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Das Auge des Ra (J&S)

"Wüstensand"
von

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Abschiede

*verbeug* Es tut mir sehr leid, dass ihr dieses Mal so lange auf das nächste Kapitel warten musstet, nachdem ich über anderthalb Wochen jeden Tag ein neues hochgeladen hatte. Dummerweise sind mir ein paar Termine dazwischengekommen und dann drängten plötzlich noch so viele Ideen nach, die unbedingt noch aufgenommen werden wollten. Das hier sollte nämlich ursprünglich der Epilog werden. *drop* Stattdessen ist es jetzt das längste Kapitel von allen geworden. Aber nun: Viel Spaß!
 

Begleitmusik: http://www.youtube.com/watch?v=6dezqrpUPRc Allegria – Cirque du Soleil
 

Kapitel 16

Abschiede
 

Annähernd zwei Stunden lang glich Men-nefer an diesem Tage einer Geisterstadt, dass selbst in der Nekropole am anderen Nilufer mehr Leben herrschte als hier in den Straßen. Anitta hatte mit seinem Gift ganze Arbeit geleistet. Seth und Jono gelang es, ein paar Männer aufzutreiben, mit deren Hilfe sie den Pharao und sein Gefolge zum Palast zurück- und in ihre Gemächer brachten. Den Drahtzieher des Ganzen lieferten die beiden höchstpersönlich im Gefängnis ab, wo er bis zur Abreise der hethitischen Gesandtschaft bleiben sollte. Jono winkte Anitta mit einem breiten Grinsen zu, dann ließ er die Zellentür hinter ihm ins Schloss fallen.

„Da wird er nicht so schnell rauskommen und als Sündenbock kann er mich auch nicht mehr benutzen.“

„Dafür haben ein paar hundert Menschen zu viel sein Geständnis gehört“, sagte Seth. „Lass uns zum Palast zurückreiten, das Gift müsste allmählich seine Wirkung verloren haben.“

Als sie das Palastgelände erreichten, hatten die Bediensteten bereits wieder ihre Arbeit aufgenommen, die Soldaten waren auf ihre Posten zurückgekehrt.

„Jono!“

Marik und Hapi liefen ihnen entgegen und fielen Jono, kaum dass er von seinem Pferd gestiegen war, um den Hals.

„Im ganzen Palast spricht man nur noch von Euch“, sagte Hapi. „Ich freue mich ja so, dass Euch nichts passiert ist.“

„Wir dachten schon, der Henker hätte Euch ...“

„Ach, ihr kennt mich doch. So schnell bin ich nicht kleinzukriegen“, erwiderte Jono und tätschelte Hapi, zu dem er sich heruntergebeugt hatte, den schwarzen Schopf. Seth räusperte sich hinter ihnen und setzte einen tadelnden Blick auf.

„So, jetzt ist es aber genug, ihr beiden.“

„Bist du etwa auf die zwei eifersüchtig, Schlange?“

„Könnte sein, Falke“, sagte Seth gedehnt.

„Musst du nicht.“ Jono stand auf und legte den Arm um ihn. „Dazu hast du keinen Grund.“

„Ah, da fällt mir ein“, das Paar wandte sich Hapi zu, „Seine Majestät lässt ausrichten, dass er Euch in drei Stunden im Thronsaal zu sehen wünscht, in formeller Kleidung.“

„Oh, ich hab doch gar keine hier“, nuschelte Jono. „Meine eigenen Sachen sind alle in Zawtj.“

„Ich denke nicht, dass das ein Problem darstellt.“ Zidanta näherte sich ihnen von Eingangsportal her. „Nachdem Ihr wochenlang Prinz Kail vertreten habt, ist sicher nichts dagegen einzuwenden, wenn Ihr seine Gewänder noch ein paar Tage länger tragt. Und ich ... ich möchte mich bei Euch entschuldigen, dass ich für Eure Verurteilung gestimmt habe.“

„Blieb Euch denn eine andere Wahl?“, meinte Jono. „Anittas so genannte Beweise sprachen ja gegen mich und Ihr hättet Euch verdächtig gemacht, hättet Ihr anders entschieden.“

„Verdächtig gemacht?“, mischte sich Seth ein. „Fürst Zidanta, soll das etwa heißen, Ihr wusstet, dass Jono nicht der Prinz ist?“

Drei schuldbewusste Gesichter blickten ihm entgegen.

„Du also auch, Marik.“

„Es war doch nur wegen des Friedensvertrags“, verteidigte Jono die zwei.

„Ich befürchtete, nicht allein gegen Anitta und Lubarna anzukommen, wenn es an die Verhandlungen geht“, erklärte Zidanta. „Darum bat ich Jono, als Vermittler aufzutreten, wie Seine Hoheit es getan hat.“

„Sehr interessant, was ich da so erfahre“, überlegte der Hohepriester.

„Bitte behalt das für dich, Seth. Ich hab während der Verhandlung dazu geschwiegen und ich möchte nicht, dass Fürst Zidanta und Marik jetzt doch noch deshalb Ärger bekommen. Das wäre ihnen gegenüber doch nicht gerecht.“

„Hmm ... das werde ich mir bei einem verspäteten Mittagessen überlegen. Oder hast du keinen Hunger?“

„Jetzt, wo du es sagst ... Das hatte ich über der ganzen Aufregung total vergessen. Dabei knurrt mein Magen ganz gewaltig.“ Wie zur Bestätigung drang ein lautes Grummeln aus Jonos Magengegend.

„Jono vergisst sein Essen – es geschehen noch Wunder“, lachte Marik.

„Für einen Sklaven bist du sehr vorlaut“, bemerkte Seth stirnrunzelnd.

„Marik darf das“, sagte Jono. „Aber ... was wird denn jetzt aus dir? Kail ist ja nun offiziell tot.“

„Momentan untersteht er meinem Befehl“, antwortete Zidanta. „Ich werde mich bis zu unserer Ankunft in Hattusa um den Nachlass Seiner Hoheit kümmern.“

„Hmmm ...“

„Aber jetzt solltest du Jono helfen, sich auf den Empfang beim Pharao vorzubereiten, Marik.“
 

Die Sonne näherte sich dem Horizont und tauchte Himmel und Land in glühendes Rot und Gold. Jono blieb stehen und beobachtete das Schauspiel fasziniert.

„Wunderschön“, seufzte er.

Marik wandte sich zu ihm um und verdrehte die Augen.

„Das ist es sicher, aber es ist nicht schön, wenn Ihr zu spät zum Pharao kommt.“

„Und er hat wirklich nicht gesagt, um was es geht?“, fragte Jono zum hundertsten Mal, während sie weiter durch die Gänge eilten.

„Nein, und daran ändert sich auch nichts, wenn Ihr mich tausendmal fragt. Wir sehen es doch gleich.“

Sie bogen um die letzte Ecke und kamen, leicht keuchend, an der Tür zum Thronsaal an.

„Na siehst du, wir sind noch pünktlich. Jetzt schleichen wir uns einfach rein und niemand merkt –“

Vor ihnen öffneten sich die Flügeltüren. Das zweifache Dröhnen eines riesigen Gongs schallte ihnen entgegen. Um den Pharao, der auf seinem Thron Platz genommen hatte, waren die sechs Wächter der Millenniumsgegenstände sowie Fürst Zidanta und Fürst Lubarna versammelt. Der königliche Hofstaat und die Medjai füllten den prächtigen Saal bis auf einen breiten Gang in der Mitte. Die Köpfe aller wandten sich der Tür zu.

„So viel zum Reinschleichen“, murmelte Jono und raunte Marik zu: „Warten die etwa alle auf mich?“

Der Sklave zuckte lediglich entschuldigend mit den Schultern und lächelte.

„Du wusstest davon“, brummte Jono. „Was ist hier los?“

„Jono, Sohn des Amenhotep!“

Der Hofmeister ließ das Ende seines Zeremonienstabes auf den Boden donnern. Atemu nickte Jono aufmunternd zu und winkte ihn zu sich. Er atmete tief durch und ging gemäßigten Schrittes auf den Thron zu. Einige Meter von der Thronempore entfernt, fiel er, wie es das Protokoll verlangte, auf die Knie und verbeugte sich bis zum Boden.

„Sieh mich an, Jono, Sohn des Amenhotep“, sagte Atemu und wartete, bis er Kopf und Oberkörper aufgerichtet hatte. „Was wir während deiner Verhandlung über dich erfahren haben, finde ich höchst bemerkenswert. Du bist von Zuhause fort- und in den Tempel des Amun-Ra gelaufen, um einer Stimme zu folgen und das Auge des Ra zu holen, so dass man dich für den Dieb hielt, hast dich nach deiner Wüstenwanderung bei den Hethitern eingeschlichen und dich an meinem Hof als Prinz von Hatti ausgegeben –“

„Wir kennen die Geschichte doch inzwischen, Pharao“, sagte Mana, die prompt einen strafenden Blick von Mahaado kassierte.

„Aber vor allem hast du uns alle vor diesem Wahnsinnigen gerettet“, setzte Atemu seine Rede, unbeeindruckt von der Unterbrechung seiner Freundin, fort. „Und dafür stehen wir tief in deiner Schuld.“

Jono war einigermaßen verwirrt, als ein Diener mit einem goldenen Tablett an den Pharao herantrat, auf dem das Auge des Ra lag. Noch so eine Sache, die Marik ihm bestimmt verheimlicht hatte. Er war unter anderem so spät dran gewesen, weil er fast eine halbe Stunde damit zugebracht hatte, nach dem Amulett zu suchen. Vor dem Baden hatte er es abgenommen und danach nicht mehr gesehen. Atemu erhob sich, nahm das Amulett und stieg die Stufen der Estrade herab.

„Das Auge des Ra hat dich zu seinem Hüter erwählt und mit großer Freude erhebe ich dich heute offiziell in den Stand eines königlichen Wächters mit allen Pflichten und Privilegien“, sagte Atemu und legte Jono das Auge um. „Erhebt Euch, Jono, Krieger des Ra.“

Tanefer, der rechts hinter dem Herrscher stand, räusperte sich.

„Außerdem möchten meine Medjai Euch bitten, Euch ihrer ehrwürdigen Verbindung anzuschließen.“

„Diesem Wunsch komme ich sehr gerne nach“, erwiderte Jono.

Atemu ließ sich von Tanefer einen schwarzen ägyptischen Rock und ein ebensolches Obergewand samt Gürtel reichen, die er an Jono weitergab.

„Dann nehmt diese Gewänder als Zeichen Eures neuen Standes und folgt danach Tanefer, um die heiligen Zeichen der Medjai zu empfangen.“
 

„Jono, du sollst doch nicht dran kratzen, sonst verheilt es nicht“, sagte Seth. „Tut es sehr weh?“

„Es brennt etwas“, erwiderte Jono und steckte sich mit der linken Hand eine Weintraube in den Mund.

Die kurzfristig organisierte und streng zeremonielle Initiationsfeier war nun, da Jono die Zeichen der Medjai am rechten Handgelenk und an den Augen trug, in ein fröhliches Fest übergegangen, mit dem sie zugleich seine Ernennung und den Sieg über Anitta feierten. Von Jonos Gesicht war unter den Verbänden nicht mehr viel zu erkennen, aber Tanefer hatte ihm versprochen, dass er sie nur ein paar Tage tragen musste. Sobald die Wunden verheilt waren, sollte seine Ausbildung als Medjai beginnen. Die Grundlagen, die Ramoses Hauptmann Kysen in Zawtj geschaffen hatte, waren gut, wie der Hauptmann Jono mitgeteilt hatte, aber durchaus noch ausbaufähig.

Die Musik hob an und die Tänzerinnen betraten den Saal, um die Gäste mit ihren Künsten zu unterhalten. Jono lehnte sich auf seinen Kissen zurück und sah ihnen eine Weile zu.

„Hättest du gedacht, dass es so endet?“, fragte er Seth, der neben ihm saß und an seinem Wein nippte.

„Nein, aber ich bin sehr glücklich, dass es so gekommen ist.“

„Ich auch. Nur was genau meinte der Pharao eben mit den Pflichten und Privilegien? Die Pflichten sind mir klar, meine Aufgabe ist es, den Pharao zu schützen.“

„Als Hüter des Auges erhältst du die gleichen Privilegien wie wir, die Millenniumswächter: Gemächer hier im Palast sowie ein Haus in der Stadt, einen festen monatlichen Betrag an Gold und das Recht, bei Seiner Majestät jederzeit vorsprechen zu dürfen, ohne dich durch das ganze Protokoll mit den Voranmeldungen schlagen zu müssen. Aber weißt du, was das Beste ist?“

„Was denn?“

„Deine neuen Gemächer liegen direkt neben meinen“, sagte der Hohepriester und erlaubte sich ein kurzes Schmunzeln.

„Wie ... praktisch“, grinste der junge Medjai. „Hatte da etwa jemand Hintergedanken?“

„Wie kommst du denn darauf?“

„War nur so eine Idee. Als ich hier ankam, gab es so einen ganz steifen Hohepriester, aber den habe ich schon seit einer Weile nicht mehr gesehen. Weißt du zufällig, wo er hin ist?“

„Vermisst du ihn?“

„Nein, der neue Hohepriester ist mir viel lieber.“

„In dem Punkt kann ich Euch nur Recht geben“, mischte sich der Pharao in ihr Gespräch ein. „Es tut gut, Euch lächeln zu sehen, mein lieber Seth. Mit Jono kommt ein angenehm frischer Wind in unseren Palast. Und nach den ganzen Abenteuern, die hinter Euch liegen, möchte ich behaupten, dass es demjenigen, der an seiner Seite steht, gewiss nicht langweilig werden wird. Oder was meint Ihr, Seth?“

„Dieser Aussage kann ich mich ohne Bedenken anschließen, Euer Majestät.“

„Da fällt mir ein, wann wird denn der große Friedensvertrag unterzeichnet, Fürst Zidanta?“, fragte Jono.

„Das, fürchte ich, wird noch etwas dauern.“

„Wie das? Ich dachte, es ist alles geklärt und der Vertrag muss nur noch unterschrieben werden.“

„Fürst Lubarna und ich hatten deswegen heute ein langes Gespräch mit Seiner Majestät und es ist so, dass wir unglücklicherweise nicht länger befugt sind, einen Vertrag im Namen König Muwatallis abzuschließen. Die Stimmen unserer Delegation sind halbiert worden. Ohne Prinz Kail hätten wir noch zu dritt unterschreiben können, auch wenn das eigentliche Recht zur Vertragsschließung bei ihm lag. Aber Fürst Anitta weigert sich nun, das Dokument zu unterzeichnen. Deshalb sind wir übereingekommen, eine Abschrift des Vertrags mitzunehmen und Seiner Majestät direkt zur Unterschrift vorzulegen.“

„Ach so. Und wann wollt Ihr aufbrechen?“

„In drei Tagen, um die Verzögerungen, die zwangsläufig dadurch entstehen, so gering wie möglich zu halten. Ich weiß auch nicht, ob Seine Majestät sofort unterzeichnen wird, da wir ihm auch noch die Nachricht vom Tod seines Sohnes überbringen müssen.“

„Keine leichte Aufgabe.“

„Schon heute bete ich, dass seine Trauer nicht in Zorn umschlagen und sich gegen unsere Freunde hier richten möge.“

„Meint Ihr damit, er könnte erneut Krieg wollen?“

„Auch wenn die Umstände des Ablebens Seiner Hoheit so weit geklärt sind und Fürst Anitta dafür verantwortlich zu machen ist, bleibt die Tatsache, dass er auf ägyptischem Boden verschied. Außerdem ... Ich hätte da ein kleines Problem, bei dem Ihr mir helfen könntet, Jono.“

„Und worum handelt es sich?“

„Fürst Lubarna und ich mögen vor der Wut unseres Herrschers durch unseren Stand so weit geschützt sein, doch er wird denjenigen, der auf seinen Sohn achten sollte, für seinen Tod zur Rechenschaft ziehen.“

Zidanta warf einen Blick hinter sich und Jono verstand.

„Marik“, sagte er leise.

„So ist es. Wenn er ein gewöhnlicher Sklave wäre, wäre mir sein Schicksal vermutlich herzlich egal, doch ich weiß, dass die Verbindung, die zwischen Seiner Hoheit und Marik bestand, anders war als die, die normalerweise zwischen Herrn und Sklave herrscht. Sie betrachteten einander als Freunde und deshalb würde ich Marik gerne in Eurer Obhut lassen, wenn Ihr einverstanden seid. In Hattusa erwartet ihn mit großer Wahrscheinlichkeit der Tod.“

Jono winkte Marik, der sich wie die anderen Diener im Hintergrund des Saales aufhielt, zu sich heran.

„Marik, wie würde es dir gefallen, als mein Diener bei mir zu bleiben? Ich brauche jemanden, der sich mit dem Leben bei Hofe auskennt und mich davon abhält, in ein Fettnäpfchen nach dem andern zu tappen.“

„Ernsthaft? Es wäre mir eine Ehre!“

„Dann ist es beschlossen“, sagte Zidanta.
 

Am nächsten Morgen suchte Jono seine wenigen Habseligkeiten zusammen und bezog sein neues Quartier im Ostflügel, wo die Wächter untergebracht waren. Seth hatte sich zu seinem Bedauern bereits früh zum Tempel aufgemacht, um dort noch einige Dinge zu regeln.

Anschließend machte sich Jono mit Marik und Hapi auf den Weg zum Markt. Ihre Liste der Dinge, die sie zu kaufen gedachten, war lang, denn so gut wie alles, was Jono in den letzten Wochen benutzt hatte, gehörte in Prinz Kails Besitz und würde in wenigen Tagen auf dem Rückweg nach Hatti sein. Als erstes führte sie ihr Weg zum königlichen Hofschneider, damit sich Jono neue Gewänder anmessen lassen konnte. Neben einfacher Garderobe für den Alltag benötigte er mehrere Garnituren für festliche Anlässe, Kleider für die Jagd, zum Training und vieles mehr. Als sie den Schneider verließen, der versprach, den ersten Teil noch bis zum Abend in den Palast zu liefern, war Jonos Goldbeutel um einiges leichter.

Ihr Weg führte sie kreuz und quer durch die Stadt, zu Schmuckhändlern, Kunsthandwerkern, Möbelherstellern, Salben- und Kosmetikverkäufern ... Als sie am späten Nachmittag in den Palast zurückkamen, taten ihnen die Füße weh und Jono verfluchte sich selbst, nicht auf Hapi gehört und den Wagen genommen zu haben, wie Tanefer es ihm angeboten hatte. Wenigstens waren die Händler in Men-nefer sehr zuvorkommend gewesen. Sobald sie gehört hatten, um wen es sich bei ihrem Kunden handelte, waren sie augenblicklich bereit gewesen, die Einkäufe in den Palast zu liefern.

Seth lachte laut und konnte es sich nicht verkneifen, Jono zu ärgern, als er ihn durch sein Zimmer humpeln sah.

„Du machst ein wehleidiges Gesicht, als hätte man dir deinen Lieblingsknochen gestohlen, Hündchen.“

„Ich möchte dich mal nach einem ganzen Tag auf dem Markt sehen!“

„So etwas kann mir gar nicht passieren, weil ich entweder Chons oder einen Wagen nehme, wenn ich unbedingt selbst einen Einkauf tätigen muss, und weil ich gar nicht die Zeit habe, so viel Zeit auf dem Markt zu vertrödeln.“

„Ich habe meine Zeit nicht vertrödelt, du –“

Marik und Hapi nutzten die Unaufmerksamkeit ihrer Herren, um sich aus dem Zimmer zu schleichen. Zwischen den beiden war ein Streit im Anflug und sie legten keinen Wert darauf, sich in dessen Epizentrum wiederzufinden, wenn er richtig ausbrach. Wenigstens ein Gutes hatten die dauernden Auseinandersetzungen zwischen Hohepriester und frischgebackenem Medjai: So schnell würde kein Außenstehender eine Beziehung zwischen den beiden vermuten, geschweige denn aufdecken.

So sehr Atemu die zwei auch mochte und ihnen alles Glück wünschte, hatte er sich doch unmissverständlich ausgedrückt. Außer ihren Dienern und den anderen Millenniumswächtern sollte niemand etwas von ihrer Beziehung wissen, da diese Form der Liebe von zu vielen Menschen in Kemet abgelehnt wurde.

„Hast du Lust auf ein Bad im Nil, Marik?“, fragte Hapi.

„Warum nicht. Wie ich die beiden kenne, kann das eine Weile dauern, bis sie fertig sind.“
 

Im Vorhof des Palastes herrschte das reinste Chaos. Diener und Soldaten mit großen Truhen, Körben und Bündeln liefen hin und her, verstauten das Gepäck und eilten zurück nach drinnen, um die nächste Ladung zu holen. Es sah aus, als wäre eine Volkswanderung ausgebrochen. Jono und Zidanta standen auf dem großen Balkon, von dem aus der Pharao sonst seine Reden an sein Volk hielt, und beobachteten das bunte Treiben.

„Kaum zu glauben, wie schnell die Zeit vergangen ist“, sagte Zidanta. „Mir ist, als wären wir gestern erst hier angekommen.“

„So kommt es mir auch vor. Ich glaube, das waren die aufregendsten Wochen meines Lebens.“

„Das glaube ich Euch gern“, lachte der Fürst. „Wer bekommt schon die Gelegenheit, Prinz zu spielen.“

„Aber ohne Eure Hilfe hätte ich es nie so lange geschafft“, widersprach Jono.

„Ohne diesen dummen Zwischenfall mit der Vase wäre Eure Tarnung sicher auch nicht aufgeflogen. Nun, letztendlich ist alles gut geworden und nur darauf kommt es an.“

Auf dem Hof marschierte ein Trupp Soldaten ein, in dessen Mitte Anitta geführt wurde. Die wenigen Tage im Gefängnis hatten seinem Äußeren nicht gut getan, er wirkte blass und angespannt. Seine feinen Gewänder, in denen er verhaftet worden war, waren zerrissen und schmutzig.

„Was geschieht mit ihm?“, fragte Jono.

„Wir werden ihn nach Hatti bringen. Euer Pharao war so freundlich, uns eine abschließbare Sänfte zur Verfügung zu stellen, so dass er uns nicht entkommen kann. Wie genau König Muwatalli mit ihm verfahren wird, kann ich nicht sagen, doch da er einen seiner liebsten Söhne ermordet hat, wird seine Strafe gewiss nicht gering ausfallen. Von einer Verbannung bis zur Hinrichtung ist alles möglich.“

„Hauptsache, er wird zur Verantwortung gezogen. Es wäre schrecklich, wenn es seinetwegen zu einem erneuten Krieg käme.“

„Davor mögen uns die Götter bewahren.“

Nachdem auch das letzte Stück des umfangreichen Gepäcks, dem Atemu noch etliche Gegengeschenke für den Großkönig und seine Familie beigefügt hatte, verstaut war, ging es ans Abschiednehmen. Jono wischte sich eine kleine Träne aus dem Augenwinkel, als er Zidanta umarmte. Der Ältere war für ihn eine Art väterlicher Freund geworden.

„Passt gut auf Euch auf, mein Freund. Ich glaube nicht, dass Tanefer in seinem Kampftraining so nachsichtig mit Euch sein wird, wie ich es einige Male war.“

„Das werde ich. Achtet Ihr nur auf Anitta, damit er sich nicht unterwegs aus dem Staub machen kann.“

„Er wird seiner Strafe nicht entgehen, das verspreche ich Euch. Euer Majestät, Meister Seth, Jono ... lebt wohl.“

„Wir wünschen Euch eine gute Heimreise“, sagte Atemu.

Lubarna und Zidanta bestiegen ihre Pferde, Anitta kletterte nach einem warnenden Blick der beiden Fürsten in seine Sänfte, die hinter ihm verriegelt wurde. Zidanta winkte seinen Männern mit hoch erhobenem Arm und der Zug setzte sich in Bewegung. Nach und nach leerte sich der Hof, bis auch die Soldaten, die als Nachhut eingeteilt waren, ihn verlassen hatten. Der Pharao lehnte sich gegen eine Säule.

„Puh, endlich. Warum müssen Staatsbesuche nur immer so anstrengend sein?“

„Darf ich Eure Majestät daran erinnern, dass in zwei Wochen die Delegation aus Kusch für die neuen Handelsverträge erwartet wird?“, sagte Shimon.

Atemu verdrehte als Antwort nur entnervt die Augen.
 

In zartem Blau wölbte sich der Himmel über dem Hafen von Men-nefer, auf dessen Gelände die Arbeiten wie üblich mit Hochbetrieb liefen. Die Sklaven, die hier unter den wachsamen Augen ihrer Aufseher schufteten, beeilten sich, die Waren von den ankommenden Schiffen zu holen und die Schiffe, welche die Stadt bald verlassen sollten, zu beladen. Sirrend schwang eine Peitsche durch die Luft, traf auf den Rücken eines Arbeiters, der stehen geblieben war, um das Bündel, das er trug, zurechtzurücken. Nur kurz richteten sich die müden Augen auf den Ägypter; das Pochen in seiner Schulter zu ignorieren bemüht, setzte der Mann seinen Weg fort, vorbei an den Matrosen, die von der Benu an Land sprangen und das Schiff mit wenigen Handgriffen vertäuten.

Ein Steg wurde ausgefahren, der das leicht schwankende Gefährt mit dem Festland verband. An seinem oberen Ende erschien ein hoch gewachsener Mann, der dem sich tief verbeugenden Kapitän mit einer knappen Bewegung zunickte und dann herrisch den Sklaven winkte, die sein Gepäck trugen. Die braunen Augen richteten sich starr geradeaus, ohne die Umgebung wirklich wahrzunehmen. Fein gewebtes Leinen verhüllte den gebräunten Körper, das Gold seines Halsschmucks funkelte in der Sonne des späten Vormittags. Mit festen Schritten ging er den Steg hinab, gefolgt von seinen Sklaven und mehreren Wachen, und machte sich auf den Weg durch den Hafen.

Händler und Tagelöhner drängten heran, boten dem offensichtlich reichen Neuankömmling ihre Waren und Dienste an und wurden von den Wachen mit ihren Speeren zurückgeschoben. Am Rand des Hafengeländes wandte er sich an einen Mann, der Wagen und Karren vermietete.

„Womit kann ich dem hohen Herrn dienen?“, fragte der Mann beflissen. „Ich kenne einige sehr gute Gasthäuser, zu denen ich Euch bringen kann.“

„Tu das und dann fahre mich zum Gefängnis.“

„Zum Gefängnis, Herr?“

„Frag nicht, tu es einfach.“

„Wie Ihr wünscht“, erwiderte der Vermieter verwirrt.

Die Fahrt zu dem Gasthaus, in dem sich der Fremde einmietete, dauerte nicht lange. Nachdem er seine Zimmer besichtigt und seinen Dienern Anweisungen gegeben hatte, wie sie alles für ihn herrichten sollten, ließ er sich zum städtischen Gefängnis bringen und befahl dem Fahrer, draußen auf ihn zu warten. Als er vor dem Tor stand, zögerte er kurz, dann aber pochte er zweimal laut gegen das Holz. Eine Klappe wurde geöffnet, durch die ein Soldat sah.

„Was wünscht Ihr?“

„Bring mich zum Vorsteher dieses Gefängnisses, ich muss dringend mit ihm sprechen.“

„Der Vorsteher hat keine Zeit, er ist ein viel beschäftigter Mann und kann sich nicht um jeden kümmern.“

„Mein Name ist Amenhotep, ich komme aus Zawtj. Mein ... mein Sohn Jono soll hierher gebracht worden sein, nachdem er ... verhaftet wurde“, gab er widerwillig Auskunft.

„Warum habt Ihr das nicht gleich gesagt, Herr? Bitte kommt herein.“

Überrascht trat Amenhotep durch das sich öffnende Tor und folgte dem Wächter, der ihn zum Leiter des Gefängnisses brachte.

„Wie kann ich Euch weiterhelfen?“, fragte dieser, nachdem er den Händler gebeten hatte, sich zu setzen.

„Ich war gerade mit meinen Waren auf dem Weg nach Norden, als ich auf einen Boten des Pharao traf, der nach Zawtj unterwegs war. Er teilte mir mit, dass ... mein ‚Sohn’ als Dieb des Amuletts aus dem Tempel des Amun-Ra in Zawtj verhaftet und hingerichtet worden sei. Ich bin hier, um seinen Leichnam abzuholen.“

„Obgleich er ein solches Verbrechen begangen hat, wollt Ihr ihn in Ehren bestatten lassen?“, erkundigte sich der Vorsteher.

Er wollte den Mann, der sich als Vater des jungen Wächters des Auges vorgestellt hatte, erst einmal genauer unter die Lupe nehmen.

„Ihr missversteht mich“, sagte Amenhotep. „Sein Verbrechen gegen die Götter ist unentschuldbar, doch ebenso wenig möchte ich von seinem Geist verfolgt werden, weil er keine Ruhe finden kann. Ihm ein ehrenvolles Begräbnis zukommen zu lassen, wie es sich für meinen Stand schickt, wäre eine Beleidigung des großen Pharao. Er wird seine letzte Stätte unter den Gräbern meiner Diener finden, ausgestattet mit dem Nötigsten für seine Reise. Da sein Herz die Probe vor dem hohen Gericht gewiss nicht besteht, halte ich es für übertrieben, ihm Dinge mitzugeben, für die er ohnehin keine Verwendung haben wird.“

„Ein ... weiser Spruch. Nun, was Euren Sohn betrifft ... Es gibt andere, die Euch wesentlich besser über sein Schicksal aufklären können, als ich es vermag. Ihr findet Euren Sohn im Palast des Pharao.“

„Im Pa – Wie bitte?“

„Er befindet sich im Palast.“

„Ich ... danke Euch“, erwiderte Amenhotep und verließ das Gefängnis mehr als verwirrt.

Er hatte damit gerechnet, dass man ihm mit Ablehnung begegnen würde, sobald er auch nur den Namen seines Sohnes erwähnte. Nicht anders war es ihm in den vergangenen Wochen in Zawtj ergangen. Wann immer er oder ein Mitglied seines Haushaltes durch die Stadt gegangen war, waren ihm böse Blicke und Worte gefolgt. Mehrere große Geschäfte, selbst mit langjährigen Partnern, waren wie aus dem Nichts geplatzt, sobald sich verbreitet hatte, wer das Auge des Ra an sich genommen hatte. Längst verfluchte Amenhotep den einzigen Sohn, den ihm seine Frau je geboren hatte.

Das überaus höfliche Verhalten, mit dem man ihm nun hier in Men-nefer begegnete, machte ihn stutzig und noch merkwürdiger kam ihm die Tatsache vor, zum Palast des Pharao verwiesen zu werden. Er hatte davon gehört, dass es beizeiten üblich war, einen Straftäter nach seiner Hinrichtung in einen Käfig zu setzen oder – besonders bei jenen, die ihren Kopf durch Enthauptung verloren hatten – diesen auf einen Spieß zu stecken und aufzustellen, als Abschreckung für andere. Hatte der Pharao Jonos Verbrechen als so scheußlich empfunden, dass er seine Leiche öffentlich zur Schau stellte? Aber würde er sie dann überhaupt freigeben, wenn sein Vater ihn darum bat?

Diese und andere Gedanken schwirrten durch Amenhoteps Kopf, während der Wagen durch die Straßen rumpelte und schließlich in die große Allee einbog, die zum königlichen Palast führte. Am Portal, das in den Vorhof mündete, wurde er von zwei Wachen aufgehalten und nach seinem Anliegen gefragt.

„Der Vorsteher des Gefängnisses hat mich hierher geschickt. Ich bin auf der Suche nach meinem Sohn Jono, aus Zawtj.“

„Ah, Meister Jono“, sagte einer der Männer.

„Nein, nein, ich meine keinen von den hohen Herren, ich spreche von meinem Sohn, der, der wegen des Raubes des Amuletts verurteilt wurde. Vielleicht habt ihr davon gehört.“

„Wer hat das nicht, in der Stadt sprach man während der ganzen letzten anderthalb Wochen von nichts anderem. Zu dieser Stunde müsste er sich in den Palastgärten aufhalten.“

Amenhotep verstand die Welt nicht mehr. Die Wachen, die ihre Posten nicht verlassen durften, riefen einen Sklaven herbei, der den Besucher in die Gärten führen sollte. Tausende von Fragen kamen dem Händler in den Sinn, als er dem Jungen durch die Höfe und mehrere hohe Tore folgte, bis sie die prachtvollen königlichen Gärten betraten. Sein Kopftuch, das er schon am Eingang der Gartenanlagen abgenommen hatte, zwischen den Fingern knetend, ging er mit klopfendem Herzen an großen Blumenbeeten und Teichen, in denen zwischen den Lotosblüten Ibisse herumwateten, vorbei. Bei seiner Ankunft in Men-nefer hätte er niemals gedacht, diese Anlagen einmal mit eigenen Augen zu sehen zu bekommen.

„Ihr seid am Zug, mein Pharao“, sagte eine Stimme und Amenhotep glaubte endgültig, in einem sehr seltsamen Traum gefangen zu sein. Wenn er nicht wüsste, dass sein Sohn tot war, hätte er schwören können, dass er gerade gesprochen hatte.

Amenhotep umrundete hinter dem Sklaven eine Gruppe hoher Büsche und erstarrte. Abgeschirmt von Palmen und in voller Blüte stehenden Beeten, stand dort ein großer Pavillon, unter dessen Dach es sich zwei junge Männer auf Liegen bequem gemacht hatten. Diener fächelten ihnen mit großen Fächern aus Straußenfedern Luft zu und zwischen ihnen stand auf einem niedrigen Tisch ein Brett mit Figuren, wie sie zum Senet spielen benutzt wurden. Der Händler biss sich auf die Lippen, um den Schrei zu unterdrücken. Den jungen Mann mit der recht ungewöhnlich anmutenden Frisur, zu der seine schwarz-rot-blonden Haare frisiert waren, hatte er noch nie gesehen, dafür kam ihm derjenige, der sich in seiner Gesellschaft befand, sehr bekannt vor.

Atemu nahm die vier Stäbchen, die zum Würfeln benutzt wurden, schüttelte sie kräftig und warf sie auf den Tisch. Mit einem zufriedenen Lächeln setzte er seine letzte Figur auf das Feld, das als „Per Nefer“ gekennzeichnet war. [1]

„Ich stelle fest: Meine Spielfiguren sind im Per Nefer fest etabliert. Ich bin vollzählig an der Spitze des Per Nefer, meine sieben Figuren liegen in gutem Fahrtwind in Führung.“

Jono, der seine Verbände mittlerweile hatte abnehmen dürfen und nun stolz die schwarzen Medjaizeichen trug, zog eine Schnute und ließ enttäuscht den Kopf hängen.

„Ihr habt schon wieder gewonnen, Euer Majestät. Ihr seid einfach zu gut für mich.“

„Seid deswegen nicht betrübt“, sagte Atemu. „Seth ist auch schon einige Male gegen mich angetreten und hat jedes Mal verloren.“

„Tatsächlich? Bei ihm kann ich mir das irgendwie so schwer vorstellen.“

„Da fällt mir ein, wie kommt Ihr denn überhaupt mit dem Beschwörungstraining voran?“

„Sehr gut, auch wenn Seth immer wieder noch Kleinigkeiten findet, an denen er etwas auszusetzen hat.“

„Jono, bist ... bist du das?“

Die beiden drehten sich zu dem Sprecher und Jono quiekte überrascht, als er seinen Vater sah.

„V-Vater, was machst du denn hier?“

„Das gleiche könnte ich dich fragen.“

Atemu räusperte sich und brachte sich Amenhotep dadurch wieder in Erinnerung, der sich schnurstracks zu Boden warf.

„Verzeiht m-mir, großer ... Pharao“, stammelte er und war froh, sein ungläubiges Gesicht gen Boden richten zu können. Da hielt er seinen Sohn für tot und dann fand er ihn lebendig und putzmunter mit dem Pharao vor!

„Das ist Euer Vater?“, wandte sich Atemu an Jono und erhob sich von seiner Liege.

„Ja, ist er“, bestätigte dieser und stand ebenfalls auf.

„Dann müssen unsere Boten schneller als der Wüstenwind gereist sein. Steh auf, Amenhotep. Wir hatten dich noch gar nicht hier erwartet, frühestens nächste Woche. Aber gute Nachrichten verbreiten sich ja gerne schnell.“

„Euer Majestät, erlaubt Ihr mir zu sprechen?“, Amenhotep stand auf, klopfte ein paar Grashalme von seinem Rock und blieb mit gesenktem Blick stehen. „Ich muss gestehen, ich bin sehr ... verwirrt. Euer Bote teilte mir mit, Jono sei“, er schluckte, „hingerichtet worden, wegen des Diebstahls. Ich befand mich gerade auf Geschäftsreise und eilte sofort nach Men-nefer, in der Annahme, seine Leiche abholen zu müssen.“

„Diesen Irrtum bedauere ich sehr“, sagte Atemu. „Du bist einer Fehlinformation aufgesessen. Am Tag vor Jonos geplanter Hinrichtung wurde ein Bote nach Zawtj geschickt, um Fürst Ramose zu informieren. Da sich jedoch Jono als Hüter des Auges und zudem als mein Retter erwies, war seine Exekution selbstverständlich hinfällig und wir sandten dem Boten einen weiteren mit der freudigen Nachricht hinterher.“

„Hüter ... Retter? Ich verstehe überhaupt nichts mehr.“

„Mein Pharao“, schaltete sich Jono ein, „würdet Ihr uns entschuldigen, damit ich meinem Vater die Situation auseinandersetzen kann?“

„Natürlich. Aber vergesst Eure Stunde bei Tanefer nicht.“

Jono und Amenhotep verbeugten sich tief – der Händler bemerkte verdattert, dass Jono nur auf ein Knie herunterging, statt mit der Stirn den Boden zu berühren, wie er es tat – und entfernten sich.

„Also ... Also, mir fehlen die Worte! Ich wähne dich in den Schatten und mich mit einer saftigen Rechnung für deine Hinrichtung ausgestattet und du sprichst mit dem Pharao, als wärt ihr die besten Freunde. Ich verlange eine ausführliche Erklärung von dir, Jono!“, sagte er, sobald sie außer Hörweite des Herrschers waren.

Und die sollte er bekommen, sogar eine sehr ausführliche. Vater und Sohn setzten sich auf eine Bank in einer ruhigen Ecke des Gartens, von der aus sie einen guten Blick auf den Nil hatten und Jono begann zu erzählen, was ihm in den letzten Wochen widerfahren war. Gewisse Details, allen voran seine Beziehung zu Seth und ihre erste Liebesnacht, ließ er wohlweislich aus. Das ging seinen traditionell und somit konservativ erzogenen alten Herrn nun wirklich nichts an.

„Ich weiß immer noch kaum, was ich sagen soll“, meinte Amenhotep am Ende. „Ich meine ... Du hast den Pharao gerettet! So etwas hätte ich dir nie und nimmer zugetraut.“

„Tja, ich stecke voller Überraschungen, Vater. Bei mir weiß man nie, was als nächstes kommt.“

„Oh, in dem Punkt irrst du dich, Jono“, sagte Amenhotep lächelnd. „Ich weiß ganz genau, was bei dir als nächstes kommt. Du kommst mit mir nach Hause und heiratest endlich.“

Jono glaubte sich verhört zu haben.

„Wie ... bitte?“, fragte er, um sicherzugehen.

„Wenn Teje hört, was für ein Held du geworden bist, wird sie dir mit Kusshand das Ja-Wort geben.“

„Aber das geht nicht!“

„Warum sollte das nicht gehen?“

„Ich bin der Krieger des Ra, Vater, ich kann nicht einfach nach Zawtj zurückgehen. Es ist meine Aufgabe, den Pharao zu schützen.“

„Wenn das so ist, dann kommen wir eben für die Hochzeit nach Men-nefer. Ich bin sicher, Teje wird nichts gegen einen Umzug haben. Dafür wird sie sich viel zu glücklich schätzen, einen so berühmten Bräutigam zu bekommen. Du sagtest doch, der Pharao hätte dir ein Haus zur Verfügung gestellt, dort können wir die Hochzeitsfeier abhalten und –“

Jono hob die Hand und stand abrupt auf.

„Ich werde Teje nicht heiraten, Vater“, sagte Jono und machte sich auf den Weg zum Palast.

„Warte, was – Jono, bleib gefälligst stehen, wenn ich mit dir spreche!“ Amenhotep sprang ebenfalls auf und folgte ihm, rief ihm immer wieder zu, stehen zu bleiben und auf ihn zu warten, doch Jono dachte gar nicht daran. In jener Nacht, in der er mit dem Amulett in die Wüste geflohen war, hatte er sich geschworen, nie wieder in dieses Leben zurückzukehren, das er dank einer göttlichen Laune, die ihn zum Wächter gemacht hatte, hinter sich gelassen hatte. Und erst recht wollte er nichts mehr von der Ehe wissen, die sein Vater für ihn arrangiert hatte. Was sollte er mit einer Frau anfangen?

Erst im Hof gelang es Amenhotep, seinen mit raschen Schritten voraneilenden Sohn einzuholen. Er packte ihn am Arm und riss ihn zu sich herum.

„Du wirst mir antworten, wenn ich dir eine Frage stelle, hast du mich verstanden? Ob du mich verstanden hast, will ich wissen! Frecher Bengel!“

Er schüttelte ihn, die andere Hand wütend über den Ungehorsam geballt. Ein eisiger Blick aus braunen Augen traf den Händler.

„Lass mich los“, sagte Jono beängstigend ruhig.

„Du bist mein Sohn und hast mir Rede und Antwort zu stehen, wenn ich es von dir verlange. Vergiss nicht, mit wem du sprichst!“

„Diesen Rat kann ich dir nur zurückgeben, Vater. In Zawtj mögen deine Einschüchterungen gewirkt haben, dort war ich nur dein mittelloser Sohn. Aber hier ist es anders und –“

„Es interessiert mich nicht, ob dich irgendein Gott zum Wächter gemacht hat!“, schrie Amenhotep, so dass sich die Diener nach ihnen umdrehten. „Solange du deine Füße unter meinen Tisch steckst, hast du zu tun, was ich –“

„Er hat überhaupt nichts zu tun.“

Die Augen von Vater und Sohn wandten sich dem Eingang zum Hauptgebäude des Palastes zu, aus dem Seth trat und die Treppenstufen herunterschritt. Amenhotep musterte ihn scharf.

„Und wer seid Ihr, dass Ihr Euch einmischen wollt?“

„Der Hohepriester des Amun-Ra und ich würde dir raten, deine Hände von Meister Jono zu nehmen oder ich lasse die Wache rufen.“ Widerwillig ließ Amenhotep von Jono ab. „Mit seiner offiziellen Ernennung zum Wächter ist er in den Dienst des Pharao getreten und als Medjai dem Hauptmann unterstellt. Du hast keine Befehlsgewalt mehr über ihn.“

Der Händler knurrte etwas Unverständliches.

„Schön, wenn das so ist ... Dann spreche ich eben beim Pharao vor. Wenn Ihr meint, ich könne meinem Sohn selbst nicht befehlen, dann wende ich mich an den, der es kann.“

Jono sperrte den Mund auf.

„Bist ... bist du übergeschnappt, Vater?!“

„Du bist undankbar, Sohn. Ich habe alle Hebel in Bewegung gesetzt, um diese Ehe für dich zu arrangieren und du weigerst dich, Teje zu heiraten.“

Nun wurde Seth hellhörig. Darum ging es seinem Vater also.

„Der Herr der beiden Länder hat Wichtigeres zu tun, als sich mit derlei Dingen herumzuschlagen“, sagte er.

„Das werden wir sehen. An wen muss ich mich für eine Audienz wenden?“

Jono stöhnte auf und schlug sich die Hand gegen die Stirn. Er wusste genau, wem er sein stures Gemüt verdankte. Schon lange wunderte es ihn nicht mehr, dass sie so häufig aneinander gerieten.

„Das kann doch unmöglich dein Ernst sein, deshalb zum Pharao zu wollen.“

„Wenn du nicht auf mich hören willst, auf ihn musst du hören.“

„Mit deinem Benehmen wird man dich gar nicht erst zu ihm vorlassen.“

„Was für einen Ton erlaubst du dir mir gegenüber!“, ereiferte sich Amenhotep und krallte seine Finger in Jonos Gewand. „Ist das der Dank, dass ich dich all die Jahre ernährt und gekleidet habe, dir sogar eine angemessene Braut verschafft habe, damit du mein Geschäft übernehmen kannst –“

Jono blieb unbeweglich stehen, das Gesicht zu einer steinernen Miene erstarrt. Früher, da hatte er sich vor seinem Vater gefürchtet, wenn er ausgerastet war und seine Wut an ihm ausgelassen hatte. Doch diese Zeit war vorbei. Er wollte sich nicht mehr herumschubsen lassen, sich immer sagen lassen, was er zu tun und zu lassen hatte, ohne eine einzige Entscheidung selbst treffen zu dürfen.

„Ich habe es dir schon einmal gesagt, ich diene jetzt dem Pharao. Das ist kein Amt, das man mal eben so quittieren kann. Du wirst dir einen deiner Schwiegersöhne zum Nachfolger wählen müssen.“

„Das ... nun gut, aber heiraten wirst du, und wenn ich dich eigenhändig zum Tempel prügeln muss.“

„Wenn ich jemals heirate, dann sicher nicht Teje“, sagte Jono und warf Seth einen kurzen Blick über die Schulter seines Vaters zu.

„Was hat dieser Lärm zu bedeuten?“ Mahaado blickte aus einem Fenster im ersten Stock auf den Hof hinaus. „Ihr stört den Pharao bei seiner Arbeit.“

„Ah, der Pharao ist also da oben.“ Amenhoteps Blick richtete sich auf das Fenster. Er ließ Jono los und bevor dieser realisiert hatte, was vor sich ging, strebte sein Vater schon auf den Eingang zu. Seth stellte sich ihm in den Weg.

„Der Pharao wünscht keine Störungen. Wenn es unbedingt nötig ist, kann ich dich auf die Audienzliste setzen, die nächste öffentliche Audienz ist für übermorgen geplant.“

Der Händler sah zu dem Hohepriester, der ihn um gut einen Kopf überragte, auf und betrachtete ihn kritisch, während er überlegte. Zwei Tage ... Jono schien einen recht vertrauten Umgang mit dem Herrscher zu pflegen. Zwei Tage konnten da mehr als ausreichen, um ihn gegen Amenhotep einzunehmen und auf Jonos Seite zu ziehen. Dann konnte er die schöne Hochzeitsplanung endgültig vergessen und das würde er nicht akzeptieren. Entschlossen straffte er sich, marschierte an Seth vorbei und durch das Eingangsportal. Dieser schnappte nach Luft. So eine Dreistigkeit war ihm ja noch nie begegnet ... außer bei Jono. In der Eingangshalle sah sich Amenhotep kurz um und strebte dann auf eine große Treppe zu. Seth und Jono folgten ihm.

„Bleib stehen, Vater, was hast du vor?“

„Ich spreche mit dem Pharao“, kam die ungerührte Antwort, während der Mann die Stufen hinaufeilte.

„Bist du verrückt geworden, du kannst nicht einfach da reinplatzen, wie es dir passt! Du bist hier nicht zu Hause. Wachen, haltet ihn auf!“

Jono nahm immer zwei Stufen auf einmal und schaffte es dennoch nicht, seinen Vater einzuholen.

Atemu brütete über einem Bericht der Truppen aus dem Süden und versuchte sich einen Überblick über die aktuelle Lage dort unten zu verschaffen, als auf dem Gang zu seinem Arbeitszimmer Stimmen laut wurden.

„Was ist denn jetzt schon wieder“, brummte er und kratzte sich müde am Kopf, wobei sich die losgelassene Papyrusrolle von selbst wieder zusammenrollte. „Mahaado, seht Ihr mal bitte nach?“

Der Magier hatte den Weg zur Tür noch nicht zur Hälfte zurückgelegt, als sie aufgerissen wurde und Amenhotep, gefolgt von Jono, Seth und einem halben Dutzend Medjai, die bei den königlichen Räumen Wache hielten, hereinplatzte. Die Wächter warfen sich auf ihn und zwangen ihn zu Boden.

„Was ist hier los?“, rief Atemu und schoss von seinem Sessel auf.

„Wir bitten Euch um Verzeihung für die Störung, mein Pharao“, sagte Seth mit einer tiefen Verbeugung.

„Und was hat Euer Vater in meinem Arbeitszimmer zu suchen, Jono?“

„Er –“

„Euer Majestät, ich ...“, Amenhotep rang mit den Männern, die ihn festhielten, „ich muss dringend mit Euch sprechen, wegen meines Sohnes.“

„Lasst ihn los“, sagte Atemu und wartete, bis die Medjai seinem Befehl Folge geleistet hatten. „Nun sprich.“

„In Zawtj wartet eine schöne Braut auf Jono“, dieser schnaubte verächtlich, als er das hörte, „aber er weigert sich, sie zu heiraten und behauptet, mir nicht mehr Folge leisten zu müssen.“

„Das ist richtig, er untersteht nun mir.“

„Darum bitte ich Euch, ihm zu befehlen, sie zu heiraten.“

Atemus Blick huschte flüchtig zu Jono und Seth, die neben ihm standen. Zwei flehende Augenpaare hatten sich auf den Herrn von Kemet gerichtet.

„Hmmm ... Nein“, antwortete Atemu.

„Wie ... wie bitte?“

„Nein, Jono wird das Mädchen nicht heiraten, das du für ihn ausgesucht hast und auch ich werde ihm in dieser Angelegenheit nichts befehlen. Das Herz unterliegt nur dem Befehl seines Besitzers.“

Wenigstens bei ihm soll es so sein.

Amenhotep sah ihn fassungslos an, dass seine Bitte so rigoros abgeschmettert worden war, doch ihm konnte er sich nicht widersetzen. Seinem Sohn hingegen fiel bei diesen Worten ein riesiger Stein vom Herzen.

„Vielen Dank, mein Pharao.“

Amenhotep seufzte schwer. Nun würde Tejes ganze Mitgift einem anderen in die Hände fallen.

„Nachdem das geklärt wäre, würde ich gerne weiterarbeiten“, sagte Atemu, auch wenn dem gerade ganz und gar nicht so war. Er war für einen kleinen Ausbruch aus seiner Arbeit immer dankbar, vor allem, wenn er sich mit den widerspenstigen Südprovinzen herumschlagen musste.

„So, Vater, nun hast du es selbst gehört. Ich heirate Teje nicht“, sagte Jono, als sie wieder auf dem Gang waren.

„Entschuldige, aber ... Ich glaube, ich muss die ganze Sache erst einmal verdauen. Falls du mich suchen solltest, ich wohne im Gasthaus Amenophus.“

Mit leicht wankenden Schritten stieg Amenhotep die Treppe hinab und verschwand aus dem Palast. Jono stieß erleichtert die Luft aus den Lungen.

„Uff, für einen Moment dachte ich, der Pharao spricht sich für eine Hochzeit aus. Dann wäre ich geliefert gewesen.“

„Ich glaube nicht, dass er das in Erwägung gezogen hat“, widersprach Seth. „Schließlich kennt er das Gefühl, in eine arrangierte Ehe geschoben zu werden.“

„Wann soll die Prinzessin denn ankommen?“

„Sie wird in drei Wochen in Men-nefer erwartet. Wenn ich daran denke, was bis dahin noch alles vorbereitet werden muss ...“ Er fasste sich in den Nacken.

„Wie wäre es, wenn du heute Abend nach der Arbeit bei mir vorbeikommst“, sagte Jono und ließ seine Finger über Seths Hals gleiten. „Hapi ist nicht der Einzige, der gut massieren kann.“

„Ein verlockendes Angebot.“

Als Jono seinen Vater am nächsten Morgen in dem Gasthaus aufsuchte, wo er abgestiegen war, hatte sich Amenhotep beruhigt und auch seinen Kater halbwegs in den Griff bekommen, den ihm das Bier des Wirtes eingetragen hatte. Er hatte seinen Kummer über die Entscheidung seines Sohnes in etlichen Krügen des goldgelben Getränkes ertränkt. Da es für ihn in Men-nefer nichts mehr zu tun gab, beschloss er, morgen das erste Schiff zu nehmen, das die Stadt Richtung Süden verließ.
 

[1] Die tatsächlichen Spielregeln für Senet sind leider zusammen mit viel anderem Wissen im Lauf der Zeit verschwunden. Ich habe auf einige Internetquellen zurückgegriffen, aber auch sie können nur Vermutungen über die Regeln anstellen.



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Kommentare zu diesem Kapitel (5)

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Von:  Aredhel_Palantir
2008-11-22T21:17:18+00:00 22.11.2008 22:17
Also,
zuerst muss man die FF generell loben.
Sie liest sich wirklich gut.
Die Übergänge sind gut verfasst, es kommt kein Stocken mitrein.
Wie du das mit der Verlobten Atemus lösen willst, wird sicher interessant.
Das mit Jonos Vater fand ich recht witzig.

LG
Aredhel
Von:  Rani
2008-11-14T18:56:00+00:00 14.11.2008 19:56
Schönes Ende und gute Überleitung zur anderen Geschichte gefällt mir sehr gut mach weiter so, diese FF war wirklich die gelungenste die ich lange gelesen habe sie gefällt mir sehr sehr gut mach weiter so dein Schreibstil ist serh gut

lg Rani
Von: abgemeldet
2008-11-13T17:26:41+00:00 13.11.2008 18:26
endlich ein neues kapitel :)
Von:  Sathi
2008-11-13T07:24:32+00:00 13.11.2008 08:24
wahnsinnig schönes kapitel wie immer :D
den gesichtsausdruck von jonos vater konnte ich mia bildlich vorstellen
*lach*
zu geil :D tja wäre ja schlimm gewesen wenn er wirklich nich mehr leben würde -..-
boa un das jono die frau nich heiraten musste fand ich auch super!! :D
das wäre wirklich fies gewesen
also wie immer super tolles kapitel mach so weiter bis zum nächsten xD
Von:  Ryuichi-Sakuma-
2008-11-13T01:12:00+00:00 13.11.2008 02:12
Mal wider ein echt SEHR schönes Kapi von dir *kiss*
Ach ich Liebe deine FF einfach ssssssssssssssooooooooooooo was von du kannst aber auch so schön schreiben \(*O*)/
*grinz* Und Jonos Vater hat erst mal nicht schlecht geschaut wo er seinen tot geglaubten Sohn mit den Pharao gesehen hat *FG* jaja unser lieber Blondschopf Lebt Gott sei Dank *smilie*
Phu und da hat Jono echt Glück gehabt er mut die Frau nicht Heiraten das währ ja auch was wenn denn Seth und Jono gehören nun mal einfach zusammen *kiss*
Nur einser seits tuht mir Yami er darf sich nicht selbst nee Braut aus suchen als Pharao *knuddel*
Naja wehr weiß vileicht verliebt er sich ja noch in die Princessin zu wünschen währ es ihm das er auch die Liebe findet *kiss*

Gruß: Ryuichi-Sakuma-
(^-~)/


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