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Stadt der Engel

Schatten und Licht, Band 1
von

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Ein neuer Tag

Bis auf einen Silberstreifen am Horizont deutete nichts auf einen Morgen hin. Siri ließ sich einen Moment lang von dem Schauspiel am östlichen Himmel fesseln und genoss den Anblick, wie das glühend weiße Schimmern über der Felswand in ein schwarzes Blau überging. Verträumt setzte sie ihren Weg durch die nächtlichen Gassen Farnelias fort. Mit ihrem leichten Gepäck steuerte sie die großen Lagerhäuser am Rand der Stadt an. Dort angekommen suchte das Depot mit der Nummer zwei. Angesichts der Nummer vermutete sie es in der Nähe des Stadttors, doch sie irrte und musste fast die gesamte Reihe der Schuppen ablaufen, ehe sie zum Lager Zwei kam. Was hatte der Händler wohl verbrochen um so einen undankbaren Platz zu bekommen?

Sie wurde nervös. Eigentlich sollte es ein einfacher Job werden. Nichts ernstes, nur auf ein paar Symptome der Seuche sollte sie achten, also überhaupt kein Grund sich Sorgen zu machen. Einmal Astoria hin und zurück, nichts weiter.

Das Gefühl blieb.

Vor dem ihr zugewiesenen Lagerhaus sah sie drei Ochsenkarren und zwei überdachte Pferdewagen stehen.

„Das soll ein Konvoi sein?“, wunderte sich Siri.

Sie hatte mehr erwartet, vor allem da in den Speichern riesige Mengen Getreide auf ihre Weiterverarbeitung warteten. Diese Masse war durch gerade erst aufgehobene Blockade entstanden und konnte nicht mit so kleinen Transporten abtragen werden. Siri zuckte ratlos mit den Schultern. Wahrscheinlich sollte sie sich freuen, dass sie so wenig Arbeit haben würde.

Sie sah fünf Leute, die die Ladung der Karren sicherten, und einen Mann, der den Vorgang überwachte. Seine Haltung zeugte von Erfahrung und einem gesunden Selbstbewusstsein. Für einen Händler, der Geschäfte machen wollte, wirkte er jedoch etwas schmuddelig. Vor allem sein schwarzes Haar schien schon lange keine Schere mehr gesehen zu haben. Mit ermutigenden Kommandos trieb er seine Männer an. Ein ziemlich bunter Haufen, dachte Siri, während sie ihre zukünftigen Reisegefährten betrachtete. Einer war klein, dünn und hatte ein rotes Tuch auf seinem Kopf, ein anderer trug eine Glatze mit einer hellen Narbe auf der Stirn. Der nächste zeichnete sich durch eine wohlgebräunte Hautfarbe aus, während wieder jemand anders durch eine unnatürlich rote Nase glänzte. Der letzte war groß, hatte dunkelbraunes Haar und war kräftig gebaut, wobei Siri bezweifelte, dass es sich bei den Rundungen auf Bauchhöhe um Muskeln handelte. Nur eins hatten sie gemeinsam. Sie waren alle bis an die Zähne bewaffnet. Die meisten trugen ein Schwert an der Hüfte, aber absolut jeder von ihnen führte einen verborgenen Dolch mit sich. Sie selbst tat es ebenfalls, wie sie sich plötzlich erinnerte. Ihren hatte sie an einer ihrer Waden befestigt. Sollte sie ihn je benutzen müssen, wird ihr Opfer in seinen letzten Sekunden erst schmachten, dann sterben. Ihr Schwert hing zusammen mit ihrem Gepäck über der Schulter.

Irgendwie beschlich Siri das Gefühl, dass sie keine normalen Händler vor sich hatte, eher Veteranen. Das Geschäft mit Transporten war wohl gefährlicher, als sie angenommen hatte. Mit einen mulmigen Gefühl ging sie auf den Aufseher der Truppe zu.

„Guten Morgen, Herr.“, begrüßte sie ihn und machte so auf sich aufmerksam. Dieser wirbelte herum, wobei seine rechte Hand auf dem Griff seines Schwertes ruhte. Zu spät bemerkte Siri, dass sie aus ihrer Vorsicht heraus automatisch alle Spuren ihrer Anwesenheit verwischt hatte. Schnell nahm der Händler wieder seine selbstbewusste Haltung ein.

„Schleichst du dich immer so an?“, fragte der Mann von oben herab.

„Bitte verzeiht.“, entschuldigte sich Siri mit einem Lächeln auf den Lippen.

„Schon gut, was willst du?“, fragte der Händler scheinbar beruhigt.

„Wo finde ich den zuständigen Händler für diesen Transport?“

„Er steht vor dir.“, sagte der Mann ungeduldig. „Was willst du?“

„Ich bin Siri Riston, die Sanitäterin, die euch begleitet.“, stellte sie sich vor.

„Was? Aber ich habe doch mit der Verwaltung ausgemacht, dass uns kein Arzt begleitet.“

„Der König selbst hat mich hierher bestellt.“

„So? Dann wirst du jetzt hier herum stehen, wie bestellt und nicht abgeholt, denn mit uns wirst du nicht reisen.“, widersprach der Händler Siri energisch.

„Wollt ihr den Wunsch des Königs in Frage stellen?“, fragte sie streng. „Wenn das so ist, kann ich euch ja gleich unter Quarantäne stellen.“

„Quarantäne? Aber das darfst du nicht! Es ist doch niemand krank.“, wunderte sich der Händler.

„Ich habe alle Befugnisse.“, informierte Siri ihn. Die Männer hatten inzwischen die Arbeit eingestellt und lauschten. „Und wie kann ich mir sicher sein, dass ihr die Seuche nicht nach Astoria tragt, wenn ich euch nicht untersuche?“

„Aber der König...“, setzte der Händler an, hielt aber inne.

„Nehmen wir sie mit, dann wird's wenigstens lustig auf der Reise.“, brummte der Braunhaarige herüber und alle anderen lachten.

„Niemals!“, brüllte der Händler seine Arbeiter an. „Dann würde eure ganze Disziplin den Bach runter gehen.“

„Als ob sie jemals oben auf war.“, konterte der Typ mit der roten Nase und wieder lachten alle. Aus einem der Pferdewagen kam plötzlich ein unverständliches Stöhnen. Der Händler kletterte eilig auf den Wagen und sein Kopf verschwand hinter dem Vorhang vor dem Eingang. Fünf Sekunden später war sein Kopf wieder sichtbar und er rief: „Sani, sie kommen mit uns, aber halten sie sich von diesem Wagen fern!“

„Wenn ein Kranker da drinnen liegt, muss ich ihn mir ansehen.“; protestierte Siri empört.

„Ich habe Nein gesagt.“, entgegnete der Händler und stieg vom Wagen. Sie wurde misstrauisch. Könnte es sein, dass der Diebstahl des Kopfgeldjägerschiffes nur eine Finte war und Hitomi dort im Wagen lag? Entschlossen ging sie auf den Wagen zu, doch der Händler hielt sie auf und drückte ihr ein Dokument in die Hand. Siri las es aufmerksam durch und prüfte das Siegel zweimal auf seine Echtheit. Dann gab sie ihm enttäuscht das Papier zurück.

„Das reicht mir.“, sagte Siri und schluckte ihren Ärger hinunter. Der Erlass besagte, dass der Transport Immunität gegenüber allen Kontrollen hatte und wurde erst vor zwei Tagen ausgestellt. Von König Van persönlich. Was ging hier vor? In dem Wagen musste etwas sehr brisantes gelagert sein. Sie mochte es ganz und gar nicht im Unklaren gelassen zu werden, aber nach der Schlappe letzte Nacht konnte sie sich kaum darüber beschweren.

„Mit eurer Erlaubnis, Händler Gades, würde ich jetzt gerne die gesamte Mannschaft überprüfen.“

„Ich dachte eigentlich, dass hätte sich hiermit erledigt.“, entgegnete Gades und wies auf das Dokument.

„Ich habe meine Befehle erst gestern Abend vom König bekommen, ihr hingegen vor zwei Tagen.“, erwiderte Siri und gab Gades nun ein Dokument. Dieser händigte es ihr nach einem kurzem Blick darauf wieder aus und rief: „Kio, du bist der erste. Lass dich vom Sani durchchecken.“

„Ich würde euch ganz gerne als erstes untersuchen.“, bat Siri.

„Warum ich?“, fragte er erstaunt.

„Wenn der Händler infiziert ist, ist sowieso der ganze Konvoi gestorben, denn ihr werdet eure Ware wohl kaum ohne euch ziehen lassen. Mit euch kann ich also Zeit sparen.“

„Dauert die Untersuchung so lange?“

„Eigentlich nur ein paar Minuten, aber es geht ums Prinzip.“

Gades rollte mit den Augen und wies auf den anderen Pferdewagen. Beide kletterten über eine schmale Treppe hinein und versuchten zwischen den Proviant und Küchengeräten etwas Platz zu finden.

„Wisst ihr eigentlich, was ich mir dank euch heute Nacht alles von meinen Leuten gefallen lassen muss?“, fragte Gades genervt, als sie mit ihrer Untersuchung begann.

„Ich weiß.“, antwortete Siri mit einem schiefen Grinsen. „Ihr lasst mich dafür vor lauter Sorge um einen Patienten nicht ruhig schlafen. Wir sind quitt.“ Schnell und präzise beendete sie ihre Arbeit. „Schickt bitte den nächsten zu mir.“, bat Siri, woraufhin Gades den Wagen verließ.

Nachdem sie auch den letzten der sechs Mannschaftsmitglieder unter die Lupe genommen hatte, fühlte sie sich so müde wie nach einer Zwölfstundenschicht, was nicht am Umfang der Arbeit lag, sondern schlicht an den Patienten. Sie stieg aus dem Wagen und ging zu Gades, der sie gleichgültig musterte.

„Fertig, Sani? Haben wir die Erlaubnis zum Aufbruch?“

„Pail scheint an einer Erkältung zu leiden oder er hat heute Morgen schon zu tief ins Glas geschaut. Riden hingegen scheint an Minderwertigkeitskomplexen zu leiden, wenn er mit einem Mädchen spricht. Abgesehen davon geht es allen gut. Ihr habt meine Erlaubnis.“, informierte Siri ihn.

„Ist beides nichts neues. Und dafür brauchten wir unbedingt einen Arzt.“

„Ich bin kein Arzt.“, wandte Siri ein. „Noch nicht.“

Gades gab den Befehl zum Aufbruch, woraufhin jeder seinen Platz einnahm. Für einen Moment war Siri sich nicht sicher, auf welchem Bock das geringste Übel saß, doch Gades nahm ihr die Entscheidung ab, indem er sie zu sich auf den Wagen mit dem Kranken winkte.

„Euch ist schon klar, dass ihr so die Gerüchteküche nur noch anheizt.“, gab Siri zu bedenken, während sie sich neben ihn setzte, und wie zur Bestätigung schallte es von hinten:

„Hey Unteroffizier, ihr müsst unseren Kommandanten wirklich in allen Punkten nacheifern.“

„Theo, wir sind nicht mehr im Dienst. Außerdem muss ich euch ja irgendwie dazu bringen während der Reise nach vorne zuschauen.“, rief Gades zurück und setzte seinen Wagen an die Spitze des Zugs.

„Passt aber auf, dass ihr nicht selbst gegen einen Baum fahrt.“, konterte Riden.

Siri schmunzelte. Nie im Leben hätte sie gedacht, dass sie eine Männergemeinschaft derart aufmischen könnte, allein durch ihre Anwesenheit. Nachdem der Konvoi die ersten Kontrollen und das Stadttor passiert hatte, breitete sich zusehends Schweigen aus, welches sich während der Durchquerung der Schlucht aber wieder lockerte. Gegen Mittag hatte Siri schließlich das zweifelhafte Vergnügen an sämtlichen schmutzigen Geheimnissen der Männer hinter ihr teilzuhaben. Immer wieder jedoch hörte sie einen weiteren Namen heraus. Allen Shezar. Jeder in Farnelia kannte den Namen des berühmten Himmelsritters und besten Freund König Vans. Die Geschichten seiner Eroberungen abseits des Schlachtfeldes waren ihr aber neu.

„Gades, woher kennt ihr Allen Shezar?“, fragte sie mehr um die Zeit totzuschlagen als aus wirklichem Interesse.

„Meine Männer und ich waren einst Soldaten an einem Grenzposten von Astoria, der unter dem Befehl Allen Shezars stand. Wir haben deinem König damals Obdach gewährt.“

„Und?“, hakte Siri nach.

„Was soll sonst noch sein?“

„Eure Männer zerreißen sich ja regelrecht das Maul über ihn. Wenn ich an all die Frauengeschichten denke, die ich in den letzten Stunden gehört habe...“

„Die wollen dich nur ärgern. Die Hälfte davon ist frei erfunden.“, dementierte Gades.

„Die andere Hälfte stimmt also. Er muss ja ein ziemlicher Frauenheld gewesen sein.“, schlussfolgerte Siri herausfordernd, doch Gades ging nicht darauf ein.

„Ich kann nicht darüber sprechen.“, sagte er stattdessen.

„Aber eure Männer dürfen es.“, versuchte es Siri weiter.

„Eigentlich nicht, doch sie scheinen es immer wieder zu vergessen. Die kriegen ja nicht einmal mit, dass ein Mädchen alles über deren Liebesleben erfährt und ein Schwätzchen mit den Frauen Zuhause halten könnte.“, erwiderte Gades wobei er den letzten Teil des Satzes betonte und dabei an seinen Wagen vorbei nach hinten sah.

„Das ist eine gute Idee!“, rief sie begeistert, woraufhin es hinter ihr sofort still wurde.

„Wir sollten öfters weibliche Begleitung mitnehmen.“, seufzte Gades zufrieden. „Dann könnte Allen Shezar endlich raus aus dem schlechten Ruf bei den Vätern.“

„Oder er würde noch tiefer 'drin' stecken.“, kam es abermals von hinten und wieder brach Gelächter aus. Siri hingegen brauchte eine Zeit lang, bis den Witz verstanden hatte. Eine Erkenntnis, auf die sie gern verzichten hätte.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Doena
2010-11-23T13:03:17+00:00 23.11.2010 14:03
lol
wieso hab ich mir das gedacht
aber wer liegt den auf dem wagen?
das wird doch wohl nicht allen sein oda?
bin mal gespannt


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