Silvester
Der Himmel brach wie ein majestätisches Blumenmeer über Akane zusammen. Gigantische Knospen in allen nur so erdenklichen Farben brachen auf ihrem Höhepunkt mit einem gewaltigen Knall auf und ließen ihren Blütenstaub abwechselnd schimmernd und funkelnd seicht auf die Erde hinab rieseln, um dann kurz bevor es die Menschen berührte zu erlöschen.
Ein Staubkörnchen jedoch, in zartes rosa gehaucht, legte sich zu den Füßen eines Mädchen, welches elfenhaft und abgeschieden auf einem Stein dicht an einem zugefrorenen Teich saß. Von oben betrachtet hätte man beinahe annehmen können, sie wäre die Meerjungfrau aus Andersens Märchen, die vergebens auf ihren Prinzen wartete. Das Mädchen hatte die Beine an den Fußgelenken gekreuzt und sich leicht nach vorne gebeugt, den Blick rigoros vom bunten Spektakel am Himmel schon lange abgewandt.
Akane machte sich nicht viel aus dem überragenden Feuerwerk. Zumindest nicht jetzt, zumindest nicht heute, nach diesem enttäuschenden Abend. Sie fröstelte ein wenig und zog sich ihren Schal noch ein wenig enger um ihren schlanken Hals. Ihre langen dunkelblauen Haare hatte sie mit einer derben Wollmütze bedeckt, doch nichts schien sie mehr vor dieser kalten und trockenen Winterluft schützen zu wollen.
„Ich sollte wieder ins Haus gehen“, dachte sie bei sich, „niemand zwingt mich hier draußen in der Kälte zu sitzen.“
Doch sobald sie hinein ging, würde sie Mütze und Schal abnehmen müssen. Sie würde sich die neuen Stiefel abstreifen, sich ihrem Mantel entledigen und sich dann endlich eingestehen müssen, dass das neue Jahr nicht hätte schlimmer anfangen können.
Akane atmete noch einmal tief ein und ließ ihren Seufzer von einer Nebelwolke einhüllen bis er wieder lautlos wurde. Sie lugte kurz zum Haus hinüber und sah die kleinen Lichter flackern, die sie vor einiger Zeit dort im Teezimmer entzündet hatte. Der Rest des Tendo Anwesens lag im Dunkeln, umhüllt von einer Stille, die ihr beinahe unheimlich vorkam, wäre da nicht der typische Neujahrslärm um sie herum, den Akane allerdings nur aus einiger Ferne wahrnahm. Die Tendos und die Saotomes waren auf ‚Schloss Kuno‘ zu einem Silvesterball eingeladen worden. Wie dieser wohl gerade aussah, konnte Akane sich nur zu gut vorstellen, aber sie gönnte ihrer Familie diesen Spaß, auch wenn er wahrscheinlich bis ins unermessliche ausarten würde, aber so würde die Katastrophe wenigstens nicht hier stattfinden. Und es hatte zudem den angenehmen Nebeneffekt, dass Akane das Haus ganz für sich alleine beanspruchen konnte, um zum ersten Mal ein richtiges Candlelightdinner für jemanden ganz besonderen zu planen, ohne, dass ihre verrückte Familie hätte dazwischen patzen können. Einfach ideal, wenn nicht….
Langsam kroch die Kälte immer weiter unter Akanes Haut und sie musste sich wohl oder übel dazu durchringen, wieder ins Haus zurückzukehren.
Im Flur der Tendos ließ sie ihre Sachen einfach auf einen Haufen fallen und sehnte sich nur noch nach einem heißen Bad, als sie plötzlich für einen Bruchteil einer Sekunde ihr Spiegelbild im Vorbeigehen erhaschte. Wie gelähmt stand sie mit erschrockenen Augen vor dem überlebensgroßen Spiegel und betrachtete sich. Sie hätte sich beinahe selbst nicht wiedererkannt! Diese Akane dort, mit den leicht geröteten Wangen und dem bläulichen Lidschatten um ihre Augen herum. Ihr Blick glitt tiefer und ein weiterer Seufzer entschlüpfte ihrem Lippen.
„Jetzt habe ich mir völlig umsonst Sorgen um mein neues Kleid gemacht…und gesehen hat es auch niemand…“ und mit einem amüsanten Blick auf den ungewöhnlichen Ausschnitt: „Aber vielleicht sollte es auch so sein, nachher wäre Paps noch in Ohnmacht gefallen und hätte das Haus nie verlassen“. Ihr neuerliches Gelächter blieb Akane jedoch gleich wieder im Halse stecken, als das altbekannte Gefühl der Enttäuschung ihr Herz auf einmal ganz schwer werden ließ.
„Aber wozu auch, er ist ja schließlich doch nicht gekommen….“
Zur gleichen Zeit auf ‚Schloss Kuno‘…