Sakura
Vierzehnter Monat, September
Sasuke.“
„Temari.“
Temari seufzte, dann sagte sie, ihre Stimme ruhig: „Danke, dass du gekommen bist, Sasuke.“ Ihr Lächeln verwandelte sich in das gewöhnliche Temarigrinsen – nur dahinter, dahinter war dieses Grün, das ganz anders war, aber das genauso ein Sicherheitsnetz brauchte wie jeder andere auch.
„Ohne dich sind wir ein Wrack“, sagte sie und es klang selbstsicher. Er fragte sich, ob er jemals so ehrlich sein könnte.
„Wo ist-… deine Tochter, Temari?“
„Gaara und Kankuro sind mit ihr schon mal nach Hause gefahren. Ich sollte hier auf dich warten. Glückliche Zusammenkunft von Mama und Papa, oder so was.“
Sasuke schnaubte verächtlich. „Idioten.“
„Das hab ich auch gesagt – aber andererseits, wenn ich mir vorstelle, ich müsste mit dir reden, während Beniko herumschreit und Kankuro sich für sie zum Affen macht…“
„Beniko, huh?“ Sasukes Haltung veränderte sich nicht, sie war immer noch gerade, so wie er es vor so langer Zeit von seiner Mutter beigebracht bekommen hatte. Dennoch, es war keine Wunschvorstellung, dass sein Blick ein wenig von seiner Eiseskälte, von seiner Distanz verlor, oder?
„Du wolltest dein Kind immer Beniko nennen“, stellte er fest.
„Hm-hm.“
Dann plötzlich lächelte Sasuke, er lächelte. „Dir geht’s doch gut, oder, Temari?“
„Natürlich. “ Sie erwiderte das Lächeln schief. „Ehrlich…“ Sie zögerte. „Du und dein Bruder, ihr seid euch so ähnlich.“
„Mag sein“, antwortete Sasuke nonchalant, beinahe schon gelangweilt.
Seit wann konnte er so gut seine Gefühle verstecken?
Selbstverständlich, früher, da war er auch nie vor Freude n die Luft gesprungen oder hatte viel gelacht oder sonst was – aber man hatte ihm immer sofort die negativen Gefühle von den Augen ablesen können, die Wut und den Hass, wenn er Itachi angesehen hätte, die stille Akzeptanz, wenn er seine kranke Mutter angesehen hatte, die Genervtheit, wenn sie und Kankuro sich gestritten hatten.
Es war ein Jahr vergangen.
Und sie sah es ihm an.
Dieses eine Jahr.
„Erzähl mir was von dir, Sasuke. Erzähl mir, wie es dir geht.“
Aber statt dass er erzählte, wie sie es gewollt hatte, warf er ihr diesen einen Blick zu, den Blick, den er von seiner Mutter geerbt hatte, ruhig und wartend.
Sie konnte ihre Klappe einfach nie halten, nicht nach diesem Blick.
Also begann sie zu reden.
Von der grauenvollen Schwangerschaft, von Onigiri mit Pflaumenmusfüllung, von frittiertem Sushi und Pockys, die sie in Salsasauce gedippt hatte. Sie berichtete von ihrem ersten Besuch beim Frauenarzt mit Gaara und davon, wie sehr sie das traditionelle japanische Frühstück vermisste, das man immer hatte zubereiten müssen, weil Sasuke darauf bestanden hatte. Sie sagte, sie hatte sein Dauergrummeln und seine schlechte Laune und seine schwarzen Augen und ihn vermisst.
Und sie sagte immer noch mit ihrem Gesichtsausdruck ein bisschen mehr als mit ihren Worten, obwohl er sich auch daran erinnerte, dass Temari für ihr Pokerface bekannt war.
Irgendwann kam ihr Fluss von Worten zum Stillstand, wie ein Wasserdamm, der ihr Mund und ihre Augen und ihr Herz war. Aber Temari war nicht die Art Frau, die zweifelte – selbst wenn sie zweifelte, würde sie es niemals zugeben. Sie hatte den Sabakuno’schen Stolz und sie trug ihn mit einer Arroganz, die weder ihr jüngerer und noch ihr älterer Bruder hatte.
„Du willst nicht, dass du Benikos Vater bist.“
Sasuke sah sie nur an.
„Das kann ich verstehen.“ Temari legte ihren Kopf schief – eine Geste, in die er sich beinahe verliebt hatte, damals, als er der unerfahrene Fünfzehnjährige gewesen war und sie die kluge, erwachsene Temari. Von der er wusste, dass sich viele in sie verliebt hatten und verlieben würden. „Ich verübel es dir nicht.“
„Temari…“
„Es ist schon okay, weißt du? Ich mein, Beniko hat zwei Väter. Es ist egal, ob biologisch gesehen oder nicht… Itachi ist auch noch da. Und – und Gaara und Kankuro und all die anderen Idioten.“ Ihre grünen Augen – grün, grün, grün, aber doch ganz anders, verletzend anders – strahlten zu sehr, als dass es Wahrheit dahinter zu sehen geben könnte.
„Du bist doch nur angepisst, dass ich dich nicht wie eine Göttin behandle, weil du mein erstes Mal Sex bekommen hast. Und weil ich mich nicht entschuldige, dass wir auf dieser Party noch mal gevögelt haben.“ Sasukes Blick hatte etwas Spöttisches und etwas Normales. Er hob nur die Fäden auf, die er vor einem Jahr fallen gelassen hatte und die seine Leute, Freunde, Familie für ihn aufgehoben hatte, an genau der gleichen Stelle.
„Mag sein“, gab Temari zurück, Stimme neutral und bereit, zuzustechen, „aber es geht nicht nur um mein Ego, Sasuke-kun.“
„Ich werde nicht vor meinen Pflichten wegrennen. Ich bin zurückgekommen und ich werde nicht mehr weggehen.“ Aber mehr wagte er nicht zu sagen, nichts wie Ich werde sie wie meine Tochter behandeln oder Bitte lass meinen Bruder die Vaterrolle übernehmen, ich will nicht, ich kann nicht.
Temaris Blick wurde weich, als sie es bemerkte, wie sie schon früher alles bemerkt hatte.
„Ich hab gehört, du hattest auf Hokkaido ’ne Freundin?“ Ihr Ton war neckisch jetzt, und neugierig.
„Hm.“
„Uchiha Sasuke, wage es nicht, mich anzuhmen! Wie heißt sie? Wie ist sie so drauf? Ist sie heißer als ich? Wie alt ist sie? Und ich hab von irgendeinem blonden Baka gehört und von den beiden Perversen, bei denen du gewohnt hast. Ist sie heißer als ich?“
„Nein“, machte Sasuke einfach. Temari kniff die Augen zusammen, als ob sie überprüfen könnte, ob er log oder nicht – aber eigentlich sah sie keinen Sinn dahinter, warum sollte Sasuke sie anlügen? „Sie hat nervige rosa Haare und nervige grüne Augen. Sie ist nervig.“
Als Temari den Blick sah, diesen diesen Blick, nicht den Ich-liebe-jemanden-Blick, sondern den Ich-liebe-jemanden-Blick, da wusste sie, dass dieses Mädchen, das Sasuke da auf Hokkaido zurückgelassen hatte, mehr war als nur nervig.
°°°
„Übrigens sind wir umgezogen“, merkte Temari beiläufig an, als sie vor dem größten modernsten Gebäudekomplex standen, der in der ganzen Umgebung stand. „Die Jungs haben drei Wohnungen gekauft und die Wände, die die einzelnen Wohnungen trennen, eingerissen, sodass uns fast die ganze Etage gehört.“ Sie lächelte ihn zögernd an. „Wir wussten nicht, ob du deine eigene Wohnung haben willst. Wir haben auf jeden Fall in den Wohnungen noch genug Platz. Also, nur wenn du willst.“
Sasuke antwortete nicht – typisch – sondern stellte im Gegenzug eine Frage: „Ist das Gebäude neu?“
„Es ist vor einem halben Jahr fertiggestellt worden.“
Sie stiegen in den Fahrstuhl und Temari drückte auf die Einundzwanzig.
Temari erinnerte sich noch, dass Sasuke früher Fahrstuhlmusik so sehr gehasst hatte, dass er lieber Treppen gelaufen war, selbst in den dreißigsten Stock – aber genauso sehr schien er sich noch daran erinnern zu können, dass sie zwar eine gute Sprinterin war, aber niemals mehr als einen Kilometer am Stück lief. Sie wusste nicht, ob er weich geworden war – aber früher hätte er sie allein fahren lassen.
Vielleicht war es, weil sie und er – sie beide zusammen – Eltern sein könnten.
Vielleicht hatte er einfach keinen Bock.
Oder vielleicht hatte ihm das Hokkaido-Mädchen ein paar Manieren beigebracht.
Temari zuckte unmerklich zusammen, als der Fahrstuhl einen leisen Pling-Ton von sich gab und die Tür sich öffnete.
Zuerst brachten sie Sasukes Gepäck in seine Wohnung, die sie ihm ohne Aufheben zeigte. Sie war weitläufig und hell, modisch und teuer eingerichtet und im Wohnzimmer war eine ganze Glasfront, von der aus man Welten und Herzen und Gedanken und Smog sichten konnte. Temari warf ihm den für ihn angefertigten Schlüsselbund zu, aber tief im Inneren hoffte sie, dass er nur seine eigene Wohnung annahm, um den Schein zu wahren. Tief im Inneren hoffte sie, dass Sasuke sie alle immer noch liebte.
„Wollen wir zu den Idioten?“ Sie stellte die Frage etwas atemlos, als hätte sie eingeatmet, um mit dem Schwung des Ausatmens zu fragen.
Er zuckte nonchalant mit den Schultern, was sie als Ja interpretierte, und gemeinsam verließen sie die eine Wohnung, um an anderen der gegenüber zu klingeln.
Eine Weile war nichts zu hören.
Dann:
„Ey, fick dich mal!“
„Kann ich was dafür, dass du so’n Loser bist?“
„Halt die Klappe und wasch diesen verkackten Reis!“
„Flachwichser!“
„Hure!“
„WENN, DANN SCHON HURENSOHN, OKAY?!?!“
„INS KNIE!“
Temari lachte gezwungen und trat versehentlich ein Mal schwungvoll gegen die Tür. Diese war anscheinend keine besonders gut gesicherte Tür, sodass sie sofort aufschwang und sich ein Chaos erster Klasse vor den beiden ausbreitete.
Gaara, der stoisch wie eh und je an der Fensterfront, die anscheinend jeder Wohnung gleich war, lehnte, seufzte: „Glauben die wirklich, dass die Security so gut ist, dass man keine sicheren Schlösser braucht?“
„Anscheinend“, bemerkte Itachi vom Sofa, „wenn sogar eine, die gerade entschwangert worden ist, es schafft, die Tür aufzumachen.“
„FICK DICH!“, brüllte Kankuro aus einem anderen Zimmer.
„FICK DU DICH EINFACH MAL MEHR, OKAY?!!“, brüllte Shoichi zurück.
„Seit wann ist Shoichi wieder in Japan?“, fragte Sasuke Temari leise – als wäre es das einzige, was er wissen wollte, das wichtigste.
„Seit gestern“, antwortete Temari. Sie zuckte kurz zusammen, als man zerspringendes Geschirr aus dem Zimmer, das die Küche war, hörte.
„Und warum?“
„Itachi hat sich vermutlich gedacht, dass es – cool wäre, einen auf „Heimkehr der Verlorenen“ zu machen, und hat ihn aus den Staaten herbestellt.“
„Nur, dass wir nicht in dieser zweitklassigen Seifenoper sind und Shoichi und Kankuro sich an die Gurgel gehen, wenn sie sich auch nur ansehen.“
„Ja, genau.“
Temari schloss die Tür hinter ihnen und blieb dann unschlüssig im Zimmer stehen. Sie warf einen Blick zu Sasuke, dann sah sie zu Itachi, zu Gaara, wieder zu Sasuke. Sie wusste nicht, wie sie mit der neuen – gewollten, merkwürdigen, irritierenden – Situation umgehen sollte, sie hatte wirklich keine Ahnung. Beniko-chan lag brav in ihrem himmelorangefarbenem Babyzimmer und hier war sie – mit diesen beiden verfluchten – dummen, attraktiven, dummen, schlauen, dummen, stolzen, dummendummendummen – Kerlen, mit diesen Uchihas, die sich nicht ansehen wollten und sich nicht akzeptieren konnten. Gaara, der stumm wie immer einfach dasaß und mit seinem iPhone spielte, war da auch keine große Hilfe.
Kami-sama, ich weiß, ich habe gesündigt, aber bitte, bitte, hilf mir.
Als kein Meteor in die Wohnung krachte oder ein Alien an der Haustür klopfte oder ein Nachbar klopfte, um nach Zucker zu fragen, seufzte Temari enttäuscht. Sie stand immer noch einfach da, während Sasuke an der Wand lehnte und Itachi an einer anderen Wand lehnte und sie sehen sich immer noch nicht an, diese Idioten.
Gaara sah sie erwartungsvoll an, mit Geschwisterempathie, die so etwas wie Beweg deinen fetten Arsch, Temari und Oder kannst du nicht? bedeuten sollte, und sie öffnete den Mund, um ihn zu beschimpfen – aber da war Gaara schon aufgestanden, hatte Sasuke zugenickt und war weiter in die Wohnung herein in irgendein Zimmer verschwunden.
Temari sah aus dem Augenwinkel, wie Sasuke die Hände in die Hosentaschen schob, und dann in die Richtung ging, in der Gaara verschwunden war.
„SCHEISSE, DU IDIOT HAST DAS ESSEN VERBRANNT!“
„KANN ICH WAS DAFÜR?!?!“
„ÄH – JA?? NATÜRLICH KANNST DU WAS DAFÜR!!“
Es war ein ganz normaler Tag, redete Temari sich ein. Ganz furchtbar vorhergesehen wunderbar langweilig normal.
Aber dann starrte Itachi weiterhin mit angespannten Schultern aus dem Fenster und ihr großer Bruder hörte irgendwann auf zu fluchen und plötzlich merkte sie, dass sie sich nicht mehr anstrengen musste, sich Sasuke vorzustellen, Sasuke lächelnd, Sasuke stirnrunzelnd, SasukeSasukeSasuke.
Ein normaler Tag, Temari, nichts weiter.
Sie redete es sich ein, aber irgendwie klappte es nicht.
°°°
Gaara war noch nie ein Alkoholtrinker gewesen. Er war immer der gewesen, der während Partys in der dunkelsten, stillsten Ecke gelehnt hatte, um später seine beiden älteren – idiotischeren – Geschwister nach Hause zu schleppen und sie davor zu bewahren, irgendwelchen Abschaum anzukotzen und – oder – diesen Abschaum zu heiraten.
Sasuke aber wusste gut genug, wie trinkfest Gaara war, auch wenn er diese Tatsache nie ausnutzte.
Außer, um Uchiha Sasuke zum Reden zu bringen.
„Wie heißt sie?“
Sasuke sah sein Gegenüber abschätzig an und zog es vor, zu schweigen.
„Sie heißt Haruno Sakura-san, genau. Sie ist neunzehn, ein Bastard, überdurchschnittlich intelligent, in dich verliebt, vielleicht von dir schwanger.“ Gaara starrte ihn die ganze Zeit über an, um ihm jede kleine Gesichtsregung ablesen zu können. „Schwanger“, wiederholte er, als wolle er die letzte Aussage besonders betonen – was er, nun, wahrscheinlich sogar wirklich wollte. Gaara war schon immer ein kleiner Arsch von Sadist gewesen.
„Ich weiß echt nicht, was ihr alle mit Sakura habt“, antwortete Sasuke stirnrunzelnd, während er beobachtete, wie Gaara ihm erneut Alkohol einschenkte. „Habe ich jemals auch nur angedeutet, dass ich sie mag oder so?“
Gaara runzelte die Stirn: „Du bist nicht mit jemandem zusammen, wenn du es nicht willst.“
„Jetzt behauptest du, dass ich euch mag, nur, weil ich hier bin.“
„Tust du auch.“
„Und woher weißt du das?“
„Sagt mir mein Bauchgefühl.“
„Aha.“
Gaara schien zu realisieren, dass auch ein alkoholisierter Sasuke ein sturköpfiger – dummer, dummer – Sasuke war: „So kommen wir nicht weiter. Du magst Haruno-san. Gib’s einfach zu, sonst kommen wir nicht weiter.“
„Woher hast du diese ganzen Informationen über sie?“, wechselte Sasuke das Thema.
„Wenn ich dir das sagen würde, müsste ich dich umbringen.“
Sasuke kannte Gaara lange genug, um sich nicht sicher zu sein, ob er wieder einen seiner morbiden Scherzchen trieb oder es ernst meinte.
„Mich interessiert diese Frau, Sasuke“, fuhr Gaara irgendwann fort. „Was hat sie, dass du in Wakkanai bleiben wolltest?“
„Ich wollte nicht wegen ihr bleiben.“ Sasuke runzelte die Stirn, als wolle er sich selbst glauben. „Ich wollte überhaupt nicht bleiben. Es geht nur darum, dass ich bei euch noch weniger sein wollte.“
„Das war ehrlich.“
„Du hast nie gesagt, dass ich nicht ehrlich sein soll.“
„Wohl wahr.“
Der Schwarzhaarige nahm einen Schluck von seinem Getränk und sah seinen Freund misstrauisch an. „Was willst du wirklich wissen? Sakura ist nicht der Grund, dass wir uns hier besaufen.“
Sasuke wusste, dass er auf diese Frage keine Antwort bekommen würde – Gaara war nicht umsonst für seine Schweigsamkeit bekannt. Er ließ nie Informationen lecken.
Aber später, als Sasuke schon fast eingedöst war, stellte er eine Frage, die fast wie eine Antwort war.
„Wirst du der Vater sein? Wirst du bleiben?“
Und obwohl die Frage nicht überraschend kam und die Antwort klar vor ihnen lag, konnte Sasuke nicht antworten.
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So, endlich wieder ein neues Kapitel. Ich bedanke mich sehr herzlich bei allen, die trotzdem noch lesen und reviewen und entschuldige mich für die Kürze. Ich fühl mich immer ein bisschen unwohl, neue Charaktere zu schreiben und Gaara und Itachi zu schreiben, war hart.
Noch eine Info: Pocky sind berühmte Süßigkeiten aus Japan, wir kennen sie wohl unter dem Namen "Mikado" - diese Stäbchen mit Schokoladenüberzug.
Und: Hat irgendjemand ne Idee, warum ich das Kapitel "Sakura" genannt habe?
Ich freu mich über Feedback,
bells-mannequin