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Shin no yuri

Todeslilie
von

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Dying deathless

Das erste, was ich bemerkte, als ich aufwachte, war, dass meine Fuss-und Handgelenke gefesselt waren und ich auf einem Stuhl sass. In mir stieg Panik auf, als der Blick meines Bruders wieder in meiner Erinnerung auf flackerte. Er hatte hilflos da gestanden, die Fäuste geballt und, ich war mir nicht ganz sicher, hatte er auch noch geweint?

„Na, gefällt dir deine Residenz?“ Mit einem lauten Lachen trat Yuudai ein. Sofort richtete sich meine Wut gegen ihn. Es war mir egal, dass er mich entführt hatte – naja, zumindest bis zu einem bestimmten Grad hin – aber dass er es vor den Augen meines Bruders getan hatte, für das hasste ich ihn.

„Verschwinde!“, schrie ich, „Lass mich allein!“

Er lachte wieder.

„Ziemlich dreist, wenn man bedenkt, in welcher Situation du dich befindest. Sieh dich an! Du bist an einen Stuhl gefesselt, kleine Hisa. Und selbst wärst du es nicht, dieses Zimmer befindet sich in einem Bannkreis. Hier kommst du nicht raus, wenn ich es nicht will!“ Er sah arrogant auf mich hinab. Und ich bemerkte, wie hilflos ich wirklich war.

„Hast du dich endlich ein bisschen beruhigt? Na dann, du hast meine Frage nicht beantwortet, wie gefällt es dir?“ Ich konnte genau hören, dass die Frage nicht freundlich gemeint war. Er tat das nur, dass mir noch viel mehr bewusst wurde, wie viel kleiner ich im Moment war als er.

Aber es wirkte. Ich sah mich zum ersten Mal richtig im Raum um. Naja, also eigentlich gab es nicht viel, nach dem man sich hätte umsehen können. Das Zimmer war kahl. Es hatte weisse Wände, einen weissen Boden, eine weisse Decke. Es gab weder Möbel, noch Bilder oder Fenster. Nur einen weissen Stuhl, auf dem ich sass und eine alte Glühbirne. Es erinnerte mich irgendwie an ein Verhörungszimmer der alten Filme, die manchmal noch spät abends im Fernsehen kommen. Wo die Leute gefoltert wurden und...

Ich sollte nicht solche Gedanken haben! Ich schauderte.

Eine Antwort gab ich ihm keine. Stattdessen sah ich verächtlich weg.

„Du antwortest nicht? Na gut, dann kannst du auch nur zuhören. Dir hat ja anscheinend noch niemand wirklich was erzählt. Wie anstrengend! Immer muss ich allen hinterher räumen!“ Er seufzte. Ich sagte nichts. Wartete. Vielleicht war es gar nicht so schlecht, wenn er mir endlich die Wahrheit über dieses ganze Chaos erzählen würde. Ich wollte es wissen, wirklich. Ich hatte es satt, immer nur so viel mit zu bekommen, wie es andere gerade für richtig hielten.

Klar, nach den Erklärungen von Sayuri – obwohl es ein Riesen-Schock gewesen war – hatte ich mir alles einigermassen erklären können. Aber ich hatte damals schon gewusst, dass das nicht alles gewesen sein konnte. Und ich hatte versucht, mich darauf ein zu stellen und mich zu gedulden. Irgendwann mussten mir die beiden schliesslich was erzählen. Aber ich hatte mich da wohl geirrt. Ich hörte mir das Ganze lieber von so einem hassenswerten Idioten wie Yuudai an als gar nicht. Ich war wohl doch nicht so geduldig, wie ich gedacht hatte...

„Sie haben dir über die weisse Lilie etwas erzählt, nicht? Dieser unverschämt kluge Landstreicher und die Lilie selbst. Sie haben dir sicher erzählt, dass alle Menschen sterben, für die sie starke Gefühle hat und sie berührt. Das ist war. Aber weisst du was? Das ist noch nicht mal alles. Sie haben dir etwas verschwiegen. Was heisst etwas?! Eigentlich haben sie dir alles ausser einigen kleinen Details verschwiegen.“ Ich wurde hellhörig. Mein Kopf zuckte ein kleines bisschen nach oben. Ich hörte ihm zu.

„Ganz so einfach ist es nämlich nicht. Denk mal nach, stirbt der Mensch einfach so? Nein, tut er nicht. Irgendetwas muss ihn umbringen. Und es ist tatsächlich so, dass die weisse Lilie den Körper angreift. Genauer, das Herz. Berührt die Lilie einen Menschen, für den sie viel fühlt, entfacht sie eine Flamme in dessen Herz, die es verbrennt. Es bleibt ein Häufchen Asche vom Herzen übrig. Das seltsame daran ist, dass das Feuer nicht weiter wütet. Es erlischt einfach, mit dem Herzen zusammen. Und zur gleichen Zeit wird der Körper von der Lilie lahm gelegt. Du kannst nichts mehr tun. Dich nicht bewegen, nicht sprechen, nicht schreien. Nur leiden. Leiden und auf den Tod warten.“

Jetzt sah ich auf. Ich sah ihm direkt in die Augen. Er lächelte arrogant auf mich hinab, keine Spur von Mitleid in seinen Augen. Er lächelte nur kalt.

„Wie ich sehe, schenkt mir die Madam endlich die Aufmerksamkeit, die mir gebührt. Willst du noch mehr hören? Über all das, was dir deine sogenannten Freunde nicht erzählten? Alles, was ich dir erzählen werde? Findest du sie nicht ein bisschen pathetisch? Deine 'Freunde'?“ Er lachte schon wieder.

Es schmerzte, als ich mir selbst eingestehen musste, dass er irgendwo recht hatte. Wie konnte ich Leute meine Freunde nennen, die mir nicht vertrauen konnten? Wie konnte ich ihnen vertrauen?

„Du fragst dich jetzt sicher, wie du das überleben konntest, nicht wahr? Ich werde es dir sagen.“

Er beugte sich zu mir hinab. Mein Atme ging schneller als er mir näher kam. „Geh weg!“, wollte ich schreien, doch ich konnte nicht. Ich war wie gelähmt. Ich wollte, dass er weg ging. Weg von mir, so weit weg wie möglich.

Sein Gesicht war jetzt neben meinem, seine Lippen an meinem Ohr. Ich spürte seinen Atem, als er mir zu flüsterte: „Das Geheimnis ist: Du hast es nicht überlebt!“

Für einen Moment wurde mir schlecht.

Was er da sagte, bedeutete, dass ich gestorben war. Das konnte nicht sein. Ich war nicht gestorben. Ich lebte.

Er sagte nichts weiter. Lachte nur leise und gehässig und verliess dann den Raum.

Die weisse Tür fiel leise ins Schloss als ich zu begriffen begann, wie gross das alles wirklich war.
 

Ich wartete bis er das nächste Mal auftauchte. Ich konnte nicht einmal annähernd einschätzen, wie lange das dauerte. Aber als er dann die Tür wieder öffnete, war ich auf eine seltsame Weise glücklich.

„Warum bin ich nicht tot?“ Das war im Moment das einzige, das ich wissen wollte. Ich hatte mich entschieden ihm zu glauben, für den Augenblick zumindest. Mir blieb nichts anderes übrig. Sonst würde ich hier durchdrehen.

Er lächelte mich an, arrogant, abschätzig.

„Weil du ein Phönix bist.“

Sofort flackerte das Bild eines roten Vogels mit flammenden Flügeln vor meinen Augen auf. Der Phönix. Der Feuervogel, der aus seiner eigenen Asche wieder aufersteht.

„Was … ist das?“

„Menschen. Eigentlich. Es sind Menschen, die Magie besitzen. Nicht annähernd so viel wie andere Kreaturen sie einst besassen, aber dennoch genug. Und das besondere an ihnen ist, dass sie nicht-“

„Sie sterben nicht, nicht wahr?“, unterbrach ich ihn. Es war klar, auf was er hinaus wollte. Dass ich ein Monster war. Etwas unmenschliches.

„Doch, sie sterben. Natürlich tun sie dass. Nichts natürliches stirbt nicht.“

Er sah mich mit so einem abschätzigen Blick an, dass es mich würgte, als ich fragte: „Aber, was...?“

„Phönixe sterben, aber sie können nicht tot sein. Ihrem Körper ist es unmöglich tot zu sein. Es geht nicht. Als Phönix stirbst du und dann, bevor du tot bist, lebst du wieder.“

Ich starrte ihn an. Was er da sagte, war … völlig irr.

„Du glaubst mir nicht. Gut. Ich kann es dir beweisen.“

Er grinste böse.

Dann schnellte seine Hand vor und bevor ich es überhaupt erfassen konnte, hatte er mir ein Messer in den Bauch gerammt.

„Vielleicht solltest du es in Erwägung ziehen, mir von jetzt an besser zu zu hören und mir mehr zu glauben, findest du nicht? Du musst wissen, nur weil wir Phönixe nicht sterben, heisst das noch lange nicht, dass wir keine Schmerzen empfinden.“

Er drehte das Messer mit einem Ruck. Ich spuckte Blut. Mein Kopf war leer. Ich konnte nichts denken, mich auf nichts konzentrieren. Da war nur Schmerz. Überall Schmerz. Alles war Schmerz.

Langsam zog er das Messer aus meinem Bauch.

„Es wird nicht mehr lange dauern, keine Angst. Und wenn du wieder richtig denken kannst, dann, wenn die Schmerzen verschwinden, überlege dir, ob du mir endlich richtig zuhören willst. Denkst du nicht, dass es für uns beide Vorteile hätte?“

Ich verstand nur schlecht, was er mir sagte, geschweige denn begriff ich, von was er sprach. Da war nur Schmerz. Und dieses unendliche Gefühl der Ewigkeit.



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