1.Dezember
1.Dezember
Behäbig öffnet Farin die Augen, gewöhnt sich langsam an die Dunkelheit im Zimmer. Er zwingt sich den Kopf zu heben und einen Blick aus dem Fenster zu werfen. Schwere Wolken und nachtschwarzer Himmel sind die einzigen Dinge, die er erkennt. Noch einen Blick später verraten ihm die giftgrünen Zeiger seines Weckers, dass es gerade einmal sechs Uhr ist.
Farin ist absoluter Frühaufsteher, doch dieser so öde und sicherlich kalte Wintermorgen ist gerade absolut nicht nach seinem Geschmack. Die warme, weiche und geborgene Zuflucht seines Bettes würde er frühstens in drei Stunden verlassen. Schon seine Zehen, die unter der Bettdecke hervorragen, fühlen sich taub an durch die Kälte im Raum.
Gerade als er sich wieder auf die Seite drehen will, nimmt er draußen einen Schemen im Augenwinkel wahr. Eher noch eine flüchtige, nur zu erahnende Bewegung in der Schwärze. Da selbst um diese Uhrzeit kein irrer Fan seine Haustür aufsuchen würde, der Postbote sicherlich noch nicht seine Runde dreht und die Gegend eh menschenleer ist hat er wohl schon Halluzinationen. Oder er ist endgültig Paranoid.
Als nur Sekunden später eine ohrenbetäubende Sturmklingelattacke ausbricht, verwirft Farin seine logischen Gedanken und steht senkrecht im Bett. Sein müder Kopf dröhnt und seine Gedanken fahren Achterbahn. Welcher Idiot kommt auf die Idee, ausgerechnet bei ihm um diese Uhrzeit, bei diesem Wetter Sturm zu schellen?
Eigentlich hat er sich schon entschieden, den nervtötenden Attentäter zu vergessen und weiter zu schlafen. Jedoch nimmt Farin erneut den unheimlichen Schemen in seinem Blickwinkel wahr, dieses Mal ist die Bewegung aber unglaublich flink und rasch vorbei.
Seufzend schlägt Farin die Bettdecke zurück, lässt sich von der Welle der Eiseskälte überrollen und schlurft zu seiner Haustür. Zitternd vor Kälte öffnet er mit äußerster Vorsicht die Türe. Boxershorts und T-Shirt sind zu dieser Jahreszeit nicht die optimale Kleiderwahl.
Bei dem sich ihm bietenden Anblick weiß er nicht, ob er lachen oder weinen sollen. Auf seiner Fußmatte thront scheinbar irgendein Kuscheltier.
Rasch klaubt Farin es auf, trotz seiner Verwirrung möchte er nicht erfrieren. Das plüschige Wesen fasst er mit spitzen Fingern wie einen Aussätzigen an. Wer weiß, von wem dieses Vieh kommt.
Um dies zu überprüfen, trollt Farin sich in Richtung Küche und begutachtet das Ding im Schein der Küchenlampe genauer. Tatsächlich handelt es sich um ein Kuscheltier, genauer gesagt um einen Teddybären. An und für sich nichts Seltenes, jedoch scheint dieses Exemplar einer besonderen Behandlung unterzogen worden sein.
Der Teddy ist schwarz und trägt scheinbar angenähte Vampirzähne, die liebevoll mit dunkelroten Sprenkeln verziert worden waren. Außerdem ist er mit einem samtroten Cape ausgestattet worden, dazu kommen die ebenso angenähten schneeweißen Krallen an den Pfoten. Beim Wenden des Bärens erkennt Farin noch kleine angeklebte Pappfledermäuse auf dem Umhang und einen neonpinken Klebezettel.
„Erster Befehl: Verbringe einen Tag im Bett und tue absolut nichts.“
Unterschrieben wurde mit einem verschnörkelten B.
Innerhalb von Bruchteilen einer Sekunde erkennt er die Handschrift und erinnert sich an sein gestriges Versprechen, was Farin doch eher im Scherz gegeben hat.
Da ihm jedoch dieser Befehl aktuell sogar entgegen kommt, beschließt er der Aufforderung nachzukommen und sucht erneut sein Schlafzimmer inklusive Teddy auf.
Aufgrund der wohligen Wärme seiner Bettdecke dämmert Farin sofort wieder weg und verschwendet keinen Gedanken mehr an Möchtegernvampir-Teddys. Dieser sitzt übrigens mittlerweile aufrecht am Ende des Bettes und beobachtet mit seinen Knopfaugen den ruhig atmenden Blonden.
Als er um halb Zehn erneut aufwacht und die Decke zu Seite schlagen will, erinnert sich Farin an den kleinen Zettel. Sollte er wirklich bei dieser schwachsinnigen Aktion mitspielen?
Vielleicht sollte er die Sache als Wettkampf sehen. Jede dieser seltsamen Anordnungen haargenau befolgen und somit Bela zeigen, wer hier der Gewinner ist.
Durch den Ehrgeiz beflügelt, breitet er die Decke wieder über sich aus und lässt sich gedanklich einfach Treiben. In seinem Kopf schwirren Erinnerungen, Gedanken, Songtextfetzen und andere Dinge umher. Ein angenehmes Delirium, gefangen im Halbschlaf.
Seine Methode ist jedoch nur kurzzeitig erfolgreich: Innerlich schon Triumphierend blickt Farin wieder auf seinen Funkwecker: 11:30.
Eine Uhrzeit, zu der Farin niemals noch in den Federn liegen würde. Er heißt schließlich nicht Bela. Aber ein Tag fasst nun mal mehr als diese zwei Stunden. Genervt möchte er sich eines der vielen Bücher vom Stapel auf seinem Nachtschränkchen ziehen, als ihm der Zusatz des Befehls einfällt.
Sein persönliches Horrorszenario. Absolut nichts tun. Leicht hilflos lässt er den Blick durchs Zimmer schweifen und bleibt an dem bizarren Kuscheltier hängen. Frustriert packt Farin den Bären an den weichen Ohren und setzt ihn grob auf den Bücherstapel vor ihm.
„Weißt du vielleicht, warum Bela auf so idiotische Ideen kommt?“
Er redet mit einem Teddybären. Ärmlich und traurig zu gleich. Aber besondere Umstände erfordern besondere Maßnahmen. Natürlich antwortet der Haufen aus Plüsch ihm nicht.
Aus purem Protest zieht Farin die Decke noch enger um sich und schließt die Augen. Eine Ewigkeit lang. Bis er wieder seine Aufmerksamkeit auf den Wecker lenkt: 11:35.
„Hast du eigentlich einen Namen?“
Nur Sekunden später beantwortet er die Frage selber.
„Bestimmt sowas klangvolles aus irgendeinem Horrorfilm. Aber hey, da du mir den eh nicht verrätst: Hallo, Wischmopp. Mehr würde ich mit dir nicht mehr machen, außer Boden wischen.“
Der schwarze Bär starrt Farin weiterhin ausdruckslos an.
Die nächsten Stunden ziehen an ihm vorbei und scheinen ein Stück der Ewigkeit zu sein.
Farin dreht sich von der einen zur anderen Seite, wirft dem Bären bitterböse Blicke zu und hofft auf Rettung. Er beschließt sich einen erneuten Tiefschlag zu versetzen und liest die Uhrzeit ab: 14:07.
Helllichter Tag und Farin liegt träge im Bett. Es gäbe viele Dinge, die er jetzt tun könnte. Aber er ist an sein Bett gefesselt. Natürlich könnte er einfach aufstehen und das kleine Spiel beenden. Doch ein Farin Urlaub gibt nie auf und verlieren tut er erst recht nicht.
Also krallt er sich einfach weiter in seine Decke und lässt den angestauten Frust einfach heraus:
„Du und dieser Volldepp, ihr seid doch beide bescheuert. Völlig durchgedreht. Wer an einem Wintermorgen einen Teddybären vor meine Tür legt, der ist doch ein Psychopath. Und dazu noch dieser PostIt! Erster Befehl... was der sich einbildet. Als wenn man mir irgendetwas befehlen könnte. Ich werd diesen dämlichen Tag rum bringen und ihm danach so die Meinung geigen, dass er mir nie wieder irgendetwas befiehlt!“
Der Teddy starrt ins Leere.
Erneut landet Farin im Delirium. Nur dieses Mal ist es kein angenehmes. Schwarze Schemen huschen durch seine Tagträume, halten ihn fest und raunen ihm Dinge zu.
Jetzt wird er wahnsinnig. Ganz sicher.
Um irgendetwas gegen dieses schleichende Gift seiner Psyche zu tun, hebt er das Kuscheltier von seinem Aussichtsplatz und dreht es in seinen Händen.
Den Wecker wagt er nicht einmal mehr anzusehen. Durch seinen Kopf kreisen seltsame Melodien, unbewusst summt er leise vor sich hin. Langsam formen sich aus dem undefinierbaren Gesumme kurze Textpassagen heraus:
"...und die Fledermaus singt Liebeslieder..."
Moment. Dieser Text gehörte einer gewissen Person und eindeutig nicht ihm. Selbst sein Unterbewusstsein stellt sich gegen ihn. Farin gegen den Möchtegernvampir Eins, gegen den Möchtegernvampir Zwei aus Plüsch und gegen sich selber. Mit diesem Gedanken, dem Bären auf der Brust und der Melodie in seinem Hinterkopf schläft er über das ewige Liegen endgültig ein.