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Wie früher... [beendet am 6.11. ^^]

von

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Disclaimer: Dir en grey gehören sich selbst, die Storyline gehört mir und ich verdiene kein Geld damit. Blablubb.
 


 

Wie soll ich es dir sagen? Soll ich es dir überhaupt sagen oder machen wir einfach so weiter wie bisher? Für dich hat sich vielleicht nichts verändert, aber meine Welt hat sich von Grund auf um 180 Grad gedreht. Bei dem Gedanken an morgen beginnen meine Hände zu zittern, mein Herz schlägt wie wild, dass es schon fast wehtut. Dann werden wir so sein wie immer, uns nichts anmerken lassen und den anderen unsere ach-so-perfekte Freundschaft demonstrieren. Sie ist so perfekt, dass wir sogar miteinander schlafen können, ohne dass sie darunter leiden würde.
 

Zumindest ist es das, was wir uns vorgemacht haben, nicht wahr?
 

Dass ich nicht lache! Nein, sie hat nicht gelitten! Denn sie existiert einfach nicht mehr und das liegt weniger daran, dass wir Sex hatten, sondern viemehr daran, dass ich nicht mehr der selbe bin wie vorher. Der Kyo, den du zu kennen glaubtest, existiert nicht mehr. Über die letzten Jahre hat er langsam vor sich hin vegetiert, bis er letzte Woche in diesem kleinen Hotelzimmer starb.
 

Aber nein, wirst du denken, er lebt doch noch; ich sehe ihn lachen und weinen, höre ihn sprechen und singen. Doch ich muss dich enttäuschen. Was du siehst ist nur noch eine leere Hülle, die den glaubwürdigen Eindruck macht am Leben zu sein, während ihre Seele sich an einen anderen Ort zurückgezogen hat. Eine einsame Zuflucht, lediglich erreichbar wenn man den Weg dorthin bereits kennt. Du kennst diesen Weg nicht, so sehr du mir auch einreden wolltest, du würdest es tun.
 

Jetzt bin ich auf dem Weg zu dir. Der Proberaum ist über die letzten Jahre zu unserer zweiten Heimat geworden. Sicherlich wartest du nun schon dort, ignorierst die irritierten Blicke der anderen, die dich ein ums andere Mal fragen, was mit dir los ist. Du wirst ihnen nicht antworten, bist alles andere als normal, dein Blick auf die Tür gerichtet, um mich ja nicht zu verpassen. Wieso wartest du auf mich? Wahrscheinlich möchstest du mir sagen, dass dir nichts leid tut, dass alles so weiter gehen wird wie zuvor. Das wird aber nicht funktionieren, schließlich bin ich nicht mehr der Mann, dessen Freundschaft dir möglicherweise einmal viel bedeutet hat. Eines Tages werde ich es vielleicht wieder sein. Wer weiß? Andererseits habe ich aber eigentlich vor etwas völlig anderem Angst. So sehr sogar, dass ich es kaum denken kann. Allein die Vorstellung, dass es passieren würde nimmt mir den Atem und lässt mir die Sicht verschwimmen. Die Vorstellung erreicht mich sogar in meiner Zuflucht. Es ist lächerlich, nicht wahr? Wie ich überhaupt auf so eine Idee komme!?
 

An einer Ampel bleibe ich stehen. Der Wind spielt mit meinen Haaren, die mir mittlerweile sicherlich in alle Himmelsrichtungen vom Kopf stehen. Es ist ungewöhnlich mild für Ende Februar, trotzdem friere ich erbärmlich. Mit jedem Schritt, den ich dir näher komme, wird es schlimmer. Das Zittern macht mich vollkommen verrücht. Als die Ampel wieder grün wird, brauche ich einige Augenblicke um meine Beine dazu zu bringen, sich wieder in Bewegung zu setzen. Irgendein Kerl rempelt mich im Vorbeigehen an, stößt gegen meinen Arm, der daraufhin nur schmerzhaft protestiert. Genau das, was ich brauche um wieder klar zu denken! Nur noch ein paar hundert Meter bis zum Proberaum. Nur noch einige Minuten bis ich dich sehe.
 

Sicherlich wird Kaoru mich zur Rede stellen, wissen wollen warum ich nicht auf seine Anrufe reagiert habe. Wenn er überhaupt versucht hat mich zu erreichen. Aber ich habe es nicht gewagt nachzusehen, aus Angst, was du mir vielleicht geschrieben hast, wie oft du versucht haben könntest mich zu erreichen. Auch jetzt liegt das Handy noch tief vergraben in einer Tasche neben dem Schreibtisch. Wie ich mich kenne wird es da auch noch einige Zeit bleiben.
 

Ohne es gemerkt zu haben bin ich wieder stehen geblieben. Mein Blick wandert die Straße hinauf und hinunter, streift die Dutzenden Autos, die in rasender Geschwindigkeit vorbeirauschen und bleibt schließlich an dem nahegelegenen Park hängen. Viele fröhliche Tage haben wir schon dort verbracht, im Sommer, wenn Leader-sama einmal die Güte hatte uns eine Pause zu gönnen. Meistens habt ihr euch dann amüsiert, habt gelacht und über Gott und die Welt geredet. Selbst Shinya, der sonst so ruhig und zurückhaltend ist, hat sich nicht selten eingemischt. Oft genug saß ich nur daneben, habe euch zugehört oder bin in meinen eigenen, düsteren Gedankenwelten versunken. Das war auch in Ordnung.
 

Jetzt liegen die großen Wiesen unter dichten Nebelschwaden. Die Bäume ragen blätterlos wie Skelette in den Himmer und man könnte meinen, sie schwebten. Nur ein paar wenige Leute führen ihre Hunde spazieren, sonst ist niemand dort. Alles scheint wie ausgestorben. Es kostet mich einiges an Überwindung meinen Blick endlich davon zu lösen und meinen Weg zum Proberaum fortzusetzen. Einmal in Bewegung tragen mich meine Füße ganz automatisch, die Treppe hinunter, bis vor die stählernen Doppeltüren. Dahinter ertönen die harten Klänge von Drums, die dumpf hindurch klingen.
 

Mit einem leisen Seufzen zwinge ich mich endlich die Hand nach der Klinke auszustrecken, drücke sie hinunter und öffne die Linke der Türen. Mit einem leisen Quietschen schwingt sie auf.
 

Ich weiß, dass ich die Zeit nicht anhalten kann. Die Erde dreht sich weiter, egal was ich tue, die Menschen halten nicht inne nur weil einer von ihnen – in diesem Fall bin das wohl ich – nicht mehr hinterher kommt.

Wie erwartet springst du auf, sobald die Tür aufgeht. Der Chibi schlägt wie besessen auf sein Schlagzeug ein, sein hübsches Gesicht ist unter dem hin- und herschwingendem Wust an Haaren nicht mehr zu erkennen. Der Rhytmus ist eingängig und auf seine Weise fast schon hypnotisch. Am liebsten würde ich mich irgendwo in eine Ecke setzen und ihm für den Rest dieses Tages zuhören. Aber du kannst das nicht zulassen, nicht wahr?
 

Kaoru bedenkt meine Ankunft nur mit einem kurzen Lächeln, bevor er sich wieder seinem Gesprächspartner am anderen Ende der Telefonleitung zuwendet. Derweil ist unser Bassist voll und ganz mit Shinya beschäftigt. Toshiya scheint unseren Jüngsten fast mit Blicken zu verschlingen. Muss Liebe schön sein...
 

In Gedanken versunken habe ich kaum darauf geachtet, wie du mir immer näher kommst. Jetzt stehst du so nah vor mir, dass ich sogar deinen Duft wieder riechen kann und die Wärme deines Körpers zu spüren meine. Du scheinst zu zögern was du sagen sollst, ob du überhaupt etwas sagen sollst, ob du mich berühren kannst. Ich kann dir selbst diese Frage nicht beantworten. Sprichst du mich nun an, werde auch ich vernünftig mit dir reden. Schreist du mich an, schreie ich genauso laut zurück. Solltest du mich küssen, werde ich diese Berührung erwidern. Alles liegt an dir. Mit fehlt die Kraft.
 

Deshalb sehe ich dich nur aus großen Augen an, warte bis du vielleicht irgendwann den leisesten Hauch einer Reaktion zeigst. Wahrscheinlich weißt du genauso wenig wie ich, was jetzt passieren woll. Wird doch wieder alles wie früher? Minuten vergehen ohne dass sich etwas verändert. Langsam werde ich des Wartens müde. Kaoru schaut schon ganz komisch.
 

Du räusperst dich, senkst den Blick. “W-Wie geht's dir?” Deine Stimme zittert. In diesem Moment kommst du mir so unglaublich zerbrechlich vor. Sonst bist du immer der Starke, derjenige an dessen Schulter ich mich anlehen kann, der der niemals Schwäche zeigt. Natürlich ist das nicht dein wahres Ich, aber es ist das das du mich und die anderen sehen lässt. Jetzt wird mir einmal mehr deutlich wie abgemagert du mittlerweile bist, wie verletzlich du geworden bist. Du bist nur noch Haut und Knochen, wie du mit deinen Armen noch die Gitarre halten kannst, ist mir ein Rätsel.
 

Ich zucke mit den Schultern. “Ging schon besser und selbst?” Die Worte sollten sich nicht so verletzend anhören. Ich sehe den Schmerz in deinen Augen, auch wenn du versuchst dir nichts anmerken zu lassen. Wir kennen einander einfach zu gut. Meine Stimme ist heiser, mein Hals rauh. Wenn ich jetzt auch noch eine Erkältung bekomme, reißt Kao sicher der Geduldsfaden.
 

Bei der Vorstellung kann ich mir ein Grinsen nur schwer verkneifen.
 

“Hm.”, machst du und siehst mir immernoch nicht in die Augen. Eine Strähne deiner langen Haare hängt dir in den Augen und ich muss mich beherrschen, sie nicht zur Seite zu streichen. Sie sehen so weich aus und jetzt weiß ich auch, dass sie sich genauso anfühlen. Wieder stehe ich vor der Frage, was ich eigentlich will. Und kann sie nicht beantworten. Besser, ich verschiebe die Lösung dieses Problems auf später.
 

“Können wir... reden?”, fragst du kleinlaut und spielst dabei abwesend mit dem Reißverschluss deiner Trainingsjacke.
 

“Tun wir doch schon.”, entgegne ich kalt. Ich kann nicht aufhören dich zu verletzen, auch wenn ich es will.
 

“Alleine.”, sagst du und ich nicke nur. Natürlich weiß ich was du meintest. Ohne ein weiteres Wort gehen wir wieder raus, wo der Wind in den wenigen verstrichenen Minuten noch stärker geworden ist. Du stemmst dich gegen die Böen, bist plötzlich wieder alles andere als schwach. In diesem dünnen Oberteil musst du doch frieren!?... im Moment verstehe ich mich selbst nicht mehr.
 

Wir bleiben neben einer Mauer einige Meter entfernt stehen, die wenigstens etwas Schutz vor dem Wind bietet. Der Himmel ist von einer grau-weißen Wolkenschicht bedeckt. Sicher regnet es bald. Ich mag regen.

Wieder sagt niemand etwas. Das einzige Geräusch ist das Rauschen des Winds und der vorbeifahrenden Autos. Niemals habe ich mich unwohler in deiner Gegenwart gefühlt. Warum bist du so still? Wieso sagst du nichts? Hat dich der Mut verlassen?
 

“Tooru... wie geht es jetzt weiter?” Dass du mich mit meinem Taufnamen ansprichst, macht mir den Ernst der Situation einmal mehr deutlich. Niemand würde es wagen und von niemand anderem würde ich es mir gefallen lassen.
 

“Nichst hat sich verändert, Die...” Was eine Lüge! Alles hat sich verändert, für immer, unwiderruflich.
 

“Für mich schon!” Schon fast schüchtern sagst du das. “Ich weiß nicht, ob es Liebe ist, die ich für dich empfinde, aber...”
 

Länger halte ich das nicht aus. Ich schließe die Augen nur um deinen leidenschaftlichen, aber traurigen und flehenden Blick nicht mehr ertragen zu müssen. “Hör auf, Die! Das führt doch zu nichts und du weißt es genau!” Seufzend lasse ich mich an der rauhen Steinmauer hinter mir hinuntergleiten. Der Stoff meiner Jacke gibt ein protestierendes Kratzgeräusch von sich. Meine zitternden Beine wollen mich keine Minute länger tragen. “Ich kann dich nicht lieben...”
 

Du versuchst deinen Schmerz wieder zu verstecken, doch versagst kläglich. “Wieso?”
 

Eine einfache Frage verlangt eine einfache Antwort. “Weil ich nicht weiß wie.”
 

Du verstehst es nicht, natürlich nicht, schließlich verstehe ich es nicht einmal selbst. Vielleicht will ich es auch garnicht wissen, wie ich dich lieben sollte. Wenn ich dich nicht liebe, kannst du mir nicht wehtun. So einfach ist das.
 

“Bereust du es?” Du fragst das, als würdest du mit den Tränen kämpfen. Ich will dich nicht weinen sehen, oder überhaupt unglücklich, besonders wenn es meine Schuld ist und ich genau weiß, wie ich dich wieder zum Lachen bringen könnte.
 

Ich schüttle den Kopf, stehe wieder auf. “Es war schön, wenn du das meinst.” Nur ein weiterer Weg dir auszuweichen. Die Schnitte an meinen Armen sprechen eine andere Sprache. Aber es würde dir mehr wehtun, würdest du es erfahren, als mir. Das kann ich nicht verantworten.
 

“Das glaube ich dir sogar, Kyo.”, sagst du seufzend und machst Anstalten deine Hand nach mir auszustrecken, überlegst es dich jedoch anders und streifst dir stattdessen durch die Haare. “Aber bereust du es?”
 

Diesmal ist es an mir zu seufzen. Du willst es wohl nicht anders. Müde reibe ich mir die Augen; alles nur um dich nicht ansehen zu müssen. “In dem Moment war es die einzig richtige Entscheidung.”
 

“Und jetzt?” Kannst du dich nicht einfach mit dieser Antwort zufrieden geben?
 

“Die, hör auf, bitte.” Es ist nicht meine Art jemanden um etwas geradezu anzuflehen. Was ich will nehme ich mir, doch jetzt fehlt mir die Kraft dazu. Du hast mich in meinem schwächsten Moment gesehen, da macht es jetzt auch keinen Unterschied mehr. Denn du kennst mich, nicht wahr? Besser als mit lieb ist. Du kennst mich in und auswendig und verstehst meine Gedanken so sehr, dass es mir schon Angst macht. Vielleicht ist das der Grund warum ich mich dir nicht noch mehr öffnen kann. Denn wenn ich es tue, habe ich keine Kontrolle mehr darüber wieviel du siehst, wie weit du vordringst in mein Innerstes. Wenn du einmal dort bist, gibt es kein Zurück mehr. Dann kannst du da drinnen zerstören was du willst und selbst wenn du es nicht willst, wirst du es irgendwann unweigerlich tun.
 

Warum siehst du mich plötzlich so an?
 

“Ich liebe dich, Kyo.” Deine Stimme ist kaum hörbar über dem Heulen des Windes und trotzdem so laut, dass deine Worte in meinen Ohren widerhallen. Jetzt plötzlich bist du dir so sicher? Ich habe dich noch nicht mal ein bisschen in mein Inneres gelassen und schon verletzt du mich. Wahrscheinlich ohne es zu merken...
 

Jetzt kommst du mir immer näher. Alles in mir schreit danach wegzulaufen, zurück in den Proberaum, zu den anderen, die sicher schon auf uns warten. Nie habe ich mir mehr gewünscht von Kaoru unterbrochen zu werden. Lieber als alles andere würde ich jetzt in der Aufnahmekabine stehen. Alleine, nur mit der Musik um mich herum. Einfach all meine Angst, meine Gefühle hinausschreien und alles vergessen. Für immer. Doch das kannst du nicht zulassen. Du musst mir näher und näher kommt bis sich unsere Lippen beinahe berühren. Ich spüre deinen Atem, kann dich riechen, wie an jenem Tag. Ich sollte weglaufen. Ich kann das nicht zulassen. Mir wird schwindlig.
 

Einige Augenblicke geschiet garnichts. Wir sehen und an. Ich versuche auf den Beinen zu bleiben und das Zittern meiner Knie unter Kontrolle zu bringen. Dann machst du einen Schritt zurück. Betreten siehst du zu Boden.
 

“Tut mir leid.”, nuschelst du in deinen nicht vorhandenen Bart.
 

Du verwirrst mich immer mehr. “Was tut dir leid?”
 

“Ich hätte das nicht sagen sollen...” Diese ganze Situation ist völlig skurril. Wir sollten diese Unterhaltung garnicht führen, das wissen wir beide. Tut es dir leid, weil es nicht wahr war, was du sagstest? Oder hast du bemerkt wie unangenehm mir das ganze ist? Warum hören wir nicht einfach auf damit? Gehen wir zurück, machen unseren Job und sind wieder Freunde. Alles wie früher. Lass alles wieder sein wie früher...

Nein, ich bereue es nicht, nicht im Geringsten. Das einzige Problem ist, dass wir die ganze Sache nicht gleich sehen.
 

Meine Gedanken werden unterbrochen als Toto hinter uns die Tür aufreißt. Wie so oft ziert ein verführerisches Lächeln seine weichen Lippen und eine Strähne seiner momentan dunkelbraunen Haare hängt ihm über den Augen. Du zuckst bei seinem Anblick erschrocken zusammen, weichst noch einen Schritt zurück, als hättest du Angst mit mir zusammen gesehen zu werden.
 

Toto bleibt einen Moment stehen, sieht vom einen zum anderen und ruft dann freudestrahlend: “Kao reißt euch gleich den Kopf ab, wenn ihr noch länger hier draußen rumsteht!” Nach dieser lautstarken Verkündung dreht er sich um und verschwindet wieder im Proberaum, lässt mich nicht minder unentschlossen mit dir zurück. Augenblicke vergehen, ohne dass einer von uns etwas tut. Vielleicht sollten wir wirklich rein gehen, bevor Kaoru noch auf die Idee kommt uns heute Überstunden schieben zu lassen. Als ich mich gerade umdrehen will, greifst du nach meinem Arm und ziehst mich zu dir. Ich bin zu überrascht um darauf zu reagieren und ehe ich es mich versehe finde ich mich in deinen Armen wieder. Warum ist Toshiya nur so schnell wieder verschwunden? Wieso hat er mich mit dir allein gelassen?
 

Wieder sind es nur Zentimeter, die uns voneinander trennen. Doch diesmal bleibst du bei deiner Entscheidung und presst deine Lippen fest auf meine. Den Bruchteil einer Sekunde denke ich darüber nach diesen Kuss zu verhindern, kann es aber nicht. Zu sehr hat mich deine ganze Art bereits wieder in seinen Bann gezogen. Das Zittern wird wieder schlimmer, nur dieses Mal hindern deine Arme um meinen Körper mich daran den Boden unter den Füßen zu verlieren.
 

Wir trennen uns erst wieder, als uns beiden der Atem ausgeht. Ich spüre deinen Blick auf mir ruhen, kann mich aber nicht überwinden dir in die Augen zu sehen. Stattdessen lehne ich meinen Kopf gegen deine Brust und versuche mein rasendes Herz wieder unter Kontrolle zu bringen. Das alles ist einfach der pure Wahnsinn! Und entgegen besseren Wissens mache ich dir auch noch Hoffnungen.
 

“Wir sollten langsam rein...”, sagst du schließlich und rettest mich somit davor selbst etwas tun zu müssen. Als du dich auf den Weg machst, folge ich dir wortlos und konzentriere mich darauf meine Schritte nicht zu unsicher wirken zu lassen. Wieder quietscht die Tür beim Öffnen und Schließen.
 

“Na, seid ihr beiden Turteltäubchen endlich fertig?”, grinst Kao dich an, völlig untypisch, eigentlich sollte jetzt eine Standpauke folgen, die sich gewaschen hat. Ahnt er etwa was? Hast du mit ihm darüber gesprochen, was zwischen uns läuft? Bevor ich weiter darüber nachdenken kann, dirigiert Kao mich in die Aufnahmekabine und drückt mir die ausgearbeitete Fassung eines meiner Texte in die Hand. Vor einigen Minuten noch habe ich mir nichts sehnlicher gewünscht, doch jetzt schon weiß ich, dass ich mich ohnehin nicht darauf konzentrieren können werde.
 

Ich sage nichts, warte bis Kaoru sich an das Mischpult setzt, während du mit Toto im Schlepptau wieder einmal Shinya aufziehst. Du benimmst dich, als wäre alles wie immer, als hätte sich nichts verändert. Kommt es dir so vor? Um es mir selbst leichter zu machen zwinge ich mich, dich nicht anzusehen. Es wird ja doch nicht besser und Leader-sama kommt auf weitere dumme Gedanken.
 

Ich greife nach den Kopfhörern, ziehe sie über und warte bis die Musik einsetzt. Dabei versuche ich mir einzureden, dass alles wie immer ist, nur ein ganz normaler Arbeitstag in einem Leben, das seit Jahren nicht mehr normal ist. Stundenlang Musik an, Musik aus, langsam kenne ich jede Note, jeden Takt im Schlaf, könnte bestimmt schon die Gitarrenparts spielen, wenn auch nicht so perfekt wie du oder Kaoru. Der Leader verliert zur Abwechslung mal nicht die Geduld, schein selbst so sehr in Gedanken, dass er kaum bemerkt, wie der Tag voranschreitet und langsam seinem Ende zugeht. Hier unten sieht man nicht wie die Sonne langsam hinter der Skyline Tokyos verschwindet, doch die Zeiger der Uhr ticken undaufhörlich. Werden sie irgendwann stehen bleiben?
 

Als endlich Feierabend ist, merke ich erst, dass ich den ganzen Tag noch nichts gegessen habe. Mein Magen knurrt protestierend, doch mein Appetit hat sich lange verabschiedet. Mittlerweile habe ich solchen Hunger, dass mir schlecht ist. Wäre mein Bauch nicht so leer, hätte ich mich sicher längst übergeben. Trotzdem empfinde ich nicht den geringsten Reiz, als ich euch über Shin-chans Obst herfallen und hier und da immer wieder eine Kleinigkeit essen sehe.
 

Ihr wollt gemeinsam in der Nähe zu Abend essen. Sogar Shinya stimmt zu, nachdem ihr euch vom Fastfood-Laden abbringen lasst. Doch dein prüfender Blick auf mir, als ich meine Sachen zusammenpacke, macht es mir unmöglich euch zu begleiten. Allein der Gedanke du könntest mich wieder irgendwo allein erwischen und ich würde wieder schwach werden, ist genug um mich nach Hause zu treiben.
 

“Kyo, denk dran, morgen früh steht ein Fernsehinterview an!”, ruft Kaoru mir noch hinterher, doch ich bin schon fast draußen. Was morgen ist interessiert mich gerade herzlich wenig, Hauptsache raus hier und ersteinmal durchatmen.
 

Der Wind hat endlich nachgelassen, dafür regnet es in Strömen. Schon nach wenigen Metern bin ich völlig durchnässt, aber eigentlich habe ich kein Problem damit morgen eine Erkältung zu haben. Bei dem Interview werde ich mich sowieso raushalten. Immer wieder dieselben, hirnlosen Fragen... Ist es das womit wir unser Leben verbringen werden? Tag ein, Tag aus, umgeben von Leuten, die sich weniger um unsere Musik kümmern, als darum wie es um unser Liebesleben steht. Genau darum dreht sich doch die ganze Welt. Aber ehrlich gesagt habe ich dringendere Probleme als die Liebe – sofern diese überhaupt existiert.
 

Die Wohnung ist dunkel und verlassen, die Luft kalt, weil ich schon längst die Heizung ausgeschaltet habe. Trotzdem tue ich nichts dagegen, lasse meine Sachen irgendwo in einer Ecke liegen und mache es mir auf dem Sofa gemütlich. Fest in eine warme Wolldecke gewickelt, habe ich von dort aus einen guten Ausblick auf die hellerleuchteten Straßen des nahen Shibuyas. Dorthin zu sehen gibt mir manchmal das Gefühl nicht ganz allein zu sein, manchmal macht es mich noch einsamer. Heute ist letzteres der Fall. Alle scheinen mit ihrem Leben klar zu kommen, selbst wenn sie nicht zufrieden damit sind. Mir ist klar, dass ich mit meinem Leben zufrieden sein sollte, mein früheres Ich wäre es sicherlich. Ich kann nicht einmal sagen mit was genau ich nicht zufrieden bin. Es gibt keine Probleme, alles läuft wie es laufen soll.
 

In meinem Kopf schwirren die Gedanken wie wild umher, so schnell, dass es mir unmöglich ist einen davon zu fassen. Es gibt nicht einmal ein Zentrum um das sich diese Gedanken bewegen. Immer wenn ich die Hand nach ihnen ausstrecken will, lachen sie mich aus und verschwinden für einen Moment bis sie wiederkommen um sich wieder in dieses Durcheinander einzumischen. Du stehst hinter mir, flüsterst mir ermutigende Worte zu, doch im nächsten Augenblick bis du wieder ein Teil meines Gedankenwirrwarrs.
 

Der Blick nach draußen ist vom Regen verschwommen. Als würde man durch einen Tränenschleier auf die Welt sehen. Meine Tränen wollen nicht fließen. Ich spüre sie, bin kurz davor weinend zusammenzubrechen, mein Körper zittert. Doch etwas hindert mich, tut es immer, schon seit Jahren. Ich habe das Gefühl zig Meter unter Wasser zu sein, der Druck unglaublich groß, alle Reize gedämpft. Ich will, dass es aufhört, für immer, aber damit es wenigstens für ein paar Stunden verschwindet, dieses Gefühl, bleibt mir nichts anderes... trotzdem würde es zurückkommen und besser macht es die ganze Situation auch nicht... Die letzten Tage habe ich jeden Abend damit verbracht und einfacher wurde es so sicher nicht. Die wenigen Stunden Schlaf, die ich mir somit geschaffen habe, wurde ich von Albträumen heimgesucht und wachte erschöpfter auf als ich eingeschlafen bin.
 

In der Ferne ertönt ein Klingeln.
 

Die Tür, jemand ist an der Tür, sage ich mir und zwinge mich aufzustehen. Mittlerweile kenne ich die Wohnung so gut, dass ich auf dem Weg durch den Flur nicht einmal mehr gegen die Kommode stoße, was kurz nach dem Einzug regelmäßig passiert ist. Über die Frage wer und warum da jemand so stürmisch an der Tür klingelt, mache ich mir keine Gedanken. Viel zu viel Anstrengung fordert der Versuch nicht ganz den Eindruck zu machen, als ob ich gerade völlig durch den Wind wäre.
 

In der Dunkelheit strecke ich die Hand nach der Klinke aus, drücke sie herunter bis die Tür von allein aufschwingt und mir den Blick auf einen nassen, roten Haarschopf freigibt. Du bist ziemlich zerzaust, die Klamotten kleben auf deiner Haut und du zitterst vor Kälte. Deine Lippen sind schon ganz blau. Was machst du bei dem Wetter auch draußen?
 

“Baka.”, sage ich nur und schiebe dich vor mir her über den dunklen Flur bis zum Bad, wo ich nach dem Lichtschalter taste und dich erst einmal unter der Dusche abstelle. “Ausziehn!” Das ist jetzt vielleicht das falsche Stichwort, denn du schaust mich etwas verdutzt an, grinst dann aber. Schnell füge ich hinzu: “Du gehst jetzt duschen, ich geb dir was von mir zum anziehn.”
 

Damit drehe ich mich um. Du kennst dich hier aus, ist schließlich nicht das erste Mal, dass du hier bist und die Dusche wirst du wohl noch alleine finden. Für den Moment spielen wenigstens meine Gedanken nicht mehr verrückt, denn es gibt etwas worauf ich mich konzentrieren kann, wenn auch nicht für lange. Es ist besser als nichts. Darüber was in einigen Minuten sein wird, möchte ich jetzt noch garnicht nachdenken.
 


 

Das Teewasser kocht schon fast. Von der Küche aus kann ich dich beobachten, wie du in meinen etwas zu kleinen Klamotten auf dem Sofa sitzt und dich verloren umsiehst. Du machst fast den Eindruck eines kleinen Kindes, das nicht weiß was es tun soll und auf die Standpauke seiner Eltern wartet. Du siehst aus, wie ich mich gerade fühle. Im Moment möchte ich am liebsten von hier weg, irgendwohin wo mich niemand kennt, wo ich mich einfach nur in eine Ecke setzen und nachdenken kann. Ich will denken, muss denken, um irgendwie wieder Ordnung in dieses ganze Chaos zu bringen.
 

Das Wasser ist fertig. Beinahe hätte ich es überhört. Schließlich kämpfe ich mich mit dem vollen Tablett zu dir ins Wohnzimmer, wo du mittlerweile Licht gemacht hast. Die Helligkeit tut mir in den Augen weh, nimmt mir die letzte Zuflucht, und dass du mich so ansiehst macht es auch nicht besser. Meine Hände zittern so sehr, dass ich Angst habe das Tablett plötzlich fallen zu lassen. Der Regen hat noch immer nicht aufgehört, wird es vielleicht die nächsten Tage nicht, oder auch nie. Mir ist es gleich. Was macht es schon für einen Unterschied ob es regnet oder schneit oder strahlenden Sonneschein hat? Unsere Situation wird es trotzdem nicht verändern.
 

Einige Minuten sitzen wir schweigend nebeneinander. Du trinkst ab und zu einen Schluck von dem dampfenden Getränk vor dir, davon abgesehen ist das einzige Geräusch das Rauschen des Regens.

“Warum bist du hergekommen?”, überwinde ich mich schließlich zu fragen.
 

Du sagst nichts, stellst die Tasse wieder auf den Tisch. Meinen Tee habe ich nicht einmal angerührt. Deine Haare sind nass, das rot scheint dadurch viel dunkler als es eigentlich der Fall ist. Endlich antwortest du. “Ich wollte dich sehen, Kyo.”
 

“Warum?”, frage ich wieder. Ich verstehe dich nicht. Wir haben uns den ganzen Tag gesehen, sei doch einfach einmal froh ein bisschen Zeit für dich zu haben. Jeder braucht das, sogar ein Andou Daisuke. Irre ich mich? Bist du so anders als der Rest der Welt? Oder bin ich es der anders ist?
 

Wieder einmal siehst du mir nicht in die Augen, aber gerade ist das wohl gut so. “Weil ich dich sehen wollte. Ich liebe dich, Kyo.” Ich verstehe dich nicht. Werde ich es irgendwann? Kann ich es lernen? Will ich es überhaupt? Denn dann habe ich keine Entschuldigung mehr. Wirst du dann immernoch für mich da sein? Wirst du mich weiterhin lieben?
 

“Du solltest aufhören damit.”, sage ich leise. “Es verletzt dich nur.”
 

“Wie kann mich die schönste Sache der Welt verletzen?” Du scheinst diese Frage ernst zu meinen.

Ich schüttele den Kopf. “Hör auf.” Ich kann es dir nicht erklären und selbst wenn, würdest du es nicht verstehen, es wohl auch nicht wollen. Warum solltest du? “Du kannst hier schlafen, Die, es ist zu spät, als dass du noch alleine nach Hause gehen solltest.”
 

“Ist das dein Beschützerinstinkt?”, lächelst du mich schelmisch an und bist wieder der Die, den ich kenne. Genau wie früher, bevor das alles angefangen hat. Lass es doch wieder sein wie früher. Früher fiel es uns nicht schwer eine Unterhaltung am Laufen zu halten und dabei auch noch Spaß zu haben. Jetzt ist es quälend, fast die reinste Folter.
 

Ich komme nicht umhin dein Lächeln zu erwidern. Zu gerne würde ich mich jetzt einfach fallen lassen, deine Lippen auf meinen und deine Hände auf meinem ganzen Körper spüren, aber dieser Wunsch ist egoistisch. Du würdest dir weiterhin Hoffnungen machen, während ich dich schamlos ausnutzte und spätestens morgen früh käme das große Erwachen. Dass sich nichts geändert hat, dass auch diese Nacht nichts weiter sein wird als Spaß ohne jegliches Gefühl.
 

Wie kannst du jemanden wie mich lieben, Die? Bisher hat mich niemand geliebt, nicht so. Im Gegenteil, jedes Mal wenn ich jemandem meine Gefühle gestand, hat sich derjenige zurückgezogen oder sie nicht ernst genommen, hat sich jemand anderen gesucht um mit diesem glücklich zu werden. Wenn ich dir nachgeben würde, dir sagte, was du glaubst so unbedingt hören zu müssen, wirst auch du mich verlassen. Schließlich hast du dann, was du willst und es ist nicht mehr interessant. Du hättest dein Ziel erreicht. Bravo.

Als ich in dieser Nacht in meinem viel zu großen Pyjama-Ersatz-T-Shirt in dem Doppelbett im dunklen Schlafzimmer liege, macht mich der Gedanke, dass du nur wenige Meter von mir entfernt lediglich durch die dünne Wand getrennt liegst, fast verrückt. Es ist schon spät, meine Augen fallen immer wieder zu, aber der Schlaf will nicht kommen. Kannst du auch nicht schlafen? Am liebsten würde ich aufstehen und nachsehen, aber was, wenn du wirklich noch wach bist und mich bemerkst? Wie soll ich es erklären? Würdest du nicht wieder denken, dass ich doch mehr für dich empfinde, als ich offen zuzugeben vermag?
 

Also liege ich weiter in der Dunkelheit. Meine Gedanken schwirren wieder herum, ohne dass ich einen von ihnen wirklich ergreifen und bis zum Ende denken kann. Aber was macht es schon für einen Unterschied? Für jeden beendeten Gedanken würde ein neuer hinzukommen.
 

Der Wind hat wieder zugenommen, der Regen prasselt lautstark gegen mein Fenster. Wenn ich jetzt einschlafe, wird er morgen noch da sein? Oder hört er auf? Macht es überhaupt einen Unterschied ob ich schlafe oder wache oder sterbe? Hinsichtlich des großen Ganzen ist die Antwort, glaube ich, nein. Wenn ich mir dich ansehe, macht es den sicherlich; zumindest wenn es ums Leben oder Sterben geht.
 

Meine rechte Hand wandert beinahe unbemerkt zu meinem linken Arm. Ich streiche einige Male über die kalte Haut, Gänsehaut breitet sich auf meinem ganzen Körper aus, unter den Fingerspitzen spüre ich viele kleine Erhebungen. Zeichen der vergangenen Jahre, all der Schmerzen und Probleme denen ich versucht habe zu entkommen, aber es nicht geschafft habe. Vielmehr habe ich mir damit nur noch mehr Probleme eingehandelt. Aber ich habe verlernt anders mit den ganz normalen Schwierigkeiten des Alltags klar zu kommen.
 

Seufzend drehe ich mich auf die Seite, ziehe die Decke enger um mich. Es ist kalt, das ist es immer, eigentlich sollte ich mich längst daran gewöhnt haben. Das wenige Licht, das durch die Vorhänge hereinfällt, erhellt mein Nachttischchen. Nicht nur die kleine Lampe, die darauf steht, oder den Roman, den ich schon seit Wochen nicht mehr zur Hand genommen habe und wahrscheinlich auch so schnell nicht beenden werde, sondern auch das kleine Notizbuch, in das ich schon mindestens genauso lange nichts mehr geschrieben habe. Es ist nicht zum Schreiben da. Es existiert, um mein Geheimnis zu wahren, den Gegenstand zu verstecken, der mir Nacht für Nacht beweist, dass ich noch am Leben bin; dass ich noch etwas fühlen kann.
 

Wie ist es zu fühlen? Ich kann mich nicht erinnern wann ich das letzte Mal etwas außer Schmerz gefühlt habe, und selbst den habe ich mir selbst beigebracht. Du hast nicht nur kein Problem damit zu fühlen, sondern kannst diese Gefühle auch noch ausdrücken, offen mit ihnen umgehen. Genauso Kaoru, Toshiya und selbst Shinya von Zeit zu Zeit. Ich bin mir sicher, selbst er fühlt tief in sich sehr viel, auch wenn er es nicht nach außen hin zeigt oder zeigen kann. Aber ich erinnere mich kaum an eine Zeit, da ich wirklich gefühlt habe.
 

Mein Leben begann mit der Musik. Bevor ich in der ersten Band gesungen habe, erinnere ich mich nicht an viel. Nein, das ist falsch. Ich erinnere mich an alles, jedes kleinste Detail, aber es ist ein anderes Leben. Es hat nichts mit meinem heutigen Ich zu tun. Damals war ich ein anderer Mensch. Heute bin ich vielleicht nicht einmal mehr einer, denn Mensch zu sein, heißt zu fühlen. Oder nicht? Meine Erinnerungen an damals sind zwar klar, solange ich mich darauf konzentriere, aber sie kommen mir vor wie die Ereignisse eines Filmes, den ich mir irgendwann einmal im Kino angesehen habe. Es war kein besonders schlechter Film und auch kein besonders guter. Man könnte ihn als Durchschnitt bezeichnen. Ein Film, den man sich zwar einmal ansehen kann, aber danach fragt man sich, was nun so toll daran war, dass man einen Haufen Geld für die Eintrittskarte und das Popcorn ausgegeben hat und danach vielleicht noch eine halbe Stunde lang durch die dunkle Stadt nach Hause laufen muss, womöglich noch bei Regen oder Schnee und eisigster Kälte.
 

Aber ich bemühe mich auch garnicht groß über diesen Film nachzudenken. Wie gesagt, er war nicht sehr spannend. Da wäre nichts, was ihn von anderen durchschnittlichen Filmen unterscheidet, die man sich ab und zu Freitagabend im Fernsehen ansieht, wenn mal wieder keine Muße und Lust hat etwas zu unternehmen. Er hat nicht einmal einen wirklichen Höhepunkt. Keinen einzigen. Je länger ich nämlich darüber nachdenke, desto mehr denke ich, dass dieser Film die reinste Zeitverschwendung ist. Keiner würde ihn sich je freiwillig ansehen, wenn er vorher wüsste, was passiert. Denn es passiert eigentlich nichts. Es gibt keine Einleitung, keinen Aufbau von Spannung, keinen Höhepunkt und keine Lösung der Situation. Die Situation ist einfach ab einem bestimmten Punkt vorbei, ohne dass etwas besonderes passiert. Und “tadaa”, hier ist der neue Kyo.
 

Erst jetzt bemerke ich, dass ich wenigstens einen Gedanken einmal bis zu einem halbwegs akzeptablen Ende gebracht habe. Immerhin etwas. Wenn ich die Nacht schon nicht fürs Schlafen nutze, dann wenigstens dafür. Es sind noch Stunden bis Sonnenaufgang, bestimmt schläfst du tief und fest, träumst von völlig absurden Dingen. So wie jeder normale Mensch eben. Wie jeder außer mir.
 

Eigentlich habe ich Durst, aber mir ist so kalt, dass ich lieber unter der warmen Decke bleibe, als mit nackten Füßen über den Flur bis in die Küche zu stiefeln. Noch dazu würde ich bei dir vorbei kommen und wieder mit neuen, unvorhersehbaren Gedankengängen beginnen. Besser ich versuche zu schlafen, so aussichtslos dieses Vorhaben auch sein mag.
 


 

Am nächsten Morgen bist du es, der mich aufweckt. Eingeschlafen bin ich erst im frühen Morgengrauen, sodass es mir vorkommt, als hätte ich gerade erst die Augen geschlossen. So ist es ja auch. Der verlockende Geruch von Kaffee steigt mir in die Nase, als du den Kopf durch die Tür steckst und mich mit deinem typischen Grinsen anguckst. Der Raum ist für meinen Geschmack viel zu hell, sodass ich mich sofort wieder unter der Decke verkrieche. Wieso hab ich mir auch dieses Zimmer als Schlafzimmer ausgesucht? Jeden Morgen das gleiche Spiel, wenn die Sonne durch die dünnen Vorhänge scheint. Aber eigentlich ist es auch egal, da ich meistens spät einschlafe und früh wieder aufstehe.
 

Einige Minuten vergehen und ich gebe mich schon fast der Hoffnung hin, dass du aufgegeben hast und alleine zu diesem Interview gehst. Allein der Gedanke nachher all diesen Leuten zu begegnen, diesen Fremden, und ihnen zumindest mein Desinteresse vorspielen zu müssen, macht mich krank. Selbst meine Freunde würde ich heute am liebsten nicht sehen. Sie machen sich nur wieder Sorgen, wenn ich nicht einmal dazu fähig bin ihnen “heile Welt” vorzugaukeln.
 

Natürlich hast du es nicht aufgegeben. Plötzlich spüre ich deinen warmen Atem an meiner Wange, versuche mich reflexartig davor zu schützen, aber du lachst nur. Hinter mir sinkt die Matratze ein wenig nach unten und Augenblicke später fängst du an meinen Nacken zu kraulen. Du weißt ganz genau, dass ich dem einfach nicht widerstehen und dir deshalb nicht böse sein kann. Warum kennst du mich nur so gut?
 

Murrend ziehe ich mich noch weiter unter die Decke zurück. Die Luft wird langsam stickig dadrunter, aber ich hoffe einfach mal, dass du dich verziehst, bevor ich ersticke. Als du nach einigen Minuten, in denen mir schon langsam schwindelig wird, noch immer keine Anstalten machst zu verschwinden, versuche ich möglichst rücksichtslos deine Hand zu verscheuchen. Du kannst wirklich lästig sein, wenn du es drauf anlegst.

Seufzend stehst du endlich auf. “Wenn du nicht sofort aufstehst, Kyo, bist du gleich um eine Decke leichter!”, drohst du mit toternster Stimme. Meine Vernunft sollte mir eigentlich sagen, dass du jetzt keinen Spaß mehr verstehst, aber ich bin noch zu verschlafen, um deine Worte rechtzeitig zu verarbeiten. Eine Sekunde später hast du deine Drohung schon wahr gemacht. Mir bleibt wohl wieder einmal nichts anderes übrig als deinem Willen zu folgen...
 

Was soll's. Ich habe keine Lust mir von Kaoru wieder eine Standpauke über Pünktlichkeit und Verantwortung anhören zu müssen.
 

Während dem Frühstück und auf der Fahrt zum Studio sprechen wir kaum miteinander. Aber zur Abwechslung ist es kein unangenehmes Schweigen. Man könnte fast schon sagen, es ist beruhigend mit dir gemeinsam zu schweigen. Du gibts mir nicht das Gefühl, dass du etwas von mir erwartest, das ich dir nicht geben kann, im Gegenteil, denn du scheinst das Schweigen genauso zu genießen wie ich. Vielleicht ist es einfach nur die Ruhe vor dem Sturm wenn vor dem Fernsehstudio gleich wieder die Fans stehen und Autogramme wollen und Photographen und Reporter, die ihre ewig gleichen, dümmlichen Fragen stellen auf die sie ohnehin keine Antworten bekommen werden. Zumindest nicht von mir.
 

Beim Aufstehen war ich froh genug, dass du zu sehr mit dem Frühstück beschäftigt warst um einen genaueren Blick auf mich zu werfen. Somit sind dir die Schnitte auf meinen Armen nicht aufgefallen und ich musste mir bis jetzt keine faulen Ausreden einfallen lassen. Ihr denkt immernoch, dass ich es nur auf der Bühne tue, nicht wahr? Etwas anderes würdet ihr mir nicht zutrauen oder ihr wollt es euch garnicht ausdenken. Ich kann es verstehen.
 

Als wir an unserem Bestimmungsort ankommen, werfen die anderen uns nur kurz seltsame Blicke zu, wenden sich dann aber schnell wieder ihren Beschäftigungen zu. Kaoru redet wie immer mit jemandem von der Produktion, damit auch ja alles glatt läuft. Toshiya und Shinya sind genügend miteinander beschäftigt, dass es ein Wunder ist, dass sie uns überhaupt bemerkt haben. Muss Liebe schön sein...
 

Während ich auf den Beginn der Show warte, erinnere ich mich auf einmal an eine Geschichte aus meiner Kindheit. Nachmittags saß ich oft allein auf meinem Bett und habe mir Bücher angesehen. Ich habe es irgendwo ohne nachzudenken in der Mitte aufgeschlagen, mir angesehen was dort stand oder wie die Seite aussah und das Buch dann wieder zugeschlagen. In meiner kindlichen Naivität war ich steif und fest davon überzeugt, dass, wenn ich die Seite nocheinmal aufschlug, etwas anderes dort zu sehen wäre. Also habe ich das Buch geöffnet und war völlig hin und weg von der Tatsache, dass natürlich die Abbildung sich verändert hatte, da ich nie die selbe Seite wiederfand. Es fing mit Büchern an und breitete sich auf alle anderen Bereiche meines Lebens aus. Sobald ich wegsah, erwartete ich, dass sich der Gegenstand, den ich Augenblicke zuvor betrachtete, verändert hätte wenn ich wieder hinsah.
 

In mancher Hinsicht glaube ich das immernoch. Jedes Mal wenn ich schlafe – und das tue ich vorzugsweise während der Arbeit, da ich Nachts meistens sowieso kein Auge zubekomme – präge ich mir das Bild, das sich mir bietet genau ein. Wenn ich aufwache bin ich erleichtert, dass sich meine Umgebung meistens verändert. Das erspart es mir mich mit unangenehmen Situationen weiter auseinander setzen zu müssen. Ein weiterer Nachteil wenn man nachts schläft ist es, dass sich am Morgen nichts geändert hat, einmal abgesehen vom Stand der Sonne. Das Zimmer liegt meistens genauso da wie am Abend zuvor, der Abwasch und die Wäsche sind immernoch nicht gemacht und die Probleme haben sich auch nicht von alleine gelöst.
 

Auch jetzt lege ich mich auf das nächstbeste Sofa in der Garderobe und schließe schnell die Augen. Wenn ich aufwache, ist das Interview vielleicht schon vorbei, oder das Studio ist abgebrannt oder weiß ich was. Hauptsache ich muss diesen Rummel um mich herum nicht mehr aushalten, den Lärm und die Hektik, während alles was ich möchte doch eigentlich gerade nur ein bisschen Ruhe ist, um nachzudenken. Nachdem das letzte Nacht seit langem endlich wieder geklappt hat, möchte ich diesen Zustand der Vernunft ausnutzen, um vielleicht eine Lösung zu unserer Situation zu finden.
 

Doch es ist kalt und weit und breit keine Decke zu finden, die ganze Zeit stößt jemand gegen mich oder das Sofa und der Geräuschpegel ist einfach nicht auszuhalten. Mir brummt bereits nach wenigen Minuten der Schädel, nicht mal die Aussicht auf eine Zigarette kann mich in irgendeiner Weise aufheitern, zumal ich dafür wieder aufstehen müsste. Während ich mir über diese Möglichkeiten allerdings Gedanken mache, nicke ich doch endlich ein und die Geräusche außenrum werden zu einem leisen Rauschen, das mich langsam in den Schlaf wiegt.

Würde mich ganz doll über Kommentare freun ^.^ *lieb gugg*
 

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Im Schlaf friere ich erbärmlich, doch meine Augen wollen sich einfach nicht öffnen. Die ganze Zeit denke ich: Wach auf, Kyo, wach endlich auf! Doch es hilft nichts und die Kälte lockert ihren eisigen Griff kein bisschen. Ich hasse Kälte. Sie kommt einfach überall hin und lässt einen Ewigkeiten nicht mehr los, wenn sie einen einmal gepackt hat.
 

Wenigstens ist es mittlerweile ruhiger geworden. Oder bilde ich mir das nur ein? Ist es vielleicht schon so kalt geworden, dass ich halluziniere? Geht das überhaupt? Aber, so kommt es mir gerade in den Sinn, ich liege doch in irgendeiner Garderobe in irgendeinem Fernsehstudio mitten in Tokyo. Niemand würde es zulassen, dass es hier so kalt wird, dass man erfrieren könnte.
 

Verwirrt von meinen seltsamen Gedankengängen, schrecke ich schließlich hoch. Mein Blick ist leicht verschwommen, als ich mich umsehe, aber ganz offensichtlich ist nicht mehr so viel los wie vorher. Haben sie vielleicht doch schon ohne mich angefangen? Hat Kaoru endlich eingesehen, dass meine Gegenwart bei solchen Interviews eher schädlich als hilfreich ist was das Band-Image angeht? Am Ende nerven die Fragen der Moderatoren mich doch immer so sehr, dass ich schließlich irgendetwas sage, was mir gerade in den Sinn kommt nur um endlich meine Ruhe zu haben. Zugegeben, manchmal macht es mir auch Spaß die Reporter dermaßen zur Weißglut zu treiben, dass sie ihre Wut kaum noch verstecken können.
 

Wahrscheinlich habe ich aber nur eine ruhige Phase erwischt um aufzuwachen, weshalb ich mich schießlich aufraffe um mir von irgendwo etwas heißes zu trinken zu besorgen und zu erfahren, wie lange ich noch in diesem Loch herumsitzen muss. Du bist weit und breit nirgends zu sehen und sogar Toshiya und der Chibi haben sich scheinbar so lange voneinander trennen können um ihren Aufenthaltsort zu wechseln. Die Hoffnung Kao irgendwo zu finden gebe ich sofort auf, denn sicher rauscht er wieder von einem Manager oder Produzent zum nächsten, so schnell dass er mit menschlichem Auge nicht einmal zu sehen wäre, selbst wenn ich ihn fände.
 

Es ist wirklich unheimich still. Langsam mache ich mir schon Sorgen. Nachdem ich mich noch einmal genau in der Garderobe umsehe – die nicht so groß ist, dass man leicht jemanden übersehen könnte, aber bei mir kann man ja nie wissen – und niemanden entdecke, trete ich auf den Flur. Ein Schild sagt mir, dass es zum Studio jedoch in die andere Richtung geht, wohin ich mich nun auch auf den Weg mache. Irgendwo meine ich Stimmen zu hören, bin mir aber nicht sicher und gehe deshalb einfach weiter.
 

Bei dieser Menschenleere beginne ich plötzlich dich zu vermissen, obwohl wir uns doch erst vor kurzem gesehen haben. Wie kann man jemanden vermissen mit dem man sich im selben Gebäude aufhält? Es wird sicher nur wenige Minuten dauern bis ich dich finde und würdest mit Sicherheit lachen, wenn ich dir erzählte, wie mich gerade dieses Gefühl überkommt. Es ist schon seltsam: gestern um diese Zeit hätte ich mir nichts mehr gewünscht, als allein zu sein und dich für ein paar Stunden nicht sehen zu müssen und nun verzehre ich mich so sehr nach dir, dass es beinahe wehtut. Schon allein dich zu sehen, würde dieses Verlangen beruhigen, da bin ich mir sicher. Du müsstest mich nicht einmal ansehen oder mich bemerken, selbst wenn ich dir nur dabei zusehen könnte, wie du mit Toshiya herumalberst oder irgendwelche idiotischen Fragen von einem Reporter beantwortest, würde das schon reichen. Doch im Moment habe ich das dumme Gefühl genau diese simplen Dinge niemals wieder sehen zu können. Wo bist du, Daisuke? Ich will doch nur deine Stimme hören oder dein strahlendes, fröhliches Grinsen sehen, das ist alles. Lass uns wieder Freunde sein, wie früher.
 

Am Ende des Flurs befindet sich ein größerer Raum, bevor ein weiterer kleiner Gang zur Tür zum Studio führt. Dort finde ich endlich alle, dein Anblick lässt mir den sprichwörtlichen Stein vom Herzen fallen, doch Kaoru lässt mich nicht einmal zu Wort kommen, sondern überfällt mich sofort mit der lange erwarteten Standpauke.
 

“Kyo, wo zum Teufel warst du?” Er funkelt mich an und jeder der ihn nicht gut kennt, hätte in dieser Situation schon die Beine in die Hand genommen. Doch ich weiß, dass seine Wut meistens genauso schnell verraucht, wie sie kommt und unser Kao-Tierchen ist momentan wirklich mein geringstes Problem. “Man kann sich nicht einmal auf dich verlassen! Nicht alle Welt dreht sich um dich, du kannst nicht kommen und gehen wie es dir gerade in den Kram passt!”
 

Unbeeindruckt zucke ich mit den Achseln. “Ihr hättet mich ja mal wecken können.” Es ist nicht so, dass seine Worte mich nicht treffen, im Gegenteil, aber das muss ich ihm ja nicht auch noch zeigen. So versuche ich meine Maske aufrecht zu erhalten und allen den Kyo vorzuspielen, den sie zu kennen glauben. Du bist der einzige, der mich durchschaut, nicht wahr? Eben hast du noch mit Toshiya herumgealbert, doch jetzt ruht dein Blick auf mir, du bist ernst und nachdenklich. Diese Seite an dir macht mir manchmal Angst, vielleicht nur, weil ich immer dachte, dass du dir über nichts Gedanken machst und sich dieser Glauben damit wohl als falsch erweist. Ich meinte zu wissen, dass du dir niemals Sorgen machst und Probleme aus deiner Sicht nicht einmal wirkliche Probleme sind. Bin ich derjenige, der dich dazu bringt das anders zu sehen? Kann Grübelei ansteckend sein? Wie auch immer die Antwort sein mag, fest steht wohl ich habe einen alles andere als guten Einfluss auf dich.
 

Bei dieser offensichtlichen Ironie kann ich mir ein Lachen nur schwer verkneifen. Du scheinst im Moment nichts mehr zu wollen als mich, aber meine Nähe ist Gift für dich. Dieses Gift beginnt alles zu zerstören, was dich liebenswert macht. Ich will nicht, dass du deine Sorglosigkeit verlierst, dir Gedanken um alles und nichts machst und vorallem könnte ich es nicht verkraften, wenn du dein Lächeln verlieren würdest. Bei mir sind es die Menschen gewohnt mich nicht lachen zu sehen, aber dein Lachen ist ein Teil deiner Persönlichkeit, wie es bei anderen Menschen eine bestimmte Haarfarbe oder Kleidungsstil ist. Verlierst du das, ist nichts mehr zu retten.

Sollte ich also, um dein Lächeln zu bewahren, mich auf diesen Irrsinn einlassen? Monate, wenn nicht Jahre des Schauspiels in Kauf nehmen, dir meinen Körper überlassen, damit du und alle anderen glücklich sind? Einige Zeit könnte ich mir vielleicht sogar einreden, es genauso zu wollen, auf diese Weise glücklich zu leben, mit dir. Du wärst glücklich und ich müsste mir keine Vorwürfe machen Schuld daran zu sein, dass du dein Lächeln verlierst.
 

Die perfekte Lösung...
 

Als Kaoru endlich mit seiner Zurechtweisung fertig und zufrieden ist, werden wie allesamt auch schon auf die Bühne geschickt. Ein kleines Publikum ist dort versammelt um für den obligatorischen Applaus zu sorgen – es wundert mich schon fast keine halbnackten, spindeldürren möchtegern Schönheiten herumspazieren zu sehen, die stolz ihre Schilder mit “Applaus” oder “Ruhe, bitte” in die Höhe halten. Der Moderator der Sendung sitzt schon breit grinsend in seinem hübschen, weißen Ledersessel und mustert uns aufmerksam als wir alle fünf brav hintereinander auf die Bühne treten. Das zum Großteil weibliche Publikum fängt an mit schrillen Stimmen zu kreischen, als es uns entdeckt und es dauert einige Zeit, bis wir uns gesetzt haben, bis es wieder ruhiger wird. Du und Kao, ihr sitzt wie üblich dem Moderator am nächsten, da ihr auch diejenigen seid, die am meisten sagen. Danach kommt Toshiya, neben ihm Shinya, der schon fast beschämt zu Boden sieht, beide die Augen mit einer dunklen Sonnenbrille verdeckt und schon ahnend, dass dieses Interview lang und langweilig werden könnte. Ich habe es mir in der Ecke des Sofas bequem gemacht und versuche so unbeteiligt wie möglich auszusehen.

Die jungen Mädchen in den ersten Reihen, die uns begeistert mit großen, leuchtenden Augen ansehen, lassen immer wieder laute Quietscher los, die mich seltsamer Weise ab und zu an die jüngeren Jahre eines gewissen Bassisten erinnern. Haben diese Kinder überhaupt eine Ahnung, was wir mit unserer Musik sagen wollen? Verstehen sie auch nur einen meiner Texte? Obwohl es wohl keine Frage des Alters ist, denn ich bezweifle ernsthaft, dass einer der vielen Journalisten, die uns über die Jahre bereits interviewt haben, einen der Texte mehr als einmal überflogen haben um wenigstens einige Schlagwörter aufgreifen zu können. Aber solange diese Mädchen ihren Spaß dabei haben soll es mich nicht stören. Schlimmer sind wirklich diese wichtigtuerischen möchtegern Jounalisten, die sich einbilden uns alle bis in die Tiefen unserer Seelen zu kennen.
 

Ich versuche nicht weiter darüber nachzudenken, da es mich ohnehin nur wütend macht, und konzentriere mich für den Moment auf Kaoru, der dem Publikum bereitwillig etwas über die aktuellen Studioarbeiten erzählt. Als er endet, wirft der Moderator sein strahlendes, falsches Grinsen auf mich, sich wohl darüber im Klaren, dass ich zur Abwechslung gedanklich einmal anwesend bin. Ich ahne nichts gutes.
 

“Kyo-kun, Sie sind ja allseits bekannt dafür sich gerne mit Kunstblut und ähnlichem auf der Bühne auszutoben.”, beginnt er und ich weiß schon genau wo diese Frage hinführt. Es ist doch jedesmal dasselbe. Wird sich das vielleicht erledigen, wenn ich ihnen einmal die Wahrheit sage? Oder denken sie wieder nur, dass ich mir das ausdenke? Vielleicht genießen sie es aber auch nur mich mit den immer gleichen Dingen zu quälen. “In letzter Zeit scheint sich das jedoch auf echtes Blut zu verlagern. Was hat es mit diesen Selbstverletzungen auf sich? Was möchten Sie uns damit sagen?”
 

Dass ich Typen wie diesen Kerl nicht ausstehen kann? Und ihm persönliche möchte ich damit eigentlich garnichts sagen. Aber das sage ich lieber nicht. Warum es nicht doch einmal mit der Wahrheit versuchen. Aber was ist die Wahrheit? Ich kenne sie selbst nicht, räuspere mich leise, um mir etwas Zeit zu verschaffen. “Wissen Sie, jeder hat eine andere Art mit seinen Gefühlen umzugehen. Vielleicht ist das nur meine persönliche.”
 

Er nickt und ich glaube schon fast, dass er sich einem der anderen zuwendet, doch kein Glück heute. “Und wie sieht es außerhalb der Bühne aus? Verletzen sie sich auch Zuhause?”
 

Langsam glaube ich im falschen Film gelandet zu sein. Hat dieser Mann schonmal etwas von Rücksichtnahme gehört? Oder bildet er sich ein, dass ich als in der Öffentlichkeit stehende Person mein ganzes Privatleben vor Gott und der Welt ausbreiten will?
 

“Gomen ne, aber das geht wirklich zu weit.” Deine Stimme ist ruhig und ernst, meine Rettung. Erst jetzt merke ich, wie mir in den wenigen Augenblicken in denen der Moderator auf seine Antwort gewartet hat, der Schweiß ausgebrochen ist. Angstschweiß. Aber Angst wovor? Vor der Reaktion des Publikums, oder vielleicht vor der Reaktion meiner Kollegen. Vor deiner Reaktion, obwohl du es doch eigentlich weißt. Angst davor zu versuchen eine Lüge zu erzählen und dabei zu versagen und mich schließlich völlig zu verhaspeln.
 

“Bitte?”, fragt der Moderator ziemlich verwirrt und muss seine Aufmerksamkeit erst auf die richtige Person vor sich fokussieren.
 

“Warum fragen Sie uns nicht gleich danach, wann jeder von uns sich das letzte mal einen runtergeholt hat, wo und an wen wir dabei gedacht haben?” Du bist wirklich wütend und das kommt selten vor. Kaoru setzt sich schon aufrechter hin um im Notfall dazwischengehen zu können. “Ich kanns Ihnen gerne sagen, wenn Sie wollen...”
 

Also ich kann darauf verzichten, der Rest von uns genauso und der Moderator offensichtlich ebenfalls. Lediglich der weibliche Teil der Zuhörerschaft horcht interessiert auf und reckt die Hälse. Natürlich würdest du es nicht wirklich sagen, diese Ankündigung dient lediglich der Demonstration. Aber die Art wie du dich für mich einsetzt und wie sehr du meine Gedanken wieder zu kennen scheinst, berührt mich, auch wenn ich es niemals offen zugegeben hätte.

Der Tag vergeht schleppend und als ich endlich nach Hause komme, bin ich zum Umfallen müde. Trotzdem oder gerade deswegen, fühle ich mich gut, ausgepowert aber auf eine gewisse Weise glücklich. Nach dem Vorfall während des Interviews schienen alle das Bedürfnis gehabt zu haben, eine Normalität vorzuspielen und die Tatsache zu vergessen, dass ich auf diese letzte Frage nicht geantwortet habe. Deine Reaktion wird ihnen diese Antwort vielleicht schon gegeben haben. Ahnen sie etwas? Ich habe das dumme Gefühl, dass sie bereits alles wissen.
 

Nachdem wir am Abend noch gemeinsam Essen gegangen sind, bin ich von dort aus zu Fuß nach Hause. Meine Füße schmerzen in den Schuhen, die ich schon den ganzen Tag trage, aber dieser lange Spaziergang durch die verschiedenen Gegenden Tokyos war beruhigend und eine Wohltat für mein aufgewühltes Gemüt. Zwar knurrt mein Magen, da ich dort kaum etwas gegessen habe, aber davon abgesehen fühle ich mich wohl. Langsam mache ich mir jedoch Sorgen da in etwas abzurutschen. Dass sich meine Selbstverletzungen jetzt nicht mehr nur äußerlich auf mehr oder minder oberflächliche Schnitte beschränken, sondern nun auch meinen ganzen Körper betreffen. Hungern ist schließlich auch eine Art von Selbstverletzung. Oder nicht? Ich verspüre nicht das Bedürfniss zu Essen, der Hunger ist mehr eine nebensächliche Empfindung, die sich leicht ignorieren lässt.
 

Ich stelle mich auf den Balkon von dem aus ich eine gute Aussicht auf die umliegenden Blocks habe und zünde mir eine Zigarette an. Es ist schon fast stockdunkel, der Wind ist noch immer kalt, aber wenigstens hat der Regen im Laufe des Tages aufgehört.
 

Gerade fühle ich mich wie in einer Art Traum gefangen. Es ist nicht unbedingt ein Albtraum. Die Ereignisse folgen so schnell aufeinander, dass das letzte kaum abgeschlossen scheint wenn wir bereits wieder auf dem Weg zum nächsten sind. Auftritte und Studioarbeiten geben sich die Klinke in die Hand. Im Frühjahr und Sommer stehen unsere ersten Auftritte in Europa an, die Arbeiten am neuen Album gehen in die letzten Runden. So wie es aussieht wird der Stress in den nächsten Monaten immer mehr werden, was eine gute Voraussetzung ist unsere Probleme zu verdrängen. Andererseits werden wir während der Tour fast Tag und Nacht aufeinander sitzen und kaum eine freie Minute haben. Das bedeutet wohl auch, dass ich selten mit dir allein sein werde. Gute Aussichten? Oder bahnt sich da etwa schon eine versteckte Sehnsucht an?
 

Unten vor dem Haus fährt ein Auto vor, ein dunkelroter Porsche, der mir nur zu bekannt ist. Allein die Farbe wäre schon genug gewesen um an dich zu denken, doch der Wagen bleibt in einer recht engen Parklücke stehen, die Tür schwingt auf und heraus kommst du. Habe ich etwas anderes erwartet? Welche Entschuldigung hast du heute, um bei mir zu übernachten? Immerhin bist du nicht kurz vorm Verhungern, durchnässt vom Regen oder überfallen worden.
 

Obwohl ich dir schon öffnen könnte, warte ich bis du klingelst. Selbst nachdem das Geräusch durch die Wohnung bis zu mir hinaus auf den Balkon klingt, warte ich einige Augenblicke wie erstarrt. Etwas sagt mir, dass dieser Abend nicht so harmlos verlaufen wird wie der gestrige. Aber habe ich überhaupt etwas dagegen einzuwenden? Wenn, dann würde ich dir jetzt nicht einmal die Tür öffnen, aber ich tue es, gehe langsam in den Flur und drücke einige Sekunden auf den elektrischen Türöffner, der ein leises Summen von sich gibt. Deine Schritte hallen im Treppenhaus bis zu mir hinauf. Wie immer benutzt du den Fahrstuhl nicht, Fahrstühle jagen dir Angst ein. Sie sind eng und können jeden Moment stecken bleiben. Du hast Angst er würde dann abstürzen. Manchmal denke ich, du siehst zuviele Filme.
 

“Warum ziehst du eigentlich nicht gleich bei mir ein, Daisuke?”, frage ich, als du um die Ecke kommst und versuche meine Stimme dabei unbekümmert und heiter klingen zu lassen. Meine Schauspielkünste versagen offensichtlich wieder kläglich.
 

Doch du lächelst mich an. Ein leichtes Lächeln, das nicht einmal deine Zähne zeigt, sodass es mir schon beinah unheimlich vorkommt. “Ist das eine Einladung?” Du gehst ohne zu zögern an mir vorbei und wartest nicht einmal darauf, dass ich dich herein bitte.
 

“Seit wann brauchst du sowas wie eine Einladung?”, grummle ich und schließe die Tür. Du bist schon im Wohnzimmer angelangt – die Balkontür steht immernoch offen und lässt die kühle Brise von draußen herein – und siehst dich interessiert um, als wärst du noch nie in deinem Leben hier gewesen. Es scheint für dich auf einmal alles andere als belastend, dass ich deine Gefühle nicht erwidere.
 

“Da du ja schon von allein hergefunden hast, findest du sicher auch etwas zu trinken, wenn du Durst hast.”, schlage ich dir vor und du nickst nur abwesend. Wo bist du mit deinen Gedanken? Wenn du mit ihnen sowieso so weit weg bist, warum bist du dann hergekommen? Du brauchst mich wohl kaum zu Nachdenken.

Ich schließe erst einmal die Balkontür, setze mich dann aufs Sofa und zünde mir eine weitere Zigarette an. Du stehst noch einen Moment wie verstarrt da, setzt sich schließlich neben mich. “War ziemlich stressig heut, hm?”

Dass du jetzt so wie selbstverständlich ein ganz normales Gespräch beginnst, kommt mir komisch vor und spornt mein Misstrauen an diesem Abend noch viel mehr an. Aber vielleicht bilde ich mir das auch nur ein und du willst nur einen netten Abend mit mir verbringen. “Ja... danke, Die. Wegen heute morgen bei dem Interview, meine ich.”, füge ich hinzu, als du mich etwas verwirrt ansiehst, dann grinst du und wuschelst mir durch die Haare. “Ist doch klar, Kyo-chan! Ich konnte dich doch nicht diesen Wilden ausgeliefert lassen.” Mit einem leisen Knurren quitiere ich diese Bezeichnung, spare mir jedoch eine Zurechtweisung. Heute bin ich viel zu müde, um noch so eine nichtige Auseinandersetzung anzuzetteln, die im Grunde ja eh nichts ändern wird.
 

“Was steht die nächsten Tage noch an?” Ich versuche das Gespräch am Laufen zu halten. Und ich weiß wirklich nicht genau, was die nächste Zeit im Einzelnen an Arbeit auf uns zukommt. So reden wir noch einige Zeit über dies und das, meistens belangloses, das wir beide bald wieder vergessen werden und rauchen eine Zigarette nach der anderen. Normalerweise versuche ich möglichst nicht in der Wohnung zu rauchen und das klappt für gewöhnlich auch ganz gut, da ich sowieso selten zu Hause bin, aber heute ist es mir egal – morgen früh werde ich einfach kräftig durchlüften.
 

Kurz vor Mitternacht, macht sich eine erdrückende Müdigkeit in mir breit. Den Kopf an dein Schulter gelehnt, ist mein Blick in die Ferne gewandert, während du mir etwas über deine Familie erzählt hast. Jetzt schweigen wir beide und mir fallen schon fast die Augen zu. So müde bin ich, dass ich mich nicht einmal mehr gegen deine Hand wehre, als du mir eine Haarsträhne aus dem Gesicht streichst. “Geh ins Bett, Kyo.”, schlägst du vor und hörst dich kein wenig erschöpft an. “War ein langer Tag.”
 

Ich nicke nur und stehe auf. Decke und Kissen liegen noch von letzter Nacht neben dem Sofa, aber so wie du aussiehst, wirst du noch einige Zeit nicht schlafen. Meine Muskeln protestieren schmerzhaft, mein Nacken ist völlig verspannt. Vielleicht sollte ich vor dem Schlafen doch noch unter die Dusche, das warme Wasser wird mit Sicherheit nicht schaden und so kann ich morgen früh länger im Bett bleiben. Also hole ich mir nur frische Boxershorts aus dem Kleiderschrank und verschwinde wortlos ins Bad. Ein Blick ins Wohnzimmer verrät mir, dass du dich keinen Zentimeter vom Fleck bewegt hast und offenbar nicht mal merkst was ich mache.
 

Wieder einmal schlägt das Gewohnheitstier in mir durch und die Tür bleibt nur angelehnt. Ich bin zu müde um mir über dich noch Gedanken zu machen, zumal du sowieso gerade in deiner eigenen Welt versunken bist. Die Klamotten achtlos in eine Ecke geschmissen, stelle ich mich erleichtert unter den heißen Wasserstrahl, schließe entspannt die Augen.

[Dieses Kapitel ist nur Volljährigen zugänglich]

Eingewickelt in die warme Decke, liege ich mit dem Rücken zu dir da. Mir ist kalt, meine Haare sind nass. Der Raum ist dunkel. Ich sehe deine Silouette gegen das Licht, das durch das Fenster fällt, deinen gesenkten Kopf, die hängenen Schultern. So sitzt du schon seit einigen Minuten da, ohne etwas zu sagen. Natürlich weiß ich längst was dir auf der Zunge brennt, du dich nur nicht traust laut auszusprechen. Blut fließt immernoch, ich kann es an meinen nackten Beinen spüren, aber es ist kein Blut das ich sehen will, das mir Kraft gibt, das mich dazu bringt weiterzuleben. Es ist Blut das mich daran erinnerst, was du getan hast.
 

“...es tut mir leid...Tooru.” Ich verstehe dich kaum. Weinst du etwa? Sollte nicht ich derjenige sein, der weint?

“Sag sowas nicht, wenn du es sowieso nicht meinst.”, weise ich dich zurecht, schärfer als ich es eigentlich wollte. Warum habe ich plötzlich ein schlechtes Gewissen so mit dir zu sprechen, obwohl du derjenige bist, der sich schuldig fühlen sollte? Wieder habe ich das Gefühl die Entscheidungen für uns treffen zu müssen. Um dich zu schützen. Aber vor was? Ich sollte mich vor dir schützen. Doch wie, wenn wir uns jeden Tag stundenlang sehen, miteinander arbeiten müssen, ohne dass jemand Verdacht schöpft?
 

“Aber ich meine es ernst.”, gibst du nun entschlossener zurück, drehst dich sogar um und siehst mich an. “Ich weiß selber nicht was mit mir los ist. Es macht mich verrückt. Dir so nahe sein zu können, dich immer sehen zu müssen, ohne dich wirklich haben zu dürfen!” Ich verstehe dich, Daisuke, ich verstehe dich vollkommen... Aber diesen Gedanken kann ich nicht laut aussprechen, er würde nur alles wieder noch schlimmer machen. Wo haben wir uns hier nur hineinmaneuvriert?
 

“Reicht dir meine Freundschaft denn nicht mehr?”, frage ich, obwohl ich die Antwort schon längst kenne. Über die Schulter schaue ich zu dir herüber. Wäre es nicht so dunkel könnte ich jetzt wohl die Tränen in deinen Augen sehen. Wie spät ist es wohl? Sicherlich nur noch wenige Stunden bis Sonnenaufgang, bis wir beide wieder so tun müssen, als wäre nichts geschehen. Mir ist klar, dass ich dich anzeigen könnte, es auch tun sollte, aber ich kann es einfach nicht. Ich kann die Band nicht wegen meiner eigenen Dummheit kaputt gehen lassen. Was würden die anderen sagen? Wie würden sie uns ansehen, wenn sie wüssten...? Wieso habe ich mich überhaupt auf dich eingelassen?
 

“Sie reicht schon lange nicht mehr... Tooru.” Du siehst nach draußen. Warum legst du nur jedesmal diese Betonung in meinen Namen? Du weißt, dass ich ihn nicht ausstehen kann. “Es tut mir leid.”
 

“Was soll ich jetzt tun, Die? Wie soll ich dir vertrauen?” Doch ich vertraue dir bereits. Der Mann der hier bei mir sitzt hat nichts mit dem Monster zu tun, das mich vorhin geradezu überfallen hat. Ich kenne dich, den Die, der hier sitzt. Und obwohl ich dich nicht liebe, nicht auf die Weise wie du mich, bist du mir wichtiger als jeder andere. Ohne dich wüsste ich weder ein noch aus und wäre vielleicht heute nicht einmal mehr am Leben. Was also soll ich tun? Mir einreden, dass nichts passiert ist und die Ereignisse dieser Nacht nur ein schrecklicher Albtraum sind?
 

“Ich weiß nicht... Tooru.” Gibst du kleinlaut zurück. “Hasst du mich jetzt?”
 

Ein bitteres Lachen entfährt mir. “Wie könnte ich?” Wiederwillig drehe ich mich herum um dir direkt ins Gesicht sehen zu können. Jede Bewegung tut weh, doch ich gewöhne mich besser schon daran, denn morgen früh wartet wieder ein langer Tag im Studio auf mich. “Hass ist im Grunde nichts anderes als Liebe, nur das andere Extrem. Wenn ich eines nicht kenne, kann ich doch das andere genauso wenig empfinden, meinst du nicht?” Du zuckst kaum merklich die Achseln. Natürlich verstehst du es immernoch nicht. Seufzend verkrieche ich mich wieder unter der dicken Decke, die wenigstens langsam etwas Wärme spendet. Es wundert mich selbst ein wenig, wie ich in deiner Gegenwart so ruhig einschlafenkann, doch schließlich passiert es unweigerlich. Du bewegst dich kein Stück. Willst du etwa die ganze Nach hier sitzen bleiben?
 


 

Die ersten Sonnenstrahlen, die durch das Fenster fallen, wecken mich sanft aus einem kurzen aber mehr als ausreichendem Schlummer. Die Ereignisse der letzten Nacht finden ihren Weg sofort wieder zurück in mein Bewustsein, doch ich kann mich kaum darauf konzentrieren. Seltsam wenige Gefühle ergreifen mich bei dem Gedanken daran, doch das ist nicht einmal schlecht, so kann ich mich vielleicht auf die Arbeit konzentrieren. Du hast dich am Fußende des Bettes zusammengerollt und schläfst, noch immer in den Kleidern des gestrigen Abends. Du siehst friedlich aus, doch immer wieder schreckst du zusammen, wimmerst leise, als hättest du vor etwas unglaubliche Angst. Was könnte das sein?
 

Da es noch früh ist, lasse ich dich schlafen und tappse leise über das kalte Parkett hinaus auf den Flur, nachdem ich mir etwas angezogen habe. Während der Kaffee vor sich hin brüht und die Maschine dabei besorgniserregende Geräusche von sich gibt, reiße ich erstmal sämtliche Fenster und die Balkontür auf um den Rauchgestank aus dem Wohnzimmer zu kriegen. Auf dem Balkon mache ich es mir mit einer ersten morgendlichen Zigarette gemütlich und beobachte, wie die Sonne sich langsam immer weiter über die Skyline Tokyos schiebt. In den Straßenschluchtenunter mir hängt noch letzter Frühnebel, der jedoch innerhalb von Minuten verschwindet. Der Himmel ist klar und wolkenlos. Dieser Morgen scheint so perfekt, dass ich beinahe selbst glauben könnte, dass ich alles nur geträumt habe. Beinahe, wäre da nicht der Schmerz, der mich bei jedem Schritt durchfährt.
 

Die Frage ob und wie es mit uns nun weitergehen soll, lässt mich keine Sekunde los. Zumindest sind wir über die Zeiten des Fanservice hinweg, sodass ich wenigstens während eines Auftritts wenig mit dir zu tun habe. Vielleicht sollte ich dir erstmal Hausverbot erteilen, bis du dich wieder besser im Griff hast. Solange wir im Studio oder zu Interviews und ähnlichem unterwegs sind, werden wir kaum alleine sein. Im Moment sieht es nicht einmal so aus, als würden wir irgendwelche Schwierigkeiten damit bekommen, so zu tun als wäre nichts passiert. Trotzdem ergreift mich wieder Übelkeit, sobald ich an das Ich denke, das du mir gestern gezeigt hast. Wann wird es das nächste Mal zum Vorschein treten? Zu was wird es dann fähig sein?
 

Kaum eine Stunde später bin ich fertig und getriegelt, bereit für einen neuen Tag. Zumindest äußerlich. Meine innere Verwirrung hat kein Stück nachgelassen. Nachdem ich dich geweckt habe und du dich wortlos angezogen hat, machen wir uns in deinem Wagen auf den Weg zum Studio. Der Morgen ist weiterhin wunderschön, zwar ist es immernoch kalt, doch die Sonne wärmt die Luft schon langsam auf und die Menschen auf den Straßen scheinen unglaublich gut gelaunt. Was eine Ironie...
 

Wir stehen schon einige Minuten an einer Ampel. Der Verkehr ist so dicht hier, dass wir immer nur ein paar Meter voran kommen bevor sie wieder auf rot schaltet. Das ganze macht mich seltsam nervös, obwohl es doch eigentlich kaum einen Unterschied macht ob wir nun einige Zeit kürzer oder länger nebeneinander sitzen. Aber ich habe ein wenig Angst davor, dass du unser Gespräch wieder aufnimmst, das wir gestern nicht wirklich beendet haben. Oder dass du meine Beteuerung, ich würde dich nicht hassen, als Aufforderung oder Erlaubnis ansiehst jetzt mit mir machen zu können, was du willst.
 

“Kannst du mir verzeihen?” Du stellst mir diese Frage plötzlich, als würdest du über das Wetter oder das Kinoprogramm sprechen und ich hätte dich in Gedanken versunken fast überhört. Eine gute Frage. Aber was gibt es zu verzeihen? Du hast dir nichts anderes genommen, als du eigentlich schon einmal hattest. Was unterscheidet es diesmal vom letzten Mal? Warum nehme ich es dir jetzt übel und damals war es in Ordnung? Weil ich damals eingewilligt habe, natürlich... Aber ist es so natürlich, so selbstverständlich? Nichts ist mehr klar. Fragen auf die ich früher ohne nachzudenken geantwortet hätte, müssen nun wieder und wieder durchdacht werden. Wie kompliziert diese Welt doch manchmal ist...
 

“Ich weiß nicht.”, antworte ich wahrheitsgemäß und damit ist das Thema vorerst erledigt. Das letzte Stück zum Studio verbringen wir wieder schweigend. Vor dem Gebäude sehe ich schon Kaorus und Shinyas Autos. Also sind alle anderen schon da, wie immer. Denn Kaoru ist von Natur aus immer schon lange vor Arbeitsbeginn am besprochenen Treffpunkt und Shinya steht gezwungenermaßen dank seines Rattenhundes [sorry ^.^] immer früh auf. Seit Toshiyas Wagen den Geist aufgegeben hat, fahren die beiden immer gemeinsam zur Arbeit, auch wenn ich nicht weiß, ob das Verschwinden des Autos nicht mehr an Totos Verliebtheit zu Shinya liegt.
 

Weiterhin schweigend gehen wir hinein. Mein Weg führt mich sofort zum Sofa auf dem es sich schon Toshiya bequem gemacht hat, an dessen Schulter ich mich anlehne und noch einmal die Augen schließe. Er scheint auch nicht sehr motiviert an diesem Morgen und legt seinen Kopf vorsichtig auf meinen. Diese Nähe ist mir angenehm, sein Körper strahlt eine wunderbare Wärme aus, sodass ich mich am liebsten eng an ihn kuscheln würde. Mir wird klar, wie sehr ich mich in der letzten Zeit von meinen Bandkollegen entfernt und ihnen damit wahrscheinlich nur noch mehr Sorgen bereitet habe. Vielleicht war es der falsche Weg mich von ihnen zu isolieren und ich habe dir damit nur gezeigt welch großen Einfluss du auf mich hast.
 

“Nicht schlafen, ihr beiden!”, ruft Kaoru plötzlich laut und unglaublich gut gelaunt. “Jetzt wird gearbeitet!”

Den ganzen Vormittag arbeiten wir an der Setlist für die nächste Tour und proben noch einige Songs des neuen Albums, die uns noch immer leichte Schwierigkeiten machen. Während wir spielen spüre ich immer wieder deine Blicke im Rücken und muss mich einige Male ernsthaft zusammenreißen um mich nicht unbeherrscht umzudrehen. Ungewohnt häufig müssen wir einen Song von vorne beginnen, weil du deinen Einsatz verpasst oder dich völlig verspielst. Einmal fragt Kaoru dich, wo du mit deinen Gedanken bist. Ich weiß es genau. Deine Gedanken sind bei mir und letzter Nacht. Aber was genau du darüber denkst, bleibt im Verborgenen und ich weiß nicht wirklich, ob ich das ändern will.
 

Um mich von dir Abzulenken bleibe ich in den Pausen bei Toshiya, der meistens allein draußen steht um eine zu rauchen. Unser Bassist stellt keinerlei Fragen, obwohl ihm mein Verhalten offensichtlich komisch vorkommt. Aber trotz der vielen Jahre, die wir schon miteinander in der gleichen Band spielen, ist unsere Freundschaft immer recht oberflächlich geblieben. Ich könnte nicht genau sagen, woran das liegt, aber vielleicht hatten wir beide nie das dringende Bedürfnis etwas an dieser Beziehung zu ändern. Ist jetzt der richtige Zeitpunkt dafür?
 

“Hast du heute Abend schon was vor?”, fragt Toshiya am Mittag, als Kaoru endlich wieder barmherzig genug ist uns eine Pause zu gönnen.
 

Ich zucke die Achseln. “Nichts bestimmtes.”
 

Verträumt sieht er umher, den Rauch seiner Zigarette hörbar ausstossend. “Lust was trinken zu gehen? Ich muss meinen Frust loswerden.”
 

Leise Lache ich und trete meinen Glimmstängel unter der Schuhsohle aus. “Ich hol dich gegen acht ab.” So vermindere ich wenigstens das Risiko, dass du mir wieder einen nächtlichen Besuch abstattest und mit geht es nicht anders als Toshiya. Ich kann mir schon denken, dass unser Frust beide im gleichen Thema begründet liegt: Liebe.

Vielen Dank für die Kommentare ^.^
 

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Toshiya ist schon so betrunken, dass er die ganzen Frauen und Männer um ihn herum, die ihn begeistert angaffen, garnicht mehr bemerkt. Zugegeben, er sieht gut aus und dass sein Blick dank dem Alkohol schon ganz glasig und seine Wangen gerötet sind, verstärkt diesen Eindruck nur noch, aber sein Zustand verbietet es mir geradezu mir genauso die Kante zu geben. Irgendwie müssen wir ja auch noch nach Hause kommen. Aber wenn ich es mir so recht überlege: Will ich überhaupt wieder nach Hause?

Vielleicht quartiere ich mich für diese Nacht bei Toshiya ein. Zwar erkennt man in seiner Wohnung meist den Boden vor lauter herumliegender Klamotten und diverser Haushaltsgegenstände nicht mehr, aber so entgehe ich immerhin einem deiner möglichen Besuche. Wenn ich so darüber nachdenke, ist diese Idee wirklich alles andere als schlecht. Morgen werden wir uns erst am Nachmittag treffen, da es am Abend zu einer Fernsehshow geht, wo wir “saku” spielen und danach ein weiteres sinnloses Interview geben sollen. Ich muss zugeben, dass sich meine Begeisterung im Moment noch in Grenzen hält, doch man soll die Hoffnung bekanntlich nicht aufgeben...

Seltsamerweise beschehrt der Gedanke an dich mir noch immer keine schlechten Gefühle. Vielmehr ist das Gegenteil der Fall und mir geht es nicht aus dem Kopf, dass ich dir noch irgendetwas sagen sollte. Nur was? Etwas, das dir dein schlechtes Gewissen nimmt? Aber eben dieses hast du mehr als verdient, also sollst du es auch noch eine Weile länger tragen müssen. Trotzdem verzehrt sich mein Innerstes danach dich zu sehen, diese Gefühle nochmal zu erleben, die du bereits einmal in mir entfacht hast. Oder bilde ich mir das nur ein, weil ich überhaupt irgendetwas fühlen will?

Wenn es mich nicht einmal nachdrücklich berührt, wenn du mich vergewaltigst, was berührt mich dann überhaupt noch? Gibt es in meinem Leben etwas anderes als diesen elenden, körperlichen Schmerz, den ich mir auch noch selbst zufügen muss? Vielleicht ändert es etwas, wenn du es bist, der ihn mir gibt, diesen Schmerz... Der Gedanke ist verlockend und gleichzeitig bekomme ich dabei Angst vor mir selbst. Was ist nur los mit mir... mit uns? Spielt auf einmal die ganze Welt verrückt? Warum kann es nicht sein wie früher...?

Trotz meiner Angst von dieser Idee gepackt, entschließe ich mich Toshiya bei sich Daheim abzusetzen und von dort aus zu dir zu fahren. Bist du überhaupt da? Vielleicht geht es dir gerade ähnlich wie unserem armen Bassisten und du ertränkst deinen Liebeskummer – wenn man es so bezeichnen kann – im Alkohol, liegst in irgendeiner Bar ohne jemanden, der dich am Ende nach Hause fährt. Doch das Risiko kann ich eingehen, in meiner Wohnung würde mich ohnehin nichts anderes als eine schlaflose Nacht und stumpfe, blutbefleckte Rasierklingen erwarten.

“Ky~o... nich heim...”, grummelt Toshiya, als ich ihn auf dem Beifahrersitz ablade, doch schnell ist er schon wieder so weggetreten, dass sein Kopf dumpf an der Scheibe landet und seine Augen halb geschlossen sind. Um seinen Kater am nächsten Morgen beneidet ihn mit Sicherheit niemand und auch sein Anblick ist mittlerweile weniger attraktiv und verlockend, als vielmehr abgehangen und bemitleidenswert. Die Presse würde für ein Photo von ihm in Totchis derzeitigem Zustand wohl so einiges geben...

Um diese Uhrzeit kommt sogar der Verkehr in Tokyo langsam zum Erliegen und wir kommen schnell voran, obwohl Totos Wohnung in einem ganz anderen Viertel liegt und wir im großen und ganzen sicherlich eine halbe Stunde unterwegs sind. Zu meinem Glück ist wenigstens ein Parkplatz vor dem Haus frei, sodass ich ihn problemlos und ohne Gefahr auf einen Strafzettel noch bis in seine Wohnung begleiten kann. Zu wie Toshiya ist, findet er nicht einmal seine Schlüssel und ich bin gezwungen nun auch noch eine halbe Leibesvisitation durchzuführen. Ich kann mir besseres vorstellen, denn es ist ein offenes Geheimnis, dass unser Bassist im angetrunkenen Zustand niemanden von der Bettkante stößt und gerne mal dominant wird.

“Ky~o, du rischt gu~ut...”, lallt Toshiya mir auch gleich dämlichst grinsend ins Ohr. Ein Wunder, falls er sich morgen überhaupt an irgendetwas erinnert, aber dass er nun auch noch anfängt mit seiner Zunge mein Ohrläppchen zu bearbeiten, ist definitiv genug des guten.

“Und du stinkst nach Alkohol...” Entschlossen drücke ich den Braunhaarigen von mir und lehne ihn an die Wand, während ich mich in der Dunkelheit – der Lichtschalter lässt sich partout nicht finden – daran mache, die Tür aufzuschließen. “Behalt bloß deine Finger bei dir, mein Lieber...”, drohe ich vorsichtshalber, obwohl ich bezweifle, dass Toshiya den annähernden Sinn dieser Worte überhaupt noch versteht. Endlich drinnen angekommen bin ich überrascht wie verhältnismäßig ordentlich das Wohnzimmer ist, welches der erste Raum ist, den man zu Gesicht bekommt. Vorsichtig maneuvriere ich den Guten an Sofa und Fernseher vorbei, geradeaus bis zur Schlafzimmertür.

Wenige Minuten später schläft Toshiya glücklich und zufrieden, wie ein kleines Kind und ich bin nur froh endlich aus seiner Reichweite zu kommen. Mein Vorhaben unser Verhältnis ein wenig zu verbessern, ist kläglich gescheitert und ich werde glücklich sein, wenn unser Bassist überhaupt noch weiß, dass er es mir zu verdanken hat in seinem eigenen Bett aufgewacht zu sein und nicht in dem eines völlig Fremden, der weiß Gott was mit ihm angestellt hätte.

Der Weg zu dir gibt mir Zeit wieder auf den Boden zu kommen. Die stickige Luft im Pub und Toshiyas Anbandelungsversuch haben ihre Spuren hinterlassen. Mir schwirrt der Kopf und mir ist heiß, richtig heiß, sodass ich schwitze als ob ich gerade von der Bühne käme. Totchis Berührungen waren mir unangenehm und hinterlassen einen bitteren Nachgeschmack, der sich nicht so einfach abschütteln lässt. Wieso empfand ich dies hier als so viel schlimmer, als deinen Übergriff letzte Nacht? Liebe ich dich doch? Ist es das wirklich, was man Liebe nennt?

Nein, ich will dich nicht lieben. Ich will niemanden lieben, will nicht verletzt werden. Lieber sterbe ich ohne jemals richtig geliebt zu haben, als das durchstehen zu müssen. Und ich will dich nicht verletzen. Doch tue ich das nicht schon längst? Mache ich es nicht jeden Tag, unbewusst, ohne mir darüber im Klaren zu sein, was meine Worte und Gesten vielleicht bei dir anrichten?

Vielleicht sollte ich es doch versuchen... versuchen mir eine neue Maske anzulegen... eine Maske die sogar dich täuscht und glücklich macht. Schlimmer als jetzt kann es nicht mehr werden und wenn es wenigstens für mich nichts ändert, dann wird es immerhin für dich besser. Du wirst glücklich sein, wenn du dich in dem Glauben wiegst dir meiner Liebe sicher sein zu können, nicht wahr? Ist das die langersehnte Lösung des Problems? Um uns beide zu schützen, werde ich versuchen mein unglücklichsein vor dir und den anderen zu verstecken. Von nun an wird die Bühne der einzige Ort sein an dem ich ich selbst sein kann...

Entschlossen trete ich aufs Gaspedal. Die Würfel sind gefallen. Von nun an wird es besser werden, für uns alle. Tränen finden ihren Weg über meine Wangen, wieder, und es wird das letzte Mal für eine lange Zeit sein, dass ich so frei weinen kann. Die einzigen Tränen, die ich mir von nun an erlaube, werden Freudentränen sein. Ein guter Vorsatz, nicht wahr?

Es ist noch vor Mitternacht, als ich bei dir ankomme. Schon von draußen sehe ich, dass in deiner Küche noch Licht brennt und ich erinnere mich an die vielen Abende, die wir gemeinsam dort verbracht haben. Diese Zeiten sind schon einige Monate her und scheinen mir heute bereits wie aus einem anderenLeben. Die letzten Jahre sind so schnell vergangen, dass ich es kaum glauben mag, dass wir schon acht Jahre in dieser Konstellation als Band spielen. Dich kenne ich schon seit meiner Jugend, du bist mir wie der ältere Bruder, den ich nie hatte. Ist es niht seltsam, fast schon pervers mit einem solchen Menschen, der einem derart nahe steht, zu schlafen? Wie auch immer, ich werde bei meiner Entscheidung bleiben.

Ich strecke die Hand nach der Klingel aus, halte jedoch im letzten Moment inne. Wenn ich das jetzt tue, den dunklen, einsamen Hausflur verlasse und indie Wärme deiner Wohnung trete, gibt es kein zurück mehr. Aber mir bleibt keine ahl. Mit einem leisenSeufzen gebe ich mir einen Ruck und klingle. Das schrille Geräusch dringt bis zu mir nach draußen und die bald ertönenden, lauter werdenden Schritte lassen meinHerz schneller schlagen. Und schon stehst du vor mir.

Erst noch müde und niedergeschlagen, wandelt sich dein Gesichtsausdruck schnell zu einem strahlenden Lächeln als du mich erkennst. Genau das is es was ichmich zu sehen sehne. Ein Zeichen, dass alles gut ist und es am Ende auch immer seinwird. Ein Steinfällt mir vom Herzen bei diesem Anblick.

“Kyo...” Sobald mein Namen deine Lippen verlässt, verändert sich alles. Plötzlich bist du wieder traurig, beinahe den Tränen nahe. Dein Blick weicht mir aus, du zieht die Schultern hoch, scheinst dich verstecken zu wollen. Vor mir? Hast du Angst? Wer ist hier derjenige, der Angst haben solte? Schließlich bin ich es, der in die Höhle des Löwen tritt.

“Können wir... reingehen?” Ich räuspere mich unbehaglich. “Ich muss mit dir reden.”

Du nickst nur wortlos, machst mir Platz und schließt die Tür wieder vorsichtig hinter uns. Ohne auf eine weitere Aufforderung deinerseits zu warten, mache ich mich auf den Weg in deine gemütliche Küche. Im englischen kollonial Stil und hellen Tönen gehalten fühle ich mich hier wohler als irgendwo sonst. Hinter deinem oft wenig ernstem und beinahe übertrieben selbstbewusstem Verhalten würde man wahrscheinlich nie auf die Idee kommen, dass du in manchen Dingen eher auf europäisch-konservatives stehst und sehr viel Wert auf gute Küche legst. Andererseits würde man von deinem öffentlichen Benehmen auch niemals darauf schließen, dass du im Grunde nur versuchst deine Unsicherheit zu überspielen.

Minuten später sitzen wir beide, jeder ein Bier vor sich auf dem Tisch, einander gegenüber und schweigen uns an. Um ehrlich zu sein habe ich noch nicht darüber nachgedacht, wo ich anfangen soll, geschweige denn was genau ich dir eigentlich sagen will, oder besser, wie ich es tun soll.

“Kyo... du siehst echt scheiße aus.”, grinst du mich plötzlich an. Hab ich was verpasst? Wo ist deine schlechte Stimmung hin?

“Danke für den Hinweis.”, grummle ich nur und funkel dich gespielt wütend an. “So fühl ich mich auch.”

Dein Grinsen verschwindet sofort und weicht dem altbekannten schlechten Gewissen. “Ist es wegen...”

Ich seufze und muss diesmal nicht einmal lügen. “Nein. Ich hab eben noch Toto heimgefahren, der war schon ziemlich angetrunken.” Und das ist noch untertrieben. “Ach, ich bin einfach momentan ein bisschen fertig...”

“Tut mir leid.”, stammelst du leise und beginnst wieder meinem Blick auszuweichen. “Das kommt bestimmt bloß, weil ich dir so auf die Nerven gehe. Es tut mir so leid, Kyo. Ich weiß doch auch nicht was da in mich gefahren ist!”

Ich schüttle nur den Kopf und stütze das Kinn auf meine auf dem Tisch verschrenkten Arme. Sehe dich von unten herauf an. “Die... wenn...” Wo soll ich nur anfangen? Nie fiel es mir so schwer die richtigen Worte zu finden. “Würdest du...” Ich hole einmal tief Luft. Dieses Herumgestammle bringt mich auch nicht weiter. “Wenn ich uns beiden eine Chance geben würde. Was würdest du sagen?”

Deine Reaktion lässt sich schwer beschreiben. Ist es Freude oder Verzweiflung oder einfach nur Unglauben? Du sagst nichts, siehst mich an und versuchst wohl deine Gefühle zu ordnen. Habe ich doch die falsche Entscheidung getroffen? Hätte ich alles beim alten belassen sollen?
 

“Meinst du... das ernst?”, fragst du schließlich, siehst mich unsicher an.
 

Kaum merklich nicke ich. “Ja.”
 

“Aber... du hast doch gesagt...”, stotterst du und ich bin mir immernoch nicht sicher, was genau du davon denkst. “Und das nachdem ich...” Du seufzt. “Ich verstehe dich nicht, Tooru!?”
 

Ich verstehe mich auch nicht, Die. Aber diesen Gedanken spreche ich nicht laut aus. “Du musst es nicht verstehen. Ich hab drüber nachgedacht, Die. Darüber was du gesagt hast und über meine Gefühle.” Und das ist noch nichtmal eine Lüge. Bisher schlage ich mich doch noch recht gut, oder? Auf deinen etwas verwirrten Blick hin, erkläre ich: “Von wegen die schönste Sache der Welt und so. Vielleicht hast du Recht. Vielleicht kann einen die Liebe garnicht verletzen. Vielleicht muss ich es einfach nur zulassen, dieses Gefühl.” Wenn das nur so einfach wäre. In mir sträubt sich immernoch alles dagegen, andererseits will ich die Hoffnung nicht aufgeben, dass dadurch alles besser wird.
 

Traurig lächelst du. “Kannst du das, Tooru? Und selbst wenn, empfindest du diese Liebe dann mir gegenüber?”

Warum kennst du mich nur so gut? Warum? Ich hole tief Luft bevor ich dich wieder ansehe und mich zu einem mehr oder minder überzeugendem Lächeln zwinge. “Ich glaube schon, ja. Meinst du, das mit uns beiden könnte funktionieren?”
 

Dein Schweigen macht mich nervös. Jetzt habe ich mich soweit durchgerungen, wenn du jetzt nicht einwilligst, weiß ich auch nicht mehr was ich tun soll. In was für einem Irrsinn befinde ich mich hier?
 

Schließlich scheinst du aus deiner minutenlangen Erstarrung aufzuwachen. Du siehst glücklich aus. “Lass es uns ausprobieren. Probieren geht schließlich über studieren! Vertraust du mir?”
 

Entgegen meiner eigenen Erwartung machen auch mich deine Worte ungemein glücklich. “Ja, ich vertraue dir, Die.” Es ist ein Gefühl wie neu geboren zu sein. Ein neuer Lebensabschnitt beginnt. Wenn ich mir einreden kann, dass wir nichts weiter als gute Freunde sind, die sich ab und an küssen und miteinander schlafen, könnte das hier wirklich klappen. Und alles wäre wieder so wie früher...
 


 

Ich verbringe seit langem wieder eine angenehm ruhige Nacht. In deinen Armen liegend lausche ich deinem ruhigen, gleichmäßigen Atem, den Kopf auf deine Brust gebettet und genieße die Ruhe. Meine Gedanken gehorchen mir und schwirren nicht mehr umher und ich fühle mich unglaublich sicher in deiner Umarmung. Obwohl ich schon oft in deinem Schlafzimmer und auch in deinem Bett übernachtet habe, wenn wir beide mal wieder zu viel gefeiert haben und ich zu faul war nach Hause zu laufen, war es nie so wie jetzt.
 

Du hast nicht mehr verlangt als einen kleinen Gute-Nacht-Kuss und dafür bin ich dir unendlich dankbar. Langsam freunde ich mich immer mehr mit dem Gedanken an unserer Umwelt eine perfekte, harmonische Beziehung vorzuspielen. So schwer kann das nicht sein. Es ist nur eine andere Art von Schauspiel als die, die ich mir bisher schon angeeignet habe. Deine Nähe tut mir gut, auch wenn in mir gerade eine Angst erwacht vor dem Monster das jederzeit wieder in dir zum Vorschein kommen könnte. Würdest du mir wieder wehtun? Ich wünsche es mir schon fast.
 

Letztlich schlafe ich nur wenige Stunden, fühle mich am nächsten Morgen aber ausgeruhter als seit Wochen. Als ich die Augen verschlafen öffne und mich erst wieder zurechtfinden muss, erkenne ich verschwommen deine Gestalt neben mir. Du lächelst, deine Hand liegt direkt vor meinem Gesicht auf dem Kissen. Ich muss mich stark zusammenreißen ruhig liegen zu bleiben und nicht sofort aufzuspringen. Schließlich sind wir jetzt ein Paar. Es ist ganz normal, dass wir nebeneinander schlafen und auch genauso wieder aufwachen. Ich sollte mich daran gewöhnen.
 

“Ohayou, Kyo!”, begrüßt du mich sanft, mit leiser Stimme, streichelst mir dann über die Wange. Deine Finger bleiben auf meinen Lippen, streichen vorsichtig darüber und wie automatisch hauche ich einen winzigen Kuss darauf. Es ist so einfach, dieses Spiel. Wird es immer so bleiben? In meinem Hinterkopf lässt mich der Gedanke nicht los, dass ein Spiel immer irgendwann endet und es dabei einen Gewinner und einen Verlierer gibt. Welcher von beiden werde ich sein? Oder gibt es in diesem Spiel auch ein Unentschieden?
 

“'hayou, Daidai.”, gebe ich zurück und du ersetzt deine Hand mit deinem Mund. Deine Lippen sind so weich wie sie es schon vor diesen wenigen Tagen waren, als sie meine das erste mal absichtlich trafen. Sie fühlen sich so anders an als die jeder Frau und jedes Mannes, der mich bisher so berührt hat und doch sind sie so vertraut, als kannte ich sie schon mein ganzes Leben. Dein ganzer Körper ist mir vertrauter als mein eigener, obwohl ich ihn erst einmal wirklich für mich hatte, ihn erkunden und entdecken konnte und dieses eine Mal habe ich mir keine Einzelheiten eingeprägt. Werde ich es das nächste Mal tun? Werde ich dazu überhaupt in der Lage sein? Jede Begegnung mit dir ist in meiner Erinnerung verschwommen, ein Kapitel des Films, der mein Leben ist. Wird sich das nun ändern? Will ich es ändern?
 

“Ich liebe dich, Kyo.” Ich habe kaum gemerkt, wie unsere Lippen sich wieder voneinander lösten, doch jetzt siehst du mich wieder mit diesen glänzenden Augen an, lächelnd. Das Lächeln, dass ich so so sehr liebe, ist wieder zurück gekehrt. Hoffentlich bleibt es diesmal für immer.
 

“Ich dich auch...”, zwinge ich mich zu sagen, doch nicht einmal in meinen Ohren hört es sich wahr an.

Du schüttelst den Kopf, streichelst mir immer wieder sanft über die Wangen und durch das Haar. “Du musst das nicht, Kyo.”
 

“Ich weiß. Ich will es aber.” Ich will es so sehr... es tut mir leid, Die... dass ich dich so grausam belügen muss...

danke für eure Kommentare ^^
 

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Fasziniert beobachte ich die kleinen Wölkchen, die bei jedem Atemzug vor meinem Gesicht aufsteigen. Schon als Kind habe ich diesen Anblick geliebt, konnte stundenlang so dasitzen, bis ich meine Glieder vor Kälte kaum noch spürte. Heute bleibt mir dafür nicht mehr so lange Zeit, die kurzen Zigarettenpausen hier und da sind spärlich genug und selten bin ich währenddessen allein, sodass ich meine Aufmerksamkeit kaum auf solche Kleinigkeiten richten kann.
 

Nach einem milden Februar gibt es jetzt im März einen starken Wintereinbruch, inklusive Schneestürme und deftigen Minustemperaturen. Bei so einem Wetter sollte man es keinem zumuten Tag und Nacht zu arbeiten, aber schließlich habe ich diesen Job ja freiwillig gewählt. Ich lasse mir freiwillig dumme Interviewfragen stellen, friere freiwillig in Kleinbussen deren Heizungen kaputt sind, stehe freiwillig stundenlang im Stau in der Begleitung von GameBoy-süchtigen Bassisten und Drummern und singe freiwillig Playback in irgendwelchen grottigen Fernsehshows, während junge Mädchen, die um diese Zeit eigentlich in der Schule oder längst zu Hause sein sollten, sich die Seele aus dem Leib schreien. Ja, ich liebe meinen Job.
 

Zu einem anderen Zeitpunkt hätte ich diese Aussage genauer auf ihren Wahrheitsgehalt überprüft, aber momentan gebe ich mich einfach mal damit ab. Viel wichtiger ist die Frage, wie sich meine Beziehung zu dir in den letzten Tagen entwickelt hat. Heute ist der letzte Tag, den wir im mehr oder minder normalen Leben in Tokyo verbringen. Morgen gehen wir auf Tour durch Japan, die Shows sind schon lange ausverkauft und die Erwartungen schrauben sich mit jeder Stunde weiter in die Höhe. Die kurzen Nächte habe ich bisher meist bei dir verbracht. Wir haben nicht darüber gesprochen. Überhaupt sprechen wir eigentlich über garnichts bedeutendes mehr, seitdem wir zusammen sind. Es sind alltägliche Nichtigkeiten die unsere Konversationen füllen und ich frage mich ernsthaft, ob es das ist, was eine Beziehung ausmacht.
 

Selbst die anderen sind sich nicht ganz im Klaren über unsere Beziehung. Sie sehen uns hier und da Zärtlichkeiten austauschen, fragen jedoch nicht nach, obwohl ich merke wie sie hinter unseren Rücken darüber reden. Haben sie Angst etwas falsches zu sagen? Weiß Kaoru doch Bescheid über das, was vorher passiert ist und warnt Toto und den Chibi nun davor überhaupt das Thema anzusprechen? Und wenn ja, wieviel weiß er? Du wirst ihm nicht alles erzählt haben... oder doch? Ich kann es mir nicht vorstellen.
 

Und was würden wir sagen, wenn einer von ihnen doch fragen sollte? Wir schlafen nicht miteinander, vielleicht traust du dich nicht mehr an mich heran, aber wir wohnen beinahe schon zusammen. Wir küssen und streicheln uns, doch über unsere Gefühle sprechen wir kaum. Wie also sollte man unsere Beziehung beschreiben?
 

Ich sehne mich danach, dass du mich endlich berührst. Was hält dich heute davon ab, was gestern noch nicht da war? Man sollte meinen, dass du dich bestätigt fühlen solltest, nun da wir zusammen sind. Wären wir nicht zusammen, würdest du dann weiter versuchen mich ins Bett zu kriegen? Ist jetzt etwa der Reiz verschwunden? Oder hast du einfach Angst davor mich wieder zu verletzen? Ich sehe doch deine Blicke, ich merke wie sehr du dich nach mir, oder meinen Körper, verzehrst. Niemand würde ihn die Vorenthalten. Am aller wenigsten ich, ist es doch genau das, was ich mir erhofft hatte.
 

Meine Gedanken die zu Beginn noch klar und geordnet waren, beginnen wieder zu verschwimmen, rasen, drehen sich und verwirren sich, sodass ich kein bisschen weiß wo vorne und wo hinten ist. Wo ich anfangen soll darüber nachzudenken. Alles sieht gleich aus und meine Gefühle sind ein einziger wirrer Haufen. Warum verletzt du mich nicht? Wieso tust du es nicht? Du könntest wieder Ordnung in mein Innerstes bringen, aber tust es nicht. Du spielst naiv, als wüsstest du nicht was ich von die möchte.
 

Aber kannst du es wissen? Mir fehlt der Mut es dir zu sagen. Der Gedanke an diese Nacht und was unter der Dusche geschehen ist, macht mich verrückt und so sehr ich mich davor fürchte, dass es wieder geschieht, desto mehr wünsche ich es mir doch auch. Ich vermisse den Schmerz, diesen Schmerz, den ich mir nicht selbst zufügen muss.
 

“He, Kyo.” Erschöpft aufseufzend lässt Kaoru sich neben mir auf der Stufe zum Balkon eines Tokyoter Photostudios nieder. Du und Toshiya, ihr macht gerade die letzten Einzelaufnahmen. Danach können wir endlich nach Hause, doch von Erholung wird auch dort keine Spur sein. Dann heißt es schon wieder packen für drei Wochen Tour.
 

“Hi, Leader-sama.”, gebe ich bereitwillig zurück, um wenigstens eine Reaktion zu bieten.

Er sieht mich gedankenverloren an, während er sich eine Zigarette anzündet. “Wie läuft's so?”

Was eine Frage! Ich muss beinahe lächeln. Beinahe. “Wie vor zehn Minuten auch schon, als wir uns das letzte mal gesehen haben...”
 

“Ah.” Er zieht ein paar mal an seinem Glimmstängel, drückt ihn dann in einem Aschenbecher, der zwischen uns steht aus und zündet sich noch einen an. Es sind kaum zwei Minuten vergangen. Da sag mal einer, ich sei Kettenraucher. “Und mit Die?”
 

“Was meinst du?”, gebe ich mich ahnungslos. Soll er gefälligst deutlicher ausdrücken was er fragen will, dafür gibt es Wörter. Ich bin hier nicht zum Vergnügen oder zum Rätselraten und für analytische Gespräche bin ich gerade weniger zu haben. Außer du würdest eines beginnen, aber darauf werde ich wohl noch lange warten können. Langsam zweifle ich an meiner Entscheidung. Ist nicht alles noch komplizierter als vorher?
 

“Weißt du doch genau.” Kao reibt sich erschöpft über die Augen, merkt im letzten Moment jedoch noch, dass er damit nur die Schminke verwischen würde, sieht mich dann ernst an. “Du willst mir doch nicht erzählen, dass du zufrieden damit bist, wie es gerade läuft.” Ich stelle mich weiter blöd. “Kyo, du bist noch depressiver als es an einem Durchschnittstag für dich üblich wäre. Ich hab dich seit Wochen nicht mehr Lächeln, geschweige denn Lachen sehen. Genau genommen, seit du offenbar mit Die zusammen bist.” Erwartungsvoll sieht er mich an.
 

“Und?” Meine Reaktion ist nicht sehr aussagekräftig, hilfreich oder gar freundlich, doch meine Bereitschaft zu Reden sinkt gerade auf den Nullpunkt. Meine eigene Unfähigkeit eine funktionierende Beziehung zu führen, ob nun mit oder ohne wahre Liebe, wird mir gerade wieder zu deutlich bewusst.
 

“Ich will dir doch nur helfen, Kyo.”, sagt er leise und etwas verletzt. Kaoru steht auf und verschwindet wortlos wieder nach drinnen und es tut mir plötzlich leid, dass ich so patzig ihm gegenüber war. Doch ich muss hiermit selbst klar kommen. Kao würde meine Beweggründe ohnehin nicht verstehen oder mich am Ende gar noch dafür verurteilen.
 

Es dauert nicht lange bis endlich Feierabend ist und ich wieder mal neben dir im Auto sitze. Die Hauptverkehrsstraßen sind richtiggehend verstopft, es geht nicht vor und nicht zurück, selbst die kleineren Seitenstraßen sehen nicht besser aus. Die Räumungsfahrzeuge sind pausenlos im Einsatz und der Wind treibt die dicken Schneeflocken uns direkt entgegen. Die Heizung läuft auf Hochtouren, das Radio plärrt lautstark Gackts neue Single heraus. Du klopfst gedankenverloren mit den Fingern aufs Lenkrad, dein Blick wandert von einer Autoreihe zu nächsten, sucht irgendwo eine Möglichkeit noch ein paar Meter vorzurücken, doch es ist aussichtslos: die nächste Ampel steht auf rot. Die Menschen, die auf den Gehwegen entlang eilen, halten die Köpfe gesenkt, stemmen sich störrisch gegen den eisigen Wind, pressen Aktentaschen und Einkaufstüten fest an ihre Körper. Wie kann man bei so einem Wetter überhaupt freiwillig zu Fuß unterwegs sein?
 

Du summst leise den Refrain mit. Noch ein Zeichen, dass du in Gedanken meilenweit entfernt bist, du magst Gackt nicht besonders. Ich auch nicht. Auf die Dauer geht seine Stimme einem auf die Nerven und die Musik hört sich oft seltsam synthetisch an, obwohl sie es wohl nicht ist. Aber es ist besser, als Stille, also sage ich nichts. Der einzige Song, den ich von ihm wirklich mag, ist “Fragrance”, den habe ich irgendwann einmal bei einer Liveshow im Fernsehen gehört. Er unterscheidet sich nicht so sehr vom Rest, aber der Text hat mich von Anfang an berührt. Aber was zerbreche ich mir hier den Kopf über anderer Leute Musik!?
 

“Kann ich nachher noch zu dir kommen?”, fragst du plötzlich leise. Wir stehen schon ein paar Meter weiter, die Ampel ist zwischenzeitlich auf grün gesprungen, aber die lange Autokaravane ist so schwerfällig, dass es nicht für viel gereicht hat.
 

“Wenn wir heute überhaupt noch irgendwo hinkommen.”, meine ich hoffnungslos. Hätten wir nur früher angefangen, dann würden wir nun nicht im Feierabendverkehr feststecken.
 

Du grinst mich aufmunternd an. “Wenn's ganz schlimm wird, lass ich dir einen Hubschrauber herbestellen, der dich nach Hause bringt, Prinzessin!”
 

“Baka...”, grummel ich leise, bringe ein Lächeln zu Stande. Kao sollte das jetzt sehen, dann wüsste er, dass ich es doch kann. Das mit dem Lächeln. Die Ampel wird wieder grün und diesmal schaffen wir es sogar drüber nur um dann einige hundert Meter weiter an der nächsten Kreuzung wieder stehen zu bleiben.
 

Du legst mir sanft eine Hand auf den Oberschenkel, streichst darüber, lächelst mich wieder an. “Das war kein Witz. Ich würd's wirklich machen!” Dann beugst du dich vor, umfasst meinen Nacken mit deiner freien Hand und küsst mich verlangend. Du bittest nicht einmal mehr stumm um Einlass und presst deine Zunge zwischen meine Lippen. Diese Dominanz deinerseits ist mir noch unbekannt, aber sie bereitet mir Gänsehaut und ich stöhne unwillkürlich in diesen leidenschaftlichen Kuss hinein. Unsanft beißt du mir auf die Unterlippe, bevor du dich wieder von mir löst, gedrängt vom lauten Hupen der Autos hinter uns kräftig aufs Gaspedal drückst.
 


 

Für die Tour zu packen beschränkt sich in meinem Fall darauf, den halben Kleiderschrank in eine Reisetasche zu stopfen, die schon bald so lang ist wie ich hoch. Das muss reichen und wenn nicht bietet mir das eine gerechtfertigte Ausrede um eine ausgedehnte Shoppingtour in was auch immer für einer Stadt zu machen. Nach weniger als einer halben Stunde, die Toshiya oder Shinya wahrscheinlich allein dafür gebraucht hätten eine passende Auswahl an Taschen und Koffern zu treffen, lasse ich mich erschöpft auf meinem Sofa nieder, eine Tasse heißen Tee in der Hand und den Blick auf das Schneechaos vor meinem Fenster gerichtet.
 

Wenn es nur jedes Mal zwischen uns so laufen würde, wie heute Nachmittag im Auto, aber du scheinst nicht einmal zu merken, wie sehr ich das genossen habe. Wie deutlich soll ich es noch machen? Muss ich dir jetzt geradewegs ins Gesicht sagen: 'Ja, braves Daidai, gut hast du das gemacht!' dazu noch ein Leckerli, wie Shinya es mit seiner Miyu immer macht und dann ist die Sache endlich klar? Das ist doch lächerlich!
 

Ich freue mich schon darauf, wenn es morgen endlich losgeht. Auf einer Tour ist meistens so viel los, dass mir kaum Zeit bleiben wird über Beziehungsprobleme – oder ob es überhaupt welche sind – nachzudenken. Nicht, dass es mir besonders gefällt rund um die Uhr von Menschen umgeben zu sein, jeder will etwas von einem, man wird von einer Ecke zur nächsten geschleppt.
 

Das Telefon klingelt und unterbricht meine Gedankengänge mal wieder zum richtigen Zeitpunkt bevor sie wirklich verwirrend werden können. Soll ich überhaupt rangehen? Doch schließlich siegt die Vernunft, es könnte etwas wichtiges sein. Du bist es. Ich hätte es mir denken können, das Klingeln hat sich schon so nach dir angehört. Der Verkehr ist immernoch nicht weniger geworden, der Schnee fällt weiter, du bleibst lieber zu Hause, sagst du. Wir sehen uns ja morgen früh. Schlaf gut, ich liebe dich, aufgelegt. So schnell kann's gehn.
 

Wie ich mich vor kurzem noch darüber gefreut hätte, wenn du einmal nicht hinter mir herrennst, bei mir übernachtest oder mir sonst wie auf die Pelle rückst. Aber jetzt ist das anders. Vielleicht hatte ich recht, vielleicht ist der Reiz wirklich nicht mehr da und du interessierst dich nicht mehr für mich. Dieser Gedanke tut mir weh, aber es ist ein anderer Schmerz als der, den ich mir ersehne. Die Zeit, in der ich mir vormachen konnte, dass du ihn mir irgendwann noch geben würdest, ist zu Ende.
 

Meine Hände zittern. Zuerst sie, dann mein ganzer Körper, ohne dass ich noch die geringste Kontrolle darüber habe. Seit gestern Abend habe ich nichts mehr gegessen und nun bekomme ich die Quittung dafür. Meine Brust zieht sich schmerzhaft zusammen, sodass ich fast meine zu ersticken, doch die Luft die in meine Lungen strömt ist kalt und schmerzt. Es fühlt sich so an, als würde mein Herz für eine schreckvolle Sekunde auhören wollen zu schlagen, dann beginnt es zu rasen. Ich kenne diese Gefühle, ich weiß genau was ich dagegen tun muss. Sie werden die ganze Nacht nicht mehr aufhören, wenn ich nichts dagegen tue. Meine Füße tragen mich unsicher, wie automatisch, ohne dass ich etwas dagegen tun kann, ins Bad, damit ich etwas dagegen tue.

Es ist wie ein Reflex, ein Vorgang den ich nur von weitem beobachten kann, aber niemals verhindern werde. Vielleicht ist es auch besser so. Ich will es garnicht verhindern, will es nur genießen ohne darüber nachdenken zu müssen.
 

Die Kälte der Fliesen dringt durch den Stoff an meine Füße, berührt mich aber nicht. Sie ist nebensächlich. Das Licht ist grell und viel zu hell und als ich mein Spiegelbild für einen Moment im Spiegelbild betrachte, kann ich mich kaum erkennen. Ein ausgemergeltes Gesicht, Schatten unter den Augen, stumpfe Haare, die saft und kraftlos wirken, blasse Haut, eingefallene Wangen. Bin das wirklich ich? Vielleicht bilde ich mir das alles nur ein und ich sehe mich 'danach' endlich wieder so, wie ich mich in Erinnerung habe.
 

Ein weiterer Reflex, der meine Hand in den kleinen Wandschrank greifen lässt, eine Klinge aus der fast leeren Packung zieht. Ein Gebrauchsgegenstand, den die meisten Menschen zu Hause haben, nur ich kann ihn nicht so benutzen, wie alle anderen. Für mich ist es ein Gegenstand der Rettung und zugleich des Schreckens. Wie in Trance wiege ich ihn in meiner Hand, bevor ich die Finger fest darum schließe und mit einigem Kraftaufwand das Plastik um die drei Klingen zerbreche. Die Bruchstücke hinterlassen blutige Kratzer auf meiner Haut, ein brennender Schmerz, aber zu schwach um als solcher an mein getrübtes Bewusstein zu dringen.
 

Im Licht glänzt das Metall wunderschön. Es ist fast zu schön um es mit Blut zu beflecken, doch dieser Gedanke verlässt mich bald wieder und wird durch die Erinnerung an den süßen Schmerz ersetzt, der mich in Augenblicken erwartet. Vorsichtig, als wäre sie unendlich kostbar, lege ich die größte der Klingen auf den Rand des Waschbeckens. Langsam, jeden Moment voll auskostend, ziehe ich den Stoff meines linken Pulloverärmels nach oben, bis es meinen nackten, fast weißen Arm freigibt, der von Narben übersäht ist. Widerwärtig und gleichzeitig doch unendlich faszinierend, dass ich Stunden davor sitzen und sie betrachten möchte. Jede von ihnen erzählt eine Geschichte an die ich mich schon lange nicht mehr erinnere.
 

Wieder ergreife ich die Klinge, streichel damit beinahe zärtlich über die Haut, halte Ausschau nach einem Fleckchen, dernoch genug Platz für eine weitere Narbe und eine weitere Geschichte hält. An der Außenseite meines Unterarms werde ich schließlich fündig, wie gemacht für meine Zwecke, ich kann die Wunde schon fast vor meinem inneren Auge sehen. So schön. So unendlich schön. Wie nichts auf der Welt.
 

Entschlossen senke ich die Spitze der Klinge an, presse sie fest in das Fleisch, ohne jedoch etwas zu verletzen. Nur ein Millimeter in eine Richtung und das Blut wird fließen und ich werde wieder diesen lang ersehnten Schmerz spüren dürfen.
 

Ein Millimeter, dann noch einer, der Schmerz überschwemmt mich, macht mein Bewusstsein wieder klar. Der Druck ist noch zu groß, als dass das Blut aus der Wunde fließen könnte oder ich die Ausmaße des Schnitts erkenne. Es ist mir egal. Jetzt zählt nur noch dieses Gefühl. Es ist alles, was ich in diesem Moment spüre und an das ich denke. Zeit und Raum existieren nicht mehr, was morgen ist, soll morgen sein und was du machst, denkst oder fühlst ist mir einerlei. Aus Millimetern werden Zentimeter, aus einem Zentimeter werden zehn. Einheiten haben keine Bedeutung. Sie sind eins.

Es ist noch dunkel draußen, als ich am vereinbarten Treffpunkt ankomme. Der Fußmarsch hat gut getan, die Tasche zog ich auf den kleinen Rollen hinter mir her. Sie haben nicht einmal Krach gemacht, da der frisch gefallene Schnee das Geräusch auf dem Bürgersteig gedämpft hat. Wie immer ist Kaoru schon da, wie nicht anders zu erwarten, er steht vor einem der Tourbusse und unterhält sich mit dem Fahrer. Am Eingang zu dem Hof bleibe ich stehen und beobachte das Treiben. Crewmitglieder verladen Kisten hierhin und dorthin, andere stehen mit Klemmbrettern herum und scheinen wichtigste Dinge aufzuschreiben.
 

Etwas in mir wehrt sich plötzlich dagegen auch nur einen Schritt weiter zu tun. Mein eigenes Leben scheint mir fremd. Wer sind sie? Wer bist du? Was habe ich zu tun? Etwas stimmt nicht, aber ich kann mir nicht erklären was es ist. Soll ich weitergehen? Soll ich umkehren? Alles macht mir mit einem mal solche Angst. Ich weiß weder vor noch zurück, nicht wo links, nicht wo rechts ist. Was ist heute? Was kommt morgen? Wo bin ich?

Mir wird schwarz vor Augen und gleichzeitig habe ich wieder das Gefühl mich nur von weit entfernt zu beobachten. Irgendwann einmal habe ich gelesen, dass man einen solchen Zustand als Dissoziation bezeichnet. Ein Zustand, der für unbestimmte Zeit anhalten kann, in dem man kaum noch Kontrolle über das eigene Verhalten hat und der durch Selbstverletzung ausgelöst oder beendet werden kann. Vielleicht kann ich ihn beenden... vielleicht... aber ich darf es nicht, nicht jetzt und nicht hier.
 

Solange habe ich es verdrängt, bin geduldig gewesen, habe gewartet und manchmal nicht einmal mehr das Verlangen danach gehabt. Doch jetzt, da ich erst vor wenigen Stunden den Schmerz wieder gekostet habe, zieht mich das Gefühl wieder in seinen Bann, macht mich abhängig. Es ist, als wäre ich in ein tiefes Loch gefallen, rückwärts gegangen, fröhlich und ohne böse Absicht, und einfach hinein gefallen. Als hätte es sich auf einmal unter mir aufgetan. Warum hat es das getan? Du warst es, dein Anruf hat das Loch unter mir geöffnet und jetzt kommst du nicht um mich wieder heraus zu holen. Vielleicht will ich es auch garnicht. Vielleicht will ich in meinem kleinen, dunklen Loch sitzen und allein sein. Nichts hören und sehen, niemandem begegnen, niemandem Rechenschaft ablegen.
 

So ein kleines Ereignis kann meine ganze schützende Illusion zerstören. Ist das möglich? Wieso bin ich so schwach? Warum kann ich nicht so stark sein wie du und allen Problemen und Schwierigkeiten mit einem breiten Grinsen auf dem Gesicht begegnen, sei es nun echt oder nur aufgesetzt? Ihr alle seid so stark, nur ich bin so schwach und werde es umso mehr, je öfter ich nachgebe, je öfter ich das Verlangen nach diesem Schmerz selbst stille.
 

Ich zwinge mich dazu weiterzumachen, mir nichts anmerken zu lassen. Entschlossen verdränge ich das Gefühl der Entrücktheit, greife nach meiner Tasche und gehe festen Schrittes auf Kaoru zu. Nur ein Tag, nur einen Tag gilt es auszuhalten. Wenn ich ihn überstanden habe, kann ich heute Nacht im Hotel tun und lassen was ich will. Nur ein Tag...
 

In dem Minibus mit dem wir fahren, verziehe ich mich kurze Zeit später, als endlich alle versammelt sind sofort nach hinten. Kopf und Schulter an die Scheibe gelehnt beobachte ich weiter das Treiben. Es fängt wieder an zu schnein, was dich und Toshiya schon bald in den Bus treibt. Kaoru und Shinya sind mit unserem Manager beschäftigt und scheinen sich vom Wetter nicht im Geringsten beeinflussen zu lassen.
 

Du beschlagnahmst den Platz rechts von mir, Toshiya macht es sich auf dem Sitz vor uns breit und guckt sofort schief grinsend über die Rückenlehne zu uns. Gespannt beobachtet er, wie du dich vorlehnst um mich zu küssen. Doch mir steht gerade nicht der Sinn nach solchen Zärtlichkeiten, halte den Blick starr auf den Parkplatz gerichtet, sodass du dich mit einem dicken Schmatzer auf meine Wange begnügst.
 

Mein Arm, durch dein Bedrängnis zwischen der Wand und meinem Körper eingeklemmt, schmerzt ein wenig, doch lang nicht so stark wie ich es erwartet hatte. Es war ein kleienr Schock gewesen, als ich beim Aufstehen das ganze Ausmaß meines Ausbruchs bemerkt hatte. Nun ziert ein fester Verband meinenUnterarmudn ich hoffe, dass die Wunde während des Aufritts am Abend nicht aufbrechen wird. Am Ende kann ich nichts tun, als abzuwarten und hoffen. Ein wenig Versorgung könnte nicht schaden, doch bisher hat es auch so immer geklappt. Es wird schon werden...
 

Als wir erst ein paar Minuten unterwegs sind, schmust du dich wie ein kleiner Kater an mich. Den Kopf auf meine Schulter gelehnt und ein wenig zusammengerollt, eingekuschelt in deine dicke Daunenjacke, höre ich deinen Atem, spüre dein weiches Haar an meiner Haut. Unbewusst habe ich begonnen deine Hand zu streicheln, als du die meine besitzergreifend an dich gezogen hast. Ich sehe weiter nach draußen, beobachte wie der Verkehr vorbeirauscht, wie von Viertel zu Viertel fahren um endlich auf die Autobahn zu gelangen, wo wenigstens das andauernde Bremsen und Anfahren ein Ende hat. Auf Toshiyas Drängen hin schiebt der Fahrer eine CD in die eingebaute Anlage und schon schallt lautstark Linkin Park's “I'm about to break” aus den Lautsprechern. Shinya hat sich in eine Zeitschrift vergraben und bemerkt nicht einmal die Blicke die der Bassist ihm zuwirft, während Kaoru es dir gleichtut und die Augen schließt.
 

Es ist kalt hier, aber wo ist es das nicht. Der Wagen stand sicherlich die ganze Nacht draußen und wird dort reichlich Kälte getankt haben. Es ist schon ein Wunder, wenn wir bei diesem Chaos auf den Straßen nicht irgendwo im Verkehr stecken bleiben. Als ob wir das nicht erst gestern hatten...
 

“I cannot take this anymore, I'm saying everything I've said before, All these words they make no sense...” Am liebsten würde ich die Stimme des Sängers ausschalten. Oder die CD aus dem Fenster schmeißen. Doch davon abgesehen, dass dein Gewicht mich geradzu auf meinen Platz fesselt, würde Toshiya mir mit Sicherheit an die Gurgel gehen. So versuche ich die Worte einfach aus meinem Bewusstsein zu blenden, konzentriere mich auf das Muster im Stoff des Sitzes vor mir. Lauter kleine Punkte und ich versuche sie zu zählen, doch das Auto wackelt so sehr, dass ich immer wieder in der Reihe verrutsche.
 

“Everything you say to me, Takes me one step closer to the edge, And I'm about to break!” Wieso kann dieser Kerl nicht endlich seinen Mund halten, oder die CD kaputt gehen, oder die Anlage den Geist aufgeben? Jedoch, wenn ich etwas sage, wäre das umso auffälliger. Ich muss mich einfach auf andere Gedanken bringen.

“Alles okay, Kyo?” Du beginnst dich zu rühren, blickst zu mir auf. Am liebsten würde ich jetzt für immer in diesen wunderschönen Augen versinken und nie wieder zurückkehren, aber zu meinem Pech muss ich dir wohl antworten.
 

Ich sehe wieder nach draußen. Gerade fahren wir an einer Raststätte vorbei, aber es ist noch nicht annhähernd Mittag und Kaoru ignoriert Toshiyas Gequängel, wir mögen doch anhalten. “Warum fragst du?”

“Du schläfst garnicht.”, lautet deine simple Antwort und ich muss lächeln.
 

“Ich kann nicht. Ich muss nachdenken.”, antworte ich dir bereitwillig. “Und Toshiyas Musik geht mir auf die Nerven.” Im wahrsten Sinne des Wortes. Mein Herz beginnt schon wiede zu rasen, aber deine Anwesenheit beruhigt es etwas.
 

“Aber du bist müde...”, stellst du fest, setzt dich auf und hockst dich im Schneidersitz auf die Bank. Eine Polizeikontrolle hätte an dir ihre Freude: Unangeschnallt und dann auch noch quer auf deinem Sitz hockend. “Worüber musst du nachdenken?”
 

Mit einem kurzen Blick versichere ich mich, dass die anderen zu beschäftigt sind um unsere gedämpften Stimmen zu vernehmen. “Ich...” Seufzend lehne ich mich zurück, schließe kurz die Augen. Du hast recht, ich bin wirklich müde, aber schlafen kann ich nicht. Was soll ich sagen? “Manchmal vergesse ich, was das alles überhaupt für einen Sinn hat.”

“Was meinst du?” Natürlich, wie sollst du es auch verstehen...
 

“Alles was wir hier tun, das tägliche Leben und unseren Job... ich weiß einfach nicht... warum.” Wie kann ich es dir begreiflich machen? Geht das überhaupt? Kann ich jemandem, der nicht diese wirren Gedankengänge hat, erklären, was es mit ihnen auf sich hat? Ich bezweifle es. “Wo soll das alles hinführen?”
 

Einige Augenblicke schweigst du, bis du ein leises Seufzen von dir gibst. “Ich kann nicht behaupten, dass ich genau verstehe, was du mir sagen willst. Wie ich dich kenne, willst du es mir eigentlich auch garnicht sagen und antwortest nur, weil ich dich gefragt habe, oder?”
 

Wie gut du mich kennst. Wieso weißt du das, aber nichts über meine eigentlichen Sehnsüchte? Ich nicke, möchte deinem Blick jetzt nicht mehr begegnen. Sanft streichelst du mir über die Wange, drehst mein Gesicht zu dir, zwingst mich dich anzusehn. Das Gefühl neben mir zu stehen verwandelt sich plötzlich in das andere Extrem, als wäre ich gefangen in meinem eigenen Körper, könnte dir nicht entkommen. So sehr kämpfe ich dagegen an, dass ich nicht einmal bemerke, wie du mit der anderen Hand nach meinem linken Arm greifst, einmal fest zupackst. Mehr aus Schreck und einem natürlichen Reflex heraus, denn des Schmerzes wegen, ziehe ich ihn weg. Wieso tust du das? Und woher weißt du es?
 

“Ich dachte, du hättest damit aufgehört...” Deine Stimme ist plötzlich tränenerstickt. Es ist deine Schuld, allein deine Schuld!, will ich am liebsten schreien, doch es wäre unfair und würde auch nicht der Wahrheit entsprechen.
 

“Offenbar nicht.” Grausam, so ungemein grausam, doch ist es die einzige Möglichkeit die ich gerade sehe, um mich zu schützen. Zu schützen vor meinen eigenen Gefühlen und vor deinen Blicken und stummen Vorwürfen. Und trotz meiner harten Worte, ziehst du mich sanft in deine Arme.
 

“Ist es, weil ich gestern nicht gekommen bin?”, fragst du nach einigen Minuten. Mittlerweile läuft “By the way” was Toshiya und unser Fahrer lautstark mitsingen.

“Lass uns über was anderes reden, bitte...”

“Also gut...” Einen Augenblick überlegst du gespielt angestrengt. “Was hältst du von Ballet?”

Die Welt kann manchmal grausam sein. Nicht, dass ich das nicht schon lange gewusst hätte, aber manche Tage machen es einem dann doch immer richtig deutlich. Erst standen wir stundenlang im Stau, Toshiya und du quengelten aus Hunger die ganze Zeit, Kao begann irgendwann hysterisch herum zu telefonieren, als klar wurde, dass wir es bis zum Soundcheck unmöglich schaffen würden. Als wir endlich an der Halle ankamen, stellte sich heraus, dass einer der LKWs mit den Instrumenten und einem Großteil der Kabel einen Auffahrunfall hatte und somit erst kurz nach uns ankommen würde. Der Catering war mies und du und Toshiya deswegen umso schlechter gelaunt.
 

Jetzt sitze ich mitten im Zuschauerraum wo in nicht einmal einer Stunde die ersten Fans stehen werden und beobachte aus einiger Entfernung, wie du und Kao euch noch einmal einspielt. Wir haben kaum einen Song während des verkürzten Soundchecks gespielt. Es muss so klappen.
 

Ich liebe es dir dabei zuzusehen, wenn du spielst. Du bist dann immer so konzentrierst, siehst nichts anderes als deine Gitarre und deine Finger die sich auf ihr bewegen und ihr die schönsten Töne entlocken. Niemand spielt Gitarre so wie du, niemand sieht dabei so entrückt aus, als würde er nicht einmal mehr an diese Welt gebunden sein. Nein, du befindest dich schon in deiner eigenen Welt. Woran du wohl gerade denkst? Wie ich dich kenne, gibt es darauf nur eine Antwort...
 

Der Gedanke entlockt mir ein bitteres Lächeln. Wird es wohl immer so bleiben?
 

Kurz bevor das Konzert beginnt, wage ich einen Blick über die Bühne ins Publikum. Es sind so unendlich viele, sie alle nur hier um uns zu sehen, unsere Musik zu hören. So anders ist dieser Anblick doch, als der, den wir früher hatten, in kleinen, dreckigen Clubs, mit winziger Bühne, auf der man sich kaum bewegen konnte und immer aufpassen musste nicht gegeneinander zu laufen. Die stickige Luft, die Hitze, der Gestank nach Alkohol und Rauch... es ist diese Umgebung wo alles ihren Anfang hatte. Wie war es damals? Waren wir damals schon die selben Menschen wie heute? Haben wir ebenso gefühlt wie jetzt? Hast du mich damals schon geliebt? Hatte ich damals schon solch verwirrende Gedanken? Wo ständen wir heute, wenn wir damals nicht weitergemacht hätten, nachdem Kisaki ging? Kisaki...
 

Es ist sicherlich müßig darüber nachzudenken. Mein Leben ist das, was es ist. Jede Entscheidung, die ich getroffen habe, traf ich aus Überzeugung und versuche sie nicht zu bereuhen. Auch wenn es manchmal schwer fällt.
 

Die Hektik hinter der Bühne hat etwas beruhigendes, vermittelt mir eine ungemeine Sicherheit. So viele Leute bemühen sich darum, dass alles glatt geht, keine Katastrophen passieren und die Fans ihren Spaß bei dem Konzert haben. Ich bin nicht alleine. Es kann nichts passieren. Trotzdem halte ich immer wieder Ausschau nach dir, habe plötzlich Angst dich zu verlieren, obwohl es dafür keinen Grund gibt. Und warum diese Angst? Sie war nie zuvor da. Nicht bei dir und auch bei niemand anderem. Verlustängste... auf einmal weiß ich, was dieses Wort bedeutet.
 

Trotz aller Pannen und Katastrophen läuft das Konzert selbst perfekt. Keiner verspielt sich, die Stimmung ist unglaublich. Es ist der beste Start einer Tour den man haben kann, aber aus meinem Loch holt selbst er mich nicht mehr raus. Ich schwitze so sehr, dass der Verband um meinen Arm anfängt zu jucken und sich immer wieder lockert. Dem Publikum scheint nichts aufzufallen, sie alle sehen dahinter wohl nur ein neues Modeassecoir, doch ich spüre Kaorus Blicke auf mir, Shinyas während der Pause vor der Zugabe, nur Toshiya scheint nichts zu bemerken, er ist zu sehr im Rausch, lässt sich wie immer so sehr mitreißen, dass er nichts um sich herum sieht. Du sagst nichts, weißt, dass es mir nur wehtun würde. Ich weiß auch so, dass du verabscheust, was ich tue und deine Blicke wären genug um es mir wieder und wieder deutlich zu machen.
 

Nach der Show, als alle anderen noch den erfolgreichen Tourauftakt feiern gehen, setze ich mich möglichst unauffällig ab und verschwinde in Richtung Hotel. Es ist nicht weit von der Halle entfernt und der kurze Spaziergang durch die eisige Nachtluft tut mir nach der Hitze von zuvor unendlich gut. Mein Arm fühlt sich ein wenig taub an, durch den Verband kann ich sehen, dass die Wunde wieder geblutet hat. Gerade will ich nichts lieber, als meiner Haut eine weitere Narbe hinzuzufügen. Doch, eine Sache will ich lieber als das: dass du mir diese Schmerzen zufügst, endlich tust, was ich die ganze Zeit erwartet, aber auch ein wenig gefürchtet hatte. Du konntest es schon einmal, wieso jetzt nicht mehr? Tust du es, bestätigst du mich endlich in meinem Wissen, dass die Liebe nur Schmerzen bringt, und alles ist wieder in Ordnung. Ich hasse es, nicht Recht zu haben. Wenn ich dir wieder den Rücken zukehre, dich zur Verzweiflung bringe, wirst du es dann tun?
 

Vom Bürgersteig aus beobachte ich den weitläuftigen Eingang des Hotels. Alle paar Minuten fahren Autos vor, Leute steigen ein oder aus, ein Page trägt Koffer und Taschen hinein, das Innere ist warm erleuchtet. Ich weiß nicht, wie lange ich so in der Kälte herumstehe, den Blick starr geradeaus gerichtet, aber irgendwann schaffe ich es, mich wieder in Bewegung zu setzen und hinein zu gehen. Wieder einmal allein, warum bist du nicht hier, warum bin ich nicht bei euch geblieben? Die Vorstellung jetzt allein in meinem viel zu großen Zimmer zu sitzen, zu warten bis der Schlaf mich einholt, nichts zu tun, macht mich krank. Besser wäre es wohl, mir ordentlich die Kante zu geben, um morgen mit einem kräftigen Kater auf der Bühne zu stehen, aber alleine in die Bar zu gehen dafür fehlt mir die Lust und der Mut. Am Ende erkennt mich noch jemand. Dafür habe ich überhaupt keinen Nerv. Also verschwinde ich auf mein Zimmer. Es liegt direkt gegenüber von deinem, fast ganz oben in dem hohen Gebäude. Die Tür öffnet sich mit einem leisen Biepen, als ich die Schlüsselkarte durch den vorgesehen Spalt ziehe, das Licht geht automatisch an. Es ist viel zu hell und taucht den vor mir liegenden Raum in einen fast klinischen Schein. Ich mag Krankenhäuser und Ärzte nicht, deshalb kommt mir auch dieses Zimmer ungemütlich und nahezu bedrohlich vor. So schnell wie möglich durchquere ich es, schalte die Nachttischlampe an und die große Beleuchtung aus. Ein Blick aus dem Fenster zeigt mir nur tiefschwarze Nacht, es ist ganz anders als zu Hause. Das Hotel steht am Rande der Stadt, in der Nähe des Strandes in dessen Richtung mein Zimmer geht. Nichts gegen Strand und Meer, aber die Stadt ist mir lieber, dort ist alles anonymer, man kann im Strmo der Menschenmassen verschwinden und doch alleine bleiben. Es ist keine Wahl die es zu treffen gilt, man wird unweigerlich einsam.
 

Mein vom Konzert viel zu hoher Adrenalinspiegel sinkt langsam wieder und lässt mich meine Müdigkeit und die schlaffen Glieder spüren. Am liebsten würde ich mich sofort ins Bett legen, doch in der Dunkelheit und Stille werden meine Gedanken wieder umherirren und eine kleine Stimme in meinem Hinterkopf flüstern: Tu es, tu es, tu... Eine heiße Dusche wird vielleicht wenigstens meine Muskeln sich wieder etwas entspannen lassen und meine Nerven sich beruhigen. Die Entscheidung ist getroffen. Du willst es ja nicht anders!
 


 

Liebesentzug. Dieses Wort enfaltet erst in den folgenden Tagen seine volle Bedeutung vor mir. Wenn ich schon denke darunter zu leider, was musst du dann erst fühlen? Es fällt mir schwer dich zu ignorieren. Es sind Kleinigkeiten, die ich mir nun selbst verbiete. Das Teilen einer Zigarette, den Kopf während einer Fahrt auf deine Schulter zu lehnen, deine wie willkürlich scheinenden Berührungen. Selbst während eines Gespräches muss ich mich immer wieder daran erinnern mich wie früher zu verhalten. Und das alles allein weil ich zu feige bin es dir ins Gesicht zu sagen. Wie widerwärtig kann ein Mensch sein?

Bin ich überhaupt noch ein Mensch?
 

Manchmal fühle ich mich nicht mehr so. Jede Nacht, wenn ich von Tag zu Tag müder und erschöpfter nach einem Konzert in mein Hotelbett falle, beginnt die Prozedur von neuem, die Prozedur die mir beweisen soll, dass ich noch ein Mensch bin. Aber beweist die Tatsache, dass ich körperliche Schmerzen spüren und Blut aus meinem Körper fließen sehe, überhaupt etwas? Die Antwort lautet nein, doch ich verbiete mir es mir einzugestehen und mache unverändert weiter.
 

Natürlich bist du nicht der einzige, der die Veränderung in mir bemerkt. Vielleicht haben sich die anderen einfach zu sehr an diesen vergleichsweise gut gelaunten Kyo gewöhnt, wer weiß. In Tageszeitschriften der Städte in denen wir Auftreten, erscheinen am Morgen nach einem Konzert immer erschreckende Bilder und Berichte über meinen angeblich furchtbaren psychischen Gesundheitszustand. Kaoru und Shinya versuchen immer wieder mit mir über meine Selbstverletzungen zu sprechen. Ich habe längst aufgegeben es zu verstecken. Schließlich besteht die Hoffnung, dass es einer weiterer Faktor ist, der dich letztlich zu einer Reaktion provoziert.
 

Es passiert schließlich am Abend vor unserem letzten Konzert dieser Tour in Osaka. Die Stadt, in der wir uns vor so vielen Jahren kennen gelernt haben. Es scheint mir, als seien alle Bands von denen ich jemals ein Teil war, mit denen ich hier gespielt habe, bedeutungslos gegenüber dieser einen. Was hat Dir en grey, was die anderen nicht hatten? Ich weiß es nicht. Was ich weiß ist, dass ich es mir in einer kleinen Bar gemütlich gemacht habe, eine Flasche Bier vor mir auf dem Tresen, unauffällig in der Ecke sitzend, sodass ich den ganzen Raum im Blick habe. Den ganzen Abend schon beobachte ich Menschen herein und wieder hinaus gehen, ihre Gesichter sehen alle gleich aus, alles die selbe Art von Leuten. Doch ein Gesicht ist nicht wie die anderen. Dieses Gesicht ist sanft und rein und wunderschön, die Haut so blass, dass sie wirkt wie Porzellan, nur ein leicht rosiger Schimmer auf den Wangen, der Geschichten von der Kälte dort draußen erzählt. Die Augen sind verdeckt von schwarz-rotem Haar, dessen Anblick ich mein ganzes Leben nicht vergessen werde, in das ich mein eigenes Gesicht vergraben möchte, seinen Geruch einatmen, seine Weichheit spüren.
 

Du hast die Hände in den Hosentaschen versenkt und siehst zu Boden, während du langsam auf mich zu kommst. Man könnte beinahe meinen, du würdest dich nur aus Jux und Tollerei neben mich setzen, mich im Grunde erst bemerken, als du endlich aufsiehst, doch ich weiß es besser. Wir schweigen uns an. Du bestellst das gleiche wie ich, danach sagst du für lange Zeit nichts mehr. Wozu bist du hier, wenn du ohnehin nichts zu sagen hast?
 

“Habe ich etwas falsch gemacht, Tooru?”, fragst du endlich, weiter fixiert auf deine fast leere Flasche. Die Müdigkeit macht mir mal wieder zu schaffen, aber ich unterdrücke sie. “Seit dem Beginn der Tour redest du kaum noch mit mir, du ziehst dich von uns allen zurück und abends, wenn ich denke wir könnten endlich etwas Zeit alleine verbringen, ist deine Tür verschlossen und du reagierst auf nichts mehr. Dabei weiß ich, dass du nicht schläfst, sondern...” An dieser Stelle brichst du ab, als hättest du bereits zu viel gesagt, doch natürlich kann ich mir denken, was nun unausgesprochen bleibt.
 

Was nun? Einerseits spüre ich, dass ich meinem Ziel mit jeder verstrichenen Minute ein Stückchen näher komme, doch auf eine unheimliche Art und Weise entferne ich mich damit von etwas ganz anderem. Ich kann nicht genau sagen, was es ist. Nur, dass es dir wehtut.
 

“Was soll's...” Meine Stimme gehorcht mir nicht mehr, vielleicht habe ich schon zu viel getrunken. Wenn schon meine Stimme nicht mehr mit macht, was werden dann erst meine Glieder tun, wenn ich versuche aufzustehen? Allein bei dem Gedanken wird mir schwindelig und so lasse ich es vorerst mir darüber den Kopf zu zerbrechen.

“Du hast sie doch nicht mehr alle, Tooru!”, zischst du wütend und greifst nach meinem rechten Arm, auf den ich gerade noch meinen Kopf gestützt hatte, der daraufhin beinahe auf die Tischplatte knallt. Danke, Daisuke, ich wollte schon immer mal eine Platzwunde über die sich ganz Japan morgen scheckig lachen wird! “Was ist nur mit dir passiert?”
 

“Ni~ichts...” Verdammt, jetzt fang ich sogar richtig an zu lallen. Wie weit ist es schon mit mir gekommen...

Dir scheint der Kragen zu platzen, denn plötzlich stehst du auf, so schnell, dass mir schwindelig wird, als ich versuche dir mit den Augen zu folgen, wirfst einige Scheine auf den Tresen und ziehst mich erbarmungslos hinter dir her. Womit habe ich das nur verdient? Wo ist mein Bett? Ich will nicht mehr!
 

Einige Meter weiter meint es wohl jemand gut mit mir, denn die Ampel ist rot und du bleibst stehen. Alles dreht sich, mir fallen fast schon die Augen zu. Nie habe ich mir sehnlicher ein Bett gewünscht, aber da leider keines da ist und du der einzige brauchbare Ersatz zu sein scheinst, kuschele ich mich in deine Arme, darauf vertrauend, dass du mich festhalten wirst, wenn ich wirklich einschlafe.

[Dieses Kapitel ist nur Volljährigen zugänglich]

Mitten in der Nacht liegen wir schweigend nebeneinander. Es ist eine alltägliche Szene, alltäglich für ein normales Beziehungsleben. Aber in wiefern ist das alles hier normal? Dass ich nicht 'normal' bin, war mir schon immer klar, aber du warst für mich immer der völlig durchschnittliche Typ von nebenan. Der beste Freund und ein fürsorglicher Liebhaber. Manchmal etwas aufgedreht, aber im Grunde wie jeder andere Mann in diesem Alter. Das was wir hier tun, ist nicht 'normal'. Alles andere als das und mich stört es nicht, aber wie sieht das bei dir aus?
 

Du bist wach, ich spüre es und sicherlich weißt du genauso, dass auch ich nicht schlafen kann. In jeder erdenklichen Hinsicht befriedigt, sollte ich eigentlich dazu in der Lage sein, aber nun beschäftigst du mich und meine Gedanken.
 

“Kyo?”

“Mhm.”, mache ich, bewege mich aber nicht vom Fleck.
 

“Hab ich dir sehr wehgetan?” Deine Stimme ist leise und ich muss mich bemühen sie überhaupt zu verstehen. Beinahe hört es sich so an, als hättest du dein Gesicht in die Decke oder das Kissen vergraben.
 

“Nein, schon okay.” Aber das ist gelogen. Du hast mir wehgetan, aber es bestätigt mich endich: die Liebe besteht aus Schmerz, du hast es mir wieder bewiesen, aber dieser Schmerz ist schön, er gibt mir Sicherheit. Du gibst mir Sicherheit. Ich kuschle mich näher an dich. “Es ist gut so.”
 

“Dass es wehtut?”, hakst du unsicher nach, aber du klingst nicht entsetzt oder verständnislos. Vielmehr höre ich etwas wie... Hoffnung mit heraus.

Ich zwinge mich zu einem Nicken. Vielleicht ist es besser ehrlich zu sein. Vielleicht verstehst du es. Vielleicht... diese elenden Unsicherheiten rauben mir noch den letzten Nerv. Im Alltag, in unserer Beziehung, anderen Menschen gegenüber. Sie verschwinden nur, wenn du mir deine Macht demonstrierst. Aber dir das zu sagen macht mich noch unsicherer.
 

Du verstehst auch so. “Warum hast du das nie gesagt?” Du hörst dich traurig an, enttäuscht. Enttäuscht davon, dass ich dir gegenüber nicht ehrlich war, aber wann bin ich das jemals gewesen? Bisher bin ich niemandem gegenüber ehrlicher gewesen als dir und darüber solltest du schon glücklich sein... ach, was denke ich hier überhaupt!? Mein Kopf ist noch immer vom Alkohol benebelt, wird es wohl auch noch einige Zeit bleiben, bis die Kopfschmerzen und die Übelkeit einsetzen. Der nächste Morgen wird sicher kein Spaß.
 

Als ich dir keine Antwort gebe, fährst du fort. “Ich weiß es ist schrecklich und du kannst mich meinetwegen auch sofort als unheilbar psychisch krank erklären, aber diese Nacht letztens, als ich... als ich mich dir so aufgedrängt habe... auf der einen Seite habe ich seitdem ein wenig Angst vor mir selbst, aber ich habe immer wieder davon geträumt und es war kein schlechter Traum...”
 

“Mir ging es nicht anders.”, gebe ich wahrheitsgemäß zu. Das alles ist so unglaublich absurd. “Wird es jetzt immer so sein?”
 

Du sagst einige Minuten garnichts und ich fürchte schon du hast mich überhört. Oder wolltest mich überhören. Vielleicht wird dir plötzlich das Abstoßende in dieser Unterhaltung, in unseren ganzen Gefühlen klar und du überlegst wie du alles wieder so biegen kannst, wie es früher einmal war. Oder du suchst die richtigen Worte um mir zu sagen, dass du mich nicht mehr willst. Nicht einen Mann, der solch abstoßende, unbegreifliche Vorlieben hat. Es erschreckt mich doch selbst; bitte, verurteile mich deswegen nicht! Eigentlich sollte ich dich besser kennen, deine Reaktion vorausahnen können. Aber du bist mir jetzt fremd und ich selbst bin mir noch viel fremder, dass ich es einfach nicht wissen kann.
 

Du ziehst mich enger an dich, küsst meinen Nacken und vergräbst dein Gesicht in meinen Haaren. “Versprich mir, dass du sagst, wenn es dir zu viel wird oder du deine Meinung änderst, in Ordnung?”

Nur ein erleichtertes Nicken bringe ich zustande. Du hast keine Ahnung welch ein großer Stein mir gerade vom Herzen gefallen ist. Erst jetzt spüre ich, wie sehr mein ganzer Körper angespannt war, als ich auf deine Antwort wartete. Mir ist kalt und nur dein starker Körper gibt mir Wärme, sodass ich nicht zittere. Lass mich nie wieder los! Nie wieder...
 


 

Der nächste Tag bietet ein grausames Erwachen. Das Aufstehen erweist sich fast als ein Ding der Unmöglichkeit, so sehr schmerzt mein Hintern, aber wenigstens ist es ein spürbarer Beweis unserer neuen Beziehung. Denn sie ist neu, in jeder Hinsicht. Schnell bemerke ich, dass du aufgehört hast mich mit Samthandschuhen anzufassen, deine Berührungen sind bestimmt, du zeigst mir ganz genau was du willst. Selbst deine Küsse sind zwar noch immer sanft, doch du lässt mich mit ihnen deine Dominanz spüren.

Doch ich bin ebenso nervös. Zum einen habe ich mir genau das gewünscht und das Gefühl jederzeit deine Blicke so auf mir zu spüren gibt mir unendliche Sicherheit, andererseits muss ich diesen neuen Die in dir erst noch kennenlernen. Ich muss sehen wo deine Grenzen liegen, und wo meine. Gleichzeitig müssen wir aufpassen, dass keiner etwas hiervon bemerkt. Keiner. Was würden sie von uns denken?
 

Am Nachmittag treffen sich alle in der Halle. Shinya und Toshiya haben die Chance genutzt und bei ihren Familien genächtigt, Kaoru hat das Hotel schon vor uns verlassen. Nun sitzen wir alle an einem großen Tisch aufgereiht, während unser Leader und der Manager lang und breit die Planung für die folgenden Tage und Wochen ausbreiten. Du sitzt neben mir und ich muss mich unheimlich konzentrieren, um den Worten der beiden 'Referenten' zu folgen, denn deine Hand, die zuvor nur zärtlich mein Bein streichelte, liegt jetzt fest zwischen meinen Beinen, bewegt sich nicht. Du lässt dir nichts anmerken. So sehr mir diese Situation auch unangenehm ist, wage ich es nicht deine Hand beiseite zu scheuchen. Immer mal wieder, wenn der Redeschwall wieder besonders interessant wird, drückst du fest zu und jedes mal erwischt es mich eiskalt, sodass ich einige Male ein Stöhnen kaum unterdrücken kann. Ich spüre, wie mein Gesicht knallrot anläuft, doch noch scheint niemand etwas zu bemerken. Toshiya ist kurz vorm einnicken, und Shinya ist schon die ganze Zeit unheimlich begeistert von seinen Fingernägeln, während der Monolog des Managers wohl wieder mal nur von Kaoru gehört wird, der aber sowieso schon über alles genaustens Bescheid weiß.
 

Den Blick starr geradeaus gerichtet, bemerke ich aus dem Augenwinkel heraus, wie du dich näher zu mir lehnst, deinen Kopf dann auf meine Schulter legst, als wolltest du ein Nickerchen machen. Keiner würde es dir verübeln. Dein Atem streift meine Wange, deine Stimme ist kaum mehr als ein Hauch. “Ich könnte dich jetzt hier... vor allen anderen... einfach so dazu bringen, meinen Namen zu schreien... Kyo...” Bei diesen Worten, streichelt deine Hand wieder über meine wachsende Erregung und ich muss mir fest auf die Zunge beißen, um still zu bleiben. Mittlerweile macht mein Gesicht sicherlich deinen Haaren Konkurrenz. Doch zum Glück scheinst du zu merken, dass du mich beinahe um den Verstand bringst und hörst abrupt auf.
 

Kaum eine Minute später ist auch das Meeting vorbei und der Soundcheck soll beginnen. Alle machen sich mehr oder minder motiviert auf den Weg zum Bühneneingang, nur ich bleibe gezwungenermaßen sitzen. Ganz ohne Auswirkungen sind deine Berührungen nicht geblieben und ich möchte im Moment keine unangenehmen Fragen beantworten müssen.
 

“Kyo?”, fragt Kaoru ungeduldig, als er an der Tür mein Fehlen bemerkt. “Kommst du?”

Einen Augenblick brauche ich, um meine Gedanken zu fokussieren. “Ja, klar, ich muss nur nochmal grad auf Toilette...” Gut gemacht, Kyo-kun!, lobe ich mich selbst und atme tief durch.
 

“Na dann, worauf wartest du!?” Mit einer ungeduldigen, herrischen Bewegung forderst du mich auf mich zu beeilen und verschwindest dann zu meiner Erleichterung. Nach einem prüfenden Blick Richtung Tür mache ich mich auf den Weg zu den Herren-Toiletten. Zu meinem Glück ist auch dort keiner, alles wie ausgestorben.

Was machst du nur mit mir?
 

Meine Gedanken drehen sich wieder, aber diesmal in einer Ordnung. Du hältst sie in dieser Ordnung und deshalb kann ich dir erlauben zu tun, was du gerade getan hast. Normalerweise sollte mein Stolz es mir verbieten, so etwas zuzulassen, aber solange keiner außer uns beiden davon erfährt... ist es doch okay, oder?

Ich versuche langsam und tief durchzuatmen, spritze mit etwas Wasser ins Gesicht und bleibe noch einige Minuten so stehen. Der Mann, den ich im Spiegel sehe, ist mir auf einmal so fremd. Bin das wirklich ich? Und wenn es so ist, ist dann diese Person in meinem Körper, wirklich ich? Seit wann bin ich so auf dich fixiert? Seit wann gebe ich Schwäche so offen zu? Seit wann liebe ich dich so sehr?

Es macht mir Angst.
 


 

When I cried over the fact that

I was getting closer to him [them]

Which I didn't want to become

Something dropped inside without a sound

Love which I did not wanted to know

Because if I did not know love

There will be no pain either.
 

[aus einem von Kyo's poem-books ^.^]

Nur noch wenige Stunden. Nur noch wenige Stunden und wir haben wenigstens zwei freie Tage. Was wird wohl in diesen Tagen passieren? Werden wir sie gemeinsam verbringen? Die Stimmung ist locker, nicht so angespannt wie vor den anderen Konzerten. Alle feiern insgeheim schon den Erfolg und den reibungslosen Verlauf dieser Tour und sehen diesen Abend lediglich als einen entspannten ausklang. Weniger Arbeit als vielmehr eine riesige Party.
 

“Toshimasa!!” Ein ohrenbetäubender Schrei lässt für einen Augenblick alle innehalten. Als klar ist, dass keiner zu Tode gekommen ist, gehen alle schnell wieder an ihre 'Arbeit'. Der Aufschrei kam von Shinya, der gerade versucht sich etwas aufzuwärmen, was ihm Toshiya schier unmöglich zu machen scheint: unser Bassist hockt neben dem jungen Drummer und bläst ihm immer wieder Rauch seiner Zigarette ins Gesicht, was ihm unheimlich Spaß zu bereiten scheint, denn er grinst übers ganze Gesicht. Wie sagt man so schön: was sich neckt, das liebt sich. Von Totos Seite trifft das mit Sicherheit zu.
 

“Könntest du endlich mal aufhören!?” Shinya ist wütend und funkelt den anderen nun gefährlich an.

“Nö.” Gibt Totchi freudig zurück und unterstreicht seine Worte, in dem er dem Braunhaarigen gleich nochmal Rauch ins Gesicht bläst, welcher sich daraufhin hustend abwendet.
 

“He, Shinya!” Kazuya, einer der Sound-Spezialisten, kommt breit grinsend herbei und schaut vom einen zum anderen. “Wusstest du, dass wenn dir jemand Rauch ins Gesicht pustet, das heißt, dass er mit dir schlafen will?” Er wendet sich lachend ab und lässt einen verwirrt dreinblickenden Drummer zurück. Man könnte fast Mitleid mit ihm haben, wie er da so mit hängenden Schultern sitzt und nicht weiß, was er sagen soll. Toshiya schaut erst verdutzt, kratzt sich dann nachdenklich am Kopf und muss wohl erst einmal verdauen, was er da gerade gehört hat. Offenbar war es ihm selbst nichtmal klar.
 

Immernoch erschöpft von der vorangegangenen Nacht, lasse ich meinen Kopf auf die Tischplatte fallen und schließe für einen Moment die Augen. Gerade kommt es mir fast unmöglich vor, in einer halben Stunde auf die Bühne zu müssen. Es sind weniger die Schmerzen, als dass ich mich vielmehr einfach geistig völlig ermattet fühle. Ich möchte mich fallen lassen und nicht mehr nachdenken müssen, will mich dir hingeben und niemals wieder in diese normale Alltagswelt zurückkehren. Natürlich weiß ich, dass diese Phase nur so lange anhalten wird, bis wir alle auf der Bühne stehen, die Musik einsetzt.
 

Als ich wieder aufsehe, sitzt du neben mir und beobachtest mich lächelnd, als wäre ich nicht von dieser Welt. Auch dein Kopf liegt auf dem Tisch und ich kann mir vorstellen, wie komisch wir gerade aussehen, doch wen interessiert das gerade. Einige Strähnen fallen dir ins Gesicht und ich kann mich nicht davon abhalten sie nach hinten zu streichen. Sie fühlen sich so wunderbar weich an.
 

Doch auf einmal wirst du ernst. “Du wirst dich heute nicht verletzen, Kyo, verstanden?” Deine Worte klingen so endgültig, dass ich eigentlich garnicht wiedersprechen will. Jetzt scheint es noch so leicht, die Vorstellung es heute nicht zu tun, nicht auf der Bühne und nicht danach, aber in dem Augenblick werde ich wieder keine Gewalt über mich haben und nicht an dich denken.
 

“Ich kann's dir nicht versprechen, Die.”, entgegne ich wahrheitsgemäß. Ich kann deinen Blick nicht ertragen, wenn du mich so ansiehst und schließe die Augen wieder.
 

“Das musst du auch nicht.” Fast schon bricht die Erleichterung in mir aus, als du weitersprichst: “Aber wenn du es tust, wird das Konsequenzen haben.”
 

Unsicher blinzle ich. “Was meinst du?” Willst du mich deswegen etwa verlassen? Das kann nicht dein Ernst sein, Die, nein...
 

“Das wirst du dann schon sehn.” Du stehst auf und gesellst dich zu Kao und einigen Leuten aus der Crew, würdigst mich keines Blickes mehr. Was hat das zu bedeuten? Kann ich das Risiko eingehen? Du würdest mich niemals verlassen, aber von welchen Konsequenzen sprichst du dann? Die Ungewissheit macht mich wahnsinnig, aber es noch viel schwerer keine Klinge mit auf die Bühne zu nehmen.
 

Während die ersten Töne von G.D.S. ertönen und ihr schon auf die Bühne geht, kämpfe ich noch mit mir selbst. Aber ich werde es schaffen, für dich. Das Kreischen der Fans ist ohrenbetäubend und als ich schließlich als letztes auf die Bühne komme, mich ans Mikrophon stelle, von rotem Licht eingehüllt, erpackt mich wieder das Fieber, wie bei jedem unserer Auftritte. Das ist es, was sich über all die Jahre nicht verändert hat: das Gefühl auf der Bühne zu stehen, der Rausch, die Extase. Das alles ist nicht mit Worten zu beschreiben.
 

Die ersten Songs vergehen wie in Trance, als wäre Zeit nicht mehr existent. Alles was zählt ist das hier und jetzt, die Musik, die Band. Shinyas Drums und Totos Bass lassen mit jedem Takt meinen ganzen Körper erbeben, ich spüre sie eher, als dass ich sie wirklich hören würde. Der Klang der Gitarren geht mir durch und durch und während dieser ganzen Eindrücke versuche ich irgendwie die richtigen Töne zu treffen und den Text nicht zu vergessen, der mir sonst immer ein Teil meiner selbst ist. Das Publikum sehe und höre ich bald nicht mehr. Wieder befinde ich mich in diesem Zustand zwischen Traum und Realität ohne zu wissen, wie lange ich es so noch aushalten werde. Ich will dich nicht enttäuschen, aber mit jeder Sekunde verliere ich mich selbst mehr, kann all diese Gefühle, die in mir toben und die ich doch nicht einzeln benennen kann, nicht mehr kontrollieren.

Was ist das überhaupt, Kontrolle? Wann haben wir überhaupt die Kontrolle über irgendetwas? Die Antwort lautet: nie.
 

Und so vergesse ich dein Versprechen, vergesse die Konsequenzen die mich erwarten und finde schließlich verzweifelt wie selten zuvor einen Weg meinen Gefühlen Ausdruck zu verleihen. Es ist nicht der einfachste Weg, ein natürliches Selbstschutzverhalten hindert einen mit aller Macht daran sich selbst zu schlgen, aber ich habe gelernt meine Instinkte zu übergehen, wenn es nötig wird. Der Geschmack von Blut in meinem Mund ist erleichternd, es ist wie ein Rausch, ich will nicht mehr, dass dieser Schmerz jemals aufhört.
 

Das Blut rinnt mir über das Gesicht, über die Brust, die erschrockenen Blicke in den ersten Reihen versuche ich zu ignorieren. Wenn sie hierher kommen, wissen sie genau was sie erwartet. Doch es ist noch lange nicht genug. Als ich wieder singen muss, finde ich einen anderen Weg, kratze wie wild über meine Brust, bis die Haut rot und geschwollen ist und höllisch brennt.
 

Diese Gefühle machen es mir letztlich möglich, das ganze Konzert durch ohne Pause alles zu geben. Am Ende beginnt mein Körper zu protestieren, mir bleibt die Luft weg, doch irgendwie bringe ich mich immer wieder dazu weiterzumachen. Die anderen sollen nicht merken, wie nah an die Grenze ich mich selbst getrieben habe. Sie sollen diesen Abend genießen und auf gewisse Weise tue ich es auch.
 

Als schließlich die letzten Töne von 'the IIID empire' verklingen und die Halle fast zu explodieren scheint, kann ich mich nicht mehr auf den Beinen halten. Auf dem Rücken bleibe ich mitten auf der Bühne liegen, sehe nach oben und kann für kurze Zeit an nichts mehr denken. Du verschwindest ohne mich noch eines Blickes zu würdigen, auch die anderen gehen langsam und erschöpft von der Bühne, heute Abend haben wir alle alles gegeben. Die Schreie aus der Menge werden nicht leiser, sie werden so lange nicht verstummen bis auch ich mich endlich aufraffe und von der Bühne gehe, aber das kann ich nicht. Wenn das alles nun für immer andauern würde, ich auf ewig hier liegen bleiben könnte, wäre ich glücklich.
 

Doch irgendwann zieht Toshiya mich auf und hinter sich her. Auch er kann sich wohl nur schwer vom Publikum trennen in dieser Nacht und so gehen wir beide nebeneinander, wortlos und völlig erschlagen von diesem Konzert. Am liebsten würde ich mich sofort in eine Ecke verziehn und erstmal einige Tage durchschlafen. Aber die anderen wollen so schnell wie mögliche mit dem Bus zurück nach Tokyo und dem werde ich mich beugen.
 


 

In den frühen Morgenstunden erreichen wir Tokyo. Nacheinander werden alle zu Hause abgesetzt, du bist der erste. Die ganze Zeit über habe ich auf ein Wort oder einen Blick von dir gehofft, der mir zeigen würde, worauf ich mich gefasst machen muss. Aber du hast dich verhalten wir immer, hast die ganze Fahrt über an mich gekuschelt geschlafen und jetzt bist du fort und mir stehen einige schlaflose Stunden bevor. Ist das die Konsequenz vond er du gesprochen hast? Vielmehr Rache, denn jetzt tust du das mit mir, was ich fast die ganze Tour über gemacht habe: einen radikalen Liebesentzug. Oder bilde ich mir das nur ein?
 

Daheim angekommen, versuche ich wider besseren Wissens ein wenig zu schlafen, was jedoch kläglich scheitert. Du beherrschst meine Gedanken, wahrscheinlich ist es das was du willst, was du mit deinem Verhalten bezweckst. Trotzdem reiße ich mich zusammen, gehe am späten Vormittag ausgiebig bei McDonald's frühstücken, was mir von Seiten Shinyas wohl einen kräftigen Seitenhieb eingehandelt hätte, und danach einkaufen, da mein Kühlschrank nicht mehr viel hergibt. Das meiste wird wohl sowieso in einigen Tagen oder Wochen abgelaufen im Müll landen, aber man muss doch wenigstens den Eindruck eines geregelten Lebens erwecken.
 

Am Nachmittag sitze ich auf der Couch, zusammegerollt unter einen dicken Wolldecke, zappe durch das Fernsehprogramm, das an diesem Tag leider nicht viel hergibt. Dunkle Wolken verdecken die Sonne, aber es schneit wenigstens nicht und langsam wird es wohl auch wieder wärmer. Bald wird der Schnee wegtaun, die Wiesen werden wieder grün und die Kirschbäume blühen. Wenn es eine Jahrezeit gibt, die ich wirklich mag, ist es definitiv der Frühlung. Irgendwann will ich zum alljährlichen Kirschblütenfest mal wieder nach Kyoto, am liebsten mit dir. Ein langes Wochenende nur für uns beide, ohne Alltag, ohne Arbeit, ohne die anderen.

Als ich mich gerade in Erinnerungen an dieses Fest der Feste verliere, klingelt es an der Tür. Beinahe hätte ich es überhört und wäre am liebsten auch garnicht aufgestanden, aber letztlich raffe ich mich auf, schleppe mich totmüde durch den Flur und als ich endlich die Tür öffne, kann man den Stein, der mir vom Herzen fällt sicher im ganzen Viertel hören.
 

“Die...” Du grinst mich an und ziehst mich sanft in deine Arme. Den Kopf an deine Brust gebettet, kann ich laut und deutlichen deinen kräftigen Herzschlag hören. Dieses Geräusch ist Musik in meinen Ohren. Was kann es schöneres geben?

[Dieses Kapitel ist nur Volljährigen zugänglich]

[Dieses Kapitel ist nur Volljährigen zugänglich]

Die ersten Sonnenstrahlen, die durch die Scheiben fallen, wecken mich sanft. Selbst nach so wenig Schlaf wie letzte Nacht, fühle ich mich wohl und ausgeruht. Zumindest solang ich nicht daran denke, dass ich irgendwann aus unserer kleinen Traumwelt ausbrechen werden muss, dass wir wieder die Musiker sein müssen, die wir nun einmal sind. Aber der heutige Tag wird uns gehören, uns allein.
 

Dein schlafendes Gesicht ist entspannt und sanft, beinahe wie Porzellan und ebenso zerbrechlich. Es sollte auf ewig bewahrt werden, doch nichts ist ewig. Du wirst altern, ich werde altern, am Ende werden wir alle sterben. Aber wie lange werden wir diesen Weg gemeinsam gehen? Werden wir gemeinsam sterben? Oder wirst du mich lange vorher schon verlassen haben? Der Gedanke eines Tages einsam zu sterben ist furchteinfößend, aber allgegenwärtig. So viel Trost der Tod selbst für mich auch in sich hält, ist diese Vorstellung ein einziger Albtraum. Wie kann ich verhindern, dass er wahr wird? Kann das überhaupt irgendjemand?
 

Noch ist das alles weit entfernt, die Vorstellung, dass du eines Tages vielleicht nicht mehr da sein wirst, ist absurd, nach den letzten Ereignissen. Unsere Beziehung scheint gefestigter denn je, du hast mir beigebracht zu lieben, welch größeren Beweis deiner Zuneigung könnte es geben? Aber wen liebst du? Die Maske, die ich Tag ein Tag aus noch immer versuche allen glaubhaft darzustellen, oder mein wahres Ich, diese innerlich zerrissene Person, von unendlichen Ängsten geplagt, mit ihren zahllosen Schwächen? Kennst du nur meine Maske, wirst du dich in dem Moment abwenden, da du das darunterliegende Ich kennenlernst. Die Antwort ist, dass du nur die Maske kennen kannst. Aber ist diese Maske nicht mittlerweile zu meinem wirklichen Ich geworden, hat meine Persönlichkeit verändert, meine Gedanken, meine Gefühle? Weil ich selbst dieses andere Ich nicht mehr zu ertragen bereit bin...
 

Schon wieder bin ich so sehr in diese wirren Gedankenwelten versunken, dass ich meine Umgebung nicht mehr wirklich wahrneme. Als ich aufsehe, schläfst du jedoch noch immer seelenruhig. Es ist noch früh, du wirst noch lange nicht aufstehen. Aber auch ich bin nicht gewillt aus der tröstenden Wärme des Bettes aufzustehen, das deinen Geruch so verlockend verströmt, unseren Geruch, alles was uns ausmacht. Erinnerungen an letzte Nacht... Ich selbst, oder doch nur wieder meine Maske?
 

Dieselben Gedanken kommen immer und immer wieder. Um sie loszuwerden, bleiben mir wie so oft zwei Möglichkeiten, ich entscheide mich für die, die mich bei dir bleiben lässt. Nach kurzem Suchen, finde ich das kleine Notizbuch auf meinem Nachtschränkchen, einen alten Kugelschreiber, beginne zu schreiben.
 


 

Smiling and feeling that it is tough not to have a place where I belong

What should I do if I get tired of myself living with a smile?

Like the people rotten and lying around, am I going to rot?

I don't know

I surely can't help

[...]

Won't go away

Won't fade away

I can't help smiling after one minute, the face turns blue and the heart beating so hard, the word death in my mind shouting 1000 times, it's already a ten seconds left until after one minute

In that way, I keep on betrayed every day and smiling foolishly

Foolishly I am a “DARUMA” doll with a air hole in my breast

It is a matter of sex and death but after they get bored with me it's a show tent

Spat on and got tired of looking, there will be no body peek-a-boo

I can't smile
 


 

Erschöpft schließe ich die Augen, lasse den Kopf zurück an die Wand sinken. Warum schreibe ich das überhaupt? Es ist nichtmal als Songtext gut, es ist für nichts gut, für garnichts und meine Gedanken habe ich dadurch auch nicht losbekommen. Sie schwirren immer weiter, schreien immer lauter. Doch nur ich kann sie hören, du schläfst weiter, hört nichts, siehst nichts. Lächelst. Würdest du diese gerade geschriebenen Worte lesen, könntest du sie verstehen? Wirklich verstehen, so wie ich sie verstehe? So wie ich sie meine?

Du könntest es nicht. Niemand kann es. Und niemand soll es. Ist das am Ende nicht mein einziger Trost, dass mir in meine eigene kleine Welt niemand folgen kann?
 

Seufzend stehe ich auf. Es hat doch keinen Sinn. Um mich von verstörenden und gefährlichen Gedanken abzulenken, die ohnehin nur schlimm enden würden, entschließe ich mich zu einem frühmorgendlichen Spaziergang durch den nahegelegenen Park. Um mein Äußeres mache ich mir gerade wenig Sorgen, zwar sind meine Haare sicherlich völlig zerzaust und die ausgewaschene Jeans und das graue, dicke Sweatshirt sind auch nicht besonders vorteilhaft, aber wer is schon um diese Zeit draußen. Schlüssel und Handy in der Tasche, den mp3-Player voll aufgedreht, und schon geht es los.
 

Im ersten Moment überrascht mich die Kälte, aber bereits nach wenigen Minuten habe ich mich daran gewöhnt, genieße die frische Luft. Am Horizont ziehen dunkle Wolken herauf, aber es wird noch lange dauern, bis sie diesen Teil Tokyos erreichen. Jedoch ist es ein wundervoller Anblick, zeigt er doch wieder einmal wie schnell sich alles verändert. Die Welt verändert sich, jederzeit, unaufhaltsam, in einer Geschwindigkeit, dass ich manchmal Angst habe hinterher zu hinken. Doch das ist nur Gewöhnungssache. Wir alle kennen es von klein auf nicht anders, gehen Schritt für Schritt mit der Welt, sind zufrieden, wollen das alles überhaupt nicht ändern. Also verändern sich die Menschen im gleichen Tempo wie die Welt um sie herum? Wenn sich die Menschen verändern, verändern sich auch ihre Gefühle. Das habe ich selbst am eigenen Leib erfahren. Wie meine Gefühle von Angst und Unsicherheit dir gegenüber zu tiefer Liebe geworden sind. Aber wenn sich die Gefühle auf diese Art verändern können, kann das gleiche auch andersherum passieren. Und plötzlich liebst du mich nicht mehr. Dann bist du es, der Angst und Unsicherheit empfinden wird.
 

Wieder werde ich es sein der am Ende diese unvorhersehbaren, ungreifbaren Schmerzen erleiden wird. Du wirst sagen, dass es dir leid tut, dass wir weiter Freunde sein werden. Dass ich dir weiterhin sehr viel bedeute. Dann wirst du weg sein. Nicht körperlich zwar, aber was macht das für einen Unterschied? Die Welt wird sich weiter drehen, alle werden mithalten, nur ich werde nicht vor diesen Schmerzen fliehen können.

“Nein...” Vielleicht habe ich all die Jahre gut daran getan, die Liebe garnicht erst kennenlernen zu wollen.

Aber was denke ich hier überhaupt? Du liebst mich, beweist es mir ein ums andere mal, jeden Tag wieder. Wenn ich falle, fängst du mich auf, so selbstverständlich wie auch ich dich auffangen werde, wie schon damals... Eigentlich kann ich mir garnicht vorstellen, dass es jemals anders sein soll, aber gerade deshalb wächst diese Angst vor dem Augenblick, da sie passieren wird, diese Veränderung. Würde diese Angst verschwinden, verschwände auch die Vorsicht. Verschände die Vorsicht, würde die Maske fallen. Die Angst ist mein Lebenselixier, noch mehr fast als der Schmerz.
 

Besteht nicht das ganze Leben eigentlich nur aus Angst und Schmerz?
 

Die Gitarre irgendeiner Indie-Band heult laut auf, durchdringt meinen Körper, meine Gedanken. Vor ein paar Wochen hat Kao mir einige Indie-Alben gegeben, und widererwarten ist manches von dem Zeug wirklich gut. Irgendwann haben wir genauso angefangen. Es läuft doch immer wieder gleich: Man findet sich zusammen, freundet sich an, die kleinen Traumschlösser die jeder einzelne sich aufbaut, vereinen sich zu einem riesigen. Wenn dann der Tag gekommen ist, da der Aufstieg beginnt, sich Teil für Teil dieses Schlosses wahrhaftig vor einem aufzubauen beginnt, denkt man, alles erreicht zu haben. Wenn man hoch steigt, fällt man umso tiefer. Auch das ist immer gleich, man kann dieses Prinzip überall wiedererkennen. Allein das Leben ist das beste Beispielt dafür. In der Liebe ist es letztlich nicht anders. Nichts hält ewig.
 

Die Musik ist so laut, dass mein Schädel davon dröhnt, aber ich kann sie auch nicht leise machen. Mein Körper fühlt sich leer an, gefühllos. Selbst die Angst verschwindet unter den harten Gitarrenriffs und den durchdringenden Drumschlägen.
 

Die Angst verschwindet und die Vorsicht schwindet und die Maske fällt... Und so verzweifelt ich nach ihr suche um sie wieder aufzusetzen, scheitere ich jedesmal wieder, als ich den Arm danach ausstrecke. Gott sei Dank, bin ich hier draußen, in dieser Einsamkeit. Keiner sieht mich ohne die Maske. Keiner wird es jemals tun. Der Griff nach ihr wird immer verzweifelter, lässt Blut fließen, wird schmerzhaft...
 

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Ich hoffe mal es ist halbwegs verständlich was am Ende passiert.

Das Gedicht (wenn man es als solches bezeichnen kann) stammt wieder aus einem von Kyos Poembooks und ich fand es total schön ^.^ In der Mitte musste ich leider ein paar Zeilen streichen, weil es sonst nicht in die FF gepasst hätte: [I wonder where does it come from, the idea writing and performing by oneself To tell the truth it is miserable, huh?]

Als ich vor dem Haus stehe, kann ich mich nicht mehr überwinden einen Schritt weiter zu gehen. Ich zittere immernoch, doch diesmal liegt es nur an der Kälte, die mir mittlerweile bis indie Knochen gekrochen ist. Trotz der Verlockung der Wärme im Innernmeiner Wohnung bleibe ich bewegungslos. Deine Nähe verspricht wieder Sicherheit, dieselbe Sicherheit, die du mich letzte Nacht hast spüren lassen, gleichzeitig kehrt mit dem Gedanken an dich auch die Unsicherheit unserer Zukunft zurück. Ich sollte in der Gegenwart leben... doch die Angst, nun da ich mich zu dieser Beziehung durchgerungen habe, wieder in meinem Innersten verletzt zu werden, ist zu groß. Doch es hilft alles nichts...
 

Beim Öffnen der Tür merke ich sofort, dass du immernoch schläfst. Es ist nicht so viel Zeit vergangen, wie ich dachte. Auf dem AB hat Kao eine Nachricht hinterlassen, er wolle nur mal hören, ob bei mir alles in Ordnung ist, er habe sich Sorgen gemacht. In Ordnung... Sorgen... Typisch Kaoru, macht sich immer Sorgen, sogar um mich, der es garnicht wert ist, und vergisst darüber manchmal sogar sich selbst.
 

Ein Lächeln kann ich bei seiner Nachricht nicht unterdrücken, so sehr es meiner gegenwärtigen Stimmung auch wiederspricht. Aber es hilft alles nichts. Nichts ändert sich dadurch, ich fühle mich einsam, auch wenn ich nicht alleine bin. Nur einige Schritte trennen uns, doch ich kann mich nicht dazu bringen, dich zu wecken. Welches Recht habe ich?
 

Alles in mir schreit nach Schmerz, nach Blut, doch mein Verstand ist noch zu stark. Noch behält mein Wille die Oberhand, ich möchte dich nicht schon wieder enttäuschen. Wider aller Vernunft rude ich Kaoru an, früher hat sein Rat oft Wunder bewirkt, vielleicht kann er es immernoch.
 

“Moshi moshi, Niikura Kaoru desu...” Im Hintergrund blubbert eine Kaffeemaschine, wahrscheinlich arbeitet er sich schon wieder seit Stunden duch einen Haufen von Papierkram.

“Hi, Kao.” Ich komme mir vor wie ein Kind und als würde ich mit einem Fremden sprechen.

“Oh, Kyo!” Irgendwas klappert laut und er glucht leise. “Sorry, die Küche hat mich grad wieder zum Staatsfeind Nr.1 erklärt...”

“Soll ich dir als strahlender Retter in der Not zur Hilfe eilen?” Ihm gegenüber baut sich meine Maske wieder vonselbst auf. Obwohl ich es will, kann ich ihm nicht zeigen, wie es mir wirklich geht.

“Du könntest mit mir Frühstücken gehn, das wäre schon sehr hilfreich!”, lacht der Leader fröchlich. Wir verabreden uns in einem Café. Du schläfst noch, es ist noch nichtmal neun. Ich hinterlasse dir nur eine kurze Nachricht, die Zweitschlüssel auf dem Küchentisch.
 

Als ich eine halbe Stunde später mit Kaoru vor einer Latte Macchiato, er vor seinem Croissant, sitze, habe ich das Gefühl Jahre zurückversetzt zu werden. Früher haben wir oft so zusammen gefrühstückt, viel geredet und es manchmal sogar geschafft dabei zu arbeiten. Heute denke ich manchmal, dass wir alle eigentlich nur noch für uns leben, lediglich zusammen kommen, wenn es unumgänglich ist. Ein gruseliger Gedanke. Sind wir überhaupt noch mehr als Arbeitskollegen, noch Freunde? Ohne große Warnung, ohne Lärm und Krach, scheint meine kleine Familie langsam auseinander zu fallen.
 

“Was ist los, Kyo?” Er sieht mich aus diesen unergründlichen, ernsten Augen an, und dieser Blick ist es, der für einen Moment meine Maske weichen lässt.

Nur unter großer Anstrengung kann ich die Tränen zurückhalten. “Ich weiß es nicht... Ich habe Angst.” Ich sehe aus dem Fenster, es ist dunkel, jeden Moment wird es anfangen zu regnen. Ich liebe diese Stimmung, sie macht es einfacher zu reden.
 

“Wovor?” Nur deises eine Wort, ohne Wertung, wie immer lässt Kao erst alles auf sich wirken, bevor er sich eine Meinung bildet, über etwas urteilt.

“Verletzt zu werden...”, gebe ich leise zu, doch diese Antwort ist viel zu simpel, es steckt viel mehr dahinter. Aber es fiel mir nie leicht zu reden, es fehlen immer die richtigen Worte.

Kaoru nickt. “Wegen Die, oder?”

Ich zucke die Achsln. “Vielleicht. Mir geht's einfach nicht gut... Ich fühle mich, als würde das Leben an mir vorbeiziehn, ich bin nur ein Beobachter, kann nichts tun.” Die Worte verlassen meine Lippen und ihr Sinn erschließt sich erst dann. “Und ich versuche irgendwie zurück in die Realität zu finden.”
 

Wieder überlegt er, wartet ob ich noch etwas hinzufüge. Sein Croissant liegt unangetastet auf dem weißen Teller. Wenn jemand Kaorus Hilfe braucht, widmet er sich dem völlig, vergisst darüber selbst seine eigenen Bedürfnisse. “Und um zurückzufinden, verletzt zu dich.”, stellt er nüchern fest, in Gedanken ist er bereits bei eine Lösung des Problems. Aber vielleicht erwarte ich garkeine Lösung, brauche nur jemanden, der meine wirren Gedanken völlig neutral aufnimmt.
 

Ich nicke. Es schnürt mir die Kehle zu. Seine Hand streicht sanft über meine und es bricht einen Damm in mir, der bisher alle Tränen zurückhielt. Besser diese Tränen, als rote Tränen zu weinen, doch trotz dieses Wissens schäme ich mich. Ich bin Erwachsen, darf mir diese Schwäche nicht mehr leisten.
 

“Ich will ihn nicht enttäuschen. Ich habe Angst, ihn zu verlieren...”, schluchze ich leise, verabscheue mich selbst dafür, wie ich hier sitze. Schwach und bemitleidenswert, im Gegensatz zu dem starken Ich, das ich allen versuche zu zeigen. Ob sie es glauben oder nicht... bei jedem unserer Konzerte sehen sie ein ums andere mal, dass ich nicht stark bin, alles andere als das. Doch wenn sie wüssten, wie ich wirklich bin... würden sie mich weiterhin akzeptieren?
 

“Die liebt dich über alles, Kyo, und das weißt du.” Kaoru spricht sanft, eindringlich, wie zu einem Kind, aber genau das brauche ich jetzt. “Er würde dich für nichts auf der Welt allein lassen! Keiner von uns wird das. Du bist nicht allein.”

Ich schüttle den Kopf, stütze die Stirn in meine Hände. “Ich weiß, Kao... aber ich vergehe vor Angst, ich verlier die Kontrolle...” Es ist das erste mal, dass ich diesen Gedanken so klar formuliere, dieser Angst in mir einen Namen gebe.
 

Kaoru seufzt leise, scheint über etwas sehr genau nachzudenken. “Kyo, bitte verbesser mich, wenn ich falsch liege, aber... seit du mit Die zusammen bist, scheint alles nur noch schlimmer zu werden. Ich hab keine Ahnung was da zwischen euch eigentlich läuft... aber ihr habt euch beide verändert.” Verwirrt blicke ich ihn an. Vielleicht stelle ich mich nur blöd, ich will nicht glauben, was er da sagt, obwohl ich weiß, dass es wahr ist. “Du ziehst dich immer mehr zurück, redest kaum noch, bei Die ist es kaum anders.”, fügt er erklärend hinzu.

Ich senke den Blick. Was tun wir hier überhaupt, du und ich? Hätte das alles doch nur nie angefangen, wäre es doch nur wie früher.

Wir sitzen uns schweigend gegenüber. Wieder einer dieser Momente in denen ich am liebsten aufstehen und mich in einer Ecke verkriechen würde, aber Kaoru würde das nicht zulassen. Er stellt sich Problemen und löst sie und läuft nicht vor ihnen davon, wie ich es seit Jahren tue. Doch alles andere habe ich verlernt, ich kann nur weglaufen.
 

“Ihr scheint beide irgendein Problem zu haben.”, fährt er fort. “Aber wenn ihr nicht miteinander darüber redet, wird es sich nicht lösen. Ich kann dir da schwer helfen, Kyo.”
 

Ich schüttle den Kopf. “Nein, Kao, du bist bereits eine große Hilfe. Danke.” Er nickt nur, schenkt mir ein kurzes Lächeln, das mir jedoch mehr bedeutet, als alle Worte dieser Welt. Solange Kaoru uns noch nicht aufgegeben hat, ist doch alles in Ordnung... alles in Ordnung... Ich muss mit dir reden, aber was soll ich sagen? Was wirst du sagen? Werden wir uns am Ende nicht wieder nur anschweigen? All die Dinge die ungesagt bleiben, kommen mir so selbstverständlich vor, du kennst mich so gut, kennst meine Gefühle, was also sollte ich dir erzählen, was du nicht schon längst weißt?
 

Endlich kommt Kaoru zu seinem Frühstück, ich trinke meine mittlerweile kalte Latte Macchiato aus. Das Café füllt sich etwas; diejenigen, die schon am frühen Morgen shoppen waren kommen sich nun hier aufwärmen, suchen Schutz vor dem Regen. Nichts hierbeitet mir Schutz. Ich fühle mich den Blicken Fremder ausgeliefert, möchte nach Hause, mich in deine Arme flüchten, nicht reden, nicht denken. Nur deine Nähe spüren.
 

“Kao... ich geh nach Haus...” Lustlos schiebe ich das leere Glas über den Tisch vor mir herum. “Vielleicht red ich mit Die...” Jeder andere wäre wahrscheinlich wütend gewesen, einfach so stehen gelassen zu werden, doch Kaoru kennt mich, er weiß, dass ich es nicht böse meine. Es ist nicht meine Art mich überschwänglich zu verabschieden. Bei Begrüßungen läuft es meist nicht anders ab. Es ist ja nicht so, als würden wir uns nicht fast jeden Tag sehen. Wozu diese ganzen Rituale?
 

Auf dem Heimweg genieße ich den Regen auf meiner Haut, wünsche mir aber nichts sehnlicher als wieder in deinen Armen zu liegen. Ich will nicht über die “wenn”'s und “vielleicht”s nachdenken, versuche sie für einige Zeit zu vergessen, aber sie kehren immer wieder; alle meine Zweifel, meine Ängste. Waren sie früher schon da? Hast du sie erst zu Tage gebracht? Werden sie wieder verschwinden, wenn...
 

Zuhause sitzt du im Wohnzimmer auf dem Teppich. Verträumt siehst du hinaus aus dem großen Fenster, neben dir steht eine Tasse aus der heißer Dampf aufsteigt. Du hast geduscht, deine Haare sind noch nass, ihre Farbe erinnert mich in diesem Moment an frisches Blut. Einige Minuten stehe ich nur im Türrahmen, beobachte dich, wie du einige Akkorde aus meiner einzigen Gitarre spielst, Noten auf ein Papier kritzelst, immer wieder etwas durchstreichst. Obwohl in meinem Hinterkopf immernoch der Gedanke herrscht, dass du mich jeden Moment fallen lassen könntest, fühle ich mich nun zurück in deiner Gegenwart viel ruhiger und wohl.
 

Wortlos gehe ich zu dir, du lächelst mich an, streichst mir über die Wange, als ich mich hinter dich setze, den Kopf an deinen Rücen lege. Wie immer sprechen wir nicht, verstehen uns ohne Worte. Du fragst nicht weiter nach, weißt, dass ich diese Freiheit brauche, zu kommen und zu gehen, wann ich möchte. Was ein Wiederspruch, bedenkt man, wie ich es genieße im Bett von dir dominiert zu werden. Aber wir haben uns wohl noch nie sehr für Logik interessiert, wenn es um unsere Beziehung geht.
 

Lange sitzen wir so, du beginnst wieder zu spielen. Unter meinem Kopf spüre ich, wie sich deine Muskeln bewegen, verfolge deine Atmung, passe mich ihr an. Auch so sind wir eins, wie letzte Nacht, doch ich will dir noch näher sein, irgendwie. Eine seltsame Idee macht sich in mir breit, sie scheint lächerlich oder auch gruselig, je nach Standpunkt, aber sie lässt mich nicht mehr los. Was sagst du wohl dazu, wenn ich es laut auspreche? Wenn ich dich frage, dich darum bitte, es zu tun?
 

“Ich liebe dich, Daidai...”, murmle ich leise in den Stoff deines Shirts, doch du hörst es trotzdem.

Du drehst deinen Kopf, grinst mich an. “Ich weiß!” Deine Hände liegen entspannt auf der Gitarre, es ist ein so natürliches Bild, ein Bild, dass alltäglich geworden ist, aber selbst nach all den Jahren kann ich mich nicht daran satt sehen. Bei Shinya geht es mir nicht anders, wenn er selbst bei unseren Balladen so enthusiastisch auf seine Drums schlägt, seine Haare durch die Luft fliegen. Es ist fast magisch. Aber bei dir ist es noch etwas besser, du bist in allem ein klein wenig besser als alle anderen. Für mich.
 

Sanft aber bestimmt ziehst du mich in einen leidenschaftlichen Kuss, deine Hand liegt in meinem Nacken. Alle Sorgen und Ängste sind für den Moment vergessen, das Gespräch mich Kao hat nie wirklich stattgefunden, wir sind nicht Gitarrist und Sänger einer der erfolgreichsten japanischen Rock-Bands. Es spielt keine Rolle mehr, wer wir sind, was morgen ist, was gestern war. Du bist alles, was noch von Bedeutung ist.
 

Was für ein Irrsinn... was ein Irrsinn das alles ist... Einige Tränen finden wieder einmal ihren Weg über meine Wangen, wie so oft in den letzten Tagen und Wochen, ohne dass ich etwas dagegen tun kann. Viel lieber jedoch als darüber nachzudenken, verliere ich mich in diesem Kuss, gebe mich für dich auf, selbst wenn es nur für einige Minuten sein sollte.
 

Selbst als du den Kuss löst, halte ich meine Augen geschlossen. Diese so genannte Wirklichkeit hat schon lange ihren Reiz für mich verloren, für nichts gibt es mehr Sinn, das Leben fließt einfach weiter an mir vorbei. Nicht einmal die Hälfte meines Lebens ist vorbei und schon habe ich das dumme Gefühl keine Kraft mehr zu haben, um weiter zu machen.
 

Du legst die Gitarre zur Seite, drehst dich zu mir, ziehst mich näher zu dir. Es ist das erste Mal, dass ich wirklich das Gefühl habe, dass wir in einer intakten Beziehung leben. Wenn ich so darüber nachdenke, ist es meine erste feste Beziehung mit einem Mann – selbst zu einer Frau gab es erst eine längere in meinem Leben. Frauen interessieren mich schon seit Jahren nicht mehr, zumindest nicht wenn man über den Sex hinaus sieht. Überhaupt war ich noch nie ein Beziehungsmensch, habe mich nie gerne gebunden. Nachdem ich den Menschen früher zu schnell vertraute, und dieses Vertrauen jedes einzige Mal missbraucht wurde, versuche ich mich von Vornherein garnicht mehr zu binden. Aber dich kenne ich schon zu lange. Würdest du es jetzt noch wagen, mich zu verraten? Ich kann es mi nicht vorstellen. Alles was ich weiß ist, dass dieser Verrat mich umbringen würde.
 

“Die...” Meine Stimme zittert, ist rauh.

“Ja?” Beruhigend streichelst du mich, hältst mich fest, als hättest du Angst ohne Stütze würde ich fallen.

“Würdest du mich schneiden?” Ohne mich umsehen zu müssen, kann ich mir deinen Blick in diesem Moment nur zu gut vorstellen. Geschockt, vielleicht etwas ängstlich, aber vor allem verwirrt. “Es soll eine Narbe sein, die mich immer an dich und uns un diese Zeit erinnert.”

Du schluckst trocken. “Ich will dir nicht wehtun, Kyo...”
 

Ein bitteres Lachen kann ich nicht zurückhalten. “Tut mir leid, aber um sich darüber Gedanken zu machen, ist es langsam zu spät.”

“Du weißt genau, was ich meine.” Nein, das tue ich nicht. Ich habe keine Ahnung, was gerade in deinem Kopf vorgeht; oder in meinem.

“Bitte, Daisuke...” Entschlossen umfasse ich deine Hand, drücke sie fest.
 

“Du weißt, dass ich alles für dich tun würde.”, seufzt du, küsst sanft meinen Schopf. “Sogar das.” Nun schweigen wir, hängen beide unseren Gedanken nach. Der Regen scheint nicht mehr aufhören zu wollen und so verliere ich völlig das Zeitgefühl. Die Zeit spielt auch keine Rolle mehr, nicht jetzt.
 

“Magst du was essen?”, fragst du plötzlich. Beinah wäre ich wieder eingeschlafen, nur in deinen Armen kann ich zu Zeit noch Ruhe finden.

Ich schüttle den Kopf, vergrabe mein Gesicht in deiner Brust. “Können wir nicht einfach für immer so sitzen bleiben?”
 

Du lachst, streichelt meinen Kopf. “Spätestens in ein oder zwei Tagen steht Kao hier auf der Matte und zerrt uns zu Probe.” Dann wirst du wieder ernst. “Du musst aber essen, Koi!”

Koi...koibito... noch nie hat mich jemand so genannt. Geliebter. Was ist Liebe?

[Dieses Kapitel ist nur Volljährigen zugänglich]

Schon seit einer halben Ewigkeit wehre ich mich dagegen aufzuwachen, die Augen zu öffnen. Fast genauso lange spüre ich deinen Blick auf mir, forschend. Was willst du wissen? Was suchst du? Sicher ist es etwas, das ich dir nicht einmal geben könnte, wenn ich wollte. Solang ich so tue, als würde ich noch schlafen, muss ich mir, Gott sei Dank, keine Gedanken darüber machen.
 

Heute kann ich nicht arbeiten. Ich will mir die Decke über den Kopf ziehen und weinen bis ich vor Erschöpfung wieder einschlafe, aber warum, weiß ich selbst nicht. Im Moment weiß ich garnichts, außer, dass ich allein sein will. All diese Gefühle machen mich verrückt, verwirren mich. Früher war alles einfacher, als ich nur mit meinen eigenen Gefühlen klar kommen musste, aber jetzt kommen deine auch noch hinzu und darüber muss ich mir auch Gedanken machen, um dich nicht noch ungewollt zu verletzen.
 

“Kyo, bist du wach?” Ich antworte nicht. Ich schlafe doch noch, schon vergessen?

“Kyo...” Gib's doch auf, ich schlafe. “Warum tust du dir immer weh?”

Ungewollt rolle ich mich bei deiner Frage noch etwas weiter ein. Na gut, vielleicht schlafe ich doch nicht mehr. Ich will nur noch unsichtbar sein. Geh, lass mich in Ruhe! Natürlich ist es unfair gerade jetzt so abweisend zu sein, auch nur solche Gedanken zu haben, deshalb versuche ich sie zu vergessen, drehe mich auf den Rücken, starre an die Decke.
 

“Stell bitte nicht solche Fragen.” Ich erschrecke selbst vor meiner Stimme, sie hört sich an, als wäre sie seit Wochen nicht mehr in Gebrauch gewesen.

“Wieso?”, gibst du zurück, siehst mich an, aber ich weigere mich standhaft deinen Blick zu erwidern, schaue weiterhin an die weiße Decke. “Es interessiert mich, also frage ich dich.”

Ein trockenes Lachen meinerseits, manchmal bist du unglaublich. “Du würdest es nicht verstehen.” Ich tu's ja selbst nicht, wie solltest du es können?
 

“Dann erklär's mir.”, forderst du nüchtern. Du raubst mir langsam den Verstand. Ohne ein weiteres Wort stehe ich auf, gehe so schnell es geht ohne zu rennen ins Bad, schließe hinter mir ab. Trotz allem zwischen uns, kann ich diese neugewonnene Gewohnheit nicht mehr ablegen. Sicher hast du das Geräusch des Schlosses gehört, beinahe bildlich kann ich mir deinen verletzten Blick vorstellen. Stur vertreibe ich dieses Bild von meinem geistigen Auge, steige unter die Dusche, mache das Wasser an. Es dauert nur wenige Minuten bis der ganze Raum in stickigen Dampf gehüllt und das Wasser so heiß ist, dass es fast die Haut verbrüht. Eigentlich hasse ich Hitze – und Feuer – aber gerade ist es mir egal. Was soll's.
 

Als ich eine halbe Stunde später in die Küche komme, hast du bereits Kaffee gekocht und sitzt rauchend am Tisch. Du schaust nichtmal auf, scheinst mich ignorieren zu wollen, aber ich weiß ohnehin, dass du das Thema früher oder später wieder aufgreifen wirst, deshalb sage ich nichts mehr. Stattdessen setze ich mich mit einer Tasse Kaffee ins Wohnzimmer, mache den Laptop an und erledige die täglichen Geschäfte. Wieder haufenweise sinnlose Mails, ein kurzer Blick zu myspace und schließlich sehe ich noch nach meinen Konten. Die letzte Gage für die vergangene Tour ist noch gestern vom Management überwiesen worden, wenigstens etwas das klappt. Du verabschiedest dich irgendwann im Laufe des Morgens, wenige Worte nur, du scheinst wirklich sauer auf mich zu sein. Erst als du weg bist, wird mir das richtig klar und es beunruhigt mich mehr, als ich eigentlich zugeben will.
 

Am späten Vormittag verlasse ich die Wohnung, trage nur das nötigste bei mir, die Mütze tief ins Gesicht gezogen, damit mich niemand erkennt. Mein Weg führt mich nach Shibuya, in die Takeshita Dori. Unter den ganzen bunten Vögeln hier falle ich nichtmal mit meinen blonden Haaren auf, die unter der schwarzen Wollmütze herausgucken. Einige Zeit sehe ich mir nur die Schaufenster an bevor ich mich für einen der vielen Szene-Läden entscheide und den kleinen, vollgestopften Shop betrete. Die Atmosphäre hier versetzt mich oft genug zurück in meine Jugend und auch wen der Visu-Style nicht mehr Teil meines Alltags ist, mache ich doch ab und zu noch 'Nostalgie-Käufe'. So auch heute, streife ich durch die engen Gänge, nehme immer mal wieder das ein oder andere Kleidungsstück von einem der Ständer.
 

Ich bin erst wenige Minuten hier, da ein anderer Kunde den bisher fast leeren Laden betritt. Vielleicht ist auch er einer dieser ewig jung gebliebenen, die krampfhaft an ihrer Jugend festhalten, wie auch ich es hier tue, denn er scheint kaum jünger als ich. Seine Haut ist blass, was andererseits aber auch nur an dem Kontrast liegen könnte, den seine schwarzen, schulterlangen Haare dazu bilden. Er ist ein bisschen kleiner als du und unter dem dicken, schwarzen Wollmantel scheint er sehr zierlich zu sein. Sein vollkommen ruhiges Auftreten fasziniert mich vom ersten Augenblick an.
 

Es sieht aus, als schwebe er, als er sich in Bewegung setzt, nachdem er sich am Eingang kurz umgesehen hat. Geräuschlos, fast wie eine Raubkatze und plötzlich steht er vor mir, sieht mich aus diesen dunklen, beinahe schwarzen Augen an. Einen Moment mustert er mich, lächelt dann. Sein Lächeln ist ein wenig traurig, alles andere als aufmunternd, aber gerade diese Melancholie, die von ihm ausgeht, macht ihn nur noch anziehender.

“Hi.” Seine Stimme passt perfekt zu seinem Äußeren, dunkel, tief.
 

So sehr bin ich von seinem Auftreten gebannt, dass ich fast vergesse zu antworten. “...hi...” Wieso spricht er mich an? Wir kennen uns doch nicht einmal. Warum sollte jemand wie er jemanden wie mich überhaupt beachten?

“Wollen wir etwas trinken gehn?” Hab ich mir diese Frage nur eingebildet? Nein, den er blickt mich erwartungsvoll an. Reiß dich zusammen, Kyo, du hast keinen Grund nervös zu sein und überhaupt, du bist vergeben!

Ich nicke. “Okay... wie heißt du überhaupt?” Mit jemanden was trinken gehen, dessen Name man nichtmal kennt, das sieht mir wieder ähnlich.
 

“Zero.” Schon dreht er sich um, sich offenbar darauf verlassend, dass ich ihm folge. Und genau das tue ich auch.

“Zero? Was ist denn das für ein Name?”, rutscht es mir heraus.

Er lacht leise, aber auch dieses Lachen hat eine gewisse Melancholie an sich. “Was ist Kyo für ein Name?” Er sieht mich kurz über die Schulter hinweg an, zwinkert mir zu, dann stehen wir wieder auf der überfüllten, lauten Straße.
 

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Alle Infos über Shibuya stammen nur aus nem Online-Reiseführer, ich übernehm für die Richtigkeit also keine Haftung XD

Er kennt mich also. Ein weiterer Fan, der am Ende nur auf ein Autogramm und ein Foto spekuliert und danach fröhlich wieder verschwindet? Aber er ist anders. Zero gehört eigentlich garnicht hierher, schien auch nie in diesem Viertel gewesen zu sein um einzukaufen. Irgendwie bin ich mir nichtmal mehr sicher, ob er überhaupt von dieser Welt ist, wie er sich so mühelos vor mir seinen Weg durch die Menschenmassen bahnt, die Touristen und Gothic Lolitas, die ihre aufwendigsten Kleidchen zur Schau stellen, die Visual Kei-Anhänger und die ganz normalen Leute, die nun einmal das Pech haben am Rande dieses Viertels zu arbeiten.
 

Schließlich bleibt Zero an einem kleinen Café stehen, sieht mich wieder aus diesen unergründlichen Augen an, dann gehen wir hinein, setzen uns etwas abseits an ein Fenster, das zu einer Seitenstraße zeigt. Hier drinnen zieht er schließlich auch seinen Mantel aus, legt ihn auf die Fensterbank, die eigentlich nur ein kleiner Absatz am Boden unter dem Hohen Fenster ist. Als wir bestellt haben, sitzen wir uns schweigend gegenüber, aber es ist auf eine unheimliche Art ein angenehmes Schweigen. Ich finde Zeit ihn genauer zu betrachten, seine schmalen, aber muskulösen Schultern und Oberkörper, die in einen ebenso Pechschwarzen, dünnen Strickpullover gehüllt sind, seine wunderschön geschwungenen Lippen, das etwas kindliche Gesicht. Sicherlich könnte ich den ganzen Tag so verbringen.
 

Er wendet den Blick irgendwann ab, sieht gedankenverloren nach draußen. “Manchmal passieren schon komische Sachen, nicht wahr?”
 

Verwirrt folge ich seinem Blick, kann dort draußen aber nicht 'komisches' erkennen. Nur ein europäisches Pärchen mit Kamera und Stadtführer in der Hand, die aber schnell wieder verschwinden und einige Meter entfernt in einem gegenüberliegenden Hauseingang ein junges Mädchen, das wie wild etwas in ihr Handy eintippt an dem ein pinker Hello-Kitty-Anhäger baumelt. “Was meinst du?”
 

Zero sieht mich wieder an, lächelt. “Oh, nur so. Denkst du denn nicht, dass es so ist?”
 

Dieser Mann verwirrt mich, aber es ist keine negative Verwirrung. Trotz seines seltsamen Verhaltens, fühle ich mich wohl in seiner Gegenwart, sie ist völlig natürlich und es fühlt sich an, als kannten wir uns schon seit Jahren.
 

“Aber wäre es nicht langweilig, wenn keine 'komischen Sachen' passieren?” , stelle ich die Gegenfrage.

Er nickt nachdenklich, nippt an dem heißen Tee, den die Bedienung bereits vor uns abgestellt hat, ohne dass ich es gemerkt habe. “Andererseits wäre es doch auch schön, wenn mal etwas langweilig wäre. Nicht aufregend. Ganz normal.”
 

“Was ist schon normal?” Ein Problem, das sich mir schon seit Jahren stellt. In meinem Leben versuche ich irgendwie immer ein Stück Normalität festzuhalten, was mir je mehr ich mich darum bemühe, immer weniger zu gelingen scheint. Besonders in den letzten Monaten.
 

“Das frage ich mich auch langsam...” Zero redet mehr mit sich selbst, als mit mir, aber das ist völlig in Ordnung. Wir haben Zeit, so scheint es mir in diesem Moment, Zeit genug uns kennenzulernen. Und kennenlernen möchte ich ihn, dieser Drang ist mit einem mal so verzehrend, dass ich dem kaum wiederstehen kann. Diese Situation ist die Krönung an Absurdität, aber seltsamerweise berührt mich diese Feststellung gerade kaum.
 

“Vielleicht ist es heutzutage egal wie oder wo man lebt. Normalität ist ein unerreichbarer Zustand.”, stelle ich fest. “Wir sollten uns damit abfinden.”

“Wenn wir uns mit allem einfach so abfinden, wie würde dann die Welt aussehen?”, widerspricht Zero. “Wir würden in einer Welt leben, die nur aus Tod und Leid besteht, das wäre dann unsere Normalität. Willst du das?”

Verwundert sehe ich ihn an, schüttle leicht ungläubig den Kopf. Mir scheint es plötzlich, als wäre dieser Mann mir gegenüber das perfekte Gegenstück zu mir. Ohne uns zu kennen, beginnen wir zu philosophieren über Dinge, die wiederum alles andere als normal sind. Das ist doch ein Witz. “Aber unsere Welt besteht aus Tod und Leid.”
 

“Und was ist mit der Liebe?”, hakt er nach.

“Die Liebe ist vor allen Dingen einmal Leid.”, antworte ich und denke dabei an dich, wie du heute morgen meine Wohnung verlassen hast. “Und am Ende... am Ende bedeutet sie Tod. Sie stirbt und mit ihr stirbst du selbst.” Wir schweigen wieder, beide in unsere eigenen Gedanken versunken. Schließlich fasse ich mir ein Herz, ich will endlich mehr über ihn wissen. “Was tust du so, Zero?”
 

Wieder lächelt er dieses traurige, melancholische Lächeln. “Ist das denn wichtig?”

Ich zucke die Achseln und irgendwie weiß ich gerade keine Antwort auf seine Frage. Aber sie ist bedeutungslos, wie alles gerade bedeutungslos geworden ist.

“Ich bin Musiker.”, sagt er schließlich.
 

Irgendwie habe ich sowas geahnt und muss nun grinsen. “Einer der vielen hoffnungslosen, die auf den großen Durchbruch warten?”

Auch er grinst jetzt, schüttelt aber den Kopf. “Meine Hoffnungen wurden schon erfüllt, aber mittlerweile beginne ich mich zu fragen, ob das so gut war.”
 

“Das tun wir alle im Lauf der Jahre. Was wichtiger ist, ob du über deine Zweifel hinwegkommst!?” Vielleicht weiß er nicht so genau, was ich meine, oder denkt einfach nur über meine Worte nach. Wenn er so in Gedanken versunken ist, hat sein Gesicht etwas vollkommenes, etwas unschuldiges an sich und er wirkt jünger, als er wahrscheinlich ist. Dieses Bild hat einen ungewöhnlichen Reiz auf mich, es weckt in mir den Wunsch, ihn zu beschützen, diese Unschuld in ihm zu wahren, für immer. Sicher tue ich ihm damit Unrecht, möglicherweise ist er in vielen Dingen viel erwachsener und reifer als ich. Wer weiß?
 

In diesem Moment klingelt mein Handy. Überrascht greife ich danach in meiner Hosentasche; das Geräusch hat den Bann der über uns beiden lag etwas gelüftet. Zero ist wieder ein völlig normaler Mann, gut aussehend, anziehend, ja, aber doch nur ein Mann wie viele andere. Als ich endlich den Anruf annehme, schallt mir Kaorus wütende Stimme entgegen. "Wo, verdammt nochmal, steckst du!?"
 

Mir entkommt nur ein verdutztes "Wie bitte?" von dem ich im nächsten Augenblick schon weiß, dass es das falschste war, das ich hätte sagen können. Kaos Gezeter ist so laut, dass ich das Handy fast einen halben Meter von mir weg halten muss und sicherlich hört das ganze Kaffee zu. Zeros Gesicht zeichnet ein amüsiertes Lächeln. "Du hättest vor einer halben Stunde hier sein sollen, Kyo! Wo treibst du dich wieder rum? Und gnade dir Gott, wenn du nicht eine sehr gute Erklärung hast!"
 

Wäre ich solchartige Ausbrüche nicht schon seit Jahren gewöhnt, wäre ich nun sicher zusammengezuckt und sofort losgestürmt um Leader-sama so schnell es geht die Füße zu küssen und um Gnade zu betteln. Aber so... "Wo hätte ich sein sollen?"
 

Wieder die falsche Antwort. "Nur weil die Tour vorbei ist, heißt das nicht, dass es nichts mehr zu arbeiten gibt, baka! Beweg deinen Hintern sofort zum Proberaum, sonst setzt es was! Falls es dir noch nicht aufgefallen ist, wir haben nächsten Monat eine Tour in Europa!" Das letzte Wort erreicht nun endgültig auch den hintersten Winkel des Kaffees und ich spüre die Blicke der anderen Gäste auf mir.
 

Ich beeile mich Kaoru abzuwürgen, um nicht noch mehr Aufmerksamkeit auf Zero und mich zu ziehen. Entschuldigend sehe ich ihn an. "Naja, du hast es ja gehört..."

Er nickt, immernoch lächelnd, das Unschuldige ist wieder da, wie er nun so den Blick für einen Moment senkt. "Das kenn ich schon... Können wir uns wieder treffen?" Jetzt sieht er mich so sehnsüchtig an, fast schon verzweifelt, obwohl ich nicht weiß wieso.
 

"Gerne." Und es ist wahr, in diesem Moment kann ich mir nicht schöneres vorstellen als ihn wieder zu sehen. Die Aussicht auf diesen Moment lässt mich auch meinen Widerwillen zur Probe zu gehen, hinunterschlucken. Nur kurz kommt mir ein winziger, schuldbewusster Gedanke an dich, aber andererseits habe ich - noch - nichts Verbotenes getan. Doch - so denke ich, als wir unsere Nummern tauschen und uns für den nächsten Abend verabreden - müsste es schon verboten sein jemand so reines, so unschuldiges zu begehren. Begehren, ja, das ist es. Ich begehre ihn, obwohl ich ihn nicht einmal kenne, mehr als ich dich jemals begehrt habe.
 

Wir verabschieden uns. Mit den Händen in den Hosentaschen vergraben, trete ich wieder hinaus auf die überfüllte Straße, lasse mich von den Menschenmengen mitreißen. Mir würde sehr der Sinn danach stehen, einfach einige Stunden durch die Stadt zu laufen, doch ich möchte Kaoru nicht noch länger warten lassen. Ob du auch dort bist? Natürlich bist du das. Bist du noch wütend? Nur weil ich auf deine Frage nicht geantwortet habe? Weil sie mir unangenehm war? Aber was soll's, ich kann es nicht ändern und es auch nicht wissen, also bleibt mir nichts, als zur Probe zu fahren, in der vollen U-Bahn. Es ist schon Nachmittag, die Schüler haben Schulschluss und fahren nach Hause, ich schwimme in einem Meer von Schuluniformen. Doch meine Gedanken sind so sehr on diesem Mittag erfüllt, von Zero, von unserem Gespräch, dass ich kaum etwas von dem Trubel um mich herum mitbekomme und sogar beinahe meine Haltestelle verpasse.
 

Eiligen Schrittes mache ich mich auf den Weg zum Proberaum, möchte nicht daran denken wie ich dir gegenübertrete. Sie spielen schon, kommen offenbar auch ohne Sänger ganz gut zurecht. Manchmal frage ich mich, wie diese Band ohne mich aussehen würde, ob sie so bestände wie jetzt, oder vielleicht ganz auseinanderginge. Du und Kaoru, ihr würdet mit Sicherheit leicht eine andere Band finden, oder selbst eine gründen. Auch Toshiya und Shinya würden vielleicht weiter Musik machen, oder auch einem ganz normalen Job nachgehen. Aber so ganz kann ich mir das alles nicht vorstellen. Ich kannte es ja nie anders. Sogar die Erinnerung an die Zeiten mit Kisaki scheint verschwommen, in keinem Vergleich zu heute.
 

Als ich den Raum betrete, bist du der erste der aufhört zu spielen. Shinya lächelt mich an, Toshiya hebt lässig die Hand zum Gruß. Natürlich ist es Kaoru, der sofort anfängt mir eine Standpauke zu halten, aber meine Aufmerksamkeit liegt auf dir, wie auch deine auf mir. Du sagst nichts, kein Lächeln erhellt deine weichen Züge, kein Anzeichen, dass alles in Ordnung ist zwischen uns. Dabei haben wir uns nichteinmal wirklich gestritten... "Kyo, hörst du mir überhaupt zu!?"
 

Wohl sichtlich verwirrt sehe ich ihn an, denn Toshiya kichert leise. "Gomen, Kao... kommt nicht wieder vor." Kurz sehe ich mich um, will nicht weiter grübeln, was in dir vorgeht. "Fangen wir an?" Und so beginnt die Probe, eine von vielen in den vergangenen Jahren, aber entgegen der Gewohnheit, spule ich die Songs heute nur herunter, lege kein Gefühl darein, fühle mich einfach nicht stark genug. Aber was macht das schon, es geht ja um nichts. Die ganze Zeit kann ich nur an ihn denken, an Zero, und ersehne das Ende der Probe herbei, dann nur noch einmal schlafen und dann sehe ich ihn wieder... Wahrscheinlich höre ich mich an wie ein verliebter Teenager. Warum nicht?
 

Als wir Schluss machen ist es draußen schon längst dunkel. Shinya verschwindet sofort, er sorgt sich um Miyu, da sie heute - dank meiner Verspätung und Kaos schlechter Laune - länger allein war, als gewöhnlich. Toshiya und Kaoru folgen ihm kurz darauf, letzterer mit einem Stapel Notenblätter und Unterlagen vom Management unterm Arm. So bin ich mit dir alleine, habe es auch nicht drauf angelegt schnell wegzukommen, sitze nun auf dem Sofa und rauche, während du eine Saite deiner Gitarre wechselst, die zu Ende der Probe gerissen ist. Konzentriert ziehst du sie fest, schlägst sie an, beginnst sie zu stimmen. Nichts, so scheint es, könnte dich gerade stören, dich in deiner eigenen kleinen Welt berühren.
 

Irgendwann siehst du auf. "Wo warst du, Kyo, dass du sogar die Probe vergessen hast?"

"Shoppen.", antworte ich und es ist nichtmal eine Lüge, denn das war meine Absicht gewesen. Bevor Zero ins Spiel kam. "In Shibuya. Dann saß ich in einem Café und hab die Zeit vergessen."

"Alleine?", hakst du misstrauisch nach.

Ich lache gezwungen. "Was denkst du? Nein, Die, ich hab mich mit einem meiner verschollenen Yakuza-Verwandschaft getroffen, die wollen, dass ich Oberhaupt ihres Clans werde!"
 

Du grinst, auch wenn es recht unecht aussieht. Du weißt, dass ich lüge, aber du willst es um unser beider Willen nicht zugeben. Weil du weißt, dass ich es dir so oder so nicht sagen würde. Dann stehst du auf, stellst die Gitarre auf ihren Ständer und kommst zu mir. Nervös ziehe ich an meiner Zigarette, weiß immer noch nicht, wie du über den Vorfall heute morgen denkst, ob die letzte Nacht wirklich etwas zwischen uns geändert hat. Du kniest dich vor mich, verschrenkst die Arme auf meinen Oberschenkeln und legst den Kopf darauf, siehst mich von unten herauf an. Du wirkst so unglaublich niedlich. Sehr überzeugend, wüsste ich nicht, dass der Schein trügt.
 

"Du hast mir noch keine Antwort gegeben." Deine Stimme ist ruhig,aber in deinen Augen sehe ich, dass du ein bisschen wütend bist. Aber was hast du für ein Recht, auf eine Antwort zu beharren?

Ich wende den Blick ab. "Du bekommst auch keine."
 

"Tooru." Es ist fast wie ein Befehl und mein Herz setzt einen Moment aus, so fühlt es sich zumindest an. Dein Blick macht mir Angst, auch wenn meine Vernunft mir sagt, dass das völlig unbegründet ist. Schließlich bist du derjenige, der mir immer wieder seine Liebe geschworen hat, du würdest mir nie böswillig etwas zuleibe tun. Oder? Aber ist es nicht das, was ich die ganze Zeit unbewusst erwarte? Wäre es nicht beinah schon willkommen?
 

Ein Seufzen entkommt meinen Lippen. "Nichts da 'Tooru'.", sage ich und versuche meine Stimme fest klingen zu lassen. Mittlerweile ist mir klar, dass, wenn du meinen Geburtsnamen benutzt, eine gewisse Macht darin liegt, die Macht über mich und über meinen Willen. Aber ich werde mich dem in dieser Situation nicht beugen.

Ruhig setzt du dich neben mich, scheinst meine Worte zu respektieren. Aber nur für einen Moment. Nun legst du besitzergreifend eine Hand auf meinen Oberschenkel, drückst etwas zu, nur diese Geste schickt einen Schauer über meinen Rücken. Es ist eine Mischung aus Erregung und Furcht und vielleicht auch ein wenig Wut über dein Benehmen. Noch dulde ich es, warte, was du als nächstes tun wirst. Mit der anderen Hand greifst du mein Kinn, zwingst mich so dich anzusehen. Trotzig schau ich dir in die Augen, fühle mich dir gegenüber gerade ein wenig wie ein kleines Kind, aber ich will und kann gerade nicht anders.
 

Wie nicht anders zu erwarten, zwingst du mir einen stürmisches Kuss auf, aber ich ergebe mich dem nicht. Nicht in dieser Situation, nicht in dieser Lage. So bewege ich mich keinen Millimeter, warte, bist du es endlich kapiert hast und mich dann mit verwirrten Blick ansiehst.

"Was hast du für ein Problem, Die?", frage ich dich und kann nicht ganz die Wut aus meiner Stimme halten. Wenigstens ziehst du dich zurück, wahrst einen gewissen Abstand. "Nur weil wir im Bett eine etwas unkonventionelle Beziehung haben, bedeutet das nicht, dass ich dein Leibeigener bin. Und ich werde auch nichts tun, was ich nicht will."
 

Du nickst, scheinbar verstehend, was ich meine, aber so ganz sicher bin ich mir da nicht. Für den Moment ist es egal, ich will nach Hause und schlafen. Als ich aufstehe, folgst du mir, legst schließlich die Arme von hinten um mich, vergräbst dein Gesicht in meiner Halsbeuge.
 

"Tut mir leid, Kyo." So verschämt und reuevoll du dich auch anhörst, so beginnen deine Hände doch schon mich zu streicheln, zeichnen Kreise um meinen Nabel und wandern langsam weiter hinunter. Ein Teil von mir möchte diese Liebkosungen nur genießen, sich fallen lassen, aber der Teil von mir, der immernoch wütend ist, will dich wegstoßen und aus diesem Raum verschwinden. Es vergeht einige Zeit in der sich diese beiden Teile von mir bekämpfen, beide streiten um die Oberhand, keine schafft es so richtig.
 

Seufzend lehne ich mich etwas gegen dich, sammle die Kraft, um mich schließlich aus deiner Umarmung zu befreien. Ohne ein Wort greife ich meine Tasche und verlasse den Proberaum. Meine Knie sind noch ganz weich und meine Hände zittern, trotzdem bin ich mir sicher für den Moment die richtige Entscheidung getroffen zu haben.

Am nächsten Abend, nach einem Vormittag harter Proben, führt mich mein Weg schon eine halbe Stunde zu früh an den vereinbarten Treffpunkt. Es wird langsam dunkel, die untergehende Sonne tränkt die Tokyo-Bay in blutrotes Licht. Die Luft ist noch warm, der erste warme Tag in diesem Jahr - aber mittlweile ist es ja auch schon April - und viele Leute sitzen noch hier auf den Steinen, die eine Art Ufer in diesem Teil der Stadt bilden. Junge Pärchen, die verliebt einander in den Armen liegen, sich küssen und häufig wortlos den Abend genießen. Familien gehen an der Promenade spazieren, Kinder laufen fröhlich vor ihren Eltern her, lachen, spielen. Es ist ein harmonischer Anblick und auch ich setze mich auf einen nahe Stein, von dem aus ich einen guten Blick auf den Weg habe, der zur nahen Straße und der U-Bahn-Station führt, von der Zero wahrscheinlich kommen wird.

Entspannt schließe ich die Augen, lehne mich etwas zurück. Seit gestern versuche ich den Abstand zu dir etwas zu wahren, warum, weiß ich selbst nicht genau. Aber es tut gut, selbst wenn es wehtut, deinen verletzten Blick im Rücken zu spüren. Etwas steht zwischen uns, aber es ist noch nicht ganz klar was. Vielleicht ist es einfach die Tatsache, dass unsere Beziehung im Grunde so wenig Zärtliches an sich hat. Auf den ersten Blick vielleicht nicht so deutlich zu erkennen, aber nach genauem Überlegen, ist mir das gestern Nacht klar geworden.
 

Irgendetwas piekst mich in die Seite und als ich überrascht und etwas überrumpelt aufsehe, bemerke ich, dass Zero lächelnd neben mir steht. Im Licht der untergehenden Sonne wirkt er jung und wieder überkommt mich dieser Eindruck von Unschuld. Er sieht makellos aus, heute ohne den schwarzen Mantel, dafür in einem schwarzen Pulli, Jeans und schwarzen Lederstiefeln.
 

Sanft küsst er mich auf die Wangen und ich erwidere diese Geste nur zu gern. Normalerweise mache ich sowas nicht gerne, nicht wenn ich die betreffende Person so wenig kenne. Selbst bei den anderen aus der Band ist es mir manchmal unangenehm sie so zu begrüßen, aber bei Zero scheint es das Normalste der Welt.

"Hat dein Leader dich gestern nachsitzen lassen, Kyo?", fragt er mit einem neckenden Unterton in der Stimme, als wir nebeneinder die Uferpromenade entlang gehen, auf dem Weg zu einem nahen Restaurant.

Leise muss ich lachen. "Sozusagen, ja." Entspannt lasse ich den Blick über die Bucht schweifen. "Wie war dein Tag?"
 

Er zuckt die Achseln. "Ganz okay, aber ich bin froh jetzt endlich hier zu sein." Glücklich lächelt er mich an und ich habe das Gefühl, mit diesem Ausdruck geehrt zu werden, dass er nicht häufig jemandem ein solch ehrliches Lächeln zeigt. "Momentan ist alles ein bisschen stressig."
 

Ich frage nicht weiter nach, bin mir sicher er würde davon erzählen, wenn er wirklich wollte. Den restlichen Weg verbringen wir schweigend, bis wir letztlich auf der Terasse des Restaurants sitzen, mit einem wunderschönen Blick über die Umgebung. Wir bestellen Wein und ein mehr-gängiges Fisch-Menü, was die Spezialität hier ist.
 

"Erzählst du mir von dir?" Mein Wunsch, mehr über diesen Mann mir gegenüber zu erfahren ist wieder ebenso stark wir am vorangegangenen Tag in Shibuya.

"Über mein Leben?", hakt er nach.

Ich nicke. "Einfach alles über dich."
 

Er zuckt die Achseln. "Ich hab eigentlich mein ganzes Leben hier in Tokyo verbracht. Früher habe ich alleine mit meinen Eltern gelebt. Mein Vater war Steuerberater und meine Mutter hat ihr ganzes Leben mir gewidmet. Sie war sehr krank, direkt nachdem ich geboren wurde, und was deshalb sehr schwach und oft krank. Als ich klein war ist sie häufig mit mir aufs Land gefahren, in ein Haus, das, wie sie sagte, Freunden der Familie gehörte. Das war eine Lüge, aber das habe ich erst sehr spät erfahren. Das Haus gehörte meinem leiblichen Vater. Um meine Mutter zu schützen, schickte er sie fort, als er von der Schwangerschaft erfuhr und verleugnete von da an unsere Existenz. Auf seine Bitte hin, heiratete sie wieder. Mein Stiefvater war ein sehr liebevoller Mann, er arbeitete hart und war ehrlich und nach diesen Prinzipien erzog er auch mich, selbst als meine Mutter starb, als ich sieben Jahre alt war." In diesem Moment kommt die Vorspeise, aber er spricht trotzdem weiter, nimmt immer wieder kleine Bissen.
 

"Mit ihrem Tod veränderte sich alles, aber das ist mir erst jetzt bewusst, da ich mit etwas Abstand auf alles zurücksehen kann. Als ich gerade auf die Middle School kam, wurde mein Stiefvater getötet." All das erzählt Zero mit einer verblüffenden Kühle, als würde er über das Leben eines anderen reden. "Ich kam spät am Abend nach Hause, weil ich länger als sonst im Musikunterricht war und diese Tatsache rettete mir wohl das Leben." Er lacht leise, sieht mich an. "Die Musik hat mir also im wahrsten Sinne des Wortes das Leben gerettet... zumindest wurde ich schon misstrauisch, als ich die schwarzen Wagen mit den getönte Scheiben vor unserem Haus sehen sah und entschied, durch den Garten zu gehen. Durch die Terassentür hatte ich einen guten Blick in das hellerleuchtete Wohnzimmer." Er stockt und ich spüre wie schwer es ihm fällt weiterzusprechen. Ich habe eine böse Vermutung, wie es mit seiner Geschichte weitergeht. "Es waren drei Männer. Drei gegen einen... Mein Stiefvater lag blutüberströmt auf dem Boden, einer der Männer über ihm, grinsend. Er fragte ihn, wo ich sei, aber mein Stiefvater behauptete, er wüsste nicht wovon sie redeten, er hätte keinen Sohn. Ich war wie gelähmt und konnte mich keinen Zentimeter mehr rühren. Natürlich wusste ich, dass diese Männer von der Yakuza sein mussten. Irgendwann verschwanden sie und ließen meinen halbtoten Stiefvater zurück, sich bestimmt sicher, dass er innerhalb von Minuten sterben würde. Und so war es auch. Er lag in meinen Armen, als es geschah, erzählte mir mit rauher Stimme von meinem leiblichen Vater, dass ich zu ihm gehen sollte. Ein Yakuza..." Zero schüttelt den Kopf, sieht dann auf und mir direkt in die Augen. Er ist den Tränen nahe, aber wahrscheinlich hat er schon zu viele darüber vergossen, als dass sie nun fließen würden.
 

"Mein leiblicher Vater nahm mich also auf, erzog mich nach dem Ehrenkodex der Yakuza und ich spielte mit, der einzige Gedanke, der mich beherrschet, Rache." Das Wort schallt in meinem Kopf nach. Zeros Geschichte klingt wie aus einem schlechten Manga, aber sie ist offenbar wahr. Sie ist so wahr wie kaum etwas anderes, zum Greifen nah, als müsste man nur die Hand ausstrecken, um in sie einzutauchen. "Diese ganze Ausbildung zielte eigentlich darauf ab, dass ich den Clan meines Vater nach dessen Tod übernehmen sollte, aber das alles interessiert mich nicht. Mit 17 verließ ich das Haus meines Vaters, zog los um die Mörder meines Stiefvaters zu finden und ihnen letzlich das gleiche anzutun, wie sie ihm."
 

Als er schweigt und auch nach einigen Minuten nicht fortfährt, überkommt es mich. "Und hast du es getan?"

"Willst du das wirklich wissen?", stellt er die Gegenfrage, senkt dann aber den Blick. "Mein leiblicher Vater gab ein Vermögen aus um die Polizei davon zu überzeugen, dass ich kein Mörder war und irgendwann ließen sie den Fall ruhen. So läuft das nunmal. Hast du jemals von einem ranghohen Yakuza gehört, der im Knast gelandet ist?" Er grinst. "Zwei Jahre später bin ich abgehaun, habe mein Erspartes ausgegeben, um meine Identität zu ändern und heute lebe ich ein mehr oder minder normales Leben."
 

Was Zero mir da erzählt ist völlig unglaublich, aber was ist im Zusammenhang mit den Yakuza nicht möglich? Zwar kenne ich niemanden, der schon selbst mit ihnen zu tun hatte, aber man hört genügend Geschichten und es ist ein offenes Geheimnis, dass sie im Grunde halb Japan regieren, obwohl seit den 90er Jahren die Zugehörigkeit zu einem der unzähligen Clans von Gesetz wegen verboten ist. Seit wann interessieren sich die Yakuza für Gesetze?
 

"Ich warte jeden Tag darauf, dass mich die Leute meines Vaters finden. Es scheint irgendwie unmöglich, dass sie mich nicht irgendwann in irgendeiner TV-Show oder Zeitung erkennen." Er seufzt, schluckt den letzten Bissen seines Essens. "Bisher ging alles gut."
 

Mittlerweile ist es dunkel, wir warten auf das Dessert, obwohl wir beide schon pappsatt sind. Meine Gedanken überschlagen sich, mit jedem Wort, das er über sich preisgegeben hat, wurde die Faszination und der Wunsch alles über ihn zu Wissen immer größer, obwohl es andersherum zu erwarten gewesen wäre. Sein etwas hoffnungsloser Ausdruck, weckt in mir das Verlangen ihn zu Umarmen und Festzuhalten und niemals wieder loszulassen. Stattdessen lege ich nur vorsichtig meine Hand auf seine, die auf dem Tisch liegt.

"Vergiss es.", sagt er leise. "Das ist die Vergangenheit. Was zählt ist die Gegenwart."
 

Er hat natürlich recht, aber mir kommt gerade der Gedanke, dass ich eigentlich keinen Grund für mein Gefühlschaos habe. Er, der so viel mitgemacht hat, scheint völlig ausgeglichen und zufrieden mit sich und der Welt. Ein weiterer Grund ihn zu bewundern. Aber es ist mehr als Bewunderung die mich an ihm anzieht. Es ist sein Auftreten, seine Stärke, seine Schönheit, sein sanftes Lächeln und die Weichheit, die irgendwie von ihm ausgeht.

Es ist dieser Moment, da ich mich das erste Mal in meinem Leben wirklich verliebt habe. In

diesen unschuldig anmutenden, wunderschönen Mann.
 


 

Auf dem Weg nach Hause erfüllt mich eine angenehme Ruhe und Ausgeglichenheit. Es ist ein angenehmes Gefühl und immer, wenn ich an Zero denke, kribbelt es in meinem Bauch. Sind das die berüchtigten Schmetterlinge? Wie auch immer, ich genieße es. Die Luft ist mild, ich gehe zu Fuß und komme erst gegen Mitternacht zu Hause an.
 

Die nächsten Tage treffe ich mich jeden Abend mit Zero. Wir sitzen meistens nur in irgendeinem Café oder Restaurant oder auch nur im Park. Wir reden und reden über alles und nichts, aber mehr nicht. Kein Kuss, keine zärtliche Berührung, aber obwohl ich das Gefühl jedes Mal, wenn ich ihn sehe unendlich genieße, verzehre ich mich auch nicht danach. Es reicht mir in seiner Nähe zu sein, seine Stimme zu hören, sein Lachen, das Glitzern in meinen Augen, wenn er mir von seiner Band erzählt.
 

Du wirst schon misstrauisch. Jedes Mal wenn du dich mit mir verabreden willst, finde ich irgendeine Ausrede und zweimal in der letzten Woche habe ich dich schon vor meiner Haustür vorgefunden, als ich mitten in der Nacht nach Hause kam. Aber ich verspüre kaum den Drang, dir von Zero zu erzählen. Er ist mein Geheimnis und ich seines, wie er es eines Abends auf der Wiese vor einem kleinen Teich im Park in der Nähe meines Apartments ausdrückt.
 

"Ein Geheimnis.", wiederhole ich amüsiert lächelnd, nicke dann aber. So ist es und es ist gut so. Uns beiden genügt es, die Nähe des anderen zu spüren, mehr braucht es im Moment nicht.

"Ihr geht bald auf Tour, oder?", fragt er an diesem Abend.

Ich nicke. "Ja, Mitte Mai sind wir das erste Mal in Europa. Kaoru ist völlig gestresst. Aber wir anderen freuen uns nur darauf. Es sind Konzerte, wie wir sie seit Jahren spielen, wieso also sich darüber sorgen?"
 

Nachdenklich schaut Zero über den See. "Irgendwann, in ein paar Jahren, hoffe ich, dass wir auchmal nach Europa können. Ich will den Eifelturm sehen und Notre Dame. Und die Alpen. Ich liebe die Berge..." Seine Stimme wird leise. Er kann sich für manche Dinge unglaublich begeistern und wenn er über sie spricht, wird diese Begeisterung ansteckend.
 

Aber jeden Abend, wenn ich allein im Bett liege und darüber nachdenke, wird mein schlechtes Gewissen lauter, die kleine Stimme in meinem Kopf, die mir sagt, dass ich dich betrüge.

Ich betrüge nicht, ich treffe mich nur mit einem Freund!, entgegne ich dann dieser Stimme meistens, aber sie wird immer lauter.
 

Es ist nicht nur ein Treffen. Du liebst Zero, du willst ihn allein für dich haben! Und die Stimme hat natürlich Recht. Auch wenn ich dich nicht körperlich betrüge, im Geiste tue ich es dennoch. Irgendwie.
 

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So, Zeros Geschichte mag vllt etwas unrealistisch rüberkommen, und an sich ist es ja auch nicht so wichtig (hab wohl zu viel "Fesseln der Liebe" gelesen *lol*, kennt das jemand? die zeichnungen sind echt süß ^.^), aber ich hab letztens ein Buch über Japan gelesen wo's auch n Kapitel über die Yakuza gab und da stand, dass die echt so mächtig und verbreitet und alles sind... wie auch immer.

Es sind vielleicht zwei Wochen, seitdem ich Zero kenne. Ein ganz normaler Tag unter der Woche, natürlich sind wieder Proben, aber ich habe aufgehört mich darüber zu beschweren. Jeden Tag wieder erwarte ich schon deine Frage, wann wir uns treffen, und immer wenn ich dich abweise, sehe ich wieder den Schmerz in deinen Augen. Dieser Schmerz tut auch mir weh und er zeigt mir, wie sehr du mich doch liebst. Andererseits will ich mir von nichts und niemanden eine einzige Minute zusammen mit Zero stehlen lassen.
 

Manchmal kommt es mir vor, als wäre Zeros Geist immernoch der des 17-jährigen, damals als er kurz davor stand, seine Rache zu nehmen. Zumindest benimmt er sich so, seine ganze Gestik und Ausdrucksweise gleicht manchmal nicht dem beinahe dreißigjährigen, der er eigentlich ist. Vielleicht liegt das auch an seinem Musiker-Dasein. Wenn ich mir Toshiya und dich manchmal so ansehe, möchte ich auch nicht glauben, wie alt ihr eigentlich seid.
 

Als ich heute zur Probe komme, wartest du auf mich und mir fällt siedend heiß ein, dass wir uns eigentlich erst für eine Stunde später hier verabredet hätten. Entweder du hast es genauso vergessen wie ich, oder du hast damit gerechnet, dass ich es vergessen würde und wartest jetzt absichtlich um mit mir zu reden. Wohl eher letzteres.
 

Anders als sonst lächelst du nicht, als du mich siehst, wendest deinen Blick sofort wieder auf die Zeitung vor dir auf dem Tisch.

“Schon mal von D'espairs Ray gehört?” Kein Wort der Begrüßung, sofort diese Frage, mit der du mich im ersten Moment sehr überraschst. Dann sehe ich auf die Zeitung, eines dieser Klatschblättchen, quer über die Seite ein riesiges, etwas verschwommenes Bild von Zero und mir, wie wir uns umarmen. Irgendein Paparazzo hat uns wohl entdeckt und schon kursieren die wildesten Gerüchte.
 

“Ist das der Grund, warum du seit Wochen keine Zeit mehr für mich hast?”, hakst du nach und siehst mir endlich in die Augen. “Weil du dich mit diesem Zero triffst?” Du stehst auf, baust dich vor mir auf und wieder einmal kriege ich es mit der Angst zu tun. Was ist das für eine Beziehung, in der ich Angst vor dir habe?

“Er ist nur ein guter Freund.”, weiche ich der Frage und deinem Blick aus. Im Grunde stimmt das doch auch, denn was machen meine eigenen, vielleicht unerwiderten Gefühle für einen Unterschied? Wenn ich so darüber nachdenke, will ich garnicht wissen, ob Zero das gleiche fühlt, denn es würde nur alles verkomplizieren. Dann stände ich wieder vor dem gleichen Problem, wie mit dir manchmal: dass ich mir wünschte es sei wie früher. Ich will nicht den gleichen Fehler wieder machen.
 

“Aber abgeneigt wärst du nicht, oder?”, fragst du weiter, aber entgegen meiner Befürchtung klingst du weder wütend noch enttäuscht oder verletzt. Du machst lediglich eine Feststellung und weißt auch ohne meine Antwort, dass sie zutrifft.
 

“Du verstehst das nicht.” Immer wieder dieselbe Laier. Ich bin es leid, möchte dir eigentlich nicht weiter etwas vormachen. Seufzend setze ich mich auf den Platz, auf dem du zuvor gesässen hast und warte bis du dich neben mir niederlässt. “Ich versteh mich doch selbst nicht mehr. Ich liebe dich, Die, und ich will dir nicht wehtun. Aber Zero...” Ich weiß nicht, wie ich es dir erklären soll und ohne dir noch mehr weh zu tun.

Du nickst verständnisvoll. “Er hat etwas, das dich anzieht. Bist du in ihn verliebt?” Warum musst du immer so verständnisvoll sein? Du könntest doch einmal richtig wütend werden, einmal austicken, schreien.
 

Ich schüttle den Kopf. “Ich weiß es nicht.” Wirklich nicht, es ist mein Ernst. “In seiner Gegenwart fühle ich mich einfach wohl; wir sind uns so ähnlich. In allem. Seltsam, dass jemand überhaupt so sein kann wie ich... Und dann sind wir in anderen Dingen wieder völlig verschieden... Wir sitzen manchmal stundenlang da und sagen garnichts.”
 

Du zuckst die Achseln. “Wenn du willst, kann ich auch meinen Mund halten.”

Bei deinem Gesichtsausdruck, kann ich mir das Lachen nicht verkneifen. “Das ist doch was anderes. Du sollst deinen Mund überhaupt nicht halten, baka!”
 

Grinsend gibst du zu, “Das weiß ich doch, Kyo. Aber ich kann dich nicht verlieren...” Jetzt wirst du ernst, dein Ausdruck ein wenig traurig. “Wenn es dich glücklich macht, dich mit ihm zu treffen, dann tu das. Aber vergiss mich bitte nicht ganz!”

“Wie könnte ich dich vergessen?” Aber es macht mich auch traurig, wie du offenbar so ohne wenn und aber akzeptierst, dass ich mich mit einem anderen Mann treffe, von dem du auch noch weißt, dass ich doch mehr empfinde als reine Freundschaft. Nur was genau es ist, weiß wohl keiner so wirklich.
 

Sanft streichst du mir über die Wange und ich versuche die Berührung zu genießen, gleichzeitig sind meine Gedanken aber wieder bei Zero und wie es wäre, wenn er mich so berühren würde. Ich muss diesen Gedanken abschütteln und mich auf die Gegenwart konzentrieren, auch wenn es schwer fällt, sonst werde ich dich immer wieder und wieder verletzen. Und das will ich nicht. Das hast du nicht verdient.
 

Plötzlich ist es als erwache in dir ein Feuer, ein Feuer der Eifersucht, der Leidenschaft, der Wut. Dieses Feuer droht auf mich überzugreifen und uns beide gemeinsam zu verschlingen. Deine Hand legt sich fest in meinen Schritt, dass es mir für einen Moment den Atem nimmt, deine Augen glitzern feucht vor unvergossener Tränen. Dies hier ist etwas, was Zero mir niemals geben könnte, denn unsere Liebe ist zu unschuldig. Wären er und ich überhaupt jemals in der Lage uns zu berühren, ohne dass dieser Zauber verschwände?
 

Aber ausprobieren will ich es erst garnicht, zumal ich mir nicht einmal sicher bin, ob ich jemand anderem das erlauben und dasselbe Vertrauen entgegenbringen könnte, wie ich es bei dir tue. Und auf dich verzichten kann ich erst recht nicht, selbst wenn es egoistisch klingt. Ich brauche dich genauso wie Zero. Aber werdet ihr beide damit klar kommen?
 

Als Schritte von draußen ertönen, lässt du sofort von mir ab. Keine Sekunde später schwingt die Tür auch und Kaoru kommt herein, wie immer zu früh. Man sieht ihm die Überraschung sofort an, als er merkt, dass er zur Abwechslung mal nicht der erste hier ist, doch als er die verfängliche Position sieht, in der wir uns befinden – du halb auf mich, ein Knie zwischen meinen Beinen, unsere rotgeküssten Lippen – nickt er nur. Ein unverbindliches Nicken, vielleicht nicht mehr als eine Begrüßung oder auch eine Versicherung, dass er über irgendetwas noch mit uns reden will. Oder bilde ich mir das nur ein? Er hat doch nicht auch dieses Foto gesehen, oder? Eigentlich ließt Kaoru solche Klatschblätter nicht, aber wenn das Management schon Wind davon bekommen hat, werden sie ihm sicherlich im gleichen Moment im wahrsten Sinne des Wortes Feuer unterm Hintern gemacht haben. Oder bilde ich mir das alles nur ein?
 

Während der Leader anfängt seine Gitarre zu stimmen, sitzen wir möglichst unschuldig wirkend nebeneinander, Hände auf den Knien, wie zwei Lausbuben, die nach ihrer neusten Schandtat auf die Standpauke warten.

“Stellst du ihn mir mal vor?”, fragst du leise, dein Blick starr auf den Boden vor deinen Füßen gerichtet.

Ich zucke die Achseln. “Wenn du möchtest... ich frag ihn mal, ja?” Aber so ganz davon überzeugt, dass dies eine gute Idee ist bin ich wirklich nicht.

Du nickst, siehst mich aber immernoch nicht an.

Zero hat mich zu einem Konzert seiner Band eingeladen. Wenn alles nach Plan läuft, werde ich danach mit ihm über dich sprechen, aber wie ich ihn kenne, hat ohnehin nichts gegen ein Treffen. Wieso sollte er auch? Vor der Halle stehen überall noch Grüppchen schwarzgekleideter Leute, vorangig Mädchen, die sich wohl nicht besonders für die Vorgruppe interessieren. Eigentlich hatte ich vorgehabt duch den Backstagebereich zu gehen und dort auf Zero zu warten, aber mit einem Mal habe ich das starke Bedürfnis wieder ein wenig Normalität in mein Leben zu bringen, die Atmosphäre eines Konzerts aus der Perspektive des Publikums mitzuerleben.
 

Zum Glück ist es in der kleinen, überfüllten Halle stockdunkel und die meisten haben sowieso nur Augen für das Geschehen auf der Bühne, sodass ich mir keine Gedanken darüber machen muss möglicherweise erkannt zu werden. Unsere Unterhaltung vor den Proben beschäftigt mich noch immer, deine anfängliche Gleichgültigkeit und dann, plötzlich dieser Ausbruch, die Wut, die Leidenschaft, die zwar gut versteckt war, aber wahrscheinlich kenne ich dich einfach zu gut, als dass du mich noch über deine wahren Gefühle hinwegtäuschen könntest. Wie wirst du reagieren, wenn du Zero erst einmal gegenüber stehst? Sicherlich hast du dich völlig im Griff, wirst dein strahlendes Lächeln zeigen, das in letzterzeit ohnehin viel zu oft gespielt ist. Und Zero, er wird wie immer die Freundlichkeit in Person sein, was hat er auch für einen Grund es nicht zu sein...
 

Während der Umbaupause hole ich mir an der Bar im hinteren Teil der Halle ein Bier, die Hitze hier ist unerträglich und um mich herum wedeln sich die Leute mit meist mehr schlecht als recht improvisierten Fächern Luft zu, was aber augenscheinlich von wenig Nutzen ist. Immer wieder kreischen einige Mädchen in den vorderen Reihen zu, obwohl lediglich die Techniker an den Instumenten herumspielen, Mikros testen und was eben sonst noch alles bei so einem Konzert anfällt. Irgendwann bricht auch kurzzeitig ein Chor los, zig Stimmen, die nach D'espairs Ray rufen. Ja, diese ganze Atmosphäre habe ich über die Jahre schon fast vergessen.
 

Und dann ist es so weit, das wenige Restlicht verschwindet, die Masse rückt weiter nach vorne, Schreie und Applaus ertönen und endlich betreten sie die Bühne. Die Spannung ist beinah mit Händen zu greifen. Als ich Zero erkenne, stockt mir einen Moment der Atem, sein Anblick erschafft die Illusion von Unnahbarkeit und er scheint mir gleichzeitig fremd aber auch genauso, wie ich ihn jeden Tag vor mir habe. Es ist schwer zu beschreiben.
 

Die Jungs legen einen ordentlichen Auftritt hin und ich muss zugeben, dass ich beeindruckt bin. Trotzdem habe ich das Gefühl, dass irgendetwas nicht ganz stimmt, vielmehr bei mir, als in meiner Umgebung. Als Hizumi dann irgendwann “last song!” ruft und weiterhin extatische Jubelschreie erntet, mache ich mich auf den Weg hinter die Bühne, um nicht von dem Chaos mitgerissen zu werden, das zwangsläufig folgen wird, wenn das Licht wieder angeht.
 

Ich warte irgendwo auf dem Gang vor der Garderobe. Meine Knie sind weich und meine Haut ist kalt vom Schweiß. Ein leichtes Schwindelgefühl breitet sich in mir aus, gerade so stark, das mir für einen Moment die Sicht verschwimmt. Mein Bauch protestiert kurz, will mir wohl zeigen, dass ich längst etwas hätte essen sollen, aber bei dem Gedanken daran wird mir schlecht. Ich könnte jetzt keinen Bissen herunterbekommen.
 

“He, da steht ja schon Zeros neuste Obsession!”, holt mich plötzlich eine lachende Stimme wieder zurück in die Realität. Ein großer Mann mit langen, blonden Haaren steht grinsend vor mir, sieht dann über seine Schulter und wirft einen fragenden Blick auf seine Bandkollegen, die langsam erschöpft durch den Gang getrottet kommen, Zero ganz hinten. Er wirft mir ein schüchternes Lächeln zu, das ich ganz automatisch erwiedere.
 

Der Blonde, Karyu heißt er, soweit ich mich richtig erinnere, lacht wieder, dreht sich dann um. “Na, dann lassen wir den frisch Verliebten doch mal ihre verdiente Privatssphäre!” Und so stehen Zero und ich uns jetzt schweigend gegenüber, irgendwie unsicher.

“Eto... war ne coole Show!”, bringe ich schließlich über die Lippen.

Er senkt den Kopf zu einer angedeuteten Verbeugung. “Danke. Freut mich, dass es dir gefallen hat!” Diese plötzliche Förmlichkeit ist manchmal einfach typisch für ihn, aber mittlerweile habe ich mich daran gewöhnt. Es eine dieser Eigenarten, die ihn nur noch liebenswerter machen.
 

“Also...” Wie soll ich das nur so ausdrücken, dass es sich nicht völlig seltsam anhört? “Die hat ein Foto von uns in irgendeinem Klatschblättchen gesehn...”

“Oh.”, macht Zero etwas erschrocken, sieht mich entschuldigend und etwas erwartungsvoll an.

“Naja, er meinte, er würde dich gerne mal kennenlernen...” Ich zucke die Achseln.

Er nickt langsam. “Okay... ist das gut, schlecht, eine totale Katastrophe?”, hakt er unsicher nach.

Ich schüttle schnell beruhigend den Kopf. “Er hat nichts dagegen, dass wir uns treffen... er sagte nur, dass er dich kennenlernen will.”
 

Zero lächelt wieder. “Na dann, sag mir einfach wo und wann, dann treffen wir uns!”

So einfach kann es also sein. Damit wäre das geregelt. Die Jungs von D'espa versuchen noch mich zu einem Drink zu überreden, aber das seltsame Schwindelgefühl ist immernoch nicht weg und irgendetwas zieht mich gerade nur noch in deine Arme. Ich muss zu dir, koste es was wolle, einfach nur in deinen Armen liegen und deinen beruhigenden Worten lauschen.
 

Zu meinem Glück fahren die U-Bahnen noch, sodass ich nicht sehr lange zu dir brauche. Bedenkt man, dass ich dir vor einigen Wochen noch ausgewichen bin, ist es schon komisch, dass ich auf einmal so ein starkes Bedürftnis nach deiner Gegenwart habe. Sicher schläfst du schon und als ich vor deiner Wohnungstür stehe, kann ich mich erst nicht überwinden zu klingeln. Vielleicht wirst du sauer sein, wenn ich dich wecke... Nein, bestimmt nicht, im Gegenteil, wahrscheinlich freust du dich nur darüber, dass ich dich wirklich noch nicht vergessen habe.
 

Einmal hole ich noch tief Luft, bevor ich auf den Knopf der Klingel drücke. Das Geräusch ist so laut, dass ich fast schon befürchte es hätte das ganze Haus geweckt, aber vielleicht habe ich diesen Eindruck nur, weil es ohnehin so still hier ist. Es dauert einige Minuten, bis sich hinter der Tür etwas tut, fast schon will ich wieder umdrehen und nach Hause gehen, als du endlich die Tür einen Spalt breit öffnest. Deine Haare sind völlig zerzaust, deine Augen vor der Helligkeit des Flurlichts fest zusammengekniffen und in deinen Boxershorts muss dir sicher schon kalt sein.
 

“Kyo!?” Deine Stimme ist leise und hört sich ziemlich verwundert an. “Alles okay?”

Ich zucke die Achseln. Würde ich auch nur ein Wort sagen, würde ich jetzt sofort in Tränen ausbrechen und ich weiß selbst nicht wirklich wieso. Stattdessen mache ich einen kleinen Schritt auf dich zu, mehr braucht es nicht und schon finde ich mich in einer festen Umarmung wieder. Jetzt heule ich doch, hemmungslos, und ob es nun aus Trauer oder Glück oder vielleicht etwas ganz anderem ist, kann ich wirklich nicht sagen. Die Hauptsache in diesem Moment ist deine Nähe. Ich merke es nochnichtmal mehr, wie du mich irgendwann hoch nimmst und in Schlafzimmer trägst, wo wir jetzt in der Dunkelheit liegen, die Stille nur unterbrochen von meinem gelegentlichen Schluchzen. Ich habe das Gefühl, dass ich das hier nur in deiner Gegenwart darf, es mir leisten kann diese Schwäche zu zeigen.
 

“Kyo, was ist los?” Du klingst ernsthaft besorgt, als du mich schließlich fragst, als ich mich langsam etwas beruhige.

“Wenn ich das wüsste...”, gebe ich leise, kaum hörbar zurück. Ich habe Angst etwas falsches zu sagen, was auch immer das sein könnte.

“Du weißt, dass du mit mir über alles reden kannst!?” Sanft streichst du mir über die Seiten und unbewusst kralle ich mich in deine Brust, vergrabe mein Gesicht in deiner Halsbeuge, nicke schwach.

“Es wird alles gerade viel zu viel.”, sage ich schließlich, spüre dein verständnisvolles Nicken.

“So geht's mir im Moment auch.”, gibst du zu unterbrichst deine Zärtlichkeiten allerdings nicht. “Was bedrückt dich?”
 

Langsam schüttle ich den Kopf, als Zeichen, dass ich nichts dazu sagen kann. Mir fehlt die Kraft überhaupt etwas zu sagen und einige Minuten schweigen wir, du akzeptierst, dass ich dir keine Antwort gegeben habe. Irgendwann fange ich einfach an zu reden. Irgendetwas muss ich wohl sagen. “Ich weiß nicht mehr was ich fühle. Manchmal könnte ich nichtmal sagen ob ich garnichts fühle, oder vielleicht einfach zu viel. Reizüberflutung.”

“Wohl eher letzteres.”, wirfst du ein und ich bin irgendwie dankbar dafür, dass du nicht denkst, dass ich völlig gefühlskalt bin.
 

Also rede ich weiter. Es fällt immernoch schwer, aber vielleicht kennst du die Lösung meiner Probleme. “Und irgendwann schaltet in meinem Unterbewusstsein irgendwas ab...” Meine Stimme versagt mir und neue Tränen bahnen sich ihren Weg über meine Wangen. Ich weiß nicht was ich noch sagen oder tun soll, es gibt nichts.

Du beginnst sanft über meinen Hüftknochen zu streicheln, manchmal etwas tiefer, manchmal weniger tief. “Fühlst du das?”
 

Ich nicke leicht gegen deine Schulter, hoffe, dass du es spürst und du machst weiter. Irgendwie ist es angenehm und auf der anderen Seite kann ich nur denken, dass es nicht das körperliche ist, was ich nicht fühle, wenn es so wäre, wieso sollte ich mich dann verletzen? Und das weißt du doch, oder nicht? Vielleicht fühlst dich aber auch nur so hilflos in dieser Situation, dass es das einzige ist, was dir noch einfällt. Ich habe nichts dagegen, es lenkt ab. Wenigstens etwas...
 

Du wanderst weiter hinunter, streichst vorsichtig über die Außenseite meines Oberschenkels. “Und das?”, fragst du. “Wie fühlt sich das an?”

Diese Frage macht mir zu schaffen. Wie kann ich meine Gefühle beschreiben? Ich kann mir vorstellen wie andere Menschen sich in bestimmten Situationen fühlen müssten, aber meine eigenen Gefühle verstehe ich nicht. Alles worüber ich schreibe, sind Dinge von denen ich denke, dass Leute sich in dieser oder jener Situation so fühlen müssten, was aber eben nicht heißt, dass ich diese Gefühle bei mir selbst genauso erkennen würde. Also sage ich nur: “Fühlt sich gut an.” Irgendwie meine ich, etwas anderes sagen zu müssen, aber du kommentierst meine Aussage nicht, führst stattdessen deine Liebkosungen weiter an den Innenseiten meiner Schenkel, was mich hörbar die Luft einziehen lässt.
 

Wird das ganze auf das hinauslaufen, was ich denke? Ich weiß nicht, ob ich dazu jetzt in der Lage bin... wirklich nicht... ich bin zu nichts mehr fähig und will einfach aufhören zu denken. Darf ich? Aber das ist mir wohl nicht vergönnt. Warum sollte es das Leben auch mal gut mit mir meinen, wäre doch lächerlich!

Immer weiter führst du deine Berührungen und jedesmal stellst du die selbe Frage und obwohl mir klar ist, worauf du eigentlich hinauswillst, dass du mir etwas beweisen willst, antworte ich immer wieder ähnlich und komme mir dabei irgendwie blöd vor, auch wenn ich deine Liebkosungen genieße.

“Woran denkst du?” Deine Hand liegt jetzt in meinem Schritt.
 

Ich denke an so viel, dass ich einen einzelnen, bestimmten Gedanken garnicht herausfischen kann. Also sage ich einfach: “An nichts.”

Ich kann dein Lächeln an meiner Haut spüren, als du ein Stück hinunterrutschst und an meinen Nippeln zu knabbern beginnst. “Siehst du... man kann auch einfach genießen... es muss nicht alles immer nur Schmerz sein...” Dein heißer Atem streicht über meine Haut. Deine Worte treiben mir wieder neue Tränen in die Augen. Doch, es ist Schmerz, auf die eine oder andere Weise. Und im Gegensatz zu dem, was hier gerade passiert, verstehe ich den Schmerz wenigstens. Aber ich sage nichts, warte einfach regungslos, was als nächstes passiert.

[Dieses Kapitel ist nur Volljährigen zugänglich]

Danke für die Kommis ^.^
 

“Ich mag ihn nicht.” Deine Worte sind ein Schlag ins Gesicht. Du stehst in der Küche und machst Tee, wir sind gerade Heim gekommen und ich entledige mich der nassen Klamotten. Selbst die paar hundert Meter, die wir draußen zurückgelegt haben, haben gereicht uns völlig zu durchnässen, aber dafür entschädigt die angenehme Wärme meiner Wohnung völlig. Doch die Wärme verschwindet sofort, als ich deine Worte vernehme, mitten in der Bewegung innehalte.
 

“Wieso?”, gebe ich kühl zurück und will einfach nur die Verletzheit aus meiner Stimme heraushalten. Was könnte es an Zero nicht zu mögen geben? Er ist nett und freundlich und hat die ganze Zeit keinen böses Wort dir gegenüber verloren; nichtmal einen schrägen Blick hat er dir zugeworfen.
 

“Merkst du nicht, wie er sich an dich ranschmeißt?” Du gehst ins Wohnzimmer und setzt das Tablett mit dem Tee etwas heftiger als nötig auf dem Tisch ab, lässt dich unsanft aufs Sofa fallen und beobachtest mich, als ich auf dich zu komme und mich mit einigem Abstand auch darauf setze. “Wie er dich geküsst hat und dir die ganze Zeit solche Blicke zugeworfen hat... und das auch noch in meiner Gegenwart.”
 

“Was heißt hier, in deiner Gegenwart?”, hake ich ungläubig nach. “Er kann mich küssen, wenn das für ihn und mich in Ordnung ist. Davon abgesehen hat er mich nichtmal auf die Lippen geküsst, wo liegt also dein Problem? Und mir sind keine bemerkenswerten Blicke aufgefallen, und selbst wenn, kann Zero immernoch selbst entscheiden wann er wie wen anschaut, oder?”
 

Du schnaubst verächtlich. “Hör dich doch mal an, Kyo! Allein wie du ihn verteidigst sagt doch schon alles...”

Ich senke den Blick und muss mich zusammenreißen, um meine Wut nicht zu zeigen. Wahrscheinlich hast du recht. Aber woher dein plötzlicher Sinneswandel? “Wie war das noch, Die? Wenn es mich glücklich macht, kann ich mich mit Zero treffen, solange ich dich darüber nicht vergesse? Sah es für dich letzte Nacht so aus,als hätte ich dich vergessen?” Aber in Wahrheit wusste ich nur keinen anderen Ort, zu dem ich gehen sollte.
 

“Na gut, Menschen können ihre Meinung ändern. Und ich denke nicht, dass es dir gut tut dich mit ihm zu treffen!” Dein Blick ist ernst und irgendwie kalt. Er macht mir Angst. Mal wieder. Ich will keine Angst vor dir haben, Die! Ich will dir blind vertrauen können, in jeder Lebenslage, in jeder Situation, eben... ganz wie früher!

Als ich wieder spreche kann ich das Zittern aus meiner Stimme nicht ganz verbannen. “Es ist nicht an dir zu entscheiden, was gut und was schlecht für mich ist, Die!” Tränen steigen mir in die Augen, die ich nicht zurückhalten kann; sie machen mich wütend. “Solange zwischen Zero und mir nicht mehr ist als eine völlig normale Freundschaft, hat dich das überhaupt nichts anzugehn!”
 

“Solange? Solange, Kyo?” Ein leises Lachen entkommt dir. “Na, das hört sich doch gut an...”

“Du verdrehst mir die Worte im Mund, Daisuke!” Ich werde lauter und kann nicht umhin etwas verzweifelt den Kopf zu schütteln. Was tun wir hier eigentlich? Ich will nicht mit dir streiten, aber die Art wie du mit mir umgehst, kann ich ebensowenig akzeptieren. Wenn ich es täte, wo läge die Grenze für dich über mich zu entscheiden? Schließlich habe ich immernoch ein eigenes Leben... “Du weißt genau, was ich meine... du weißt das doch...” Die Stimme versagt mit, als ich ein Schluchzen unterdrücken will. Tränen rinnen mir über die Wangen, ohne dass ich sie noch zurückhalten kann. Oder will. Sollst du doch wissen, wie miserabel es mir geht, wenn du solche Dinge sagst!
 

“Was ist los mit dir, Kyo?”, fragst du humorlos lachend. “Was ist los? Kannst du mich nicht ein bisschen verstehen? Was unterscheidet Zero in deinen Augen so sehr von mir?...” Und die nächste Frage, sollte mein ganzes Leben für immer verändern. Ich weiß nicht, ob ich es geahnt habe, geahnt, seit wir dieses Spiel begannen, aber bevor du die Frage ausprichst, beschleicht mich bereits ein dunkles Gefühl der Vorahnung. “... Wieso kann du ihn lieben und mich nicht?”
 

Die Worte verlassen meine Lippen ganz automatisch. “Aber ich liebe dich, Die... ich liebe dich...” Dabei kann ich dir nichtmal in die Augen sehen. Wie erbärmlich bin ich eigentlich? Ich dachte ich liebe dich... aber dann trat Zero in mein Leben und zeigte mir, was Liebe wirklich ist. Dieses Gefühl der Leidenschaft, diese verzehrende Sehnsucht, das strahlende Lächeln, das mich ab dem Moment nicht mehr loslassen will, da ich ihn von weitem sehe, sein Gesicht, dass ich abends beim Einschlafen als letzten im Kopf habe und am Morgen als erstes, wenn ich aufwache. Es tut weh... aber gleichzeitig ist es so unendlich schön... und dabei bemerke ich, dass alles, was zwischen dir und mir bestand, immer nur Freundschaft war. Ein warmes Gefühl der Vertrautheit. Nicht mehr und nicht weniger. Deshalb hat es nie wirklich weh getan.
 

Deine Finger wischen zärtlich die Tränen von meinen Wangen und ganz von allein lehne ich mich gegen diese Berührung. Sie ist so tröstend... wäre es zumindest, wenn nicht du der Urprung wärst. Der Grund für meine Tränen, versucht sie zu trocknen. Was ein Witz... Dein Gesicht ist meinem jetzt ganz nah.
 

“Bitte, Die... lass das...” Ich habe keine Kraft mehr einen vollständigen Satz zu bilden. Das ist wohl auch nicht nötig. Deine Augen sagen mir alles... es sind wieder 'diese' Augen... Mit gesenktem Blick rutsche ich von dir Weg, bis mein Rücken die Seitenlehne des Sofar berührt, die mir somit den Fluchtweg verperrt. Deine Hand schlage ich mit einer schwachen Bewegung zur Seite, doch sie findet sofort wieder den Weg an meine Wange, ist viel zu sanft für das Versprechen, das mir dein Blick in diesem Moment gibt, als ich dir ins Gesicht sehe.
 

Schmerzhaft fest packst du meinen Arm und zwingst mich damit mich umzudrehen, sodass ich schließlich mit dem Oberkörper über die Lehne gebeugt dahocke. Ich wehre mich nicht, denn ich weiß aus Erfahrung, dass es ohnehin keinen Sinn macht. Es würde nur schlimmer... Krampfhaft versuche ich die Tatsache aus meinem Kopf zu verscheuchen, wie du meine Hose herunterziehst und dann geht alles ganz schnell. Es tut kaum weh... täte es nur mehr weh, so könnte ich mich damit wenigstens ablenken, aber mit furcherregender Klarheit spüre ich deine nackte Haut auf meiner, höre das laute Klatschen bei jedem deiner Stöße.
 

Ich weiß, es wird nie wieder so sein wie früher... aber kann ich mir diesen Traum wenigstens aufrecht erhalten? Darf ich ihn behalten, wenn ich schon dich nicht so behalten kann, wie du früher einmal warst? Wird es jemals wieder aufhören? Du bist mir ferner denn je und trotzdem kann ich diesen Wunsch nicht abschütteln, den alten Die wieder zu haben, auch wenn mir klar ist, dass das aussichtslos ist.
 

Irgendwann lässt du meine Hand los, greifst stattdessen in meine Haare, krallst dich so sehr darein, dass es endlich wehtut. Wenn du nur wüsstest, was für einen Dienst du mir in dem Moment tust, obwohl ich ein schmerzerfülltes Stöhnen nicht unterdrücken kann. Wieso sollte ich auch, schließlich interessiert es dich sowieso nicht und ich bezweifle sogar, dass du es überhaupt hörst. Die ganze Zeit sehne ich mich nur danach, dass du endlich soweit wärst... es scheint eine Ewigkeit zu dauern...
 

Als du gehst, siehst du nichtmal mehr zurück. Kein einziger Blick, kein Wort, keine Reaktion, die mir zeigen würde, dass du weißt, was du gerade getan hast. Und ich bewege mich keinen Zentimeter vom Fleck, fühle mich unfähig dazu und sehe auch keinen Sinn darin. Wen interessiert es schon ob ich hier liegen bleibe oder aufstehe oder schlafe oder wache?
 

Lange bleibe ich so liegen. Wider aller Vernunft warte ich darauf, dass du voller Reue zurückkehrst wie letztes Mal. Aber das passiert nicht, es wird nie wieder soetwas geschehen und ich weiß nichtmal warum. Was ist nur aus uns beiden geworden? Ich erkenne dich nicht wieder und mich kannte ich noch nie. Wo ist der lachende, witz-reißende, manchmal ziemlich unsichere Typ hin, den ich damals kennen gelernt habe, als wir alle noch so viel jünger und naiver als heute waren? Was hat dich so verändert, dass deine Zärtlichkeit verloren ging? War ich es? Habe ich dich mit meinen Launen und meinem seltsamen Verhalten so sehr beeinflusst, dass du jetzt dazu fähig bist, deinen besten Freund und Geliebten einfach zu vergewaltigen und morgen zur Arbeit zu gehen, als wäre nichts geschehen?
 

Dann tut es mir unendlich leid. Bin ich wirklich für nichts gut? Am Ende bin ich wohl selbst Schuld... ja, das wird es sein... wie immer eben...
 

Ich weiß nicht wie viel Zeit vergeht, in der ich mich in diesen allzu düsteren Gedanken verliere, die aber wohl mehr Wahrheit in sich tragen, als ich jemals zu glauben gewagt hätte. So sehr verloren bin ich in dieser anderen Welt, dass ich kaum höre, wie die Wohnungstür zugeworfen wird und blicke erst auf, als ich diese wunderschöne, warme Stimme höre: “Kyo?... Hey, tut mir leid, dass ich einfach so hier reinplatze, aber die Tür war...” Und da steht er in der Tür, sein Gesicht fassungslos und doch schöner als je zuvor, als er mich – mittlerweile zusammengekauert, aber immernoch nicht wieder richtig angezogen – auf der Couch liegen sieht.

“Zero...” Es müssen wohl doch schon Stunden vergangen sein, denn mein Hals ist trocken und meine Stimme ist kaum mehr als ein Krächzen. Der Tee hat längst aufgehört zu dampfen und draußen ist es stockdunkel. Meine Gedanken wollen mir nicht mehr gehorchen, kommen nur langsam vom einem zum anderen. Meine Augen wollen zufallen und ich kann sie nur mit viel Mühe daran hindern.
 

Dann sitzt er vor mir auf dem Boden und umschließt mit seinen weichen, sanften Händen mein Gesicht, lässt den Blick schreckerfüllt über meinen Körper wandern. Ich spüre etwas feuchtes an meinen Beinen, vielleicht Blut, vielleicht... Aber am Ende macht es ohnehin keinen Unterschied, weil es für Zero doch offensichtlich ist, was passiert ist. Am liebsten würde ich vor seiner Berührung zurückweichen, aber selbst meine Muskeln tun nicht mehr, was ich von ihnen verlange. Ich kann nur daliegen und seinen Blick auf mir über mich ergehen lassen und weinen... das kann ich. Mittlerweile dürfte ich keine Tränen mehr haben und ich weiß nicht, ob ich froh darüber bin, dass Zero gerade jetzt hergekommen ist und mich nun so sieht.
 

Aber zum Glück sagt er kein Wort, nimmt nur die Decke vom Sessel, wickelt mich darin ein und drückt mich nah an sich. Selbst wenn es in einer anderen Situation schöner gewesen wäre, erwische ich mich dabei, diese Umarmung irgendwie zu genießen, seine Nähe zu spüren und mir seiner Zuneigung und Sorge in diesem Moment sicher sein zu können. Vielleicht ist es gerade dieses Gefühl, dass mich diese Worte ausprechen lässt, vielleicht ist es auch nur der Wunsch, endlich nach meinen Gefühlen zu handeln. Im Endeffekt macht es ja doch keinen Unterschied mehr.
 

“Zero...”

“Hm?”

Stille.
 

“Ich... muss dir was sagen...”

“Ich hör dir zu, Kyo... Du musst keine Angst haben...”

Stille.
 

“Ich liebe dich, Zero...”

“Ich liebe dich, Zero...” Habe ich das wirklich gerade gesagt? Ja... so ist es wohl, nach Zero's geschocktem Gesichtsausdruck nach zu urteilen. Was denkt er wohl jetzt? Was denkt er von mir und was denkt er von meinen Worten? Am liebsten möchte ich im Moment nur alles um mich herum ausschalten und nicht mehr darüber nachdenken. Vielleicht laut Musik hören und mich darin verlieren... das wäre schön. Aber andererseits interessiert es mich natürlich, was Zero sagt. Wenn er überhaupt etwas sagt...
 

Es vergehen Sekunden oder vielleicht auch Minuten, die mir jedoch wie eine Ewigkeit vorkommen, ohne dass wir beide uns bewegen, oder er etwas von sich gibt. Ich traue mich nicht weiter ihn anzusehen, aus Angst, dass seine Antwort anders ausfällt, als ich es mir erhoffe. Doch selbst wenn er meine Gefühle erwidert, bin ich momentan überhaupt noch dazu in der Lage eine Beziehung zu führen? War ich es jemals? Wahrscheinlich bin ich dazu verdammt, auf ewig unglücklich zu sein.
 

Mir wird schwarz vor Augen. Irgendwie beginnt alles zu verschwimmen, ich spüre nichtmal mehr seinen Arm um meine Schulter und dann ist alles fort...

Als ich wieder aufwache, kann ich unmöglich sagen, wie lange ich weg war. War ich wirklich ohnmächtig? Wahrscheinlich ist das alles wirklich zu viel geworden... alles ist zu viel... würde es doch nur aufhören... Ich liege ausgestreckt auf der Couch und Zero sitzt auf dem Boden neben mir, blickt mich aus sorgenvollen Augen an. Was wohl gerade in ihm vorgeht? Was in mir vorgeht? Irgendwie habe ich das dumme Gefühl, dass ich im Moment etwas zu langsam funktioniere. Meine Gliedmaßen wollen mir nicht gehorchen, als ich versuche mich aufzurichten, meine Gedanken drehen sich unendlich langsam im Kreis und es dauert quälende Sekunden oder sogar Minuten, bis ich wieder weiß, was eben passiert ist.
 

“Alles okay...?” Innehaltend senkt Zero mit einem Mal beschämt den Blick. “Blöde Frage...” Er seufzt, lächelt tapfer, aber es ist ihm anzusehen, dass auch ihn die ganze Situation reichlich mitnimmt. Wieso kann ich allen um mich herum immer nur Sorgen und Leid bescheren? “Er war das, oder? Ich bring ihn um, ja?”
 

Bei seinem fast schon kindischen Gesichtsausdruck muss ich leise lachen, aber der Versuch endet erstmal in einem erschöpften Husten. “Hier wird niemand umgebracht, Zero! Außerdem hab ich's doch schon fast drauf angelegt...” Ja, jetzt ist mir klar, dass ich vorsichtiger in dem sein sollte, was ich zu dir sage. Ob ich überhaupt nochmal etwas zu dir sage... oder es kann? Gerade kommt mir der Gedanke dich weiterhin jeden Tag sehen zu müssen, unerträglich vor. “Zero... was sagst du?”
 

Er seufzt, weiß offenbar auf was ich anspiele und allein dieses Seufzen ist ein Stich ins Herz. “Kyo...” Zero schluckt schwer und räuspert sich. “Es... es tut mir leid... Ich hab dir das nie erzählt, oder? Ich bin verlobt...” Aus dem Augenwinkel sehe ich, wie er mich anschaut, kann aber selbst nur an die Decke starren, muss seine Worte erst verarbeiten. Verlobt? “Weißt du... es ist nicht so, dass ich ein Problem mit Männern hätte, aber... ich liebe das Mädchen und... verdammt...”
 

“...freut mich für dich...”, murmle ich leise. Und es ist zur Abwechslung nichtmal wirklich gelogen. Neben der Welt, die gerade um mich herum einstürzt, ist es doch beruhigend, dass nicht jedes Leben so kaputt sein muss, wie es meines nunmal gerade ist. Mir kommt es jetzt vor, als hätte ich alles, was mein Leben ausgemacht hat innerhalb weniger Stunden verloren hätte. Erst zerstörst du das Vertrauen, das nach allem wieder zu dir hatte, dann unsere Freundschaft und nun ist mir Zero wohl für immer verwehrt...
 

“Ich liebe dich, Kyo, aber nur als Freund.” Seine Stimme hat etwas verzweifeltes, erreicht mich in meiner abgeschotteten kleinen Welt, aber nur schwach. “Das ist alles, was ich dir geben kann, aber ich hoffe, es reicht... ich will dich nicht verlieren.”
 

Das ist mehr als ich eigentlich erwarten dürfte, oder? Also werde ich diese Freundschaft ehren und alles dafür tun, dass sie noch lange besteht. Es ändert trotzdem nichts, an dem Gefühl der Einsamkeit, das sich in mir breit zu machen versucht und wogegen ich auch nichts mehr auszusetzen vermag.
 

In dieser Nacht mache ich kein Auge mehr zu. Zero entschließt, trotz meiner Gegenwehr, hier zu übernachten und sich um mich zu kümmern, aber von dem Essen, das er zubereitet und das verführerisch duftet, bekomme ich keinen Bissen herunter, der Film den wir uns später im Fernsehn anschauen, aus Ermangelung an Alternativen, rauscht nur so an mir vorbei und Zeros Drängen zur Polizei zu gehen um dich anzuzeigen, lasse ich unkommentiert. Niemals würde ich soetwas tun. Denn schließlich habe ich selbst einen Teil der Verantwortung für dein Verhalten zu tragen, zum anderen kann auf den Medienrummel gut verzichten und was am wichtigsten ist: mit so einer Anzeige wäre die Band, die mein Leben bedeutet, am Ende. Wie sollte ich ohne sie weiter leben?
 

Das Gefühl der Ohnmacht, das mich auch nach dem Erwachen aus der Bewusstlosigkeit nicht loslassen will, ist es, was mich mitten in der Nacht in mein Schlafzimmer treibt. Zero ist auf dem Sofa an meine Schulter gelehnt eingeschlafen und merkt nichts von meinem Verschwinden. Gut so. Vor dem Nachtischchen lasse ich mich auf die Knie sinken, greife nach meinem alten Notizbuch. So viel Zeit, so viele Erinnerungen, so viele Tränen. Und heute Nacht werden es noch ein paar mehr.
 

Es sind zwei Klingen, die in einem kleinen Umschlag im Buchdeckel des Buches versteckt liegen. Wie alt sie sind, kann ich nicht mehr sagen, stumpf sind sie und mit getrocknetem Blut befleckt. Dabei steckt ein Taschentuch auf dem ebenso Flecken sind. Eine leise Stimme der Vernunft in meinem Kopf, sagt mir, dass ich mir an diesen Sachen nur eines Tages noch eine Infektion holen werde, aber die lautere, übermächtige Stimme sagt nur ruhig, dass es keinen Unterschied macht und falls das passiert, dann passiert es eben. So ist das.

Obwohl es im Zimmer vom Licht der Straße ziemlich hell ist, kann ich das meiste nur erahnen. Wenigstens wird mich dann der Anblick der Wunde in keinster Weise ablenken. Die Spannung bleibt, wie sie nachher aussehen wird. Wie makaber... Mit einem leichten, humorlosen Lächeln auf den Lippen, senke ich eine der Klingen in die Haut meines linken Armes. Diesmal soll es offen sichtbar sein für jeden, außen nur einige Zentimeter über dem Handgelenk. Für einen Moment kommt mir der Gedanke, als ich die Klinge über die Haut ziehe, dass ich vielleicht gerade bis auf den Knochen schneide, die Haut direkt über dem Gelenk ist dünn.
 

Der Schmerz ist auf seine Weise fast unerträglich, aber weniger im negativen Sinne. Er ist da, ja, ich spüre ihn deutlich, aber im Gegensatz zu dem Großteil der Menschen, war Schmerz für mich noch nie etwas schlechtes. Er war immer etwas ersehntes, etwas mit Aufregung und Vorfreude erwartetes. Schon als Kind habe ich so empfunden. Und warum dem Sehnen und den eigenen Wünschen nicht nachkommen, wenn man sie so einfach, so problemlos erfüllen kann?
 

Das erste Mal, seitdem ich mir dieses zugegebener Maßen idiotische Verhalten angewöhnt habe, vergesse ich mich sogar währenddessen noch in meinen Gedanken. Gleichgültig lasse ich das Blut in einem kleinen Rinnsal zu Boden tropfen, sicherlich wird es so schnell nicht mehr aus dem Teppich zu entfernen sein. Seltsamerweise habe ich gerade nicht das Gefühl, dass es noch von Bedeutung ist. Eine Vorahnung?
 


 

Die folgenden Tage verbringe ich einer Art Delirium, wenn man es denn so nennen kann. Zero weicht die ganze Zeit nur selten von meiner Seite. Bei Kaoru habe ich mich vorerst krank gemeldet und nachdem der sich erstmal höchst eindrucksvoll darüber aufgeregt hat, dass es die letzten Proben vor Europa wären, beginnt er in einer plötzlichen Sinenswandlung sich um meine Stimme zu sorgen und verdonnert mich dazu im Bett zu bleiben. Ich wehre mich nicht weiter dagegen. Überhaupt kann ich für nichts besonderes Interesse aufbringen, sitze nur herum, versuche mein mittlerweile angeschwollenes Handgelenk vor Zero zu verstecken und vermeide es an die anstehenden Konzerte zu denken.
 

Um es einfach zu sagen: ich bin völlig gleichgültig.

Wäre ich es nicht, so könnte ich nicht gewährleisten, dass ich den Verstand nicht verliere. Wenn das nicht schon längst geschehen ist. Du meldest dich kein einziges mal. Oder vielleicht tust du es doch und Zero verschweigt es mir nur. Auch das interessiert mich im Grunde herzlich wenig. Erst am Morgen des Tages der Abreise, wird mir klar, dass ich gerade dabei bin, mein ganzes Leben zu zerstören. Nein, nicht nur meines, auch das meiner Bandmates. Denn wenn ich ihnen Europa versaue, wird uns das auf ewig nachhängen. Wenigstens für sie sollte ich mich etwas zusammenreißen, nicht wahr?
 

Also packe ich - wie immer im reinsten Chaos – alles Nötige zusammen. Zum Glück kümmert sich das Management um allen Papierkram, sodass ich mich um Dinge wie meinen Pass nicht bemühen brauche. Der Flug geht erst gegen Mitternacht. Die Zeit bis dahin verbringe ich auf der Couch, lasse meinen Blick stundenlang durch das Wohnzimmer wandern, ohne etwas davon wirklich noch wahrzunehmen. Wie wird es sein, dich wieder zu sehen? Wie wirst du reagieren, wie ich? Und werden die anderen etwas bemerken?

Irgendwie ist es ein gutes Gefühl sie alle wieder zu sehen. Es kommt mir vor, als wäre ein ganzes Leben vergangen, seitdem ich meine Freunde gesehen habe und als ich am Flughafen ankomme, springt mir in der Wartehalle bereits ein völlig überdrehter Toshiya entgegen. Kaoru und Shinya sitzen auf einer der vielen Bänke nebeneinander und starren gebannt auf den Bildschirm des GameBoys, den der Jüngere in den grazilen Händen hält. Um sie herum stapeln sich Kisten voller Equipment und ein großer Teil der Crew ist wild in der ganzen Halle verstreut.
 

Deinen roten Schopf sehe ich einige Dutzend Meter entfernt. Du sitzt alleine auf einer Bank, Zigarette in der Hand, starrst hinaus auf das Rollfeld und die Flugzeuge, die dort stehen. Woran du wohl gerade denkst? Wie sehr sich alles verändert hat... nichts ist mehr wie früher und ich sollte mir langsam klar darüber werden, dass auch nie wieder so sein wird. Auch wenn es weh tut... Ich weiß nicht, wie lange ich das alles noch aushalten werde. Wenn die Tourneen vorbei sind, wir wieder zusammen im Studio arbeiten, wie können wir die anderen glauben machen, dass sich zwischen uns nichts verändert hat?
 

Wenn ich dich so ansehe, fällt mir auf, wie erschreckend dünn du wieder geworden bist. Ist es meine Schuld? Nein, ich muss mir derartige Gedanken verbieten! Du bist derjenige, der falsch gehandelt hat, nicht ich. Aber was werde ich tun, wenn du genauso reuevoll ankommst, wie beim letzten Mal? Diesmal weiß ich, dass auch die ehrlichste Entschuldigung mir keine Garantie gibt, dass du nicht wieder geradezu über mich herfällst.

Wie du so traurig dort sitzt, möchte ich am liebsten zu dir gehen, dich in den Arm nehmen und trösten und sagen, dass alles wieder gut wird. Aber das wird es nicht, das wissen wir beide ganz gut, nicht wahr?
 

“Hey, Kyo, geht's dir wieder gut?” Toshiya fuchtelt mir aufgeregt mit der Hand vorm Gesicht herum, sodass ich nicht anders kann, als meinen Blick von dir abzuwenden. “Leader-chan ist deinetwegen schon total abgedreht die letzten Tage...” Er wirft einen Blick über seine Schulter, auf dich, dann fügt Toto leiser hinzu: “Und Daidai ist irgendwie komisch... Habt ihr euch gezofft?”
 

Ich zwinge mich zu einem traurigen Lächeln. “Ja, mir geht's ganz gut... Was meinst du mit komisch?”

Der Bassist zuckt die Achseln, sieht nochmal nachdenklich zu dir rüber. “Weiß auch nicht... entweder er ist total still und sagt stundenlang kein Wort und zupft nur lustlos an seiner Gitarre rum, oder er ist schon fast aggressiv... Er hat sogar Shinya so dolle angeschrien, dass der mal so richtig sauer geworden ist... und er hat's fertig gebracht, eine Saite zum reißen zu bringen... echt unheimlich...” Kopfschüttelnd sieht er wieder zu mir.

Ich weiß nichts dazu zu sagen. Es ist genau, wie Toshiya es sagt: unheimlich. Und auf gewisse Weise beängstigend. Hast du dich nur so wenig unter Kontrolle? Dass du auch den anderen gegenüber so ausfallend wirst, ist völlig untypisch. Meist schluckst du deine Wut, Unsicherheit oder Aggression einfach, frisst alles in dich hinein, sprichst mit keinem darüber. Ist das alles jetzt zuviel geworden? Zuviel um es zu schlucken, es zu verheimlichen?
 

“Ich red mal mit ihm...” Noch bevor ich überhaupt darüber nachdenke, kommen mir diese Worte über die Lippen. Aber was bleibt mir anderes, wenn der Bandfriede unter unseren Beziehungsproblemen leidet? Also gehe ich langsam, mit klopfendem Herzen auf dich zu, ohne dass du es bemerkst. Bilder von der Vergewaltigung kommen wieder hoch, lassen mich zittern, die Hilflosigkeit wieder spüren. So war es doch beim letzten mal nicht? Damals konnte ich ohne einen zweiten Gedanken darüber weitermachen.
 

Wortlos setze ich mich neben dich und folge deinem Blick nach draußen. Minuten, so scheint es mir, vergehen, bevor ich den Mut finde, etwas zu sagen. “Wie geht's dir?” Toll, Kyo, was eine sinnvolle Frage, bei dem jämmerlichen Anblick vor meinen Augen! Außerdem sollte ich nicht derjenige von uns sein, der sich verpflichtet fühlt, etwas zu sagen. Erst solltest du dich entschuldigen, aber gerade siehst du mir nicht so sehr danach aus.

Du zuckst mit den Schultern, siehst mich aber nicht an und diese Bewegung soll auch vorerst das einzige Zeichen sein, dass du mich überhaupt gehört hast.
 

“Fall's es dich interessiert, Zero ist nicht an mir interessiert. Er ist verlobt.”, fahre ich fort offenbar Selbstgespräche zu führen. Wollte ich schon immer mal tun, jetzt bin ich endgültig übergeschnappt! “Und danke der Nachfrage, ja, ich kann wieder ohne Schmerzensschreie gerade laufen...” Langsam macht mich dein Schweigen wütend, aber dazu zwingen etwas zu sagen kann ich dich wohl auch nicht. Seufzend reibe ich mir die Augen, blicke zu Boden. Ich möchte eigentlich nur von dir weg. “Hör zu, Die, ich weiß wirklich nicht, in wieweit das hier alles überhaupt noch einen Sinn macht. Ob ich dich auf die Art liebe wie du mich und wie du es dir wünschst, weiß ich auch nicht mehr.” Nein, ich weiß überhaupt nichts mehr. Weder was ich denken soll, noch was ich fühle oder momentan für mich oder andere will. “Vielleicht haben wir uns beide etwas vorgemacht...” Jetzt, da ich einmal dachte, ich wüsste was Liebe ist, ich würde sie verstehen, sie vielleicht sogar genießen können, ist es doch nur kaputt. “Ich bin nicht für die Liebe gemacht...”
 

Erschrocken stelle ich fest, dass ich diesen letzten Satz wohl wirklich ausgesprochen habe. Aber noch weist nichts darauf hin, ob du es überhaupt gehört hast. Will ich denn, dass du es gehört hast? Bevor ich mir noch weiter darüber Gedanken machen könnte, bricht um uns herum das Chaos aus, der Aufbruch steht an, wir gehen zum Flieger. Ich achte nicht mehr weiter auf dich und dackle hinter Kaoru her, wie ein treues Schoßhündchen. Zu meinem Glück stelle ich schließlich auch noch fest, dass ich neben dir am Fenster sitze. Dies ist wohl wieder einer meiner berühmt berüchtigten Glückstage...
 

Fest entschlossen diesen Flug irgendwie so gut wie möglich hinter mich zu bringen ohne mir meine Angst vor dir anmerken zu lassen, stelle ich meinen mp3-player auf höchste Lautstärke, noch bevor du dich hinsetzt und sobald wir in der Luft sind, versuche ich die überzeugende Illusion zu erwecken, dass ich tief und fest schlafe. Diese Praktik habe ich über die letzten Jahre wohl perfektioniert, obwohl ich in den seltensten Fällen überhaupt wirklich schlafe. Meistens ist es lediglich ein Zustand zwischen Wachen und Schlafen, versunken in meine eigenen Traumwelten, in denen ich mich manchmal zu gerne verliere.
 

Irgendwann spüre ich etwas warmes und schweres auf meiner Schulter, mit großer Wahrscheinlichkeit ist es dein Kopf, vielleicht schläfst du, vielleicht auch nicht. Diese Berührung verursacht bei mir nur eine unangenehme Gänsehaut und es liegt sich nicht an der Temperatur, dass ich anfange zu zittern. Aber ich kann dich schlecht von mir weisen, schließlich schlafe ich ja offiziell. Überhaupt bin ich mir nicht sicher ob es jetzt noch reichen würde, diese paar Zentimeter wieder zwischen uns zu bringen. Die ganze Zeit konnte ich mir einbilden, du seist garnicht da, aber nun, mit deinem unverwechselbaren Geruch in der Nase, ist diese Einbildung ein Ding der Unmöglichkeit.
 

Und dann ist da plötzlich noch diese kaum spürbare Feuchtigkeit, die auf einmal durch den Stoff meines Sweatshirts dringt, während Toshi mir mit herzzerreißender Stimme “Crucify my love” mit betäubender Lautstärke ins Ohr brüllt. Du weinst doch nicht, oder? Sicher bilde ich mir das nur ein, weil es so unglaublich gut zu dem Song passen würde: irgendwelche überschwenglichen Gefühlsausbrüche, Tränenströme... es fordert einen geradezu dazu heraus...
 

'...and I know I can deal with the pain...

...no reason to cry...'

Und ob es den gibt! Es gibt immer einen Grund zu weinen. Und du tust es gerade wirklich, wie mir ein kurzer Blick zur Seite beweist. Ich nehme meinen ganzen Mut zusammen und richte mich ein bisschen auf, was dich sofort hochschrecken lässt.
 

“Warum weinst du?” Ich spreche so leise, dass es unmöglich jemand anderes als du hören kann, schalte die Musik leise. Langsam sollte ich mir wohl abgewöhnen immer auf jede kleinste deiner Gefühlregungen so anzuspringen, man sieht ja, wohin es mich letztlich gebracht hat.

Du zuckst die Achseln, ziehst ein Bein an und stützt dein Kinn darauf, während du dir die Tränen wegwischst.

“Hast du vor mich in Zukunft jetzt immer anzuschweigen?”, hake ich nach. Dein Schweigen bringt mich noch zu Weißglut.
 

Wieder ein Achselzucken, aber dann siehst du mich endlich an. Deine Augen sind blutunterlaufen, du scheinst schon länger zu weinen. “Tut mir leid, Tooru.”

“Was tut dir leid?” Es gäbe gerade vieles worfür du dich entschuldigen könntest. Genauso viel gäbe es wahrscheinlich auch wofür ich mich entschuldigen müsste. Wieder zuckst du nur die Achseln. Dieses Spiel wird mir langsam zu blöd. “Verdammt, Die, rede mit mir! Entschuldige dich nicht, wenn du nichtmal weißt wofür!”

Du sprichst so leise, dass ich es über die anderweitige Geräuschkulisse kaum verstehe. “Weil es doch viel zu viel gibt, wofür ich mich entschuldigen müsste... und es ist unverzeihlich...”
 

Mit einem dumpfen Schlag, lasse ich meinen Kopf gegen die Wand fallen und schließe die Augen. Ich habe das Gefühl unbedingt hier weg zu müssen, doch die Aussicht den restlichen Flug auf der ein-Quadratmeter-Toilettenkabine zu verbringen, ist genauso wenig erbaulich. Die Knie zur Brust gezogen – Schuhe hab ich längst ausgezogen – vergrabe ich mein Gesicht in meinen Armen, um die aufsteigenden Tränen vor dir zu verbergen. Wie soll es nur weitergehen, wenn ich jedes mal so einen Gefühlsausbruch habe, wenn wir miteinander reden? Das kann wohl kaum so weitergehen...
 

“Ich kann dich einfach nicht verlieren!”, schluchzt du leise, während du beide Arme um meinen zitternden Körper legst. Ich muss mich unglaublich unter Kontrolle halten, um dich nicht sofort wegzustoßen und es fühlt sich an, als würde sich mein Magen wortwörtlich umdrehen. Warum müssen wir auch unbedingt nebeneinander sitzen? Warum merkst du nicht, dass du mit deiner Nähe gerade alles nur noch schlimmer machst? Dann spüre ich auf einmal deine Lippen auf meinem Scheitel, schrecke ganz von allein davor zurück.
 

“Fass mich nicht an!” Das war wohl etwas zu laut, denn Kao und Toto schauen sofort zwischen den Sitzen hindurch zu uns hinter, doch das ist mir gerade völlig egal. “Wage es nicht mich noch ein einziges Mal anzufassen, Die! Ich mein's ernst!”
 

Der Schock in deinem Gesicht überrascht selbst mich und Toshiya und Kaoru sehen verwirrt von dir zu mir und wieder zurück. Sie verstehen natürlich überhaupt nichts, aber streng genommen geht es sie auch wenig an. Sollen sie sich in dem sicheren Glauben wiegen, dass wir uns wie jedes normale Pärchen es mal tut, nur gezofft haben. Das ist für uns alle besser.
 

Wieder mache ich die Musik laut, höre mir sämtliche X-Japan Balladen auf hintereinander ein und genieße es für einen Moment, mich selbst damit runterzuziehn. Es ist wohl das erste Mal, dass ich wirklichen Liebeskummer habe – wenn man es denn so nennen kann. Diese ganze Situation ist mir schon zu lange über den Kopf gewachsen und ich hoffe nur noch, dass sie bald vorbei ist. Dass wir irgendwie weitermachen können, ohne völlig daran zu zerbrechen.

Du warst immer schon derjenige in der Band, mit dem ich mich am besten verstand. Jetzt, da sich alles so sehr verändert, fühle ich mich unendlich einsam. Es ist ein Gefühl, als hätte ich plötzlich alle verloren, die mir je wirklich etwas bedeutet haben. Du bist mir ferner denn je, Zero hegt nicht halbsoviele Gefühle für mich, wie ich es gehofft habe und Totchi, Shin und Kao hängen wie drei Kletten aneinander... Letzteres könnte ich mir allerdings auch nur einbilden. Ein großer Teil der Crew ist entweder für diese Tour neu hinzugekommen, oder sie sind nur zur Aushilfe hier und sprechen kein Wort japanisch. Also bin ich allein mit meinen Problemen, Ängsten und überhaupt mit allem.
 

Von dem Moment an, da wir den Flieger verlassen, herrscht ein einziges Chaos, nicht lange und wir müssen bereits zu den ersten Interviews, dann ein Fotoshoot und morgen Abend das erste Konzert, mit einem Equipment das kaum mehr als das Nötigste enthält. Keiner hat auch nur eine ruhige Minute, was mit Sicherheit auch den guten Nebeneffekt hat, dass keiner auf die Idee kommen könnte nachzufragen, was dort in dem Flieger zwischen dir und mir los war.
 

Ich bewege mich nur noch in einer Art Trance von Ort zu Ort, nehme nichts um mich herum wirklich wahr. Wenn die anderen reden, halte ich nach Möglichkeit den Mund und halte mich aus jedweden Diskussionen heraus. Alles Planen hilft im Endeffekt meistens eh nichts, wenn wir erstmal auf der Bühne stehen. Dann macht jeder ohnehin das, wonach ihm gerade ist und so funktioniert es seit Jahren problemlos. Doch bei allem, was ich tue, habe ich das Gefühl es intensiver zu erleben, zu sehen, zu spüren als sonst.
 

Als wir mit den gemieteten Vans durch die Stadt fahren, kann ich dieses fremde Land nur schwer begreifen. Vieles sieht anders aus, als ich es kenne, die alten Gebäude in der Innenstadt, die Kirchen, Werbeplakate in einer Sprache, die ich nicht ansatzweise verstehe. Ich hätte gerne Zeit mich hier etwas mehr umzusehen, aber unser Terminplan ist zu voll, als dass er so eine Exkursion zulassen würde.
 

Erst spät am Abend kommen wir endlich ins Hotel. Wir sind alle noch erschlagen vom Flug und von all den neuen Eindrücken um uns herum, sodass alle schnell auf ihr Zimmer verschwinden. Bevor ich ins Bett gehe, dusche ich noch kurz. Das heiße Wasser lässt meinen verspannten Nacken sich ein wenig lockern, der mir den ganzen Tag leichte Kopfschmerzen beschert hat. Es gibt mir neue Kraft. In der Sicherheit und Ruhe der Nacht, kommt es mir vor, als könne ich es mit allem aufnehmen, was da kommen möge. Vielleicht kann ich es wirklich... Vielleicht muss ich es nur wollen...
 

Vielleicht bist du alles, war mich davon abhält, alles zu haben zu können... Wenn ich mich von dir los mache, oder besser: von den Erinnerungen, die uns von unseren früheren Charakteren trennen, dann könnte alles wieder werden wie früher. Ich könnte werden wie früher und einfach vergessen, was du mir gezeigt, mir gesagt und mich fühlen lassen hast. Wir könnten einfach weitermachen und so tun, als wäre nichts geschehen...
 

Plötzlich von dieser Idee besessen, ziehe ich mir nur eine Jeans und T-Shirt über, gehe mit noch nassen Haaren auf den Flur hinaus und die wenigen Meter bis zu deinem Zimmer. Entschlossen klopfe ich.

Die Tür öffnet sich einen Spalt und du siehst leicht verpennt hinaus. Als du mich erkennst, ziehst du sie weiter auf und blickst mich etwas ungläubig an. “Kyo?”
 

“Ich muss mir dir reden.”, komme ich gleich zum Punkt. Im Hintergrund läuft der Fernseher, die einzige Lichtquelle im Raum, aber natürlich verstehe ich kein Wort von dem, was der Nachrichtensprecher da von sich gibt.

“Freiwillig?”, hakst du unsicher lächelnd nach, aber ich rolle nur genervt die Augen. Ich habe jetzt keine Lust auf Spielchen, gehe an dir vorbei ins Zimmer. Du schließt die Tür hinter dir und drehst dich erwartungsvoll zu mir herum.
 

Seufzend werfe ich einen Blick aus dem Fenster. “Die, es tut mir leid, dass ich dich angelogen habe. Dass ich dich glauben gemacht habe, dich zu lieben. Es war ein Fehler. Ich dachte...” Mit einem mal ist mir alles so klar, es scheint so einfach, fast schon zu einfach. “Ich hatte gehofft, durch dich zu lernen, was Liebe bedeutet. Aber durch Zero habe ich es schließlich erst erfahren. Trotzdem ändert es nichts daran, dass ich nicht für die Liebe gemacht bin.” Du nickst, lediglich ein Zeichen, dass du über das Gesagte nachdenkst, bei weitem noch keine Zustimmung, also fahre ich fort. “Wahrscheinlich ist es soetwas wie Schicksal. Wie sollte ich auch die Texte schreiben, für die wir als Band so berühmt sind, wenn ich wahres Glück, wahre Liebe erfahren würde?”

“Seit wann glaubst du an Schicksal?”, fragst du verwirrt.
 

Ich zucke die Achseln. “Das hat nichts mit Glauben zu tun. Ich suche nur nach einer Erklärung, das ist alles. Das liegt in der Natur des Menschen, weißt du?”

“Aha.” Natürlich verstehst du nicht was ich meine, aber ich werde aufgeben, es dir verständlich machen zu wollen. “Also ist es dir wichtiger, dass die Fans glücklich sind, als dass du selbst es wirst?”
 

“Es geht mir nicht um die Fans. Nicht in erster Linie, Die, du weißt, dass diese Band alles für mich bedeutet.” Das alles weißt du doch, aber meinetwegen kann ich es auch nochmal erklären. “Wenn ich für die Band mein... 'Liebesglück' opfern muss, dann ist es eben so. Bisher hat es mir nur noch mehr Kummer gebracht, dieses Gefühl der Liebe begreifen zu wollen.”

“Du willst also Schluss machen?” In deiner Stimme schwingt eine unendliche Traurigkeit mit, eine Verzweiflung und etwas dunkles, das ich nicht wirklich greifen kann.
 

“Nachdem was passiert ist, überrascht es dich so sehr?”, stelle ich die Gegenfrage, drehe mich endlich wieder zu dir um, um dir in der annähernden Dunkelheit des Zimmers in die Augen zu sehen. Du lässt nur ein humorloses Lachen hören, sagst aber nichts weiter. “Lass uns die letzten Monate einfach vergessen, Die, bitte!”
 

Du kommst langsam näher bis du schließlich nur noch wenige Zentimeter von mir entfernt stehst. Deinen Atem kann ich schon auf meiner Haut spüren. “Wie soll ich vergessen, dass ich dich liebe, Tooru?” Deine Hand streichelt sanft meine Wange und etwas in mir sagt mir, dass ich dir diese unschuldige Berührung gewähren sollte.
 

“Ich weiß nicht.” Unschlüssig sehe ich auf zu dir. “Ich verstehe nichts von der Liebe...” Ja, so einfach ist das. Hoffentlich reicht es... Mit dem sicheren Gefühl alles gesagt zu haben, was es zu sagen gab, gehe ich an dir vorbei, verlasse das Zimmer und kehre zurück in meine eigene sichere Welt, lasse einen Teil von mir bei dir zurück, den ich nie wieder in mir haben will, nie wieder fühlen, nie wieder erleben möchte. Bestimmt ist es besser so.
 

Gedankenverloren sitze ich noch stundenlang im Bett, starre vor mich hin, denke über alles nach, was die letzten Monate passiert ist. Kann es sein, dass in der heutige Nacht wirklich der Schlussstrich gezogen ist? Dass ab heute wieder alles so sein kann wie früher?

Mit einem Becher heißen Kaffees sitze ich in einem der Aufenthalsräume in der Halle, in der wir unser erstes Konzert vor europäischem Publikum geben sollen. Draußen ertönen Stimmen und Schritte, doch nach wenigen Augenblicken werden sie schon wieder leiser und ich lasse den Kopf erschöpft auf die hölzerne Tischplatte sinken.
 

Die letzte Nacht habe ich kaum geschlafen, aber trotz der Müdigkeit freue ich mich jetzt darauf gleich auf diese vergleichsweise kleine Bühne zu treten, das Mikro in die Hand zu nehmen und den Leuten da draußen das beste Konzert zu geben, das sie jemals in ihrem – meist doch noch recht kurzem – Leben erlebt haben. Für mich wird es der Abschluss eines Kapitels in meinem Leben sein, dass ich zwar bereue überhaupt eröffnet zu haben, aber das wohl jeder irgendwann einmal durchmacht. Den ganzen Tag über habe ich mich die meiste Zeit an Shinya gehalten, saß beim Essen neben ihm, im Auto und in Pausen habe ich mit ihm gesprochen. Seine übliche Ruhe hat auch mich beruhigt, während ich immer wieder versucht habe, deine Blicke auf mir zu ignorieren. Diese Blicke machten mir beinahe schon ein schlechtes Gewissen, sie waren so voller Trauer und noch etwas anderem, dass ich nicht ganz benennen kann. Aber wie heißt es noch so schön? Die Zeit heilt alle Wunden.
 

Oder nicht?

Als sich plötzlich etwas eisig kaltes in meinen Nacken legt, setze ich mich erschrocken auf. Ich war so in Gedanken verloren, dass ich nicht bemerkt habe, wie du hereinkamst. Ich weiß, dass du es bist, ohne mich umdrehen zu müssen. Es kannst nur du sein. Aber dieses Wissen bereitet mir alles andere als ein angenehmes Gefühl, vielmehr bekomme ich Gänsehaut und kalte Schauer laufen mir über den Rücken. Wieso kann ich mich plötzlich nicht mehr herumdrehen? Wieso kann ich dich nicht ansehen? Wieso sagst du nichts?

“Die?”, frage ich leise. Meine Stimme zittert. Ein leises Klacken ertönt, das mich an das Geräusch einer entsicherten Waffe erinnert. Sicher geht meine Fantasie nur wieder mit mir durch. Wüsstest du von meinen Gedanken, würdest du mich auslachen.
 

“Warum kannst du mich nicht lieben, Tooru?” Du stellst weniger eine Frage, als dass du deiner Verzweiflung Ausdruck zu verleihen versuchst. Müssen wir dieses Gespräch schon wieder führen? Kannst du es nicht einfach akzeptieren? Reicht es dir nach gestern Abend nicht endlich?
 

Der Gegenstand in meinem Nacken drückt sich jetzt stärker gegen die Haut, dass es schon beinahe wehtut. Du machst mir Angst, ich wage es nicht mich zu bewegen, mich umzudrehen um mir selbst zu versichern, dass es wirklich nur meine Fantasie ist und keine reale Waffe. Wir komme ich überhaupt auf so einen Gedanken?

“Ich hätte alles für dich getan.” Deine Stimme ist kalt, so überhaupt nicht wie sonst. Keine Spur von deiner üblichen Fröhlichkeit. Doch ein Wort macht mich noch unruhiger.
 

“Hätte?”, hake ich mit mulmigem Gefühl nach.

“Es ist zu spät...” sagst du mit immer leiser werdender Stimme, als wärst du mit Gedanken weit fort. “Das Leben hat ohne Liebe keinen Sinn, Tooru. Wofür lebst du, wenn du nicht lieben kannst? Dein Leben ist sinnlos ohne Liebe und mein Leben ist sinnlos ohne dich... vielleicht können wir in einer anderen Welt miteinander glücklich werden...” Du sprichst so leise, dass ich dich kaum verstehe, doch bei deinen letzten Worten scheint der Bann gebrochen, der mich an meinem Platz hielt und wie von der Tarantel gestochen springe ich auf, so schnell, dass der Stuhl auf dem ich saß, nach hinten kippt.
 

Meine Fantasie ist nicht mit mir durchgegangen.

Du zielst mit einer Waffe auf mein Herz, den Finger am Abzug. Dein Blick ist in die Ferne gerichtet, als wärst du in deiner eigenen Welt versunken und würdest nicht mehr realisieren was hier passiert.

Dein Finger bewegt sich, unaufhaltsam, immer weiter. Meine Gedanken schwirren wieder umher, können sich nicht einigen, ob dies hier nur einer deiner dummen Scherze ist oder ob ich ganz einfach träume. Es wäre ein schlechter Scherz und der schlimmste Albtraum, den ich jemals hatte. Mein Blick bleibt an deinem Finger haften, mein Verstand schreit danach zu fliehen und gleichzeitig weiß ich längst, dass mein Leben gänzlich in deiner Hand liegt.
 

Aber wann hat es das nicht? Ich habe dir mein Leben freiwillig anvertraut. Schon vor langem, auch wenn ich es damals vielleicht nicht gewusst habe.

Ein lauter Knall ertönt.

Die Welt versinkt in Rot.

Ich mochte rot schon immer. Rot ist die Farbe des Blutes, und Blut bedeutet Leben. Doch in diesem Fall verrinnt das Leben. Es ist mein Leben.
 

Bevor sich das Rot in schwarz verwandelt, höre ich wie von weit entfernt einen weiteren Knall, diesmal leiser, aber nicht weniger durchdringend.

Werden wir uns in dieser anderen Welt, von der du gesprochen hast wieder sehen?

Werden wir dort zusammen sein können?

Werden wir beide in der Hölle enden und auf ewig im Fegefeuer brennen?

Ich bin schon gespannt auf die Antwort. Aber zuerst werde ich schlafen. Für immer?
 

Love that lives in the heart

cannot so easily be terminated by time

Even though its encounter is brief

Its impression shall last a lifetime

Noone can change the direction of

love that lives in the heart

If you have loved

That in itself is the answer
 

OWARI
 

...oder ein neuer Anfang?
 

~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~
 

Vielen Dank an alle, die die FF gelesen haben und vor allem an alle Kommi-schreiber ^^ es gibt noch eine Fortsetzung zu dieser FF, die bereits auf fanfiktion.de läuft. Wann ich sie hier hochladen werde, weiß ich noch nicht, aber wer trotzdem lesen will, kann ja auf besagter seite vorbeischauen.

Hoffe, der SChluss hat euch nicht zu sehr geschockt oder so (*muahaha*) aber da es ja eben ne Fortsetzung gibt, ist wohl zu erraten, dass nicht alles so ist, wie es am Ende hier scheint... *unschuldig summ*

*winkz* bis zum nächsten mal ^.~



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Kommentare zu dieser Fanfic (85)
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Von:  motti
2021-03-28T15:37:29+00:00 28.03.2021 17:37
Ich hab die FF beim Aufräumen in den Tiefen einer SD-Karte gefunden.
Falls jemand die FF lesen möchte, hier ist die Fortsetzung
https://www.animexx.de/fanfiction/serie/1748_Dir_en_grey/order_0_31/169170/
und ich warne vor, sie ist nicht abgeschlossen!!! Also überlegt euch vorher, ob das okay für euch ist.
Von: abgemeldet
2011-10-11T20:34:06+00:00 11.10.2011 22:34
Mou ~

erneut ein tolles Kapitel - die Gedankenwelt von Kyo ist wirklich toll dargestellt, sehr gefühlvoll - man kann absolut mitfühlen!

Weirdo
Von: abgemeldet
2011-10-11T19:53:55+00:00 11.10.2011 21:53
Mou ~

ich glaube ich habe die FF schonmal gelesen - damals, aber das erste Kapi konnte mich gleich nochmal fesseln - also auf gehts in die zweite runde.
Deine Art die sachen zu beschrieben und dann vom Thema auf eine banale sache zu schweifen und diese zu beschreiben und schließlichzurück zum thema ist wahnsinn, gefällt mir unglaublich gut. Du beschreibst toll und sehr umfangreich, toll!

Weirdo
Von:  KyOs_DiE
2008-06-29T12:18:15+00:00 29.06.2008 14:18
das Kyo gefühle für Zero entwickelt oo meinte ich eigentlich oo xD"
Von:  KyOs_DiE
2008-06-28T18:14:12+00:00 28.06.2008 20:14
°O° Oh mein Gott ;O;
*geweint hat*
Ich les sofot die Fortsetzung ;O; Ach du schande ;O;
*Die tret*
DU VERDAMMTER BAKA
*hust*
Von:  KyOs_DiE
2008-06-28T18:10:04+00:00 28.06.2008 20:10
;O;
Von:  KyOs_DiE
2008-06-28T18:00:41+00:00 28.06.2008 20:00
ich finds gut das Kyo Die mal mehr oder weniger zurechtgewiesen hat, Die kan odch nich alles mit dem Anderen machen <<
Von:  KyOs_DiE
2008-06-28T17:51:02+00:00 28.06.2008 19:51
Jaaa ** ich mag Zero doch wieder, braver Junge verlobt zu sein is toll Zero wirklich xD ich freu mich ehrlich, auch wenn mir Kyo und auch Die der ja davon nichts weiß leid tut..
Von:  KyOs_DiE
2008-06-28T17:46:11+00:00 28.06.2008 19:46
mir tut die auch leid << ich glaube er macht das alles nur weil er so verzweifelt ist..><
Von:  KyOs_DiE
2008-06-28T17:34:18+00:00 28.06.2008 19:34
;O; es is traurig und ich glaube Die checkt gar ncihts <<


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