Zum Inhalt der Seite

Killing Fields

von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

C2H50H

C2H50H
 

Das kalte Wasser prasselt auf seinen geschundenen Körper. Er ist erst 29 Jahre alt, aber zählt man nur die Narben zusammen, muss er mindestens Vierzig sein.

Tseng hat vor langer Zeit aufgehört, sie zu zählen. Und hat auch aufgehört, sich wieder und wieder die Fehler vor Augen zu führen, die ihm diese Narben eingebracht haben. Sie sind da. Gehören zu ihm. Erinnern ihn jeden Tag daran, was er ist. Schusswunden, Messerstiche – jeder Turk ist so gezeichnet.

Wasser rinnt über seine Unterarme. Über Überbleibsel verblichener Brandwunden. Zigaretten, die auf seiner Haut ausgedrückt wurden. Es braucht mehr, viel mehr als ein paar Zigaretten um einen Turk zum Reden zu bringen.

Ohne den Narben einen weiteren Blick zu widmen, greift Tseng nach dem Duschgel.
 

Die Tür zum Badezimmer ist offen. Von der Duschkabine aus kann er die Haustür seines Apartment sehen, den kleinen Wohnbereich. Ein Sofa, ein Couchtisch auf dem sein Laptop steht. Eine schmale, ordentlich geputzte Küchenzeile befinden sich ebenfalls in seinem Sichtfeld. Das Schlafzimmer kann er vom Bad nicht einsehen, doch um den Raum betreten zu können, muss man das minimalistisch eingerichtete Wohnzimmer durchqueren. Die Blickdichten Jalousien halten das Licht in den vier Wänden. Paranoia ist eine Berufskrankheit mit welcher er sich vor Jahren abgefunden hat.
 

Wie das Wasser plätschert auch Musik vor sich hin. Gerade laut genug um einen angenehmen Klangteppich über den Raum zu legen, das Rauschen des Wassers zu überdecken; leise genug um Schritte auf dem Flur zu hören.

Und das Schreien der Kinder neben an. Das streitende Ehepaar auf der anderen Seite des Gangs.

Geräusche, die ihm die Illusion einer Emotion geben, die er lange nicht gehabt hat. Das Gefühl, zu Hause zu sein.

Sicher, jemand mit seinem Gehaltsscheck könnte sich überall in Edge eine Wohnung leisten, vielleicht auch ein kleines Ferienhaus an der Costa del Sol.

Aber wann nimmt er sich schon mal Urlaub?

Und warum sollte er in einem der Luxusviertel der Stadt wohnen?

Hier in diesem grauen Block, den die WRO nach Meteor hochgezogen hat, ist er ein Gesicht unter vielen. Geht in der Anonymität der Masse unter. Niemand fragt, womit er sein Geld verdient. Er zahlt pünktlich die Miete, sortiert seinen Müll, hilft der alten Dame, die für die Hausverwaltung verantwortlich ist.

Little Wutai nennen sie dieses Viertel, und wie früher, wie damals, als noch die Platte über die Sektoren gezogen war, sammeln sich hier die Arbeiter; die Besitzer der kleinen Imbissläden; die Männer und Frauen, die nachts hinter den Kassen der 24/7 Supermärkte stehen. Menschen, die vor Jahren vor einem Krieg geflüchtet sind. Menschen, die wie er auf der Seite der Gewinner standen.

Nach Meteor sind es noch mehr geworden. Edge braucht billige Arbeitskräfte.

Er mag das Viertel. Niemand sieht ihn hier seltsam an, wenn er nach einem langen Tag im Büro seine Wohnungstür aufschließt. Niemand denkt sich etwas dabei, wenn er mitten in der Nacht verschwindet.

Es ist die beste Tarnung für einen Wutainesischen Profikiller, der auf ShinRas Lohnliste steht.
 

Ein letztes Mal dreht er den Wasserhahn komplett nach rechts, wäscht den Schaum unter dem eiskalten Strahl aus seinen Haaren.

Die Kopfschmerzen bleiben.

Pochend, ein dumpfes Dröhnen, das sich auch nicht mit den Schmerzmitteln bekämpfen lässt, von denen er schon zu viele geschluckt hat. Pillen, die seine Gedanken in Watte hüllen. Die jede Bewegung zähflüssig, träge werden lassen.

Pillen, die ihm die Ärzte seit Jahren verschreiben. Medikamente, die er seit Jahren nicht nimmt.

Nur in Nächten wie diesen, wenn er sich den Luxus des Nicht-denken-müssen erlauben will. Dann drückt er zu viele der weißen, rosa und blauen Tabletten aus den Blistern, und gießt ein Cocktail-Glas bis zur Oberkante mit Wodka voll.
 

Die letzten Wassertropfen verschwinden gurgelnd im Abfluss. Tseng greift sich ein Handtuch, wickelt es um die schmalen Hüften und geht langsam zum Sofa. Bevor er sich auf die weiße Sitzfläche fallen lässt, wird das Glas noch einmal aufgefüllt. Die Flasche ist inzwischen fast leer.

Die Lampen hat er ausgestellt, alleine durch die Spalten der Jalousien fallen schmale Streifen künstlichen Lichts in den Raum.

Draußen, vor dem Fenster, leben die Menschen. Ausgeschlossen aus seiner Welt. Noch mehr Motten. Die ihre Kreise um die Häuser ziehen, angezogen von den schillernden Leuchtreklamen der Clubs und Bars. Es ist die Suche nach etwas exotischem, das sie hier her treibt. Raus aus ihrem Mittelstands-Leben an einen Ort, der mitten in Edge liegt und doch vollkommen fremd für sie ist. In den meisten Clubs können sie nicht einmal die Getränkekarte lesen.

Und Morgen werden sie wieder von den Wuzzies sprechen, die ihnen die Arbeitsplätze weg nehmen. Arbeit, die eh keiner dieser Menschen machen will.

Kurz huscht ein bitteres Lächeln über Tsengs Züge. Auch er hat nie die Drecksarbeit machen müssen, die den meisten Immigranten immerhin ein warmes Essen am Tag garantiert. Für ihn gab es seit Jahren keinen Hunger mehr.

Er starrt auf die dünne Rauchsäule seiner Zigarette, die langsam in der stickigen Luft emporsteigt. Schluckt eine der weißen Pillen, spült sie mit Wodka herunter.

Auf der anderen Seite der Tür streitet sich das Pärchen immer noch. Ein Wortgefecht, geführt in einer Sprache, die er lange nicht mehr gesprochen und dennoch immer verstanden hat. Jede einzelne Silbe.

Eine Sprache, die Erinnerung weckt.

An das Rauschen von Meer. An das Grün von Reisefeldern. An rote Pagodendächer.

Erinnerung, die er nicht mehr haben will; die doch ständig wiederkommen. Er kann mit ihnen so sicher rechnen, wie mit den Kopfschmerzen, die nachher das Aufstehen erschweren werden.
 

Der Wodka brennt in der Kehle. Billiger Fusel. Er gibt für geplante Abstürze wie diese nicht unnötig viel Geld aus.Der Alkohol gleitet in den Magen. Brennt dort weiter.

Tseng sieht an sich herab. Im diffusen Zwielicht seines kleinen Apartment schimmert die Narbe, welche sich quer über seinen Unterbauch zieht, weiß. Aufgerissenes Gewebe knapp unter seinem Bauchnabel. Auf seinem Rücken - etwas schmaler - die Austrittswunde. Niemand überlebt so einen Angriff.

Auch er nicht.

Sie haben ihn zurück geholt.
 

Und herum schwirrende Gedanken werden mit einem weiteren Schluck Wodka beruhigt.
 

Er weiß, wie sich der Tod anfühlt.

Es hindert ihn nicht daran, seinen Job zu machen. Der Tod trifft jeden irgendwann. Manche sterben alt und senil im Bett. Andere verrecken an einer Kugel im Kopf. Oder an einem Schwert, das in den Eingeweiden steckt.

Noch mehr Wodka, noch eine Pille. Die Kopfschmerzen lassen die Musik unangenehm laut dröhnen, das Geschrei auf dem Flur wird zu einem hohlen Echo.

Schlaf - würde es sich nicht jede Nacht einem weiteren Tod gleichkommen, würde er jetzt so gerne schlafen.

Seit dem Tag im Tempel, seit dem Moment in welchem Sephiroth das Masamune in ihn gerammt hat, kann er nicht mehr ruhig schlafen. Die Albträume kommen jede Nacht.

Kein schlechtes Gewissen, kein Bereuen. Nur der eigene Tod, der ihn immer wieder einholt.
 

Tseng starrt in den letzten klaren Rest Flüssigkeit, der sich in dem Glas befindet. Es ist eine dieser Nächte, in denen auch der Alkohol keine kurzfristige Flucht ermöglicht. Wodka und Pillen - sie lassen die Gedanken tanzen, zerren an die Oberfläche was er tief in sich begraben hat.
 

Klug wäre es jetzt, das Glas weg zu stellen. Klug wäre es, sich zum Schlaf zu zwingen. Manchmal gelingt es selbst Tseng die Ratio zum Schweigen zu bringen. Stattdessen füllt er das Glas ein weiteres Mal auf.
 

Dunkle, graue Augen. Er sieht sie vor sich. Den letzten Blick, bevor er den Finger krümmt, den Abzug der Pistole durchzieht. Sie hat ihn erkannt. Seinen Namen geflüstert, bevor die Kugel in ihren Kopf schlug.

Das Blut auf seinen Anzug spritzte.
 

Der Anzug.

Tseng zieht sich mühsam hoch. Zwingt sich zum Aufstehen. Greift die Plastiktüte, die er aus seinem Auto mitgenommen hat und geht wieder in das Badezimmer.

Er muss nicht auf seine Finger achten, muss sich nicht auf das konzentrieren, was seine Hände tun. Eiskaltes Wasser läuft über sie. Viel zu oft schon haben sie Blut aus dem Stoff gewaschen.

Er merkt nicht einmal, das er nicht das Licht eingeschaltet hat. Das es nur violette und grüne Fetzen der Leuchtreklamen sind, die in schmalen Streifen in den kleinen Raum dringen, die mit den Schatten spielen.

Und in den Schatten sieht er in sein eigenes Spiegelbild.

Graue Augen sehen ihn an, mustern kalt die Reflektion auf dem poliertem Glas. Nüchtern wird das verwertet, was diese Augen sehen: Ein eingefallenes Gesicht; wutainesische Züge; ein Bindi auf der Stirn; nasse schwarze Haare die wieder viel zu lang sind.

Sein Gesicht. Irgendein Gesicht.
 

Sie hatte die selbe Form der Wangenknochen. Die selbe Augenfarbe.
 

Er beugt sich vor. Der Brechreiz kommt so plötzlich wie die Erinnerung an ein Lachen, an eine lispelnde Stimme, die ihn bittet, ihr doch den kaputten Reifen des Fahrrads zu reparieren.

Es ist nicht mehr der panische, erkennende Blick, den er vor Augen hat. Der Moment des Todes wird überlagert von einem anderen Ausdruck, einer anderen Emotion.

Er hat sie mit kleinen Dingen wie einem selbst gebasteltem Windrad zum Lachen bringen können.
 

Und wieder rauscht Wasser. Tseng versucht den letzten bitteren Geschmack der Galle aus seinem Mund zu spülen.

Es war ein Job. Nur ein Job wie jeder andere. Worte, die er einem Mantra gleich herunter betet. Sie seinem Spiegelbild entgegen wirft. Eine weitere Erinnerung. Nichts mehr.
 

Seine sehnige Hand streicht die schwarzen Strähnen aus dem Gesicht. Die inzwischen fast trocken sind.

Er war viel zu lange im Badezimmer.

Und der Anzug muss nun wirklich in die Reinigung. Es ist nicht mehr alleine das Blut, das sich in den Stoff gesaugt hat.

Angewidert kräuselt sich Tsengs Nase, als er zu bewusst den Gestank des Erbrochenen wahr nimmt.

Aus dem Schrank unter dem Waschbecken zerrt er einen neutralen Plastikbeutel und stopft routiniert Jackett und Hose hinein.

Der alte Mann, dem die kleine Reinigung im selben Apartmentblock gehört, hat noch nie irgendwelche Fragen gestellt, wenn Tseng ihm einen dieser Beutel übergab. Er wird auch morgen früh nicht fragen. Und sich über die enorme Summe Trinkgeld freuen, die Tseng jedes Mal hinterlässt.
 

Es hilft Tseng, sich auf die Belanglosigkeiten des Alltags zu konzentrieren. Alles andere wird in weiche Watte gedrückt, die sich in seinem Kopf verteilt hat. Routine erinnert ihn daran, wie es sich anfühlt zu leben. Deshalb braucht er sie. Dringend. Damit er nicht

Er ist betrunken. Ihm ist schlecht. Die Narben schmerzen. Jede einzelne. Und für einen Moment überlegt er, ob er sich nicht einfach für ein paar Minuten in seinem Elend suhlen sollte.

Eine Überlegung, die schon nach wenigen Sekunden verworfen wird. Es gibt besseres, was er mit seiner Zeit anfangen kann.
 

Ein weiteres Mal sitzt er auf seinem Sofa. Vor ihm schaltet der Laptop sich surrend ein.

Tsengs Finger huschen schnell über die Tastatur. Geben Passwörter ein. Er hat den kompletten Zugriff auf ShinRas System. Immer noch. Die Abfragen der Sicherheitsstufen ziehen nur ein zynisches Grinsen auf seine Lippen.

Und wieder ist sie da. Die Zeiteinteilung. Vor und Nach Meteor. Vor Meteor hätte sich niemand gefragt, weshalb ausgerechnet er die Daten abruft, die nun über den Bildschirm flackern. Nach Meteor bewegt er sich auf einem Gebiet, in dem er eigentlich nichts mehr verloren hat. Verloren haben dürfte, hätten ein paar SysAdmins ihren Job gemacht.

Aber genau wie ShinRa erstickt auch die WRO in zu viel Bürokratie. Und jeder Turk lernt, diese Lücken aus zu nutzen.
 

Man hinterfragt keine Aufträge. Tseng hat sich immer an diese Regel gehalten. Keine Fragen, keine Antworten. Doch diese Nacht ist es anders. Aufträge haben nicht persönlich zu sein. Entweder war es ein Fehler im System, oder ...

An dieser Stelle will der Turk nicht weiter denken. Dieses simple oder macht alles komplizierter.

Sein Blick verschwimmt, nur schwer kann er ihn auf das fokussieren, was da vor ihm auf dem PC-Bildschirm flackert.

Namen, eine endlose Liste von Namen. Die Posten innerhalb ShinRas und der WRO zugeordnet sind.

Vermutlich liegt es am Wodka, dass Tseng gerade keinen Sinn hinter den Listen entdecken kann, die er sich auf seinen Laptop herunter lädt.

Er weiß nur, dass es eine Querverbindung gibt. Etwas, das mit den Namen, den nackten Statistiken zusammen hängt.

Das Glas wird noch einmal bis an den Rand mit klarer Flüssigkeit gefüllt. Und sich die Schläfen massierend, versucht Tseng eine Bedeutung in den Namen zu finden. Versucht den Zusammenhang zu sehen.

Er resigniert seufzend. Alkohol und Medikamente fordern ihren Tribut.
 

Von draußen dringen lachende Stimmen herein. Menschen, die ein Leben haben, flanieren unten auf der Straße. Es ist Freitag Nacht. Es gibt mehr als nur Arbeit und Alltag.

Tseng schreckt auf, als er das Klirren von splitterndem Glas hört - wahrscheinlich nur eine leere Bierflasche, fallen gelassen von einem Betrunkenen.

Die laute Stimme, die er dann hört, korrigiert den Gedanken.

"Ey Alta, was machst mich so an."

Die Flasche wurde eher an der nächsten Wand zerschlagen. Die scharfen Kanten des Hals sind eine perfekte Waffe – kann man damit umgehen.

Der Turk lauscht dem Gespräch, obwohl er schon jetzt sagen kann, wie es enden wird.

"Ich ... ich habe doch gar nichts gemacht." Der zweite Sprecher ist sehr wahrscheinlich ein gut trainierter junger Mann, von Beruf Sohn. Einer der vielen Menschen, die hier im Ghetto ihre gesunde Dosis Nervenkitzel suchen.

„Was has'e nich' gemacht?“ Die Bierflasche wird locker in der rechten Hand gehalten werden, die Finger der linken haben sich in der Gürtelschlaufe verhakt. Tseng muss nicht Zeuge der Szene sein, um sich den weiteren Verlauf aus zu malen.

Die Überlegung Aufzustehen und dem Schauspiel ein Ende zu bereiten, huscht kurz durch seine vernebelten Gedanken. Doch es ist nicht seine Schicht. Er hat an diesem Abend frei.

„Hey, weißt du nicht wer ich bin?“ will der junge Mann wissen.
 

„Fehler.“ kommentiert Tseng im Stillen diese Frage. Aber woher soll ein Fremder auch wissen, dass Reno Namen und Gesichter egal sind. Knochen kann er jedem brechen. Ohne sich darum zu kümmern, ob sein Opfer ein Penner oder ein reicher Sohn ist.
 

Eine weibliche Stimme mischt sich ein. „Lass es. Keinen Ärger.“ Ihr Tonfall verrät, dass sie die Freundin des Jungen ist. Und Tseng, der inzwischen fast amüsiert lauscht, hört wie sie leise hinter her setzt: „Das ist einer von den ShinRa-Freaks.“
 

„Nächster Fehler.“ murmelt Tseng. Die Antwort, mit der er eigentlich nicht gerechnet hat, ist ein Maunzen. Und neben dem Turk springt ein schwarzer Kater auf das Sofa. Er hat sich den Moment ausgesucht, in welchem sein Futterspender wieder etwas zugänglicher wird. Reibt seinen Kopf an dem nackten Arm und schnurrt zufrieden, als eine Hand sich kraulend hinter seine Ohren schiebt.
 

„Freak? Wer is'n hier der Freak?“ fragt Reno draußen lauernd. Mensch und Tier in der Wohnung legen den Kopf schief. Alarmiert durch den Tonfall.

Der Second in Command ist frustriert. Will diesen Frust abbauen. Das macht ihn berechenbar. Jedenfalls für Tseng. Er sieht zu dem Wodkaglass, leert es in einem Zug und schüttet wieder jeden besseren Wissens Alkohol nach.
 

„Hey, ganz ruhig. Keiner will hier Stress.“ versucht die junge Frau vor dem Fenster zu vermitteln.

Ihr Begleiter hält dagegen: „Ich lass mich doch nicht von so einem Punk anmach...“ Mitten im Wort bricht er ab, es folgt das Geräusch eines dumpfen Schlags. Dann ein spitzer Schrei.

„Idiot! Warum vor meiner Haustür?“ Der schwere Kopf wird auf die Rückenlehne des Sofas gestützt. Der Chef des Departements ist weder wütend noch überrascht über diesen Ausbruch plötzlicher Gewalt. Das einzige Problem das er momentan sieht, besteht darin, dass einer von ihnen morgen einen Bericht schreiben darf.
 

Unten auf der Straße, direkt vor der Haustür, versammelt sich eine Menschenmenge. Niemand wagt es, den jungen Mann im zerknittertem Anzug von seinem Opfer fort zu ziehen. Der Andere am Boden muss sich irgendetwas zu schulden kommen lassen, sonst würde ein Turk nicht auf ihn los gehen - gerade die Kinder der Highsociety leben glücklich in ihrer ignoranten Seifenblase.

Als dann jedoch Reno das zweite, dritte Mal nach tritt, zerplatzt die Blase. Kommt Bewegung in die Masse der Schaulustigen. Niemand möchte als nächstes die Aufmerksamkeit des Turks auf sich ziehen.
 

„Gibt nichts zum glotzen. Verpisst euch!“ ruft Reno laut den letzten Schaulustigen zu Er wird jetzt eine Zigarette rauchen, warten bis niemand mehr darauf achtet, welches Haus er betritt.

Und nicht einen Finger rühren, um dem Mann zu helfen, den er gerade zusammen geschlagen hat.

„Mein Vater meldet sich morgen!“ schluchzt die junge Frau, gut hörbar für Tseng. „Der ist Rechtsanwalt. Und mit Rufus Shinra befreundet.“

„Schön für dein' Paps.“ Der Turk ist von dieser Eröffnung alles andere als beeindruckt.
 

Berichte...

Tseng seufzt. Sollte es stimmen, was die Frau sagt, wartet morgen zusätzliche Papierarbeit auf ihn. Er steht auf, und greift sich ein frisches Hemd und eine Anzughose aus dem Kleiderschrank. Er besitzt nur diese schwarzen Hosen. Davon gleich zehn Stück.

Die rauen Finger knöpfen gerade den Kragen zu, als sich ein Schlüssel kratzend in der Haustür dreht.
 

Reno hat die Zigarette noch nicht ganz auf geraucht, sie baumelt von seinen Lippen und Asche fällt auf den Fußboden. Es wird im Schlafzimmer aus den Augenwinkeln bemerkt und mit einem scharfen Zischen kommentiert.

„Ich weiß, ich weiß ... Aschenbecher inner Küche.“ Reno zuckt mit den Schultern, geht in die schmale Küchennische und holt ohne Zögern einen sauberen Aschenbecher aus einem Wandschrank. Begleitet von einem gezischten: „Arschloch!“

Wen er meint, wird nicht weiter erläutert. Es kann der Junge sein, den er gerade zusammengetreten hat. Er kann aber auch den Mann meinen, der sich in den Durchgang zwischen Schlaf- und Wohnzimmer lehnt.

„Biste High?“ Reno stützt den schlaksigen Körper gegen den Küchentresen. Wirft einen Blick auf den Tisch vor dem Sofa, bevor er Tseng prüfend mustert.

„Warum bist du hier?“ stellt dieser sofort die Gegenfrage, und umgeht so die Antwort.

„Weil's dir scheiße geht, du besoffen und high auf den abgefuckten Pillen bist.“ Die Zigarettenschachtel wird aus der Hosentasche gezogen, Tseng zugeworfen. Er fängt sie unsicherer als üblich.

„Du bist high.“ Reno löst sich von dem Tresen, schlendert mit dem Aschenbecher in der Hand langsam in das Wohnzimmer. „Die erste Flasche?“ Mit einer beiläufigen Bewegung deutet er auf den fast leeren Wodka.

„Was interessiert es dich?“ Tseng hört den defensiven Klang der eigenen Stimme, die verschleppten Vokale. „Ich habe gesagt, wir sehen uns morgen.“

„Tseng Tseng.“ Reno hebt einen der Pillenblister vom Tisch hoch, liest den Aufdruck „Es ist morgen.“ Mit einem Nicken über die Schulter weist er den Blick des anderen Turks zur Digitaluhr neben der Kaffeemaschine. Sie springt genau in diesem Moment auf 3 Uhr. „Wodka un' die Schmerzmittel. Du willst es echt wissen, oder?“

Sind sie alleine, macht Reno sich keine Mühe betont unkoordiniert zu wirken.

Tseng weiß sowieso, das es nur ein Trick ist, auf den jeder erstaunlicher weise herein fällt. Und er ist wirklich high, kann dem schnelleren Mann nicht ausweichen, als dieser in einem langen Schritt bei ihm ist.

Renos Hände schließen sich fest um die schmalen Schultern des zierlicheren Turks.

„Ich dachte, wir hätten 'nen Deal, Tseng Tseng? Du erinnerst dich? So'n Schwachsinn wie Laut geben, wenn's einem Scheiße geht.“

Der Griff gibt Tseng keine Möglichkeit zur Flucht. Ein trockenes, zynisches Lachen frisst sich aus seiner Kehle. „Als nächstes kommst du mit Haus und Hund?“

„Kein Hund. Die Katze haben wir ja schon.“ ist Renos trockene Antwort.

Bastard, der schwarze Kater, faucht.

Von 9 bis 5 Uhr ist Reno der zweite Mann in der Kommandoliste der Turks.

Und die restliche Zeit?
 

Erinnern sich beide Männer daran, was es heißt zu leben.
 

Tseng schmeckt Zigaretten, Kaffee, Bier.

Der andere hat den effektivsten Weg gewählt, sich weitere zynische Kommentare zu ersparen.

Gierige, bittere Küsse.

Er ist wirklich high, betrunken. Sein Körper reagiert verzögert. Aber es reicht. Reicht immer, wenn Reno ihn aus dem Hemd schält, die Hose herunter zerrt.

Sie schaffen es gerade bis zum Sofa. Noch einmal klirrt Glas. Dieses Mal ist es die Wodka-Flasche, die vom Tisch fällt.

Ihr letzter Inhalt verteilt sich über das Laminat.

Und in diesem Moment stört es Tseng nicht.
 

Eine Stunde später rauscht wieder Wasser in der Dusche. Wieder wurde es auf kalt gestellt. Die Benommenheit ist einer fast angenehmen Erschöpfung gewichen.

Mit einem kurzen Blich an seinem Körper herab, versichert Tseng sich, das verdächtige 'Reviermarkierungen' unter der Kleidung versteckt werden können. Reno kann es einfach nicht lassen, seine Besitzansprüche zu verdeutlichen.

Egal wie sehr Tseng sich dagegen wehrt. Irgendwann ist es auch ihm immer gleichgültig.

Ist es eine Beziehung? Tseng sieht durch den Wasserstrahl, durch das milchige Glas der Duschkabine zum Waschbecken. Zwei Zahnbürsten liegen auf der Ablage.

Wie definiert sich Beziehung? Die nächste Frage auf welche Tseng keine wirkliche Antwort geben kann.

Er ist der Boss, über den Reno sich regelmäßig bei Rude aufregt.

Er ist der Mann, dem Reno die Ersatzschlüssel seiner Wohnung in die Hand gedrückt hat.
 

Bevor Tseng eine Antwort finden kann, die ansatzweise befriedigend wäre, lenkt ihn ein lautes „Fuck!“ ab, das deutlich aus dem Wohnzimmer zu hören ist. Danach ein scharfer Pfiff.

„Was?“ ruft Tseng durch die geöffnete Badezimmertür.

Ein Schatten bewegt sich schnell, bleibt im Türrahmen stehen.

„Dein Job heut'.“ Reno schiebt sich die Zigarette, die gerade noch hinter seinem Ohr klemmte, zwischen die Lippen, nuschelt: „Hab g'rad aufgeräumt und dabei auf deinen Rechner geguckt. Sorry, man.“ Das Feuerzeug flammt auf, während er auf Tsengs Wutausbruch wartet.

Der ausbleibt.

Das kalte, neutrale „Ja?“, welches ausgesprochen wird, während Tseng das Wasser ausstellt, ist viel demoralisierender.

„Eh, Tseng ... ich weiß du checkst sonst nie die Gründe für die Order. Und wer wen warum fickt. Außer es is' wichtig.“ Reno verheddert sich in Erklärungen, muss selbst erst verdauen, was er gerade zufällig heraus gefunden hat.
 

Tseng greift ruhig nach dem Handtuch, steigt aus der Dusche und mustert Reno.

Stehen sie sich so dicht gegenüber, muss er den Kopf heben um direkt in die türkisfarbenen Augen blicken zu können. „Reno, komme zu dem Punkt, den du machen willst.“ Auch Tseng verklausuliert sich. Spricht jedes Wort betont sorgfältig aus. Er kennt die Antwort des anderen bereits. Aber bis jetzt hat keiner sie ausgesprochen.

„Ich dacht' deine Schwester is' tot.“ murmelt Reno leise und zieht hektisch an seiner Zigarette.

„Dachte ich auch.“ Tseng trocknet sich ab, schmeißt dann das Handtuch in den Wäschekorb. Er streckt die Hand aus und nimmt Reno die Zigarette ab.

Der Rauch wird tief in seine Lunge inhaliert, bevor er ihn in mehreren perfekten Ringen wieder über die Lippen entweichen lässt. Die Antwort so noch ein paar Sekunden heraus zögert. Spricht er es aus, gibt er es zu. Ist es final.

„Jetzt weiß ich es.“ stellt Tseng schließlich fest, reicht Reno die Zigarette zurück. „Sie ist wirklich tot.“
 

Das letzte, was die junge Wutainesin in ihrem Leben sagen konnte, bevor er ihr die Kugel in den Kopf jagte, war ein Wort. Ein Name.

Tseng.



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (4)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  Noctifer
2008-06-17T13:32:08+00:00 17.06.2008 15:32
Wie bitter.
Ich kann gar nicht viel dazu schreiben, außer, dass ich hoffe, dass das nicht das Ende der Geschichte war.
Gibt es hier eine Updatebenachrichtigung? Wenn nicht, wäre ich dir dankbar, wenn du mich über Updates auf den neuesten Stand halten würdest.
Zur Geschichte selbst: Wow. Einmal der "Auftrag", dann Elena, die für mich eigentlich bisher nur immer nebensächlich war und durch ein paar knapper Worte von dir einen richtigen "Charakter" entwickelt hat, über Rufus, der wohl kälter als Eis zu sein scheint, bis hin zu Reno, der Tseng quasi "auffängt".
Und, natürlich, Tsengs Schwester.
Bitter... Traurig... Und sicher nicht ohne Konsequenzen.
Von:  Loptr
2008-06-06T13:15:33+00:00 06.06.2008 15:15
Übel ist gar kein Ausdruck
Armer Tseng, dass muss hart sein, aber er hat ne kalte Schnauze wies scheint...
Was soll ich nur sagen, ich liebe deinen Stil und das weißt du! Ich verschlinge deine Kapitel und wenn ich eine Zeile gelesen habe, lese ich das gesamte FF. Ich kann einfach nicht mehr aufhören zu lesen. Meistens hab ich I-net in der Arbeit und dann steh ich an der Rezeption und schmachte dahin, wenn ich sehe, dass du irgendwo weitergeschrieben hast.
Vielleicht magst mir auch manchmal bescheid geben, wenn wieder was neues on ist... Dann kriegste wieder ein Kommi.

Ich weiß net ob ich das schon mal geschrieben habe, aber du könntest ein Buch über Nanotechnologie schreiben (von dem ich absolut nichts verstehe) und ich würd es kaufen und lesen, wenn du es so schreibst, wie deine FF auf jeden fall.

So viel dazu...
Dein treu ergebener Fan
Angeal
Von: abgemeldet
2008-05-29T13:12:32+00:00 29.05.2008 15:12
was ist eigentlich C2H5OH ?
Von: abgemeldet
2008-05-29T13:12:03+00:00 29.05.2008 15:12
Übel,übel, übel aber geil...
du schreibst wirklich sehr schön, und ich finde du hast die Charas echt getroffen.
Man, Reno ist meiner Meinung nach kein Idiot... da finde ich deine erklärung viel besser...
mach schnell weiter
ich warte jetzt schon sehnsüchtig...
bye Nawa


Zurück