Die Qualität des Blutes
Ich erwachte erst am frühen Abend, mit Schmerzen am ganzen Körper. Irgendetwas war mir offensichtlich in meinem Schlaf nicht bekommen. Außerdem stank ich erbärmlich, mein Hemd war zerrissen, mein Geld weg und sowohl mein Hemd, als auch meine Hose waren voll von vertrocknetem Blut. Allerdings hatte man sich an mir scheinbar nicht weiter gestört, man hatte mich lediglich an die Seite geschoben, da ich den Durchweg versperrt hatte.
Als ich mich aufrappelte, steigerten sich die Schmerzen - besonders die in meiner Brust. Es fühlte sich beinahe an, als habe man mein Herz mit einem glühenden Schürhaken durch meinen Brustkorb gerissen. Ich schleppte mich mit Mühe und Not in meine Wohnung im dritten Stock. Ich musste duschen! Meine Kleidung warf ich in den Müll.
Das Duschen tat mir gut, denn die Schmerzen ließen ein wenig nach, wenn sie auch nicht gänzlich auszumerzen waren.
Ich nahm all das Geld, das ich mir zusammengespart hatte und 'kreativerweise' unter meinem Kopfkissen versteckt hatte, sowie das Geld, welches ich in der vorherigen Nacht erbeutet hatte und zog mir mein bestes Hemd und eine gute Hose an. Ich hatte vor, diese Nacht in vollen Zügen zu genießen. Ich konnte bereits durch mein Fenster wieder diese einzigartige Farbenpracht sehen, deren Schönheit mich beinahe zu erdrücken drohte und die mir als Sterblicher verborgen geblieben wäre. Geschmälert wurde meine Vorfreude allerhöchstens durch den, noch immer anhaltenden Schmerz.
Doch auch dieser würde sicherlich ausbleiben, sobald ich nur einen Schluck kostbaren Blutes gekostet hätte.
Es mag zugegebenermaßen naiv klingen, sich darauf verlassen zu haben, dass mir etwas Blut (so gut es auch schmecken mochte) diese extremen Schmerzen zu nehmen imstande war, aber dieses war das einzige, neben der Schönheit der mich umgebenden Welt, woran ich mich zur Linderung, in diesem Moment hatte klammern können und abgesehen davon, war es tatsächlich so:
Mein erstes Opfer in dieser Nacht war ein Banker in einem maßgeschneiderten Nadelstreifenanzug und mit einem dementsprechend gepflegtem Äußeren. Ich wollte den Geschmack von räudigem Bettlerblut, der schon so berauschend auf meine Sinne wirkte, noch übertreffen.
Bereits als der erste Tropfen seiner Vitae meine trockenen Lippen benetzte, spürte ich wie ein unbeschreibliches Wohlbefinden einsetzte und mein Körper sich schwerelos anfühlte.
Wieder hatte ich mich kaum mehr unter Kontrolle, wieder sog ich ihn gierig, voll und ganz auf und wieder umspülten mich seine Erinnerungen, die sich mit dem hallenden Gong von zuvor mischten, der jedoch diesmal sanfter und äußerst angenehm ausfiel. Diesmal achtete ich jedoch darauf, nicht einen einzigen Tropfen zu verschwenden.
Als ich (leider viel zu schnell) wieder in die Realität gerissen wurde war der, eben noch so unbarmherzige Schmerz weg. Das Blut, das mich wie eine Droge abhängig zu machen schien, hatte also eine äußerst positive Wirkung auf mich.
Ich jagte in dieser Nacht nur die edelsten und erfolgreichsten, doch mir fiel auf, dass selbst unter ihnen die Qualität des Blutes stark variierte.
Etwas anderes, was mir in dieser Nacht auffiel, war dass ich weit mehr Stimmen wahrnahm, als tatsächlich gesprochen wurde, was verwunderlich war.
Ich beschloss der Sache in den nächsten Tagen und Nächten nachzugehen, doch morgen würde ich erstmal Uriel einen Besuch abstatten... schließlich musste er auch von dem mir widerfahrenen erfahren!
Als ich wegen Müdigkeit gegen vier Uhr nachts nach hause kam und mein Fenster sah, verspürte ich eine seltsame Abscheu dagegen, die ich mir nicht erklären konnte. Und Fenster waren fast überall...
So legte ich mich in meinem Schrank zur Ruhe - unbequem, aber in vollkommener Finsternis.
Ich würde ohnehin nur fünf oder sechs Stunden schlafen, da ich ja tagsüber zu Uriel wollte.
Diese Stimmen... ich hörte sie immer noch - wirr durcheinander - bis ich einschlief. Das ging mir nicht aus dem Kopf...