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Ferienhorror leicht gemacht

Der Alptraum für jeden Dominik
von

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Tag 3

Ausnahmsweise wurde ich nicht von Urwaldgeschrei und totem Niveau geweckt, da ich als erster im Zimmer aufwachte; neben mir lag noch mein Handy, auf dem das Titelbild von Snake dämlich vor sich hinblinkte und statt einem Kissen hatte ich die ganze Nacht lang auf dem Failkrimi gepennt.

Hoffentlich klebte mir jetzt keine Druckerschwärzer in der Fresse, sonst verließ ich heute den Raum nicht mehr, so eine Blamage musste ich nicht über mich ergehen lassen.

Aber es ärgerte mich, dass ich nicht hatte ausschlafen können, weil ich gestern Abend bei der negativen Spannung des Gammelbuchs einfach weggeratzt war, bestimmt noch vor neun Uhr.

Aber wenigstens hatten mich die Spielkinder nicht mit sinnfreiem Gelärme aus meinem Traumparadies gerissen, sonst hätte es echt Tod und Verderben gegeben.

Mein Handy verkündete dreist, dass es erst kurz nach sieben sein konnte; ich hatte also noch genügend Zeit, mich aufzuregen oder wahlweise wild durchs Zimmer zu springen und einmal den Spieß umzudrehen. Sollten mal die anderen von mir belästigt werden statt immer nur ich von ihnen.

Oder ich machte es ganz fies und ärgerte jeden einzeln ein bisschen. Verdient hätten sie es auf jeden Fall, besonders Softeisbrötchenopfer und Dummluis, der sich mit seinem negativen IQ nie zurückhalten konnte.

Leise, um mir nicht den Plan von Anfang an zu vermasseln, warf ich die Decke von mir hinunter, packte mein Handy, kletterte aus dem Bett und suchte mir ein Opferlein.

Luis gammelte so verlockend idiotisch und ziemlich verknotet auf seiner Matratze, der schrie gerade zu Quäl mich, König Dominik!, diesen Wunsch würde ich ihm mit Vergnügen erfüllen.

Ich flitzte zu ihm, stellte die Lautstärke meines heiligen Handys auf die höchste Stufe, um den schönsten Effekt zu erzielen, hielt es ihm direkt ans Ohr und begann, meine Klingeltöne zu testen.

Die Reaktion war echt zum Totlachen; durch sein Geschrei wurden gleich noch meine zwei anderen geliebten Zimmermitbewohner wach und guckten wie erschrockene Fische, weil sie nicht wusste, ob ich Luis folterte oder ob er sich nur künstlich anstellte.

„Domi, du mieser kleiner Arsch, ich hasse dich“, plärrte mich Luis an, versuchte sich gleichzeitig das geschädigte Ohr, den Arm, den er sich an der Leiter gestoßen hatte, zu halten und nach mir zu schlagen.

Erfolg gleich null, er war und blieb ein Verlierer, wie alle Vollpfosten hier. Nur ich war einfach aus Prinzip im Vorteil.

„Bist du eigentlich noch zu retten? Das tat weh, ich hab dir gar nichts gemacht, du Wichser, Mann. Bei dir tickst doch nicht mehr ganz richtig, geh sterben und hör auf, dich hier so dummdämlich aufzuspielen, als wärst du der einzig wahre. Du bist einfach nur ein kleiner verzogener, egoistischer Hurensohn ohne Freunde.“

Oh mein Gott, nun musste ich aber weinen, wie traurig.

Man, der sollte sich ins Knie ficken und den Schnabel halten; auf unschuldiges Etwas zu machen war ja voll daneben; er hatte es verdient.

„Sag mal, geht es dir noch ganz gut?“, mischte sich nun auf Tom ein, der als bester Kumpel of the world natürlich nicht fehlen durfte und Luis seelisch und moralisch unterstützen musste. Allein schaffte der das ja nicht. Wie arm. „Kannst du nicht einmal aufhören, Scheiße zu machen und einfach nur rumsitzen und atmen? Ist das zu viel verlangt?“

Wenn Blicke Morddrohungen schreiben könnten, hätte ich nun ein vollgefülltes E-Mailfach.

Vinc würdigte mich keines Blickes, sonders verließ sein Bettchen und krabbelte zu Luis, um ihn zu trösten. Alter, wie schwul, was hatten die nur alle genommen?

Vielleicht steckte Richard an; ich sollte mich also besser noch weiter als gewöhnlich von ihm entfernt halten, sonst benahm ich mich bald auch so wie Vinc und Luis, die dasaßen, als wären sie zu einem Wesen verschmolzen.

Wie im Horrorfilm, das nächste Mal überlegte ich mir etwas, bei dem Kleinvinc nicht gleich sein Mitleidsgetue an Luis auslassen konnte, sonst rastete ich aus und wurde noch ungemütlicher zu ihnen als vorher.

Langsam wanderte die ganze Aufmerksamkeit, die Luis mit seinem Gezeter auf sich gezogen hatte, zu mir herüber und ich merkte, wie ich von drei Seiten gegrillt wurde.

Na toll, bestimmt kamen jetzt wieder dumme Sprüche oder sinnlose Beleidigungen von ihnen, die würde ich alle knallhart an mir abprallen lassen und dafür sie schön fertig machen.

Die Hauptaufgabe eines wahren Dominiks.

Mit einem perfekten überheblichen Blick konterte ich die Röstattacke und war deshalb gar nicht darauf vorbereitet, dass Luis von seinem Bett aufsprang, mich am T-Shirt packte und mich durch das Zimmer schleifte.

Hallo, aber sonst funktionierte in seinem Hirn alles noch ganz gut. Ich war doch kein Putzlumpen, den man je nach Lust und Laune durch die Gegend beförderte, weshalb ich mich natürlich auch anfing zu wehren, als er mich auf den Gang ziehen wollte.

Sehr theatralisch klammerte ich mich am Türrahmen fest und fuhr ihn an, dass er seine Griffel von mir nehmen sollte, auf ein kaputtes T-Shirt konnte ich sehr gut verzichten.

Das kleine Dummkind tat so, als hätte es meinen Befehl nicht verstanden und schon nach wenigen Schritten befand ich mich im Bad; erst recht ein Grund, schnell abzuhauen, das bedeutete nie was Gutes, wenn man von anderen dort reingezwungen wurde.

Mein schöner Fluchtplan – Luis niederschlagen und das Weite suchen – scheiterte schon daran, dass er Verstärkung bekam, nämlich seinen kleinen Zwei-Mann-Fanclub, der mich daran hinderte, zurück ins Zimmer zu rennen.

Hatte ich schon mal erwähnt, wie scheiße ich Luis fand?

Allerdings fragte ich mich echt, ob er den Negativbereich noch sprengte, denn er wenn er wirklich das durchzog, was ich befürchtete, würde ich bei nächster Gelegenheit seinen Schrank samt Inhalt abfackeln.

Er machte es wirklich; zusammen mir Tom stießen sie mich in die Möchtegernduschkabine, hielten mich dort fest und stellten das Wasser auf. Natürlich auf eiskalter Stufe.

Ich tobte wie ein Wirbelstürmchen, beschimpfte sie auf übelste Art und Weise, versuchte ihnen die Augen auszukratzen oder sie zumindest mit unter diesen fürchterlich kalten Strahl zu holen, aber sie entwischten mir immer wieder.

Und ich stand da, fror mir alles ab, hätte sie am liebsten alle im Wald vergraben und fühlte mich voll gedisst. Diese Mistkerle hatten es wirklich geschafft, sich an mir zu rächen. Peinlicherweise auch noch erfolgreich, ich könnte echt kotzen, wenn ich nicht innerlich schockgefrostet worden wäre.

„Tja, Domilein, so schnell kanns gehen“, grinste mich Luis böse an, drehte endlich das fuck Ding ab und tätschelte mir provozierend die Schulter, wofür ich ihm einmal heftig in die Seite schlug. Aus Gründen seiner Sicherheit ließ er mich nun in Ruhe. „Wir können auch anders, wenn du dich wieder wie der letzte Arsch benimmst.“

„Wie wärs, jeden morgen eine Eisdusche für unseren König begossener Pudel“, schlug Tom vor und erntete freudige Zustimmung. Ich ballte einfach die Hände zu Fäusten und verfluchte alles und jeden auf diesem beknackten Planeten, der auch nur im Entferntesten etwas mit meiner übelst grottigen Situation zu tun hatte.

„Was geht denn hier ab?“ Sascha lugte noch ziemlich verschlafen um die Ecke. „Feiert ihr hier ne Party oder wie?“

„Nö, wir duschen Domi, weil er ein Penner ist und denkt, er wärs.“ Luis hatte eindeutig Spaß, Sascha zu erklären, was für eine Veranstaltung er hier soeben gestört hatte.

„Ich hasse euch alle, damit ihrs wisst.“ Nach dieser Aktion fehlten mir echt die Worte, was man leider auch merkte. Hoffentlich nutzten sie das nicht noch mit dummen Sprüchen aus, sonst erlitt ich hier wirklich einen Anfall plötzlich auftretenden Wahnsinns, der sich dadurch äußerte, dass man sinnfrei rumschrie und Möbel zerlegte. Wäre ich ein Mädchen, hätte ich nach diesem Vorfall bestimmt geflennt, aber ich war einfach nur ultraaußeridisch geladen, besonders weil ich in meinen nassen Klamotten wie eine bemitleidenswerte Witzfigur aussehen musste.

Mit etwas Pech wollte mich Vinc zum Schluss noch knuddeln, weil ich so erbärmlich wirkte.

Ich machte mir den Weg dieses Mal erfolgreich mithilfe meiner Ellbogen frei, da ich nun auf keinen Widerstand stieß, schlüpfte in unser Zimmer und beschlagnahmte ein fremdes Handtuch. Meins fand ich gerade nicht und die angehenden Schulschläger, die immer noch in der Dusche ihre Schwatzstunden hielten, vermissten es sowieso nicht.

Hoffentlich rutschte jemand auf der Wasserspur, die meine Sachen hinterlassen hatte, aus, dann hätte ich wenigstens doch noch was zu lachen, aber erst einmal pfefferte ich meine Klamotten auf den Boden, wickelte mich in das Tuch und verschwand in mein Bett, um mich wieder aufzuwärmen.

Als Eisklötzchen ging ich nicht zum Frühstück.

Die Tür wurde aufgestoßen, dass man das Gefühl hatte, eine ganze Horde Elefanten wären hineingetrampelt, und natürlich wurde ich nicht verschont, das wäre auch zu schön gewesen.

„Oh, das kleine Dominik hat sich vor uns versteckt, weil er Angst hat“, hörte ich die Stimme, die ich im Augenblick am wenigsten ertragen wollte. Richard, Lord of Gayness und Gott der wandelnden Blödheit, seine Sticheleien brauchte kein Arsch auf dieser Freizeit.

„Nein, du Pfeife, weil er dein hässliches Gesicht nicht sehen will, deshalb“, antwortete ich ihm patzig, musterte den ganzen sensationsgeilen Verein, der sich in Schlafanzug und noch halb im Land der hohlen Träumereien im Raum verteilt hatte und seine Dummheit wie Blumensamen verstreute.

Bald wuchs hier das ultimative Gras of duuummm und ersetzte den nicht vorhandenen Teppich.

„Wenigstens muss man uns nicht zum Duschen zwingen.“ Luis konnte seine scheunentorgroße Klappe auch nie halten. „Wo ist mein Handtuch?“ Suchend drehte er sich einmal im Kreis.

Na super, da hatte ich mir wohl ausgerechnet seins gekrallt. Lecker, ich badete sozusagen in hochgiftigen Luisbakterien. Jetzt war ich noch verseuchter als vorher.

„Wurde das Klo runtergespült.“ Und er gehörte gleich hinterher.

„Junge, lass doch mal bitte deine niveaulosen Aussagen“, wies mich ein schlecht gelaunter Sascha zurecht, der sich einen unserer Stühle gecheckt hatte und dort wohl wartete, dass ich mich in Luft auflöste. Darauf konnte er hoffen, bis er tot umfiel, den Gefallen erfüllte ich ihm nicht.

Außerdem, ich musste mich doch auf eine Ebene mit den Holzköpfen hier begeben, sonst verstanden die mich gar nicht. Als wäre das Kommunikationsproblem nicht schon so groß wie das Ozonloch über Australien, nur schrumpfte bei uns nichts.

„Hast du es?“, knurrte mich Luis bösartig an und kam schon wieder viel zu nahe. Fand der das irgendwie geil und suchte ständig einen Vorwand, um das auszuleben oder gab es definitiv zu viele Zufälle auf der Welt?

„Ausgeliehen. Hätte ich gewusst, dass es deins ist, hätte ich es nicht mal angeguckt.“ Tatsache, was hatte er auch anderes gedacht? Als ob ich sein Tuch anbetete, weil es so galaktisch berühmt war.

„Gibt’s her.“ Ich sah schon, wie er sich auf mich stürzte, mir die Decke wegriss und mir das Handtuch stahl. Und sich dann wunderte, warum ich nichts drunter hatte; zu der hellen Sorte Mensch zählte der kleine Luis nämlich gar nicht. Nicht mal mit einer Lampe in der Hand.

„Soll ich mich vor dir ausziehen oder was?“, ging ich in den Angriff über. „Wie schwul bist du eigentlich?“

„Ich bin nicht schwul, okay?“

„Und selbst wenn, wäre das nicht schlimm“, mischte sich Richard sofort ungefragt ein; war ja klar, dass der dazu das Maul aufreißen musste. „Es gibt nur leider immer noch ein paar unterbelichtete Typen au der Welt – solche wie du, Domi – die meinen, das wär der Weltuntergang, weswegen sie sich künstlich aufregen und schwul als eine Beleidigung benutzen.“

Warum wurde ich dauernd mit solchem Zeug gequält? Erst kalte Dusche am Morgen, dann Richards unnötige Verteidigungsrede für Minderheiten, die in diesem Zimmer wohl keine waren und die mich kein Stück interessierten; gleich kamen die Zeugen Jehovas oder ich wurde von Aliens entführt.

Und die da unten fanden das bestimmt auch noch toll, wenn ich nicht mehr hoheitsvoll unter ihnen weilte, und feierten nach meinem Verschwinden ein fettes Fest.

„Hallo, mein Handtuch, aber heute noch.“ Luis ließ echt nicht locker. „Ich kann auch wegsehen, damit du dich nicht so beobachtet fühlst. Weißt du, dass du eigentlich voll das Weichei ist? Du merkst es aber gar nicht mehr, weil du so viel Mist erzählst...“

„Luis, ist gut. Er hat langsam verstanden, was du von ihm hältst.“ Olli hatte wohl keine Lust mehr – oder wollte mal wieder einen auf supersozial machen – und unterbrach unseren kleinen Bitchfight. Wenn er mir nun noch die Nervensäge vom Hals nahm und sie im Bach draußen versenkte, wäre ich ihm sehr dankbar. Vielleicht wäre ich dann sogar mal etwas nett zu ihm.

„Ich glaub, ich geh noch mal ins Bett“, verkündete Sascha und verließ ohne uns weiter zu beachten die lustige Gesellschaft. Ich wartete ja eigentlich nur noch auf den ultimativen Kommentar von Richard in Richtung „Ich komm mit!“ oder so was Zweideutiges.

Aber allein die Vorstellung der beiden bei nicht jugendfreien Tätigkeiten... grauenhaft.

Das Zimmer leerte sich ein bisschen, weil seine zwei Zimmergenossen die Idee doch ganz ansprechend fanden und nach drüben überwechselten.

„Dominik...“ Da blieb jemand aber hartnäckig. War irgendetwas an dem scheiß Handtuch so besonders, dass er sich unter keinen Umständen von ihm trennen konnte? Hatte dort der heilige Geist sich kurz ausgeruht, bevor er zurück in die nächste Kirche geflogen war?

„Ja, Mann, hier hast du deinen Schatz und jetzt halt die Fresse und verschwinde.“ Ich befreite mich mit ein paar Schwierigkeiten daraus und schlug es ihm mit voller Kraft ins Gesicht. Hoffentlich tat es weh und er starb daran.

„Danke, heiliger Dominik, dass du die Güte besessen hast und mir mein Eigentum zurück gegeben hast“, ätzte Luis, imitierte eine gruselige Verbeugung und zog ab.

Zurück in sein Bett, wo schon Vinc auf ihn wartete, damit sie gleich über mich herziehen konnten.

Wie zwei Weiber, aber nicht mal halb so attraktiv. Außerdem hätte mir dann ihr komisches Verhalten gar nichts ausgemacht. Im Gegenteil, bei Frauen sah man da doch gerne mal hin, wenn sie nicht die Finger voneinander lassen wollten.

Bei Kerlen hielt man sich lieber die Augen zu und hoffte, dass man nur schlecht träumte.

Da ich nicht wusste, was ich die restliche halbe Stunde, bis das Grauen namens Tischdienst von neuem einsetzte, unternehmen sollte, ohne mich wieder in Lebensgefahr zu begeben, machte ich mich einfach klein und versuchte noch ein bisschen zu ratzen.

Funktionierte nicht, dafür tuschelten Luis und Vinc absichtlich zu laut und Tom raschelte aus irgendeinem Grund mit gefühlten fünf Chipstüten, um sein Image zu steigern.

Hier lief wirklich eine Verschwörung nach der anderen gegen mich, es wurde immer kindischer. Aber solange nicht Hannah und Paula auf den Zug aufsprangen und mitwirkten, machte es mir wenig aus.

Neid hatte halt viele Gesichter.

Vielleicht sollte ich den öden Krimi nach dem Tratschtanten werfen, dann kam wieder etwas Stimmung in die Bude, aber zum Schluss stellten sie vielleicht richtig kranke Dinge mit mir an und davor gruselte es mich.

Die hatten einfach alle einen Schaden, sonst wären sie nicht freiwillig hier.

Aus mangelnden Alternativen gammelte ich weiter in meinem supercoolen Bett herum und wettete mit mir selbst um ein neues PC-Spiel, wie lange es dauerte, bis Vinc und Luis sich gegenseitig ihre großartige Liebe gestanden.

So wie die seit gestern aneinanderklebten, ließ das nicht mehr lange auf sich warten. Vielleicht sollte ich schon mal anfragen, ob ich den bösen Trauzeugen spielen durfte, der sie danach in einem Sack Reis ertränkte und die Kirche ansteckte.

Es klopfte und etwas steckte den Kopf zur Tür herein.

„Okay, ihr seid schon wach.“

Nee, wer hätte es gedacht? Moritz hatte sich mal wieder soeben ein Eigentor geschossen. Irgendwann hing ihm ein Zettel mit 'Opfer' an der Stirn oder ich sollte ihm ein T-Shirt mit dieser Aufschrift sponsern.

„Dominik, denk dran.“

„Ja, Mama. Ich bin nicht doof, kapiert?“ Höchstens stur, was meine eigenen Ansichten anging und ich sah einfach nicht ein, mich für talentfreie Hornochsen zum Sklaven der Besteckschublade degradieren zu lassen. Wir lebten hier nicht mehr im letzten Jahrhundert.

Der schlauste Betreuer des Universums hatte meinen tropfenden Kleiderberg gesichtet; seinem Blick nach zu urteilen fragte er sich gerade, mit was für Nieten im intellektuellen Bereich er es hier tatsächlich zu tun hatte.

„Glotz nicht so scheiße“, fuhr ich ihn an, „diese Assikinder haben mich in die Dusche gestellt.“ Der sollte bloß nicht denken, ich war so blöd und ging mit Klamotten baden. Das traute ich dann eher ihm zu.

Die drei Täter setzten ihren nettesten Gesichtsausdruck auf und Tom erzählte Moritz im Schnelldurchgang, wie es zu dem kleinen Zwischenfall, in dem ich und einige Liter verdammt eisiges Wasser involviert waren, gekommen war.

Weniger sah Moritz nun aus, als wäre er sich nicht sicher, wenn er als weniger intelligent abstempeln musste.

„Naja, wenn ihr meint.“ Wo hatte der Typ seine Fähigkeiten zum Betreuer abgestellt und vergessen? Dem wäre es wohl auch relativ egal, wenn mich Richard foltern würde, Hauptsache, er müsste nachher nichts wegräumen.

Solchen Menschen vertraute man doch liebend gerne sein Kind an.

Kaum dass Moritz sich verzogen hatte, tippte ich schon die nächste SMS an meine Eltern und berichtete ihnen haarklein, wie wenig Moritz für seinen Job geeignet war.

Tom, Luis und Vinc hockten inzwischen alle auf Luis' Bett und beschäftigten sich ausgiebig damit, Kartenhäuser zu bauen und sie sich gegenseitig einstürzen zu lassen. Dem Geschrei nach zu urteilen machte es ihnen allen höllisch Spaß.

Wie schön, dass ich auf solche kindischen Sachen nicht angewiesen war.

Tom und Luis versuchten sich beide gleichzeitig von der Matratze zu werfen, verbündeten sich allerdings schlagartig und führten ihren Plan bei Vinc aus, der plötzlich auf dem Boden lag und dumm in der Gegend herumguckte.

Aus Prinzip lachte ich ihn aus, er war einfach die geborene Witzfigur.

„Dominik, halt doch mal deine Klappe, dich und deine bescheuerte Schadenfreude brauch keiner“, moserte er herum und rieb sich den Arm, den er bei seinem bühnenreifen Absturz am Bettgestell angeschlagen hatte.

„Ich schon, sonst würde ich hier irgendwann durchdrehen mit solchen Kleinkindern wie euch.“

„Hilfe, er hat uns beleidigt.“ Luis spielte wieder den sterbenden Schwan und lag keine fünf Sekunden später neben Vinc auf dem Boden und stellte sich tot. Hoffentlich hatte er sich weh getan.

Genervt verdrehte ich die Augen und beachtete sie nicht weiter, wie sie sich mit Karten bombardierten oder fast die Köpfen an der Wand einschlugen.

Mein Handy verkündete mir, dass die Zeit zum Dominikquälen wieder angebrochen war und ich mich zum Tellerstapler wandeln durfte; aber zuerst musste ich mich anziehen, nur in Boxershorts spazierte ich nicht durch den Gang. Einmal am Tag frieren reichte, wir hatten Sommer, nicht tiefsten Winter.

"Schicke Farbe", kommentierten Luis meine Hose, als ich mich aus dem Bett gestemmt hatte und zum Schrank geschlittert war.

„Bist ja nur neidisch.“ Wie auf eigentlich alles von mir, aber nicht jeder besaß eins blattgrüne Boxershorts, so etwas bekam man von seinen unkreativen Eltern zum Geburtstag geschenkt.

Ich entschied mich für eine kurze Jeans und ein weißes T-Shirt und verabschiedete mich von den drei Headshotkindern, indem ich ihnen den Mittelfinder zeigte.

Das sagte mehr als tausend Worte.

„Du bist ja früh da“, wunderte sich der Betreuer, der mir heute dabei zusah, wie ich arbeitete. Warum musste ich mir ständig Sprüche anhören, weil die Menschen hier durchweg beschränkt waren?

„Ich kann auch wieder gehen, dann könnt ihr euren Fuck allein machen“, stellte ich sofort klar und ging in den Angriff über. Der sollte nicht glauben, er könnte sich bei mir alles erlauben, nur weil ich jeden Tag vom Schicksal gefickt wurde.

Er antwortete darauf lieber nichts.

Natürlich dauerte es auch heute, bis dem letzten Trottel eingefallen war, dass er heute nicht bis um halb neun pennen konnte, und mit einer Mannschaft zukünftiger Problemteenagern zogen wir in die Küche und weiter in den Speisesaal, um Gabeln zu verbiegen und Tassen auf die Fliesen fallen zu lassen.

Nebenbei wurden noch die Tische gedeckt und Körbe mit unästethischem Brot und Brötchenkolonien im Raum verteilt.

Heute setzte ich mich definitiv zu Paula und Hannah und wenn ich dafür draufging, mit den Jungs hatte ich schon genügend für den Rest des Tages zu tun gehabt, da widmete ich meine Aufmerksamkeit schöneren Dingen im Leben.

Ich schaffte es wirklich, einen Platz bei den beiden zu ergattern, setzte meine netteste Miene, die ich hatte, auf und fing eine seichte Unterhaltung über komische Dinge an, was die zwei aber ganz toll fanden und sofort einstiegen.

Warum konnten sich gewissen Persönchen – also Luis und Co. – nicht eine Scheibe oder zwei davon abschneiden? Dann wäre das Leben für die nächsten elf Tage noch viel einfacher.

Während ich mein Brötchen mit klebriger Kirschmarmelade flutete und Hannah zusah, wie sie graziös ihr Müsli aufaß, lästerte ich über die Typen auf meinem Zimmer ab, die ja so kindisch, unreif und blöd im Kopf waren, bekam Anteilnahme von Paula und ein mitfühlendes Nicken von Hannah und fühlte mich echt cool.

Wenn ich so erfolgreich weitermachte wie bisher, wären die Kerle auf den Fotos echt bald Geschichte und dafür würden sie mich in Großaufnahme über ihre Betten tapezieren. Was für eine geniale Vorstellung.

Paula und Hannah klagten noch ein wenig über die schrecklich schlimmen Jungs in ihrem Jahrgang, bevor sich das Gespräch in Richtung Freizeitplanung für diesen Tag verlagerte; er stellte sich heraus, dass weder sie noch ich konkrete Vorstellungen hatten, was man bei Langweile unternehmen könnte. Das traf sich gut, da machte man einfach rund um die Uhr etwas zusammen.

„Leute, hör mal zu.“ Moritz lernte es auf dieser Freizeit bestimmt nicht, dass man Programmansagen entweder vor oder nach dem Futtern unter das Holzkopfvolk bringen sollte, da man ansonsten gegen einen erheblichen Lärm aus Schreien, Klappern, Rascheln und dem Schleier der Dummheit anbrüllen musste, wie er es gerade probierte.

„Keine Lust“, plärrt eine Kind am Nebentisch und ich musste grinsen; also das mit dem Durchsetzen sollte Moritz mal beigebracht bekommen, den nahmen ja inzwischen nicht mal mehr die Kiddies ernst.

Moritz, der etwas einsam im Raum stand, machte ein Gesicht, als hätte er endlich geschnallt, wie unheimlich peinlich er für die Menschheit war, und fuhr in seinem Tun fort. „Heute Vormittag gibt es mal kein Programm, damit ihr etwas miteinander tun könnt. Mittagessen gibt es wie immer um eins.“

Yeah, Alter, Party! Öfter solche positiven Mittelungen wären mir sehr recht. Jetzt musste ich mir nur noch überlegen, was wir – also die Mädchen und ich, der Rest konnte mich mal – die nächsten vier Stunden zusammen machen sollten.

Bei diesen Aussichten machte mir sogar der Tischdienst fast nichts aus, obwohl er mich ja noch eine Weile von meinem Ziel abhielt, aber dafür musste ich mir dann keine dummen Fressen von unnützen Menschen antun, keine blöden Spiele überleben oder ähnliche Totalkatastrophen ansehen.

Natürlich wurde ich wieder dumm angequatscht, weil ich mich heute nicht so querstellte, wie in den Tagen davor, aber ich lächelte denjenigen einfach mit meinem Fick dich, du intelligenzabweisendes Opfer, und stirb schnell Ausdruck an und hoffte, dass das abschreckend genug wirkte, um die gewünschte Wirkung zu erzielen.

Tatsächlich war derjenige davon so unglaublich verwirrt, dass ich mich nicht länger mit ihm beschäftigen musste. Hallelujah, war ich gut, stellte ich mal wieder fest.

Allerdings wurde ich auf dem Weg ins Bad fast von einem anscheinend blinden Kind umgeworfen und schlug mir die Hand an einer offen stehenden Tür an, sodass meine gute Laune sich ganz schnell in Luft auflöste und ich Lust hatte, meine Zimmermitbewohner zu terrorisieren.

Das passierte nun mal ganz spontan, dafür konnte ich selbst ja wohl nicht, das lag an den kleinen Plagen, die hier herumsausten wie verirrte menschliche Kometen und einem den letzten Nerv zerstörten.

Wie zu erwarten war das Bad wegen Überfüllung geschlossen; es drängten sich wirklich alle um diese zwei Waschbecken, die jemand aus einem Puppenhaus gestohlen haben musste, bei der Größe, gingen sich gegenseitig auf dem Geist, kämpften um eine Zahnpastatube und taten eigentlich alles, was man nicht machen sollten, wenn man in Ruhe sich einfach die Zähne putzen wollte.

Scheiße Mann, ich wollte mein eigenes Bad, verdammt!

Dann wartete ich halt notgedrungen, dass der Zirkus sich bald in die Zimmer verlagerte und ich genügend Platz für mich, meine Zahnbürste und mein Ego samt göttlicher Aura bekam.

Es dauerte eine unglaubliche Viertelstunde, bis auch der letzte Idiot sich von seinem Handtuch getrennt und die Waschbecken verlassen hatte; dafür herrschte dort nun Chaos, überall lief Wasser, man trat in weiße Creme und fragte sich, ob das gerade eben wirklich nur sechs oder doch sechzig Person gewesen waren.

Wenn die zuhause auch so viel Unordnung hervorbrachten wie hier, verstand ich ihre Eltern, warum sie sie hier her gesteckt hatten. Wenn man schon die Möglichkeit hatte, verabschiedete man sich von solchen Lebewesen doch lieber.

Ich versuchte, nicht unbedingt in die Pfützen zu latschen oder mir dekorativ Zahnpasta an die Sohle meines Schuhs zu kleben, und begann mit der täglichen Prozedur des Zähneputzens.

Ich tat das wirklich jeden Tag, ich wollte schließlich nicht als gammeliges Etwas enden, dem man besser nicht zu nahe kam. Diese Rolle überließ ich anderen männlichen Wesen.

Anscheinend mochte mich mein Leben heute nicht, denn kaum dass ich mir das Gesicht gewaschen und nur noch einmal schnell in das Zimmer der Vorhölle hatte gehen wollten, wurde ich gepackt, festgehalten und mit einem Tuch am Bettpfosten angebunden.

Waren die noch ganz dicht oder drehten die endgültig durch? Ich war doch kein Hund, den man irgendwo festbinden konnte, ich war Dominik, selbsternannter König und zukünftiger Herrscher der Welt!

„Was soll das?“, beschwerte ich mich gleich bei Vinciboy, der teilnahmslos auf seiner Bettkante hockte und in die Luft starrte. „Seid ihr dumm oder tut ihr nur so?“

„Jetzt reg dich nicht auf, Domi, wir machen nichts Schlimmes mit dir.“

Sagte Richard, das bedeutete, ich würde in wenigen Sekunden sterben; dabei hatte ich nichts getan außer sie in Gedanken zu beleidigen und das tat ich seit fast 48 Stunden eigentlich ununterbrochen.

„Wir wollen nur ein Spiel spielen und du solltest auch mitmachen.“

„Und wenn ich nicht mitmachen will?“ Dazu zwingen konnte mich keiner, zur Not schrie ich solange rum, bis irgendeiner von den Pfeifen – also den coolen Betreuern – sich wunderte, vorbeikam und mich freundlicherweise rettete.

„Dann bleibst du bis heute zum Mittagessen hier.“ So wie er grinste, fand er den Plan absolut endgenial.

Oh wie ich dich hasse, Richard, kannst du es spüren? Irgendwann töte ich dich und dann lache ich. Haha!

Langsam begann ich wirklich durchzudrehen, es handelte sich wohl nur noch um Stunden, bis ich alles zu spät war.

„Und welches abgefuckte Idiotenspeil soll das sein?“ Maomao konnten die auch gut ohne mich spielen, ich würde sie sowieso total abziehen, von daher wäre es eher kontraproduktiv für ihr Ego.

„Flaschendrehen.“

Ich wiederhole mich echt nicht ungern: Wie schwul waren die hier alle eigentlich?

Was zum Geier sollte mir das bringen, außer ekligen Erfahrungen, auf die ich gerne verzichten konnte, und einem fetten Trauma für mein restliches Leben?

„Mit euch ganz sicher nicht.“ Das war ja krank, bei denen fehlte nicht nur eine Tasse, sondern ein ganzer Porzellanladen.

„Natürlich nicht nur mit uns, sonst würden die hier alle nicht mitmachen“; korrigierte mich Richard genervt. „Manchmal frage ich mich echt, wie dumm du wirklich bist.“

„Schlauer als du auf jeden Fall.“

„Ach Leute, jetzt hört doch mal auf“, unterbrach uns der Sozialmensch Olli. „Könnt ihr euch auch mal normal unterhalten?“

Nicht in diesem Leben, Ollilein, ganz bestimmt nicht.

Aber wenn nicht nur diese sechs Typen mitspielen sollten, wer dann? Ich hoffte ja stark, dass die noch von Hannah und Paula redeten, dann wäre sogar ich bereit mitzumachen, dann gäbe es wenigstens einen guten Grund, mich schön zu blamieren. Außerdem wäre ich da bestimmt nicht der einzige, der sich ziemlich daneben benahm.

„Könnt ihr mich dann mal losbinden? Das ist echt assi ungemütlich.“ Und vor allem kam man sich da vor wie ein Schwerverbrecher, den die anderen so ganz zufällig in ihrem Zimmer gefangen hatten.

So wie Luis und Richard Blicke austauschten, bedeutete das bestimmt ein bösartiges nein, aber Sascha schien es wohl nicht mit seinem Gewissen ausmachen zu können, mich hängen zu lassen – haha, schlechter Wortwitz! –, hockte sich vor mich auf den Boden und versuchte, den talentierten Knoten zu öffnen.

So wie er zwischendurch fluchte, ging das nicht so einfach, wie er sich das vorgestellt hatte.

„Hat mal wer eine Schere?“

„Vergiss es, du schneidest das Tuch nicht durch.“ Entsetzt über diese Tatsache riss Tom Vincilein, der eben eins dieser gemeingefährlichen Instrumente aus seinem Mäppchen gezogen hatte, es aus der Hand und schleuderte sie hinter sich.

Sehr konsequent.

„Junge, das ist ein normales Tuch, ein ziemlich hässliches Tuch, was ist dein Problem?“ Sascha verstand die Welt nicht mehr; ich kapierte allerdings ebenso wenig, warum Tom bei diesem Stoffalptraum in hellblau so abging.

„Das dumme Ding gehört meiner Mutter, sie hat es mir angedreht, falls ich Halsschmerzen oder so einen Mist bekommen. Und wenn ich das jetzt von euch kaputt machen lasse, killt sie mich, okay? Was kann ich dafür, dass ihr zu blöd seid, um das...“

„Jetzt streitet euch doch nicht schon wieder.“ Olli sah sehr unglücklich aus, in dieser Versammlung an Streithühnchen, die sich gegenseitig fast die Augen auspickten. War der Junge vielleicht ein Mädchen, so wie der nach Harmonie und Frieden bettelte? Das sollte jemand mal nachprüfen.

„Ach Olli, du bist zu gut für die Welt“, schleimte Richard sich augenblicklich bei ihm ein und legte ihm einen Arm um die Schulter.

Ähm, ja, schwul!

Bald wurde das mein meistgenutztestes Wort, gleich nach „Idioten“ und diverse Beleidigungen für Moritz. Wie hieß der überhaupt mit Nachnamen? Hoffentlich nicht Schneider, sonst wäre es mit seiner minimalen Glaubwürdigkeit endgültig vorbei; dann riss ich schlechte Emowitze am laufenden Band.

Mit einem leisen Klopfen kündigte jemand an, den Raum zu betreten, und es kamen wirklich die beiden göttlichsten Gestalten der Freizeit in das Zimmer. Mein Tag war gerettet!

„Hi“, begrüßte uns Paula, während Hannah nett lächelte, aber als sie mich in meiner mysteriösen Lage entdeckten, konnte ich ihnen die Überraschung samt kleiner Fragezeichen fast vom Gesicht kratzten.

„Was macht ihr denn?“, fragte Hannah etwas erschrocken. „Ich dachte, ihr wolltet Flaschendrehen spielen...“ Sie vermutete wohl, dass die Jungs ganz andere Dinge mit mir vorgehabt hatten; zumindest noch jemand, der eine ähnliche Denkweise wie ich hatte.

„Ja, schon, aber wir wollten ihn hindern, dass er vorzeitig abhaut. Und jetzt sitzt er sozusagen fest“, erklärte Luis ihnen in wenigen Worten, mit was für Problemen sie sich seit fünf Minuten herumschlugen. „Und Tom verbietet uns, sein heiliges Tuch dafür zu opfern.“ Sein schräger Blick galt seinem störrischen best friend.

„Das ist nicht meins, Mann, sondern das von meiner Mum! Die bringt mich um, wenn das gefetzt ist.“ Auf seine Belehrung verzichtete Tom nur ungerne, wie es erschien.

„Ich kann ja mal versuchen, ob ich es aufbekomme“, bot Paula ihre heilige Hilfe an, wartete gar nicht, ob jemand damit nicht ein verstanden war, schob Sascha etwas zur Seite und probierte ihr Glück.

Keine Minute später war ich ein freier Mann. Warum waren Mädchen bloß so unglaublich talentiert, während Jungs nicht mal ihr eigenes Zeug wieder in Ordnung bringen konnten? Man sollte Galileo Mystery befragen.

Tom nahm zufrieden das Tuch an sich, Richard grinste in sich hinein, weil ich jetzt Rückenschmerzen hatte, und Luis organisierte von irgendwoher eine leere Colaflasche, die ab jetzt die Hauptrolle übernehmen durfte. Der Spaß konnte also beginnen; hoffentlich endete es nicht in absoluter Dummheit, sonst machte ich mich nicht unbedingt heimlich noch aus dem Staub.

„Und was sagen eure Freunde dazu?“, wollte ich von den beiden erfahren, als wir uns in einem kleinen Kreis um die Flasche platziert hatten und gespannt warteten, wer den ersten Schritt unternahm und die erste unintelligente Aufforderung stellte.

„Sie wissen es nicht, von daher können sie gar nichts dazu sagen“, erklärte Hannah etwas verlegen und strich ihr Top glatt. „Und mir wäre es lieber, wen das auch so bleibt, sonst ist Mark wieder eine Woche langschlecht drauf. Er ist manchmal übertrieben eifersüchtig.“

Aber ich wäre auch nicht überglücklich, wenn meine Freundin auf so einer kindischen Freizeit mit Typen, die sie erst seit ein, zwei Tagen kannte, seltsame Spiele spielte.

Andererseits war ich froh, dass sie noch hier waren, sonst müsste ich mit einem von den Vögeln dort... oh nein, lieber nicht dran denken. Mein Magen fand das schlecht.

Vinc, die kleine Bildungsresistenz in Person, wollte schon nach der Flasche greifen und das Chaos beginnen lassen, doch Richard kam ihm zuvor und schnappte sie ihm unter der Nase weg.

„Erstmal; weiß jeder, wie es geht?“

Also für wie dumm hielt der uns denn nun schon wieder? Als ob es in unseren paar Käffern so große regionale Unterschiede gäbe bei einem billigen Pseudopartyspiel. Wo lebte der bitte?

Allgemeines zustimmendes Murmeln, das ihm Antwort genug sein sollte.

„Dann ist gut. Und falls jemand von euch wirklich ein fettes Problem mit was hat, sagts ruhig und geht nicht danach zu den Betreuern und heult rum, dass wir böse sind und euch zu was zwingen und gefälligst in den Knast gehören. Ich hatte das mal und das war echt... dumm, wofür könnt ihr mit uns reden?“

Wieso verwettete ich nun fast schon mein Handy, dass diese Regelung für alle außer mir galt? Vielleicht, weil es bis jetzt immer so gewesen war bei diesen... Menschen?

Egal was ich tat, ich wurde immer als der Arsch der Nation dargestellt, selbst wenn sie die Übeltäter waren.

Das stimmte doch was nicht!

Die Mädchen nickten beide synchron, die Jungs grinsten sich saudämlich an und ich gähne, um Richard zu reizen, seine kleine Ansprache hätte er sich auch verkneifen können.

Wenn ich mich auf irgendwelchen komischen Veranstaltungen bei einem Haufen Bekloppter bei solche Spiele beteiligt hatte, hatte lustigerweise jeder gewusst, auf was er sich gelassen hatte und musste davor nicht ernst vorgewarnt werden, was auf ihn zukam. Das Spiel schrie schließlich schon fast danach, dass mysteriöse Dinge geschahen. Nicht umsonst praktizierten nur frustrierte oder betrunkene Teenies solchen Quatsch.

Da bei den Kerlen hier letzteres hoffentlich nicht zutraf, da ich sonst höchst entsetzt wäre, musste wohl Möglichkeit Nummer eins in Betracht gezogen werden.

Nun, da es theoretisch endlich zum großartigen Anfang kommen konnte, traute sich keiner mehr, den ersten Schritt zu machen. Ich hielt mich sowieso zurück, auf mich reagierte hier ja eh jeder, als hätte ich eine ansteckende Krankheit oder wäre nicht mehr ganz dicht. Wahrscheinlich wäre ich für einen abrupten Beginn gesteinigt worden.

Nach knapp einer Minute, in der man sich entweder etwas verwirrt ansah, leise hustete oder so tat, als wäre der Boden auf einmal zum größten Fernseher der Welt mutiert, seufzte Richard und ergriff die Initiative. Dass er das Instrument dazu schon die ganze Zeit in der Hand gehalten und damit eigentlich auch alle nur auf seine Reaktion gewartet hatten, hielt ich ihm jetzt besser nicht vor, sonst schlug er mich bestimmt damit einmal kräftig auf den Kopf; den freute das sicher.

Nachdem er sein Hirn ein bisschen angestrengt hatte, verkündete er stolz, dass man beim ersten Mal ganz harmlos startete. Die Zweideutigkeit seiner Aussage überhörte ich lieber und machte mich bereit, dass Opfer A Opfer B umarmen musste.

Ja, wunderschön, die Flasche wirbelte ziemlich interessant über den Boden, gewisse Menschen wie Sascha rutschten noch ein Stück nach hinten, um erstens nicht von der Flaschen am Knie getroffen zu werden und auch um weniger Zielfläche abzugeben. Bei einer Freundin wie seine wohl eine war sollte man sich es lieber fünfmal überlegen, ob man hier ausgewählt werden würde.

Zum Schluss kam man nach Hause und wurde einen Kopf kürzer gemacht.

Die Unglücklichen entpuppten sich als Paula und Tom, die sich aber nicht anmerken ließen, ob sie die Entscheidung gut oder grässlich fanden, und Richards Anweisung sehr schnell hinter sich brachten.

Die konnten sich ruhig Zeit lassen, denn je langsamer das alles vonstatten ging, desto länger blieb ich von dem Angriff der evil Colaflasche verschont, die mich bestimmt wie die Mehrheit des Raums nicht ausstehen konnte.

Meine Liste an Neider wuchs wohl im Stundentakt.

So fett, wie Tom grinste, war es wohl kein Stück schlimm für ihn gewesen und auch Paula sah nicht aus, als müsste sie im nächsten Augenblick tot umkippen.

Wehe, der angelte mir hier die Chancen weg, die Mädchen anzugraben, das ließ ich mir nicht bieten.

Es folgten zwei affige Knuddeleinlagen zwischen genau denselben Personen wie eben – Schicksal? Betrug? Gag des Monats? –, die das ganz lustig fanden und dann noch von Hannah mit Olli, der den Anschein erweckte, zum ersten Mal im Leben einem weiblichen Wesen, das nicht mit ihm verwandt war, so nah zu kommen.

Zumindest las ich das an seinem verwirrten Gesichtsausdruck ab; Hannah hatte ganz andere Probleme, sie wurde nämlich fast von Olli zerdrückt und wusste nicht, wie sie es ihm am einfachsten erklärte, ohne es allzu peinlich für ihn zu gestalten.

Mit was für Leuten hing ich hier bitte ab? Am besten verzog ich mich und opferte kleine Kinder an alte Säcke im Gegenzug zu einem verkehrstauglichen Auto, mit dem ich den Ausbruch wagte.

Die Idee ließ ich aber ganz schnell fallen, als die Flasche plötzlich ähnliche Vorlieben wie ich entwickelte und sich demonstrativ auf Paula und Hannah richtete.

Ha, endlich wurde es spannend!

Paula und Hannah blickten erst mal aus der Wäsche, als hätte man ihnen gesagt, morgen wäre Weihnachten, aber sie nahmen das Ganze ziemlich locker. Kein Wunder, bei Mädchen gab es da auch nicht so viele Komplikationen.

Hannah legte den Kopf schief. „Ich bei dir oder du bei mir?“

„Mir egal, kommt ja aufs selbe hinaus.“ Das bedeutete soviel wie 'Mach du, ich bin zu faul'.

Hannah krabbelte auf ihre Freundin zu und drückte ihr ganz kurz einen Kuss auf den Mund. Ich ärgerte mich wirklich fürchterlich, dass ich mein Handy irgendwo auf meinem Bett hatte liegen lassen, ansonsten hätte ich jetzt sehr gute Bilder für die Nachwelt. Und möglicherweise auch für meinen Desktophintergrund.

Hannah richtete sich wieder auf, sah uns alle an und fing an zu lachen. „Ihr seht aus, als hättet ihr Aliens gesehen. Noch nie zwei Mädchen gesehen, die sich küssen? Lebt ihr hinterm Mond oder was?“

Dazu äußerte sich hier lieber niemand, ansonsten hätten die zwei auf jeden Fall das Weite gesucht.

„Keine Antwort ist auch eine“, durchbrach Paula das peinliche Schweigen und reichte Hannah die Flasche. „Komm, jetzt ärgern wir sie mal ein bisschen.“

Die kleine Runde Ärgern endete mit ziemlichem Protestgejammer, da sich nun das nächste Freundepaar aufeinander stürzen durfte; in diesem Fall Tom und Luis, die davon ungefähr so begeistert waren wie von mir.

„Das ist voll gestört, das mach ich nicht“; stellte Luis auf der Stelle klar. „Ich mach doch nicht mit meinem besten Kumpel rum, hackts hier ein bisschen?“

„Ich möchte das auch nicht.“ Tom schüttelte abwehrend den Kopf. „Ihr könnt mir von mir aus sonstwen vorsetzen, aber bei Luis hörts echt auf.“

„Wo liegt denn euer Problem?“, fragte Richard, dem man anmerkte, wie affig er diese Reaktion von den beiden empfand. „Ihr kennt euch doch schon Ewigkeiten, da wird das doch nicht so schlimm sein.“

„Doch, ist es.“ Luis verweigerte endgültig und man sah, dass man da nicht mal mit Drohungen oder Bestechungen voran kam. „Ich geh sonst, ohne Witz.“

„Okay, dann suchen wir halt eine Alternative.“ Kopfschüttelnd über das kindergartenreife Theater in seinem Zuständigkeitsbereich stand Richard auf. „Wie zum Beispiel mich.“

Ach nee, wer hätte es gedacht? Die Gelegenheit, sich gleich zwei Kerle zu schnappen, ließ sich Herr Nagellack natürlich nicht entgehen. bei zwei Mädchen hätte ich das ja noch nachvollziehen können, aber bei solchen Nervbolzen wie Tom und Luis, die man nicht mal im verkleideten Zustand als Frauen hätte durchlassen können... niemals.

„Können das nicht Paula und Hannah übernehmen?“ Tom wollte das unausweichliche Übel wohl abwenden, aber erstens schüttelnden die Mädchen wieder in perfekter Sychronität ihre hübschen Köpfchen und zweitens war für Richard sein Entschluss schon entschlossene Sache.

Da blieb mir nichts anderes übrig als mich zurückzulehnen und die Show des Grauens zu betrachten. Mal sehen, wie lange ich es ertrug, ohne vor Lachen über den Boden zu rollen oder mich angeekelt wegzudrehen. Kein Platz für Ästhetik.

Als erster musste Tom daran glauben und so wie er sich zu Beginn vor Richard zurück wich, hatte wohl sein natürlicher Fluchtreflex zugeschlagen, aber da er kein absoluter Spielverderber sein wollte, ließ er es also zu, dass er von einem mysteriösen Etwas geküsst wurde.

Von Paula und Hannah hörte ich ein leises Lachen, doch sie versuchten die Szene ernsthaft mitanzusehen, leider gelang es ihnen eher schlecht als recht, vor allem Toms entsetzte Miene ganz zum Schluss war einfach zu amüsant.

Luis war leider nicht so unterhaltsam wie sein Kumpel, er zuckte kaum mit der Wimper, als Richard an ihm klebte. Das fand ich höchst suspekt.

Ich hätte mich mit Händen und Füßen gewehrt, wenn ich mich in einer solchen Situation gefunden hätte.

Nach diesem kleinen Schockerlebnis für jeden verlief es doch die kommende halbe Stunde ziemlich normal ab; Olli durfte Paula eine Massage verpassen, Richard versuchte Hannah im Schnelldurchgang bei zubringen, wie man tanzte, ich durfte gleich danach eine Runde mir ihr knutschen – muhaha, Traum erfüllt! – und Sascha wurde von Paula in die Geheimnisse des Schminkens eingeweiht.

Allerdings sah er danach doch ziemlich bunt aus, weil Paula ihm mit Absicht das grellste make up, was sie in ihrem Täschchen gefunden hatte, ins Gesicht gekleistert hatte.

Alles hätte so schön sein können, wenn mich gegen Ende nicht doch noch die Flasche gnadenlos gedisst hätte, denn wie der dumme Zufall es wollte, zeigte sie erst auf mich und dann auf Richard.

Am liebsten wäre ich gestorben, er auch, so wie er mich mit seinen Blicken aufspießte und aus dem Fenster katapultierte. Theoretisch sollte ich mich wohl vor ihm verstecken.

„Ich will nicht.“

„Vergiss es.“

„Fick dich, Mann, ich mach das nicht.“ Nicht von ihm. Da machte ich eher Moritz einen Heiratsantrag im Brautkleid vor der versammelten Mannschaft.

Obwohl... nein, alles scheiße, ich änderte meine Identität, setzte mich in die USA ab und lebte dort zufrieden als echter Gangster, Problem gelöst.

Hatte ich nicht von Anfang an gewusst, dass man auf meine Wünsche keine Rücksicht nahm? Ich sollte Hellseher werden und damit Geld verdienen. Scheiß auf Schule, ich wurde auch so reich und berühmt.

„Doch, das wirst du.“ Irgendwie passten seine Ansage und sein abgeneigter Blick gar nicht zusammen. Wahrscheinlich wollte er mich nur wieder quälen und tat es deshalb, obwohl er es selbst nicht mochte. Dumm?! Stand er darauf, sich selbst zu quälen?

Bevor ich mich in Luft auflösen oder unter dem Bett verstecken konnte, wurde ich von zwei Händen festgehalte, die sich nicht gerade sanft auf meine Schultern legten. Hallo, Pfoten weg, Privateigentum! Mich fasste keiner gegen meinen Willen an, kein Moritz, kein Richard und kein anderes etwas anders gepoltes Wesen, ich wollte das nicht! Hey, Polizei, wieso nahm den keiner in Gewahrsam?

Nur Sekunden später war es schon passiert und ich versank innerlich metertief im Boden; warum ich, verdammt noch mal? Wollte mich sogar mein Schicksal los werden? Langsam aber sicher rastete ich aus, so ging das doch nicht weiter.

Vor allem, weil ich das beängstigende Gefühl bekam, dass Richard gar nicht mehr aufhören wollte; er hing halb auf mir drauf, sodass es noch einmal schwieriger wäre, ihn von mir herunterzustoßen, versuchte mir wohl gerade den Verstand auszusaugen und wo sich seine Zunge hinverirrte, erwähnte ich lieber nicht.

Absolut inakzeptabel, was er hier ablieferte, ich wollte Schadensersatz, auf der Stelle. Auch weil ich mich trotz aller Abneigung gegen Richard und jedem Fitzelchen von ihm nicht befreien konnte. Irgendwas hinderte mich daran und zwar nicht sein Fliegengewicht, das mir auf die Beine drückte.

Hilfe, hoffentlich wurde ich nicht so gestört wie er!

„Leute, es ist gut, ihr könnt aufhören“, rief uns Olli ins Gedächtnis. Ach nein, wie nett, uns das bewusste zu machen. Könnte er nicht lieber Richard von mir wegziehen und ihm eine scheuern, bis er wieder richtig tickte? Damit wäre mir mehr geholfen als mit klugen Sprüchen.

Tatsächlich löste sich Rickilein von mir, streckte mir die Zunge heraus, die ich ihm vollkommen vergessen hatte abzubeißen, und schwebte auf seinen Platz, als wäre soeben nichts passiert.

Wie konnte man nur in einer solchen Lage so eiskalt sein? Vielleicht hatte er Übung darin, ich wollte es gar nicht erfahren. Ich wollte eigentlich gar nichts über ihn wissen, auch nicht, wie es sich anfühlte, wenn er einem praktisch anknabberte, weil er spinnte.

„Ich glaub, ich geh mir noch mal die Zähne putzen.“ Sonst bekam ich diesen seltsamen Geschmack des Todes nicht mehr aus dem Mund und dieses Risiko erschreckte mich zu sehr, um es einzugehen.

„Gibt es zu, du fandest es geil.“ Richard hatte die Arme verschränkt und fixierte mich mit einem Ich weiß, was du denkst, Kleiner Blick, den ich zutiefst beknackt fand.

„Halt die Klappe und nerv die Flasche.“ Mit diesem Thema wollte ich nichts mehr zu tun haben, ihr fucking Spiel konnten die ohne mich weiter machen, ich hatte daran absolut kein Interesse mehr.

Im Bad überlegte ich mir, ob ich demonstrativ kotzen sollte, aber da mir das dann doch etwas zu übertrieben und widerlich erschien, beließ ich es dabei, mir zehn Minuten lang mit der Bürste jeden Zahn einzeln zu säubern und zu hoffen, dieses Trauma gut aufarbeiten zu können, ansonsten rief ich meine ignoranten Eltern an und bestellte einen Psychologen.

Um nicht noch einmal die Höhle des Löwens besuchen zu müssen, ging ich nach der gründlichsten Putzaktion meines bisherigen Lebens nach draußen, besah mir die unästhetische Natur in ihrer Unschönheit, schnautzte einen kleinen Jungen an, einfach weil ich es konnte, und versuchte die Erinnerung der letzten Stunden zu verdrängen.

Ich war ein Gänseblümchen, genau so eins wie die, die hier auf dieser scheiß Wiese standen, und mich hatte niemand angesabbert und angefummelt. Ich war nicht unwiderruflich verseucht und verstrahl worden. Alles nur ein böser Traum eines kleinen Dominiks, der zu viele Horrorfilme konsumiert hatte.

Ich schaffte es, bis zum Anbruch des Küchendienstes in der freien Natur abzuhängen und sie genauestens unter die Lupe zu nehmen, ohne das Bedürfnis zu bekommen, wieder reinzuwollen.

„Sag mal, ist was mit dir, du bist heute so zuverlässig.“

Wann checkten Menschen endlich, dass es nervte, immer dieselbe unterbelichtete Leier anzuhören? Das ging mir dermaßen auf den Sack, dass ich beinahe den Stapel Teller in meiner Hand kunstvoll Richtung Wand befördert hatte, so ganz rein zufällig.

Die regten mich alle auf, ich wollte hier weg.

Das nächste Mal fickte mich Richard vielleicht noch wegen seiner fehlgeleiteten Racheanfälle und spätestens dann wäre ich auf und davon. So sprang man nicht mit mir um. Ich war derjenige, nach dem sich die Leute zu richten hatten.

Dass es heute Fisch gab, freute mich nicht, ich mochte keinen Fisch, besonders keine Fischstäbchen, allein bei deren Anblick bekam ich das Kotzen; das sah meistens aus wie irgendwelche hingeklatschte Pampe und das war unappetitlich.

Außerdem brauchte ich einen Tisch, an dem weder kleine Dämonen noch große Wahnsinnige sitzen sollten, ich müsste mir also praktisch einen Miniaturtisch bauen und in eine Ecke stellen, wo ich ganz allein meine Privatsphäre genießen wollte.

Wo bekam man dafür das dumme Holz her? Und die nötigen Werkzeuge?

Der Plan löste sich in Lust auf, als mein Favorit auf der Betreuerliste mich vor der Tür abfing mit den Worten „Du gehst jetzt nirgendwohin“ und mich zu ihm an einen Tisch zerrte.

Schon mal was von freiem Willen gehört? Nur weil er ein paar Jahre älter als ich war, musste er nicht über mich bestimmen wie eine Mutter über ihr kleines Kind, das nicht laufen konnte und dauernd Scheiße baute.

Ich wurde auf einen Stuhl gedrückt und dort festgehalten; Frechheit, was erlaubte sich Moritz heute schon wieder? Hörte er wenigstens auf so saudämlich zu lächeln, als machte es ihm Spaß, mich nun genau wie sein theoretischer Zwilling Richard leiden zu lassen? Die beiden wären das überdimensionale Alptraumpaar, im Doppelpack überlebte die niemand länger als drei Stunden, ohne sich weit weg zu wünschen.

Wie erwartet machten die Fischstäbchen keinen vorzeigbaren Eindruck und ich beschränkte mich auf den Berg Erbsen und Möhren, der nun meinen Teller flutet und gar nicht mehr endete. Kein Problem, ich hatte eh Hunger und von dem Gemüse wurde man bei kleinen Mengen kaum satt.

„Willst du keinen Fisch?“

„Nein, sieht scheiße aus.“

„Bist du dir ganz sicher?“

Der legte es daran, mich auf die Palme zu bringen. Bei mir hieß nein einfach nein, sogar ja hieß das manchmal, also wo lag sein abgefucktes Problem? Ich aß meine vielen kleinen Erbsen und er seine toten Matschfische, da blieb sogar noch eine Portion für ihn übrig, wenn ich ihm was abgab, also sollte er sich freuen und sich nicht die dumme Klappe fusselig reden.

„Hast du dich wieder mit deinen Leuten gefetzt?“, versuchte er die Konversation am Laufen zu halten.

„Jein.“ Zumindest noch nicht, aber der Grundstein dafür war gelegt. „Aber wenn doch, wirst du es hören.“ Dann durfte er als Ehrengast dabei zusehen und sich einen Kuchen backen.

„Warum könnt ihr euch nicht einfach vertragen?“, seufzte Moritz, schnitt sein Stäbchen in kleine Scheiben und steckte sich eine gabelvoll davon in den Mund.

„Weil sie dumm und gestört sind?“ Weil mich Richard vorhin abgelutscht hatte wie ein Eisbällchen und dasselbe fast auch von mir verlangt hatte? Weil Olli mir mit seinem menschenfreundlichen Tick auf den Wecker ging? Weil Tom und Luis unerträgliche Kleinkinder waren, die sich anstellten wie fünfjährige Mädchen? Die Liste ließ sich beliebig erweitern.

„Du kannst doch nicht jeden dumm finden.“ Ein neuer Happen Gammelfisch verschwand in seinem Mund.

„Doch, merkst du doch. Dich kann ich auch nicht leiden.“ Aber das wusste er ja ohnehin schon seit Anfang an. Kein neues Geständnis.

„Du bist echt ein Phänomen.“ Er widmete sich nun komplett seinem Essen, trotzdem spürte ich ab und zu die schiefen Blicke, die er mir zuwarf und durch die ich mich belästigt fühlte.

Ich war mir sehr sicher, dass seine tolle Aussage kein Kompliment sein sollte, von ihm unter keinen Umständen. Er fand mich doch fast so nervig wie ich ihn.

Ich räumte brav wie ein Lämmchen nach dem Essen die benutzen Teller in die Küche, wunderte mich, wie manche hier ungesehen eine Schlacht mit dem Fisch hatten veranstalten können, so wie die Tische aussahen, und macht heute extrem langsam. Hauptsache, ich musste nicht in dieses kranke Zimmer, in dem sie vielleicht immer noch sich gegenseitig an die Wäsche gingen.

Dafür fühlte ich mich inzwischen viel zu zivilisiert, sollten die das doch tun. Paula und Hannah könnte ich auch auf andere Art begeistern und beeindrucken.

Ich trocknete denselben Teller mittlerweile zum dritten Mal ab, nur um Zeit hinauszuzögern, als Leonie auf mich zukam und mir einen Auftrag gab. Zwar hätte ich sie gerne belehrt, dass ich ja dank ihr und anderen Menschen hier zu arbeiten hatte, aber sie ließ nicht locker. Sie musste sich wohl gerade um ein Kind kümmern, dass sich an der Hand verletzt hatte, und wollte etwas von Moritz erfahren, fand ihn allerdings nicht auf Anhieb.

Suchte ich den Trottel halt, dann konnte ich mich vor ihm wichtig machen; das Geschirr blitzte sowieso langsam sauber genug.

Wo fand man einen ungeliebten Betreuer? Eigentlich in seinem Zimmer, wo er momentan nichts zu suchen hatte, weil er sich mal um die Organisation hier kümmern müsste statt zu chillen.

Also auf in sein Zimmer. Natürlich superlangsam, um den Auftrag auszudehnen.

Ich schlich also den Gang entlang; geile Sache. Gut dass mich keiner sah, die dachten sonst, ich hätte sie nicht mehr alle, wenn ich hier einen Geheimagenten imitierte.

Die Tür von Evilmoritz‘ Zimmer war nur angelehnt, da stand wohl jemand nicht so auf Privatsphäre oder fühlte sich nicht in der Lage, seine Tür zu schließen. Dumm, aber nicht mein Problem, mal sehen, ob ich ihn bei illegalen Machenschaften erwischte. Drogendeal oder Kinderopferungen, Hauptsache kriminell sollte es sein.

Neugierig linste ich durch den Türspalt, wie es sich für mich gehörte.

Ach. Du. Scheiße. Ich glaube, ich kotzte gleich, ehrlich.

Ich war ja inzwischen an vieles gewöhnt – hier musste man abgehärtet sein, um nicht täglich auszuflippen –, aber das... das war ja nicht mehr normal! Ich meine, hallo, tickte der noch ganz richtig? Hatte der einen Schaden? Wie krank war das denn?

Wie auf dem Präsentierteller saßen da auf dem Bett er und Richard und was die da unternahmen, war ja eindeutig, beim normalen Gespräch muss man seinem Gegenüber jedenfalls nicht das T-Shirt ausziehen und ihn dabei ausgiebig ansabbern.

Skandalös! Und ich war wieder der Leidtragende, der solche Tätigkeiten aufdeckte, na danke, hätte das nicht Vinc oder so passieren können? Die steckten das viel lockerer weg als ich.

Das dreiste war ja, dass Moritz vorhin noch so scheinheilig mit mir an einem Tisch gesessen hatte und nun kurz davor war, Richard an die Wäsche zu gehen.

Merke: Moritz war für seinen Job total ungeeignet und ein Loser. Ansonsten hätte er sich nicht das da geangelt.

Blieb nur die Frage, ob ich denen den tollen Moment versauen und ganz zufällig ins Zimmer reingescheint kommen soll oder lieber das Weite suchte und Leonie verklickerte, weshalb ich nicht ihre supermegawichtige Botschaft überbringen konnte.

Beides wäre böse, also genau meine Art.

Ich atmete noch einmal kurz durch – dieser Schock am Nachmittag war echt Gift für meine Nerven –, riss die Tür komplett auf und grinste die beiden fies an; entsetzt über meinen dramatischen Auftritt sprangen die beiden auseinander und Moritz zog sich ganz fix sein Oberteil über, dass hinter ihm auf dem Bett gelegen hatte. Schon besser.

Es war verdammt cool, dieses Mal machte mich keiner dumm an, weil ich gestört hatte. Sie wussten nämlich beide genau, dass sie eh schon in der Klemme saßen, besonders bei Moritz konnte man den schuldbewussten Gesichtsausdruck fast von der Stirn in Neonschrift leuchten sehen.

„Leonie sucht dich, hat irgendwelche Probleme, bei denen sie dich mal bräuchte, aber nicht gefunden hat. War was mit einem verletzten Kind oder so“, sagte ich ganz liebenswürdig, um sein schlechtes Gewissen noch mehr zu steigern. „Vielleicht solltest du dich mal um deine Arbeit kümmern und nicht um den da.“

Sollte ich ihm bei Gelegenheit noch zuflüstern, dass sein neuer Freund heute Morgen schon beim Flaschendrehen an diversen Menschen sein Talent ausprobiert hatte?

„Verdammt.“ Inzwischen war Moritz das Elend in Person, weil er endlich gemerkt hatte, dass er seine Aufsichtspflicht zugunsten eines doofen Richards vernachlässigt hatte, weshalb er sich an mir vorbeidrängte und sich eilig auf die Suche nach Leonie begab, um nicht völlig als Depp dazustehen.

„Du bist ein Arsch“, stellte Richard nüchtern fest, während er Moritz‘ Bettdecke mit kleinen Kreisen bedeckte. Nervöse Zuckungen im Zeigefinger oder was ging ab?

„Weil ich die Wahrheit sage oder was?“ Aber sonst war alles in Ordnung oder wie? Die drehten hier doch alle komplett am Rädchen. „Glaubst du, ich tu mir eurer Rumgemache freiwillig an? Nee, so geil finde ich euch bestimmt nicht.“ Was der sich heute einbildete, einfach unmöglich.

Ich hatte keinen Bock mehr auf seine dumme Fresse und machte mich auf in mein Zimmer, war schließlich Mittagsruhe und das nutzte ich zur Erholung.

„Wow, holy Domi beehrt uns mit seiner Anwesenheit!“, versuchte mich Luis gleich aufzuziehen, als ich auch nur einen Zeh in das Zimmer gesetzt hatte.

Ich antwortete gar nichts, ich musste erst mal diese Bilder aus meinem Gedächtnis löschen, wie Richard da an Moritz rumfummelt, als gäbe es kein Morgen.

„He, ich spreche mit dir“, startete Luis einen neuen Provokationsanlauf. Keine Reaktion. „Bist du krank oder so?“

„Mir ist schlecht“, verkündete ich laut genug, damit er es hörte, und hockte mich in eine Ecke meines Betts.

„Hast du zu viel gefressen oder was?“

„Luis, jetzt lass ihm mal“, ging überraschend Tom dazwischen. Verkehrte Welt? „Ist doch gut, dass er nicht gleich streiten will.“

„Ich hab Moritz und Richard beim Rummachen überrascht.“ Die sollten ruhig erfahren, was der Junge in seiner Freizeit noch so alles anstellte außer Leute zu kindischen Spielen anzustiften.

„Verarsch uns nicht.“ Luis, der mitten auf dem Tisch saß und dort vor sich hin existierte, fing an zu lachen, als hätte ich einen besonders schlechten Witz erzählt. „Eine dümmere Ausrede ist dir auch nicht eingefallen.“

„Kannst die beiden ja nachher fragen, sie werden es nicht leugnen können, ich bin Zeuge.“ Alter, fühlte es sich gut an, gegen diese unsympathischen Volltrottel was in der Hand zu haben. Das nächste Mal machte ich Bilder, organisierte mir einen Drucker und verteilte hinterhältige Flugblätter.

„Lass sie doch. Wenn sie meinen, dass sie es brauchen“, verteidigt Softbrötchen die zwei gleich, während er auf seinem Block herumkritzelt und sich wieder von seiner unästhetischen Musik verdummen ließ.

„Es stört aber!“

„Mann, Dominik, reg dich doch nicht dauernd über Moritz oder Richard oder sonstwen auf, das macht dir das Leben auch nicht leichter.“ Tom lag auf dem Boden, knabberte die letzten Kekse aus einer fast leeren Packung und schaute sich dabei eine Zeitschrift über Naturphänomene an.

War ja klar, dass mich aus Prinzip keiner unterstützte, aber damit hatte ich insgeheim schon gerechnet.

Die Mittagsruhe verlief öde wie vermutet, keiner verstand mein Problem, stattdessen klebten sie ziemlich bald zu dritt aneinander und lasen sich gegenseitig aus einem Mädchenmagazin vor, dass Luis als allgemeine Belustigung mitgebracht hatte.

Bei dem Lärm konnte man natürlich weder Entspannen noch sich Erholen, alle halbe Minute lachte jemand, weil die komischen Kinder in dem Heft so eine Scheiße verzapft hatten und von Problemen schwafelten, die kein normaler Mensch haben konnte.

„Hilfe, ich bin schwanger, weil ich seit drei Wochen meine Tage nicht mehr bekommen habe. Was soll ich jetzt tun? Ich habe doch noch nie mit einem Jungen geschlafen. Sophie, 12 Jahre alt“, las Tom mit theatralischem Unterton vor und Luis kringelte sich vor Lachen neben ihm, wobei er sich den Kopf fast am Tischbein anschlug. Vinc sah auch aus, als wüsste er nicht, ob er über so viel Unwissen lachen oder weinen sollte.

Wie sollten solche kleinen Mädchen später mal ein eigenes Leben führen, wenn sie sich mit solchen peinlichen Fragen an die Öffentlichkeit wandten? Wofür gab es Eltern oder beste Freunde, die sie damit erschrecken konnten?

„Was sind das für schlaue Fragen? Oder hier: Bin ich lesbisch, weil ich noch nie einen Freund habe? Alter, ich glaub, ich sterbe.“ Tom vergrub das Gesicht in den Händen und imitierte schlechtes Wolfsgeheul.

Wenigstens die drei hatten gute Laune.

Die Comedysendung unter mir zog sich noch einige Zeit hin, irgendwann erfanden sie selbst tolle Aussagen von Mädchen ohne Ahnung und terrorisierten sich damit gegenseitig, bis sie eigene genauso dumme Antwort bekamen.

Eigentlich sollte das Nachmittagsprogramm wie immer gegen drei Uhr starten, aber erstens wollte ich mir nicht länger als nötig den Anblick von unserem neuen Traumpaar antun und zweitens ahnte ich, dass es auch heute nichts wurde, was mich positiv umhaute, eher im Gegenteil.

Auch die anderen taten, als könnten sie plötzlich die Uhr nicht mehr lesen, und versuchten sich lieber untereinander durch den ganzen Raum zu ziehen. Ob das pädagogisch wertvoll war, blieb allerdings offen.

„He, Jungs, wir wollen anfangen“, hörten wir schon bald Annabell, die unser mysteriöses Verschwinden nicht länger hinnehmen wollte. „Kommt bitte in den Essenssaal. Und nicht erst heute Abend, sondern jetzt.“

Ich wollte nicht, da draußen rannte mein persönlicher Alptraum herum.

Trotzdem saß ich keine fünf Minuten später auf einem Stuhl, neben mir Olli, auf der anderen Seite Sascha, der Chaotenhaufen und die Mädchen um uns herum und vor allen lagen kleine Klarsichtfolien.

What the hell? Gab es dazu einen näheren Sinn oder durften wir den erst suchen?

Des Rätsels Lösung entpuppte sich als eine Armee kleiner Tuben, in denen zähe bunte Farbe gefangen gehalten wurde. Verdammt, da stand Window Color, bitte nicht!

„Was wird das?“ Hannah und Paula sahen sie irritiert an.

Durfte ich mich nun schlecht fühlen, weil ich als Kerl wusste, was das war und sie als weibliche Fraktion, die mit solchem Zeug eigentlich mehr in Berührung kamen, es für etwas Essbares hielten?

Die Betreuer erklärten und ausgiebig, was man damit anstellte – kleine Bildchen für die Fenster malen – und wie man es benutzte – auf die Folie schmieren –, warnten uns aber, uns selbst damit anzukleistern, da es aus Klamotten gar nicht mehr herauszuwaschen war.

Luis und Tom wetteten sofort, wie lange es dauerte, bis der erste mit bunten Tupfen am Tisch hockte.

„Das ist voll sinnlos“, murmelte Sascha leise und begann, mit der roten Farbe ein riesiges Herz und darunter den Namen seiner Freundin zu malen. Zumindest startete er den eindeutigen Versuch. „Verdammt, da kommt nichts raus.“

„Vielleicht ist es leer. Oder du drückst zu leicht.“ Einmal im Leben durfte ich auch mal zeigen, dass ich mit solchen Mädchensachen umgehen konnte.

„Was für ein Müll.“ Genervt packte Sascha das flaschenähnliche Ding und versuchte, es zum Weitermachen zu animieren, indem er es mit ziemlicher Gewalt zusammendrückte.

„Ach ja, wenn du zu fest drückst, kann es sein, dass du Flasche explodiert.“

Auf Paulas Gesicht legte sich immer mehr ein verzweifelter Ausdruck über diese seltsame Art, sein Haus zu verschönern.

„Geil, wollen wir nachher eine mitnehmen und das mal ausprobieren?“, flüsterte Luis Tom zu, der schon die ganze Zeit, seitdem er eigentlich seine Folie anfärben sollte, abwesend irgendwohin starrte und nur nickte, um zu zeigen, dass er ihm angeblich zugehört hatte.

„Aber nicht in unserem Zimmer.“ Vincent war der einzige, der mit den Farben keine Probleme zu haben schien. Er hatte sich eine Vorlage für eine Blume geschnappt und spielte daran Picasso. Wie hübsch...

Olli half inzwischen Sascha mit seinem Flaschenproblem und gemeinsam bekamen sie es hin, dass das teuflische Etwas wieder Farbe ausspuckte. Leider direkt auf den Tisch, zielen sollten sie auch mal lernen.

Der letzte in unserem kleinen Grüppchen, der einzige wahre Richard, hatte noch nicht mal angefangen. Er hing da wie ein Emotierchen und beschäftigte sich lieber mit der Luft. Da vermisste wohl jemand seinen Moritz, der vorne bei den kleinen Kindern rumturnte und ihnen ständig helfen musste.

Eine Runde Mitleid... für niemanden.

„Was soll ich mit dem Zeug?“ Hannah hatte eine kleine Explosion auf ihrer Folie nachgestellt und pustete gelangweilt auf sie, um sie zum Trocknen zu bringen. Dumm nur, dass es trotzdem einen Tag dauerte, bis das eintrat.

„Schenks deiner Oma zum Geburtstag, mach ich auch“, schlug Paula vor, die sich mit Sonne, Mond und Sternen auseinandersetzte und dabei die gelb im Alleingang verbrauchte.

„So was hässlich will selbst die nicht.“

„Nicht so unmotiviert“, weckte Annabell sie aus ihrer Lästerstunde. „Ich hab irgendwo noch eine Anleitung herumliegen, damit könnt ihr ein ganzes Krippenspiel nachmalen.“

Das fand ich beängstigend; was hatte man davon, wenn eine fette Krippe einem den Blick aus dem Fenster versperrte?

„Hm, okay.“ Bevor sie sich noch mehr über ihr originelles Kunstwerk ärgerte, nahm Hannah lieber diese Herausforderung an.

„Theoretisch könnte man mit dem Zeug auch einen Porno nachmalen“, warf Klein Vincent plötzlich in die Runde und ich hätte gefragt, ob er noch ganz dicht war. Die Betreuer töteten uns, wenn wir so was anfingen zu entwerfen.

„Gute Idee.“ Richard, der bis eben nicht mal einen dummen Kommentar für mich abgegeben hatte, schien die Vorstellung zu gefallen. „Ist zwar scheiße, wenn man nicht zeichnen oder so was kann, aber das wird.“

Der Junge klatschte allen Ernstes Strichmännchen in eindeutigen Posen auf die Folie, ich glaubte es nicht. Bestimmt ergänzte er sie zum Schluss noch mit den Namen Richard und Moritz, um endlich allen zu zeigen, was er eigentlich mit unserem gewissenhaften Betreuer anstellen wollte.

Ich hatte eigentlich absolut keine Motivation für diese Kindergartenbeschäftigung, aber bevor ich ebenfalls angedroht bekam, eine Krippe oder ähnliche verrückte Gegenstände zu basteln, gab ich vor, etwas großartiges, einzigartiges herzustellen.

„Was ist das? Ein Wal?“, erkundigte sich Sascha skeptisch, als er eine Pause eingelegte, weil ihm die Hand weh tat. Lusche.

„Das ist eine Wolke“, knurrte ich ihn an; meine Frese, das sah man doch oder gab es Wale, die mit Blitzen um sich warfen und regneten?

„Sorry, wenn du nicht malen kannst“, antwortete er gereizt und betrachtete Richard, der seinem Bild den letzten Schliff gab, indem er alles mit durchsichtiger Farbe verband, um es als großes Ganzes bewundern zu können.

Irgendwo auf der anderen Seite schrie es und es war automatisch jedem klar, dass da jemand nicht sehr nett mit der Flasche umgegangen war; nun klebten überall giftgrüne Reste, die eine hektische Betreuerin zu entfernen versuchte.

Fail für das doofe Kind, das nicht aufgepasst hatte.

Tom grinste breit. „Ich hab gewonnen. Die Chipstüte gehört mir.“

Was für Langweiler, die wetteten um Essen, da hatte man ja nach fünf Minuten nichts mehr davon.

„Hätten die das nicht etwas früher machen können?“, beschwerte sich Luis, beruhigte sich aber schnell wieder und spielte Pseudokünstler. Der hatte aber auch unwichtige Probleme.

Am Ende der überflüssigen Zusammenkunft mit dem scheinbar kreativen Schwerpunkt sammelten die gestressten Betreuer alle Folien ein, um sie in einen anderen Raum zum Trocknen zu lassen.

„Richard, was ist das?“ Moritz hatte das Kunstwerk seines Schatzes gefunden und konnte sich nicht entscheiden, er entsetzt darüber sein oder ob er es unkommentiert lassen sollte.

„Siehst du doch.“ Richard lächelte scheinheilig und ich fühlte mich von diesem Theater äußert genervt. Solle er doch zugeben, dass er frustriert war, dass ich sie heute Mittag gestört hatte.
 

Die restliche freie Stunde und das Abendessen plätscherten sinnlos an mir vorbei, weil ich vor Langweile fast einpennte – hier passierte echt nichts außer die übliche Dummheit – und die anderen mich wieder deutlich ausschlossen.

Nein, das fand ich nicht scheiße, sie waren doch echt unter meinem Niveau, ganz klar.

Heute Abend stand etwas auf den Plan, vor dem es mich gruselte: Schnitzeljagd. Das bedeutete, man durfte im Stockdunkeln durch die Gegend rennen, flog dabei hin, löste komische Rätsel und bekam als Preis nichts. Das war witzlos, ich fühlte mich nicht motiviert genug, daran teilzunehmen.

Vinc hatte auch sichtlich keinen Bock darauf, die nächsten Stunden durch fremdes Gebiet zu irren, und zog sich vorsichtshalber eine Regenjacke über. Bei Schnitzeljagen regnete es schließlich dann immer, wenn man nicht darauf vorbereitet war, argumentierte er eifrig.

Allerdings, wie sollte es regnen, wenn kein Wölkchen den Himmel verdeckte? Gute Frage.

Im Schneckentempo trotteten wir zu sechs – Richard hatte sich wohl schon bei seinem Moritz versteckt – vor das Haus und warteten dort eher wenig begeistert auf die Schnitzeljagd. Sogar die sonst so hochmotivierten best friends Luis und Tom wirkten genervt und wollten lieber im Zimmer Scheiße bauen als in der freien Natur in den nächsten Busch zu stolpern oder den härtesten Ast am Kopf zu erwischen.

Die Kinderschar um uns herum sah das ganz anders, machte Lärm, ging uns auf den Keks und rannten uns fast über den Haufen. Also so dunkel war es auch nicht, um uns zu übersehen, vor allem Olli, der eine grellorangefarbene Jacke übergezogen hatte, falls ihm kalt werden könnte.

Junge, noch mal, wir hatten Sommer und nicht Oktober. Aber mir sollte es egal sein, war ja nicht meine ANgelegenheit, wenn er sie nutzlos mit sich herumschleppen musste.

„Muss das wirklich sein?“, ging Tom versuchsweise Annabell auf die Nerven und testete, ob er sie per Gedankenübertragung von seiner Abneigung gegen Schnitzeljagten überzeugen konnte.

„Ja, natürlich.“ Sie scheuchte ihn zurück zu uns anderen, damit er nicht auf die Idee kam, vorzeitig den Abflug zu machen und allein das Gebäude in Schutt und Asche zu legen. Das zeigte, wie gut seine Übung funktioniert hatte.

Endlich kreuzte auch unser neues Traumpaar auf, wobei Moritz Richard eher hinter sich herzog; da mochte uns jemand irgendwie nicht mehr. Oder mich noch weniger als sonst, wie auch immer.

„Sind alle da?“, fragte Moritz etwas dämlich in die Runde und sah sich um, als könnte er innerhalb von Sekunden alle herumtobenden Kinder zusammenrechnen. Klar, der schaffte es doch kaum, pünktlich zu erscheinen dank seinem neuen Zusatz.

„Wärst du früher da gewesen, hättest du sie mal zählen können“, bemerkte Leonie etwas frostig und Moritz machte schon wieder den Eindruck, vom schlechten Gewissen überfahren zu werden.

Ich feierte innerlich meinen Sieg über den Loser.

„Sorry, ich hatte noch was zu tun“, lenkte er schnell ab und ließ auch dabei gaaaanz zufällig Richards Finger los, die er bis eben noch festgehalten hatte. Da konnte wohl jemand nicht zu dem stehen, was er soeben getan hatte. Kam auch nicht so gut an, als Betreuer sich schon am dritten Tag den nächstbesten Jungen zu schnappen und ihn fast durchzuvögeln, obwohl man auf ihn aufpassen sollte.

Mit allgemeiner Unzufriedenheit bei uns und Anflug von Streitereien bei den Betreuern teilte man uns wie so oft in Gruppen, die jeder dumm fand, ein, sodass ich mit meinem heißgehassten Moritz, seiner kleinen Klette, Tom und unwichtigen Statisten... ähm, Kindern, durch die Wiesen und den Wald zog.

Okay, eigentlich warteten wir erst fast eine halbe Stunde, bis es losging, da wir die letzten waren und auf keinen Fall auf die anderen treffen sollten. Gammelten wir halt solange im Speisesaal und stopften uns mit Keksen voll, die man nur für uns dort abgestellt hatte.

„Kann man nicht vorher aufgeben, wenn man keinen Bock hat?“, erkundigte ich mich ganz dreist bei Moritz, der mir daraufhin nur einen Vogel zeigte – nett und vorbildlich, wie immer – und uns gleich mitteilte, dass wir erst gar nicht versuchen sollten, uns vor dem Spiel zu drücken. Je länger wir es herauszögerten, desto länger dauerte es am Ende.

Kein Kommentar zu dieser Frechheit.

Die erste Herausforderung, bevor wir überhaupt loslegen durften, bestand darin, drei wertlose geographische Fragen richtig zu beantworten, die man in den letzten fünf Minuten aus einem Lexikon entwendete hatte.

Die Kinder hatten wie erwartet keinen Peil und vermuteten, Berlin lag am Mittelmeer, Tom und ich schlossen uns einfach mal an und Moritz brummte etwas, was in Richtung „Was für ein Theater“ klang.

Niemand hatte jemals behauptet, Kinderbetreuen wäre so leicht wie er es sich vorgestellt hatte. Das nächste Mal überließ er das Leuten, die Ahnung von ihrem Fach hatten und nicht planlos Dinge taten wie er.

Richard war auch keine große Hilfe, der wollte nämlich nur eins von seinem Moritz und riskierte es sogar, dass sogar Tom sich auf Dauer über ihn lustig machte.

Eins musste man Luis‘ abf lassen: Wenn er nicht wollte, konnte er einem fast schon sympathisch werden. Aber auch nur, wenn sein peinlicher Kumpel nicht in seiner Nähe rumtanzte.

„Gut, dann lassen wir die Fragen und gehen los“, beschloss Moritz zähneknirschend und lotste uns aus dem Gebäude in das nächste Wiesenstück, wo ein Baumstamm rumlag und existierte. Cool, was für eine Seltenheit.

„Da müsst ihr alle rüberbalancieren, dann können wir weitergehen.“

Und noch eine schwachsinnige Sache auf unserem Weg zum Ziel, wer sich das wohl ausgedacht hatte?

Moritz musste uns alle zwingen, auch nur einen Fuß auf das Holz zu stellen, sogar die Kleinen weigerten sich; war ihnen zu doof. Sie wollten lieber weg und am Fluss Pirat spielen.

„Ich hab Höhenangst, ich kann da nicht drauf“, behauptete ich, als mich Moritz fast mit Blicken brutzelte, weil ich trotz mehrfacher Aufforderung mich ins Gras gesetzt hatte und die Landschaft kritisch betrachtete.

„Dominik, hör auf mich anzulügen und mach einfach.“ Da verzweifelte jemand gerade an seiner Aufgabe, ich fühlte mich extrem stolz.

Fast hätte ich ihn angemault, hier bloß nicht rumzuheulen wegen so einer Schieße, aber das wäre dann doch etwas zu gewagt gewesen, zum Schluss hätte er mir eine gescheuert, so geladen war der arme, unfähige Moritz inzwischen inmitten der bösen Kinder stand und vor sich hin litt. Und mein hübsches Gesicht wollte ich mir von so einem Freak nicht ruinieren lassen.

Wir zogen auch ohne Aufgabe zwei weiter, was mich einerseits freute, weil wir Moritz fehlende Autorität untergraben hatten, andererseits störte, weil wir vor den anderen als Trottel dastehen könnten. So theoretisch irgendwie.

Obwohl, Moritz gab bestimmt nicht zu, dass wir voll gefailt hatten, das wäre sein absolutes Eigentor und bei den super Betreuern stand er momentan ja weniger gut da. Kein Wunder, bei seinem perversen Geschmack.

Naja, so ein blödes Spiel für Kiddies veränderte nicht mein Leben, also brauchte es mich nicht zu interessieren. Für mich zählte im Augenblick nur Moritz leidender Anblick und Richard, der wohl keinen Bock auf die komische Laune von ihm hatte und ihm deshalb demonstrativ den Rücken zugekehrt hatte.

Die passten so wunderbar umwerfend zusammen, ich fühlte mich fast geblendet vor göttlicher Dämlichkeit in ihrer Gegenwart. Wo lag noch mal meine Sonnenbrille?

„Ach wisst ihr was? Lassen wir es einfach“, murmelte Moritz plötzlich frustriert und Tom begann zu grinsen, dass ich mich fragte, ob man den heute noch ausschalten konnte oder ob man zum Schlafen in ein anderes Gebäude ziehen musste.

Wie gesagt, Sonnenbrille wäre sau nice.

Die kleinen Zwerge quietschten komisch, ich tat cool und freute mich für mich und Richard begann ihn anzumachen, warum er denn jetzt unserer Ignoranz nachgegeben hatte. Wer von denen war noch mal neunzehn? Moritz hatte sein geistiges Alter inzwischen drastisch reduziert und nun versuchte Richard, den Ersatz zu spielen. Peinlich, das war so dermaßen daneben, da lachten ja die Hühner.

Den Weg gingen wir nicht zurück, Moritz befürchtete, jemand außerhalb unserer Gruppe könnte seine haushohe Niederlage miterleben, weswegen er sich eine ganz neue Strecke ausdachte, die uns nicht unbedingt vom Hocker warf; es war dunkel, wir wussten nicht, wo wir waren, ich wollte ins Bett und den nächsten Tag – ach was, die nächsten Wochen – verschlafen.

Moritz hatte sich etwas abgeregt und war nicht in der Stimmung dazu, der kleinen Nervensäge Richard länger böse zu sein; vielleicht musste er sich auch einfach wieder einschleimen, damit er heute Abend noch mit ihm in der Kiste landete.

Männer dachten da ja allgemein eher praktisch und er schien es echt ziemlich nötig zu haben.

Am Haus angekommen mussten wir draußen auf den Rest warten, damit keiner heulte, weil wir hatten reingehen dürfen und sie nicht. Solche Idioten gab es in den anderen gruppen bestimmt.

Tom und ich beobachteten teilweise interessiert, teilweise etwas schockiert, was Richard und Moritz auf der Wiese vor dem Eingang schon wieder für eine Show ablieferten. Moritz war der festen Überzeugung, er müsste sofort auf der Stelle und egal mit welchem Publikum in Sichtweite Richard ausziehen, jedenfalls wollte er das und griff seinem theoretischen Zwilling dauernd unters T-Shirt, als läge dort der Sinn des Lebens zum Mitnehmen.

Von dieser Idee hätte er allerdings sein kleines Opfer erst einmal überzeugen sollen, das zappelte nämlich plötzlich übertrieben herum und fuhr ihn dann, dass er das momentan nicht mochte, weil erstens wir beide bösen Gaffer sie als Unterhaltungsprogramm missbrauchten und zweitens ein gewisser Herr M. noch mehr Ärger bekommen hätte, wenn seine Kollegen ihn sahen. Seine Pflicht, Kinder vor ihrer eigenen Dummheit zu wahren stand schließlich über seinem Verlangen, sich an Richard aufzugeilen.

Wenigstens zogen die Argumente und Moritz verfiel wieder in seinen bekannten 'Ich fühle mich plötzlich so schuldig, denn ich bin vernachlässige alles für diesen so tollen Typ' Status, der langsam aber sicher langweilig wurde.

Etwas mehr Abwechslung für die Zuschauer, bitte.

Schon bald kamen die ersten, die tatsächlich an dem Wahnsinn im Möchtegernwald teilgenommen hatten, auf uns zugerannt, weshalb die Fummelattacken endgültig beendet und auf später verschoben wurde.

Stattdessen tauschte man sich aus, wer wo welche Aufgabe ansatzweise richtig gelöst hatte, und loste schließlich aus, welche Gruppe den Preis bekam. Unserer gehörte leider nicht dazu, aber wie erwartet hatte Moritz unsere Lösung etwas verschönert.

Halb schlafend schleppte ich mich direkt nach der aufwandlosen Siegerehrung ins Bad, bereitete mich für die nächste Nacht vor, wimmelte einen Olli ab, der mich nach dem Spaßfaktor unserer Gruppe auszuquetschen versuchte, und verschwand samt Schlafanzug in meinem Bett.

Tom wünschte mir erstaunlicherweise gute Nacht – Luis fielen dabei fast die Augen aus dem Kopf und Vinc wirkte verwirrt – und ich antwortete etwas ähnliches in der Richtung, aber da ich irgendwie schon nicht mehr ganz da war, klang es eher wie die Erfindung einer neuen Sprache.

Damit konnte man bestimmt auch viel Kohle machen.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Inan
2011-01-14T21:29:04+00:00 14.01.2011 22:29
Allesamt schwul hier xDDD
Verdammt witziges Chap :D


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