17.Dezember
17. Dezember
Felix? Anton? Farin ist sich nicht sicher, wie er diesen Kater nennen soll, der doch im Grunde genommen gar keiner ist. Denn obwohl er letzte Nacht seinen Prinzipen wie stets treu geblieben ist, hämmert es in seinem Kopf doch, als hätte sich dort Bela höchst persönlich eingenistet, seine Schädeldeckel als Snare missbrauchend.
So finden seine Füße auch nur langsam den Weg zum Boden, er selbst mehr schwankend als laufend das Bad. Der Blick in den Spiegel gelingt ihm erst nach einiger Überwindung, die sich viel zu schnell als berechtigt herausstellt.
Das Bild das Farin da so gnadenlos zurückgeworfen wird, scheint mehr tot als lebendig; seine Augen sind vom ungewohnten Zigarettenrauch der Party noch immer ganz gerötet, die Lippen rissig, das ganze Gesicht so blass, als würde er gleich nach hinten aus den Latschen (nicht Puschen!) kippen. Die Haare hängen ihm strähnig ins Gesicht und nur nebenbei bemerkt der Gitarrist, dass die Farbe bald herausgewachsen ist, seine natürlichen dunkelblonden Haarfarbe Platz macht.
Aber es gibt erstmal essenziellere Aufgaben zu lösen, als die bröckelnden Lacks. Ihn wieder halbwegs menschlich machen zum Beispiel. Und so dauert es eine rekordverdächtige dreiviertel Stunde, bevor sich Farin aus dem Bad traut, sich der rauen und vor allen Dingen kalten Welt stellend. Hat es in der Nacht, unbemerkt von den Feiernden, doch wieder angefangen zu schneien, liegt der Schnee sogar höher als vor ein paar Tagen, wo er die abenteuerliche Schlittenfahrt hinter sich gebracht hat.
Durch sein Haus Richtung Küche schlürfend (die Beine heben wäre dann doch schon wieder zu viel Anstrengung) kann Farin nichts dagegen tun, dass seine Gedanken sich einmal mehr auf Wanderschaft begeben, die letzten Tage und vor allen Dingen die letzte Nacht anaylisieren.
Wahnsinn. Was anderes kann es gar nicht sein.
Wahnsinn das er diesen Kalender und allen Befehlen folgt, Wahnsinn das er ohne zu murren alles mit sich machen lässt. Von Waldorfbastelein, über Kamikazefahrten bis hin so Spontanpartys. Wahnsinn, dass er wirklich bemerkt, regelrecht spürt wie die alte Freundschaft zu Bela wieder zu blühen anfängt, langsam Knospen trägt.
Und Wahnsinn, dass er selbst solche Dinge zu lässt, die weit über eben jene Freundschaft hinausgeht, in Gefilde vorstößt, die er eigentlich stets versucht hat vom Drummer fern zu halten.
So in seinen Gedanken vertieft, bemerkt Farin fast gar nicht das Türklingeln, erwacht erst aus seiner Trance, als Bela einen energischen Rhythmus anschlägt. Schwankend zwischen dem Wunsch den Älteren wieder zu sehen und der Panik, wie er auf ihn reagieren soll, entscheidet sich der Gitarrist für ein gemäßigtes Tempo.
Allem Anschein nach beinhalten Belas Pläne jedoch gar kein Treffen, ist, als Farin die Tür öffnet, vom Drummer doch weit und breit nichts mehr zu sehen. Farin bleibt nichts anderes als dies hin zu nehmen und zu hoffen, dass Bela weiß was er tut (und irgendwie auch das er weiß, was er Farin damit ANtut). Mit einer schnellen Bewegung schnappt sich der Größere deswegen auch das heutige Türchen von der Fußmatte, was, mal wieder, in einem Korb unter einem schützenden Tuch versteckt liegt.
Ein prüfender Blick später verrät ihm, das Bela es entweder irgendwie geschafft hat, ein Kamara in seinen Kopf einzubauen, die seine Gedanken aufnimmt oder er einfach nur eine verdammt gute Auffassungsgabe hat.
Unter dem Tuch verborgen, stehen in Reihe und Glied Directons in allen erdenklichen Farben des Regenbogens, sowie eine obligatorische Blondierung. Der Befehl der am Henkel des Korbes baumelt ist reine Formsache:
„Siebzehnter Befehl: Färb dir die Haare!“
Farin kann sich ein Grinsen nicht verkneifen und obwohl er es schon ein wenig Schade findet, das er Bela wohl heute nicht zu Gesicht bekommt (das noch bösere V- Wort verbietet er sich veehment), schlendert er vergnügt zu seinem Bad, das so viel Benutzung wohl nur noch von seiner letzten Freundin gewöhnt ist.
Wie in einem Reflex greift Farin nach der Blondierung und will auch schon die Packung aufreißen, als er mitten in der Bewegung und aus einem für ihn unerklärlichen Impuls inne hält.
Heißt es nicht immer, dass eine neue Frisur einem ein neues Lebensgefühl geben würde? Zumindestens das Selbstbewusstsein steigert. Gleich wenn Farin das natürlich selbstredend überhaupt nicht braucht, sein Ego irgendwo beim nichtvorhandenen Krohnleuter hängt. (Und das ohnehin absoluter Mädchenkram, also typisch Bela ist.)
Und so ist es einer der berühmten Kurzschlusshandlungen, welche auch zu Bandgründungen- und auflösungen führen, zu Albumtiteln und Urlaubszielen, die sich Farin wahllos eine Farbe greifen lässt.
*
Ein kleine Ewigkeit später mutet Farins Badezimmer wie der Schauplatz eines schlechten Horrorfilms, vorzüglich einer der B- Movies an, in denen dann und wann auch schon mal Bela mitspielt.
Rot auf dem Wasserhahn, Rot auf dem Spiegl, Rot auf dem Badewannenvorleger und (noch Jahre später wird sich Farin fragen wie er das geschafft hat) Rot an der Decke.
Auch wenn das Endergbniss sich wirklich sehen lassen kann.
Pumuckelrot prangt die neue Farbe auf seinem Haupt, leuchtet geradezu im Licht der Energiesparlampen. Sich selbst im Spiegel angrinsend, ignoriert Farin den Gedanken, dass er nun das ganz Bad putzen darf um seinen Ordnungstrieb Futter zu geben.
Und das die Farbe rot mit ganz bestimmten Gefühlen assoziert wird.