… teuer, exklusiv und zu auffällig. Außerdem zu staureich, wenn sie schnell fliehen mussten. Ja, diese Wohnung wäre eine sehr schlechte Wahl gewesen. „Deutschland vielleicht.“ Er lachte. „Woher aus Deutschland kommst du eigentlich?“ Eine Frage, die er Schuldig noch nie gestellt hatte, wie ihm jetzt auffiel.

Er kannte sich ein wenig aus – war er doch in der Schule mit deutschen Bundesländern gequält worden. Alleine die Namen waren unaussprechlich und eine Qual.
 

„Westen, Grenze zu Frankreich“, murmelte Schuldig abwesend. Es interessierte ihn nur marginal, woher er kam. Wichtig für sie war eher, wohin sie nun gehen sollten.

„Die nächsten zwei Termine haben wir morgen. Wann musst du eigentlich im ‚Laugh’ wieder anfangen? In den nächsten Tagen?“
 

„Am Montag, ja.“ Sie hatten jetzt Mittwoch, also noch etwas Zeit um sich eine Wohnung zu suchen. Dann würde er den größten Teil der Zeit im ‚Laugh’ verbringen und nicht bei Schuldig – auch eine Situation, an die er sich gewöhnen musste, da er trotz allem Schuldig nicht gerne alleine ließ.

Allerdings wusste Aya selbst, dass das irgendwann einmal aufhören musste. Schuldig war erwachsen und konnte auf sich aufpassen – das feite ihn jedoch nicht davor, gefangen genommen und gefoltert zu werden. Wirklich nicht.

„Kennst du die Besitzer auch?“
 

Sie waren im Parkhaus angekommen, bezahlten das Ticket und gingen hinauf zu ihrem nagelneuen Wagen. Er roch so schön neu, schwärmte Schuldig insgeheim.

„Nein, Brad hat mal was erwähnt. Aber ich war nie dort.“ Schließlich war sein Lieblingsvergnügungsetablissement das ‚Blind Kiss’.

Jedem das Seine.

Schuldig konnte sich Brad im ‚Blind Kiss’ nur sehr schlecht vorstellen. Vielleicht eher als Besitzer Schrägstrich Manager.

„Ich kann dich aber bestimmt ein- oder zweimal besuchen kommen. Das ließe sich sicher einrichten“, lächelte er hintergründig zu Ran hinüber.
 

Und traf auf ein dunkles Lächeln. „Wieso habe ich das Gefühl, dass es mehr als ein- oder zweimal sein wird?“, fragte Aya und runzelte spielerisch die Stirn. Denn so sehr er an Schuldig hing, so sehr hing der andere auch an ihm und Aya wusste nicht, wie Schuldig es ‚verkraften’ würde, wenn er den Großteil des Tages nicht da war.

Sie stiegen in den Geländewagen und Aya musste wieder an seinen… ehemalig seinen… Porsche denken. Schlecht war dieser Wagen sicherlich nicht.
 

„Nein…“ Schuldig ließ den Motor an und parkte aus. „… das kann ich dir schwören, mehr als ein- oder zwei mal am Tag werde ich dort bestimmt nicht aufkreuzen“, meinte er betont harmlos und als er sich wieder zurück zu Ran wandte streckte er ihm ganz unerwachsen die Zungenspitze heraus.
 

Das wiederum nötigte Aya ein Augenbrauenhochziehen der Sonderklasse ab.

„Ich dachte es mir“, grollte er und schnappte nach Schuldigs vorwitziger Zunge, hielt das feuchte, fleischige Stück zwischen dem Daumen und Zeigefinger fest.

„So mein Lieber… wem streckst du nun deine Zunge heraus?“
 

„Ran… das schickt sich nicht für einen Japaner in der Öffentlichkeit. Denk daran!“, nuschelte Schuldig und zeigte auf den Wagen der neben ihnen vorbei fuhr um sich einen Parkplatz zu suchen.
 

Der Blick des anderen Fahrers strafte Ayas ursprüngliche Antwort, dass es niemand gesehen hatte, Lügen und zwar ganz deutlich.

Er schnaubte und zwickte Schuldig ein letztes Mal in die verräterische Übeltäterzunge, bevor er sie losließ.

Die Öffentlichkeit ging es nichts an, da hatte dieser Recht.

„Es schickt sich auch für einen Ausländer nicht in der Öffentlichkeit“, grollte Aya. „Auch wenn ihr mehr Freiheiten genießt, was das Nicht-Benehmen angeht!“
 

„Tja… klar, von uns erwartet der normale Japaner auch das schlechte Benehmen insoweit, dass wir schon gar nicht mehr anders können als uns schlechter zu benehmen als erwartet um eure Aufmerksamkeit zu erringen.“

Schuldig überlegte sich noch ein paar gute Argumente, die er mit wahrer Freude zum Besten gab, während sie das Parkhaus verließen und den Heimweg antraten.
 

Als sie schließlich wieder im Schwarzschen Anwesen waren, rauchte Aya der Kopf von Schuldigs Abhandlung über das Benehmen von Nicht-Japanern in Japan und deren Gründe.

Er stieg aus und schloss die Tür, genauso schnell, wie er seine Stirn an das herrlich kühle Metall des Wagens lehnte. Himmlische Ruhe.

„Hilfe...“, murmelte er und seufzte theatralisch. Etwas, das er früher nie getan hätte, wie ihm auffiel. Vor Schwarz schon gar nicht, das stand außer Frage, aber im Allgemeinen auch nicht. Viel zu beherrscht, viel zu kalt war er um seine Gefühle und Gedanken offen zu zeigen.

Youji hatte da den Grundstein gelegt und Schuldig hatte ihn vollends in den Alltag gezerrt.
 

Niedergequasselt!

Schuldig gratulierte sich selbst als er Ran danieder gesunken am Wagen stehen sah. Er legte ein selbstzufriedenes Lächeln auf, stieg aus dem Wagen und kam zu Ran herum. Fast hätte er geglaubt, er hätte es nicht mehr drauf in eine verbale Kampfhandlung einzutreten und als Sieger daraus hervorzugehen. Aber wie er jetzt sah… er hatte es noch drauf!

Und wie!

„Was hältst du von einem nachmittäglichen Nickerchen?“
 

Aya sah zweifelnd auf.

„Nicht viel, eben weil es erst Nachmittag ist.“ Er würde nachts nicht schlafen können, außerdem war er nicht müde. Eher voller Tatendrang und Unruhe, denn er wollte seine Zeit nicht vergeuden, durfte es auch nicht. Er musste sich um Youji kümmern und um sein ehemaliges Team. Sie waren mehr in Gefahr als Schwarz… brauchten eher seine Hilfe.

„Willst du denn schlafen?“
 

Schuldig blickte in das mürrische Gesicht, schüttelte den Kopf langsam und neigte ihn dann fragend. „Was denkst du gerade?“
 

„Ich muss nach Youji und dem Rest von Weiß sehen. Sie sind wie auf dem Präsentierteller im Koneko.“

Genau das machte Aya große Sorgen. Wieso war Weiß noch nicht untergetaucht? Was hielt Manx davon ab, sie in den Inaktiv-Status zu versetzen?
 

So etwas hatte sich Schuldig schon gedacht. Aber er selbst verspürte nicht unbedingt große Lust ins Koneko zu fahren. Ran alleine gehen zu lassen bot auch keinen großen Reiz.

„Willst du heute noch nach ihnen sehen? Reicht ein Telefongespräch nicht aus?“, fragte Schuldig darum bemüht möglichst ruhig zu klingen und in Ran nicht sofort den üblichen Verteidigungsmechanismus auszulösen.
 

„Sie sind in Gefahr... ein Telefongespräch reicht nicht. Außerdem ist es zu unsicher“, hielt Aya nüchtern und ernst dagegen. Sorge bestimmte seine Gedanken. „Ich muss zu ihnen und sehen, wie es ihnen geht. Sie sind mein Team, nein, meine Freunde.“

Aya schüttelte den Kopf. „Du brauchst nicht mitkommen. Leg dich hin und schlafe, ich werde derweil unbeschadet hin- und wieder zurückkommen.“
 

Schuldig rollte innerlich mit den Augen. Ran und sein Tick… seine Freunde ständig mit seinem Team in Verbindung zu bringen. Zunächst sagte er stets… sie waren sein Team, korrigierte sich dann aber und sagte Freunde. Als könne er beides noch nicht in Verbindung bringen, oder als würde das eine das andere rechtfertigen.

Äußerlich ließ er sich jedoch nichts anmerken, bis auf ein undurchschaubares Gesicht und ein Nicken.

„Dann geh. Ich brauche dir nicht zu sagen, dass du auf dich aufpassen sollst und dass du primär niemandem vertrauen sollst? Und… dass du deine Erbsen immer brav aufessen sollst?“, fügte er noch hinzu um ihnen den Abschied etwas zu erleichtern. Er hatte einfach keinen Nerv auf die Weiß-Visagen. Auch wenn es bisweilen ganz unterhaltsam mit ihnen war.
 

„Ja, Papa, ich werde brav aufpassen, alles aufessen und mit keinem Fremden sprechen“, lächelte Aya. Er zog Schuldig an sich und hauchte dem Telepathen einen Kuss auf die Lippen. „Ich bin heute Abend wieder da, in Ordnung?“, murmelte er und zwickte Schuldig in den Bauch.
 

„Aber bevor’s dunkel wird, klar?“ hakte Schuldig in bester Vaterrolle nach, behielt aber den verschmitzt ernsten Gesichtsausdruck bei. Seine Augen hatten einen harten Ausdruck inne. Es war ihm sehr ernst.
 

„Wenn sie irgendeinen von uns töten oder entführen wollen, dann können sie das auch übertags, Schuldig, das weißt du genauso gut wie ich. Aber ja, zu deiner Beruhigung werde ich vor Einbruch der Dunkelheit wieder zurück sein.“

Aya lächelte nachsichtig. Er konnte die Sorge des anderen verstehen. Er machte sich die gleichen Sorgen.
 

Schuldig hatte das eher in seiner Rolle als strenger Vater zum Besten gegeben, dass Ran dies ernst nahm zeigte ihm, wie wenig ausgeglichen er war.

„Du verstehst das falsch, Ran. Bei Tag darfst du mit den Guten spielen, bei Anbeginn der Dunkelheit musst du mit den Bösen spielen!“ Bestechende Logik.
 

Zwei rote Augenbrauen schossen in die Höhe. Zum zweiten Mal innerhalb von kurzer Zeit… anscheinend war es sein neues Hobby.

„Ja, das habe ich in der Tat falsch verstanden“, erwiderte er und runzelte die Stirn. „Und du bist der Böse, ja? Wo genau? Hier etwa?“, fragte er und kniff Schuldig in die Nase. Aber Schuldig hatte Recht… in mehr als einer Hinsicht. Früher war er übertags Florist gewesen, nachts ein Killer.
 

„Willst du mit dem Wagen fahren oder fährst du mit den Öffentlichen?“
 

„Ich nehme den Wagen, damit bin ich flexibler. Außerdem ist die Anbindung hierhin schlecht. Ich müsste einiges laufen, viel zu viele unübersichtliche Ecken.“
 

„Unnötig dir zu sagen, dass du diesen Wagen schön weit außerhalb von Weiß Gebiet parken sollst, eh?“, fragte Schuldig besserwisserisch nach. „Nicht das unser schöner neuer Wagen auf weißem Boden geparkt ist.“ Viel mehr ging es darum etwaige Schmeißfliegen, die Ran und vor allem dem Wagen folgen könnten, auszubooten.
 

Ayas Blick wurde ernst. Schuldigs Fürsorge in allen Ehren…

„Ich töte, seitdem ich 16 bin, Schuldig. Denkst du, ich hätte sieben Jahre lang überlebt, wenn ich unvorsichtig wäre?“ Nein, das war er garantiert nicht. Vor allen Dingen, seitdem er bei Kritiker war, nicht. Kritiker hatten sie nicht nur diversen Gefangenschaftssimulationen unterzogen, nein, sie hatten sie auch auf das normale Leben neben dem Killerdasein vorbereitet. Was sie beachten mussten, worauf sie aufpassen mussten…

All das, was notwendig war um zu überleben.
 

„Etwas länger als ich.“ Schuldig lächelte dieses ernste ruhige Gesicht an. „das muss ich zugeben. Aber Ran…wir alle waren in letzter Zeit unvorsichtig geworden. Weder halfen unsere Wohnungschecks, noch unsere Sinne, noch unsere Intuition. Sie haben uns überrannt.“

Er beugte sich zu Ran und küsste dessen linke Wange samtig.

„Pass auf dich auf, bis später.“
 

Aya seufzte. „In letzter Zeit waren wir uns aber nicht so stark der Gefahr bewusst gewesen… das ist jetzt anders. Wir sind bereit und wissen, dass wir beobachtet werden.“

Er erwiderte den Kuss und strich Schuldig vorsichtig über den Rücken. „Geh ins Haus, sonst erkältest du dich wieder. Los, rein mit dir, ab zum großen, bösen Amerikaner!“ Aya schmunzelte, auch wenn ihm Sekundenbruchteile später schon gar nicht mehr danach war.

Crawford und Schuldig, auch noch ein Thema, das sie lösen mussten.
 

Schuldig löste sich von Ran und zwinkerte ihm zu, hörte die Untertöne folgerichtig heraus. Schließlich war es nicht so, als würde das Thema ‚Brad’ nicht allgegenwärtig sein.

„Immer ein Problem nach dem anderen, Blumenkind.“ Er zwinkerte und wandte sich um, winkte noch im Weggehen salopp.
 

o~
 

Aya summte leise, während er die Gläser spülte. Seitdem Schuldig und er nach Wohnungen gesucht und schließlich eine passende gefunden hatten, waren ein paar Wochen ins Land gezogen. Ein Monat voller Normalität.

Heute war es stressig, viele Gäste zur Neueröffnung, aber er konnte sich nicht beschweren. So hatte er wenigstens gut zu tun und eine Arbeit, die ihm Spaß machte. Sie war eine Abwechslung und endlich hatte er das Gefühl, etwas für das Geld zu tun, das ihm zur Verfügung stand.

Ein nicht unwichtiger Punkt in seinem Leben.

Er ließ seinen Blick durch die Bar streifen, die nun auf einem erträglichen Level Kundschaft weilte. Das „Laugh“ war freundlich und hell eingerichtet, jedoch nie so, dass es die japanische Kühle verlor, die auch das „Smile“ innehatte.
 

Gabriele steckte seinen Kopf zur Tür heraus und sah mit einem zufriedenen Schmunzeln um die Mundwinkel ihren neuesten Mitarbeiter für einen Moment bei seiner Arbeit zu, bevor er heraustrat.

„Ran-san, würden sie bitte Nanami im Lager helfen? Die zweite Getränkelieferung ist gerade angekommen. Ich löse sie kurz ab.“
 

Aya nickte und trocknete sich seine Hände ab. „Gerne, Amerati-san!“

Es war ein Unterschied wie Tag und Nacht zu dem Arbeiten vor Schuldigs Rückkehr… es machte ihm Spaß, es war nicht nur Beschäftigung um von todbringenden Gedanken wegzukommen.

Er verschwand ins Lager und half dem Koch dabei, die Getränke in den Kühlkeller zu bringen. Sie waren noch nicht ganz besetzt, also tat jeder das, was er konnte, denn jede helfende Hand war wichtig.

Außerdem war es körperliche Arbeit, die ihn befriedigte und ausglich.
 

Unterdessen übernahm Amerati Gabriele Fujimiyas Platz. Er hatte wirklich einen Glücksgriff mit dem Jungen getan. Zwar wusste er immer noch nicht, in welchen Schwierigkeiten der junge Mann gesteckt haben mochte, aber seit seinem letzten Arbeiten im Smile und jetzt bestand ein Unterschied zwischen Tag und Nacht. Etwas musste geschehen sein, denn der Japaner wirkte gelöster, nicht mehr so angespannt und gedrückt in seiner Stimmung. Was sich nicht so sehr in seiner Mimik zeigte, denn diese konnte er geschickt beeinflussen, wie es Gabriele schien.

Nein, es zeigte sich in seiner Arbeit. Fujimiya war entspannter. Die Bar war im Moment leer und an den Tischen in der Lounge Ecke saßen ein paar Gäste, die wohl versorgt waren.

Deshalb kümmerte sich Amerati um noch ausstehende Bestellungen und hakte eine Checkliste ab. Er blickte auf, als er ein unangenehmes Gefühl im Nacken verspürte und drehte sich um. Tatsächlich ein Gast kam auf die Bar zu, lächelte ihn charmant an und setzte sich auf einen der Hocker. Kein Japaner, soviel stand fest mit den auffällig rotorangefarbenen Haaren. Vielleicht ein Ire?

Der Blick auf die Karte und derjenige bestellte mit demselben charmanten Lächeln einen Red Boy.

Einer von vielen Vitamincocktails, die sie hier im Laugh anboten. Einige beliebte Drinks hatten sie aus dem Smile mitgenommen, dazu gehörte der Red Boy auch.
 

„Gut gemacht!“, brummte Nanami und Aya nickte kurz. Das Lächeln fiel ihm noch schwer, besonders Fremden gegenüber, auch wenn es Arbeitskollegen waren.

„Ebenso!“, gab er zurück und nickte dem älteren Mann zu, verabschiedete sich aus dem Getränkekühlhaus, das nun wieder bis oben hin voll war und in dem sie garantiert nicht viel wieder finden würden.

Er kam wieder nach vorne in den Thekenbereich und zweifelte für einen Moment an seiner Wahrnehmung, als er dort jemanden sitzen sah, den er gut kannte. Sehr gut sogar. Und passend zum roten Jungen hatte er einen roten Jungen vor sich stehen.

Das. War. So. Klar.

Das war typisch Schuldig.

„Guten Tag“, grüßte er freundlich, nicht zu zuckersüß, nicht zu knirschend, nicht wirklich auffällig.
 

Schuldig lümmelte halb auf dem Tresen, hatte seine Arme verschränkt, eine Hand stützte den müden Kopf, als er seine Lippen zu einem breiten Lächeln kräuselte.

„Hi“, grüßte Schuldig im best gefälschten amerikanisch-breiten Slang.
 

Gabriele kam zu Ran, der seine Aufgabe bei den Gläsern wieder übernahm. „Wir müssen die Lieferung noch sortieren. Aber das machen wir besser morgen, dazu brauche ich Ihre Hilfe. Ich möchte das gleiche System wie im ‚Smile’ einführen. Vielleicht könnten Sie morgen etwas länger bleiben, damit wir das nach Schluss ihrer Tagesschicht erledigen können. Dann kann Kai die Bar übernehmen.“
 

„Ja natürlich, ich habe nach der Arbeit nichts vor!“, gab Aya mit Freuden zurück und warf einen kurzen, leicht hämischen Blick auf den Amerikaner, nein, besser Texaner, der hier saß und dabei war, sich schlecht zu benehmen. SEHR schlecht.

Ein kleiner Zug um seinen Mundwinkel, von Amerati-san ungesehen.

„Schmeckt Ihnen ihr Drink?“
 

Schuldig lag bereits in den letzten Zügen und er schlürfte die letzten Reste aus dem Glas was der Strohhalm geräuschvoll hergab.

„Sehr gut“, Schuldig leckte sich unauffällig den letzten Tropfen von den Lippen. „Wie wäre es jetzt mit diesem… wie hieß er doch gleich…“ Er klappte die schmale Karte auf und suchte mit dem Finger diese ab. „Ah… einen Red Kiss bitte.“ Ein unschuldig dreinblickender Texaner sah den Barkeeper auffordernd an.
 

Gabriele konnte sich des Gedankens nicht erwähren, dass dieser Gast etwas seltsam war. Aber vor allem hatte er das Gefühl, dass er auf die rote Haarfarbe seines Mitarbeiters anspielte. Vielleicht sollte er einige der roten Drinks umbenennen…
 

Aya wusste, dass es seine Aufgabe war, besagten Drink zu mixen und das tat er nun.

Clou des Cocktails war der Chilibeigeschmack, der durch eine halbe Schote hinzugefügt wurde. Aya bemühte sich redlich, besagte Schote zu umgarnen, sie liebevoll zu waschen und zu umhegen… um sie dann in brutaler Präzision mit einem Messerstich in zwei Hälften zu zerteilen und eine Hälfte in den Drink zu geben.

Mit einem Lächeln nahm er Schuldig das leere Glas ab und stelle ihm den Red Kiss hin.

„Lassen Sie es sich schmecken!“ Noch freundlicher konnte er nicht werden.
 

Schuldig hatte Ran bei seinem versierten Umgang mit dem Messer genau beobachtet und nahm nun einen vorsichtigen Schluck des Drinks. „Gut“, lobte er die richtige Mischung und die angenehme Schärfe. Umrühren durfte er nicht, sonst musste er sich einen Feuerlöscher beim nächsten Schluck neben den Drink positionieren. Und er war sich fast sicher, dass Ran das Schauspiel seines innerlichen Brandes mit einer ordentlichen Portion Schadenfreude genießen würde.
 

„Ich kann Ihnen wirklich nur empfehlen, Ihren Cocktail umzurühren. Dann kommt die richtige Würze zum Vorschein. Ansonsten können Sie die volle Wirkung nicht genießen!“ Ein teuflisches Lächeln lag auf Ayas Lippen, dennoch würde es nur Schuldig als teuflisch erkennen. Die Herausforderung war jedoch deutlich zu hören, auch für Amerati-san.
 

Eben dieses Lächeln sah Gabriele, als er an Ran vorbei zum Telefon griff um einen Anruf bei einem ihrer Lieferanten zu tätigen. Dieser schien sehr fürsorglich auf ihren Gast einzugehen. Sehr fürsorglich.

So fürsorglich, dass er ihm gleich – für Fujimiya unüblich – Tipps gab, wie er in den zweifelhaften Genuss einer halben Chilischote kam.

Eine derartige Entgleisung auf dem sonst so stoisch kühlen Gesichts des jungen Japaners war ein Highlight.
 

„Danke… für Ihren wohlgemeinten Ratschlag, aber ich fange gerade an mein Leben zu genießen und ich bin weit entfernt von suizidalen Gedanken“, erwiderte Schuldig zuckersüß.

„Aber… wie wäre es … ich gebe Ihnen einen aus und Sie trinken eine Runde mit. Ist ja ohnehin kein Alkohol drinnen“, schlug Schuldig - der Trinkfreund - vor.
 

Ayas Miene blieb sorgsam stoisch und warf einen kurzen Blick zu Amerati-san. Wenn es ein Gast ‚anbot’ sollte er, wenn es ging, mittrinken, solange es kein Alkohol war.

„Der Genuss des Lebens ist das Wichtigste, das stimmt!“, pflichtete Aya dem ‚Gast’ zu und mixte sich auch einen Red Kiss.

Die zweite Hälfte der Chilischote fand ihren Weg in seinen Drink, den Aya mit einem unguten Gefühl im Magen betrachtete. Er ahnte, was jetzt kommen würde und stählte sich innerlich gegen den Schmerz, den ihm seine ‚Tapferkeit’ einbringen würde. Wenn er Schuldig in die Finger bekam…

„Ich danke Ihnen für die Einladung“, sagte Aya scheinbar unbeeindruckt und rührte mit der Chilischote in seinem Cocktail, hob ihn dann an um Schuldig zuzuprosten.
 

Amerati beobachtete das Treiben mit unauffällig interessiertem Blick, allerdings war er in das Gespräch vertieft.

Er wandte sich wieder seiner Bestellung zu und sprach in schnellem Italienisch mit seinem Landsmann.
 

Einen Trinkspruch später setzten beide das Glas an die Lippen und beobachteten sich aus tödlich sezierenden Blicken den jeweils anderen beim ersten Schluck.

Schuldig hatte pflichtschuldigst seinen Drink umgerührt.

Er schwor Ran viele Todesarten… in verschiedenen Stellungen – fügte er in Gedanken hinzu – nachdem sich das Feuer in seinem Mund ausgebreitet hatte.
 

Ayas Lippen brannten als erstes. Dann folgte seine Zunge. Dann seine Mundhöhle. Die Zähne schienen auch irgendwie in Flammen zu stehen, von seinem Rachen ganz zu schweigen. Konnte es sein, dass sich das Feuer auch in die Nase hochzog?

Aya brauchte ALL seine jahrelang antrainierte Willenskraft, um keine Miene zu verziehen und das gleich beim ersten Schluck, der einfach der pure Horror war. Und er hatte noch einen fast vollen Cocktail vor sich…

Sein Magen… sein Magen… es war HEIß!

Er lächelte, er schaffte es wirklich zu lächeln!

„Eine sehr exquisite Rezeptur“, lobte er den Erfinder dieses Drinks und verfluchte ihn in Gedanken.
 

Schuldigs Gesicht dagegen drückte puren Sadismus aus. Er konnte es aushalten so lange er Rans Tränen in dessen Augen miterleben durfte. Schließlich ernährte sich ein Teil seines Selbst aus dem Leid anderer. Zumindest zeitweise.

„Ja… muss ich mir merken…“
 

Gabriele schüttelte in Gedanken den Kopf. Auf der Karte stand dabei, dass man nur auf eigene Gefahr umrühren sollte.

Vielleicht sollte er die Namen der Drinks behalten… denn diese Szene gerade eben war es wert Fujimiya ein wenig aufzuziehen… schließlich war er der Red Boy hier in diesem Club.

Er sollte im Gegenteil einen Drink für jeden von ihnen kreieren. Einen Chef Master… einen Italien Boss …
 

Doch noch waren Ayas Augen nur feucht, noch keine beginnenden Tränen, zumindest redete er es sich ein, als sein Magen langsam ernsthaft böse wurde.

„Schmeckt es Ihnen?“, fragte er mit hochgezogener Augenbraue.

Gut, seine Augen waren etwas weiter als sonst, da er aufpassen musste, dass sie nicht tränten… aber das war das einzige Anzeichen.
 

„Ein wenig zu scharf“, gab Schuldig ehrlich zu und hoffte so, Ran zu überraschen, der sicher vermutet hatte, dass er hier einen auf Häuptling Starke Marke machen würde.

„Aber ich hätte da schon eine Idee, wie ich diese Schärfe ein wenig mildern könnte…“, sagte Schuldig und lächelte eindeutig zweideutig. Vor allem herausfordernd. Eine Drohung… hier vor allen Leuten, die zwar in einiger Entfernung saßen… aber…
 

Amerati trat mit einem Schmunzeln den Rückzug in die Küche an und ging von dort aus ins Lager, da er etwas überprüfen musste.
 

„Trink doch ein Glas Milch, mein Lieber“, flüsterte Aya zuckersüß, allerdings mit dem Nachklang der Überraschung in seiner Stimme. Ja, er hatte in der Tat anderes erwartet, sehr viel anderes.

Er blinzelte.

Seine Augen waren jedoch dunkel auf Schuldig gerichtet, falls dieser etwas versuchen wollte… über die Bar hinweg.
 

„Du hast… ANGST“, wisperte Schuldig das letzte Wort und beugte sich etwas vor, wie jemand, der eine unheimliche Geschichte erzählte, aber nicht wollte, dass jemand den Namen des Monsters allzu laut hörte. Das Monster selbst zum Beispiel.

„Angst… vor einem fiesen, grausamen, alles zerfressenden, versengenden… feuchten… Kuss!“ Ein kindisch freudiges Lächeln erhellte die Gesichtszüge des Deutschen.
 

Aya stützte sich auf den Tresen ab und lächelte immer noch höflich, jedoch jederzeit bereit, eine Flucht nach hinten anzutreten, falls Schuldig meinte, seine Drohung wahr machen zu müssen. Jemand, der sie nur beobachtete und sie nicht hörte, würde keinen Verdacht schöpfen.

„Und du hast Angst davor, deinen Schwanz NIE wieder in meinen Hintern zu stecken, nicht wahr?“, wisperte er in der gleichen Lautstärke wie Schuldig auch.
 

Schuldig hielt sich mit einer Antwort zurück, da Rans Arbeitgeber zurückkam.
 

Dieses Aufstützen war etwas, was Amerati sah, aber er hörte seinen Mitarbeiter nicht, was sicher besser für die Zusammenarbeit war.

Aber er erkannte, dass sie sich mit Sicherheit näher standen und wenn er Fujimiyas Verhalten richtig deutete, dann flirtete er, aber da konnte er sich auch täuschen. Nur war seine Gestik eine andere, als wenn er mit anderen Kunden sprach. Und das Grinsen des Mannes war mehr als provozierend.

„Ran-san, wenn Sie hier fertig sind, können Sie ruhig Schluss für heute machen. Ihre Schicht ist ohnehin schon seit…“ Ein Blick auf die Uhr. „…seit zwanzig Minuten vorbei. Ich habe Sie schon zu lange hier behalten.“ Er zwinkerte schelmisch.

Er hatte ihn nur länger für die Lieferung gebraucht um jemanden Nanami an die Seite zu stellen, damit das Ausladen schneller ging und die Bar auch nicht unbesetzt gewesen wäre.
 

„Das habe ich nicht gemerkt!“, sagte Aya überrascht mit einem Blick auf seine Uhr und löste sich vom Tresen, nickte Amerati-san freundlich zu.

Die Augen des Mannes sprachen von etwas, das Aya so noch nicht in dem anderen erlebt hatte: der pure Schelm. Und ein Wissen, dass dieser vorher nicht hatte.

Gut, Schuldig war auch nicht gerade unauffällig! Er schon. Dachte er.

„Ich werde mich noch bemühen, unseren Gast hier zufrieden zu stellen und werde dann Feierabend machen.“
 

„Okay. Rufen Sie mich, wenn Sie gehen.“

Alleine, dass er noch hier blieb um den Ausländer ‚zufrieden zu stellen’ zeugte davon, dass sie sich kannten, näher kannten.

Es machte Gabriele neugierig, mehr über seinen Mitarbeiter zu erfahren, auch wenn er sich sonst nicht in die Privatsphäre seiner Leute mischte. Doch dieser hier war ihm von der Hand eines guten Freundes in seine Obhut gegeben worden. Und die mysteriöse Aura, die den jungen Japaner umgab, war unverkennbar.
 

Aya nickte höflich und widmete sich den restlichen Gläsern, die noch poliert werden mussten.

Er sah die Fragen in den Augen des anderen, doch jetzt würde und konnte er sie nicht beantworten. Es ging nicht.

Er verräumte die Gläser auf die Vitrine und wusch sich ein letztes Mal die Hände, sah dann Schuldig schelmisch in die Augen.

„Wenn ich mich dann verabschieden darf, mein Herr.“ Sehr höflich. Und sein Mund brannte immer noch, von seinem Magen ganz zu schweigen!
 

Selber Schuld, meckerte Schuldig auf die anklagenden Augen seines Blumenkindes hin.

„Ich muss leider noch etwas da bleiben, denn mein Freund, den ich hier treffen sollte, hat sich um zwanzig Minuten verspätet. Aber ich wünsche Ihnen einen schönen Feierabend“, witzelte Schuldig und grinste frech.
 

„Das ist sehr bedauerlich für Sie, mein Herr! Ich hoffe, dass er recht bald… kommt.“ Es war nur eine minimale Pause zwischen Ayas Worten, aber sie reichte, um ihnen eine zweideutige Note zu geben.

Er nickte und deutete eine höfliche Verbeugung an, die Augen funkelndes Violett.

„Amerati-san, ich verabschiede mich“, sagte er nach hinten und machte sich daran, seine Sachen zu holen.
 

Gabriele sah ihm nach und wandte dann den Blick zu dem Ausländer. „Verzeihen Sie, ich habe Ihr Gespräch mitverfolgt. Ihr Freund, auf den Sie warten, hat nicht zufällig rote Haare?“
 

Schuldig nahm noch einen Schluck des schrecklichen Gesöffs und würgte ihn hinunter, bevor er lächelte. Dieses Mal war es ein willkommenes Lächeln. „Ja. Weshalb fragen Sie? Ist er hier gewesen?“ Sein Lächeln wurde breiter. Dieser Italiener war sich wohl noch nicht ganz sicher in seiner Vermutung.
 

„Ja… wenn es ein Japaner war… dann war er hier gewesen…“, antwortete Amerati ungewiss.
 

Beim Hinausgehen bekam Aya die Unterhaltung noch mit einem halben Ohr mit und schüttelte innerlich den Kopf. Man konnte Schuldig mit hundertprozentiger Wahrscheinlichkeit zusprechen, dass er den anderen Mann auf den Arm nahm!

An die frische, nach Frühling duftende Luft tretend, nahm Aya einen tiefen Zug und grinste breit. Amerati-san würde ihn schon zu händeln wissen - hoffte er.
 

„Tja, was mache ich denn da… hat er mich wohl versetzt, oder wir haben uns verpasst.“ Schuldig hätte es darum gewettet, dass Ran nicht reinkommen und ihn hier abholen würde. Vermutlich blieb ihm nichts anderes übrig als hinauszugehen um den Feigling einzusammeln.
 

„Vielleicht wartet er ja mittlerweile draußen auf Sie.“
 

Das war durchaus möglich. Doch als es Schuldig nicht wirklich für nötig hielt ihm zu folgen, sah sich der Berg gezwungen, zum Propheten zu kommen.

Aber dieses Mal richtig offiziell.

Ein weiteres Mal betrat Aya das Laugh, durch die Vordertür und bekam dafür einige überraschte Blicke. Er ignorierte diese und kam langsam zum Tresen, den langen Mantel noch an.

„Hallo!“, grüßte er, als hätte er Amerati-san nicht gerade noch ein paar Minuten zuvor gesehen. „Ich suche jemanden…“
 

„Du bist zu spät!“ keifte Schuldig pflichtschuldigst, aber doch recht gelassen und drehte sich auf seinem Hocker zu Ran.
 

Amerati kam gar nicht dazu etwas zu sagen, denn das kleine Schauspiel der beiden zeugte davon, dass der rothaarige Japaner durchaus Humor hatte und nicht ganz so in sich gekehrt war wie anfangs gedacht. Oder lag es an dem sympathischen, charmanten Mann?

Wobei sympathisch nicht ganz zutraf. In diesen grünblauen Augen lag etwas, das ihn vorsichtig werden ließ und dann drückte dieses Gesicht eine Offenheit aus, das jeden Gedanken an ein Geheimnis oder eine Lüge hinter dieser Fassade auslöschte.
 

„Ich habe im Stau gestanden“, entgegnete Aya knochentrocken. „Und du, du betrinkst dich hier. Wundervoll!“

Er lächelte Amerati-san entschuldigend für ihre kleine Scharade an. Herrje, wenn ihn das den Job kostete… aber momentan sah es nicht danach aus.

„Sie haben ihm doch hoffentlich nichts allzu Starkes gemischt, oder?“
 

„Mein Mitarbeiter hat ihn vermutlich eines unserer stärksten Getränke gemischt. Wenn Sie möchten, kann ich Ihnen das Gleiche noch einmal mixen. Dann können Sie sich selbst von der Stärke des Getränks überzeugen“, schlug Amerati vor und ging auf den Spaß ein. Wenn Yuki hier wäre, hätte sie ihre helle Freude an den beiden. Das musste er ihr gleich erzählen, wenn er nach Hause fuhr.
 

„Ja, ich betrinke mich hier mit Gemüse- und Obstsäften“, murrte Schuldig und verzog skeptisch gelangweilt die Mundwinkel. „Blödmann“, fügte er leise an und wollte schon das Schmollen anfangen, als er Ameratis Worte hörte und sogleich besserte sich seine vorgetäuscht trübe Laune.
 

Aya wusste nicht, wen er als erstes erwürgen sollte, Schuldig, der ihn Blödmann nannte oder Amerati, der ihm noch einen Red Kiss andrehen wollte!

„Ich muss leider ablehnen, mein Magen macht mir momentan etwas Probleme“, sagte Aya gespielt leidend und seufzte schwer.

Was allerdings entsprach es den Tatsachen.

„Und du wirst nicht lachen“, sagte er zuckersüß zu Schuldig.
 

„Aber der Name der Bar ist doch sicher Programm oder?“, wandte Schuldig sich unschuldig an Ran, erhob sich aber von seinem Sitz. Er zahlte die beiden Drinks bei Amerati.
 

„Das schon…“, ließ Aya die unausgesprochene Drohung im Raum schweben und seine Mimik war sehr kühl.

Auch das hatte er in den letzten Monaten gelernt… diese eisige Maske war zwar noch da und er konnte sie nutzen, aber genauso konnte er mit anderen Ausdrücken spielen.

Dank Schuldig.

Er verabschiedete sich ein zweites Mal von seinem Chef und ging in Richtung Ausgang.
 

Schuldig tat es ihm gleich und holte Ran schließlich ein.

„Dein Boss scheint okay zu sein.“

Heute hatte es angenehme Temperaturen und Schuldig bemerkte für sich, dass ihm dieses mildere Wetter gut tat. Es ließ ihn seine Probleme besser händeln.
 

„Ist er! Wenn er mich nach dieser Vorstellung gerade nicht feuert, versteht sich!“

Aya hatte Durst. Nein, vielmehr hatte er das Verlangen, dieses Brennen in seinem Mund zu löschen, das immer noch anhielt.

„Er ist ein guter Chef… er erinnert mich an damals.“ Als er mit 16 selbst gekellnert hatte. War es wie eine Wiederholung seiner Vergangenheit? Er hoffte es nicht, denn er wollte nicht noch eine Familie verlieren.
 

„Ach Quatsch, er mochte es, dass du lächelst und ein wenig lockerer warst. Du warst ihnen schon etwas unheimlich.“ Ran war es schlecht gegangen, wie er in Ameratis Gedanken gelesen hatte.
 

Sie gingen Richtung Wagen, denn sie hatten vor zu einem Einrichtungshaus der oberen Gehaltsklasse zu fahren um sich die einen oder anderen Stücke für ihre Wohnung auszusuchen. Einen Katalog hatten sie schon angefordert und zusammen mit diversen anderen Katalogen durchpflügt.

Das Einzige, was sie bisher in ihrer Wohnung hatten, war… wie sollte es anders sein: ein Bett. Der Rest ihrer Habe war im Schlafzimmer und in einem der Badezimmer ihres neuen Domizils. Und es war wahrlich nicht viel. Die Kleidungsstücke stapelten sich neben dem Bett.

Aber…sie hatten wenigstens endlich eine neue passable Bleibe. Und bis auf kleine Abstriche genau das, was sie wollten.
 

„Wieso unheimlich?“, fragte Aya mit einem Stirnrunzeln. Er war doch einfach nur er selbst gewesen, hatte gearbeitet und darauf geachtet, sich den Stress, die Trauer und die Verzweiflung nicht anmerken zu lassen.

Schuldig schloss ihr Schlachtschiff auf und Aya griff sich die Flasche Wasser, die noch in einer der Halterungen stand. Es war nicht mehr viel drin, aber er würde teilen - brüderlich.

Er hielt Schuldig das Wasser hin.
 

Dieser winkte heldenhaft ab, was eher daran lag, dass er dieses abgestandene Wasser nicht mochte und er lieber frisches bevorzugte, als dass er zugunsten von Ran darauf verzichtete.

Sie würden eine Tankstelle anfahren.

„Weil du sehr verschlossen warst, du wirktest eher wie jemand, der nicht mehr wirklich am Leben teilnahm. Zumindest waren diese Gedanken sehr präsent in Ameratis Kopf.
 

Sie schnallten sich an und er ließ den Wagen an. Wenig später waren sie auf dem Weg zum Einrichtungshaus.
 

Die Fahrt dorthin verlief schweigend, denn Aya musste über Schuldigs Worte nachdenken. Nicht am Leben teilnehmend…nun, genauso war es eigentlich gewesen. Er hatte in Erinnerungen an Schuldig geschwelgt, hatte sich in eine Welt zurückgezogen, die niemand sehen konnte außer ihm selbst.

Erst als sie vor dem Möbelhaus standen und beide ausstiegen, kehrte er wieder in die Gegenwart zurück und strich Schuldig kurz über die Hand, als sie nebeneinander zum Gebäude liefen.

Der Telepath lebte und er war glücklich.

„Aber wehe, du machst soviel Theater wie beim Aussuchen der Wohnung!“ Schuldig hatte den Makler nämlich einfach fertig gemacht. Besonders der Kommentar, dass diese abgeschiedene Ecke doch perfekt für etwaige Schweinereien wäre und alleine schon, wenn man Haken in die Wand bohren würde, die dann nachher für Spielzeuge dienen würden.

Aya war jegliche Farbe aus dem Gesicht gewichen, als er Schuldig angestarrt hatte… Mord deutlich in seinen Augen stehend.

Dem Makler hingegen konnte man plötzlich eine sehr gute Durchblutung nachsagen, exzellent sogar.
 

„Ja… ja… schon klar“, meinte Schuldig gedehnt, zwinkerte Ran aber zu, bevor er eine der gläsernen Doppeltüren für sie öffnete und sie hineingehen konnten.

Es dauerte nicht lange, ganze fünf Schritte nämlich bis ihnen eine Verkäuferin im aparten Zweiteiler lächelnd und sie höflich begrüßend entgegenkam.
 

Dieses „schon klar“ beunruhigte Aya, aber er glaubte einfach an Schuldigs gute Seite. Das war wohl das Beste!

Die Küche stand als erstes auf dem Programm und prompt wurden sie in die entsprechende Abteilung geleitet, jedoch friedlich alleine gelassen, als sie wünschten, sich selbst umzuschauen. Es gab da nämlich noch einige Meinungsverschiedenheiten, was die Farbe, den Stil und die Größe der Küche anging.

„Wie wäre es hiermit?“, fragte Aya und deutete auf ein praktisches, großes Modell. Er hatte mit einem Zähneknirschen akzeptiert, dass Schuldig eher die gehobene Klasse an Möbeln bevorzugte. Das hieß jetzt aber nicht, dass sie Millionen für eine einzige Küche ausgeben würden!
 

Schuldig tat so als müsse er zumindest zwei Minuten darüber nachdenken und als würde er etwas mit sich hadern. Aber … er fand die Küche schon beim ersten Anblick schlimm.

„Vielleicht sollten wir uns einigen, was wir generell für einen Typ wollen… eine gute Mischung aus Holz, Stahl, Glas oder doch eher auf hypermodern?“
 

„Ersteres. Es ist wärmer.“ Es passte besser zum Flair der noch leer stehenden Wohnung. Durch den Ausblick auf die Bucht von Tokyo zum einen und dem Stadtblick zum anderen war sie einfach sommerlich.

„Aber nur, wenn es nicht zu teuer ist!“

Aya hatte irgendwie das Gefühl, gegen Windmühlen zu reden. Er konnte Schuldig ja auch verstehen, aber dieses Gefühl verschwand einfach nicht, das ihm einredete, einfach nichts hierfür getan zu haben.
 

„Okay, finde ich auch besser. Und wir sehen auch, dass sie nicht zu teuer ist.“

Schuldig wollte auch nicht, dass Ran sich jedes Mal daran erinnert fühlte, dass er weniger dazu beisteuerte als er selbst.

Das gab schlechtes Karma und darauf hatte Schuldig so gar keinen Bock.

Sie schlenderten also weiter und begegneten auf ihrem Weg durch die abgeteilten Küchenareale ein paar anderen Interessierten, die teilweise in Gespräche mit Verkäufern vertieft waren.
 

Hier fanden sie niemanden, der sich in Tokyo nur ein fünfzehn Quadratmeter Apartment leisten konnte…

Aya ließ seinen Blick umherstreifen und sah plötzlich etwas, das etwas abseits stand, aber im Prinzip genau das widerspiegelte, was sie haben wollten.

„Wie wäre es hiermit?“, fragte er Schuldig und deutete auf die Komposition aus freistehendem Kochblock mit darüber hängendem Utensilienkranz und die u-förmig angeordnete Restküche samt allem, was man sich vorstellen konnte.
 

Schuldig gefiel sie auf den ersten Blick ganz gut. Jetzt musste sie nur noch dem zweiten Blick standhalten. „Nicht schlecht.“

Das war das Startzeichen um die eine oder andere Schublade aufzureißen und in den einen oder anderen Schrank zu spitzen.
 

Das taten sie nun, ausgiebig und schamlos, bis sie auch den kleinsten Winkel dieser Küche unter die Lupe genommen hatten und wussten, dass es IHRE Küche war, die alles hatte, was sie wollten. Hier konnte man wahre Kochorgien feiern.

„Und, was meinst du?“, fragte er ein wenig atemlos, da er wirklich begeistert war.
 

„Nehmen wir“, meinte Schuldig lapidar, sah aber deutlich die Freude in Rans Augen. „Brauchen wir nur noch die passenden Geräte dazu. Die gibt’s da hinten. Aber dafür können wir uns einen dieser Verkäufer holen, zwecks Passgenauigkeit.“
 

Genau das taten sie auch und die Küche wurde teurer und teurer. Doch als Aya Schuldigs Freude anhand der Küchengeräte sah, wollte er nicht dazwischengehen. Sie würden die Küche nehmen. Komplett, mit allem Schnickschnack, allen technischen Neuheiten, die es gab.

Die erste Station hatten sie geschafft.

Nun, der Graus.

Der Wohnraum.

„Es wird Krieg geben…“, murmelte Aya zu sich, als der Verkäufer außer Hörweite war und sah sich einem Bataillon an Möglichkeiten gegenüber, wie sie es einrichten konnten.

Was war er doch glücklich mit seinem Raum im Koneko gewesen…es hatte nicht viel hineingepasst, ein Bett, ein Regal, Couch, Fernseher. Das war es. Und nun…

Er hatte noch nie eine Wohnung eingerichtet.
 

Allerdings hatte Schuldig auf solch einen Unsinn wie einen Eiswürfelmacher oder eine Saftbar im Kühlschrank verzichtet. So etwas fand er unnötig und zwar aus dem Grund, dass man es von Zeit zu Zeit sauber machen musste. Und da er nicht unbedingt der Putzkönig war, suchte sich Schuldig Küchengeräte durchaus nach praktischen Motiven aus.

„Erst einmal gibt es Verhandlungen… und dann … werden wir sehen…“ grinste Schuldig und streifte durch die Couchlandschaften.
 

„Genau…dann heißt es, immer auf der Hut sein, den ersten Schlag führen und keine Gnade walten lassen!“, grimmte Aya und hakte die ersten Stücke innerlich schon ab. Blumenmuster aus den europäischen sechziger Jahren kamen ihm definitiv nirgendwohin.

Er war eher Minimalist, nichts Verspieltes, aber warme Töne, das war wichtig. Mal sehen, wie Schuldig das sah.
 

„Was hältst du von der Kombination?“ Schuldig betrachtete sich das kalte Rot des Zwei- und des Dreisitzers. Zwar war die Farbe kühl, doch der Schnitt der Ledercouchen und ihre Bequemlichkeit – die Schuldig soeben testete - sprachen für sich. Die Linien waren schlicht und es war definitiv eine Lümmelcouch, denn die Sitzfläche war großzügig und der Dreisitzer lief in einer Ottomane aus. Vier weiße Kissen samt Decke waren zur Dekoration auf den Couchen drapiert.

Sie hatten hellgraue Steinfliesen auf der einen Seite des Wohnraumes, die dann in sandfarbene Steinfliesen übergingen. Es hatte etwas von Wüste und Stein. Die sandfarbene Ecke gehörte definitiv Ran, denn es war auch die Seite mit dem Meerblick. Die Couch würde sowohl in die eine als auch auf die andere Seite passen. Und da sie die Mitte, wo beide Untergrunde ineinander überflossen, für ihre Couchlandschaft erkoren hatten…

Die Oberfläche der Fliesen war so natürlich gestaltet, dass sie zusammen mit der Fußbodenheizung den Eindruck von warmem, von der Sonne aufgeheiztem Stein erweckte.
 

Aya lächelte und streckte Schuldig in einer verspielten Geste die Zunge heraus.

„Neutraler Boden klingt gut, sehr gut! Damit wir beide uns aus unseren Höhlen heraustrauen, wenn es mal gekracht hat nur um auf diesem wunderbaren Stück zu sitzen.“

Er strich über das glatte Leder, anerkennend und liebkosend.

„Dann brauchen wir nur noch zwei andere Couchen!“ Was für eine Verschwendung, murrte die sparsame, geizige Seite in ihm innerlich.
 

„Hmm…richtig. Aber die können wir uns ja selbst aussuchen, oder? Müssen ja nicht unbedingt Couchen sein. Ich denke, ich werde auf meiner Seite eine kleine Lounge einrichten. Vier Sessel … die hab ich dort hinten gesehen. Schlicht und sehr bequem. Ach … was hältst du eigentlich davon wenn wir noch einen Arbeitsplatz einrichten? Oder sollen wir den in eines der größeren Zimmer packen.“ Schuldig hoffte, dass Ran wusste, was er mit „Arbeitsplatz“ meinte. „Erstens brauchen wir ein Zimmer einem Dojo ähnlich zum trainieren, zweitens vielleicht noch ein Zimmer in dem wir den ganzen Technik… kram unterbringen.“
 

Aya nickte. „Was brauchen wir denn alles für diesen Arbeitsplatz an Möbeln?“, fragte er und ging gedanklich alle technischen Elemente ab, die sie im zukünftigen Kampf gegen ihren Gegner ab.

„Hast du eigentlich schon einen Händler für das Holz des Dojo-Bodens?“
 

„Ein paar Tische wären nicht schlecht und einige Regale… aber ich denke ein oder zwei Tische für die Rechner würden es schon tun. Dann brauchen wir noch Material um den Raum abzuschotten. Aber das kann uns Nagi oder sicherlich auch Omi besorgen“, zwinkerte er Ran zu.

„Was das Holz anbetrifft…nein, mir kam der Gedanke nur gerade eben … dass es gut wäre, wenn wir einen Raum danach einrichten. Bloß welchen?“
 

„Oben auf der Balustrade vielleicht?“ Bisher nutzten sie den Raum nicht, vielmehr war er angedacht als Ayas ‚stiller Raum’, eine Abtrennung in der weiten Wohnung, die er benötigte, wenn er alleine sein wollte.

Es sprach ja nichts dagegen, dort auch den Trainingsraum für sie beide einzurichten.

Die Wohnung war riesig…größer als die alte und sehr weitläufig, deswegen hatte sie Schuldig auf Anhieb auch so gut gefallen. Ihm hatte da mehr der Seeblick zugesagt, was schließlich auch den Ausschlag gegeben hatte in Schuldigs Entscheidung. So konnten sie schließlich einziehen, mit Kegel und Kind. Eigentlich nur mit Bett und Katze, die sich nun an ihnen erfreute, da sie sonst nichts zum Spielen hatte. Doch momentan hatte es ihr mehr Schuldig angetan, was Aya nur zu gut verstehen konnte. Auch sie hatte ihn vermisst.

„Wir brauchen auch noch eine Ecke für Banshee“, mutmaßte er und runzelte die Stirn. „Inklusive Sitzgelegenheit.“
 

Schuldig fand den Enthusiasmus seines Blumenkindes einen großen Grinser wert.

„Deine Motivation in allen Ehren, aber vielleicht sollten wir eins nach dem anderen einrichten. Meinst du dort oben wäre der Platz vorhanden? Es hat ja gerade mal dreißig Quadratmeter, wenn überhaupt und vom Schnitt her nicht gerade praktisch. Da würde ich eher den Raum neben dem Schlafzimmer bevorzugen. Er ist der zweitgrößte in der Wohnung.“
 

Aya bedachte das für einen Moment und nickte schließlich. Für diesen Raum hatten sie noch keine Verwendung… bis auf ein paar hanebüchene Vorschläge von Schuldigs Seite her, die Aya allesamt abgeschmettert hatte.

Spielzimmer.

Dass er nicht lachte.

Als Schuldig dann auch noch mit Andreaskreuzen gekommen war…und anderen, eventuellen Möbelstücken, mit denen sie Spaß haben konnten, war es ganz aus gewesen. Nicht mit ihm!

Wenn Schuldig sich freiwillig fesseln ließ…vielleicht. Aber er? Nein.

„Der obere Raum dient dann als was?“
 

„Bücherraum? Multimediaraum? Keine Ahnung, such dir etwas aus.“ Schuldig überlegte einen Moment. „Oder sogar eine Art Gästeraum.“ Falls Yohji übernachten würde, hätte er dieses Problem zumindest schon einmal weit weg vom Schlafzimmer separiert.
 

„Wie wäre es mit einem Rückzugsort für dich, wenn du einmal genug von mir hast?“, fragte Aya und konnte sich das im Moment nicht wirklich vorstellen. Zumindest wäre es dann ein Charakterzug an Schuldig, den er noch nicht kennen gelernt hatte. Denn dass Schuldig sich irgendwann von ihm und seiner direkten Umgebung lösen würde, war sehr unwahrscheinlich!

Doch wer wusste, was sich über die Jahre einpendelte…

Jahre…

Aya runzelte innerlich die Stirn.

Seit wann plante er in Jahren? Eine lange Zeit hatte seine Planung nur für die nächsten Monate oder sogar nur Wochen bestanden, aber Jahre? Nein… dazu war das Leben eines Killers wahrlich zu kurz.
 

„Dafür können wir den Trainingsraum umfunktionieren, falls es dazu kommen sollte“, sagte Schuldig und räumte mit seinen Worten auch gleich ein, wie unwahrscheinlich dies doch wäre.

Doch er brauchte einen Raum für sich. „Du bist ohnehin ständig am Arbeiten. Die Wohnung gehört die Hälfte… wenn nicht mehr des Tages mir.“ Er überdachte die Möglichkeiten, die ihm im Kopf herumschwirrten noch einmal. „Wir könnten da oben ein paar unserer Waffen, die wir sammeln werden, deponieren. Ein paar Klingen … ein paar Dolche…“
 

Eine gute Möglichkeit, sich schnell und effizient zu verteidigen, sollte es zu einem Angriff kommen. Waffen, in einem Raum offen, in den anderen versteckt, untergebracht, war das Beste, was sie tun konnten…

„Es wäre ein sehr schöner Ausstellungsraum“, pflichtete Aya Schuldig zu und musste innerlich grinsen. Ausstellungsraum. Sicherlich.

Vermutlich würden sie sich irgendwann aus Spieltrieb mit besagten Klingen jagen und sich bekämpfen.
 

„Und was Banshee anbelangt, für die finden wir schon ein Plätzchen. Oder sie sucht sich ihres selbst aus. Wo ich sie nicht haben will ist im Schlafzimmer, mir reichen schon unsere Haare, die mir ständig zwischen Zähnen und Zehen hängen.“ Schuldig verzog das Gesicht leidend.
 

„Ich will dir da ja nicht widersprechen, aber ich kann mich noch daran erinnern, direkt nach dem Aufwachen jemanden gesehen zu haben, der mit der Kleinen geschmust hat, während er mich beim Schlafen beobachtet hat. Seitdem denkt sie, du wärst ihr persönliches Kissen!“

Aya musste lächeln. Ja… Schuldig und Banshee hatten sehr gut zusammengepasst.
 

„Ihr persönliches Kissen…“ Schuldig schnaubte.

„Von mir aus, aber nicht im Schlafzimmer, außerdem fand ich es zeitweise etwas irritierend, wenn die Kleine mitten im Sex zwischen unseren Beinen herumstreifte. Und… ich möchte dich noch daran erinnern, dass du es warst, der ziemlich finster ausgesehen hat, als ihre Krallen zwischen deinen Eiern herumtapsten.“ Schuldig hatte seine Stimme nicht im Mindesten gesenkt, aber es war auch niemand in der Nähe, der ihr Gespräch mitanhören konnte… oder wollte.
 

Aya war absolut nicht erfreut darüber gewesen, das stimmte. Aber genauso wenig war er nun über Schuldigs Lautstärke erfreut, wie sein Blick dem anderen nun mitteilte.

„Es hat auch wehgetan… und dass du gelacht hast, hat mir nicht im Mindesten geholfen, nur mal am Rand“, zischte Aya.
 

„Ran… du weißt aber schon, dass die meisten Leute erst recht aufmerksam werden, wenn jemand flüstert oder so herumzischt wie du gerade eben?“ Schuldig lächelte charmant in das finstere Gesicht, das ihn mit seiner Aufmerksamkeit bedachte.

„Und… wenn du nicht willst, dass es noch mehr weh tut, dann bleibt das Katzenkind draußen! Es ist ja nicht so, dass die Wohnung klein wäre…“
 

„Und es ist ja nicht so, als würden wir nur im Bett Sex haben, daher ist das Argument schon hinfällig“, erwiderte Aya und lehnte sich großkotzig zurück. Was Schuldig konnte…

Und Schuldig war ein guter Lehrmeister…
 

„Würden wir nicht? Wo willst du denn dann poppen?“ Schuldig wandte nun seine ganze ungeteilte Aufmerksamkeit Ran zu und drehte sich zu ihm hin.

Na dann erzähl doch mal, sollte dies heißen.

Unauffällig hatte sich ein Verkäufer genähert und stand nun etwas abseits, jedoch in Hörweite.
 

„Die Frage ist, wo du den Beischlaf mit mir vollziehen willst“, lächelte Aya, die Stimme normal, aber nicht übermäßig laut. Es sollte ja schließlich niemand mitbekommen. Dass nun der Verkäufer noch einen Schritt näher an sie heran getreten war, sah er zu spät.
 

Schuldigs Lächeln wurde minimal breiter und er sah wie Ran blass wurde. Zwar bewahrte er Haltung, aber er wurde blass, sehr blass. Schuldig wäre sogar soweit gegangen zu sagen… kränklich blass.

„Was krieg ich dafür, dass ich dem Kerl diesen Satz aus dem Kopf lösche?“, fragte er im gleichen Plauderton Ran, während der Verkäufer wieder zu Wort gefunden hatte und sie fragte, ob sie sich an dieser Couchlandschaft interessiert wären. Er mied Rans Blick.
 

Viel konnte Aya nicht mehr falsch machen, das sah er in diesem Moment. Der Verkäufer hatte es gehört. Geschockt war er schon und mehr konnte Aya auch nicht tun.

Und nun MUSSTE Schuldig die Gedanken des armen Mannes ändern, da er nun schon so freimütig zugegeben hatte, ein Telepath zu sein.

Aya achtete ebenso sehr nicht auf Schuldig, als er sich erhob und die Verbeugung des Verkäufers erwiderte.

„Diese Garnitur gefällt uns ausgezeichnet. Und Schuldig, du bekommst nichts außer vier Wochen Sexentzug. Und pass auf, dass Banshees Krallen sich nicht irgendwann an deinem Gemächt bedienen.“

Sprach’s und sah direkt in die Augen des Verkäufers.

Schuldig war ein sehr guter Lehrmeister.
 

Das Gesicht des Verkäufers zeigte trotzdem professionelle Höflichkeit, was Schuldigs Amüsement nur steigerte. Er blieb sitzen und wohnte dem Schauspiel bei.

„Mir gefällt dieses Rot ebenfalls sehr gut, Liebling. Wie wäre es, wenn du die Formalitäten regelst.“
 

„Wenn Sie so freundlich wären…“, wandte sich Aya ebenso professionell an den Verkäufer. Die vier Wochen wurden immer realistischer, dachte er sich, während er exakt diese Farbe und exakt diese Maße aushandelte und beim Preis schlucken musste. Es würde für ihn immer ein Rätsel bleiben, sich einen Kleinwagen als Couch in das Wohnzimmer zu stellen.
 

Schuldig hatte sich unterdessen dazu bequemt hinüber zu der Sitzgruppe aus schwarzen niedrigen Ledersesseln zu gehen. Er hatte Ran seinem Schicksal überlassen und verhandelte währenddessen mit einer Verkäuferin über den Preis. Und nicht nur darüber. Ein Flirt in Ehren …
 

Aya hatte alles mit dem Verkäufer beredet und verhandelt, hatte den Handel mit einer höflichen Verbeugung besiegelt und drehte sich schließlich um… um Schuldig zu sehen, der mit der Frau flirtete.

Da konnte es jemand nicht lassen.

Aya kam langsam auf die beiden zu und sah, wie die junge Frau erfreut lachte und Schuldig anschmachtete.

„Das ist aber lieb von Ihnen!“, kicherte sie auf ihre typisch japanisch niedliche Art und Aya hob eine Augenbraue.
 

Was Schuldig nicht sah. Vielmehr spürte er, wie Ran näher kam und hörte die langsamen Schritte hinter sich nahen.

Er heizte in den Gedanken der Frau deren Worte an, sodass sie mehr Flirtcharakter bekamen und gab sich selbst sehr interessiert. Mal sehen, wie Ran darauf reagierte.
 

„Eine sehr schöne Kombination“, mischte sich Aya in das Gespräch ein und zog die Aufmerksamkeit der Frau auf sich. Ihre Augen huschten verwirrt zu ihm und trafen auf das beste Lächeln, das Aya zu bieten hatte. Er konnte lächeln - wenn er wollte und musste und das tat er jetzt.

Charmant, bezaubernd, flirtend.

Der Teufel, der ihn ritt, war äußerst fleißig, könnte man sagen.

„Ja, ja, das ist sie, deswegen haben wir sie im Programm!“

Aya schmunzelte und deutete eine Verbeugung an. „Sie steht Ihnen… schlanke Eleganz, klare Linien… einfach perfekt.“

Aya ließ seine Stimme samtig klingen, so samtig, dass sie ihr die Röte auf die Wangen trieb.
 

Schuldig wusste zwar nicht ganz genau was Ran meinte und wie er die Sitzgruppe in Verbindung mit der jungen Frau brachte, aber er wusste, dass Ran ihm noch nie ein solches Lächeln geschenkt hatte!

Er ließ die Frau sich verneigen und sich entschuldigen. Als sie weg war, wandte er sich nachdenklich zu Ran um. „Warum lächelst du mich eigentlich nie so an?“, meckerte er und die Mundwinkel gerieten verdächtig nahe an seine bekannte Schmollversion heran.
 

Schuldig traf eben dieses Lächeln nun in seiner vollen, gewaltigen Wucht.

„Vielleicht weil du es nicht verdient hast?“, meinte Aya trocken. Dann verschwand das Lächeln jedoch wie ausgeknipst und Ayas Blick kehrte zur Normalität zurück.

„Oder vielleicht, weil es ein falsches Lächeln ist?“

Und das war es… professionell, kalt, leer. So bezeichnete er es.
 

Die Sache mit dem Verdienen brachte die Wirkung der Schwerkraft in Bezug der Mundwinkel stark hervor.

„Ein falsches?“, echote Schuldig und er verzog den rechten Mundwinkel leicht nach oben was seinem Gesicht einen skeptischen Ausdruck verlieh. „So… so“, murmelte er und legte den Kopf schief.

„Brauchen wir denn noch etwas, oder sind wir für heute fertig? Sie waren schon über zwei Stunden in dem Laden, wenn sie die Gespräche mit den Verkäufern dazurechneten.
 

„Wir brauchen noch unsere komplette Inneneinrichtung bis auf das Bett.“ Ayas Stirn runzelte sich und er hob eine Augenbraue. Es war klar gewesen, dass sie zuerst das Bett hatten…doch auf Dauer reichte es nicht.

Und er wollte es gerne schnell hinter sich haben.
 

Was Schuldig auch wollte, aber heute nicht mehr. Er hatte schlicht und ergreifend keine Lust mehr. „Der schmale Raum, der vom Schlafzimmer aus auch zu begehen ist, wird ohnehin als Kleiderschrank herhalten müssen. Dafür brauchen wir nur mehr passende Konstruktionen.“ Er war sich nicht sicher, ob dieses Geschäft derartiges auch führte und er hatte noch weniger Lust darauf, eine Sonderanfertigung machen zu lassen.

„Bevor wir uns eine Sonderanfertigung machen lassen müssen, hau ich ein paar Nägel samt der dazugehörigen Bretter an die Wand und wir sind gleich fertig mit den Schränken…“, drohte er missmutig.
 

Die zweite Augenbraue gesellte sich zur ersten. Schuldig mit Hammer und Nagel?

Das konnte sich Aya beim besten Willen nicht vorstellen! Schuldig mit Waffe in der Hand, ja. Als Killer, ja. Mit seinen Dolchen, ja.

Aber DAS?

Er lachte leise. „Hattest du schon mal einen Hammer in der Hand?“

Aber er spürte Schuldigs Unlust, den Widerwillen… es war besser, wenn sie gleich gingen.
 

„Ja, hatte ich schon, aber es waren keine Nägel die ich damit getroffen habe“, zuckte Schuldig mit den Schultern und wandte sich in Richtung Schlafzimmerabteilung. „Komm, wir fragen mal, vielleicht haben sie ja etwas Ähnliches hier.“
 


 


 


 


 

Fortsetzung folgt…

Vielen Dank fürs Lesen!
 

Liebe Grüße

Coco & Gadreel



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