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Der Glasgarten

von

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Eve

~ Eve ~
 


 

Der Zufall war ihr wichtigster Informant gewesen und um diesen Umstand grimmig lächelnd folgte sie ihm in den Flur hinein.

Es könnte auch eine Falle sein, sicherlich, aber er hatte es bisher noch nicht über das Herz gebracht, sich zu seiner Schwester umzudrehen, seinem eigenen Fleisch und Blut. Wenigstens etwas Ehre, die in Ansätzen für ihn sprach. Das war aber auch schon das Einzige.
 

Sie schloss die Tür hinter sich und verschränkte die Arme. „Bist du wieder unterwegs, um jemanden umzubringen, Bradley? Habe ich dich dabei gestört?“ Leicht war sie vom Japanischen ins Englische gefallen, ihrer beider Muttersprache.
 

Brads Haltung war steif, er erkannte wie angespannt er war und hoffte darauf, dass sie es nicht bemerkte. Die Hand, die er zur Faust geballt hatte, öffnete sich nach dieser Erkenntnis. Die so verräterischen Augen richteten sich lauernd auf ihr Gegenüber, als er sich zur ihr umdrehte.

„Was willst du hier, Eve?“, kamen die Worte eher als Anklage, denn als Frage.

„Dich sehen, was denn sonst? Aber wenn ich es mir recht überlege, könnte den CIA deine Anwesenheit in diesen Kreisen auch interessieren."

Sie kam ein wenig näher und betrachtete sich den jüngeren Crawfordspross. Blass war er, aber immer noch feindselig. Das hatte sie einmal geschmerzt, weil sie in ihm immer noch den Jungen gesehen hatte, der er einmal gewesen war, nicht den Mann, der seine Kräfte schändlich missbrauchte, weil ihn jemand vom Gegenteil überzeugt hatte. Weil ihn jemand davon überzeugt hatte, dass seine Gabe kein Gottesgeschenk war, sondern ein Werkzeug des Teufels, um der Welt Zerstörung und Verzweiflung zu bringen.

Es schmerzte sie heute auch noch, wenn sie es zugab, aber längst nicht mehr so.

Nun wusste sie, wo ihr Platz war – auf der Gegenseite ihres einst geliebten Bruders.
 

„Mich sehen.“ Wiederholte Brad monoton und hob eine Augenbraue in der gewohnt spöttisch, kühlen Art. Doch der Spott fehlte in seiner Stimme, darin lag nichts anderes als blanke Resignation und dahinter Wut, die er gut verbarg. Wut und Entsetzen über ihre Anwesenheit hier. Wie hatten sie ihn gefunden? War er so unvorsichtig geworden, dass nicht nur diese unbekannte, hartnäckige Gruppierung ihr Heim okkupierten, sondern nun auch der CIA das Letzte nehmen wollten, was er besaß: ihn selbst?

„Ich dachte nach der letzten Begegnung seist du deiner Jagd müde geworden oder bietet sich dir eine neue Aufstiegschance in der Firma?“

„Du weißt, dass sich mir wegen meiner Verwandtschaft zu dir niemals Aufstiegschancen ergeben werden", grollte sie. „Mein Makel sind du und deine Morde!"

Sie lehnte sich an die Wand, die Rechte in der Nähe ihrer verborgenen Waffe. „Meine Jagd? Oh nein, der werde ich nie müde… irgendwann habe ich dich und dann kann der CIA entscheiden, was mit dir und deinen Kräften passiert, damit du deine gerechte Strafe erhältst für die Morde, die du begangen hast!" Sie sah, wie angespannt er war, wie aufgewühlt, dazu kannte sie ihn zu gut. Das befriedigte sie, denn eine Zeit lang war er es gewesen, der ihr schlaflose Nächte und Wochen der Verzweiflung gebracht hatte.
 

Aya hatte sich währenddessen auf die Plattform begeben und fand Crawford nicht. Da es aber nur eine Treppe hinunter gab, konnte er sich denken, wohin der andere verschwunden war… allerdings konnte er sich nicht denken, warum.

Er hatte ein seltsames Gefühl bei der Sache und folgte diesem Instinkt. Was, wenn irgendetwas mit dem Orakel war? Wenn irgendjemand von ihren Feinden aufgetaucht war?

Aya strebte auf den Notausgang zu und öffnete ihn, kam in einen längeren Flur… wo Crawford stand mit einer Frau.

Oh.

Sein Blick glitt zu dem Amerikaner und bemerkte wiederholt, dass etwas nicht stimmte. Die Tür schloss sich leise hinter ihm.
 

Brad machte ein verächtliches Geräusch und wandte sich so, dass er sie gut im Auge behalten konnte, bemerkte dabei aber auch, dass jemand an der Tür im Schatten stand und sie beobachtete. Er sagte nichts, denn er erkannte die schmale stille Gestalt.

Er konnte nur hoffen, dass er ihr Gespräch nicht hören konnte.

„Gerade wegen deiner…Verbindung zu mir sind deine Aufstiegschancen immens hoch“, sagte er spöttisch.

„Das Gegenteil zu behaupten ist eine glatte Lüge. Oder meinst du, dass deine ‚Freunde’ mich einfach umbringen würden? Sich meines Talentes einfach so entledigen? Wach auf!“

Er wurde wütend und seine Augen hellten sich ob dieser Wut eine Nuance auf.

Sie machte ihn wie stets wütend, diese Gnadenlosigkeit in ihrem fanatischen Eifer für Gerechtigkeit und das Gute in dieser Welt. Wut, die eine alte Wunde aufriss, das zarte Gespinst der Heilung mit Klauen hinwegfegte.

Er hatte in seiner Arroganz tatsächlich gedacht, er hätte diese Wut überwunden, die alte Trauer, die alte Angst vor der Andersartigkeit, vor ihrem… bigotten Glauben überwunden. Doch er hatte sich getäuscht. Kalte, böse Wut, so rein und elementar, dass sie selbst in seinen Augen dermaßen stark zum Ausdruck kam, dass sie seine Aura veränderte und sie düster und unhaltbar… anders erscheinen ließ.

Diese Gefühle erschwerten ihm sein Denken, sie drohten ihn zu überwältigen und seine Kälte zu Nichte zu machen.
 

„Oh, dass sie dich nicht töten wollen, weiß ich nur zu genau. Sie wollen dich um zu morden, natürlich! Weil sie dich dafür brauchen, Massenmörder zu töten, Verbrecher, so was, wie du es jetzt bist! Wie du es früher nie warst!" Ihre Stimme hallte wütend durch den Gang zu Aya und er trat näher an die beiden heran, wurde schließlich auch von ihr bemerkt.

Sie verstummte und wandte Aya ihren Kopf zu, taxierte ihn unfreundlich. Violette Augen maßen sie emotionslos, kamen von einem nicht alltäglichen Japaner. Irgendwoher kam er ihr bekannt vor, doch sie konnte ihn nicht genau einordnen.
 

„Sie sollten weitergehen, diese Unterhaltung ist nichts für Sie", sagte sie in barschem Ton, wechselte, als wäre nichts gewesen, wieder ins Japanische zurück, und sah, wie er kurz die Augenbraue hob.
 

„Tatsächlich nicht? Ich wollte aber zu diesem Gentleman dort." Er deutete auf Crawford und Eve sah den älteren der beiden Männer dunkel an. Ihre Hand lag nun offensichtlich auf ihrer Waffe, da sie nicht wusste, was sie von dem Neuankömmling zu erwarten hatte.
 

„Das ist es also, was dich so beschäftigt. Es ärgert dich maßlos, dass sie jemanden wie mich besser stellen würden als du es je warst. Trotz harter Arbeit, trotz deines strebsamen Eifers nach oben zu kommen, würden sie so einen wie mich schneller empor heben als du es jemals schaffen würdest.“

Der beißende Spott in seiner Stimme war mit spitzer Arroganz getränkt. „Nimm deinen kleinen, strebsamen Hintern und pack ihn aus meiner Sicht, Eve. Oder willst du mich hier niederschießen, vor all den Augen dieser „ehrenwerten Gesellschaft?“ Es kostete ihn einiges an Willenskraft nicht einfach zu gehen. Sie hatte die Hand an der Waffe und vermutlich war seine einzige Rettung Ran, der dort stand und sie nicht aus den Augen ließ.
 

Lachen hallte wie Speerspitzen durch den stillen Gang, direkt auf Crawford gerichtet.

„Du weißt selbst am Besten, dass ich mir nie deine Kräfte gewünscht habe und dass ich nie auf dich eifersüchtig war. Du weißt genauso gut, dass ich deine Art zu töten verachte, wie du deine Gabe einsetzt, die dir von Gott gegeben wurde! Du und dein Team mordet euch durch ganz Japan, hinterlasst eine blutige Spur von Unschuldigen!"Sie wandte sich an den unbekannten Mann. „War Ihnen das bewusst, gehören Sie auch zu ihm?"
 

„In gewisser Weise ja…", erwiderte Aya und kam einen Schritt näher, sah nun auch ihre Waffe. Seine Waffe war in seiner Reichweite und wenn sie etwas versuchen sollte, würde er Crawford schützen. Komisch, denn früher hatte er immer ein gegenteiliges Ziel gehabt.
 

„Dann wissen Sie sicherlich auch, dass er keine Skrupel hätte, mich umzubringen… ganz im Gegensatz zu mir, die durchaus Skrupel hat, diesen Mann umzubringen." Eves Stimme enthielt einen kleinen Stich an Enttäuschung, die neben der Wut korrelierte.

„Wer sind Sie?", fragte Aya misstrauisch und war vorsichtig, als er ihre Waffe bemerkte.

„Eine ehemalige Freundin unseres Orakels. Und Sie?"

„Ein Arbeitskollege."
 

Brad wurde das langsam zu viel. Es war wie immer das gleiche Gerede, die gleichen Phrasen, die sie drosch.

Er spürte den Hass in sich, den er durch kühlen Spott und kalte Arroganz in sich gefesselt hatte, so deutlich wie lange nicht mehr. Als würden Schauer heißer Nadeln in ihn stechen so fühlte er dieses unerträgliche Gefühl des Hasses in sich aufkommen, wo er doch geglaubt hatte diesen Punkt überwunden zu haben.

Nur war die Ursache dafür immer noch in dieser Welt und offenbar hatte sie ihn zumindest zu einem Teil hier gefunden. Es war zu viel.

Zu viel Gerede, zu viele Zuhörer. Er wollte nicht, dass der Japaner hier war und er wollte nicht, dass diese Frau aus seiner Vergangenheit – dieser Schatten – mit ihm redete. Dieses Gespräch entwickelte sich zu einer Farce. Es hätte nie stattfinden dürfen…

Und plötzlich fragte er sich…

„Was willst du hier in Tokyo? Spar dir deine Lügen. Deine Abteilung beschäftigt sich nicht länger mit mir. Nicht vordergründig.“ Jetzt da er seine… Furcht… und sein anfängliches Entsetzen über ihr Hiersein in andere Bahnen lenken konnte… jetzt war er wieder fähig, klarer zu denken.

Vielleicht war es der Rotfuchs, der es möglich machte.
 

„Als wenn es dich etwas angeht, Brad. Ich frage dich schließlich auch nicht nach deinem neuesten Job.“ Sie lächelte kalt und in dem Moment bemerkte Aya etwas, dessen er sich vorher nicht bewusst gewesen war.

Irgendetwas existierte zwischen den beiden, auch wenn er nicht genau greifen konnte, was es war. Die Art, wie sie mühelos in ihre Muttersprache verfielen, wie sie sich zueinander positionierten…

„Crawford, es ist an der Zeit, wir sollten gehen“, sagte Aya in der Hoffnung, sie beide aus dieser Situation zu bringen. Denn er hatte Crawfords Unwohlsein nicht vergessen und auch ihre Waffe zeugte nicht gerade von Ungefährlichkeit… doch er brauchte auch Antworten, denn diese Frau war in der Lage, ihren ganzen Ablaufplan der nahen Zukunft durcheinander zu bringen, je nachdem, welcher Organisation sie angehörte.
 

Brad sagte nichts. Er nickte, während er den Blick unverwandt auf Eve gerichtet hielt, auf diese ihn hart ansehenden Augen, aus denen er nichts lesen konnte.

Warum war sie hier?

Sie war hier erschienen wie ein Racheengel aus der Vergangenheit, die Hand an der Waffe… und doch…

Er konnte den Gedanken, der in ihm Form annahm nicht greifen, zu schemenhaft war er.

Wortlos wandte er sich ab und ging an ihr und dann an Ran vorbei, öffnete die Tür und verließ den Korridor, verließ die klinische Atmosphäre, den Schatten, der ihm gefolgt war. Er war wieder auf der Party, deren summende Geräuschkulisse ihm entgegenschwappte und ihn wieder in die unwirkliche Welt zog, die sich seine Gegenwart nannte. Er verließ den unmittelbaren Raum um den Notausgang.

Das Geländer der Galerie lag vor ihm und er wartete bis Ran neben ihn trat. Sie mussten Schuldig finden. Wenn Eve nicht alleine hier war…
 

Eve sah den beiden hinterher, die Hand immer noch an ihrer Waffe, die sie nun wieder versteckte. Sie hasste ihn, sie hasste ihn… sie hasste ihn dafür, dass sie ihn hasste. Er war schließlich für lange Zeit ihr Vorbild gewesen. Derjenige, den sie als Kind und auch als Jugendliche für seine Stärke und Aufrichtigkeit bewundert hatte, wenngleich er jünger als sie gewesen war. Und nun? Nun war aus ihm ein Monster geworden!

Sie wartete noch einen Moment, dann betrat sie die Party durch den gleichen Notausgang wieder und mischte sich erneut unter die Menschenmenge.
 

Aya stand währenddessen neben Crawford und besah sich das Profil des Älteren, das ihm verschlossen und dennoch angefüllt mit Emotionen schien.

„Wer war das und welche Art von Gefahr stellt sie für uns dar?“, fragte er schließlich ruhig und richtete seinen Blick geradeaus, suchte nach Schuldig und auch nach weiteren Gefahren.
 

Brad wandte sein Gesicht Ran zu, als müsse er wissen, wen er vor sich hatte und ob er diesem trauen könne.

Er setzte sich in Bewegung und sie gingen auf die andere Seite der Galerie, die einen besseren Blick auf die Party bot und eine kleinere Bar hatte. Er ließ sich einen Whiskey geben und nahm einen Schluck.

„Hier ist etwas im Gange“, sagte er unbestimmt und ließ seinen Blick erneut zu Ran schweifen, über ihn hinweg und dem was hinter ihm vorging. „Sie ist eine Agentin des CIA. Sie operiert im asiatischen Sektor. Und ihr Auftauchen lässt den Verdacht zu, dass ihr Standort hier gefährdet ist. Doch durch was… oder wen…?“
 

„Etwa durch unsere Gegner…?“ Es schien alles nur zu logisch, beängstigend einfach logisch. Aya bestellte sich ein simples Wasser mit Eiswürfeln, denn er brauchte einen klaren Kopf und keinen weiteren Alkohol.

„Sie gehört der CIA an? Doch du kanntest sie persönlich… hattest du vorher schon einmal mit ihr Kontakt?“ Das passte zu dem, was Schuldig ihm vor längerer Zeit über den Amerikaner erzählt hatte. „Ich habe gehört, dass der CIA Interesse an dir hat… wie groß ist die Chance, dass sie dich hier überwältigen und für ihre Zwecke missbrauchen?“
 

Brad fand langsam zu sich selbst zurück, aber er war weit mehr von innerer Unruhe erfasst als er nach außen hin zeigte. Ran schien viele Fragen zu haben. Das brachte Brad sogar zu einem müden spöttischen Lächeln.

„Ziemlich viele Fragen auf einmal, Rotfuchs. Gibt es eine, die ich dir als erstes beantworten soll?“

Er ließ seinen Blick über die Menge schweifen und erkannte Eve wie sie sich mit einem Japaner unterhielt. Zweifellos einer ihrer Kollegen.
 

„Wenn du so nett wärst, BRAD, dann die letzte. Inwieweit ist es möglich, dass du von ihnen entführt wirst und Schwarz als kompetentes Orakel verloren gehst? Dann, wenn du noch genug Kraft hast, wäre die Frage, was sie eigentlich ist – Ehefrau, Geliebte, Mutter, Schwester, Cousine… was auch immer, an der Reihe.“

Aya lächelte charmant mit einem kalten Einschlag, jedoch leicht spöttisch, da er die Unruhe und Erschöpfung des anderen bemerkt hatte.
 

„Ob ich von ihnen entführt werde. Und ob ich Schwarz als Orakel verloren gehe, unterscheidet sich von deiner ersten Frage, die lautete: ob sie mich hier überwältigen. Dazu kann ich sagen, dass dies nicht passieren wird. Was in der näheren oder ferneren Zukunft geschehen wird weiß ich erst, wenn ich eine Vorhersehung derer empfange, oder genügend Daten für eine Wahrscheinlichkeitsrechnung erhalte. Allerdings stehen die Chancen vermutlich höher, dass ich vorher sterbe." Er nahm einen Schluck aus dem Glas. „Meine Ex-Frau und sie ist sauer weil ich sie und die drei Kinder verlassen habe." Er beachtete Ran für einen Moment nicht, weil er Schuldig gesehen hatte und ihm mit dem Blick durch die Menge folgte.
 

„Genau, weil du sie für mich verlassen hast um dein Dasein in meinen exklusiven Gemächern als Fucktoy zu fristen." Aya nickte und lächelte tiefgründig.

„Verarschen kann ich mich alleine, Crawford.“ Es bestand also keine akute Gefahr, das war doch schon mal beruhigend. Was nicht beruhigend war, dass sie Schuldig nicht finden konnten. Hoffentlich war dieser nur mit dieser Frau irgendwo hin verschwunden um ihn eifersüchtig zu machen.

Hoffentlich.

„Ganz davon ab sollten wir aber Schuldig suchen… hast du eine Ahnung, wo er sein könnte?"
 

Offenbar teilte der Rotfuchs die gleiche Sorge wie er um Schuldigs Wohlbefinden.

„Er ist dort unten und scheint keine großen Ambitionen zu haben uns zu suchen, sonst hätte er längst Kontakt aufgenommen. Er küsst gerade meiner gutherzigen Schwester die Hand“, sagte Brad ruhig.

„Ich denke, er weiß um die Gefahr.“

Brads Lippen verzogen sich zu einem bösartigen Lächeln, welches seine Genugtuung widerspiegelte. Schuldig spielte gern mit dem Feuer, vermutlich hatte er nun auch gelesen, dass dies seine Schwester war und amüsierte sich ein bisschen.
 

Seine Schwester also. Und Agentin der CIA. Was war damals vorgefallen?

Die Tatsache, was sie war, überraschte Aya nicht so, wie es eigentlich der Fall sein sollte, denn darin fand er seinen kurzweiligen Eindruck von vorhin bestätigt, dass die beiden sich intensiv kannten. Er hatte insgeheim auf Freundin oder Ehefrau getippt, doch Schwester entsprach dem auch.

Der rothaarige Japaner folgte dem Blick des anderen und grollte. „Er kann es mal wieder nicht lassen", schüttelte Aya den Kopf und besah sich die Szene, war aber auch stolz auf den Telepathen, wie er die Situation augenscheinlich meisterte und sie an die Wand spielte, ihr keinen Rückzug mehr ließ, was ihr selbst im Dämmerlicht deutliches Unbehagen verursachte.

Auch wenn sie Recht hatte, mit dem, was sie Crawford vorgeworfen hatte. Das Töten von Unschuldigen war schon immer seine größte Kritik an Schwarz gewesen. Sie hatte Recht, doch was, wenn sie ihren eigenen Bruder gejagt hatte? Was, wenn sie diejenige der CIA gewesen war, die Crawford fast als Versuchsobjekt gefangen hätte?

Aya wusste es nicht und hatte das dringende Bedürfnis, Crawford nach Informationen auszufragen, die wichtig sein könnten.
 

Während Brad sein Glas leerte und seinen Blick unverwandt auf die Szenerie zu ihren Füßen gerichtet hielt, tobte in seinen Gedanken ein Kampf um Erinnerungen, die er glaubte losgeworden zu sein. Offenbar hatte er sich getäuscht, wie er zynisch lächelnd feststellte.
 

„Wie kommt man dazu, sich als Geschwister so zu hassen?“, fragte Aya nach einer Weile mit ehrlichem Interesse, da auch seine Neugier durch die Frau geweckt worden war. Es war wenigstens ein Fitzel an Information im dunklen Geheimnis Crawford.

Gut für Aya, dass dieser Mosaikstein an die Oberfläche getreten war, schlecht für Crawford, der ihn lieber gar nicht preisgegeben hätte vermutlich.

„Der Herr Psychologe scheint ja aus den wenigen Gesprächsfetzen - für seine Analyse über mich - sehr viel herausgelesen zu haben. “ Brad lachte leise auf. Ein freudloser Ton.

„Ich hasse sie nicht. Sie ist mir gleichgültig geworden.“ Er stellte sein leeres Glas ab.
 

Aya dagegen hob eine Augenbraue, wandte seinen Blick aber nicht von der Menge ab und schon gar nicht von seiner Schwester. Ein lebendes Stück Vergangenheit des Bradley Crawford.

„Wenn sie dir gleichgültig geworden ist, warum bist du dann so wenig erfreut, sie zu sehen? Warum haben dir dann ihre Worte nicht gepasst?“, fragte er mit einem leicht angedeuteten Lächeln und ließ seinen Blick kurz nach links zu den Augen des Amerikaners schweifen.
 

Brad ließ sich dazu herab Ran einen wirklich kühlen Blick zu zuwerfen, bevor er sich ein neues Getränk geben ließ, dieses Mal mit weniger Alkohol.

„Weil sie gefährlich ist.“ Sie machte ihn schwach und unvorsichtig, rollte Dinge auf, die er vergessen wollte, Menschen, die er vergessen glaubte. Gesinnungen, die er nicht teilte.

Er fand es mehr als merkwürdig, den Japaner so redselig und so wissbegierig neben sich stehen zu haben. „Wieso sollte ich Luftsprünge machen, wenn der CIA mir auf den Fersen ist?“ Es war eine rein rhetorische Frage und er erwartete - nein er wollte keine Antwort darauf.
 

Doch wie es Aya schon immer mit Crawford gehalten hatte, bekam dieser genau das, wonach er nicht verlangte.

„Das ist die Crux mit gefühlsbehafteten Gegnern, nicht wahr? Man kommt nicht von ihnen los, auch wenn man das nur allzu gerne möchte“, erwiderte Aya kryptisch und wandte sich Crawford zu, maß den anderen Mann mit neutralem Blick.

Seltsam, dass ihm ausgerechnet hier noch einmal bewusst wurde, dass auch Crawford eine Vergangenheit besaß, die ihn so geprägt hatte, wie er heute war. Gemäß Ayas Theorie, dass niemand böse zur Welt kam, stellte sich ihm hier die Frage, was alles zur Persona Crawford geführt hatte… unter anderem auch diese Frau.

Das waren Gedanken, die früher völlig unnötig gewesen waren. Selbst dann noch, als er längst mit Schuldig zusammenlebte, hatte er den Amerikaner ignorieren können. Doch nun stellte sich die Option nicht.

Crawford und Schuldig waren sich zu nahe, als dass es weiterhin zu Anfeindungen zwischen ihnen beiden kommen könnte… zumindest zu offenen Anfeindungen. Das, was sie hier betrieben, war Aya willkommen, denn trotz allem vergaß Aya nicht, was Schwarz, im Speziellen Crawford Weiß und damit auch ihm über die Jahre hinweg angetan hatte. Wie sehr er den Amerikaner gehasst hatte schon seit ihrem ersten Zusammentreffen bei dem menschlichen Schachspiel.
 

Doch wenn Schuldig mit dabei war, wurde ihm umso bewusster, dass es auf Dauer nicht zu Anfeindungen kommen konnte… nicht mehr. Es würde Schuldig mehr wehtun als alles andere.

Aber es würde ein langer, harter Weg werden.
 

Brad musste einige Augenblicke über die Worte nachdenken, die ihm mit ruhiger Stimme zugetragen wurden. Sein Blick verlor sich auf dem Gesicht der Frau.

Schuldig entfernte sich von ihr und Brad verfolgte dies mit wachsamem Blick.
 

Augenscheinlich beachtete Aya Schuldig nicht, um es nicht zu auffällig werden zu lassen, dass sie beide den Feuerschopf kannten. Lieber ließ er seinen Blick erneut über die Menge streifen und versuchte Anzeichen einer Gefahr zu erkennen, die sich jedoch immer noch nicht finden ließen.

Crawfords für die CIA arbeitende Schwester... eine ihn hassende Schwester. Das war nicht gut, das konnte zu noch mehr Problemen führen.
 

Der Amerikaner wandte sein Gesicht von der Menge dort unten - wo er gerade mitverfolgt hatte wie Eve den Loungebereich einen Besuch abstattete, mit einem Industriellen im Schlepptau – Schuldig zu, der gerade angekommen war und hob fragend eine Augenbraue. Fragend vor allem ob des nervösen Gezappels, das dieser an den Tag legte. Er lehnte sich an die Absperrung, löste sich wieder von dieser…
 

‚Diese Frau von eben…’, fing Schuldig ein Gespräch per Telepathie an und stellte sich neben Brad, mit einem gewissen Abstand, sodass Ran sich nicht abgedrängt fühlte.

‚Was ist mit ihr…?’

‚Sie… schien wütend zu sein.’

‚Ja und? Wütende Frauen sollten dir doch keine Rätsel aufgeben?’

‚Haha, sehr witzig.’

Schuldig schwieg einen Moment, seine Knöchel traten weiß hervor. ‚Sie ist so wütend weil sie deine Schwester ist. Und sie plant etwas. Offenbar ist sie hier weil sie hinter einer großen Sache her sind. Und sie dachte dabei unter anderem an dich.’
 

Brad glaubte gegen eine Wand gelaufen zu sein. Eine undurchsichtige, übel riechende Wand, die ihm die Luft mit ihrem Gestank nahm. Er stand lediglich da und starrte Schuldigs Profil an.

Es wunderte ihn nicht, dass der CIA hier zugegen war, allerdings irritierte ihn die Tatsache, dass Eve sich der Sache offenbar persönlich angenommen hatte. Und er fragte sich deshalb auch, weshalb nach so langer Zeit ausgerechnet zum jetzigen Zeitpunkt erneut Jagd auf ihn gemacht wurde.

‚Bist du sicher, dass sich dieser wie auch immer geartete Plan gegen mich persönlich richtet?’, fragte Brad kühl nach, sein durchdringender Blick lag kurz auf dem Gesicht des Deutschen, als würde er es vermessen wollen.
 

Schuldig kam sich vor als würde Brad ihn mit diesem Blick auseinandernehmen wollen.

‚Sicher bin ich mir nicht. Die Zeit reichte nicht aus um sie vollständig zu scannen. Es ist nur sicher, dass sie hier ist und du gehörst mit zu ihrem Interessengebiet. Da sie deine Schwester ist und ihr euch vor einigen Augenblicken gesehen habt liegt es nahe, dass sie alte Geschichten neu aufwärmen möchte und du spielst vielleicht keinerlei Rolle in dem was sie hier zu tun beabsichtigt.’
 

Brads Kiefer spannten sich an. Es war besorgniserregend wenn Eve hier aufkreuzte, zu einem Zeitpunkt der denkbar schlechter nicht hätte sein können. Sie war für ihn gefährlich und das aus verschiedenen Gründen.
 

Dass Schuldig und Crawford per Telepathie kommunizierten, sah Aya nur zu deutlich, bevor er das nun leere Glas abstellte und einer der Kellnerinnen einen kühlen Blick zuwarf. Sie lächelte professionell, verbeugte sich leicht und entschwand dann aus der Nähe ihres Dreiergespanns.

Er lehnte sich über die Brüstung.

„Wir sollten gehen“, sagte er leise, jedoch laut genug für seine beiden Begleiter.
 

„Bleibt noch eine Weile, bis ich gegangen bin. Ich treffe euch in der Parallelstraße, vor dem Shop. Holt mich dort ab.“

Brad verließ die Bar und kurz darauf die Galerie. Sie mussten die Party getrennt verlassen. Eve und ihre Kollegen hatten mit Sicherheit ein Auge auf Schuldig und Ran geworfen. Schade, dass sie nicht Nagi mit seinem technischen Know-how dabei hatten. Brad interessierte sich für diejenigen, die ihm folgen würden.
 

Schuldig trat nahe an die Brüstung heran. Sein Blick war geradezu gierig zu nennen, als er über die unter ihm wogende Menge glitt.

Für einen Moment schloss er die Augen, nur um ein geistiges Bild der Menge unter sich zu erstellen. Jeden einzelnen Verstand dort unten suggerierte er, dass Ran und er hier oben nicht vorhanden waren und bei denjenigen, deren Interesse über das übliche Maß hinaus ging verweilte er einen Wimpernschlag länger. Dennoch reichte seine Konzentration nicht aus um mehr als Oberflächliches zu erfahren. Es waren vier CIA Agenten vor Ort und nur Brads Schwester hatte als einzige Kenntnis von Brads Anwesenheit.

Einer der Agenten wollte Brad zur Garderobe folgen, als er ihn erkannt hatte, wurde aber durch Eve abgezogen. Sie waren nicht hinter Brad direkt her…
 

„Lass uns gehen“, sagte Aya nachdem zehn Minuten vergangen waren und wandte sich zum Gehen. „Ich folge ihm nach draußen und du kommst als Letzter nach?“ Sie mussten sich unbedingt an die weitere Planung setzen, besonders jetzt.
 

„Nimm den Ausgang über das Parkdeck, ich folge dir in ein paar Minuten.“ Er wollte lediglich Rans ‚Abreise’ sicherstellen. „Die Jungs vom CIA werden mit Sicherheit im Parkhaus ihre Beobachter haben.“ Wie gut, dass sie ihren Wagen nicht hier geparkt hatten, sondern in einer privaten Tiefgarage, die sie für solcherart Einsätze in dauernder Mietung hatten.

„Ich hol den Wagen.“
 

Aya nickte. „Sei vorsichtig“, wisperte er und folgte Schuldigs Worten. Immer vorsichtig, eine Hand an der gut versteckten Waffe, damit er im Ernstfall wenigstens eine minimale Chance gegen Angreifer hatte. Doch das Parkdeck war ruhig, es kamen ihm nur wenige Menschen entgegen, keiner von ihnen in feindlicher Absicht.

Doch gerade diese Menschen verdeutlichten Aya mehr als alles andere, dass sie von hier weg oder die Gefahr bannen mussten. Aya wusste, dass er niemandem mehr trauen konnte außer seinen Freunden und bedingt auch Schwarz, weil sie den gleichen Feind hatten.

In besagter Parallelstraße traf er im Schatten auf Crawford und nickte ihm schweigend zu. Jetzt fehlte nur noch Schuldig.
 

Sie warteten.

Zehn lange Minuten. Es hätte weniger gebraucht um den Wagen zu holen, es sei denn, Schuldig hatte eine spontane Idee beschlichen. Bevor sich Brad jedoch begann Sorgen zu machen, hielt der Wagen neben ihnen und sie stiegen ein.

„Du bist spät“, sagte Brad als er die Beifahrertür schloss.
 

Schuldigs Blick ging kurz in den Rückspiegel, bevor er losfuhr. Er zuckte unbekümmert mit den Schultern. „Ich wollte Rans Abzug sichern.“
 

Brads Blick ging aus dem Fenster. Die beleuchteten Gebäude und Straßenzüge zogen an seinen Augen vorbei, seine Gedanken waren jedoch weit vom hier und jetzt weg. Er dachte grundsätzlich nicht zu viel an die Vergangenheit, sein Spezialgebiet waren die Gegenwart und die Zukunft in Kombination. Jetzt jedoch konnte er sich von dem was war nicht losreißen.

Aya hatte auf dem Rücksitz Platz genommen und nachdem er einen kurzen Blick mit Schuldig gewechselt hatte, blieb er stumm, starrte aus dem Fenster in die Nacht hinein.

„Vielleicht sollten wir Japan verlassen“, sagte er schließlich in die Stille hinein.

Schuldig warf Ran einen fragend, skeptischen Blick zu, der so viel bedeutete wie: schlechte Idee, Honey, zum schlechtmöglichsten Zeitpunkt und überhaupt absolut indiskutabel. Die Lichter der Stadt begleiteten ihren Weg, Songs vom Miami Vice Soundtrack umschmeichelten ihre Ohren. Vor allem die Band Mogwai hatte es ihm darauf angetan. Er hatte sich erst vor ein paar Tagen seinen Player neu bespielt und die alten Songs mit raufgepackt. Schon zu Zeiten als sie Weiß geärgert hatten liebte er es bei ihren Unternehmungen Musik in seinen Ohren zu haben. Soundtracks hatten ihm dabei immer die nötige akustische Untermalung gegeben. Klassik war dabei auch nicht zu verachten. Wobei Schuldig tatsächlich bezweifelte, dass außer ihm irgendjemand hier im Wagen die Musik zu würdigen wusste. Ran dachte ans weggehen, Brad… vermutlich an seine Schwester.

Brad hörte die Worte nicht. Er war bereits damit beschäftigt Nagi gedanklich Anweisungen zu geben, wie dieser seine Nachforschungen gestalten sollte, nur um sie im nächsten Moment wieder zu verwerfen.

Eve war hier. In Tokyo. In seiner Stadt.

Das hatte sie noch nie getan. Sie war noch nie auf seine Seite des Schlachtfeldes getreten.

Sie hatte sich nicht viel verändert. Ein paar Augenfältchen mehr. Lachfalten um den Mund. Sie wurde… ihrer Mutter immer ähnl…

Er brach den Gedanken ab.
 

Aya hatte den Blick sehr wohl gesehen. Er seufzte innerlich. Was sollten sie auch anderes tun? Wenn nun auch noch die CIA auf dem Plan stand, zusätzlich zu ihrem unbekannten Feind, dann wusste er nicht, wie sie zu fünft gegen diesen übermächtigen Gegner ankämpfen sollten.

Schweigend fuhren sie schließlich durch Tokyo und Aya schloss die Augen, versank in seinen eigenen Gedanken.
 

Schuldig kam der Weg bis zu Brads Wohnung lang vor. Er mochte den Gedanken nicht, dass Brad alleine hier nächtigen sollte.

Die Gesprächsstille, die im Wagen während der Fahrt Einzug gehalten hatte hielt auch an als sie in die Tiefgarage einfuhren und Brad ausstieg. Schuldig wollte ihn hochbegleiten.

„Wartest du hier… oder kommst du mit?“, fragte Schuldig leise zu Ran gerichtet, er lehnte sich an die geöffnete hintere Tür an, blickte Brad nach.
 

„Ich komme mit“, erwiderte Aya nach einigem Nachdenken. Er verspürte wenig Lust dazu, hier unten zu warten, besonders nicht aufgrund des unguten Gefühls, das ihn beschlich. Sein Instinkt riet ihm, nicht alleine hier zu bleiben.

Er stieg aus. Diese Wohnung kannte er schon... damals hatte er Crawford zu Schuldig gebracht.

„Außerdem kann der alte Mann sicherlich nicht alleine die Treppe hoch. Alleine schon deswegen müssen wir ihn begleiten.“ Leichter Humor tränkte seine Stimme.
 

„Sag ihm das bloß nicht in seiner jetzigen Stimmung“, knurrte Schuldig gespielt übellaunig und schloss die Tür nachdem Ran ausgestiegen war.

Er öffnete die andere Seite des Wagens, nahm sein Jackett an sich und schloss zu Ran auf, der Brad gefolgt war. Dieser wandte sich am Aufzug um, da er offenbar ihre Schritte gehört hatte. Sein Gesicht gab Schuldig leider keine Auskunft über Zustimmung oder Ablehnung ihres Vorhabens.

„Was wird das? Habt ihr nicht noch etwas Dringendes zu erledigen?“ Brads Tonfall war so klirrend kalt wie Rans Katana scharf war.

Schuldig zuckte mit den Schultern und schulterte sein Jackett. „Du willst uns wohl loswerden, was?“

„Richtig“, sagte Brad mit entwaffnender Ehrlichkeit.
 

„Worin du noch nie sonderlich erfolgreich warst“, kam es nun von Aya und fasste um Crawford herum zum Bedienpult, um den Aufzug zu holen. Dabei lächelte er stygisch, parierte die Kälte des Amerikaners mit seiner eigenen.

„Und nein, wir haben nichts Dringenderes zu erledigen.“
 

Schuldig spitzte hinter Brad die Lippen und machte ein fragendes, geradezu lächerlich komisches Gesicht in Richtung Ran. Seine Lippen formten die Worte: Bist du dir sicher?

Er wackelte mit den Augenbrauen als der Aufzug ankam und Brad ihn betrat. Er betätigte eine der obersten Stockwerke.
 

Aya begegnete Schuldigs Blick mit einem entschuldigenden Schulterzucken. Ja natürlich hatte er gelogen, er könnte sich schließlich zehn bessere Dinge vorstellen, die im Moment dringlicher waren und eines davon war sicherlich Schuldigs Hintern, aber wie dem so war, trug er nun Verantwortung für das Seelenheil seines Zackelschafes auch in die andere Richtung. In die Richtung Crawford, dem es nicht gut ging. Schuldig jetzt von ihm zu lösen, hätte etwas Grausames.

So gab sich Aya jede Mühe, mit dem Aufzug zu verschmelzen um seine Feldstudie „Scheues Menschenmännchen Crawford“ weiter zu betreiben.

Der Aufzug hielt an.

Sie stiegen aus und Brad wandte sich nach links um den Korridor hinab zu gehen. Wie gewohnt tastete Schuldig die Umgebung nach Individuen ab. Doch es war niemand auf dieser Etage.

„Wie viele Wohnungen gibt’s hier?“, fragte er neugierig und sah sich um, während Brad die Sicherheitscodes eingab um seine Wohnung zu öffnen.

„Zwei.“

„Aha“, meinte Schuldig lediglich. Brad ließ es sich also heimlich gut gehen, wenn er die Schnauze voll von ihnen hatte. So war das also.
 

Sie betraten die Wohnung und Brad sah sich zunächst um. Als er die Wohnung für sauber hielt, checkte er die Überwachungsvideos und löschte sie danach. Nagi hatte in allen Räumen aus unterschiedlichen Winkeln Überwachungskameras installiert, die einen geschlossenen Kreislauf hatten und von außen nicht zu hacken waren. Nur Brad selbst konnte sie kontrollieren.

Schuldig sah sich unterdessen ebenfalls um. Er betrat den großen Wohnraum und saugte sich sofort an der großartigen Kulisse der Stadt fest.
 

Aya war gar nicht aufgefallen, dass diese Wohnung so kühl eingerichtet gewesen war. Konnte auch sein, dass er das bei seinem letzten Besuch nicht beachtet hatte, weil es da andere Dinge gab, die wichtiger waren.

„Möchte jemand Kaffee?“, fragte er unverschämt in die Stille hinein, als es absehbar war, dass Crawford ihnen keinen anbieten würde und machte sich auf den Weg in die Küche, in der Hoffnung, dort etwas Trinkbares zu finden.
 

„Ich würde etwas ganz anderes bevorzugen“, erwiderte Schuldig und es war eindeutig, dass er damit nicht unbedingt etwas zu Trinken meinte. Allerdings war es auch nur Geplänkel, ein Flirt. Er war nicht wirklich hinter Ran her. Heute nicht. Aber es machte wie immer Spaß so zu tun, als ob er auf der Jagd wäre.

Es lag ihm im Blut. Irgendwie.

Brad kam aus dem Überwachungsraum heraus und trat zu ihnen. Er öffnete einen der Schränke und holte sich eine Flasche Scotch hervor und ein Glas. Nachdem er sich eingeschenkt hatte, nahm er das Glas mit und verschwand im Badezimmer. Wenig später hörten sie die Dusche.
 

Mit einem äußerst sparsamen Blick auf Crawfords Abgang, grinste Aya schließlich in Schuldigs Richtung.

„Was anderes? Hier? Vor seinen Augen? Das hältst du für eine gute Idee? Lebensmüde, oder was?“, motzte er und drehte sich zur Kaffeemaschine um. Kaffee war da, Milch nicht, Zucker aber wieder. Wenigstens etwas.

Er brühte Kaffee auf – in stillschweigender Bewunderung des Kaffeevollautomaten edelster Herkunft – und kam dann auf Schuldig zu.

„Obwohl... warum nicht? Der gewisse Kick...“ Sein Lächeln war mehr als hinterhältig zu bezeichnen.
 

Während die beiden unverbesserlichen Turteltäubchen ihren verbalen Schabernack weiter trieben, stand Brad unter der Dusche und war in gänzlich anderer Stimmung.

Er ließ sich das warme Nass über den Rücken laufen und versuchte die Gedanken an die Vergangenheit zurückzudrängen. Doch zu wissen, dass seine Schwester hier in seiner Nähe war ließ ihn innerlich frösteln. So lange hatte er seine Familie für sich als Tod erklärt und nun tauchte plötzlich ein Teil von ihr auf. Gedanken an seine Eltern drängten sich ihm auf und er versuchte sie sich vorzustellen, wie sie nun wohl aussehen würden.

Er scheiterte schon beim Versuch. Es war zu lange her. Nicht mehr seine Welt.

Einerlei.

Er unterdrückte einen Fluch und stellte die Dusche ab, nahm einen Schluck Scotch und begann damit sich abzutrocknen und sich leger zu kleiden.

Ihm behagte der Gedanke, dass die zwei ‚Roten’ hier waren und ihm Gesellschaft leisten wollten nicht sonderlich. Er wollte niemanden sehen.
 

Das Duschen im entfernten Badezimmer hatte aufgehört und Aya versetzte Schuldig einen Klaps auf den Allerwertesten, als er vor ihm stand. Dann löste er sich wieder von seinem Partner und suchte nach Tassen, was gar nicht so einfach war in dieser strikten Ordnung.

„Auch einen?“, fragte Aya noch einmal. „Du solltest dich gleich um den alten Mann kümmern. Er wirkte nicht ganz glücklich.“ Wobei Aya vermutete, dass er das durchaus auch zu dreißig Prozent auf ihre Anwesenheit buchen konnte.
 

„Du meinst…“, Schuldig grinste und lugte in Richtung Flur. Doch dort tat sich noch nicht viel. „…je öfter du mich fragst, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass ich doch einen mittrinke? Nicht heute“, fügte er an und zwinkerte Ran zu.
 

Brad löschte das Licht im Bad und ging ohne Umwege in sein Schlafzimmer. Er beließ das Licht aus und genoss lediglich den Lichtschein der Lichter der Stadt, die in das Dunkel fielen. So stand er an der Fensterfront und blickte hinaus, gelegentlich einen Schluck Scotch zu sich nehmend.

Nach dem heutigen Ereignis war er gewillt, diesen neuen Faktor CIA mit in einen Plan einzubeziehen, doch die Tatsache, dass es Eve war blockierte jede Planung im Moment.
 

Gut... dann nicht heute. Aya nahm sich seinen Kaffee und verfolgte Crawfords Abgang in dessen Schlafzimmer.

Dann fiel sein Blick auf Schuldig und er neigte sein Kinn in die Richtung.
 

Schuldig zog ein skeptisches Gesicht, als würde er nicht wissen was Ran mit dieser Geste meinte.

Doch nur einen Augenblick später seufzte er und ließ den Kopf aufgebend in den Nacken fallen, ließ ihn auf der schwarzen Ledercouch liegen und schloss die Augen. „Ich habe nicht den Eindruck als bedeute eine geschlossene Tür eine Einladung.“

„Den Eindruck könnte man gewinnen, da hast du Recht. Aber andererseits spricht er nicht viele Einladungen aus, findest du nicht?“Aya nahm einen Schluck des Kaffees und befand ihn für gut, sehr gut sogar.

Er ließ sich neben Schuldig auf die Couch fallen und strich mit seiner Hand über Schuldigs Oberschenkel.

„Sicher, dass er dich nicht braucht? Er hat seine Schwester wiedergetroffen, seine SCHWESTER, die er jahrelang nicht gesehen hat. Und sie scheinen sich zu hassen.“ Wie sehr wünschte sich Aya in diesem Moment, dass er seiner Schwester gegenübergestanden hätte. Seiner geliebten, toten Schwester.

Ein Schatten huschte über sein Gesicht, jedoch nur für den Bruchteil einer Sekunde.

„Hmm“

Zu mehr ließ sich Schuldig für den Moment nicht herab. Er dachte nach. Was sollte er Brad schon erzählen, oder fragen? Er tat sich schwer damit Brad in einer Situation zu sehen, in der er ihn trösten sollte, oder musste, oder konnte. Was auch immer. Das war nicht so sein Ding. Das war Rans Job. Irgendwie.

„Vielleicht… ist es besser du gehst zu ihm“, war die Quintessenz der ganzen Grübelei, die aus ihm heraus brach.
 

„Ich?“ Aya war überrascht über diesen Vorschlag. Wieso sollte ausgerechnet er Zugang zum Amerikaner bekommen? Er wollte schließlich nichts von ihm. Schuldig war ihm da schon wesentlich näher.

Wenngleich ihm da gerade ein Gedanke kam...

„Traust du dich nicht?“ Sein Blick bohrte sich in Schuldig. „Keine Angst, wenn er dir eins auf die Mütze gibt, kriegt er von mir zwei zurück.“
 

„Ich und Angst?“, begehrte Schuldig auf und zog ein abfälliges Gesicht. „Vor dem da?“ Er wedelte in Richtung abgedunkelten Flur.

„Nicht direkt“, kam es dann doch kleinlauter. Er seufzte wieder und sein Blick war beinahe als trotzig zu bezeichnen.

Er war nicht derjenige, der Brad helfen konnte, er war stets derjenige der Hilfe von Brad bekam. In irgendeiner Form zumindest.
 

„Vielleicht braucht er jemanden, der einfach da ist. Der noch nicht einmal groß die Klappe aufreißt, sondern einfach Präsenz zeigt.“ Ayas Blick fiel zur Seite auf Schuldig und er hob eine Augenbraue, seufzte schließlich theatralisch.

„Okaaay, das mit dem Klappe halten dürfte dir schwer fallen. Da hast du Recht, da könnte es Probleme geben.“
 

„Ja siehst du!“ Schuldig erhob sich von der Couch, als hätte Ran die bestmögliche Ausrede für das Problem genannt. Er ging ein paar Schritte und kam dann wieder zurück, blieb mit hängenden Armen vor Ran stehen.

„Was ist, wenn wir das alles zu dramatisch sehen? Wenn es ihm völlig egal ist, dass seine Schwester plötzlich hier aufgetaucht ist.“
 

„Klar ist es ihm völlig egal. Deswegen hat er uns auch so bereitwillig hier hineingelassen. Deswegen hat er sich auch so demonstrativ in sein Schlafzimmer zurückgezogen. Deswegen war er auch kalkweiß, als er sie gesehen hat. Ich denke auch, dass sie ihm völlig egal ist.“ Aya nickte und deutete dann mit dem Arm in Richtung Schlafzimmer, streckte schließlich seinen Zeigefinger aus.

„E.T. nach Crawford telefonieren“, sagte er mit der zweiten, hochgezogenen Augenbraue.
 

„Bitte?“ Schuldig sah keinen Bezug zwischen E.T. und ihm. Gar keinen. Er schüttelte unverständig den Kopf und verzog den Mund grüblerisch.
 

„Beweg deinen Arsch in sein Schlafzimmer“, übersetzte Aya für Schuldig und konnte sich ein kleines Lächeln nicht verkneifen. Er nahm einen weiteren Schluck des schwarzen Gebräus.

„Ich bleibe hier und horche auf verdächtige Geräusche. Wenn du schreist, komme ich dir zu Hilfe.“

„Gibt es Abstufungen in den Schreien, auf die du hören würdest? Oder würdest du bei jeder Art Schrei kommen? Mir zur Hilfe kommen, meine ich.“

Schuldig bemerkte gar nicht, wie groß der Unsinn war, den er von sich gab, als er seinen Blick wieder auf den Flur lenkte.
 

„Wenn es so klingt, als würde er es dir besser besorgen als ich, werde ich natürlich kommen und zusehen, dass ich meinen Status als unangefochtener King nicht verliere“, gab Aya zu bedenken und verpasste Schuldig einen Tritt in den Allerwertesten. Strafe musste sein.
 

„He~ey“, meckerte Schuldig auf und funkelte Ran böse an. „Dafür räche ich mich bitter… wart‘s nur ab!“, versprach er bevor er sich aufmachte und in Richtung Flur trottete.

Er klopfte wenig zaghaft an und ging dann ins Schlafzimmer, die Tür hinter sich schließend. Brad stand noch immer am Fenster und ließ seinen Blick auch nicht von der Aussicht, als Schuldig eintrat. Schuldig betrachtete sich für einen langen Moment die Silhouette, die sich dunkel vor dem nächtlichen Lichterreigen der Stadt abhob. Er kaute unbewusst auf seiner Unterlippe herum, bevor er dieses unwürdige Zeichen seiner Nervosität bemerkte und es einstellte. Nach einem weiteren Moment des Zauderns ging er zu Brad und stellte sich neben ihn, den Blick ebenfalls ins nächtliche Tokyo richtend.

„Ich hatte nicht den Eindruck, dass sie hinter dir im Speziellen her ist“, sagte er und nahm Brad das Glas aus der Hand um sich den letzten Schluck zu gönnen.
 

„Wen meinst du?“, fragte Brad gedankenverloren und die abwesend klingenden Worte zeigten Schuldig wie wenig er seinen Worten zugehört hatte.

„Deine Schwester?“

Brad runzelte die Stirn und seine Hand, die zuvor das Glas gehalten hatte, verschwand in der Tasche seiner Hose.
 

Schuldig setzte sich aufs Bett, stellte das Glas ab und begann damit seine Schuhe und anschließend seine Socken auszuziehen.
 

Währenddessen war Aya weniger ruhig. Er hätte Schuldig nicht gehen lassen sollen, ohne dass er dabei war. Innerlich grollte er, dann schalt er sich für seine Eifersucht. Schuldig liebte ihn, mehr als dass er Crawford liebte. Und selbst wenn, dann gönnte er es den beiden. Schließlich hatte er Schuldig geradewegs in das Schlafzimmer des anderen geschickt.

„Leb damit, du eifersüchtiger Arsch“, sagte er leise zu sich selbst und streckte die Beine auf der Couch aus, löste wenig später seine Schuhe. Schreckliche, westliche Angewohnheiten, die Schuhe anzulassen.

Die Kaffeetasse kam auf dem Boden zur Ruhe und er legte den Kopf auf die Lehne.

Crawford hatte eine Schwester, eine Familie. Doch war Hass zwischen ihnen nicht noch schlimmer als das Alleine sein, so wie er es hatte?

Seine Familie waren Schuldig und die Jungs von Weiß, doch Blutsverwandte hatte er nicht mehr. Es ließ sich Aya manchmal sehr einsam fühlen.
 

Brad sah Schuldig zu, wie dieser sich ans Kopfende des Bettes anlehnte und die Beine ausstreckte.

„Hast du das von ihr?“

„Sie war hinter etwas anderem her und sie hat den Gorilla, der sich deiner annehmen wollte, zurückgepfiffen. Offenbar war sie aus ähnlichen Gründen wie wir auf der Party gewesen.“

Schuldig betrachtete sich Brad, der ihn undurchschaubar anblickte. Die Hälfte des Gesichts lag im Schatten, die andere Hälfte wurde vom einfallenden Licht erhellt. Wenn er ihn nicht kennen würde, dann hätte Schuldig dieser Anblick nicht nur erotisiert, sondern auch geradezu magisch elektrisiert.
 

„Du meinst, das ist der Beweis ihrer außerordentlichen Schwesterliebe?“ Brads Stimme war leise, spöttisch. Doch Schuldig hörte auch eine Nuance Bitterkeit heraus.
 

Aya trieb es unterdessen auf die Toilette und er bestaunte das luxuriöse Bad. Es war ihm immer noch ein Rätsel, wie man so leben konnte. Er hatte das nie gekannt, auch zu Weiß‘ Zeiten nicht. Und nun... sowohl Schuldig als auch Crawford hielten nichts von einfachen Einrichtungen. Nicht, dass er etwas dagegen hatte.

Sein Gegenüber im Spiegel betrachtend, stellte er fest, dass er sich langsam in die waagrechte begeben sollte. Die Augenringe konnte selbst das unaufdringliche, indirekte Licht nicht kaschieren.

Schweigend kehrte er zurück zur Couch und löschte das Licht. Eine Decke brauchte er nicht, dazu war es zu warm mittlerweile. Er zog sich einzig seine Anzugjacke und die Socken aus und löste die Haare aus ihrem Gefängnis.

Das Gesicht zur Couchlehne drehend, schloss er die Augen und nahm sich eines der Kissen, knautschte es unter seinem Kopf zurecht.

Je eher er einschlief, desto weniger würde er sich fragen, was die beiden dahinten trieben.
 

„Ist es nicht?“, fragte Schuldig gespielt erstaunt zurück und er wich Brads Blick aus.

„Eve könnte sich nicht auf ihrem Posten halten würde sie ihrer Familie den Vorzug geben.“
 

„Kann ich mir gut vorstellen“, brummte Schuldig.

Brad beobachtete Schuldig noch einige Momente bevor er sich auf die andere Seite des Bettes legte und einen Arm unter das Kopfkissen schob, die Decke betrachtete.

„Wir brauchen ihre Daten.“

„Ich werde Nagi darauf ansetzen.“
 

Schweigen herrschte zwischen ihnen und Brad schloss die Augen, Schuldig neben sich wissend, der sich in der Zwischenzeit in eine ähnliche Position wie seine begeben hatte. Er hatte gedacht, der andere wäre eingeschlafen als Stoff raschelte.

„Wie befangen bist du in der Sache?“, kam es putzmunter zu ihm geschallt, als hätte Schuldig an nichts anderes denken können als die Verbindung die Crawford zur ‚Firma‘ unterhielt. Oder eben nicht unterhielt.
 

„Das hört sich an als stünde ich vor einem Gericht“, kam die verzögerte Antwort von Brad und eine leise Warnung schwang mit, die Schuldig jedoch geflissentlich überhörte.

Dieser stützte sich auf einen Arm und war auf Armlänge an Brad heran gerutscht.
 

„Nun, das nicht unbedingt, aber findest du nicht, dass diese Eröffnung im Team ein klitzekleines Bedürfnis nach weiterer Erkenntnis über dieses Thema hervorlocken könnte. Ich meine ja nur…“
 

Brad atmete ein, ließ einen Augenblick verstreichen und holte dann beim Ausatmen das neugierige Etwas neben sich an dessen Hemd zu sich, sodass einer der obersten Knöpfe sein Heil in der Flucht suchte.

Schuldigs Hand umfasste zunächst reflexartig fest Brad Handgelenk, bevor er seinen Griff lockerte, ihn jedoch beibehielt.
 

„Ein Bedürfnis? Ich denke wir sind uns einig, dass der einzige, der hier spezielle Bedürfnisse hat und diese vielleicht bei mir einfordern kann, hier in diesem Raum ist. Alle Bedürfnisse anderer oder neugieriger Art gehören bei diesem Thema nicht dazu.“
 

Schuldig verlagerte sein Gewicht leicht, sodass er dem Zug von Brads Hand nachgab und halb auf diesem zum liegen kam. „Das ist…“ Schuldig näherte sich Brads Lippen, berührte diese hauchzart, bevor er sich von dessen Lippen eingenommen und überwältigt fühlte. Er schloss die Augen, konnte den heißhungrigen Blick aus den schwefelgelben Augen nicht erwidern.

„… keine…“ Ein Knurren entkam Brad als sich Schuldig für einen Moment löste. „… Ein-Mann-Show- Brad!“

Schließlich hatte Schuldig nicht vor, dass Thema einfach so fallenzulassen. Nur war die Aufrechterhaltung dieser Konversation unter gegebenen Umständen sehr schwierig. Vor allem wenn Schuldig derart fest im Griff des anderen hing und dieser ihn dominierte, wie eben.
 

Brad gab ihn frei und Schuldig keuchte als er sich aufstützte und grimmig dreinsah.

„Das war nicht nett, mich so zu überfallen!“

Brad hob ob dieser schamlosen Übertreibung lediglich eine Braue.
 

„Du weißt gut genug was passiert, wenn du wieder so ein Ding alleine durchziehst. Informationen bezüglich der Dame wären nicht schlecht, meinst du nicht auch?“
 

Schuldig lockerte Brads Griff um sich und schmiegte dessen Hand an den Übergang zwischen Brust und Hals. Sein Blick war unternehmungslustig, jedoch ernst genug um seine Ansichten Brad mitzuteilen.

Die Hand auf seiner Haut fühlte sich anders an als… Rans. Größer, Kräftiger.

Zusammen mit diesem durchdringenden Blick und dem Daumen, der sich gerade auf seine Kehle zubewegte, fühlte sich Schuldig wie berauscht. Er legte sich in diese Berührung und betastete erneut Brads Lippen, mit seinen eigenen, stippte mit seiner Zunge zwischen die sich ihm öffnenden Lippen. Die Begrüßung verlief dieses Mal weniger beherrschend, sondern warm und einladend.
 

Schuldig grinste als er sich nach einer kleinen Ewigkeit löste, leckte über einen Speichelfaden an Brads Lippen und legte sich nach einem glühenden Blick in die ruhig blickenden Augen auf Brad ab.

Dessen Hände betteten sich auf ihn und Brads Rechte fand ihren Weg in seinen Nacken, lag dort warm und versichernd ruhig, während Schuldigs Augen ins Dunkel des Zimmers blickten. Dort wo er Ran hinter den Wänden und Türen vermutete.
 

„Ich sage euch so viel wie ihr über sie wissen müsst. Und das ist nicht viel“, sagte Brad mit Verspätung.
 

Schuldig schloss die Augen und ein siegessicheres, müdes Lächeln zirkelte um seine Mundwinkel.
 

o~
 


 

Die Hände immer noch am Lenkrad ihres Wagens war Aya sich immer noch nicht sicher, ob er das Richtige tat oder ob er nicht wieder einmal überreagierte. Er musste langsam damit leben, das Schuldig auch Aufträge alleine ausführte und konnte nicht immer wie auf heißen Kohlen zuhause sitzen und darauf hoffen, dass der andere lebend zurückkam.

Er wollte sich schließlich weiterentwickeln, sich von seiner alten Angst lösen.
 

Dennoch stand er hier nun in der Nähe des Ryokans, nur zu bereit, Crawford einen Besuch abzustatten. Vor allen Dingen, einem wahrscheinlich unwissenden Crawford. Wenn das Orakel keine Vision von seinem Besuch erhalten hatte, dann konnte es ihm vielleicht gelingen, den älteren Mann zu überraschen.
 

Ayas Widerwillen, sich in die Nähe des Schwarz zu begeben, war in den letzten Wochen geschrumpft, allerdings nicht verschwunden. Sie hatten sich durch diverse Besprechungen und Missionsausarbeitungen miteinander vertraut gemacht und waren in der Lage, mehr als einen vernünftigen Satz miteinander zu wechseln. Angesichts der Tatsache, dass sich auch Schuldig und Crawford immer näher gekommen waren, ein durchaus positiver Fortschritt, bei dem sich Aya durchaus ertappt hatte, Crawfords Vorzüge für sich herauszustellen.

Nicht, dass sich der andere Mann nicht immer noch wie ein Arschloch benahm, ein kühles Arschloch die meiste Zeit über, aber er war... treu.

Aya wusste nicht, wie er es besser beschreiben sollte, diese Verbindung zwischen Schuldig und Crawford, doch der Amerikaner schien einfach zur Ruhe gekommen zu sein, seitdem Schuldig und er mehr als nur ein paar unpersönliche Worte miteinander teilten.
 

Dass er dadurch ebenso mehr an den Amerikaner gebunden worden war, kam schleichend, aber letzten Endes nicht unwillkommen.
 

Aya grollte und stieg aus dem Wagen. Er schloss hinter sich ab und begab sich zum Haus des besagten Subjektes seiner Gedanken. Dort konnte er warten, bis Schuldig sicher von seinem Auftrag wieder da war. Vielleicht hatte der Amerikaner ja auch etwas zu essen zu Hause. Er war zu faul gewesen, etwas zu kochen und hatte auf dem Weg hierhin festgestellt, wie groß eigentlich sein Hunger war.
 

Den Finger schließlich auf der hochmodernen Sicherheitsanlage, die sich als Klingel tarnte, wartete er darauf, dass er hineingelassen wurde.
 

Und wartete.

Es war nicht so, dass der Hausherr nicht wusste - die Vorhersehung hatte es ihm gezeigt - dass er bald unerwünschten Besuch erhalten würde, trotz dieses Umstandes ließ er besagten Besucher warten.

Erziehungsmaßnahmen, wie er sich sagte, als er den sizilianischen Nudelauflauf in den Ofen schob und noch einmal sein Werk bewunderte.

Unterwegs zur Tür – er hatte nach einigen Minuten ein Einsehen - traf sein Blick sowohl Uhr als auch den Überwachungsbildschirm der Außenkameras und fand seine Voraussicht bestätigt.

Ein Seufzen später öffnete er die Tür weit, lehnte sich an diese an und betrachtete sich den um Einlass Begehrenden stumm.

„Hat deine miese Laune bestimmte Gründe oder liegt es einfach nur daran, dass du zu faul warst dir etwas zu Essen zu machen?“

Mittlerweile kannte auch ER Rans Launen, wenn dieser nichts aß.

Vor einer Stunde hatte Brad eine Vision ereilt, in der Ran Fujimiya ihr Haus eingenommen hatte und derart schlecht gelaunt war, weil er – wie er sagte – es den ganzen Tag nicht geschafft hatte sich etwas zu essen zu kochen. Im Subtext bedeutete dies bei dem Japaner, dass er schlicht zu bequem gewesen war. Oder andere Dinge im Kopf hatte: Schuldig zum Beispiel.
 

Also entweder saß seine ausdruckslose Maske nicht so sehr, wie er es eigentlich erwartet hatte nach einem letzten Blick in den Spiegel oder das vor ihm stehende Orakel hatte seine Verbindung nach Delphi getestet und für gut befunden. Was wahrscheinlicher war, woher sollte Crawford sonst wissen, dass er Hunger hatte?

Aya hatte beschlossen, sich während seiner Wartezeit an die Wand zu lehnen und sich das Warten auf Mr. Crawford selbst mit Gedanken über den Tag, Schuldigs Auftrag und generell ihre Situation zu vertreiben. Es waren keine schönen Gedanken gewesen und dementsprechend dunkel trafen seine Augen nun auf die des Amerikaners.
 

„Ich habe keine schlechte Laune", kam es halbwegs beherrscht zurück, wirklich mit gutem Vorsatz, diese Vision nicht zu erfüllen. „Dir sollte aufgefallen sein, dass ich nie mit einem Lachen durch die Gegend laufe." Vor allen Dingen dann nicht, wenn er Hunger hatte.
 

Der schlanke Japaner lehnte immer noch an der Mauer und es war offenbar sehr bequem, denn er machte keinerlei Anstalten hereinzukommen. Brad maß den anderen, ließ seinen Blick über dessen legere Kleidung schweifen – Jeans und Shirt – und hätte sich einem normalen jungen Japaner im besten Alter gegenüber gesehen, wenn nicht dieser Ausdruck von frostiger Unterkühlung in dessen Augen geherrscht hätte oder der unentspannte Zug um die Mundwinkel gewesen wäre. Brad war kein so guter Beobachter wie Schuldig, aber es gab Dinge an Ran, die er selbst langsam zu erkennen glaubte. Vor allem dessen Stimmungen, obwohl sich auf den ersten Blick die Mimik kaum veränderte. Beim zweiten Hinsehen erkannte er jedoch die angespannte Haltung, leichte Veränderungen in der Mimik aber auch eine gewisse Beherrschtheit in der tiefen, warmen Stimme.

„Der kleine Ran bekommt nur etwas zu Essen wenn er sich auch folgsam an den Tisch setzt. Hier draußen wird nicht gegessen. Und schön die Hände waschen vorher“, sagte Brad knochentrocken und ließ die Tür offen stehen, drehte sich um und ging wieder zurück in die Küche.
 

Jetzt, wo Crawford es gesagt hatte, roch er es. Er ROCH es.

Und es roch gut.

In Windeseile hatte Aya seine schlechte Laune vor der Tür gelassen, selbige hinter sich zugeschlagen, das Bad besucht um sich die Hände zu waschen und sich schließlich brav zu Tisch begeben, den Platz gegenüber Crawford eingenommen.

Es gab Essen, frisches, gerade gekochtes Essen, das dort im Ofen vor sich hin backte.

„Das riecht gut... was ist das?“, fragte er und das Kompliment kam leichter über seine Lippen, als er es vermutet hatte.
 

„Opportunist“, sagte Brad unhörbar und seine Mundwinkel verzogen sich zu einem angedeuteten amüsierten Lächeln. Offenbar konnte der Japaner auch nett zu ihm sein wenn er etwas wollte.

Er blätterte das Kochbuch durch und schloss es im Augenblick als Ran sich setzte.

„Sizilianischer Tagliatelleauflauf. Ich war heute im Feinkostladen und habe meine Bestellung aus Italien abgeholt. Gabriele hat mich auf den Laden aufmerksam gemacht.“

Brad erhob sich, nahm das Kochbuch mit sich und stellte es ins Regal.

„Darf es etwas zu trinken sein, Wein, Bier, Wasser? Tee?“
 

„Wein natürlich“, erwiderte Aya mit einem Leuchten in den Augen, dass das allzu ruhig ausgesprochene Wort Lügen strafte. Feinkost direkt aus Italien, dazu Wein, das klang doch schon mal wie ein guter Anfang! Ein sehr guter Anfang!

„Gabriele hat überall hin Verbindungen. Manchmal könnte man meinen, er gehöre der Mafia an, wenn man sieht, an was er alles herankommt und zu welchen Preisen.“

Aya zögerte einen Moment lang, dann überwand er seinen Schatten. „Kann ich helfen?“ Er wurde den latenten Verdacht nicht los, dass Crawford für sie beide gekocht hatte. Doch das konnte nicht sein, nicht Crawford... oder?

„Du kannst dich um die Getränke kümmern. Die Abstellkammer den Flur hinunter haben wir zu einem provisorischen Weinlager umfunktioniert. Weißweine habe ich bereits kühlgestellt. Wenn du einen Roten willst such ihn dir aus. Alles andere habe ich hier.“
 

„Weiß ist gut“, erwiderte Aya und musste nach ein paar Augenblicken über die Doppeldeutigkeit lächeln. „Was willst du trinken?“

Er streunte zum Kühlschrank und fischte die Weißweinflasche heraus. Den Korkenzieher in den Korken drehend, beobachtete er Crawfords Tun und erinnerte sich an alte Zeiten. An Schuldig, der als tot gegolten hatte und Crawford, der ihm Essen kochte oder bestellte, damit er überlebte. Und nun bekam er Essen zur Besänftigung... damit er Crawford nicht anfiel.
 

„Ich schließe mich dir an.“

Das Telefon klingelte.

„Entschuldige mich.“ Brad verließ die Küche in Richtung Arbeitszimmer – oder einem der Schlafzimmer, die sie dafür umgebaut hatten.

Es war Nagi, der sich für den heutigen Abend und morgen abmeldete. Er hing an seinem Abschlussexperiment in der Uni fest. Oder dem Takatori Sprössling, wie man es drehte und wendete Nagi würde wohl die nächsten Tage gut beschäftigt sein.

„Pass auf dich auf.“

Brad legte auf. Als er das Telefon auf den Tisch ablegte, fiel sein Blick nach draußen. Die Regenzeit hatte vor ein paar Tagen begonnen und hielt das Land in ihrem festen Griff. Über allem lag ein feuchter klammer Dunst.
 

Aya hatte derweil die Flasche geköpft und ihnen eingeschenkt. Nun hockte er vor dem Backofen und sah der hellgoldenen Kruste schier gierig dabei zu, wie sie dunklere Töne annahm und bald ins Goldbraune abglitt.

Sein Magen knurrte höchst erwartungsvoll angesichts dieses verlockenden Duftes und Aussehens und sagte ihm, dass es die richtige Entscheidung gewesen war, nichts zu essen. Wer wusste schon, ob er sonst in den Genuss dessen gekommen wäre!

Er hörte, wie Crawford in die Küche zurückkam und erhob sich, die Hand schon griffbereit über den Handtüchern.

„Soll ich ihn herausholen oder braucht er noch etwas?“
 

Aya hatte derweil die Flasche geköpft und ihnen eingeschenkt. Nun hockte er vor dem Backofen und sah der hellgoldenen Kruste schier gierig dabei zu, wie sie dunklere Töne annahm und bald ins Goldbraune abglitt.

Sein Magen knurrte höchst erwartungsvoll angesichts dieses verlockenden Duftes und Aussehens und sagte ihm, dass es die richtige Entscheidung gewesen war, nichts zu essen. Wer wusste, ob er sonst in den Genuss dessen gekommen wäre!

Er hörte, wie Crawford in die Küche zurückkam und erhob sich, die Hand schon griffbereit über den Küchentüchern.

„Soll ich ihn herausholen oder braucht er noch etwas?“
 

„Ich habe ihn vor genau ...“ Brad warf einen Blick auf die Uhr und dann einen zweifelhaften auf das rothaarige Möchtegern Raubtier, das mit seinem Stuhl in Richtung Backofen gerückt war und nun hungrig dem Ganzen beim gar werden zusah. Brad löschte das Backofenlicht, sodass der Blick auf den Auflauf dem Japaner verwehrt wurde.

„…15 Minuten in den Ofen geschoben. 45 Minuten braucht er. Du kannst dir ausrechnen, wie lange dein Martyrium noch dauern wird. Plus der Zeit, die er braucht zum Ruhen, plus der Zeit, die er braucht um etwas abzukühlen.“
 

„Ich habs verstanden“, murrte es unwillig von besagtem Japaner und er schob seinen Stuhl wieder brav an den Tisch. „Wie sieht es denn mit einer Vorspeise aus?“, kam es nur Sekunden später äußerst dreist hinterher und sein Blick traf schelmisch auf den Crawfords.
 

Brad hob eine Braue und ging zu ihrem Pinboard um einen Zettel abzupflücken, diesen legte er denn Ran vor die Nase. „Tu dir keinen Zwang an.“

Er kostete den Wein. „Ich werde mich in der Zwischenzeit ins Arbeitszimmer begeben, genügsam wie ich bin samt dem Wein.“

Brad lächelte spöttisch und verschwand wie angekündigt. „Und… Finger weg vom Ofen“, riet er dem Japaner im hinausgehen.

Es war bald acht Uhr abends und es stand der tägliche Kontrollanruf von Schuldig an.
 

Aya starrte diesen Zettel an und grollte reflexartig bei der Warnung des anderen. Meinte Crawford etwa, er könne nicht kochen und wüsste nicht, dass man nicht... naschte?

Noch mehr grollte er allerdings, als er sah, was Crawford ihm dorthin gelegt hatte.

Ein Bestellzettel von einem Lieferservice.

„Blödmann“, murmelte er lautlos und schob den Zettel beiseite, nahm sich sein Glas und ging Crawford nach. Vielleicht würde sich Schuldig bei Crawford melden, was Aya nicht verpassen wollte. Schuldig hatte zwar versprochen, sich bei ihm zu melden, doch vielleicht konnten sie zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen.
 

Außerdem war Aya gerade nach der Gesellschaft des schweigenden Amerikaners, lenkte sie ihn doch stets ab.

Das Arbeitszimmer betretend nahm Aya Platz auf einem der beiden freien Bürosessel und drehte sich zu Crawford.

„Telefonierst du gleich mit Schuldig?“
 

„Ich warte auf seinen Anruf. Er wollte sich in…“ Das Telefon klingelte und Brad schaltete mit ein paar Tasteneingaben auf dem Rechner auf eine sichere Leitung, die ihnen Nagi eingerichtet hatte.

„Erstaunlich pünktlich“, sagte Brad zu Ran, als er Schuldigs Anruf entgegennahm. Und das es Schuldig war, das war sicher.
 


 


 


 

Fortsetzung folgt...

Vielen Dank für's Lesen.

Bis zum nächsten Mal!
 

Coco & Gadreel



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  Inukami
2009-10-17T00:52:04+00:00 17.10.2009 02:52
Hi,
hab die neuen kapitel leider erst etwas verspätet bemerkt :( hab mich aber riesig gefreut das die story weitergeht ^^ *jubel*
bin gespannt was diese eve noch alles beeinflusst, ein mitglid aus brad´s familie ist natürlich sehr interessant :)
freu mich schon auf die nächsten kapie´s

LG okami
Von:  Kralle
2009-10-13T16:44:31+00:00 13.10.2009 18:44
wow, ran fängt wirklich an brad zu tolerieren - ich bin erstaunt.
mal sehn, wie schnell sich das weiter entwickelt.

mfg

Kralle


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