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Himmel und Erde

Schatten und Licht, Interlude 1
von

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Abbruch der Jagd

Ihre Knie waren schon kurz davor gewesen nachzugeben, als Merle erschöpft in den Pilotensitz des Rasenden Falken sank und stöhnend den Kopf zurück lehnte. Aus den Augenwinkeln erkannte sie auf dem zweiten Sitz der Brücke Allen, wie er besorgt in ihre Richtung blickte. Doch sie wusste, dass er sie nicht sehen konnte. Er hatte sie lediglich gehört. Seine Blindheit war der Preis für das Wissen über die Bewegungen des Feindes, die auf einer Karte vor seinem inneren Auge ausmachen konnte. Wie er diese Fähigkeit erlangt hatte, war selbst ihm ein Rätsel. Auch Merle wusste es nicht, doch seine Berichte waren stets korrekt gewesen, was sie jedoch als wenig beruhigend empfand. Traue nie einer Information, deren Quelle du nicht einschätzen kannst. Dies war eine der obersten Regeln gewesen, als sie Van als Anführerin seiner Leibwache gedient hatte. Und sie trat diese gerade mit Füßen. Allen versuchte immer noch ihren Zustand einzuschätzen, mit allem was er wahrnehmen konnte. Fast schien es Merle, als könnte sie sehen, wie er die Ohren spitzte.

„Frag nicht!“, sagte sie ihm. Angesichts ihres Tonfalls entschied er ihrem Rat zu folgen. Auffordernd streckte er ihr seine Hand entgegen, damit Merle sie ergreifen und durch den Hautkontakt in seinen Geist eintauchen konnte, um die Karte zu lesen. Bevor sie sich durchringen konnte seine Hand zu fassen, knackte das Funkgerät und eine Stimme verlangte nach ihr. Seufzend bestätigte sie ihre Anwesenheit.

„Seine Majestät bittet sie darum ihre Jagd einzustellen und stattdessen die Evakuierung am großen Marktplatz zu sichern.“, sagte der alt klingende Offizier, woraufhin ein Adrenalinschub Merle aufschreckte.

„Wir haben erst acht Gezeichnete erwischt. Sie gefährden die Flüchtlinge, wenn sie jetzt evakuieren.“, protestierte sie.

„Mit allem Respekt, euer Hoheit, es wird bald keine Flüchtlinge mehr geben, wenn wir jetzt nicht evakuieren. Die Verteidigungsringe um die verbleibenden Seuchenherde sind durchbrochen worden und der Ansturm der Bevölkerung auf die Barrikaden wird immer heftiger. Außerdem wird die Evakuierung, selbst wenn sie gut läuft, Tage in Anspruch nehmen und wir haben schon jetzt keine Zeit mehr.“

„Verstanden.“, resignierte Merle. „Ich melde mich am großen Marktplatz. Rasender Falke Ende.“ Verzweifelt schloss Merle die Augen auf der Suche nach einem Funken Hoffnung.

„Er hat Recht.“, sprach Allen sie sanft an. „Sie verlieren die Kontrolle.“

„Mag sein.“, meinte sie und ließ dann das Schiff abheben. „Das macht es aber nicht einfacher.“ Neben sich hörte sie Allen scharf einatmen. Einen Blick riskierend beobachte sie ihn seine Handflächen anstarren.

„Ich kann wieder sehen!“, verkündete er erstaunt.

„Die Karte?“, erkundigte sich Merle.

„Sie ist weg.“

„Macht nichts. Wir können sie eh nicht mehr gebrauchen.“

Obwohl es nach Mitternacht war, hielten sich mehr Menschen auf dem Marktplatz, als am vergangen Tag zur besten Stunde, als Merle diesen Platz besucht hatte. Dicht an dicht drängten sich Familien mit allem was tragen konnten. Die Sicherheitskräfte hatten alle Hände voll zu tun die Landeflächen für die Luftschiffe freizuhalten.

Nachdem sie das Schiff zielsicher aufgesetzt und Rampe am Heck herunter gelassen hatte, verließ sie das Schiff. Ihre Untergebenen aus den Luftschiffen Adler Eins und Zwei standen bereits aufgereiht bei dem Schiff. Die Gruppe, die mit dem Rasenden Falken flog, ordnete sich sofort in die Formation ein. Mit großem Respekt betrachtete Merle die neunzehn Männer, die von ihrem Kommando übrig geblieben waren.

„Unterstützen sie die vorhanden Kräfte bei der Sicherung des Platzes.“, wies Merle sie an. „Sobald sich ein Gezeichnete nähert, gebe ich ihren Vorgesetzten Bescheid. In diesem Fall lauten ihre Befehle wie gehabt mich von den Dienern abzuschirmen...“

„Verzeiht, euer Hoheit, aber ich muss widersprechen.“, meldete sich Allen förmlich zu Wort. Überrascht drehte sich die Prinzessin zu ihm herum.

„Wie bitte?“, flüsterte sie drohend.

„Ihr solltet zurück an Bord gehen und euch für einen sofortigen Start bereithalten. Ich werde die Männer anführen.“

„Spinnst du? Ich werde bestimmt nicht tatenlos herum sitzen, während...“

„Ihr könnt kaum noch stehen und wollt dennoch euer Leben auf Spiel setzten? Wenn ihr sterbt, wer soll dann das Schiff fliegen? Nur ihr seit dazu in der Lage.“, unterbrach er sie ein weiteres Mal. „Die Adler Eins und Zwei sind für ein schnelles Betreten und einem schnellen Start nicht so gut geeignet wie der Falke. Daher empfehle ich diese Schiffe ebenfalls zur Evakuierung ziviler Personen einzusetzen und dieses hier für unsere Einheit aufzuheben. Es wird eng, doch es wird gehen. So können wir ein paar Leben mehr retten.“

„Das ist nicht fair.“, flüsterte Merle zähneknirschend.

„Nichts im Leben ist fair.“, antwortete Allen aus tiefster Überzeugung, woraufhin sich auf ihren Gesicht ohnmächtige Wut und Verzweiflung spiegelten. An ihre Untergebenen gewandt, befahl das Katzenmädchen herrisch:

„Ritter Allen Shezar löst mich Oberbefehlshaber dieser Einheit ab. Sie werden seinen Befehlen folgen, als wären es meine, und sie werden sein Leben schützen, als wäre es meines!“ Die Männer bestätigten ihren Befehl lauthals, was Merle etwas Zuversicht schenkte. Als Allen an ihr vorbei zu der Einheit stoßen wollte, hielt sie ihn jedoch am Ellbogen fest. „Ich werde nicht ohne dich fliegen.“, versicherte sie ihm eindringlich. „Selbst wenn ich mein Leben und das der gesamten Einheit damit aufgebe! Wenn ich dir etwas bedeute, komm heil zurück!“

Allen nickte und riss sich los. Trotz seines stummen Versprechens überkam Merle das Gefühl eines schweren Verlustes und ihre Beine versagten nun endgültig den Dienst. Schluchzend sank sie auf die Rampe. Doch ehe sie in ihre Trauer versinken konnte, legte sich sanft ein Hand auf ihre Schulter und zog aus ihrem Tief heraus. Verwundert sah sie sich um. In ihrer Nähe stand niemand. Ihre Verwirrung hielt ein paar Momente an, bis die Stimme ihrer besten Freundin sie aufforderte aufzustehen und ihren Posten zu beziehen. Allens Leben hinge von ihrem Einsatz ab.

„Mit dir ist man nie allein. Nicht wahr, Hitomi?“, flüsterte sie und sprang erfüllt von neuem Mut auf ihre Füße. Mit großen Schritten hielt sie auf eine Flüchtlingsstrom zu, der in einem der Transportschiffe, einem großen Kasten, der einen schwebenden Felsen umgab, endete. Die Wachen, die die Flüchtlinge flankierten und anleiteten, salutierten vor ihr. Scheinbar funktionierte die Gerüchteküche der Armee.

„Ich brauche zwei junge und kräftige Männer, die ihr Leben dafür hingeben würden, einmal an der Seite von Allen Shezar zu kämpfen.“, rief sie so laut sie konnte. Die Schlange geriet ins Stocken und ungläubige Blicke wurden ausgetauscht. In der Menge fielen Merle zwei Jugendliche auf, die kaum älter waren als sie selbst. Doch sie waren groß und stark, was angesichts ihres Vaters sowohl an der Familie lag, als auch an ihren Beruf. Sie trugen noch immer die schweren Schürzen von Metallarbeitern. Ihr Blick war unsicher, aber in ihren Augen blitzte auch Abenteuerlust auf.

„Begleitet diese Familie aus der Schlange heraus und bringt sie zu mir!“, befahl Merle den Wachen, die den Befehl etwas überstürzt ausführte. Zum Glück wehrte sich weder der Vater noch die Brüder. Die Mutter folgte den Anweisungen erst, als der Vater sie sachte schob. Ein Mädchen, das nicht einmal zehn Jahre alt war, klammerte sich an ihr Kleid. Respektvoll vollführte Merle einen Knicks, der auf Grund ihres eng anliegenden Kampfanzuges weniger elegant wirkte, als sie gehofft hatte.

„Es tut mir Leid, aber ich brauche die Dienste der jungen Herren.“, teilte sie der Familie mit. „Sie müssen augenblicklich mit mir kommen.“

„Was bildest du dir ein?“, schrie die Mutter, eine Frau mit gelockten Haar, das erste graue Strähnen zeigte. „Du kannst uns doch nicht einfach unsere Söhne nehmen.“

„Bitte beruhige dich!“, mahnte der Vater. „Du machst es nur noch schlimmer.“ Er war riesig, so groß wie ein Hüne. Trotz der Zwangslage bewahrte er scheinbar Ruhe, doch Merle konnte an den Bewegungen seiner Augen ablesen, dass er Angst vor den Wachen und ihren Waffen hatte.

„Die Hilfe der beiden könnten für das Leben anderer Söhne von Bedeutung sein.“, versuchte Merle die Eltern zu überzeugen.

„Das ist mir...“, erwiderte die Frau, doch einer ihrer Söhne platzte dazwischen:

„Ist das wahr, was sie über den Himmelsritter sagten? Braucht er unsere Hilfe?“

„Wie ich schon sagte, wird es eure Aufgabe sein Leben zu retten, unter anderen auch das von Allen Shezar.“, erklärte Merle.

„Ich will gehen!“, erklärte der junge Mann und sein Bruder schloss sich der Aussage an.

„Was soll ich sagen?“, resignierte der Vater, woraufhin seine Frau ihn erbost bei seinem vollen Namen nannte. „Was soll ich tun?“, verteidigte er sich. „Sie haben ihren eigenen Kopf und müssen ihre Erfahrungen selbst machen. Wie kann ich sie daran hindern?“ Er nickte ihnen zu. „Geht!“

Merle bedankte und verabschiedete sich meinem Knicks. Die Brüder umarmten nur zögernd ihre Familie, eher aus Verlegenheit als aus Sorge. Geduldig wartete Merle bis sie sich von ihren engsten Verwandten abgewandt hatten, dann liefen sie gemeinsam zum Rasenden Falken.

„Bitte verzeiht.“, sprach Merle die Geschwister am Fuß der Rampe an. „Ich habe noch gar nicht nach euren Namen gefragt.

„Ich bin Torren.“, sagte der ältere.

„Parn.“, stellte sich der andere vor.

„Parn, Torren, ich verlass mich auf euch. Bitte passt gut auf!“, forderte Merle und brachte sie zu einer Nische im Schiff, die sich neben der Rampe befand. An Haken hingen dort Helme und ein Gewirr aus Gurten. „Setzt die auf!“, befahl sie und gab ihnen jeweils einen Helm. Anschließend hielt sie jeden ein Geschirr unter die Nase. „Das sind Komplettgurte. Ich werde euch beim Anlegen helfen und euch dann mit einem Drahtseil sichern.“

„Wozu?“, fragte Torren erstaunt.

„Sollten wir nicht kämpfen?“, schloss sich Parn an.

Zur Antwort deutete Merle aus dem Schiff heraus auf den Marktrand.

„Allen Shezar schützt zusammen mit neunzehn weiteren Männern am Marktrand eure Mitbürger während der Evakuierung. Nicht mehr lange und es wird dort heiß hergehen, doch sie werden nicht weichen, bis so viele Menschen wie möglich ausgeflogen wurden. Wir sind ihre einzige Hoffnung hier wieder lebend rauszukommen. Ihr müsst den Eingang dieses Schiffes sichern und den Männern beim Einstieg helfen!“

„Aber wir werden nicht kämpfen.“, stellte Parn fest.

„Ihr werdet zweifellos in Gefahr sein! Sobald ich das Schiff bewege, wirken ungeheure Kräfte auf eure Körper. Deswegen haltet euch in diesem Fall irgendwo fest oder werft euch auf den Boden!“

„Wir werden nicht kämpfen!“, sagte er enttäuscht.

„Nein, ihr werdet nicht kämpfen.“, erwiderte Merle ruhig. „Aber um ein Held zu sein, ist es nicht nötig Gewalt anzuwenden. Leben kann man auf viele verschiedene Weisen retten.“ Sie drückte die Gurte gegen die Brustkörbe der Burschen. „Und falls es euch nur um die Aufregung geht, lasst mich euch versichern, dass ihr mehr als genug davon haben werdet. Aber jetzt müssen wir uns erst einmal vorbereiten und dann abwarten, bis die Stunde schlägt, in der wir gebraucht werden. Bisher hat jedes Abenteuer so angefangen.“



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