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Wandel

Wer will schon ewig leben?
von

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Amphion

Amphion
 

Schon wieder blitzten in meinem Kopf die Fragen auf, die ich schon so oft überdacht habe, schon lange beantworten wollte. Ich versuchte meine Gedanken rein zu halten, aber schon seit langer Zeit kann ich diese Verwirrung nicht verbannen. Ich blinzelte, da mir ein bisschen Erde in meine Augen kam, obwohl mich dies schon lang nicht mehr stört. Ich liege nun schon seit Ewigkeiten in diesem ‚Grab’, dass ich mir selbst geschaufelt habe. Ich wollte nur Ruhe.

„Du wirst nie zu etwas gut sein“, schallte eine lang vergessene Stimme in meinem Kopf, sie ermahnte mich, vor allem aber unterdrückte sie mich von klein auf. Es ist die meiner Mutter. Schon lang vernahm ich diese Stimmer nur als Illusion, als verschwommenes Bild vergangener Tage. Wie lang ist es bloß her, als ich sie das letzte Mal vernahm?

Wut stieg in mir auf. Ich hatte nie die Gelegenheit ihr zu sagen, wie viel sie für mich getan hat. Aber ich wusste, ich hätte es ihr nie sagen können, erst Jahrhunderte später merkte ich, was sie mir bedeutete. Aber jetzt? Jetzt will ich hier ‚Leben’, nicht über die Welt wandeln, nur Ruhe und Frieden.

Nun blendete sich alles aus, endlich, wieder eine der leeren Phasen, in denen ich ruhen kann. Ich wusste, jetzt erhalte ich ein klein wenig Schlaf. Nach all den langen, schlaflosen Tagen ohne einen einzigen Traum. Aber mein Schlaf war genauso Traumlos.
 

„Hilfe, hört mich jemand? Ist Einer unseresgleichen in der nähe?“ Ich erwachte. Diese Worte vernahm ich. Es waren keine gesprochenen Worte, eher waren es Schwingungen der Gedanken, ein stiller Ruf eines Artgenossen. Ich musste überlegen ob ich ihm helfen sollte. Eine schwere Entscheidung. Wenn ich mein kaltes Loch hier verlasse, dann kann ich niemals zurück. Solang ich hier auch schon liege, nochmal bringe ich es nicht zustande mich zu vergraben. Will ich hier ewig liegen? Damals hatte ich es so festgelegt, den Mut zum sterben hatte ich nicht, aber den Mut mir ein ewiges Grab zu schaufeln. Aber nun? Jahrhunderte lang ruhte ich, es ist an der Zeit weiter zu machen, ein neues Leben, eines unter vielen, zu eröffnen. Ein weiterer Name. Über die Jahrhunderte hinweg hatte ich viele, griechische, arabische, einige in meiner Muttersprache und welche in mir völlig unbekannten Sprachen, aber mein wahrer Name lautet Alessandrej.
 

Nochmal vernahm ich den Hilferuf. Dann handelte ich schnell. Ich erhob mich mit einer rasanten Geschwindigkeit aus 7 Metern tiefe an die Oberfläche. Die Luft stach in der Lunge und der Wind schnitt mein Gesicht. Solang ohne frische Luft, endlich atmen. Ich tastete vorsichtig mein Gesicht ab, welche spuren hinterließ mein selbst gewähltes Schicksal auf meiner Haut? Ich fühlte die Knochen unter der Haut, wie fahl und eingefallen dieses ledrige Etwas – meine Haut – sich doch anfühlte. Blut. Ich sollte etwas trinken, sonst kann ich nicht in eine neue Gesellschaft treten. Aber was war es noch gleich, weswegen bin ich hervor gekrochen? „Hört mich jemand?“ Diese Rufe. Ich eilte zu deren Quelle. Ein Vampir. Ein Artgenosse. Ein Freund?
 

Ich sah ihn. Etwas von mir entfernt stand er an eine alte Mauer gepresst. Jugendliche mit Fackeln, mit Spraydosen und Messern – solche typischen Jugendlichen der heutigen Zeit – standen vor ihm. Sie drohten ihm. Weswegen? Jetzt ist keine Zeit für Fragen, ich muss ihm helfen. Diese Jungen sind sicher eine gute Quelle. Ich bewegte mich rasant auf sie zu. Und ehe sie auch nur reagieren konnten, hieb ich mit meiner Handkante in die Genicke der Beiden. Sie gingen bewusstlos zu Boden. Nun krallte ich mir den einen, stach mit meinen noch immer scharfen Eckzähnen in dessen Hals und sog sein Blut in mich hinein. Es tat gut. Es war wie ein Rausch, endlich wieder diesen einzigen Geschmack in meinem Leben wieder zu schmecken, wie sehr hatte ich das vermisst. Ich trank langsam, wollte es langsam in mich fließen lassen, es genießen. Doch so ein junger Mensch hatte nicht viel Blut, vor allem war es nicht besonders sauber. Ich konnte an dem Blut schmecken, welch ein tragisches Leben dieser Wicht hatte. Seine Eltern waren gewalttätig, hatten ihn schon früh mit Alkohol in Kontakt gebracht. Sein Vater schlug ihn. Das hat ihn noch mehr ins Verderben gestürzt, Zigaretten, Drogen, dass alles konnte ich schmecken. Es erfüllte mich mit Trauer. Nun ist er Tod. Sicher eine Erlösung seines erbärmlichen Lebens. Ich lies ihn zu Boden gleiten, befühlte mein Gesicht. Ja, es hatte wieder ein bisschen Form angenommen, fast so schön wie früher.

Ich blickte mich um. Der andere Vampir hatte derweil sich den anderen Jungen einverleibt. Auch er war fertig mit seiner Mahlzeit. Wie ich ihn so musterte, merkte ich, er war noch recht jung, vielleicht fünf Jahrhunderte hatte er schon erlebt, oder sechs. Nun sah er mir direkt in die Augen. Irgendwie traurig oder schmerzverzerrt wirkten sie. Ich wusste nicht wie ich ihn Fragen sollte, sollte ich mich einer der mir bekannten Sprachen bedienen oder auf unserer Sprache – den hohen Wellen des Geistes – mit ihm sprechen. Es erübrigte sich. Er sprach mich in einem modernen griechisch an, mir nicht ganz bekannt, aber der alten Sprache recht ähnlich, ich antwortete ihm. Er fragte, welche Begebenheit mich zu ihm führte, da man mir ansah, dass ich lang unter der Erde lag. Ich wusste nicht genau was ich erwidern soll, doch dann sprach ich: „ Auch ich muss weiterleben, ich verbrachte lange Zeit in meinem kalten Grab, nun werde ich weiter suchen.“ Dann wollte ich mich umdrehen und gehen, doch es schien mir unhöflich, also verbeugte ich mich vor ihm – aus Respekt – wie ich es einst gelernt hatte. Ich erkundigte mich nach seinem Namen. Ich erhielt eine schnelle Antwort, bevor er verschwand: „Amphion.“ Und in meinem Kopf hallte ein Versprechen: „Ich bin dir mein Leben schuldig.“ Alles war still.
 

Ich spürte die kühle Nacht, wie seit Jahrhunderten nicht mehr. Bald ging sie vorbei. Einen Platz für den Tag finden, die nächste Stadt finden, andere zum diskutieren, all das musste ich jetzt finden. Diese Nacht verbrachte ich in einer modrigen Gruft im Wald. Am nächsten Abend will ich mich aufmachen, in die neue Welt, das neue Leben, welches ich mir erwählt habe.



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