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Never liked doing it all

until I did it for you
von

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Prologue

Als ich morgens aufgewacht war, hatte ich gewusst, dass der ganze Tag ein Disaster werden würde, ich hatte es gewusst und dennoch hatte ich nichts weiter getan, als mich fertig zu machen und den Tag so zu beginnen wie er geplant war.
 

Der Brunch, Geburtstagsbrunch, von Markus, dem festen Freund meiner besten Freundin.

Ein Brunch, der kaum erträglich werden würde. Ich hatte nie viel mit ihm und seinen Freunden zu tun gehabt, wirklich nicht, aber…wir hatten uns auch nie gemocht, wir würden uns nie sonderlich mögen. Wir waren zu unterschiedlich denke ich, ich mein…Ich war eher eins der Kinder, die arm waren, eines der sozial schwachen Kinder, eines der Problemkinder in der Schule. Und Markus und seine Freunde nicht. Sie hatten Geld, sie hatten alles, sie kriegten alle Wünsche von den Augen abgelesen. Sie kannten die Probleme nicht, nicht dieselben. Sie wussten nicht wie es war, so knapp bei Kasse zu sein, dass man nicht wusste, wie man den Monat überstehen sollte. Sie wussten nicht wie es war, wenn man von den anderen angestarrt wurde, weil man sich kein eigenes Auto oder auch nur eine neue Hose einfach mal eben so leisten konnte. Sie wussten es nicht, und sie würden es auch nie.
 

Danach, nach dem Brunch würde der Tag grauenvoll weitergehen, dass wusste ich. Meine Mum im Krankenhaus zu besuchen war noch nie eine Sache gewesen, die ich hatte gerne tun wollen. Wirklich nicht. Aber nun lag sie halt im Krankenhaus und ihre einzige Verwandtschaft, die sie hatte waren ihre beiden Söhne – mein Bruder Patrick und ich – mit denen sie beide nicht sonderlich auskam, die beide lieber fern von ihr blieben, weil sie noch nie eine gute Mutter gewesen war.

Ich konnte nicht einfach weg bleiben, ich konnte nicht einfach sie nicht besuchen. Vor allem nicht, wenn Patrick kein einziges Mal im Krankenhaus war, wenn ich wusste, dass er dort auch nie auftauchen würde. Er würde es nicht tun. Und dann konnte ich sie nicht dort alleine lassen. Es ging einfach nicht, sie war meine Mutter.
 

Aber selbst damit war dieser elende Tag nicht vorüber. Nein, natürlich nicht. Stattdessen würde ich zu meinem Vater gehen, zu Susanna und meinem Dad zum Familienessen. Susanna, meine Stiefmutter war eine nette Frau, ich mochte sie unheimlich. Sie war immer nett, hatte Verständnis für meine komplizierte Beziehung zu meinem Dad und meiner Mum und sie war…eine bessere Mutter als meine echte Mum. Sie war auf jeden Fall der einzige Grund warum ich mich überhaupt bei diesem dämlichen Familienessen blicken ließ.

Bestimmt nicht wegen meinem Dad, der es lieber hätte dass es mich nicht gäbe. Bestimmt nicht, für dieses Mann, der sich nicht um mich scherte, dem ich vollkommen egal war. Bestimmt nicht für diesen Mann, der nicht mal Verantwortung dafür übernehmen konnte, dass er ein Kind in diese Welt gebracht hatte, noch nicht einmal in Form von Unterhalt.

Nein, für dieses Mann, meinen Dad auf keinen Fall, sondern nur Susanna.
 

Und dann endlich wäre dieser Tag rum. Endlich und auf immer.

Also griff ich seufzend nach meiner Jacke, warf einen letzten Blick auf Patrick, der gerade für sich und seine Langzeitbeziehung den Frühstückstisch deckte.

„Du solltest Mum mal besuchen gehen, sie würde sich freuen.“ Rief ich ihm noch zu, bevor ich die Tür hinter mir zuzog und mich auf dem Weg zur U-Bahn machte.

Freundschaft/Tratsch

So das erste Kapitel entstand mit dem Schlagwort Tratsch und dem Zitat Lebenskunst besteht zu 90 Prozent aus der Fähigkeit, mit Menschen auszukommen, die man nicht leiden kann. (Samuel Goldwyn) (Wttbewerb: OF Wettbewerb mit Vorgaben) und mit dem Thema Freundschaft (Wettbewerb: Eure Ideen)
 

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„Wir bitten den Ausfall U23 aufgrund einer Verwicklung in einen Verkehrsunfall zu entschuldigen…“ hatte die Bahnhofsansagestimme gekrächzt –welcher Idiot übersieht eigentlich eine U-Bahn? Ich hatte erst überlegt ob es nicht ein Zeichen war. Ich mein, die U-Bahn, die ich nehmen wollte, war ausgefallen. Die U-Bahn hatte nicht gewollt, dass ich mein Ziel erreichte, war es dann nicht ein Zeichen von oben oder sonst woher, dass ich einfach wieder nach Hause gehen sollte? War es nicht ein guter Grund nicht zum Brunch zu gehen?

Und Annie würde es auch verstehen, sie würde Lächeln und mir wahrscheinlich widersprechen, mir sagen, dass es kein Zeichen war, sondern nur die Bahn bei ihrer Mission, die Weltherrschaft – ich weiß, manchmal ist Annie ein bisschen merkwürdig – war. Aber sie wäre trotzdem enttäuscht und sie würde nichts sagen, weil sie es verstehen würde. Aber sie wäre trotzdem enttäuscht, und ich würde es merken, so wie immer. Und sie war zu recht enttäuscht. Irgendwie zumindest.

Also stand ich jetzt hier in dem Cafe mit etlichen Minuten Verspätung und wurde von allen anderen angestarrt.

Ja, ich wusste, im Gegensatz zu ihnen sah ich aus, als wäre ich gerade aus der nächst besten Gosse gekrochen. Ich hatte halt keinen teuren Anzug an, sondern nur ne Jeans gebe zu, –ich die Jeans war an einigen Stellen schon fransig - und ein T-Shirt. Ich hatte gedacht, meine Aufmachung wäre in Ordnung, immerhin war das ganze hier nur ein Geburtstagsbrunch und kein offizieller Anlass, aber anscheinend hatte ich mich da getäuscht. Ziemlich getäuscht, denn das einzige was die anderen –außer Erin und mir - anhatten, waren teure Anzüge und schicke Kleider.

Seufzend ignorierte ich die Blicke, diese mitleidigen Blicke, der anderen und trat an Markus heran.
 

Markus Miller, das Geburtstagskind, das ich nicht leiden konnte.

Markus war reich, oberflächlich und hielt sich an irgendwelche Anstandsregeln, die ich noch nie so genau verstanden hatte. Natürlich war er intelligent, - nicht dass ich dumm war – und er stellte es auch gerne zur Schau, benutzte Fremdwörter und nie irgendwelche ’Gossenausdrücke’ – als ob ich so reden würde. Ich weiß auch nicht, aber irgendwie…man bekam einfach den Eindruck, er würde sich für etwas Besseres halten. Nicht dass er es tat – das sagt zumindest Annie. Aber was mich vielmehr als sein ganzes Getue störte, war die Tatsache, dass er sich selber zum Samariter von Sozialfällen ernannt hatte. Wann immer er oder einer der anderen einen Jugendlichen aufgabelten, den es an sozialen Kontakten und guten Umgangsformeln – warum man die auch immer braucht – mangelte, dann nahmen sie ihn unter ihre Fittiche. Als ob sie den niedrig sozial gestellten damit einen Gefallen tun würden. Als ob es ihr Leben irgendwie besser machen würde, wenn sie so vorgeführt wurden, wenn ihnen so deutlich gezeigt wurden, dass sie anscheinend nichts anderes waren, als Abschaum aus der Gosse? Glaubte Markus wirklich, dass er seinen Sozialfällen damit einen Gefallen tun würde, dass er ihr Leben damit irgendwie besser machen würde?

Einer der Sozialfälle war seit neustem Ich.

Seit Markus Miller nicht mehr nur noch Markus Miller war, sondern der feste Freund von Annie Fitzgerald.
 

„Herzlichen Glückwunsch, Markus.“ Gratulierte ich ihm.

„Schön, dass du noch gekommen bist.“ Begrüßte er mich ebenfalls

„Wir dachten schon, du würdest nicht mehr kommen.“

„Ja, die U-Bahn ist ausgefallen.“ Entschuldigte ich mich. Vielleicht war es ja doch ein Zeichen gewesen. Markus sah schon fast mitleidig aus.

„Oh, öffentliche Verkehrsmittel.“ Murmelte er nur und lächelte dann wieder dieses falsche Lächeln, wobei Annie neben ihm mit den Augen rollte, bevor Markus dann auf den einzig freien Platz in der Runde deutete. Zum Glück neben Erin.

Mit einem Lächeln beugte ich mich jedoch zuvor noch zu Annie herunter und drückte ihr einen Kuss auf die Haare.
 

Annie Fitzgerald war ein junges Mädchen, das zwar genauso mode fanatisch wie die anderen hier am Tisch waren, die aber nie vergessen hatte, woher sie kam. Sie kam nicht aus einem dieser total reichen Elternhäuser, nicht wirklich. Sie war bodenständig geblieben, nie so verwöhnt wie die anderen und hatte ganz normale Hobbys. Hobbys wie alle anderen Menschen auch. Sie fuhr Skateboard und ging gerne feiern, in ganz normalen Diskotheken und Kneipen. Und manchmal war sie ein bisschen verrückt, auf eine liebenswerte Art. Die Art, die mich schmunzeln ließ. Ihre Freunde und Markus waren da anders. Aber Annie, war halt Annie und sie war meine beste Freundin. Der einzige Grund war ich hier war, auf diesem elendem Geburtstagsbrunch.
 

Wenige Minuten und ein Danke von Annie später saß ich neben Erin und war dabei mir ein Brot zu schmieren, als Megan –oder war es doch Melinda? Irgendetwas mit M auf jeden Fall – mich ansprach.

„Hast du schon gehört? Dieser neue, der ist so ein Sozialfall, Pflegeeltern und alles.“

Innerlich schrillten bei mir schon alle Alarmglocken.

Alarmiert blickte ich hinüber zu Erin und natürlich, ich sah wie seine gesamte Kiefermuskulatur sich verspannte.
 

Es war nicht weiter verwunderlich. Erin O’Connor war, neben mir, selbst so etwas, was die anderen am Tisch wohl als Sozialfall bezeichnen würden. Erin hatte bei Pflegeeltern gelebt, und das nicht ohne Grund, aber das wussten die anderen nicht. Und sie mussten es auch nicht wissen.

Erin mochte zwar ein so genannter Sozialfall sein, und ja er war misstrauisch und manchmal etwas schwierig. Aber, ich mochte ihn. Bei ihm hatte ich einfach das Gefühl, dass mich genau verstand. Wahrscheinlich, weil wir ähnliches erlebt hatten.
 

Und jetzt saßen wir an diesem Tisch und mussten uns anhören wie Megan/Melinda/oder-wie-auch-immer mit Markus und den anderen über den neusten Sozialfall herzogen. Es tat weh – Sätze wie „Ich finde es war wirklich erbärmlich, wie sie herum laufen müssen.“ taten einfach weh. Und ich wollte sie am liebsten alle zu Recht weisen, ihnen sagen, dass sie sich wie die letzten Idioten benahmen, dass ihre Hilfe gar nicht gewollt war. Nicht, dass ich gedacht hätte, dass sie es dadurch verstanden hätten. Wie sollten sie es auch je verstehen, wenn sie noch nie einen echten Sozialfall gesehen hatten, wenn sie nicht wussten, was es wirklich war. Doch es würde gut tun, ihnen so die Meinung zu sagen, einmal endlich auszusprechen, was man schon all die Jahre dachte – nämlich, dass sie von nichts eine Ahnung hatten, nicht so wie sie in Daddys schicken Karren durch die Gegend fuhren und in Daddys Geld baden konnten, nicht so wie sie in den schicksten und teuersten Designerklamotten über die Gänge stolzierten - aber Annie war meine Freundin. Annie war meine beste Freundin, ich war es ihr einfach schuldig, jetzt, gerade jetzt mein Maul zu halten.

„Ich denke wir sollte ihn mit zu einem der Anlässe nehmen, dann kann er dort einige Sozialkontakte knüpfen.“ schlug Markus schließlich vor, wobei ich sehen konnte, wie Annies Augen sich entsetzt weiteten – hatte ich doch gewusst, dass sie nicht zusammen passten – und sie ihn ungläubig anstarrte. Ich wusste, dass sie anders über diese Dinge dachte, wie ihr Freund, aber das war nun nicht meine Sorge. Wirklich nicht.

Es war vielmehr Erin, um den ich mir Sorgen machte. Erin, der hier mit angespannten Kiefer und geballten Fäusten am Tisch saß und so aussah als er müsste er sich zusammen reißen, nicht gleich Markus oder auch Megan/Melinda –oder war es doch Melissa? – zu schlagen.

„Ich geh eine rauchen.“ presste Erin die Worte angespannt hervor und verschwand so schnell wie möglich vor die Tür.

„Ich geh auch eine rauchen.“ Murmelte ich, beeilte mich Erin zu folgen.
 

„Hey, alles in Ordnung?“

Erin nickte mir nur zu, zog an seiner Zigarette und beachtete mich nicht wirklich weiter. Stattdessen sah er aus, als wollte er entweder am liebsten weg rennen oder aber Markus das ein oder andere blaue Auge verpassen. Ich konnte ihn verstehen. Mir ging es ja selbst nicht anders. Vielleicht wäre es besser zu gehen, einfach die nächste U-Bahn – in der Hoffnung, das sie kam- zu nehmen und nach Hause zu fahren. Besser als handgreiflich zu werden. Besser als Annie später zu erklären, warum wir Markus, warum wir ihren festen Freund zusammen geschlagen hatten. Aber…

„Erin, komm, wir machen das hier für Annie.“ Versuchte ich…ja was eigentlich? Versuchte ich mich gerade selber davon zu überzeugen, warum ich das tat?

„Ich weiß.“ Murmelte er nur, zog noch mal an seiner Zigarette und sah mich dann nachdenklich an.

„Ich weiß, wirklich. Ich mein, ich mag niemanden da drin, außer euch beiden. Und schon gar nicht Markus. Aber…Annie ist unsere Freundin. Es ist okay, denke ich. Sie würde, dass auch für uns machen.“ Begann er, seine Stimme war dabei rauer als sonst.

„Sie ist nun mal unsere Freundin und die da drin, die sind halt auch ihre Freunde. Und naja, dann kann ich auch einen Vormittag mit diesen….mit ihnen klarkommen und mir anhören, wie man einen Sozialfall betreut, dann ist das halt so.“

Ich war erleichtert. Erstmal. Der Brunch war gerettet, und das war die Hauptsache.

„Komm lass uns wieder reingehen.“ Bot ich lächelnd an.

Noch etwas war erleichternd. Ich war nicht der einzige der sich kaum unter Kontrolle hatte. Vor allem nicht seit sie über Sozialfälle tratschten.

Aber wir taten dass hier für Annie, und es war okay. Irgendwie.

Geste/Distanz

Meine Mum lag im Krankenhaus. Im Sterben, um genauer zu sein. Und ich besuchte sie öfters. Einmal in der Woche für ein vielleicht zwei Stunden und die meiste Zeit schwiegen wir uns an. Es war anstrengend. Aber ich wusste einfach nicht was ich sagen sollte.

Nichts außer Was für ne schlechte Mum bist du eigentlich? und ähnlichem. Meine Mum und ich…wir hatten einfach nicht viel gemeinsam. Wirklich nicht. Bevor sie ins Krankenhaus gekommen war, hatten wir lediglich alle paar Monate für wenige Minuten am Telefon miteinander gesprochen. Es war einfach eine Distanz zwischen uns, die mit den Jahren nur größer geworden war und nun wusste ich nicht was ich ihr sagen sollte. Und sie anscheinend auch nicht, was sie mir sagen sollte. Also saßen wir hier in diesem Krankenzimmer und schwiegen uns an. Wir schwiegen. Die Ereignisse der Woche hatte ich schon sozusagen ihr mitgeteilt.

„Ich war heute morgen Brunchen mit Annie.“ und schon hatten wir den heutigen Tag zusammengefasst. Was sollte ich darüber weiter sagen? Ihr vielleicht über den Tratsch über den neuen Sozialfall erzählen, der Erin und mich so verärgert hatte? Bestimmt nicht, soviel weiß ich dann doch noch über sie. Sie war schließlich auch ein Sozialfall, irgendwie.

Und was blieb dann noch zum erzählen? Sollte ich ihr erzählen, dass ich heute zum Abendessen bei meinem Vater und seiner neuen Frau eingeladen war? Wohl eher auch nicht.

Also, wusste ich nicht was ich ihr sagen sollte. Ich könnte ihr etwas von meinem Bruder Patrick erzählen, aber die beiden hatten sich noch weniger zu sagen, als ich ihr.

„Wie ist denn so das essen?“

„Ganz gut.“

Und schon war das nächste Gespräch beendet. Ein Gespräch von dem ich glaubte, dass ich es auch schon öfter geführt zu haben. Und seien wir mal ehrlich, übers essen reden? Übers Krankenhausessen?

Man musste kein Experte sein um zu sehen, dass wir keine Gesprächsthemen hatten, dass da zwischen uns einfach eine Distanz war, die wir anscheinend nicht überbrücken konnten. Nicht wirklich zumindest.

Ich kann mich an Moment erinnern in denen sie mir nah gewesen war, ich weiß dass es sie gegeben hatte, aber irgendwie konnte ich nie einen solchen Moment finden, wenn es mal wirklich wichtig wäre.

Sollten wir uns nicht noch einmal nah sein, bevor sie starb? Sollte…Ich weiß auch nicht. Ich wollte einfach nicht, dass sie starb und sie dann für immer weg war, wenn da nichts zwischen uns war, als diese Distanz.

Sie war meine Mutter, keine sonderlich gute, war sie auch noch nie gewesen, aber sie war meine Mutter. Meine Mutter und ich war meiner Stiefmutter, selbst Annies Mutter soviel näher als ihr. Meine Stiefmutter, bei der ich manchmal wünschte, sie wäre meine echte Mum, die ich irgendwie zu meiner Familie zählte und dann war da Annies Mum. Annies Mum, die so was wie meine zweite Mum war. Eine Frau, die ich ebenfalls zu meiner Familie zählte.

Super, wenn ich mir meine Familie ansah, so wie ich sie sah, wie ich sie wählen würde, bestand sie aus Erin und Annie, aus meinem großem Bruder Patrick und seiner Freundin Sam, aus meiner Stiefmutter Susanna und aus Annies Mum Christa. Das war die Familie wie ich sie im engen Kreis sah. Und selbst im weitesten Sinne, tauchte meine Mum da nicht drin auf – zugegeben mein Vater Sven auch nicht – und irgendwie war es traurig. Oder?

Ich meine, meine eigene Mutter, meine Mutter, die ich Mum nannte, sollte zu meiner Familie zählen? Oder etwa nicht?

Genervt stieß ich einen Seufzer aus, während ich mir mal wieder wünschte, eine ganz normale Familie zu haben.

„Du musst mich nicht besuchen kommen, Jimmy.“ Hörte ich meine Mutter leise flüstern. Und es tat weh. Weil sie wusste, das sie mir nicht nah war, dass sie mir eine Fremde war.

„Nein Mum, das mach ich doch gerne.“ Log ich. Denn auch wenn sie mir nicht nah war, und dass das was ich über sie wusste, sie mir auch nicht sympathisch machte, war sie immer noch meine Mum.

„Lüg mich nicht an, Jimmy.“ Begann sie.

„Ich weiß, ich bin keine gute Mum und ich weiß, du magst mich nicht sonderlich.“

„Mum, nein, so ist es nicht.“

Ich weiß es war schon wieder eine Lüge, aber ich konnte ihr doch nicht die Wahrheit sagen, ich konnte ihr doch nicht so wehtun, oder? Nein, das war eine dumme Frage. Natürlich konnte ich ihr nicht so wehtun, sie war meine Mum, ich wollte ihr nicht wehtun. Auch wenn ich sie nicht mochte, wollte ich sie nicht verletzten.

„Jimmy, es ist okay, wirklich.“

Und das tat sogar mir weh.

„Weißt du, ich möchte dir etwas erzählen.“ Begann sie erneut, sah mich an, und ich konnte nicht anders, als mit zugeschnürter Kehle zu nicken, auch wenn ich eigentlich nicht hören wollte.

„Ich war jung und naiv und plötzlich war ich ganz alleine mit zwei Kindern. Dein Vater hatte mich verlassen, zurück gelassen, als er erfahren hat, dass ich schwanger mit dir bin –Wenn wundert es da eigentlich, dass ich auch mit meinem Vater nicht gut auskam? – und…es war nicht einfach. Ich war so verletzt und so wütend. Aber dein Vater war nicht mehr da. Also war ich wütend auch dich, all die Jahre lang.“

Ihre Stimme brach ein wenig, als sie die Worte, die Wahrheit aussprach. Resigniert rollte ich mit den Augen, so viel hatte ich auch gewusst, ohne dass sie es mir hätte sagen müssen. Es war kein großes Geheimnis gewesen, dass sie wütend auf mich war, oder gewesen ist.

Es war schon immer so gewesen, und ein Teil von ihr würde immer wütend auf mich, und es war okay. Nicht weil es nicht weh tat oder…aber es okay, denn ich konnte damit umgehen. Ich wüsste ehrlich nicht, wie ich reagieren sollte, wenn sie nicht mehr zornig sein würde.

„Es ist schon okay, Mum. Ich verstehe es, ehrlich.“ Entgegnete ich ihr dann, bevor sie fortfuhren konnte. Ich wollte es nicht hören, ich wollte nicht, dass sie sich das selber antat.

Und dann verfielen wir wieder in Schweigen.

Schweigen.

Fast bereute ich es schon sie davon abgehalten zu haben, vielleicht…Es wäre ein intimes Gespräch gewesen, vielleicht wären wir uns mal wieder Nahe gewesen. Es war unwahrscheinlich, wir hätten uns eher gestritten, aber es hätte sein können.

Es…es war Wunschdenken, nichts weiter. Wir würden uns nie nah sein, wir würden uns nie nahe stehen, wir würden es nie tun. Dafür war zu viel passiert, vielleicht auch zu wenig, ich wusste es nicht genau, aber es machte es uns unmöglich.

Es sorgte dafür, dass wir jetzt hier, nebeneinander saßen und schwiegen, dem Piepsen der Geräte lauschten und nichts taten.

Es war kein angenehmes Schweigen, nicht…wir schwiegen nicht einfach so, um der Stille wegen, sondern weil wir uns nichts wirklich zu sagen hatten. Nichts, keine Sachen von Bedeutung und auch keine ohne Bedeutung. Einfach nichts.

Nach einigen Minuten Schweigen mehr, hielt ich es einfach nicht mehr aus, ich konnte einfach nicht hier sitzen und nichts sagen, also stand ich auf.

„Naja, ich werde mich dann mal auf den Weg machen, ich geh noch essen mit“ Ich stoppte, erinnerte mich daran, dass ich Dad nicht erwähnen sollte, nicht ihr gegenüber, nicht wenn ich wusste, wie weh er ihr getan hatte.

„…Mit Annie.“ Log ich und schaffte es sogar noch zu lächeln, obwohl mir zum heulen zumute war.

„Tue mir den Gefallen und grüß sie von mir.“ Antwortete sie mir, mit dieser gebrochenen Stimme. Diese gebrochene Stimme, die sie immer dann hatte, wenn es ein wunder Punkt war. Wunde Punkt, davon gab es einige, mein Bruder Patrick – wahrscheinlich war er ihr größter – mein Dad, Patricks Dad – aber über den redeten wir eigentlich nie – und noch einige andere. Aber Annie Fitzgerald, meine beste Freundin, war eigentlich kein einziger dieser wunden Punkte. Eigentlich ganz und gar nicht, wirklich nicht.

„Mum?“ fragte ich verwirrt, nicht wissend, ob ich wirklich erfahren wollte, was nicht in Ordnung war.

„Ach Jimmy.“ Wisperte sie, während ihre Stimme noch mehr brach.

„Es ist nur…ach, es ist nichts.“

Sie log, ich wusste dass sie log und irgendwie war ich ihr dafür dankbar, für ihre Lüge. Ich beschloss es auf sich beruhen zu lassen und war schon fast aus dem Krankenhauszimmer, doch dann konnte ich nicht gehen. Nicht so.

Mit schnellen hastigen Schritten war ich zurück am Krankenbett, denn ich wusste, wenn ich nur einen Moment zögern würde, dann würde ich aus dem Raum fliehen. Würde vor ihr und unsere Beziehung, die nur aus Distanz bestand fliehen. Ich würde fliehen.

Mit Tränen in den Augen beugte ich mich zu ihr herunter und presste ihr einen Kuss auf die Schläfe. Bevor ich es mir anders überlegen konnte, setzte ich noch gewispertes „Ich liebe dich, Mum.“ hinterher.

„Danke.“ Brachte sie mir nur entgegen, drückte meine Hand kurz und dann war ich auch schon aus dem Zimmer geflohen.

Ich hatte sie angelogen, oder? Es war eine Lüge gewesen, dass ich sie liebe, das hatte immer gedacht, dass ich sie nicht lieben würde. Aber in dem Moment, in diesem verdammten Moment in diesem Zimmer, war ich mir nicht mehr sicher ob es wirklich eine Lüge war, oder ob es doch der Wahrheit entsprach.

Ich wusste nicht, ob der Kuss auf die Schläfe, das „Ich liebe dich“ nur eine Geste war, eine Geste die ich einer sterbenden Frau gewährte, oder ob es mehr war.

Ich war mir nicht mehr sicher.



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Kommentare zu dieser Fanfic (2)

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Von:  Tweetl
2010-01-03T18:29:01+00:00 03.01.2010 19:29
Jimmy ist mir sympathisch. Einfach, weil er er ist und wie er die Welt beschreibt, mit seinen Augen sieht.

Du hast einen schönen Schreibstil.


Schade, dass das letzte Thema noch nicht fertigstellt ist.
Von:  Godoftheworld
2009-11-21T13:47:05+00:00 21.11.2009 14:47
So Süße,

Ich hatte dir ja etwas versprochen und meine Versprechen habe ich bisher immer so gut es eben ging gehalten, nicht wahr?^^
Ich habe jetzt eine Stunde lang dein neues Werk rauf und runter gelesen, und mir ein paar Notizen gemacht, was ich gut und schlecht finde.
Und nach einem Schnick-Schnack-Schnuck- Zug habe ich mir gedacht, dass das Beste immer zum Schluss kommt ;)

Also:
An manchen Stellen fehlen ein paar grammatische Zeichen, auch teilweise ganze Wörter, wohl aber waren keine zuviel drin ;) Vielleicht solltest du einmal nachträglich drüber lesen oder ich korrigiere dir den Text^^
Vielleicht hättest du auch eine kleine Einführung in Jimmys Gedankenweilt noch machen können, damit der Leser nicht ganz aus dem Kontext gerissen ist oder nicht einzuordnen weiß, warum sich der Ich-Person so über die "Snobs" aufregt^^ Es wäre einfacher für das Verständnis ;) Auch wenn ich Jimmy wohl besser einordnen konnte, da ich dein anderes Werk kenne <.<

Das waren meine Kritikpunkte, nun komm ich aber zu den schönen Seiten, auf die sich jeder Autor doch eigentlich am meisten freut:^^
Die Geschichte an sich ist gut geschrieben und die Ironie, die dezent durch die Zeilen scheint, ist besonders gut an den Namen ("Nun doch Melinda, Melissa, oder wie??") festgemacht. Ich mag deine Form von Humor ;)
Ich konnte ziemlich gut die Spannung nachvollziehen zwischen diesen Schichten, die da aufeinander prallen. Auch Jimmys Distanz und seine Beweggründe waren für mich sehr gut nachvollziehbar, aber die Tiefe kam am Ehesten durch das Zitat am Anfang deiner Geschichte heraus, in welcher du definierst, was es mit dem Umgang zwischen den Menschen auf sich hat. Ich musste die ganze Zeit deswegen schmunzeln.
Aber generell konnte man Jimmy sehr gut verstehen, wenn er die Augen verdrehte^^ Ich wäre wohl nicht ruhig sitzen geblieben^^.
Also:
Ich freue mich riesig auf dein nächstes Kapitel und vergiss bitte nicht deine anderen Werke <.< Da muss es auch bald weitergehen!

Ganz liebe Grüße.
Lieb dich!

godoftheworld alias Carina


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