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Michael der Vampir

Aus der Chronik der Unsterblichen
von

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Neue Erkenntnisse

3. I.: Uriel
 

Es gelang mir nicht, wie geplant vor Sonnenuntergang zu erwachen, trotz meiner unbequemen Unterkunft. Die Schmerzen des Vorabends holten mich, ganz gemäß meinen Erwartungen, von neuem ein - nicht schlimmer, aber leider eben auch nicht weniger schlimm als zuvor. Es war lediglich ein stechender Schmerz in meiner Unterlippe merkbar und als ich die Stelle mit meiner Zunge befühlen wollte, wurde mir klar, worauf der Schmerz zurückzuführen war, denn ich schnitt mir die Zunge an meinen Eckzähnen. Das Blut war ein Segen, wenngleich es meinen Durst nicht stillen konnte, aber zum Thema: meine Eckzähne waren tatsächlich noch gewachsen. Und vermutlich waren sie noch nicht damit fertig...

Naja, größer als zu meiner Zeit als Mensch waren meine Eckzähne logischerweise ohnehin gewesen, aber es gab ungeachtet dessen eine weitere immense Änderung im Vergleich zu meinem ersten vampirischen Tag:

Ich erinnerte mich in meinem Schlaf etwas geträumt zu haben... Ich vermochte mich zwar nicht an den Inhalt zu erinnern, doch eines war mir sehr bewusst: Es war ein Traum, den ein Sterblicher niemals hätte träumen können und der sich unmöglich in etwas so simples wie Worte hätte fassen lassen, da er solch eine immense Komplexität und ein solches Ausmaß besaß.
 

Ich beschloss, diese Gedanken fürs erste beiseite zu lassen und nach einem kleinen 'Imbiss' gegen die Schmerzen, wie geplant meinen besten Freund Uriel zu besuchen.
 

Da ich das vorhatte, machte ich mir selbstverständlich keine große Mühe, ein bestimmtes Opfer auszumachen (ich hatte ja ohnehin noch kein Kriterium zur Auswahl gefunden, da es sich nicht am Status festmachen ließ, wer wie schmeckte), sondern nahm mir den erstbesten Passanten. Wieder wurde der Schmerz in angenehmer Wärme ertränkt.
 

Uriel wohnte etwa fünfzehn Minuten Fußweg von mir, die ich an diesem Abend in knapp fünf Minuten zurücklegte. Dennoch behagte mir die Strecke nicht so ganz... Irgendwer oder irgendwas beobachtete mich, das konnte ich spüren. Nur konnte ich niemanden ausmachen. Ich schenkte dem keine weitere Beachtung... vorerst!
 

Uriel war gerade erst einige Minuten zu hause gewesen, als ich bei ihm ankam.

Er freute sich sichtlich über meinen unerwarteten Besuch, wenngleich er etwas verwundert über die Uhrzeit war. Viel mehr jedoch schien ihn mein bloßer Anblick zu verwundern - beinahe schon zu erschrecken.

Ich hatte zwar keine Probleme ihn zu erkennen, doch er musste seine Augen sichtlich anstrengen, um mehr als meine Silhouette zu erkennen, da wir uns noch vor seiner Haustür befanden. Er zog mich ins Licht.
 

Seit ich ihn kannte, war er mir körperlich stets überlegen gewesen und dennoch konnte ich in diesem Augenblick keine Kraft, keine Überlegenheit von ihm ausgehen merken und hätte ich seinem Wunsch, mich ins Licht zu ziehen nicht einfach nachgegeben, wäre er wohl - selbst mit all seiner Kraft - unmöglich in der Lage gewesen, mich auch nur einen einzigen Millimeter vom Fleck zu bewegen. Ich genoss diesen Augenblick meiner Überlegenheit sehr, da mir davor nicht bewusst gewesen war, dass meine Kräfte überhaupt angestiegen waren.

Uriel hatte mich noch nie (und auch später nie wieder) so angesehen wie nun, im Licht seiner Wohnung... Er machte einige Schritte um mich herum, wobei er mich genau musterte, ganz besonders mein Gesicht.

Mir wurde dabei klar, dass ich mich seit der verhängnisvollen Nacht, in der sich alles geändert hatte, nicht mehr selbst gesehen hatte (Ich wusste zwar, dass meine Eckzähne ungewöhnlich lang geworden waren, aber da mein Mund in diesem Moment geschlossen war, konnte das nicht Auslöser für Uriels... Erstaunen sein!).

Ich schob den - immer noch sprachlosen - Uriel sanft beiseite und ging mit den Worten "Entschuldige mich, bitte!" in sein Bad.

Das Gesicht, welches mich aus dem Spiegel anstarrte, war unverkennbar meines und mir dennoch so fremd, wie kein anderes:

Mein Haar schimmerte, wie Seide - nein schöner noch - es schien das Licht in alle Farben des Regenbogens aufzuspalten, vergleichbar mit einem Prisma. Meine Haut glänzte, unnatürlich wie Porzellan und dennoch so lebendig und zart. Die wenigen Falten, die sich bis zu meinem einundzwanzigsten Lebensjahr abgezeichnet hatten waren nicht mehr auszumachen, meine Augenbrauen schienen frisch gezupft, meine Lippen waren etwas femininer und dennoch kräftiger. Kurzum: Mein Gesicht schien perfekt. Ich war die Skulptur meiner selbst.

Was mich jedoch am meisten faszinierte, waren meine Augen! Sie waren rot, suou-rot und schienen das Innerste meiner Seele - wenn ich so etwas jemals besessen hatte - wiederzuspiegeln. Sie phosphoreszierten und schienen einen leichten Violettschimmer zu besitzen. Ich war zutiefst entzückt.

Uriel schob sich in den Türspalt, sah mich fragend an. Ich erwiderte ihm ein breites Grinsen. Mir war nach tanzen zumute...

Endlich fragte er mich, was denn eigentlich los sei.

"Für meine Erklärung sollten wir uns wohl lieber hinsetzen...", sagte ich ihm, wobei ich auf sein Sofa deutete und peinlichst vermied, ihn meine Eckzähne sehen zu lassen.

Das Licht schmerzte meine scheinbar für die Nacht geschaffenen Augen, darum bat ich ihn, es zu dämpfen. Nachdem wir auf dem Sofa Platz genommen hatten, erzählte ich ihm alles, was mir in den letzten Nächten widerfahren war in chronologischer Reihenfolge und ohne ein Detail auszulassen und immer noch ohne ihm meine unnatürlichen Zähne zu entblößen. Zwar bereitete es mir irgendwie Unbehagen - schnürte mir seltsam die Brust zu, darüber zu reden, doch tat es auch gut!

Ich war durch unsere Unterhaltung oder vielmehr meine Erzählung etwas verwundert, denn Uriel fing weder lauthals zu lachen an, noch bekam er es mit der Angst zu tun. Er hörte einfach nur zu, nickte an der einen oder anderen Stelle verständnisvoll, grade so als habe ich ihm etwas vollkommen Ordinäres erzählt. Das einzige, wovon ich ihm nicht erzählen konnte, waren meine gnadenlose Willkür bei der Wahl meiner Opfer, meine Gleichgültigkeit über deren Tod, sowie diese... Präsens, die mir selbst jetzt noch gefährlich nah schien.

Achja!... Die Präsens! Ich musste noch rausfinden, wer oder was mein 'Begleiter' nun war. Außerdem brannte ich darauf, meine neue Kraft und meine neuen Fähigkeiten auszuprobieren. Ich wollte grade aufstehen und mich auf in die Stadt machen, als Uriel mich durch ein "Warte!" davon abhielt. Ich ließ mich sanft wieder auf sein Sofa fallen und gab ihm durch meinen Blickkontakt zu verstehen, dass er reden konnte, ich würde zuhören.

Obwohl ich während meiner gesamten Erzählung nicht einmal explizit Gebrauch von diesem Wort gemacht habe, sagte er es jetzt: "Vampir!"

Ich zuckte, seltsam berührt, als sei das nicht eh offensichtlich gewesen, zusammen. "Du bist wirklich ein Vampir!", sagte er nun. Ich nickte still. 'Vampir'...hallte es in meinem Kopf... ja, das war ich nun!

Uriels Worte durchbrachen meine Gedanken: "Dann mach mich auch zu einem! Würdest du das tun? Ach was red ich? Du musst einfach! Schließlich sind wir beste Freunde!"

Dieser letzte Satz versetzte mir einen Schlag, der mich in die Knie gezwungen hätte, hätte ich nicht bereits gesessen. beste Freunde... keine Frage, das war er immer für mich gewesen - praktisch seit ich denken konnte, doch nun? Hatte ich so etwas wie beste Freunde, nun da ich nicht länger Teil der Welt der Sterblichen war? Ich könnte ihn wohl sicherlich zu einem Vampir machen, doch sollte ich ihm das antun? Sollte ich der jenige sein, der ihn, der sich als mein bester Freund sah, aus dem Kreislauf von Leben, Tod und Wiedergeburt reißen würde?

Ich war unsicher, ob ich ihm diesen irrationalen Wunsch erfüllen konnte, was mich sehr schmerzte, da ich ihn nur zu gerne weiterhin als besten Freund sehen wollte!

Natürlich hatte ich nicht die Absicht, ihm von diesem inneren Konflikt meinerseits zu erzählen, darum sagte ich ihm nur, dass ich am nächsten Abend wiederkommen würde und dass ich mich nun aufmachen müsse. Er hinderte mich nicht weiter am Gehen, gab mir lediglich zu verstehen, dass er am darauf folgenden Abend das 'dunkle Blut' erwartete...
 

3. II.: Die Ausmaße der Verwandlung
 

Es war gegen ein Uhr nachts, als ich Uriels Wohnung verließ. Ich brannte darauf, meine Grenzen, vor allem aber die neuen Möglichkeiten zu testen, die sich mir eröffnet hatten...

Ich rannte los, aus der Stadt und auf den nahe gelegenen Wald zu. Es war unbeschreiblich: Ich rannte so schnell, dass mein Sichtfeld sich verzerrte und zuerst die Häuser und dann, nachdem ich die Stadt hinter mir gelassen hatte, die Bäume und alles andere wie Streifen an mir vorbei rasten. Meine Reflexe wurden das erste Mal, seit meiner Verwandlung wirklich gefordert.

Als ich an eine Lichtung gelangte, machte ich Halt. Ich schloss die Augen und legte meinen Kopf in den Nacken, atmete tief ein. Nicht, dass ich außer Atem gewesen wäre, ich wollte lediglich die Abendluft genießen, die in dieser Nacht das erste Mal seit Tagen angenehm kühl war. Das Atmen an sich... schien nur ein Luxus zu sein, nicht notwendig zum Überleben...

Ich stand etwa eine viertel Stunde still da, hielt nun den Atem an.

Als mir das nicht mehr reichte und ich ohnehin sicher war, dass ich die Luft auch ewig anhalten könnte, probierte ich etwas anderes: Ich sprang. Mehr nicht! Ich sprang einfach... machte einen Satz. Aber es war ein Sprung, wie ich noch nie gesprungen war. Ich konnte die Lichter der Stadt ausmachen - mitten im Wald. Ich konnte durch die lichten Baumkronen blicken! Das war unglaublich! Ich sprang also aus dem Stand problemlos an die drei Meter hoch... ich begann einfache Salti zu schlagen, dann doppelte, zum Schluss sogar rückwärts, doppelt und dreifach, lies auf diese Art einige Stunden vergehen, nicht gewahr, wie viele es waren, da ich grundsätzlich keine Uhr bei mir hatte. Ich würde das demnächst sicher ändern, aber in diesem Augenblick war die Zeit der, für mich unwichtigste Faktor. Meine Kondition war beinahe göttergleich, aber ich stellte fest, dass ich auch jetzt noch erschöpfen konnte und so lag ich irgendwann einfach nur da - auf dem Waldboden, die Arme ausgebreitet und blickte in den Nachthimmel.
 

Die Sterne begannen schon, zu verblassen und mit dem heller werdenden Morgenhimmel zu verschmelzen. Mich packte bei diesem Anblick blankes entsetzen, was ich nicht verstand.

Plötzlich, völlig unverhofft stand er da - über mich gebeugt und schüttelte den Kopf.

"Du hast keine Ahnung, oder?" maulte er selbstgefällig und irgendwie überlegen. Wer war dieser Kerl?

Er trug einen edlen Anzug, der ein ganzes Vermögen gekostet haben musste, von der Art wie ihn wohl nur Opernsänger oder ähnlich bedeutende Leute tragen würden. Seine Haare waren wasserstoffblond, fast weiß und seine azurblauen Augen waren schwarz umrandet. Außerdem führte er einen schwarzen Spazierstock, mit silbernem Griff, der ebenso schlicht, wie edel war. Unter seinem Anzug ragten weiße Rüschen hervor und er trug ein rotes Halstuch aus Samt oder Seide. Seine Schultern waren mit einem Umhang behangen. Seine Hände waren in weiße Samthandschuhe geschmiegt, was ziemlich warm gewesen sein musste, selbst in dieser relativ kühlen Nacht. Er war, seinem Aussehen nach wohl um die zwanzig Jahre alt.

Er streckte mir seine Hand entgegen. "Steh auf, Welpe! Du musst schleunigst hier weg!"

"Wer bist du und was soll das?", fragte ich fast zornig. Aber mir war klar, wer er war: Er war die Präsens gewesen! Und er war sicherlich kein Mensch, allein schon weil es mich nicht nach seinem Blut verlangte - ich konnte es nicht einmal wahrnehmen.

Ich wies seine Hand unsanft ab und stand auf.

"Was für ein kleiner Sturkopf! Jetzt mach schon hin und folge mir. Ich erklär dir später alles - und ja: Ich bin die 'Präsens', wie du es nennst. Allein deine übermenschliche Neugier sollte genügen, damit du jetzt endlich mitkommst... du bringst uns beide noch in die Urne!", sagte er ungehalten, aber dennoch gelassen, stilvoll.

Ich beschloss, ihm tatsächlich zu folgen. Was konnte er mir schon anhaben?

Ich hatte größte Mühe, ihm folgen zu können so schnell rannte er... und ich wusste, dass er Rücksicht auf mich nahm. Scheinbar hatte ich ihn unterschätzt. Na und - schnell kann jeder sein, das heißt nichts!
 

Er machte - ganz entgegen meinen Erwartungen - in einem ziemlich ärmlichen Viertel Halt. Wir gingen durch eine dreckige, rattenbewohnte Gasse zum Hintereingang eines baufälligen Hauses, welches vermutlich nur noch wegen Denkmalschutz stand und dann eine lange Kellertreppe hinunter. Er öffnete die Tür am Ende und gewährte mir als erstem Einlass. Als ich die Schwelle gerade passieren wollte übermannte mich die Müdigkeit und mir wurde schwarz vor Augen.
 

Als ich die Augen wieder öffnete hatte sich nichts daran geändert: Mir war immer noch schwarz vor Augen. Abgesehen davon fühlte ich mich etwas eingeengt und konnte mich nicht rühren, was mir natürlich Unbehagen bereitete. Ich presste mit all meiner Kraft gegen die Decke, die sich nur etwa zehn Zentimeter über meinem Gesicht befand und schaffte es sogar sie etwas zu bewegen, wenn auch nicht viel. Als ich nachließ, sank sie wieder in ihre ursprüngliche Position zurück. Gerade mal einen halben Zentimeter hatte ich sie bewegen können.

Als ich gerade am Verzweifeln war, bewegte sie sich plötzlich - ganz unverhofft - zur Seite und er stand über mich gebeugt da, lächelte fast menschlich.

"Steh auf! Es ist Zeit... Zeit zu lernen."

Ich richtete mich auf und erkannte meine Unterkunft für den Tag: Es war ein massiver Sarg aus dickem Stein, der Deckel, der eben noch meine Decke gewesen war, war etwa dreißig Zentimeter dick und mit stählernen Verzierungen beschwert. Ein gewöhnlicher Mensch wäre wohl nicht in der Lage, das zu heben.

"Nein, sicher nicht!" sagte er, als habe er meine Gedanken vernommen. "Das ist ja der Sinn und Zweck daran. Tagsüber sind wir ihnen ausgeliefert, wenn wir uns nicht zu schützen wissen."

Ich vernahm seine Worte, sah mich bloß nicht imstande zu antworten. Mein Blick wanderte wie gebannt im Raum umher. Dieser... Keller war einfach riesig und hätte unmöglich zu dem Haus gehören können, welches wir am Morgen betreten hatten. Außerdem war er mit edlen, goldenen Kerzenständern ausgestattet, die den Raum im dämmrigen Licht hielten. Der Boden vermittelte einem - selbst mit Schuhen - das Gefühl, auf einer Wolke zu laufen, denn er war mit dem wohl weichsten roten Teppich ausgelegt, der existierte. An der Wand fanden sich alte Anrichten mit Spiegeln und kleinen Kommoden, sowie ein antiker Kleiderschrank. Einen Kamin gab es auch. "Wo sind wir hier?"

"Wo wir sind?". Er lächelte, "Das ist dir doch bewusst, wenn du ehrlich zu mir und dir selbst bist. Aber das ist ohnehin belanglos - wir bleiben nicht lange."

Während er das sagte, ging er - die Arme hinter dem Rücken verschränkt - zu dem Schrank. Ich stand immer noch regungslos da und sah mich um, sog die vielen Eindrücke, die mir so fremd waren, förmlich auf.

Ohne tatsächlich mit mir zu reden, wies er mich an ihm zu folgen. Ich stutze erneut, machte zögerlich einige Schritte auf ihn und den Schrank zu. Und versteht mich nicht falsch: Ich fürchtete ihn oder die sonderbare Situation, in der ich mich befand, auch die Tatsache, dass er mit mir... sprach ohne seine Lippen tatsächlich zu bewegen nicht im Geringsten. Ich verstand es lediglich noch nicht voll und ganz und das hasste ich! Für mich musste schon immer alles logisch nachvollziehbar sein und davon war das hier weit entfernt! Wieder lachte er, wodurch ich aus meinen Gedankengängen gerissen wurde.

All diese Gedanken! - Ich zuckte zusammen.

Es missfiel mir, dass er es scheinen ließ - nein dass meine Gedanken tatsächlich offen wie ein Buch einsehbar waren, sobald er es wollte.

Er trat jetzt einen Schritt vom Schrank zurück und machte ihn somit frei. "Zieh dir erst mal etwas Vernünftiges an. Alles im Schrank steht zu deiner Verfügung. Ich hoffe darunter findet sich auch solche Kleidung, die deinem Geschmack angemessen ist." Er wies auf eine der Anrichten: "Außerdem findest du in dieser Kommode Schmuck und etwas Geld, das du ebenfalls ganz nach deinem Ermessen nutzen kannst. Ich werde vor der Tür auf dich warten."

Nachdem er den Raum verlassen hatte, öffnete ich eine der drei Schranktüren und was ich sah, versetzte mich in Entzücken: Dieses Schrankdrittel war voller Hemden. Schlichte schwarze, weiße mit Rüschen, Hemden aus gewöhnlichem Stoff, Hemden aus Satin,...

Für einen Außenstehenden musste ich wie hypnotisiert ausgesehen haben. Nach einer Weile entschied ich mich für ein rotes aus Satin. Es passte nahezu perfekt und ich liebte seine Sanftheit auf meiner Haut. In den anderen Schrankteilen fand ich Shirts, für die ich mich nicht weiter interessierte und Hosen, von denen ich mir eine schwarze mit "normalem" Schnitt anzog. Danach machte ich mich an, die Kommode zu durchstöbern: In der ersten Schublade waren diverse Ketten, Ringe und Armbänder. Silber

Ich zögerte... Was war dran, an den Vampirgeschichten?

Als ich schließlich eines der Armbänder nahm passierte jedoch nichts.

Ich nahm mir also ein silbernes Armband für mein linkes Handgelenk, zwei Ringe - jeweils einen pro Ringfinger und eine Halskette, die mir besonders zusagte. Als ich in die zweite Schublade schaute, traute ich meinen Augen kaum, da sie fast bis zum Rand mit Geldscheinen gefüllt war. Das war es, was er unter 'etwas Geld' verstand?

Ich steckte mir einige Scheine in die Taschen und verließ dann den Raum.

Mein noch namenloser Wohltäter stand geduldig an die Wand gelehnt da, mit den Armen vor seiner Brust verschränkt. "Also können wir jetzt..."
 

3. III.: Die Lehre beginnt
 

Wir gingen die lange Treppe, die ich noch vom Morgen in Erinnerung behalten hatte hinauf und traten durch die Tür am Ende tatsächlich in den Hinterhof über den wir gekommen waren. Diesmal ging er jedoch nicht durch die Gasse, wie am Morgen zuvor sondern machte einen Satz auf den Absatz der Feuerleiter und ging nach oben. Ich tat es ihm gleich. Das Haus war klein - gerade mal zwei Stockwerke hoch, doch hatte man einen relativ guten Ausblick und ich konnte das geschäftige Treiben unzähliger Ahnungsloser Menschen beobachten. Ich leckte mir die Lippen, da ich den Geschmack des süßen Lebensnektars schon förmlich auf meinen Lippen schmecken konnte.

"Sie sind köstlich, nicht wahr? Daran wird sich niemals etwas ändern. Blut hat keinen Geschmack, an den man sich gewöhnen kann. Aber wir sind nicht nur hier um zu jagen."

Ich nickte leicht, wandte meinen Blick jedoch nicht von den wandelnden Blutkonserven.

"In erster Linie bist du hier um zu lernen. Zum Beispiel willst du sicher wissen, woher deine Schmerzen kommen und wie du sie loswirst, nicht wahr?" fuhr er fort. Jetzt konnte ich nicht anders, als ihn anzusehen. Meine Augen wurden größer, als ich das gehört hatte, denn diese Schmerzen waren seit meiner zweiten Geburt das schlimmste, was ich kannte und auch in diesem Moment quälten sie mich noch.

Ich wurde ungeduldig. "Sag es mir! Ich muss es wissen! Wenn ich diese Schmerzen erst los bin, bin ich vollkommen!"

Wieder lachte er.

"Der Trick ist einfach: Töte deine Opfer nicht beim Trinken! Totes Blut verträgt dein Körper nicht. Das ist alles. Natürlich darfst du sie nach dem Trinken gerne töten oder einfach verbluten lassen, aber das ist auch nicht unbedingt nötig: Wenn du in Maßen trinkst, nämlich so, dass deine Opfer nicht daran sterben, erinnern sie sich danach an nichts und die Wunde verheilt innerhalb von Sekunden, wenn du etwas von deinem eigenen Blut auf die Wunde tropfst."

Ich kann nicht sagen, dass mich diese Worte sonderlich interessierten, da es mich nicht wirklich kümmerte ob meine Opfer lebten oder starben, allerdings wäre es auf Dauer wohl ratsamer, behutsam vorzugehen und dass ich in der Lage war, dieser schrecklichen Schmerzen Herr zu werden, waren allerdings verlockende Aussichten. Ich gab ihm durch ein Nicken zu verstehen, dass seine Worte Eingang in mein Gehör gefunden hatte und machte sofort einen Satz vom Dach, nachdem ich mir ein Opfer auserwählt hatte.
 

Es war eine junge Frau, um die fünfundzwanzig Jahre. Ich landete hinter ihr und sie drehte sich erschrocken um. Wir befanden uns nicht grade in einer freundlichen Gegend und ich konnte in ihrem Gesichtsausdruck Angst ablesen. Ich hatte all diese schöne Kleidung und dennoch fürchtete sie sich vor mir, wie vor einem gewöhnlichen Handtaschenräuber. Es beleidigte mich und dennoch amüsierte es mich.

Ich legte den Zeigefinger auf den Mund.

"Du musst keine Angst vor mir haben." Ich guckte ihr tief in die Augen und ging auf sie zu. Sie war nicht in der Lage, sich von der Stelle zu rühren und als ich direkt vor ihr stand, schloss sie die Augen. Eine Träne rollte über ihre Wange. Keine Angst hauchte ich auf ihren Hals, bevor ich meine Eckzähne in sie grub. Wieder der Gong, wieder schoss diese himmlische Süße meinen Hals hinunter, wieder schien die Welt um uns sich aufzulösen, und ich trieb schwerelos in angenehmer Wärme, begleitet durch sinnliches Kribbeln. Es glich - wie jedes Mal - einer Ekstase und als der Gong fast abgeklungen war und die Realität wieder begann, mich zu umgeben, ließ ich von ihr ab. Ich leckte über die Wunde, biss mir dann auf die Zunge und lies einige Tropfen meines unsterblichen Blutes auf die Wunde tropfen. Sofort schloss sie sich, doch... sie war tot. Ich hielt sie in meinen Armen und war mehr wütend als alles andere. Ich blickte auf das Dach, doch es war leer. Er stand bereits hinter mir. "Du hast die Grenze überschritten. Du musst noch lernen, wo sie liegt." Ich drehte mich zu ihm um, die Leiche immer noch in meinen Armen. "Aber ich habe von ihr abgelassen, bevor sie tot war! Warum ist sie gestorben?"

Er lachte - Ich hasste es, wenn er lachte!

"Du bist wie ein Kind! Wie soll sie denn leben, wenn sie nur noch einen halben Liter Blut in sich hat? Sie musste sterben, weil du kein Maß der Dinge hast. Du stellst dir alles zu einfach vor. Du musst genügsamer sein und dein Körper braucht ohnehin bei weitem nicht die Unmengen Blut, die du trinkst. Aber zumindest hast du diesmal kein totes Blut getrunken."

Ich warf ihm die Leiche entgegen und ging in die entgegengesetzte Richtung. Entgegen meinen Erwartungen, verfolgte er mich nicht, was mir nur zu recht war. Als ich jedoch mein nächstes Opfer gefunden hatte, wusste ich dass er mich wieder beobachtete. Ich ließ etwas früher von meiner Beute ab, als zuvor und wieder hatte ich übertrieben. Es missfiel mir mehr und mehr, mitten in der Ekstase des Trinkens von meinen Opfern ablassen zu müssen, ganz davon ab, dass es mir höllisch schwer fiel.
 

Dann durchzuckte es mich: Uriel!

Es war bestimmt schon um die drei Uhr nachts. Ich hatte mein Versprechen, ihn aufzusuchen gebrochen. Aber das würde ich gleich am nächsten Tag nachholen.

Tag? Ist dir etwa immer noch nicht klar, was du bist, Welpe?

Schon wieder dieses rechthaberische Getue und die Unverschämtheit, meine Gedanken zu lesen! "Was bin ich denn, bitte? Ein Vampir, na und?" Und wieder lachte er. Zorn kochte in mir auf. "Und hast du noch nie einen Vampirfilm gesehen, Möchtegern-Daywalker? Du kannst nicht im Sonnenlicht rumspazieren. Was glaubst du, warum du in einem Sarg aufgewacht bist? Das ist der nächste Teil deiner Ausbildung: Einige der dämlichen 'Fakten' aus den Filmen und Romanen sind nämlich durchaus wahr. Allerdings längst nicht alle. Du musst also keine Angst vor Knoblauch haben, außer wenn dir der Geruch missfällt. Und Kreuze, Weihwasser, Silber und was den Spinnern sonst noch so einfällt - harmlos! Pflöcke - nicht gefährlicher als Dolche! Aber das Sonnenlicht und Feuer sind tödlich! Und wenn du nicht in einem Sarg schläfst, leidet deine Kraft darunter."

Gelangweilt nickte ich. "Außerdem solltest du dir eine Uhr besorgen. Es ist nicht drei sondern kurz vor fünf, was bedeutet, dass wir zurück zur Gruft gehen sollten."

Ich hatte keine Lust auf weitere Diskussionen mit dem Besserwisser und so folgte ich ihm zur Gruft, wie er es nannte. Als ich ihn unterwegs fragte, wie ich weitere Vampire schaffen kann, lachte er und erzählte mir nichts. Ich begann ihn mehr und mehr zu hassen, doch wollte ich lernen, was er mir zu sagen hatte, also blieb ich bei ihm - vorerst.
 

In der Gruft versuchte ich meinen Sarg zu öffnen, doch ich schaffte es nicht. Grade mal zehn Zentimeter hatte ich den Deckel bewegt, wenn überhaupt. Plötzlich bewegte er sich, ging auf. Der Kerl hatte ihn scheinbar Kraft seiner Gedanken bewegt. Ich legte mich hin und der Sarg schloss sich. Mein Leben lag in seinen Händen. Ich hasste es. Ich hasste zu dieser Zeit viel, wie mir klar wurde.

Es dauerte noch etwa eine Stunde bis ich einschlief. Auch dieses Mal träumte ich einen Traum, der sich jeder Beschreibung, jeder sterblichen Erfahrung entzog und wieder würde ich nicht in der Lage sein, mich am folgenden Abend an den Inhalt zu erinnern.



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Kommentare zu diesem Kapitel (8)

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Von: abgemeldet
2007-08-10T21:59:21+00:00 10.08.2007 23:59
so lang... ._.''' Aber ich habe mich durchgequält! HA! Wenn man es denn quälen nennen kann (naja, nicht wirklich, denn sonst hätte ich wohl aufgehört, wa?).
ES ist noch immer sehr interessant, scheiß Cliffhanger (ich mag die nicht, ich will gleich das nächste lesen, aber es ist schon so spät. Du doofes du du |D) und langsam kriege ich die Befürchtung, dass du doch erfolgreicher wirst als ich. Scheiße... >___>''' Naja, ich krieg ja was vom Geld ab, ne? : D *morgen weiter lesen geh*
Von: abgemeldet
2006-08-15T19:11:35+00:00 15.08.2006 21:11
Echt super ^-^
Du kannst wirklich gut schreiben,
und es ist total spannend.
Einfach nur der Hammer!
Von: abgemeldet
2006-07-17T14:20:48+00:00 17.07.2006 16:20
Der Super-Vampir schreibt seine Super-Vampir Geschichte!^^ Du weißt ja, wie ich eigentlich über Vampire denke... Aber hier mach ich ne Ausnahme... Is ganz akzeptabel dein Geschreibsel...^^ Bäääh!^^ *frohnatur*
Von: abgemeldet
2006-07-17T12:45:56+00:00 17.07.2006 14:45
Ich will mehr und ohne Cliffhanger.^^
Bis zum nächsten Teil.
Von:  Alucard
2006-07-04T13:12:47+00:00 04.07.2006 15:12
hmmmm *grübel*
ich will mic hja nicht shcon wieder wiederholen, aber toll, geil, weiter so und so weiter du kennstm ihc ja XD
Von: abgemeldet
2006-07-03T13:44:12+00:00 03.07.2006 15:44
Du erwartetst jetzt sicher von mir das ich sowas schreibe wie "Einfach nur geil,boaaaaah Traum!" . . .
aber nö!
Und ich würd ja jetzt gern was anderes schreiben,aber da mir nichts einfällt belass ich es bei "Boaaaaah Traum!"
Es gefiel mir nur
"Ich war die Skulptur meiner selbst" nicht!
Weiß nit warum is einfach so . . .
Aber is ganz wie ich von dir erwartet hab . . .
Nein . . .
Noch viel besser!
Von: abgemeldet
2006-07-03T13:15:29+00:00 03.07.2006 15:15
Oho das wird ja immer spannender^^
freu mich schon auf dein nächstes
kapitel^^
Von:  Knight_Föner
2006-07-03T08:11:28+00:00 03.07.2006 10:11
erster^^

Ich find das Kapitel interessant geschrieben! Der einzige Kritikpunkt ist das fehlende n is dem Wort Knie ;-P

Ne im Ernst: Das Kapitel ist gut geschrieben und es macht auch spaß es zu lesen! Schreib es weiter^^ Und sag mir bescheid!


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