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Killing Fields

von

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Ambivalenz

Ambivalenz
 

Sie sitzen in Tsengs Auto, nippen beide gleichzeitig an lauwarmen Kaffee, den sie sich erst vor ein paar Minuten geholt haben. Dicke Regentropfen schlagen auf die Frontscheibe des Wagens.

Ein Feuerzeug flammt auf.

„Du rauchst zu viel.“ stellt Elena nüchtern fest. „Wann hast du wieder angefangen?“

„Nach der Sache im Krater.“ antwortet Tseng und zündet die Zigarette an. Die 'Sache im Krater' wird zwischen ihnen nicht diskutiert. Sie waren beide dort. Haben beide Dinge gesehen, über die sie nicht sprechen wollen. Auch nicht miteinander.

„Immer noch Schlafstörungen?“ fragt Elena schließlich, überbrückt so das seltsame Schweigen dass sich zwischen ihnen ausgebreitet hat.

Tseng nickt langsam. „Und du?“

„Frag Rude. Habe ihn letztens beinahe aus Versehen kastriert, als ich aus einem Albtraum hoch gefahren bin.“ Sie kichert. Ein Laut nahe am Rande der Hysterie.

„Ich lasse es besser mit dem Fragen.“ Tseng seufzt leise und sieht aus dem Autofenster auf die gegenüberliegende Straßenseite. Der Grund für die ungeplante Pause steht dort. Ein Wagen mit WRO-Kennzeichen. Direkt vor dem Eingang des schäbigen Hotels, dessen Adresse Elena heraus gefunden hat.

Aber kurz ist er mit den Gedanken ganz woanders. Wieder in einem Krater. Und wieder frisst sich kalte Angst durch seine Adern.

„Themawechsel.“ holt Elena ihn gerade rechtzeitig zurück. „Hast du inzwischen einen Plan?“

Noch sind sich die beiden Turks nicht einig, wie sie weiter vorgehen sollen.

Würden sie jetzt das Hotel betreten, käme selbst die Innenrevison der WRO auf die Verbindung zum Ho-Fall.

Tseng seufzt leise. „Frage in zwei Minuten noch einmal.“

„Sie haben gute Leute.“ grummelt seine Partnerin, nippt an ihrem Kaffee und greift nach der Zigarettenschachtel. Ihre Nasenspitze kräuselt sich, als die inzwischen kalte Flüssigkeit ihre Kehle herab rinnt.

„Ich weiß.“ antwortet Tseng ruhig und ignoriert den angewiderten Gesichtsausdruck.

Neben ihm schnaubt Elena ein weiteres Mal.

Es sind unausgesprochene Zwischentöne, die in dem begrenzten Raum des Wageninnern hängen. Beide teilen sie die Bedenken, dass ihnen wichtige Hinweise direkt vor der Nase weg geschnappt werden.

Elenas schlanke Hand streckt sich nach dem Feuerzeug. Noch trägt sie keine Handschuhe, noch kann Tseng den Dreck unter ihren Fingernägeln sehen.

Es waren einmal die Hände einer jungen Frau, die sich perfekt in die Gesellschaft oberhalb der Platte eingefügt hätte.

Jetzt sind es die Hände einer Turk. Rau, vernarbt.

Sie bemerkt seinen Blick. Wirft ihm ein warmes, fast schüchternes Lächeln zu. „Du bist schuld.“

Er weiß, was sie meint und auch die eigenen Mundwinkel zucken kurz. „Daran habe ich mich gewöhnt.“

Sie ziehen beide an den Zigaretten, saugen gierig den beißenden Rauch in die Lungen.
 

Es ist tatsächlich Tsengs Schuld, dass Elena nur noch selten Gedanken an Schuhe verschwendet, oder an teure Kleider. Sie hat viel zu viel Zeit mit ihm verbracht.

Wartend in Autos; herumstehend auf langweiligen Empfängen.

Aus dem kleinen pummeligen Mädchen mit Zöpfen ist längst eine Frau geworden, die sich nicht mehr am Ideal ihrer Schwester misst.

Elena ist sich sicher, wer sie selbst ist und was sie kann. Genauso wie sie ihre Grenzen kennt.

Darum beneidet Tseng sie immer wieder.
 

„Und jetzt?“ Die zwei Minuten sind verstrichen. Elena pustet einen Rauchring über ihre Lippen.

Tsengs Grinsen wird breiter. „Improvisieren wir.“

Lachend verschluckt Elena sich an dem Qualm. „Und der Moment, in dem ich Panik bekomme, ist da.“

Er klopft ihr auf den Rücken und holt sein PHS aus der Jackett-Tasche.
 

Jede Welt hat ihre Regeln. Und auch Onkel Han muss sich diesen beugen. Es wird dem alten Mann nicht schmecken, dass er Tseng einige Gefallen schuldet für den Zwischenfall am Morgen.

Gefallen, die der Turk sich lieber für einen anderen Zeitpunkt aufgespart hätte.
 

Als er das Gespräch beendet hat, sieht er das zynische Grinsen seiner Partnerin aus den Augenwinkeln. Sie hat nicht alles verstanden; ihr Wutai ist dafür nicht gut genug. Das Wutai, welches inzwischen in den Schulen gelehrt wird. Was auch die kleine Göre spricht, die mit Strife und den anderen immer im 7th Heaven zu finden ist.

Aber es reicht, um Elena fest stellen zu lassen: „Interessante Form der Improvisation.“

Tseng zuckt mit seinen Schultern, steckt das PHS wieder in die Tasche.

Improvisation muss man als Turk beherrschen. Man muss sich an neue Situationen schnell und flexibel anpassen. Veld hat es ihm so beigebracht.
 

Sie warten. Trinken den letzten Rest kalten Kaffee, rauchen noch mehr Zigaretten.

Die Monotonie wird erst durchbrochen, als ein altes, rostiges Auto hinter dem WRO-Wagen parkt.

Fünf junge Männer steigen aus. In zu greller Kleidung, mit zu viel Schmuck behangen, die Augen hinter billigen Sonnenbrillen versteckt.

Elena beobachtet sie argwöhnisch, studiert ihren breiten Gang, das Gehabe mit dem sie den Bürgersteig zu ihrem Territorium erklären.

„Sie sind überall gleich.“ Erfolglos versucht sie die Haare hinter das Ohr zu streichen. „Es spielt keine Rolle ob es nun Sektor Sieben oder die Docks von Wutai sind.“

Tseng hat sich auf seinem Sitz zurück gelehnt, die Augen geschlossen und nickt wortlos.

Seine volle Konzentration kehrt erst in dem Moment zurück, in welchem er Elenas Hand auf seinem Arm spürt.

„Geht los.“ informiert sie ihn.

Er zieht sich auf dem Autositz wieder höher, sieht jetzt auch auf die andere Straßenseite.
 

Die WRO-Mitarbeiter haben das Hotel verlassen, wollen in ihren Wagen steigen.

Und werden von den Männern umringt.

Die beiden grauen Uniform-Träger wissen nicht, was hier geschieht. Wissen nicht, weshalb einer der Fremden sie plötzlich laut beleidigt.

Doch spüren sie, dass sie mit unerwarteten Problemen konfrontiert werden.

In dem Sportwagen können die Turks nicht hören, was gesprochen wird. Es ist auch irrelevant für sie. Was zählen wird, ist das Resultat.

Tseng beobachtet das Vorspiel. Beobachtet wie Worte immer gereizter gewechselt werden.

„Autsch, das war nicht nett.“ kommentiert Elena den ersten Schlag, der einen der WRO-Mitarbeiter direkt in den Unterleib trifft.

Tseng hebt nur eine Augenbraue. Sieht weiter unbeteiligt zu, wie ein anderer Wutainese zu tritt. Dann werden Messer gezogen.
 

Improvisation.
 

Zu wissen an welcher Stelle Fäden zu ziehen sind, ist ebenfalls Teil des Jobs.

Die beiden Turks können die Drecksarbeit nicht selbst erledigen. Nicht jetzt, nicht an diesem Ort. Sie haben jemanden gefunden, der es für sie übernimmt.

Den WRO-Mitarbeitern wird niemand helfen. Obwohl sie genau darum schreien, flehen. In diesem Viertel gilt Hans Wort vor dem der WRO.

Kein vorbeifahrendes Auto hält an, Passanten wechseln die Straßenseite, die Köpfe betreten gesenkt.
 

Tseng und Elena bleiben weiter unbeteiligte Zuschauer.
 

Sie warten, bis Blut den regennassen Asphalt rot färbt. Bis die geschundenen Körper die letzten Zuckungen der Nerven durchfahren haben.

Die fünf Männer sind schon längst wieder verschwunden.

„Tuesti wird tierisch angepisst sein.“ Elenas Feststellung ist genauso lakonisch wie Tsengs Antwort: „Interessiert es uns?“

Sie schüttelt den Kopf und versucht ein letztes Mal ihre Haare unter Kontrolle zu bekommen, bevor sie aus dem Auto steigt.
 

Mit schnellen Schritten überqueren die beiden Turks die Straße. Immer noch interessiert sich niemand für die toten WRO-Leute. Und es wird noch bewusster weg gesehen, als der Mann und die Frau im Anzug offen in Erscheinung treten.

Die meisten von ihnen verbinden irgendeine Erinnerung mit den Anzügen, egal ob sie nun schwarz oder blau sind.

Fast jeder weiß, dass ein einzelner Turk mehr Ärger bedeutet als Zehn von Hans Gangstern.

Manche Dinge ändern sich einfach nicht.

Nominell hat ShinRa keine Befugnis mehr, auf Edges Straßen als Sicherungsorgan aufzutreten. So wurde es auf dem Papier vereinbart.

In der Praxis haben die Menschen mehr Respekt, mehr Angst vor den Anzügen als vor grauen Uniformen.

WRO-Beamte schießen nicht, wird sich ihnen widersetzt.
 

Elena und Tseng tragen inzwischen beide ihre Handschuhe. Durchsuchen schnell und routiniert die leblosen Körper.

Tseng nimmt einen braunen Ordner an sich, der mit Blutspritzern überzogen ist. Elena die Kameras.

Danach werden die Mobiltelefone aus den Taschen gezogen, die SIM-Karten heraus genommen. Gespeicherte Nachrichten werden mit wenigen Tastenkombinationen auf die eigenen PHS' überspielt.

Und während der ganzen Leichenfledderei, die weniger als drei Minuten in Anspruch nimmt, wechseln die zwei Turks kein Wort.

Sie sind ein eingespieltes Team.

Das, was sie gesichert haben, bringt Elena schließlich zu Tsengs Auto. Verstaut es unter dem Beifahrersitz.
 

Als sie endlich das Foyer des Hotels betreten, empfängt sie kalte, abgestandene Luft. Tsengs Blick streift schnell über die abgewetzten Sessel, den klapprigen Tisch auf dem eine zerlesene Loveless-Ausgabe über Porno-Heften liegt. Vergilbte Braun-Töne dominieren und eine verkümmerte Pflanze lässt die ganze Szenerie noch trostloser wirken.

Zimmer werden hier meist nur stundenweise gemietet.

In einem kleinen, verqualmten Raum, gesichert durch eine Panzerglasscheibe, die den Raum vom Rest der Lobby trennt, sitzt ein alter Mann, der er so verbraucht ist wie die Möbel; so abgewetzt, wie der faserige Teppich, der die Schritte der Turks dämpft, die auf ihn zu gehen.

„In welchem Zimmer wohnte Mei-Li?“ Tseng hält sich nicht mit unnötigen Höflichkeiten auf. Doch der Alte sieht ihn nur fragend an. Er versteht den gängigen Dialekt Edges nicht. Oder will es nicht. Mit gereiztem Unterton, das Jackett etwas zur Seite schiebend und das Holster der Waffe freilegend, wiederholt Tseng seine Frage auf Wutai. Elena steht neben ihm. Lächelt zuckersüß und kratzt mit einem Wurfmesser den Dreck unter ihren Fingernägeln hervor.

„Nummer 52.“ antwortet der Alte hastig, nun begreifend, dass es für ihn besser ist, zu kooperieren. Elena ist schon an der Tür; bereit sie aufzutreten und den Käfig aus Glas zu betreten, der nur die Illusion von Schutz bietet.

„Schlüssel.“ fordert Tseng kühl.

Der Alte erhebt sich ächzend. Hinkt in einen schlecht ausgeleuchteten Teil seines Käfigs. Die Hände der Turks haben sich fest um ihre Waffen geschlossen.

Sie hören metallisches Klimpern, gefolgt von leisem Fluchen.

Endlich hat der Alte den Schlüssel gefunden, hinkt zurück und schiebt ihn durch einen schmalen Spalt im Glas Tseng zu.
 

Sie lassen den Mann hinter seinem Tresen stehen. Lassen ihn weiter abgegriffene Pornohefte durch blättern.

Er wird ihnen keine Schwierigkeiten machen.
 

Die Treppenstufen knarren, das Geländer wackelt unter Elenas prüfendem Griff. „Drecksladen.“ flucht sie leise hinter Tseng.

Das Zimmer, das sie ein paar Sekunden später betreten, entspricht genau dieser Aussage. Ein Bett, auf dem eine mit Flecken übersäte Decke liegt, daneben eine kleine wurmstichige Kommode, eine alte Lampe auf ihr. Ein blinder Spiegel über einem verdreckten Waschbecken in der linken Ecke des Raums, ein billiger Kunstdruck an der Wand.

Das Quietschen des Betts im Nebenzimmer ist deutlich zu hören. Begleitet vom rhythmischen Stöhnen.

„Gemütlich. Genau der Standard, den ShinRa uns üblicherweise gönnt.“ Elena hat in den Jahren viel dazu gelernt, nur Schweigen ist immer noch nicht ihre Stärke.

Tseng ist die Kommentare seiner Partnerin gewöhnt, beachtet sie nicht weiter. Er würde etwas vermissen, hätte er nicht ihre Stimme im Ohr.

Die Schublade der Kommode klemmt. Er muss mehr Kraft als geplant aufbringen, um sie öffnen zu können.

Ihr Inhalt wurde bereits gründlich durchsucht. Doch man braucht den Blick für Details um es zu bemerken.

Staub ist aufgewirbelt worden; der Inhalt liegt nicht mehr an der selben Stelle.

Auch wenn die WRO-Beamten sich tatsächlich Mühe gemacht haben, ihre Durchsuchung subtil zu halten.

In der Schublade, die sich endlich knarrend geöffnet hat, finden sich Fotos. Alte, verblichene Fotos, aufgenommen mit einer billigen Kamera.

Tseng zieht sie heraus, will schnell über sie fliegen und bleibt dann doch mit den Augen auf ihnen hängen. Auf jedem einzelnem Bild. Zu lange.

Elena bemerkt sein Zögern. Sieht die Überraschung in seinem Gesicht.

„Was?“ fragt sie und tritt mit einem lautlosem Schritt neben ihn.

Tseng ist zu geschockt, seine Reaktion verzögert sich. Kostbare Sekunden werden verschwendet. Zeit, die Elena genügt.

Sie sieht die Reisfelder. Sieht das kleine Mädchen mit den widerspenstigen Zöpfen, die von dem Jungen mit Zahnlücke auf den Schultern getragen wird. Sieht, wie die beiden in die Kamera lachen.

Und hebt nur eine Augenbraue. Sich nicht bewusst seiend, dass sie den Mann neben sich gerade perfekt imitiert. „Ich habe mir schon gedacht, dass du ein richtig süßes Kerlchen gewesen bist.“

Tseng bringt nur ein trockenes Schnauben über die Lippen, geht die Fotos weiter durch.

Noch mehr Familienbilder.

Er hat geglaubt, sie wären alle verbrannt. War sich sicher, das keine Dokumente mehr existierten. Bis jetzt.

Ein Mann, an dessen Gesicht er sich nur noch vage erinnert. Eine Frau, die zusammen mit dem Mädchen in die Kamera schaut. Es muss seine Mutter sein. Vielleicht auch eine Tante?

Dann Bilder von einem Strand. Er weiß, er hat an diesem Strand gespielt. Hat dort Schwimmen gelernt.

Tauchen.

Ein anderer Mann, der viel mehr Vater für ihn ist, als der Fremde auf den Fotos, hat sich sogar einmal zu einem Lob über seine Schwimmkünste herab gelassen – ein Gedanke, der kurz durch Tsengs Geist huscht. Eine unbewusste Schutzmaßnahme, die das Gehirn gnädigerweise kurz von dem ablenkt, was sonst noch auf dem Foto zu sehen ist, welches er gerade in den Händen hält.
 

Verrenkte Körper.

Blut.

Und zwischen all dem toten Fleisch eine zu vertraute Uniform. Schwarze Hose, schwarzer Pullover. Ein Schwert in der einen Hand. Ein abgeschlagener Kopf in der anderen. Und auf dem Gesicht des SOLDIERS ein irres Lächeln.
 

Elena zieht Tseng das Foto behutsam aus der Hand, nimmt es an sich.

Er lässt es zu.

Lässt es zu, dass sie die gesamten Fotos greift, in einen Umschlag steckt.

Ihm dann den Arm um die Hüfte legt und langsam aus dem Hotelzimmer dirigiert.
 

Der schwarze Wagen steht in irgendeiner Seitenstraße, irgendwo in Edge. Elena sitzt in ihm, telefoniert mit Rude.

Tseng hat die rechte Hand an die nächste graue Betonmauer gepresst, würgt die letzten Reste Kaffee und noch viel mehr Galle hoch.

Er kann sich nicht daran erinnern, wann er sich das letzte Mal innerhalb von 24 Stunden zwei Mal übergeben hat.

Selbst wenn er zu viel trinkt, hat er immer noch so viel Selbstkontrolle, den Brechreiz zurück zu drängen.

Elena ist er dankbar. Dafür, dass sie im Auto geblieben ist. Dafür, dass sie so ruhig wirkt. Nicht besorgt um ihn herum flattert. Es wäre das letzte was er in diesem Moment gebrauchen könnte.

Das einzige was sie tut, als er sich wieder auf den Fahrersitz schiebt, ist ihm schweigend eine Packung Kaugummi zu reichen.

Der Pfefferminz-Geschmack kommt kaum gegen die bitteren Magensäfte an.

„Was nun?“ fragt sie ihn schließlich, nachdem das Zittern abgeklungen ist, Tseng sich wieder unter Kontrolle hat.

„Die Daten auswerten.“ Er klingt so ruhig und beherrscht wie sie es von ihm gewohnt ist. „Dann mit Tuesti sprechen."

„Reeve Tuesti?“ Elena lässt fast ihre Zigarette fallen.

Tseng lehnt den Kopf zurück, seufzt leise. „Ist wohl nötig. Das Material kann ShinRa das Genick brechen, kommt es an die Öffentlichkeit.“ Er greift nach der Zigarettenschachtel und hofft, dass Elena die Unsicherheit in der Bewegung nicht bemerkt. Ihm entgeht dabei nicht das ungläubige Aufblitzen in den braunen Augen seiner Partnerin.

Und er kann es verstehen.

Sie ist ein Turk wie er, sie ist ShinRa gegenüber loyal. Aber sie hat ihre Grenzen.

Für sie, dass Mädchen, das über der Platte aufgewachsen ist, gibt es immer noch eine Familie jenseits des kleinen Kreises, jenseits der Turks. Eine Familie, mit der sie sich zwar zerstritten hat, die sie aber doch an den Feiertagen besucht.

Eine Familie, mit der sie gemeinsam am leeren Grab der so perfekten Schwester trauert.
 

Tsengs Prioritäten sind für sie kaum nach zu vollziehen.

Turks, ShinRa.

Alles private folgt auf den letzten Plätzen, weit abgeschlagen hinter den beiden ersten Punkten.

Auch jetzt denkt er nur daran, welche Komplikationen die gefundenen Fotos verursachen können. Verdrängt den Bezug, den er zu ihnen haben sollte.

Fragt, um vom Thema abzulenken: „Soll ich dich bei Rude absetzen?“

Mit einer Selbstverständlichkeit, die nur er aufbringen kann.
 

Die Veränderung kam schleichend.

Niemand kann den Finger auf ein bestimmtes Datum legen. Zuerst änderte sich etwas in ihrem Umgangston.

Nicht dass dieser freundlicher wurde.

Reno brüllt weiterhin „Rude, du Schlampe!“ über den Flur; Tsengs Fluchen ist mit 'Fuck!' durchzogen.

Aber irgendwann, es muss kurz nach Meteor gewesen sein, haben sie tatsächlich begonnen, miteinander zu reden.

Haben herausgefunden, welche Musik sie gerne hören, welches Essen sie mögen. Fanden heraus, dass sie menschlich sind.

Das sie Angst vor der Zukunft hatten. Das sie nicht wussten, wie es weitergehen sollte. Das es weitergehen musste.

Zu viert.

Dass es ihre Verantwortung ist, die Ideale aufrecht zu halten, mit denen sie aufgewachsen sind, für welche sie sich entschieden haben. Das sie Turks sind.

Dann kehrte Sephiroth zurück. Und mit ihm kam das Wissen, dass sie viel zu menschlich waren ... sind. Sich viel zu nahe gekommen waren. Regeln gebrochen hatten, die für Turks als ungeschriebene Gesetze galten.

Fick, wen und wann du willst. Bleibe nie zum Frühstück.

Sie sind alle beim Frühstück hängen geblieben.
 

„Wenn es kein Umweg für dich ist.“ antwortet Elena auf Tsengs Frage und holt ihn so aus seinen Gedanken, die wieder einmal viel zu brütend sind. Ein einfaches 'Es ist, wie es ist!' hat er nie als Antwort akzeptieren können.

Ein müdes Grinsen huscht über seine Lippen. „Würde ich es dir sonst anbieten?“

Elena erwidert das Grinsen, gibt in diesem Moment einfach ihrer Intuition nach und beugt sich zu ihm.

Kurz streifen ihre Lippen sich in einem flüchtigen Kuss. Missverständlich für alle, die sie nicht kennen. Zu oft hat diese Form der Vertrautheit bereits dafür gesorgt, dass sich im Büro die Sekretärinnen in wilden Fantasien verloren.

Seine Partnerin murmelt nur ein „Danke.“ gegen seine spröden Lippen.

Tseng zuckt wieder einmal mit den Schultern. Sie weiß, das es ein Umweg für ihn ist, selbst wenn er noch zur WRO-Zentrale fährt. Es spielt keine Rolle.

Nicht an diesem Tag.
 

Dreißig Minuten später stehen sie vor Rudes Wohnungstür.

Genau wie die anderen drei hat sich der schweigsame Turk ein eigenes Apartment in Edge gesucht, in nötiger Distanz zum ShinRa-Gebäude.

Wie die drei anderen wohnt auch er in einem anonymen Block, in dem es niemanden interessiert, was der Nachbar tut.

Und Tseng wundert es überhaupt nicht mehr, dass Elena fluchend ihre Taschen abklopft, nach dem Türschlüssel sucht.

Was ihn wundert, ist das laute: „Oi, sie ham den Weg doch noch gefunden!“, das ihm entgegen schalt, als sie endlich die Tür öffnet.

Reno steht in der Küchentür, hebt zur Begrüßung eine Bierdose, während Elena und Tseng sich in den Flur schieben.

Eine Begrüßung, die mit einem Kräuseln der Nasenspitze beantwortet wird.

Tseng hat Elenas Einladung auf ein Bier angenommen. Ein paar Minuten Zeit, die er sich erkaufen kann. Dankbare Ablenkung einer Freundin.

Hat er geglaubt.

War davon überzeugt, dass Rude und Elena etwas besseres mit ihrer Zeit anfangen könnten, als sich mit seinen Problemen herum zu schlagen.

„Hab' dir doch gesagt, dass sie beide auftauchen. Auf Laney ist halt Verlass.“ dröhnt Rudes Stimme aus der Küche. Aus der auch der Geruch von Essen weht; von scharfen Gewürzen. Nicht nur ein Bier ist für diesen Abend geplant.

Elena dreht sich Tseng zu und lächelt entschuldigend. „Wir wollten nicht, dass du dich in Arbeit verkriechst.“

Sie könnte auch sagen: 'Alleine verkriechst.'

Es würde auf das selbe hinaus laufen.
 

Reno sieht über seine Schulter. „Hab' ich auch nie bezweifelt.“ ruft er im tiefsten Sub-Plate Slang zurück in die Küche.

„Hörte sich mal ganz anders an, Schätzchen.“ Elena wirft den Schlüssel auf einen Beistelltisch, drängt sich an Reno vorbei in die Küche. „Ich erinnere mich da an eine Aussage, die mich und deinen Alkoholkonsum betraf.“

„Laney, es is' das Glitzern in deinen Augen, dass jeden Mann sofort nüchtern werden lässt.“ wird sofort gekontert.

Tseng steht immer noch nahe des Eingangs, beobachtet schweigend die vertrauten, verspielten Beleidigungen.

Elena lacht, gibt Reno einen Klapps auf den Hintern. „Ich liebe dich auch, Idiot.“ Schlägt dann die Küchentür hinter sich zu.
 

Die beiden Männer stehen nun alleine auf dem Flur.

Es gibt kein Fenster in dem schmalen Gang, das einzige Licht fällt unter geschlossenen Türen hindurch auf den Boden. Ein paar schmale Streifen Helligkeit. Gerade genug, um Tseng die Bewegung des anderen wahr nehmen zu lassen. Noch hat sein Blick sich nicht an die plötzliche Dunkelheit gewöhnt.

Und in jeder anderen Situation würde er jetzt nach seiner Pistole greifen.

Eine sehnige Hand legt sich auf seinen Arm, verhindert sanft den Reflex.

„Arschloch.“ Dieses Mal meint Reno ohne Zweifel Tseng.

Die andere Hand schiebt sich unter das so akkurat sitzende Jackett. Die Fingerspitzen streichen langsam über den Rücken und einzig das perfekt gebügelte Hemd ist zwischen den rauen Fingerkuppen und Tsengs Rückgrat.

Über welches ein angenehmes Kribbeln gleitet. Viel zu angenehm für seinen Geschmack. Er fühlt die Gänsehaut, die langsam bis zu seinem Nacken herauf kriecht.

„Nicht hier.“ bringt er heiser über die Lippen, versteift sich in dem Bemühen die Kontrolle zu behalten.

„Warum nich'?“ flüstert Reno gegen seinen Hals. Tseng riecht den Alkohol und Zigarettenrauch, darunter einen letzten flüchtigen Hauch von Shampoo und Deo. Und weiß, dass er den anderen gar nicht sehen muss. Dass alleine dieser Geruch reicht, um sicher zu sein, dass Reno in seiner Nähe ist.

„Weil...“ beginnt er, sucht nach Argumenten.

„Laney und Rude vögeln jetzt inner Küche. Die würden wir nur stören.“ wird Tseng unterbrochen.

„Danke. Details, die ich gar nicht wissen wollte.“ Er redet. Ablenkung, auf die Reno nicht eingeht.

„Rudes Hausflur ist ein vollkommen unangemessener Ort, um ...“

Bedenken, die ignoriert werden. Ein Kuss hindert Tseng daran, den Satz zu vollenden.

Noch ist er angespannt, versucht sich aus dem festen Griff zu winden, in welchem er inzwischen gehalten wird.

Doch je stärker er sich widersetzt, desto mehr Aufmerksamkeit investiert Reno in seine Berührungen.

Reno, der den ganz persönlichen Kick daraus zieht, Stück für Stück die schützenden Mauern ein zu reißen, die Tseng so sorgsam um sich aufgebaut hat.

Reno, der seinen ganz persönlichen Triumph daraus zieht, ihm ein leises Keuchen zu entlocken, ihn dazu zu bringen, die Luft scharf ein zu atmen.

Und wieder einmal fragt Tseng sich, was den anderen mehr reizt. Ein schneller Fick oder das Wissen, dass es sein Boss ist, den er dazu bringt, leise zu schnurren?

Der Bastard weiß genau was er tun muss. Wie er Tseng dazu bringt, den Kopf gegen seine Schulter zu lehnen.

„Nicht ... hier.“ wird in das zerknitterte Hemd genuschelt. Nicht mehr ganz so fest, nicht mehr ganz so sicher in der Stimme.

„Du wirst dich nie ändern, Tseng Tseng.“ Renos Hände haben weißen, faltenfreien Stoff vollständig aus der Hose gezerrt. Streicheln nun über nackte Haut. Gleiten langsam unter den Gürtel.

Ein leises Fauchen und gleichzeitig das Verlangen nach mehr Körperkontakt ist Tsengs Antwort.
 

Ambivalent.
 

Er weiß es selbst. Kennt sich selbst zu gut. Will nicht nachgeben, und tut es dennoch.

In der Dunkelheit des Flurs kann er Renos Grinsen nur erahnen.

Ein weiterer Triumph des anderen.

Der Gedanke, dass Reno es nicht als Sieg sieht; dass er in diesem Moment nicht an sich denkt, wird weit von sich geschoben.
 

Es ist so viel einfacher, es herunter zu brechen auf ein Spiel, eine ständige Herausforderung der Kontrolle.
 

Die gebrochen wird.
 

Er lässt sich hier ficken. Lässt sich hier an die Wand pressen. Lässt es hier, in diesem Flur, zu, dass ein paar weitere Minuten Kontrolle abgegeben werden.

Im Schutz der Dunkelheit hofft er, dass Reno nicht merkt, wie sehr er gerade diese Nähe braucht.
 

Wenige Minuten später ist es vorbei.

Tseng zieht seine Hose hoch, richtet die Krawatte. „Meinst du Elena und Rude sind jetzt auch fertig?“ fragt er, vollkommen neutral.

Und nur sanfte Küsse, die über seinen Nacken gezogen werden, gäben einem unbeteiligtem Zuschauer den Hinweis, dass die beiden Männer im Flur mehr sind als bloße Arbeitskollegen.

„Denk' schon, Tseng Tseng.“ Er fühlt die sehnigen Arme. Spürt, wie sie sich fest um seine Taille ziehen und lehnt sich fast dankbar zurück. Gegen eine knochige Schulter. Renos Finger gleiten durch seine verschwitzten Haare. In die ein weiteres „Arschloch!“ gewispert wird. Wofür das auch jetzt immer sein mag.
 

„Essen!“ schallt Elenas Stimme warnend durch die geschlossene Tür. „Ihr habt eine Minute um mir Details zu ersparen, die ich zwar sehen will, aber nicht sehen darf. Wenn es nach Rude gehen würde.“

Reno lacht laut, ehrlich. „Laney, heb' dir das für deine feuchten Träume auf.“ ruft er über den Flur und presst einen letzten Kuss auf Tsengs Nacken.
 

Eine Stunde später sitzen sie vor leeren Tellern. Während des Essens wurde nur über Belanglosigkeiten geredet. Klatsch, den Elena zu gerne in die Runde wirft. Sie ist bestens darüber informiert, wen Rufus angeblich nächsten Monat heiraten wird; plaudert über Gerüchte, die sie auf den Fluren auffängt.

Rude füllt währenddessen immer wieder die Weingläser.

Bis Reno sich räuspert. „Jungs. Und Mädel...“ Er nickt Elena zu. „Lasst uns mal zurück zur Arbeit kommen.“ Er greift nach einer Zigarette, klemmt sie sich zwischen die Lippen und dreht den Kopf in Tsengs Richtung. „Gibt da so'n Job, der nich' so gelaufen is', wie er sollte.“

Die Blicke der beiden anderen fixieren sich auf Tseng. Reno redet weiter: „Und es is' so 'ne abgefuckte Scheiße, wenn unserem Boss ans Bein gepisst wird.“

Plötzlich ist es nicht mehr nur Tsengs Angelegenheit. Sein Stellvertreter hat genau die richtigen Worte gefunden, um der ganzen verfahrenen Situation die all zu persönliche Note zu nehmen.

Worte, die Tseng dazu bringen, Elena ein knappes Nicken zu zuwerfen.

Sie steht auf, ist schon unsicher auf den Füßen. Auch sie hat zu viel Wein getrunken. Doch findet sie innerhalb weniger Sekunden den Umschlag, in welchem die Fotos stecken.

„Um das noch mal klar zu stellen, Rude – jemand hat uns absolut gefickt.“ Sie wirft die Bilder auf den Tisch.

„Jemand?“ Rude fehlt seine Sonnenbrille. Die er nie in seiner Wohnung trägt. Und so kann er sie in diesem Augenblick nicht von der Nase nehmen und ausgiebig polieren. Stattdessen hebt er die Fotos auf, blättert sie schnell und konzentriert durch.

Hebt mehrmals kurz den Kopf, mustert Tseng ehe er seine Aufmerksamkeit erneut auf die Bilder konzentriert.

Um ihn herum schweigen die anderen Turks. Warten. Bis auf Tseng regungslos.

Der sonst so ruhige Leiter des Departments leert die nächste Weinflasche in sein Glas. „Es ist absoluter Shit ...“

„Kannste laut sagen.“ grummelt Rude.

„Danke für deine Zustimmung, Dude.“ Reno klopft ihm auf die Schulter. Seinem Partner. Seinem besten Freund.

Tseng zieht eine Zigarette aus Renos Schachtel. „Es ist nicht akzeptabel für ShinRa, dass diese Bilder publiziert werden.“ wirft er in die Runde.

Elena schnaubt gereizt. „Das haben wir verstanden, Tseng. Und du weißt, dass wir alles tun werden, um es zu verhindern.“

Reno und Rude nicken. Unterstreichen damit wortlos Elenas Aussage.



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von:  Mayorati
2008-07-25T22:47:10+00:00 26.07.2008 00:47
Also ich weiß bei Kommis nie, wo ich anfangen soll.
Deswegen wurschtel ich das hier jetzt wahrscheinlich ein bisschen zusammen
ich denke nicht, dass ich mich entscheiden könnte, wenn jemand fragen würde was ich an dieser FF am besten finde.
Alles ist perfekt, man kann sich wirklich vieles bildlich vorstellen, außerdem mag ich deine Vermittlungsweise der Turks und dass sie nicht als komplette Idioten hingestellt werden, die sich einfach nur dem Alkohol und Drogen hingeben und dann entweder jämmerlich sterben oder von irgendeinem der "Helden" gerettet werden.
Es ist jetzt ungefähr viertel vor 1 und eigentlich wollte ich ins Bett gehen, aber als ich das Update für die Story gesehen hab, musste ich es einfach lesen.
Ich hoffe, es war wenigstens ein bisschen konstruktiv was ich hier jetzt so unverantwortlich einfach stehen lasse.
lg
bloody wolf
Von: abgemeldet
2008-07-25T16:12:08+00:00 25.07.2008 18:12
Sorry ich habe gerade einen super langen Kommi verfasst, den jetzt komplett weg ist.... T-T also auf ein neues *g*

Ich finde deine FF einfach klasse, ich möchte mich sogar soweit aus dem Fenster lehen und sagen, dass es eine der besten FF ist, die ich je gelesen habe, und eindeutig die beste mit dem Pairing

Dannach habe ich mich endlos über deinen Stil ausgelassen... aber das Fazit war klar!
Einfach klasse!
Wenn du magst lasse ich mich dann beim nächsten Kommi aus *g*

Ich habe jedoch zwei kleine Fragen, was meinst du eigendlich konkret mit Turk_crack und darf ich dich für die Lese-Ecke vorschlagen, manche Autoren wollen das nicht, deswegen frage ich lieber!!!!

deine Nawa

P.S. Wenn der nächste Kommi auf sich warten lässt! Sorry, ich bin in Japan aber er kommt auf jeden fall nach!!!

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