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Die Pianistin

von

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Er kauerte im Flur am Boden, den Blick fest vor sich auf die Türe gerichtet. Leise Töne drangen gedämpft an seine Ohren. Er war kein Kind mehr, aber auch noch kein Erwachsener. Doch Hass und Verbitterung glühten trotzdem in seinen Augen. Die Verletztheit dahinter sah keiner, außer ihr. Sie war dort hinter der Türe und spielte. Eine sanfte Melodie auf dem Klavier, wie aus einem fernen Traum. Er würde warten bis sein Vater fort war. Dann würde er aufstehen und zu ihr gehen. Endlich konnte er sie wieder sehen, sie spielen hören.

Sie spielt nur für mich.

Mit einem Krachen fiel die Haustür ins Schloss. Das konnte er deutlich hören. Sein Vater war jetzt aus dem Haus. Langsam erhob er sich vom Boden, dabei sah er noch immer die Türe an. Er konnte hören wie die Musik lauter wurde. Es war nicht mehr die sanfte Melodie von zuvor. Der sanfte Traum war zu einem leidenschaftlichen Tanz geworden. In seinem Kopf konnte er sich bereits ausmalen, wie ihre Finger über die Tasten tanzten.

Ich werde bald bei ihr sein.

Seine Hand ruhte jetzt auf der Türklinke. Noch einige Momente hörte er der wilden Melodie zu, dann öffnete er die Türe. Der Raum vor ihm war leer, bis auf ein altes Klavier. Es war staubig, aber die Saiten stimmten noch. Durch ein dreckiges Fenster fiel schummriges Licht und erhellte ihre Gestalt. Sie saß am Klavier und spielte. Als er hereinkam blickte sie auf, spielte dabei noch weiter und lächelte.

Sie lächelt nur für mich.

Er schloss die Türe hinter sich leise und bedächtig. Nicht wie sie lächelte er. Sein Ausdruck war immer noch ernst. Auf dem alten und verblichenen Teppichboden klangen seine Schritte gedämpft und wurden von der Musik übertönt. Ohne ein Wort setzte er sich neben sie und sie lächelte deswegen nur. Doch ihre Spielweise änderte sich jetzt wieder. Sie begann ein wahres Meisterstück zu spielen, dass man vor Ehrfurcht erstarrte.

Ich hielt den Atem an.

Sie spielte und spielte. Dabei lächelte sie, doch sagte sie kein Wort. Aber sie brauchte auch nichts sagen. Sie ließ einfach das Klavier für sich sprechen. Die Töne erzählten ihm großartige Geschichten, entführten ihn in fremde Welten. Fern ab von seinem Zuhause. Die Musik berichtete ihm von großen Heldentaten und furchtbaren Kämpfen.

Sie erzählt nur für mich.

Noch lange Zeit spielte sie weiter. Sie spielte lächelnd ihre Weisen für ihn. Doch er lächelte noch immer nicht. Stattdessen blickte er sie unverwandt an. Beobachtete begierig ihre Finger, wie sie leichtfüßig über die Tasten tanzten. Aber durch einen schrecklichen Lärm wurde ihr Spiel unterbrochen. Es war die Haustüre gewesen. Nun blickte sie ihn bang an, doch er winkte nur mit einer Hand ab und stand auf.

Ich will sie besitzen.

Er ließ den Raum hinter sich und schloss ab. Die Musik verstummte. Der Flur war grau und trostlos. Schritte erklangen, doch er blieb einfach im stillen Flur stehen. Sein Vater tauchte auf und schenkte ihm einen abwertenden Blick. „Was tust du hier?“ „Nichts.“ Der Vater murrte etwas und ging zu der Türe, doch er kam nicht in den Raum. „Warum ist da abgeschlossen?“

Sie bekommst du nicht mehr.

„Du hast wohl selber abgeschlossen, Vater.“ Daraufhin sah der Vater ihn nur misstrauisch an. „Wo ist Enya? Sie ist schon seit gestern verschwunden.“ „Ich weiß nicht, wo deine Freundin steckt, Vater.“ Wieder ein misstrauischer Blick. Aber er blieb ruhig. „Sonst ist sie doch immer am Klavier.“ „Hörst du irgendwelche Musik, Vater?“ Sein Vater schüttelte den Kopf. „Dann wird sie wohl nicht hier sein.“

Ich weiß, wo sie ist.

„Hast vielleicht Recht.“ Mit diesen Worten wandte sich der Vater ab. Er begann zu grinsen. Sein Erzeuger war so leicht zu täuschen, dass es schon fast schmerzhaft einfach war. Doch er störte sich nicht daran. Stattdessen zog er den Schlüssel hervor und schloss auf. Sie, Enya, lächelte ihm sofort entgegen. Doch ihre Finger tanzten nicht mehr über das Klavier.

Sie soll wieder spielen.

Er betrat den Raum und schloss hinter sich ab. Sein Vater sollte jetzt nicht stören können. Schweigend setzte er sich wieder zu ihr. „Spielst du nicht mehr?“ „Spiel doch du einmal etwas.“ Daraufhin nickte er nur und nun begann er zu spielen. Seine Melodie war zaghafter wie ihre, wie eine Pflanze, die noch im Keimen erstickte.

Ich will sie wieder spielen sehen.

Doch die Töne wandelten sich. Energischer erklang die Musik, immer schneller liefen dabei seine Finger über die Tasten. Der Staub wirbelte von ihnen auf und schwebte durch die Luft. Sie hörte ihm zu, doch jetzt lächelte sie nicht mehr. Mit glühender Begeisterung sah sie ihm zu.

Sie hielt den Atem an.

Aber plötzlich hörte er auf zu spielen. Verwundert blickte sie ihn an, doch sie fragte nichts. Auch er sagte nichts. Stattdessen schloss er seine Augen und saß einfach da. Als er wieder die Augen öffnete, saß sie nicht mehr neben ihm. Er erhob sich und blickte sich kurz um. Sie lag mitten im Raum auf den Boden. Den Blick leer an die Decke gerichtet.

Ich besitze sie.

Er schritt zu ihr und kniete sich neben ihr auf den Boden. Sie lag noch immer reglos da und starrte aus leeren Augen nach oben. Das Blutrinnsal an ihrem Mundwinkel war getrocknet und braun. Sie hatte ihm versprochen, immer für ihn da zu sein.

Sie hatte gelogen.

Für ihn war sie nicht da gewesen. Nur seinen Vater hatte sie im Kopf gehabt. Für ihn hatte sie keine Augen gehabt. Doch er hatte sie schon immer verehrt. Sie und ihr grandioses Spiel. Endlich war sie sein. Mit gierigem Blick musterte er ihren Körper. Er begehrte sie nicht körperlich. Er begehrte immer ihr reines und unschuldiges Wesen.

Ich werde sie für immer besitzen.

Doch das so unschuldige Bild wurde getrübt. Das Messer in ihrer Brust zerstörte den Anblick. Ein dunkler Blutfleck hatte sich um die Klinge herum ausgebreitet. Der heute nicht mehr rot, sondern braun war. Mit einem Ruck zog er ihr das Messer aus der Brust und legte es vorsichtig bei Seite. Jetzt war das Bild der Unschuld wieder mehr hergestellt.

Sie wird für immer bei mir sein.

Die roten Haare fielen wie ein Heiligen Schein um ihren Kopf. Sie sah wunderschön aus. Rein und unschuldig. Er würde sie niemals berühren, niemals diese Unschuld beflecken. Sein Vater würde sie auch nie wieder so beschmutzen können, wie er es oft getan hatte. Nie wieder würde er so in Wut versetzt werden, wie es gestern gewesen war.

Ich hatte sie weinend gefunden.

Sein Vater hatte seine Lust an ihr getilgt gehabt. Sie hatte danach geweint, sie war noch so jung gewesen. Er hatte sie als einziges getröstet. Sie war ihm dankbar gewesen und hatte wieder für ihn gespielt. Aber sie war so traurig gewesen. Sie hatte ihm so Leid getan.

Sie ist tot.

Verzweifelt schrie er auf. Diese Erkenntnis traf ihn jetzt mit voller Wucht. Er hatte sie umgebracht. Die Erinnerung hatte er verdrängt. Aber er hatte ihr nur den Schmerz nehmen wollen. Sie hatte so gelitten und er hatte sie so sehr geliebt. Er hatte sich doch nicht mit ansehen können, wie sie so litt. Sie sollte doch nur nicht mehr weinen müssen. Er hatte ihr nur Frieden geben wollen.

Ich habe sie umgebracht.



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Kommentare zu diesem Kapitel (3)

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Von:  -Moonshine-
2010-05-04T19:24:06+00:00 04.05.2010 21:24
Hm, interessant. Meine Vorgänger haben ja schon alles gesagt, was soll ich jetzt also bloß noch schreiben?
Versuchen wir es damit: Ich fand die Story sehr schön (na gut, "schön" ist vielleicht das falsche Wort, aber du weißt ja, was ich meine). Aber auch verwirrend.
Die Gefühle und Gedanken des Protagonisten sind irritierend, und irgendwie total... irre. XD Ich weiß nicht, wie ich das beschreiben soll, aber falls er psychisch "nicht ganz da ist", hast du das ziemlich gut rübergebracht. Er ist so besessen und irgendwie auch ratlos und verwirrt, das kam gut beim Leser an (oder: bei mir).
Den Schreibstil find ich im übrigen ganz passend. Dieses Stilmittel des "Abgehacktseins" (sag ich jetzt mal) passt ziemlich gut zu den Gedanken des Protagonisten und sowieso eignet sich sowas meistens für eine ernstere Story. ^^
So, hm. mehr weiß ich auch nicht. Hab mich gefreut, das lesen zu können! Das arme Mädchen.

LG
Eli

[KMS]
Von:  Monsterseifenblase
2010-03-31T17:51:21+00:00 31.03.2010 19:51
BUH:D

Monsterseifenblase betritt den Raum und schließt sich ihrer Vorgängerin an. Du hast was sowohl schönes als auch anspruchsvolles geschrieben, das mehr als nur ein bzw. jetzt zwei Kommis verdient hat, passiert aber auf mexxe ja leider öfter *seufz*
Was solls, ich bin auf mission das zu ändern :D

Erstmal, ich weiß es hört sich doof an das jetzt auch zu sagen, aber mir ist das 'wie ihre' auch direkt ins Gesicht gesprungen(: Das sind so stilistische eigenheiten, die ich einfach nicht mag PUNKT. In meiner Welt heißt es 'als' und ich nicht 'wie'. Ich krieg auch immer ne Gänsehaut, wenn jemand sagt: Ich bin größer wie du!
:D Also wenn du mir einen Gefallen tun willst, schreib bei Vergleichen ab jetzt immer 'als', ja? xD
Aber mir ist auch noch was aufgefallen:

Entweder habe ich irgendetwas nicht verstanden, oder du hast ein oder zwei mal einen Zeitfehler drin und zwar bei den kursivenstellen...weil die meiste Zeit schreibst du:

-Ich werde bald bei ihr sein.
-Sie lächelt nur für mich.

also im Präsens und dann in der Vergangenheit:

-Ich hielt den Atem an.

Müsste es im Kontext nicht heißen: Ich halte den Atem an?

Oder ich habe irgendwas nicht verstanden *am Kopf kratz* Erklärs mir :D

Fazit: Sehr schöne Geschichte, mir gefällt sie wirklich...bis auf das Wie- dingen :) Aber du bekommst damit einen Platz auf meiner Favoliste (:

Lg
Monsterseifenblase

[KmS]

Von: abgemeldet
2010-03-28T10:22:45+00:00 28.03.2010 12:22
Noch keine Kommentare? Komisch. :o

Also erstmal muss ich sagen, dass diese Geschichte nichts für Leute ist, die sich mal hinsetzen und was seichtes lesen wollen. Man hat schon teilweise Mühe, dem Geschehen zu folgen. Besonders am Schluss, als Enya plötzlich weg war und tot am Boden lag. Da hab ich mich schon gefühlt, als hätte ich einen BlackOut gehabt. ;) Aber das hat wunderbar dazugepasst, wenn man bedenkt, dass der Protagonist dann ja selbst nicht wirklich begriffen hat, was er getan hatte.

Mich hat im Übrigen auch das "Das Zimmer ist leer" (oder so ähnlich, hab's nicht mehr im Wortlaut im Kopf ^^") ziemlich irritiert. Und dann kam: "Nur das Klavier steht im Zimmer." Und dann sitzt plötzlich Enya dran. Da dachte ich dann, dass Enya bereits tot ist (denn das Klavier ist staubig!), aber dann wurde sie ja doch erst am Schluss umgebracht. Das fand ich schon etwas.. verwirrend. Hab ich da was übersehen?
(Aber genau sowas find ich bei FFs immer toll - wenn man auch ein bisschen überlegen muss, wie etwas gemeint ist ^^)

Was den Stil angeht: Sehr abgehackt. XD Nein, Spaß beiseite. ^^ Ich fand den Stil kein Stück abgehackt, auch wenn du sagtest, dass du es im Telegramm-Stil schreiben wolltest. Ich fand es aber dennoch stellenweise recht... lebendig, sag ich mal. Überhaupt nicht so abgehackt. Das waren ja eher die kursiven Anmerkungen zwischendrin. ("Anmerkungen" nenn ich das jetzt mal, weil ich mir nicht sicher bin, ob es der Text von "Klavier" ist. Ich hab das Lied grad nicht im Kopf ^^") Die haben aber auch super gepasst, genau in dem Stil.

Ansonsten ist mir stilistisch noch folgendes aufgefallen:
"Seine Melodie war zaghafter wie ihre (...)" (nun direkt kopiert ^^)
Ich muss schon sagen, ich habe laut "OOOOH!" gesagt, als ich das gelesen hab. Das war schon ein Schlag ins Gesicht, vor allem, nachdem der ganze Text vorher so harmonisch geschrieben war. (Ohne Grammatik-/Rechtschreib- und sogar Tippfehler! >.<) Aber das klingt leider einfach richtig umgangssprachlich. ._. Ich hätte anstatt "wie" dann doch eher "als" geschrieben. Dieses "wie" find ich immer irgendwie so... komisch klingend. :/ Vielleicht bin's nur ich, aber ich fand, dass es überhaupt nicht zum Rest des Texts gepasst hat.

Und ansonsten noch ein Tipp zur Formatierung:
"Blablabla." "Blablablablablabla."
Das kann sehr unübersichtlich werden, wenn die wörtlichen Reden so nebeneinander stehen. Ich hätte das eher so geschrieben:
"Blablabla."
"Blablablablablabla."
Eben mit dem Absatz, damit man es eher trennen kann.
Aber wie gesagt, das ist nur ein Tipp - wenn deine Formatierung so Absicht war und du gar sagst, dass du das immer so schreibst, dann änder es nicht. Ich will dir nämlich nicht in den Stil pfuschen. ^^"

Also wie gesagt, ich wunder mich, dass das noch niemand kommentiert hat, den Stil und Anspruch hat's schon. Ich vermute ich werd noch ne Weile rätseln, wann Enya starb, ob es sie überhaupt nicht, usw. usf. ^^"
(Und ja, es gibt wirklich nicht so richtig was, das man negativ hervorheben könnte XD")


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