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Himmel und Erde

Schatten und Licht, Interlude 1
von

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Den Tod vor Augen

„Wenigstens heute Nacht können wir ruhig schlafen.“, kommentierte Allen, als er das Gasthaus im Licht der Dämmerung aus der Nähe betrachtete.

„Nicht, wenn wir Recht haben und sich Gezeichnete da drin befinden.“, erinnerte Merle ihn. Auch ihr Blick blieb an den hohen Mauern haften, die das Gebäude umgaben. Die eigentliche Herberge war im Haupthaus untergebrachte, der Stall und das Lager im Seitenflügel. Nur ein Tor führte durch das dicke Bollwerk hindurch. Zusammen ritten Merle und Allen an den beiden Torwachen vorbei in die Festung hinein. Nachdem sie ihre Pferde in den Stall geführt und sie versorgt hatten, aßen sie eine warme Mahlzeit und mieteten sich ihre Zimmer beim Wirt. Allen fiel auf, dass Merle während dem Gespräch dem ruppigen Mann heimlich einen Umschlag übergab, doch er ließ sich nichts anmerken. Vor seinem Zimmer sprach er sie darauf an.

„Wirst du dich noch mit ein paar alten Freunden treffen?“, fragte er.

„Wie bitte?“, wunderte sich Merle.

„Als ich mit Siri hier war, hatte ich den Eindruck, dass sie hier ein paar Leute kennt. Auf dich trifft das ebenfalls zu.“, erklärte er.

„Gute Nacht, Allen.“, wünschte sie ihm und nahm ihr Gepäck aus seinen Händen. Dann zeigte sie ihm die kalte Schulter und ging in ihr Quartier. Allen, der von dieser Art der Zusammenarbeit nicht sehr begeistert war, öffnete die Tür zu seinem Zimmer und trat ein. Nach einem Besuch in den Gemeinschaftsduschen, zog er sich eine Hose und ein einfaches Hemd für die Nacht über und viel todmüde ins Bett.
 

Merle wusste nicht genau, was sie geweckt hatte. Ihr war nur bewusst, dass sie mit gezogenem Dolch kerzengerade in ihrem Bett saß, ihre weit geöffneten Augen die Dunkelheit bis ins Nichts durchleuchteten und ihr Herz raste. Was war los? Erst nach ein paar Augenblicken bemerkte sie einen stechenden Geruch. Es brannte!

Sie stürzte auf ihr Fenster zu und öffnete es. Von ihrem Zimmer aus hatte sie den ganzen Innenhof der Feste im Blick und es sah nicht gut aus. Der Stall und das gesamte Erdgeschoß standen in Flammen. Aus den brennenden Gebäudeteilen drangen Mark erschütternde Schreie von Mensch und Tier gleichermaßen. Sie waren vom Feuer völlig überrascht worden. Selbst den wenigen Wachen schien das Ausmaß der Katastrophe erst jetzt klar zu werden. Warum hatte niemand Alarm geschlagen?

Der dumpfe Klang einer Glocke erinnerte Merle daran, dass auch ihr Leben in Gefahr war. Schnell schloss sie das Fenster und überlegte, ob sie versuchen sollte durch das Erdgeschoss zu entkommen. Wenn sie sofort loslaufen würde, könnte sie es vielleicht noch schaffen. Doch ein Blick auf ihre gegenwärtige Kleidung lies sie diesen Plan verwerfen. Nur mit einem Nachthemd würde sie da draußen im Wald wohl kaum überleben. Ein Sprung aus dem sechsten Stock schien dagegen noch machbar zu sein und ließ ihr außerdem genug Zeit, um ihre Ausrüstung anzulegen. Dann fiel ihr Allen ein. Er würde einen solchen Fall nicht überleben, was bedeute, dass sie ihn tragen musste. Einen Moment fragte sie sich, ob sie ihm so unter die Augen treten konnte, doch ihr Verstand besiegte ihre Scham. Schließlich brauchte er ebenfalls Zeit um sich umzuziehen und sie musste ihn von ihrem Plan in Kenntnis setzten, ehe er etwas Dummes machte. Als sie in den Flur trat, kamen ihr panische Gesichter entgegen, die mit ihren wertvollsten Besitz in den Händen auf die Treppe zu liefen. Verzweifelt kämpfte Merle gegen den Strom an.

Plötzlich musste sie an den Tag denken, als Farnelia von den Zaibachern zerstört worden war. Damals hatte sie sich auch gegen eine Menschenmenge gestemmt und verloren. Hilflos hatte sie mit ansehen müssen, wie Van allein gegen die Zaibacher Armee gekämpft hatte und von einer Lichtsäule verschluckt worden war. Die Unwissenheit danach, was mit ihrem König geschehen war, hatte ihr schier den Verstand geraubt. Keinesfalls wollte sie das wegen Allen noch mal durchmachen. Deswegen stieß sie auch jeden rücksichtslos zur Seite, der sie packen und mit sich ziehen wollte. Schließlich schaffte sie es bis in sein Zimmer, doch was sie dort sah, ließ ihr das Blut in den Adern gefrieren. Das Zimmer war ein einziges Chaos. Allens Sachen lagen wie wild durcheinander und die Möbel waren in ihre Einzelteile zerlegt worden. Das waren keine Spuren, wie sie nach einem überstürzten Aufbruch auftraten. Hier hatte ein Kampf stattgefunden. Merles scharfe Augen entdeckten Allens Schwert in dem Durcheinander. Es hatte sich im Holz des Bettes verkeilt. Wenn seine Klinge noch hier war, er aber nicht, konnte das nur…

Entschlossen schüttelte sie diesen Gedanken ab. Selbst nach der Zerstörung von Farnelia hatte sie Van nicht aufgegeben und es gab keinen Grund, warum es bei Allen anders sein sollte. Sein Schwert schien zu pulsieren, als sie dessen Griff packte und es an sich riss. Erfüllt mit neuem Mut rannte sie den verwaisten Gang hinunter bis zu ihrem Zimmer. Dort angekommen, schnallte sie sich ihr Wurfdolchmagazin über ihren Oberkörper. Dann ließ sie einen Moment der Ruhe an sich vorbei ziehen, während sie ihren Blick nach innen richtete. Sofort strömten die Angst und die Schmerzen der Menschen in diesem Gasthaus in ihr Bewusstsein und bombardierten ihren Verstand, doch sie hielt auch diesem Ansturm stand. So sehr sie sich jedoch bemühte, sie konnte Allen in dem Orkan aus panischen Geistern nicht finden. Es war, als wäre er vom Erdboden verschluckt worden. Ein weiterer Beweis dafür, dass er…

„Nein!“

Merle wollte und konnte ihn nicht einfach aufgeben! Sie musste ihn retten, auch wenn das hieß, dass sie jedes Zimmer in jedem Stockwerk durchsuchen musste.

Sofort machte sie sich auf den Weg zu Treppe. Sie war schon zwei Stockwerke tiefer, als es verdächtig still wurde. Alles, was sie von weiter unten vernahm, war das Knistern der Flammen und ein lauter werdendes Kreischen, das aber nicht von Schmerz, sondern von purem Wahnsinn erfüllt war. Ein kurzer Check der Gedankenwellen brachte ihr die Bestätigung. Es gab hier keine Menschen mehr, nur noch Mutanten und ein einzelnes Katzenmädchen…mit übermenschlichen Kräften, wie sich Merle selbst ins Gedächtnis rief.

Das Stockwerk unter ihr war bereits verloren. Also arbeitete sie sich im vierten durch alle Zimmer, wobei sie immer nur einen kurzen Blick riskierte und dann weiterlief. Mehr konnte sie sich angesichts der Bedrohungen, die von unten immer näher kamen nicht erlauben. Als sie zur Treppe zurückkam um in den fünften Stock zu gelangen, war diese bereits fest in der Hand der Mutanten. Sie verzweifelte, doch dann kam ihr Hitomi in den Sinn, wie sie selbstbewusst ihrer Kette hinterher gejagt hatte. Wie sie beim Sprung in die fliegende Zaibacher Festung über sich selbst hinaus gewachsen war.

„Schau zu!“, rief Merle und stürmte mit Allens Schwert auf die Mutanten zu. Dem ersten Gegner begegnete sie mit einem Luftsprung. Sie landete auf dessen linker Schulter, stieß sich wieder ab und vollführte einen Ratschlag in der Luft, bei dem sie die Klinge unter ihren Kopf kreisen ließ und so die Gegnerschar dezimierte. Zielsicher landete auf dem Treppengeländer und lief auf dem schmalen Balken an den Mutanten vorbei in das fünfte Geschoss. Hier konnte sie nur noch im gestreckten Laufschritt den zentralen Gang durchqueren und dabei die Türen aufstoßen. Doch auch in diesem Stockwerk war von Allen keine Spur. Schließlich endete der Gang in eine Sackgasse. Merle wendete sich von der Wand ab und sah ihren Gegnern in die Augen.

Sie blieb erstaunlich ruhig angesichts der Masse an Zähne fletschenden Mutanten, die sich vor ihr erhob. Es waren auch viele Gäste darunter. Menschen, denen sie heute höchstpersönlich begegnet war. Ganz hinten konnte sie sogar ihren guten Freund, den Wirt, erkennen. Eine Träne löste sich von ihrem rechten Auge. In diesem Augenblick fasste sie einen weiteren Entschluss. Sie würde diese Menschen nicht dem langen und schmerzhaften Tod durch die Flammen ausliefern. Sie würde der Bote sein und Allens Schwert ihre Sense. Dies war die beste Art und Weise, wie sie Allen Shezar, dem Ritter des Himmels, dem bestem Schwertkämpfer von ganz Gaia, gedenken konnte. Auch wenn es ihren eigenen Tod bedeuten würde, das spielte für sie keine Rolle mehr. Wenn man Hitomis Geschichten trauen konnte, gab es sowieso einen Ort an dem sie ihn wieder sehen konnte. An dem sie beide wieder vereint sein werden…

Plötzlich setzte sich Merle in Bewegung. Mit einer Geschwindigkeit, die sie selbst schwindlig werden ließ, fegte sie durch die Reihen der Mutanten. Mit einer Kraft, deren Ausmaße ihre bisherigen Grenzen sprengten, zerteilte sie deren Körper. Ohne auch nur einen Augenblick an ihre eigene Sicherheit zu denken, stieß sie das Schwert in ein Herz, zog es dann wieder hinaus, um ein Monster von der rechten Schulter bis zu linken Hüfte zu spalten. Sie nahm den Kampf gar nicht mehr bewusst wahr, sondern ließ sich leiten. Von ihren Instinkten, von ihrer Trauer, von ihrem Hass…

Dies war der Punkt, an dem Merle stoppte. Auf einmal wurde ihr klar, was für ein Ungeheuer sie selbst geworden war. Ein Mutant nutzte ihre Ohnmacht aus, packte sie an ihrem Hals und schmetterte sie gegen die Wand. Gierig leckte dieser seine Zähne, ehe er sie zu Merles Nacken führte. Von ihrer Angst getrieben verpasste sie ihm ein Kopfnuss, woraufhin er losließ und sie zugriff. Ein Mal schleuderte sie in ihn um ihre eigene Achse und dann auf die restlichen Mutanten, die noch im Gang standen. Fast ohne Widerstand schoss das lebende Projektil durch die Menge und riss die meisten um.

Die von Merle freigesetzte Kraft schien zuviel für das von den Flammen geschwächte Gebäude zu sein. Der Boden wackelte, die Wände zitterten und ein Grollen fuhr durch die Gänge. Ihre Panik steigerte sich ins Unendliche. Geschockt und verängstigt sah sie zu, wie sich alles um sie herum sich aufzulösen schien.

Doch dann hörte sie ihn. Allens Stimme war in ihrem Kopf. So klar und deutlich, als würde er neben ihr stehen. Sie war wie ein Klang aus einer anderen Welt. Er flehte sie an. Sie sollte aufstehen und sich retten. Sein Wunsch war ihr Befehl.

Merle richtete sich auf, stieß die Tür zum nächstgelegenen Gästezimmer auf, rannte hindurch, sprang und schraubte sich durch das splitternde Glas des Fensters ins Freie. Hinter ihr gaben die unteren Stockwerke der Feste nach und das Gebäude verschwand krachend in einer riesigen Wolke.

Ihre Katzeninstinkte ließen Merle auf allen vieren landen, jedoch konnte sie durch den dichten Staub nichts sehen und landete mit einem Fuß auf einer Kante. Verglichen mit ihrem Herzen war dies nur ein geringer Schmerz. Ihrer Orientierung beraubt versuchte sie der brennenden Asche in der Luft zu entkommen.



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