Seelenfrost
Eine kalte Brise weht durch die Gänge, welche meine Seele darstellen.
Bilder hängen an der Wand. Oder vielmehr Portraits. Vergangener Liebschaften, Freundschaften, kurz: Hoffnungen.
Nur wenig Licht macht die Staubschicht auf den Möbeln erkennbar.
Es ist eine große Halle, mit wunderschön geschwungenen Pfeilern und hohen Decken.
Das Lachen, welches einst die Flure entlang schwebte, klingt noch immer in meinen Ohren.
Egal wie lange es her ist – Glück lässt sich nicht einfach auslöschen, es klammert sich hartnäckig an Sonnenuntergang, bekanntes Gesicht, auswendig gelernte Nummer. Der Glanz des Vergangenen hebt sich träge aber effektiv von der Verzweifelung des Jetzt ab.
Betrat man die kleine Seelenburg das erste Mal, vermochte die beinah romantische Trostlosigkeit durchaus in ihren Bann zu ziehen. Doch nach einer Weile wurde schnell klar, dass die karge Melancholie kein Akt des künstlerischen Leidens war, sondern eine reale Wunde am offenen Herzen. Das ‚verblüffend altertümlich’ wurde zu ‚marode heruntergekommen’ abgestempelt, aus ‚ruhig gelegen’ wurde ‚einsam’ und aus ‚wunderschöner Aussicht’ wurde ‚zugiges Fenster’.
Bis zu dem Verrat – welcher der Unzähligen das Ende letztendlich heranschaffte, ist nicht mehr bekannt – der die Mauern lockerte, die Riegel einklemmte und das Kaminfeuer stahl, war man hier gerne zu Gast gewesen. Jeder hatte hier seine warme Begrüßung bekommen und war eingelassen worden. Ein Verrat zu viel, ein Treuebruch zu viel, ein Betrug zu viel ließ die Fenster klappern. Ich konnte nicht mehr tun als zusehen, wie meine Hoffnungen in der Burg in Unruhe kamen.
Es ging schleichend. Kein Block brach auseinander, doch loser Mörtel und bröckelnder Putz wischten das angenehme Leuchten in den Augen meiner Besucher fort. Immer mehr Räume waren nur noch von den Geistern übertuchter Sitzgelegenheiten bevölkert.
Die wenigen Bekannten, die noch aus Pflichtgefühl kamen, vertrieb alsbald die Kälte der zugigen Hallen.
Ich sitze noch hier. Ich kann nicht fort. Ich kann nur stumm zusehen, wie die Neugierigen, die sich hierher verirren, zuerst angezogen durch die malerische Schönheit, wieder verschwinden, wenn sie feststellen, dass ihre kleine Kerze die hohen Gewölbe nicht erhellen kann.
Zuerst Kuschelstimmung schaffend, später nur noch schlecht für die Augen. Es hat wohl keiner in Physik aufgepasst. Viele kleine Leuchtquellen erzeugen auch ein starkes Licht.
Und so sitze ich hier und warte… Warte auf jemanden, der den Mut hat, eine verfallene Burg zu lieben und nicht davor zurückschreckt, das eine oder andere Streichholz zu verbrauchen.