Zum Inhalt der Seite

Himmel und Erde

Schatten und Licht, Interlude 1
von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Das gebrochene Wort

Verbissen auf seine Konzentration bedacht, starrte Allen in die sich an ihn vorbei wälzende Menge. Ohne die Lampen wären die Straßen noch immer zappenduster, doch der Himmel hellte bereits auf. Die Nächte durcharbeiten musste er zuletzt in den Zaibacher Kriegen und jetzt spürte er die Auswirkungen von einem drei Jahre lang anhaltenden Frieden. Er war todmüde und das nicht einmal nach sechsunddreißig Stunden ohne Schlaf. Im Stillen nahm er sich vor, sich und seinen Untergebenen in Zukunft mehr doppelt und dreifach Schichten zu verordnen.

Die Front kam immer näher. Durch die Häuserschluchten, die zum Marktplatz führten, konnte man schwarzen Rauch erkennen. Die Armeeeinheiten, die den Vorstoß der Opfer der Gezeichneten aufhalten sollten, wehrten sich inzwischen mit allen Mitteln. Anfangs hatte es Schwierigkeiten mit der Durchführung der Befehle gegeben, doch Allen schätzte, dass jeder Soldat der Front, der Skrupel hatte seine Mitbürger zu töten, inzwischen nicht mehr am Leben war oder auf der Flucht. Noch waren die Kampfhandlungen nur ein fernes Grollen. Es wurde jedoch beständig lauter und die Menge wurde nervös. Rücksichtslos drängelten sie und stießen sich gegenseitig aus dem Weg. Mit immer größeren Nachdruck forderte sie Einlass in den abgesperrten Bereich. Weder die Wachen, noch die mobilen Mauern würden sie noch lange davon abhalten können. Besonders an den Toren spielten sich Dramen ab. Väter hielten ihre Kinder hoch, in der Hoffnung, dass man ihnen Vortritt ließe. Alte und Schwache gingen in der Menge zusehends unter. Ohren betäubender Lärm machte sich breit.

Zusammen mit dem Kommandanten der örtlichen Wache beobachtete Allen, wie die Leute an einem Eingang abgezählt wurden. Die Wache signalisierte ihnen, dass es gleich wieder so weit sein würde. Dann würden sie diesen Durchgang ein weiteres Mal sperren müssen, um den Start des gefüllten Luftschiffes und die anschließende Landung eines leeren sicherstellen zu können. Im Halbkreis stellte er sich zusammen mit einer Einheit der Kommandos, mit denen er diese Nacht gedient hatte, um das Tor auf. Der Rest diente an anderen Eingängen und Startfeldern. Falls jemand durchbrechen sollte, war es ihre Aufgabe denjenigen aufzuhalten, ganz egal wie. Tödliche Gewalt war schon im Vorfeld der Evakuierung vom König autorisiert worden.

Es war soweit. Während eine Wand aus Wachen den Flüchtlingsstrom abschnürte und stoppte, schoben andere die Torflügel zu. Diesmal ging alles verhältnismäßig reibungslos. Auf Seiten der Bürger gab es nur kosmetische Verletzungen zu beklagen und niemand hatte sich vorbei mogeln können. Erleichtert beobachtete Allen den Start des Schiffes. Es war erst ein paar Meter weit in der Luft, als das Geschrei hinter der Mauer um ein vielfaches anstieg. Besorgt wandte er sich an den Kommandanten.

„Was ist passiert?“

Der Offizier hob abwehrend die Hand und lauschte weiter einem schwarzen Kasten mit Muschel förmigen Anhängseln. Schließlich legte er das Gerät beiseite und seine Falten vertieften sich.

„Der Verteidigungsring um diesen Platz wurde durchbrochen.“, verkündete er müde. „Wir ziehen uns zurück.“

Allens Verstand sperrte sich dagegen zu verstehen, was gerade mitgeteilt worden war, doch heftiges Pochen am Tor verriet ihm, dass die zum Untergang verurteilten Bürger sehr wohl den Ernst der Lage begriffen hatten. Ein Sturm aus Verzweiflung rannte gegen das Tor. Eine der Wachen warnte verzweifelt, dass es nicht mehr lange halten würde, woraufhin der Kommandant laut den Befehl zum Rückzug gab. Bestätigend nickte Allen seinen Leuten zu, die sich sofort und geordnet in Bewegung setzten.

Er hatte nur zwanzig der hundert Meter zum Rasenden Falken zurückgelegt, als sich eine Vorahnung in ihm regte und er sich zum Tor umdrehte. Wieder einmal kam die Erkenntnis ohne erkennbaren Grund und doch wusste er, dass es stimmte. Hinter den Absperrungen bahnte sich ein Gezeichneter den Weg durch die Menge, die sich gegen dessen Diener wehrte oder davon lief. Der Offizier von Allens Kommandoeinheit stoppte ebenfalls, doch bevor er fragen konnte, was los sei, stieß Allen ihn weg.

„Alle auf eure Schiffe! Sofort!“, rief er und trieb die Wachen um ihn herum mit Gesten an.

„Warum bleibt ihr stehen?“, erkundigte er sich verwirrt.

„Das war ein Befehl!“, bekräftigte Allen herrisch. Plötzlich brachen die Tür des Tors hinter ihm aus den Angeln und eine Flut aus kreischenden Körpern und deren Peiniger ergoss sich auf den Marktplatz. Der Offizier zögerte keine Sekunde länger und nahm die Beine in die Hand. Allen wusste, dass eine Flucht unmöglich war, außer jemand blieb und gab Deckung.

„Komm schon!“, forderte er den Gezeichneten. Dieser sprang aus der Masse heraus auf ihn zu. Mit einem Satz war er bei dem Ritter und kreuzte mit ihm die Klingen.

„Schön euch wiederzusehen, Himmelsritter!“, lachte ein junger Mann, der eine schmutzige und zerrissene Botenuniform trug. „Wer hätte gedacht, dass wir uns dort wiedersehen, wo wir uns Lebewohl gewünscht haben?“

„Verrecke trifft es glaub ich eher!“, brachte Allen Zähne knirschend heraus. „Meine Klinge verlangt noch immer nach eurem Hals.“

Aus den Augenwinkel beobachtete er vor Wahnsinn lechzende Menschen, die ihn umstellten.

„Damit wir unter uns bleiben.“, erklärte der Gezeichnete und erhöhte den Druck auf Allens Klinge. Der brachte der gewaltigen Kraft einen Augenblick lang Widerstand entgegen, ehe er diesen aufgab und gleichzeitig einen Schritt an seinen Gegner vorbei trat. Sein Schwert schwang hinter seinem Kopf, doch der Gezeichnete parierte lächelnd über seinen Rücken. Mit einer dreiviertel Drehung in zwei Schritten schuf er Raum zwischen sich und Allen, nur um sofort wieder nach vorn zu drängen. Vor jedem Hieb holte er aus aus und drosch mit aller Macht auf ihn ein. Dabei hinterließ er weite Lücken, doch für Allen war er zu schnell und hielt ihn so in der Defensive. Plötzlich frischte der Wind auf.

Der Verstand des Ritters Verstand suchte eifrig nach einer Möglichkeit, Heil aus dem Duell raus zu kommen, während er mühsam seine schmerzenden Arme aufrechte hielt. Alle Pläne endeten jedoch mit seinem Tod dank der Überlegenheit seines Gegners in Geschwindigkeit und körperlicher Stärke.

Überlegenheit!

Allen ging ein Licht auf, woraufhin er sich mit mehr Kraft verteidigte. Zufrieden spürte er die wachsende Energie in dem nächsten Schlag des Gezeichneten. Es reichte nicht ganz um ihn aus dem Gleichgewicht zu bringen, dennoch ließ er sein Schwert davon wirbeln, woraufhin einer der unfreiwilligen Diener aufschrie, und gab dem Impuls nach, der ihn zurückfallen ließ. Hart schlug er auf seinem Rücken auf. Über das ganze Gesicht grinsend kam der Gezeichnete auf ihn zu, packte ihn am Hals und hob ihn hoch.

„Der Kampf war viel zu kurz.“, lachte er Allen ins Gesicht und richtet die Spitze seiner Klinge auf dessen Bauch. „Dafür lass ich euch langsam sterben.“
 

Merle saß mit geschlossen Augen in ihrem Pilotensitz und konzentrierte sich auf die Schwingungen der Gedanken in der Umgebung. Deutlich spürte den Ausbruch von Panik innerhalb und außerhalb der Landezone.

„Es geht los.“, warnte Parn.

„Sagt mir Bescheid, wenn alle an Bord sind!“, befahl sie ihren zwei Helfern.

„Sie sind unterwegs.“, berichtete Torren angespannt. „Aber...Zwei unserer Leute sind stehen geblieben!“ Merle fluchte, als sie sich selbst bestätigte, dass einer von ihnen Allen war. „Das Tor wurde aufgebrochen!“

„Anschnallen!“, rief sie so laut sie konnte, als die ersten ihrer Schützlinge die Rampe herauf kamen, die von hinten in den Rasenden Falken hineinführte. Die horizontal in den Flügeln eingelassene Rotoren liefen im Leerlauf und verursachten Turbolenzen um das Schiff herum. Während die Mitglieder der Kommandoeinheiten in das Schiff und die Koje strömten, erhöhte sie behutsam die Drehzahl und lauschte den Gedanken der Menschen um das Schiff herum. Eindringlich hoffte sie, dass Parn und Torren gründlich bei der Entfernung der losen Gegenständen gewesen waren.

„Start!“, forderte Parn, als bis auf Allen der letzte der vorgesehen Passagiere eingestiegen war. Verzweifelt spürte sie Allens aussichtslosen Kampf um sein Leben und den Ansturm der von der Seuche betroffener Menschen auf ihr Schiff. Sie waren der Rampe schon sehr nahe, da verlangten beide Helfer nochmals lauthals die Flucht.

„Lügner!“, klagte Merle verzweifelt und ließ das Schiff abheben. Zwei der Diener schafften es auf die Rampe, doch sie wurden von der Fliehkraft wieder herunter geschleudert, als sie den Falken wendete. Torren arbeitete sich zum Kontrollkasten vor.

„Lasst die Rampe unten.“, gebot Merle ihm Einhalt. In fünfzehn Meter Höhe flog sie auf Allen zu und positionierte das Schiff über ihn.

„Fahrt ein Seil aus!“ Bis aufs äußerste gespannt lauschte sie Allens Aura, während ihre Ohren das Surren der Winde, die über dem Ende der Rampe im oberen Schiffsrumpf befestigt war, verstärkte. Für ein paar Augenblicke schlug ihr Herz angesichts seiner plötzlichen Zuversicht höher, verkrampfte sich dann aber, als sie seine Schmerzen spürte. Innerlich flehte sie, dass er durchhalten würde, bis der Haken am Seil den Boden berührt hat.
 

Im nächsten Moment riss ein scharfer Schmerz die Brust des Gezeichneten auf. Allens rechte Hand hatte aus der Rückenscheide seinen Dolch gezogen und ihn horizontal über den Oberkörper seines Peinigers gezogen. Der ließ ihn geschockt los, doch Allen ließ ihn keine Zeit sich aus der Panik zu lösen. So schnell er konnte stieß er in den Hals und zog den Dolch, begleitet von Blut,wieder heraus. Leblos sackte der Gezeichnete zu Boden.

„Man sollte sich seiner Sache nie zu sicher sein.“, riet Allen der Leiche, steckte den Dolch wieder ein und befreite eilig sein Schwert aus einem anderen Kadaver. Mit erhobener Klinge stellte er sich den Dienern. Zu seiner Überraschung achtete jedoch keiner mehr auf ihn. Ein Ausdruck purer Verwirrung zeigte sich in den Gesichtern der herrenlosen Sklaven. Allen erschlug jeden, der in seiner Reichweite war, ehe er sich nach der Quelle des zerrenden Windes umsah und den rasenden Falken erspähte.

Erleichterung macht sich in ihm breit, als er das Seil erkannte, das auf ihn zukam. Gerade wollte er es aus der Luft greifen, da glühte das Schwert plötzlich in seiner Hand. Laut aufschreiend ließ er es fallen und schüttelte mit verzerrten Gesicht die Hand. Der Haken schlug einen Meter neben ihn auf, gerade als Allen mit der anderen Hand vorsichtig nach der Klinge griff. Das Heft war wieder kalt. Ratlos steckte er es in die Scheide, langte nach dem Seil und wickelte es sich um seine Hände und Arme. Mit flauem Gefühl im Magen hob er ab und ließ sich nach oben ziehen. Zwei kräftige Burschen, die durch Seile, befestigt an einem Geschirr, gesichert waren, holten ihn hinein. Einer seiner Retter schlug gegen einen Knopf und die Rampe schloss sich hinter ihm. Der andere drängte ihn in die rechte Kabine, doch Allen wimmelte ihn ab und betrat stattdessen die Brücke.

„Du Arschloch!“, beschimpfte Merle ihn von ihrem Sitz aus. „Wenn ich wegen dir noch einmal einen Schwur brechen muss, schlitz ich dich persönlich auf!“

„Auch ich freue mich dich zu sehen, Merle.“, erwiderte Allen charmant und ließ sich erschöpft auf seinen Sitz fallen.

„Ich mein es ernst! Wäre ich nicht an den Kontrollen gefesselt, würde ich jetzt Gulasch aus dir machen!“

„Dann muss ich dir und den Kontrollen wohl danken.“, lobte er und schenkte ihr sein wärmstes Lächeln, während er sich anschnallte. „Für eine gelungene Rettungsaktion und das Vertrauen, dass ich es schaffen würde.“

Merles Wangen flammten auf und mit Gewalt richtete sie ihre Aufmerksamkeit auf den Horizont vor sich. Die Sonne regte sich und tauchte die Dächer in tiefes Rot. Der Augenblick hätte durchaus seine Schönheit gehabt, würde die Farbe nicht so sehr zu den Ereignissen dieses Morgens und der vergangenen Nacht passen.

„Gern geschehen.“, antwortete sie und steuerte das Schiff zum Treffpunkt der Flotte. Binnen weniger Minuten sahen sie die Ansammlung mehrerer Dutzend Luftschiffe, sechs davon waren Träger.

„Was meinst du Allen, wie viele haben wir hier?“, erkundigte sich Merle.

„Wenn die alle voller Überlebender sind, könnten es mehr als zehntausend sein. Allerdings bezweifle ich, dass auch nur die Hälfte von ihnen Passagiere aufnehmen konnte.“ Besorgt musterte er die junge Prinzessin. „Es war nicht genug Zeit.“

„Wir hätten schneller sein müssen.“, wimmerte sie und hielt mühsam ihre Tränen zurück.

„Woher willst du wissen, ob wir schneller hätten sein können?“, wandte er ein. „Denk nicht weiter drüber nach! Wir haben alles getan, was in unserer Macht stand.“

„Ich weiß!“, erwiderte Merle außer sich. „Es ist nur...Alles hier erinnert mich an...“

„Rasender Falke, bitte kommen!“, knarrte das Funkgerät.

Hastig schluckte sie ihren Kummer herunter und antwortete mit kontrollierter Stimme: „Hier ist der Rasende Falke. Wir hören.“

„Euer Hoheit, sie haben Landeerlaubnis für den größten unserer Träger. Dort können sie speisen, duschen und sich ausschlafen.“, bot der Sprecher an.

„Danke sehr, Kontrolle.“, akzeptierte Merle dankbar. Erst in diesem Moment, als das Adrenalin für einen Moment vollends abklang, wurde sie sich ihrer Müdigkeit bewusst. „Ich setzte zur Landung an.“



Fanfic-Anzeigeoptionen
Blättern mit der linken / rechten Pfeiltaste möglich
Kommentare zu diesem Kapitel (0)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.

Noch keine Kommentare



Zurück