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Office Mein

Im Büro
von

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Der Unbekannte mit dem anzüglichen Blick

„Haan, Ma... Ji... Ich habe genug gegessen... Ji, ich schlafe auch genug... Nein, ich mache nicht zu viele Überstunden... Ji, darauf werde ich in Zukunft achten... Ma...... Ma......? Ma! Hör mir bitte nur einen Moment zu! Ich muss jetzt zur Arbeit. Ich werde dich morgen zurückrufen, ok? Thik hai. Bye!“

Seufzend legte Anjali den Hörer zurück aufs Telefon. Wie kam ihre Mutter nur darauf, sie so früh am Morgen und noch vor der Arbeit anzurufen? Ein kurzer Blick auf ihre Armbanduhr beantwortete ihr diese Frage allerdings sofort. In Indien war es bereits zwei Uhr am Nachmittag. Ihre Mutter schaffte es einfach nicht, sich zu merken, wie viele Stunden sie zurück rechnen musste, um auf die richtige Uhrzeit in London zu kommen.

Kopfschüttelnd trank sie den Rest ihres angefangenen Kaffees aus, stellte die schmutzige Tasse in die Spüle und machte sich anschließend auf den Weg zur Arbeit.
 

„Anju! Da bist du ja endlich! Geh dich schnell umziehen. Deine Schicht fängt gleich an!“, waren die ersten Worte, die Mili Anjali zurief, als sie die Eingangshalle des großen 5-Sterne-Hotels betrat, in dem beide arbeiteten. „Meine Schicht?“, entgegnete Anjali verwirrt. „Was meinst du damit? Ich...“ „Carol ist krank geworden. Du musst für sie an der Rezeption einspringen.“, erklärte Mili schnell und schob ihre Freundin eilig in Richtung des Angestelltenfahrstuhls. „Beeil dich mit dem Umziehen!“, rief sie ihr noch zu, bevor sich die Lifttüren schlossen.

„Das kann doch nicht wahr sein...“, murmelte Anjali missmutig, als sie den Knopf drückte, um in die zehnte Etage zu fahren, wo sich die Räume und Büros der Angestellten befanden.

Erst kurz bevor sie aussteigen musste, bemerkte sie, dass sie nicht allein war. In der hinteren, rechten Ecke stand ein – wie Anjali zugeben musste – gutaussehender Mann, den sie schon öfter hier im Hotel gesehen hatte. Bisher hatte sie immer angenommen, dass er nur Gast im Haus war, doch da er den Angestelltenaufzug benutzte, musste er wohl offensichtlich hier arbeiten.

Als Anjali sich beim Aussteigen noch einmal umdrehte, erschrak sie für einen Moment und ein kalter Schauer lief ihr über den Rücken. Der Mann starrte sie mit einem so durchdringenden Blick an, dass es schon unheimlich war. Dieser Augenblick dauerte allerdings nur einen Bruchteil einer Sekunde, sodass Anjali sich, nachdem sich die Aufzugtüren wieder geschlossen hatten, fragte, ob sie sich das gerade nur eingebildet hatte.

Kopfschüttelnd zuckte sie mit den Schultern und entschied sich dafür, dass sie sich wohl vertan haben musste – alles andere machte keinen Sinn. Damit war die Angelegenheit für sie erledigt und sie machte sich auf den Weg zu ihrem Büro, um sich umzuziehen, damit sie ihren Rezeptionsdienst antreten konnte.
 

„Was findest du denn nur so schlimm daran, an der Rezeption zu arbeiten?“, wollte Mili wissen, als ihr Anjalis Gemaule irgendwann zu viel wurde. Diese sah ihre Freundin daraufhin vorwurfsvoll an. „Du müsstest mich doch langsam gut genug kennen, um zu wissen, dass mir dieses falsche Lächeln, das man hier den ganzen Tag aufsetzen muss, einfach nicht liegt. Ich will nicht nett zu Leuten sein, nur weil ich es muss.“, erklärte sie und setzte einen mitleidigen Blick auf, während sie theatralisch seufzte.

Mili verdrehte die Augen. „Ja, du verkriechst dich lieber in deinem stickigen, kleinen Büro und bearbeitest Rechnungen. Das ist natürlich viel aufregender“, stellte sie – gepfeffert mit einer ordentlichen Portion Sarkasmus – fest. „Das hab ich nie behauptet.“, entgegnete Anjali und musste sich ein Gähnen unterdrückten. „Mein Job ist alles andere als aufregend, aber da muss ich wenigstens nicht so tun, als ob mir den ganzen Tag die Sonne aus dem Hintern scheint. Außerdem...“ Sie unterbrach sich, als sie bemerkte, dass eine kleine Gruppe gut gekleideter Männer durch den Haupteingang kam und auf die Rezeption zu steuerte.

Mili begrüßte die Herren mit einem freundlichen Lächeln und kümmerte sich sofort um ihre Zimmerreservierungen. Anjali beobachtete sie dabei und beneidete sie um die höfliche Leichtigkeit, mit der sie mit den Gästen umgehen konnte. Ihr selbst lag das einfach nicht. Wenn ihr etwas nicht passte, dann sagte sie das meistens auch – dieses Verhalten stieß jedoch nicht überall auf Wohlwollen und Verständnis. Zudem schien ihre Antihaltung auch nach außen hin sichtbar zu sein, denn wenn neue Gäste die Eingangshalle betraten, gingen die meisten automatisch an den Teil der Rezeption, an dem Mili saß.

Lautlos seufzend wendete Anjali ihren Blick von ihrer Freundin ab und lenkte ihn in Richtung der deckenhohen Fenster, die die Eingangshalle säumten, um das rege Treiben auf dem Gehweg und der Straße vor dem Hotel zu beobachten.
 

Der restliche Tag verlief wie jeder andere auch. In der Mittagspause gingen Anjali und Mili zum Chinesen um die Ecke und setzten sich anschließend für ein paar Minuten in den nahegelegenen Park, um die angenehme Frühlingssonne zu genießen.
 

Als der Feierabend schließlich immer näher rückte, wurde Anjali auch wieder etwas besser gelaunt. Die Aussicht darauf, morgen wieder ihren normalen Job auszuüben, erschien ihr wie eine Erlösung. Sie dankte Gott dafür, dass Carol nur eine leichte Erkältung hatte und somit wieder auf Arbeit kommen konnte.

Ein kurzer Blick auf ihre Armbanduhr verriet Anjali, dass sie nur noch eine halbe Stunde durchhalten musste und sie es dann geschafft hatte. Als sie jedoch wieder aufsah, fiel ihr Blick auf den Mann, der ihr heute Morgen Schauer über den Rücken gejagt hatte. Er schien gerade aus dem Fahrstuhl gestiegen zu sein und war nun auf dem Weg zum Ausgang. Sein Blick haftete jedoch erneut auf eindringlichste Weise auf Anjali. Als sie das bemerkte, schreckte sie kurz zurück und realisierte, dass sie sich das Ganze heute Morgen wohl doch nicht nur eingebildet hatte.

„Oy, Mili!“, flüsterte Anjali und stieß ihre Freundin, die gerade dabei war, ein paar Onlinereservierungen zu verbuchen, mit dem Ellenbogen an. „Hast du eine Ahnung, wer dieser Kerl ist, der da gerade zur Tür geht?“ Widerwillig hob Mili den Kopf und schaute in die Richtung, in die Anjali mit dem Finger zeigte. Als sie den Mann – der gerade seinen Blick von Anjali abgewendet hatte – entdeckte, hob sie die Augenbrauen und sah ihre Freundin etwas verwirrt an. „Aber natürlich weiß ich, wer das ist.“, meinte sie. „Er...“ In diesem Moment klingelte jedoch Anjalis Telefon und sie musste rangehen.

Der Anrufer entpuppte sich als ein ziemlich schwieriger Fall, da er der Ansicht war, dass ihm die Getränke in der Minibar seines Zimmers kostenlos zur Verfügung stehen müssten. Ehe Anjali und Mili ihn schließlich mit vereinten Überredungskünsten vom Gegenteil überzeugen konnten, war es bereits Feierabend und Anjali hatte ihr vorheriges Gesprächsthema schon wieder vergessen.

Überraschung!

Am nächsten Morgen ging Anjali früher als gewöhnlich zur Arbeit. Sie musste schließlich nun noch alles erledigen, was gestern durch ihren unerwarteten Rezeptionsdienst liegen geblieben und neu hinzu gekommen war.

Am späten Vormittag war sie schließlich so weit fertig, dass sie den Postausgang bearbeitet hatte und ihn zur Poststelle im Haus bringen konnte. Da sich diese im zweiten Stock befand, wollte sie den Aufzug benutzen, musste aber feststellen, dass drei der vier Fahrstühle des Hotels wegen Wartungsarbeiten außer Betrieb waren.

Als sich die Türen des einzigen noch funktionierenden Lifts mit einem leisen `Ding´ öffneten, stellte Anjali erschrocken fest, dass der Aufzug bereits proppenvoll war. Nichtsdestotrotz drängte sie sich mit dem Rücken voran mit hinein, da ihr das Paket, das sie auf dem Arm hatte zu schwer war, als dass sie auf den nächsten Aufzug hätte warten können.

Der Fahrstuhl hatte sich gerade wieder in Bewegung gesetzt, als Anjali plötzlich eine Hand an ihrem Po spürte. Zuerst dachte sie, dass es ein Versehen in dieser bedrückenden Enge war, doch als die Hand begann, sie zu streicheln, starb diese Möglichkeit auf der Stelle. Für einen Moment war Anjali so schockiert über diese Dreistigkeit, dass sie nicht wusste, wie sie reagieren sollte. Gerade als sie sich aber entschloss, sich umzudrehen und dem Grabscher gehörig die Meinung zu sagen, hielt der Fahrstuhl und ein paar der Leute stiegen aus. Dabei schob sich auch ihr Hintermann – etwas zu nah für ihre Begriffe – an ihr vorbei. Sie brauchte nicht einmal eine Sekunde, um zu erkennen, dass es wieder dieser Kerl war, der anscheinend vorhatte, aus seinen anzüglichen Blicken sexuelle Belästigung zu machen.

Bevor sie jedoch noch etwas sagen konnte, hatten die Fahrstuhltüren sich auch schon wieder geschlossen.
 

Nachdem sie die Post erledigt hatte, saß Anjali noch bis zur Mittagspause in ihrem Büro und dachte über diesen Kerl nach, der ihr immer mehr auf die Nerven ging. Was dachte er, wer er war, dass er sie einfach so unverfroren betatschte? Je länger sie darüber nachdachte, desto wütender wurde sie. Als sie schließlich Mili zur Mittagspause an der Rezeption abholte, war sie auf 180.

„Kannst du dir vorstellen, was mir vorhin im Fahrstuhl passiert ist?“, begann sie aufgebracht, woraufhin ihre Freundin sie nur fragend anschaute. „Ich wollte gerade die Post wegbringen, als...“, erzählte sie, wurde jedoch unterbrochen, als sie spürte, wie sich jemand von hinten über sie beugte. „Hinterlegen Sie das bitte in Zimmer 509 für mich.“, meinte eine angenehm tiefe männliche Stimme, die Anjali dazu veranlasste, sich umzudrehen.

Ihre Gesichtszüge entglitten ihr vor Fassungslosigkeit, als sie feststellen musste, dass es sich erneut um den Grabscher handelte. Er bemerkte ihren Blick und erwiderte ihn mit einem koketten Lächeln, bevor er sich wieder Mili zuwandte und ihr einen A4-großen Briefumschlag in die Hand gab. Den Abstand zwischen ihm und Anjali vergrößerte er allerdings nicht. Sie konnte seinen muskulösen Oberkörper nur allzu deutlich an ihrem Rücken spüren.

„Können Sie mir mal bitte verraten, was das soll?!“, brauste sie auf und entschlüpfte seiner Nähe. „Was sollen diese ganzen merkwürdigen Blicke? Und warum zur Hölle haben Sie mir vorhin im Fahrstuhl an den Hintern gefasst?!“, fuhr sie ihn an und erntete damit irritierte Blicke von ihm, Mili und allen anderen Anwesenden in der Empfangshalle. „Nur weil sie einigermaßen gutaussehend sind, denken Sie wohl, dass sie einfach jede Frau nach Belieben abschleppen können?! Aber nicht mit mir! Was denken Sie eigentlich wer Sie sind?!“

Ihre Stimme war während des Redens immer lauter geworden und so hatte sie mehr Aufmerksamkeit auf sich gezogen, als sie vorgehabt hatte, doch nun war es zu spät und sie fühlte sich besser, da sie sich ihren Frust endlich von der Seele geredet hatte.

Es herrschte für einen Moment völlige Stille, nachdem sie ihr Donnerwetter beendet hatte. Erst nach ein paar Augenblicken löste sich Mili aus ihrem Erstaunen und flüsterte Anjali zu. „Anjali... Das ist Rahul Khanna. Unser Hotelmanager...“

Ein unmoralisches Angebot?

Anjali saß am Schreibtisch in ihrem Büro und starrte auf die halbvolle Kaffeetasse, um die sie ihre Hände gelegt hatte. Ihr Kopf fühlte sich komplett leer an.

Nachdem Mili ihr eröffnet hatte, wen sie da gerade in aller Öffentlichkeit zusammengestaucht hatte, hatte sich ihr ganzer Körper verkrampft, bevor sie rot angelaufen und mit einem leisen „Verzeihung“ geflüchtet war. Seitdem waren fast drei Stunden vergangen, in denen sie sich in ihrem Büro eingeschlossen hatte.

Ihr größtes Problem im Moment war, dass sie nicht glauben konnte, dass sie bereits seit drei Jahren im Hotel arbeitete und trotzdem keine Ahnung gehabt hatte, wie ihr oberster Chef aussah. Wie konnte ihr das entgangen sein? Das war doch eigentlich überhaupt nicht möglich...

Kopfschüttelnd setzte sie die Kaffeetasse an ihre Lippen und stellte in diesem Moment fest, dass ihr Kaffee bereits kalt geworden war. Etwas angewidert stand sie auf und verließ nach kurzem Zögern ihr Büro, um in die Teeküche zu gehen und ihre Tasse auszuschütten und abzuspülen.

Kurz bevor sie damit fertig war, spürte sie plötzlich, wie sich jemand direkt hinter sie stellte und seine Arme links und rechts von ihr auf der Armatur abstützte. Zuerst war sie überrascht und wollte sich umdrehen, doch dann stieg ihr ein Geruch – eine Mischung aus Aftershave und leichtem Zigarettenrauch – in die Nase und sie wusste sofort, wer dieser aufdringliche Mensch war. Ihr Körper versteifte sich auf der Stelle wieder und sie wartete mit klopfendem Herzen darauf, was als nächstes geschah.

Sie spürte, wie er seinen Oberkörper näher an ihren Rücken drängte und wie sein heißer Atem ihr Ohr kitzelte, als er sagte: „Ich erwarte Sie in einer halben Stunde in meinem Büro...“ Er ließ seine Worte und seine Nähe noch ein paar Augenblicke wirken, bevor er Anjali wieder allein ließ.

Als sie die Tür ins Schloss fallen hörte, schloss sie die Augen und atmete mehrere Male tief durch. Das durfte doch wirklich alles nicht wahr sein. Sie wusste ganz genau, warum er sie in sein Büro bestellte. Kein Vorgesetzter würde es sich gefallen lassen, sich von seinen Angestellten so herunterputzen zu lassen, wie sie es mit ihm getan hatte. Auch wenn sie noch immer der Meinung war, dass sie vollkommen im Recht war. Was war er denn schließlich für ein Chef, der die Enge eines vollen Fahrstuhles ausnutzte, um seine Mitarbeiterinnen zu begrabschen? Ihm schien seine hohe Position jeglichen moralischen Anstand vergessen lassen zu haben.

Während sie zurück zu ihrem Büro ging, ging sie in Gedanken schon einmal alle Hotels und Firmen durch, bei denen sie sich dann ab morgen wohl bewerben konnte. Außerdem überlegte sie, wie sie ihren Eltern beibringen sollte, dass sie gefeuert wurden war. Ihre Mutter würde sich wie immer schrecklich aufregen. Und dieses Mal hatte sie ausnahmsweise auch allen Grund dazu.
 

Bevor Anjali sich auf den Weg zu Rahul Khannas Büro machte, musste sie erst einmal nachschauen, wo es sich überhaupt befand. Erneut musste sie kopfschüttelnd feststellen, wie ignorant sie in den letzten drei Jahren gewesen war. Wie konnte ihr das nur die ganze Zeit entgangen sein? Es war ihr schon richtiggehend peinlich, wie wenig sie sich für ihre Vorgesetzten interessierte. Sie musste aber zu ihrer Verteidigung sagen, dass das bisher auch nie nötig gewesen wäre.

Als sie ein wenig später vor der schweren Eichentür zu Khannas Büro stand, atmete sie einmal ganz tief durch und überwand sich nach beinahe fünf Minuten schließlich zum Klopfen.

Ein durch die Tür gedämpftes „Herein.“ forderte Anjali zum Eintreten auf. Als sie das Büro betrat, wurde sie als erstes von dessen Größe erschlagen. Es war etwa viermal so groß wie ihr eigenes und war umrandet von deckenhohen Fenstern. Links neben der Tür befand sich eine geräumige Sitzecke, während Rahul Khannas riesiger Schreibtisch ihr genau gegenüber stand.

Als Rahul Anjali sah, umspielte zuerst ein Lächeln seine Lippen, bevor er das Telefongespräch, das er gerade führte, mit den Worten „Lassen Sie uns diese Diskussion auf morgen verschieben.“ beendete. Dann wandte er sich wieder Anjali zu. Lächelnd bat er sie herein und bot ihr den Stuhl direkt vor seinem Schreibtisch an. „Nehmen Sie Platz.“, forderte er sie auf. „Wollen Sie vielleicht etwas trinken? Kaffee?“ „Nein, danke...“, entgegnete Anjali und musterte ihn argwöhnisch, da sie sich fragte, was dieses freundliche Getue sollte. „Ach, richtig, Sie hatten ja gerade eben erst welchen...“, bemerkte er daraufhin mit einem Lächeln und der Anspielung auf ihr kleines Treffen in der Teeküche gerade eben, was sie nur noch geladener machte.

„Hören Sie, ich denke, Smalltalk ist bei solch einer Angelegenheit nicht nötig.“, entfuhr es ihr, da sie immer geladener wurde und ihre Kündigung so schnell wie möglich hinter sich bringen wollte. „Tatsächlich?“, fragte er daraufhin mit hoch gezogenen Augenbrauen nach. „Ja! Also sagen Sie mir schon, was Sie zu sagen haben und dann gehe ich meine Sachen packen.“, meinte sie und spürte dabei, wie seine gespielte Ahnungslosigkeit sie immer aggressiver machte. „... Sachen packen? ... Was denkst du, warum du hier bist, Anjali?“, wollte er wissen und lehnte sich in seinem drehbaren Schreibtischstuhl zurück. „Ich kann mich nicht erinnern, Ihnen das `Du´ angeboten zu haben.“, fuhr sie ihm dazwischen, da sie wusste, dass nun sowieso alles verloren war und sie es sich nicht bieten lassen wollte, ohne jeglichen Respekt angesprochen zu werden. „Also gut, Miss...“, begann er, unterbrach sich aber, um einen kurzen Blick in seine Unterlagen zu werfen. „... Sharma. Was denken Sie, warum sie hier sind?“ Sein Verhalten brachte sie immer mehr zur Weißglut. Was bildete dieser Kerl sich ein, dass er nicht einmal ihren Nachnamen wusste? „Ich bitte Sie! Sie haben mich doch nur hierher bestellt, um mir meine Kündigung mitzuteilen. Was soll dieses ganze Um-den-heißen-Brei-herum-Gerede? Ich meine...“ „Ich habe nicht vor, Sie zu feuern.“ „... es ist vollkommen… Was?!“

Anjali unterbrach sich in ihrer aufbrausenden Rede und starrte völlig verwirrt in die Richtung ihres Chefs. „Sie haben mich richtig verstanden. Ich werde Sie nicht entlassen. Wieso sollte ich?“, erwiderte er gelassen und musterte sie mit einem amüsierten Lächeln. „Aber ich habe...“, begann sie verblüfft und war sich nicht sicher, ob sie sich nicht möglicherweise verhört hatte.

„Ja, Sie haben mir Paroli geboten. Das gefällt mir und deswegen habe ich beschlossen, Sie zu meiner Sekretärin zu machen.“, meinte Rahul mit dem geübten Ton eines Geschäftsmannes und stand auf, um um seinen Schreibtisch herumzulaufen und sich vor Anjali aufzubauen.

„Also was sagen Sie, Miss Sharma?“, hakte er nach und streckte seine Hand aus. Anjali starrte ihn noch immer an. Hatte er ihr gerade tatsächlich die Stelle seiner Sekretärin angeboten? Das machte doch überhaupt keinen Sinn. „Mister Khanna, ich denke nicht, dass Späße in so einer Situation angebracht...“, begann sie mit belegter Stimme, doch Rahul unterbrach sie. „Das ist kein Spaß, sondern mein voller Ernst.“, entgegnete er. „Aber ich kann verstehen, dass ich Sie damit gerade ein wenig überrollt habe. Sie können gerne noch eine Nacht darüber schlafen und mir morgen Bescheid geben.“

In diesem Moment klingelte auch schon sein Telefon. Mit einem freundlichen Nicken signalisierte er ihr, dass ihr Gespräch damit beendet war und sie sein Büro nun verlassen konnte. Vollkommen verwirrt drehte Anjali sich daraufhin um und verließ wie in Trance das riesige Büro.

Bedenken und (Um)Entscheidung

„Er hat was?!“, rief Mili ungläubig aus, als Anjali ihr von ihrem unerwarteten Stellenangebot berichtete. Die beiden waren nach Feierabend noch auf einen kleinen Absacker in ein kleines Café in der Nähe von Milis Wohnung gegangen.

„Ja, ich kann es auch nicht glauben...“, erwiderte Anjali und starrte gedankenverloren in das Glas Gin-Tonic, das vor ihr auf dem Tisch stand. „Ich meine, das kann doch nur ein dummer Scherz sein. Und morgen lässt mich dieser Kerl dann schön auflaufen.“

Mili lehnte sich in ihrem Stuhl zurück und fragte nach kurzem Überlegen: „Und wenn er das wirklich ernst meint? Würdest du die Stelle annehmen?“ Anjali wackelte daraufhin leicht mit dem Kopf. „Ich habe keine Ahnung. Das höhere Gehalt ist schon sehr verlockend, da ich dann noch mehr Geld meinen Eltern schicken kann, aber... wenn ich nur an diesen Kerl denke, dreht sich mir der Magen um. Sowas selbstgefälliges ist mir bisher wirklich noch nie untergekommen...“ Sie spürte, wie erneut Ärger in ihr aufstieg, wenn sie nur daran dachte, wie er sie mit diesem amüsiert-überlegenem Lächeln angesehen hatte.

Mili beobachtete ihre Freundin und entschied sich dafür, ihr von den hartnäckigen Gerüchten zu erzählen sollte, die seit langer Zeit über ihren Chef kursierten. „Ich will dir jetzt wirklich keine Angst machen, Anju, aber ich finde du solltest wissen, dass der gute Rahul Khanna als absoluter Ladykiller verschrien ist.“, begann sie und bemerkte sofort, wie Anjalis Augen vor Neugierde größer wurden. „Alle seine Sekretärinnen bisher waren hübsche, junge Frauen, die er so lange bezirzt hat, bis sie schwach geworden sind und sich auf ihn eingelassen haben. Und wenn sie ihm langweilig geworden sind, hat er sie einfach wie eine heiße Kartoffel fallen lassen. Von daher war die Sekretärinnenstelle nie länger als ein halbes Jahr mit der gleichen Person besetzt gewesen...“

Als Mili fertig mit ihren Ausführungen war, stand Anjali die pure Abscheu ins Gesicht geschrieben. „Wieso überrascht mich das nicht...?“, meinte sie mit abwertendem Blick und Tonfall. „Ja, nach dem, was du mir alles von unserm Herrn Hotelmanager erzählt hast, scheint das alles nicht gerade wie aus der Luft gegriffen...“, stimmte Mili nachdenklich zu.

„Und, was hast du nun vor? Nimmst du die Stelle an oder nicht?“, stellte Mili nach einer kurzen Pause ihre Frage noch einmal. „Ich weiß es nicht. Es spricht so viel dagegen... Ich werde eine Nacht darüber schlafen und mich morgen früh aus dem Bauch heraus entscheiden. Das wird wohl das Beste sein...“, antwortete Anjali und trank den letzten Schluck ihres Gin-Tonics aus.
 

Rahul sah Anjali fest in die Augen. „Und Sie sind sich wirklich ganz sicher?!“, hakte er nach ohne seinen Blick von ihr abzuwenden. Sie hielt seinen bohrenden Augen stand und nickte. Ihr winziges Zögern dabei entging ihm allerdings nicht. Und so verschränkte er die Arme vor der Brust, setzte sich auf die Kante seines Schreibtisches und musterte die vor ihm stehende junge Frau ausgiebig. Sie faszinierte ihn, ihr Körper faszinierte ihn und so wollte er auch nicht einsehen, dass sie die Stelle als seine Sekretärin ausschlug.

„Würden Sie mir freundlicherweise die Gründe für Ihre Entscheidung mitteilen, Miss Sharma?“, meinte er schließlich und ließ seinen Blick von ihrem Körper zurück zu ihrem Gesicht wandern.

Anjali fühlte sich unwohl in Rahuls Gegenwart und wollte eigentlich nur noch weg und raus aus seinem Büro, doch das ließ sie sich nicht anmerken. Stattdessen antwortete sie ganz sachlich: „Ich bin mit meinem jetzigen Job sehr zufrieden, von daher ist es...“ „Haben Sie denn gar keine Aufstiegsambitionen, Miss Sharma?“, unterbrach Rahul sie und betonte seinen Satz auf eine solche Weise, dass er eindeutig zweideutig klang. „Sie sind momentan meine einzige Angestellte, die die Anforderungen, die ich an meine Sekretärin stelle, erfüllt. Es wäre eine außerordentliche Verschwendung, wenn Sie diese Chance nicht nutzen würden.“

Dass dies eine einmalige Chance war, war Anjali vollkommen bewusst. Sie hatte die halbe Nacht wach gelegen und das Für und Wider des Stellenangebotes abgewogen. Rein logisch sprach beinahe alles dafür, doch ihre Antipathie für ihren Chef überwog einfach alles andere.

„Bedenken Sie, dass diese Arbeit viel abwechslungsreicher ist als das, was Sie im Moment machen. Und das höhere Gehalt muss ich sicher nicht zusätzlich erwähnen...“, meinte Rahul und riss Anjali damit aus ihren Gedanken. Irritiert schaute sie ihn an und wunderte sich über seine Beharrlichkeit. Er schien beinahe schon verzweifelt zu versuchen, sie als seine Sekretärin zu gewinnen. Dies fand sie wiederrum so amüsant, dass sie begann, an ihrer Entscheidung zu zweifeln. Der Job reizte sie und an sich war sie auch zuversichtlich, dass sie es schaffen würde, sich ihren frivolen Chef vom Leib zu halten...

Nach kurzer Bedenkzeit meinte sie schließlich: „Also gut, ich habe meine Meinung geändert. Ich werde die Stelle annehmen.“ Rahuls Gesicht erhellte sich bei ihren Worten. „Das freut mich außerordentlich, Miss Sharma.“, meinte er und kam auf sie zu. Daraufhin wich sie einen Schritt zurück, was ihn schmunzeln ließ. „Sie werden gleich nächsten Montag anfangen. Bis dahin räumen Sie bitte ihr Büro und richten sich in meinem Vorzimmer ein.“, wies er an und ging um seinen Schreibtisch herum, um den neuen Arbeitsvertrag aus einer Schublade zu holen und ihr mit den Worten „Diesen Vertrag werden Sie sich durchlesen und mir morgen unterschrieben wieder zurückgeben.“ zu übergeben. Anjali erklärte sich einverstanden und verließ dann nach einer kurzen Verabschiedung das Büro.

Nachdem sie die Tür hinter sich geschlossen hatte, realisierte sie, was sie gerade getan hatte. Ihr Herz pochte ihr mit einem Mal bis zum Hals und sie konnte sich glauben, welche Dummheit sie gerade begangen hatte. Was dachte sie denn, wie das funktionieren sollte? Sie konnte ihrem Chef schließlich nicht dumm kommen oder ihm Ohrfeigen verpassen, wenn er sie wieder belästigte. Dann wäre sie die Stelle schneller wieder los als sie sie bekommen hatte. Aber vielleicht würde er sie ja auch überhaupt nicht belästigen. Dieser Mann war schließlich Profi...

Anjali schüttelte schwach lächelnd den Kopf. Das war lächerlich. Natürlich würde er sich weiter um sie bemühen – jetzt erst recht. Was hatte sie sich da jetzt nur eingebrockt?

Umzug

„Und du hast dir das wirklich ganz genau überlegt?!“, wollte Mili zum wiederholten Male wissen, während sie Anjali am nächsten Tag in ihrer Mittagspause half, ihre Sachen an ihren neuen Arbeitsplatz zu verfrachten. Anjali fuhr sich daraufhin frustriert mit den Händen durchs Haar und meinte: „Nein, hab ich nicht... Ich habe keine Ahnung, was da in mich gefahren ist. Ich meine, ich hatte doch eigentlich schon angelehnt. Aber dann...“ „Dann was?“, hakte Mili verschmitzt lächelnd nach. „Hast du dich doch ganz plötzlich in ihn verliebt?“ „Spinnst du?!“, entfuhr es Anjali ein wenig zu laut, woraufhin sie sich verlegen räusperte. „Nie im Leben. Es war einfach die Tatsache, dass dieser Job einfach zu verlockend war... Und irgendwie werde ich mit diesem Kerl schon fertig werden...“ Ihr letzter Satz klang alles andere als überzeugend, doch Mili gab sich damit zufrieden und bohrte nicht weiter nach, um ihre Freundin nicht noch mehr zu verunsichern.

„Hast du ihm den Vertrag schon zurückgegeben?“, fragte sie schließlich, um das Thema in eine etwas andere Richtung zu lenken. „Nein. Soweit ich das mitbekommen habe, war er heute noch gar nicht im Büro.“, antwortete Anjali und machte sich daran, ihre Sachen, die sie in einem Karton aus ihrem alten Büro mitgenommen hatte, in ihrem neuen Schreibtisch unterzubringen. „Stimmt, das kann gut möglich sein. Wie ich das unten an der Rezeption immer so mitbekomme, scheint er oft außer Haus unterwegs zu sein. Wenn du Glück hast, wirst du ihn also gar nicht so oft zu Gesicht bekommen.“, bemerkte Mili und zwinkerte Anjali aufmunternd zu. Diese grinste daraufhin und hoffte inständig, dass ihre Freundin Recht behalten würde.
 

Es war kurz vor ihrem Feierabend als Anjali in ihrem alten Büro ihre letzten Sachen zusammensuchte und es plötzlich an der Tür klopfte. In der Annahme, dass es sich um Mili handelte, rief sie nur leger „Ja, komm rein.“ und fuhr fort damit, verschiedene Ordner aus ihren Schränken umzulagern. Momentan sah sie sich jedoch vor dem Problem, dass sie selbst auf Zehenspitzen an die oberste Regalreihe nicht heran reichte. „Kannst du mir mal helfen? Ich komme nicht an diese verdammten Ordner ran.“, meinte sie ohne sich umzudrehen, als sie hörte, wie die vermeintliche Mili das Zimmer betrat und auf sie zukam.

Erst als sie spürte, dass sich ein männlicher Oberkörper an ihren Rücken schmiegte und sie erneut den Geruch von Zigarettenrauch und Aftershave wahrnahm, dämmerte es ihr, dass es nicht Mili war, die ihr Büro betreten hatte.

„Duzen wir uns jetzt also doch?“, flüsterte Rahuls amüsierte Stimme in ihr Ohr, was Anjali erschrocken herumfahren ließ. Er sah sich dadurch allerdings nicht veranlasst, sich von der Stelle zu bewegen, was dazu führte, dass Anjali nun zwischen ihm und dem Regal hinter ihr eingekesselt war. „Es tut mir leid. Ich habe Sie verwechselt. Ich würde nie...“, begann sie stotternd sich zu verteidigen, doch Rahul winkte mit einem belustigten Lächeln ab. „Machen Sie sich darüber keine Gedanken, Miss Sharma.“ Er reichte ihr daraufhin die beiden Ordner, an die sie nicht herangekommen war und meinte dann: „Aber eigentlich bin ich wegen ihrem Arbeitsvertrag hier. Haben Sie ihn dabei?“ „Ah... ja. Aber oben auf dem Schreibtisch in ihrem Vorzimmer. Also...“, antwortete sie und wollte sich schon auf den Weg machen, ihn zu holen, doch Rahul griff nach ihrem Handgelenk und hielt sie fest. Irritiert schaute sie ihn an. „Ich werde ihn mir nehmen, wenn ich in mein Büro gehe.“, meinte er ohne sie loszulassen. „ Und wenn Sie dann mit Ihrem Umzug fertig sind, können Sie Feierabend machen. Wir sehen uns dann am Montag. Ein erholsames Wochenende wünsche ich Ihnen.“ Mit diesen Worten ließ er sie los, lächelte ihr höflich zu und verließ das Zimmer.

Anjali starrte ihm hinterher und fühlte sich mit einem Mal völlig durcheinander. Dieser Kerl konnte also anscheinend doch noch etwas anderes sein als ein schleimiger Aufreißer. Oder war das auch nur ein Teil seiner Masche gewesen? Diese Frage konnte sie sich nicht beantworten.

Der kritische erste Tag und die Zeit danach

Der von Anjali herbei gebangte erste Arbeitstag als Rahuls Sekretärin verlief für sie überraschend angenehm. Rahul nahm sich genügend Zeit, um sie in ihre Aufgaben einzuführen und ihr das Wichtigste zu erklären. Bei Fragen konnte sie sich ohne Probleme an ihn wenden. Dank ihrer schnellen Auffassungsgabe hielten diese sich allerdings in einem sehr überschaubaren Rahmen.
 

„Also ganz ehrlich, das klingt doch stark nach gespaltener Persönlichkeit...“, stellte Mili fest, nachdem Anjali ihr von Rahuls plötzlich so nettem Verhalten erzählt hatte. Die beiden verbrachten ihre Mittagspause zusammen in Anjalis neuem Büro und werteten dabei Anjalis bisherigen Arbeitstag aus.

„Ich meine, erst betatscht er dich und jetzt macht er einen auf hilfsbereiten und zuvorkommenden Chef? Das passt doch vorne und hinten nicht zusammen...“, entrüstete sich Mili und nahm anschließend einen großen Bissen von ihrem Thunfischsandwich. „Das kannst du laut sagen.“, stimmte Anjali ihrer Freundin zu. „Ich bin davon überzeugt, dass das nur ein Teil seiner Masche ist. Es ist unmöglich, dass ein Mensch von einem Moment auf den anderen so eine 180°-Wende hinlegt.“ „Und was hast du jetzt vor?“ „Ich werde ganz ordnungsgemäß meine Arbeit machen und auf höflichem Abstand zu Khanna bleiben. Dann dürfte doch eigentlich gar nichts schief gehen.“, meinte Anjali und hätte auch fest an ihre Worte geglaubt, wenn in diesem Moment nicht plötzlich die Tür von Rahuls Büro geöffnet wurden und Rahul heraus gekommen wäre. Er bedachte die beiden mit einem höflichen Lächeln und verschwand dann ohne ein Wort.

Anjali starrte ihm wie vom Blitz gerührt hinterher. Sie brauchte einige Augenblicke, bevor sie ihre Stimme wiederfand und Mili ängstlich fragte: „... Meinst du, er hat gehört, worüber wir gesprochen haben?“ „Er müsste taub sein, um das nicht gehört zu haben...“, antwortete sie und war genauso geschockt wie Anjali. „Oh mein Gott, ich habe noch nicht mal einen ganzen Tag gearbeitet und tappe schon wieder so ins Fettnäpfchen. Das kann doch wirklich nicht wahr sein!“, rief Anjali aus und warf sich resignierend die Hände vors Gesicht. „Hey, ganz ruhig. Der Kerl kann doch wohl nicht wirklich erwarten, dass du eine besonders hohe Meinung von ihm hast. Das hat er sich selbst zuzuschreiben.“, meinte Mili und klopfte ihrer Freundin beruhigend auf die Schulter. „Das ändert aber nichts an der Tatsache, dass er mich jetzt wegen Rufmord und Verleumdung rausschmeißen kann.“, brauste Anjali auf, woraufhin Mili ihre Stirn in Falten legte und sie zweifelnd ansah. „Jetzt übertreibst du aber ordentlich, Anju. Der Mann hat doch schon bewiesen, dass er dich so schnell nicht feuern wird. Am besten entschuldigst du dich nachher einfach kurz bei ihm und damit ist die Sache gegessen.“, schlug sie vor und begann, die Reste ihres Mittagessens zusammenzupacken, da ihre Pause gleich vorbei war. „Meinst du wirklich, dass das reichen wird? Oh Gott, allein wenn ich nur daran denke, bekomme ich schon wieder meine Aufgeregtheitspusteln...“, erwiderte Anjali und juckte sich den Hals. Mili warf ihr nur noch einen skeptischen Blick zu und machte sich anschließend mit den Worten „Bis nachher, Anju.“ wieder auf den Weg zu ihrem Arbeitsplatz.
 

Anjali saß die nächsten zwei Stunden wie auf heißen Kohlen, denn so lange dauerte es bis Rahul wieder kam. Sie tat beschäftigt, als er an ihr vorbei in sein Büro ging und atmete tief durch, als sie die Tür hinter sich ins Schloss fallen hörte. Was sollte sie jetzt tun? Einfach klopfen und sich entschuldigen oder auf einen passenderen Augenblick warten? Und was, wenn er überhaupt nicht gehört hatte, worüber sie sich unterhalten hatten? Auch wenn die Wahrscheinlichkeit dafür eher gering war, so bestand die Möglichkeit nach wie vor. Es wäre dumm, sich für etwas zu entschuldigen, das er doch eigentlich gar nicht mitbekommen hatte. Und so beschloss sie zu warten bis er sie darauf ansprach. Und wenn er es nicht tat, umso besser.

Ihre Hoffnung wurde allerdings zunichte gemacht, als der Summer an ihrem Telefon erklang, der ihr bedeutete, dass sie sich in Rahuls Büro begeben sollte. Seufzend stand sie also auf und machte sich auf den Weg zu einer weiteren demütigenden Begegnung mit ihrem Chef.
 

„Wie empfanden Sie ihren ersten Arbeitstag bis jetzt, Miss Sharma?“, wollte Rahul wissen, nachdem er Anjali angewiesen hatte, auf dem Stuhl vor seinem Schreibtisch Platz zu nehmen. „Ähm... Alles in Ordnung. Keine Probleme.“, brachte sie daraufhin mühsam hervor und war darauf gefasst, dass gleich ein Donnerwetter über sie hereinbrechen würde. Schließlich kommt die Ruhe ja meistens vor dem Sturm. Und Rahul war in der Tat die Ruhe selbst. Bedächtig lehnte er sich in seinem ausladenden Lederdrehstuhl zurück und musterte Anjali ausgiebig.

„Das freut mich zu hören.“, meinte er schließlich und schenkte ihr ein freundliches Lächeln, bevor er fortfuhr: „In den nächsten zwei Monaten werde ich an einem großen Projekt arbeiten und dafür ist es wichtig, dass ich mich vollkommen auf Sie verlassen kann. Sie werden viele Telefonate führen, Akten anlegen und Pläne erstellen müssen. Meinen Sie, dass Sie das hinbekommen werden, Miss Sharma?“

Er schaute sie durchdringend an und wartete gespannt auf ihre Antwort. Anjali war allerdings viel zu überrascht, um auf irgendeine Art und Weise reagieren zu können. Wollte er sie etwa nicht für ihre Lästerei vorhin zusammenstauchen? Konnte es tatsächlich sein, dass er nichts gehört hatte?

Sie brauchte einen Moment, um ihr Erstaunen zu überwinden und zu antworten. „... Ja. Ja, das werde ich hinbekommen. Machen Sie sich keine Sorgen...“ „Sehr gut! Ich hätte auch nichts anderes von Ihnen erwartet, Miss Sharma.“, fiel Rahul ihr daraufhin erfreut ins Wort und legte dabei schwungvoll seine Hände auf die Schreibtischplatte. „Sie haben schließlich bisher immer hervorragende Arbeit geleistet.“ Mit diesen Worten stand er auf, lief um seinen Schreibtisch herum und streckte Anjali seine Hand entgegen. Leicht verwirrt stand sie daraufhin auf und schlug ein. Lächelnd legte Rahul seine Hand auf ihre Schulter und geleitete Anjali bis zur Tür, wo er sie mit den Worten „Wenn Sie dann alles erledigt haben, können Sie für heute Feierabend machen, Miss Sharma.“ entließ.

Nachdem er die Tür wieder hinter sich geschlossen hatte, ließ Anjali sich in ihren Stuhl fallen und atmete erst einmal tief durch. Sie hätte mir allem gerechnet, aber nicht damit. Entweder war dieser Mann tatsächlich fast taub oder aber er schätzte ihre Arbeit wirklich so sehr, dass er über ihr ausfallendes Gerede hinweg sah. An sich schien beides nicht besonders wahrscheinlich, aber eine andere Erklärung kam ihr einfach nicht in den Sinn.
 

In den folgenden Wochen gewöhnte sich Anjali schnell an ihren neuen Job und sie musste sogar zugeben, dass er ihr tatsächlich Spaß machte. Ihre Aufgaben waren vielfältiger und anspruchsvoller als bisher und – und das was das Erstaunlichste – die Zusammenarbeit mit Rahul war ausgesprochen angenehm. Er war höflich und freundlich und es war keine Spur mehr von dem anzüglichen Grabscher zu sehen, als den sie ihn kennengelernt hatte. Bei Problemen konnte sie ihn jederzeit um Rat fragen und er sparte auch nicht mit Lob, wenn er mit ihrer Arbeit zufrieden war. Alles in allem konnte man also sagen, dass Anjali ihren Traumjob gefunden hatte. Und auch wenn Mili sich anfangs noch skeptisch gezeigt hatte, war auch sie bald davon überzeugt, dass die fiesen Gerüchte, die über Rahul kursierten nur eben diese waren – Gerüchte.
 

„Ich würde sagen, wir machen für heute Schluss.“, schlug Rahul vor, nachdem er bemerkt hatte, dass es draußen schon beinahe dunkel war und sie mal wieder ein paar Überstunden geschoben hatten. Erschöpft und dankbar stimmte Anjali ihm zu und stand von dem großen Tisch in Rahuls Büro auf, auf dem alle möglichen Akten, Hefter und losen Blätter verteilt lagen, die sie zur Projektplanung brauchten.

Anjali hatte gerade ihre Sachen auf ihren Schreibtisch zusammengeräumt und ihre Tasche über die Schulter gehangen, als sie hörte wie Rahul hinter ihr fragte: „Haben Sie vielleicht Lust, noch etwas mit mir trinken zu gehen?“

Betrunkene Erkenntnis

Mit einem unguten Gefühl rutschte Anjali auf ihrem Stuhl hin und her. Sie fragte sich nun schon zum wiederholten Male, wieso sie zugestimmt hatte, mit Rahul noch einen Absacker trinken zu gehen. Als ihr Chef hätte er sie aber auch eigentlich gar nicht erst fragen dürfen. Wenn jemand aus dem Hotel die beiden zusammen sehen würde, könnte das ganz schnell zu blöden Gerüchten führen. Doch nun war es sowieso zu spät. Als sie sah, dass Rahul mit zwei Cocktails in den Händen zurück zu ihrem Platz kam, schob sie ihre Bedenken beiseite und versuchte, sich nichts anmerken zu lassen.

„Gefällt es Ihnen hier?“, wollte Rahul wissen, nachdem er Anjali ihr Glas gereicht und neben ihr Platz genommen hatte. Anjali schaute sich daraufhin ein wenig um und stellte fest, dass es ihr tatsächlich gut gefiel. Es war eine kleiner gemütlicher Pub, dessen Tische um eine etwas erhöhte Bühne, auf der eine Jazz-Live-Band spielte, herum aufgestellt waren. An der Wand neben dem Eingang war die Bar aufgebaut, an der man sich seine Getränke bestellen konnte. Rechts neben der Bühne gab es eine kleine Tanzfläche, auf der sich drei Pärchen im Takt der Musik bewegten.

„Ja, doch... Es ist sehr schön hier.“, erwiderte Anjali schließlich und nahm einen ersten Schluck von dem Cocktail, den Rahul ihr mitgebracht hatte. Er schmeckte fruchtig und überraschend gut. Rahul sah Anjali anscheinend an, dass ihr der Geschmack gefiel, denn er meinte lächelnd: „Ich wusste, dass Sie ihn mögen würden.“ Sie erwiderte sein Lächeln daraufhin, fragte sich jedoch insgeheim, woher er wusste, was sie mochte und ihr schmeckte.

Um das danach eingetretene Schweigen zu brechen, fragte Anjali: „Kommen Sie denn öfter hierher?“ „Ohja. Ziemlich oft. Von allen Pubs hier in der Gegend gefällt mir dieser hier am besten. Ich liebe die gemütliche Atmosphäre.“, antwortete Rahul und ließ mit einem leisen Lächeln seinen Blick durch den Raum schweifen. Anjali nickte daraufhin zustimmend und nahm einen weiteren Schluck von ihrem Cocktail.
 

Ihre Unterhaltung lief zwar sehr schleppend an, doch bald hatten sie einen gemeinsamen Nenner gefunden und redeten über ihre berufliche Vergangenheit und ihr Studium. Anjali achtete darauf, nicht zu viele persönliche Dinge von sich preiszugeben, da sie sich die ganze Zeit im Bewusstsein behielt, dass es ihr Chef war, mit dem sie sich da gerade unterhielt, doch sie empfand das Gespräch als sehr angenehm und musste sich eingestehen, dass sie durchaus Spaß hatte an diesem Abend – so sehr, dass sie sogar vollkommen die Zeit vergaß und erschrak, als ihr Blick zufällig auf ihre Armbanduhr fiel.

„Hai Rabba! Ich muss langsam wirklich nach Hause.“, bemerkte sie aufgeregt. „Mein Heimweg ist nicht gerade kurz.“ „Das ist gar kein Problem. Ich fahre Sie, Miss Sharma.“, bot Rahul ihr daraufhin an. Zuerst wollte sie abwehren, doch wenn sie daran dachte, mitten in der Nacht allein mit der U-Bahn nach Hause fahren zu müssen, entschied sie sich doch dafür, sein Angebot anzunehmen. „Ich gehe noch kurz bezahlen. Dann können wir los.“, meinte Rahul und stand auf, um zur Bar zu gehen. Anjali erhob sich ebenfalls und bemerkte in diesem Moment plötzlich, dass sie angeschwipst war. Alles drehte sich ein wenig und vor Überraschung musste sie sich noch einmal kurz hinsetzen. Sie hatte angenommen, dass ihr Cocktail nicht-alkoholisch gewesen war, doch sie schien sich offensichtlich geirrt zu haben. Nun bereute sie es, drei Stück davon getrunken zu haben.

Nichtsdestotrotz beschloss sie, sich Rahul gegenüber nichts davon anmerken zu lassen. Mit viel Anstrengung schaffte sie es, ohne zu Wanken zu seinem Wagen zu gehen und einzusteigen. Hätte sie Rahul nicht sagen müssen, wo er hinfahren sollte, wäre sie während der Fahrt mit Sicherheit eingeschlafen.

Als sie vor ihrem Wohnhaus angekommen waren, wollte sie gerade aussteigen, als Rahul ihr zuvorkam und ihr ganz gentlemanlike aus dem Wagen half. Sie wollte sich gerade von ihm verabschieden, als sie plötzlich feststellte, dass er keine Anstalten machte, ihre Hand wieder loszulassen.

Sie schaute von ihrer Hand, die Rahul ein wenig zu zärtlich in seiner hielt, auf in Rahuls Gesicht. Sein Blick haftete an ihr und ein seltsames Lächeln umspielte seine Lippen. Sie hätte nicht sagen können, ob es nun eher liebevoll oder belustigt wirkte. Doch auch ungeachtet dessen war Anjali ihre Situation äußerst unangenehm und so versuchte sie sich höflich aus seinem Griff zu befreien, in dem sie anmerkte, ihren Schlüssel in ihrer Handtasche suchen zu müssen. Bereitwillig ließ er sie daraufhin los, doch machte er nicht den Eindruck, sich nun verabschieden zu wollen. Seelenruhig stand er mit den Händen in den Hosentaschen seines offensichtlich maßgeschneiderten Anzuges da und beobachtete sie, wie sie aufgewühlt in ihrer Tasche herumkramte.

„Es ist sehr nett, aber Sie müssen jetzt wirklich nicht mehr warten. Den restlichen Weg zu meiner Wohnung finde ich schon alleine...“, meinte Anjali schließlich. „Vielen Dank, dass Sie mich gefahren haben. Bis morgen dann.“ Nachdem sie ihn noch mit einem kurzen Lächeln bedacht hatte, drehte sie sich zur Haustür um und hoffte, dass er jetzt verschwinden würde. Doch in dem Moment, wo sie ihren Schlüssel endlich gefunden hatte, hörte sie, wie er plötzlich näher kam, einen Arm neben ihrem Kopf an der Tür abstütze und ihr ins Ohr raunte: „Wollen wir diesen netten Abend wirklich so abrupt enden lassen?“ Mit hämmerndem Herzen drehte Anjali sich langsam um. Ihre Sicht verschwamm etwas, als sie zögerlich fragte: „Was meinen Sie damit...?“ „Lassen Sie mich Sie wenigstens noch nach oben bringen.“, antwortete er mit rauer Stimme und machte dabei keinerlei Anstalten, den mittlerweile sehr geringen Abstand zwischen ihren Gesichtern zu vergrößern. „Nicht dass Sie in Ihrem angeschwipsten Zustand noch die Treppe herunterfallen...“

Anjalis Sinne vernebelten immer mehr. Seine viel zu große Nähe, der Geruch seines herben Aftershaves und sein bohrender Blick machten ihr schwer zu schaffen und so stimmte sie ohne weiteres Nachdenken zu. Etwas wackelig drehte sie sich um, schloss die Eingangstür auf und lief langsam und mit leerem Kopf in die zweite Etage, wo sich ihre Wohnung befand. Vor ihrer Tür blieb sie schließlich stehen und drehte sich zu Rahul um, der dicht hinter ihr gelaufen war. „Also dann... Hier wären wir...“, meinte sie und klammerte sich mit beiden Händen an ihrer Handtasche fest. Ihren Blick hatte sie auf den gefliesten Fußboden gerichtet und wartete nun gespannt darauf, was er als nächstes tat.

Rahul musterte Anjalis unsicher wirkende Gestalt ganz genau und kam zu dem Entschluss, dass es nun endlich an der Zeit war, Nägel mit Köpfen zu machen. Er machte einen Schritt nach vorn, lehnte sich zu ihr vor und strich zärtlich ihr Haar aus dem Nacken. „Was hältst du davon, wenn ich noch auf einen Kaffee mit hereinkommen würde, Anjali...?“, schlug er vor und achtete dabei sorgsam darauf, dass sein Atem die zarte Haut ihres Halses streifte.

Anjalis Herz trommelte wie wild gegen ihren Brustkorb, als er ihren Namen aussprach und sie den Sinn seiner Frage begriff. Vorsichtig hob sie ihren Kopf und ihre Blicke trafen sich. In diesem Moment erkannte sie jedoch den Ausdruck in seinen Augen. Es war derselbe, den er ganz zu Anfang gehabt hatte – dieses Anzügliche und Verschlingende. Mit einem Mal wurde Anjali wieder klar im Kopf und ihr wurde bewusst, was hier gespielt wurde. Er hatte sie hinters Licht geführt, um sie ins Bett zu kriegen - die ganze Zeit! Es dauerte einen Moment bis diese Erkenntnis sich ihr eingehämmert hatte, doch dann war ihre plötzlich aufkochende Wut nicht mehr zu bremsen. „Sie lügender Mistkerl!“, fuhr sie ihn an und schubste ihn von sich. „Ich fasse es nicht! Die ganze Zeit haben Sie einen auf nett gemacht und jetzt das?! Mein erster Eindruck von Ihnen war also ganz genau der richtige – Sie notgeiler Perverser!“ Mit diesen Worten und einem verachtenden Blick drehte sie sich um und verschwand mit einer ins Schloss knallenden Tür in ihre Wohnung.

Das wahre Gesicht

Als Anjali am nächsten Morgen noch vor dem Läuten ihres Weckers aufwachte, hatte sie einen ordentlichen Kater und es dauerte einige Augenblicke bis alle Ereignisse der letzten Nacht zurück in ihr Gedächtnis gefunden hatten. Als jedoch alles wieder da war, spürte sie, wie sich ihr Magen vor Wut beinahe zur Faust ballte. Wie hatte dieser Kerl es wagen können, sie so hinterhältig hinters Licht zu führen?! Sie konnte es einfach nicht fassen und bereute es auch nicht im Geringsten, dass sie ihn so angefahren und beleidigt hatte. In ihren Augen war es einfach das Letzte, eine Frau betrunken zu machen, um sie anschließend abzuschleppen.

Um sich etwas zu beruhigen und ihre Kopfschmerzen loszuwerden, gönnte Anjali sich nach dem Aufstehen eine lange Dusche und ein ausgiebiges Frühstück. Während sie ihre Cornflakes aß und ihren Orangensaft trank, überlegte sie, wie die Begegnung mit Rahul nachher im Büro wohl ablaufen würde. Was sie selbst anging, konnte sie nur sagen, dass sie jeglichen Respekt für diesen Mann verloren hatte und nicht wusste, wie sie ihm in Zukunft gegenüber treten sollte. Aber an sich rechnete sie auch nicht damit, dass es eine `Zukunft´ geben würde. Sie war sich sicher, dass sie ihren Job los war, denn schließlich würde sich kein Chef auf dieser Welt von seiner Angestellten auf die Art und Weise, wie sie es getan hat, beschimpfen lassen und daraus nicht die logischen Konsequenzen ziehen. Um ihren Job tat es Anjali dabei zwar sehr leid, doch nun gab es ohnehin kein Zurück mehr.
 

Auf ihrem Weg zur Arbeit fühlte sie sich denn auch überraschend ruhig und ausgeglichen. Sie hatte keine Angst vor dem, was da auf sie wartete und beschloss, auch Mili vorerst nichts von den Geschehnissen zu erzählen. Erst wenn alles geklärt war, wollte sie ihrer Freundin die ganze Geschichte eröffnen.
 

Kaum hatte Anjali sich an ihren Schreibtisch gesetzt, dauerte es auch nicht lange bis sie Schritte auf dem Gang hörte, die sie ohne Zweifel Rahul zuordnen konnte. Ihr verschlug es allerdings die Sprache, als er zur Tür hereinkam, denn er zitierte sie nicht grimmig in sein Büro, um ihr ihre Kündigung mitzuteilen, sondern schenkte ihr ein strahlendes Lächeln, wünschte ihr einen guten Morgen und ging ohne ein weiteres Wort an ihr vorbei in sein Büro.

Mit vor Fassungslosigkeit geöffnetem Mund starrte Anjali ihm hinterher und konnte nicht glauben, was da gerade geschehen war. Tat dieser Kerl etwa gerade so, als ob nichts gewesen wäre?! Das konnte doch wohl nicht sein Ernst sein! Wutentbrannt stand sie auf und riss ohne zu klopfen die Tür zu seinem Büro auf. „Was zur Hölle soll das?!“, brauste sie auf und lief festen Schrittes auf ihn zu. Er war gerade dabei, seinen Aktenkoffer abzustellen und seinen Mantel auszuziehen. Fragend schaute er sie an. „Verzeihung? Was genau...?“, wollte er fragen, doch Anjali fiel ihm ins Wort. „Ist das Ihr Ernst?! Sie haben gestern Abend versucht, mich auf hinterhältigste Weise rumzukriegen und jetzt tun Sie so, als ob nichts gewesen wäre?!“ Ihr fiel es schwer, ihrer vollkommenen Fassungslosigkeit gebührenden Ausdruck zu verleihen.

Rahul schaute sie nur mit großen Augen an und winkte dann mit einem müden Lächeln ab. „Kein Grund für so ein Theater. Ich gebe zu, dass meine Mittel nicht die ehrenwertesten waren, aber du bist auch ein wirklich harter Brocken, muss ich gestehen. Ich hoffe, du kannst mir verzeihen, dass ich auf diese unedlen Methoden zurückgegriffen habe. Normalerweise tue ich das nur im äußersten Notfall und habe damit auch immer Erfolg, aber du bist anscheinend etwas Besonderes...“, erklärte er ruhig und zwinkerte ihr zu, nachdem er zu Ende gesprochen hatte und an ihr vorbei ging, um seinen Mantel an die Garderobe zu hängen. Als er zurückkam, setzte er sich vor Anjali auf seinen Schreibtisch, verschränkte die Arme vor der Brust und schaute ihr direkt in die Augen. „Ich weiß, dass du jetzt damit rechnest, dass ich dich rauswerfe, aber das wäre ungeheuer dumm von mir, denn ich muss zugeben, du leistest wirklich sehr gute Arbeit.“, meinte er ernst. „... und außerdem möchte ich nicht freiwillig auf das Privileg verzichten, dich jeden Tag um mich zu haben und anschauen zu können... Wenn du jetzt allerdings kündigen willst, kann ich dich natürlich nicht aufhalten. Die Entscheidung liegt bei dir. Also was sagst du?“

Mit jedem von Rahuls Worten wurde Anjali fassungsloser. Nicht nur, dass dieser Kerl gerade unumwunden zugegeben hatte, dass er sie mit Alkohol hatte gefügig machen wollen – er schien deswegen noch nicht einmal ansatzweise ein schlechtes Gewissen zu haben! Es widerte sie richtiggehend an, wie er da mit diesem selbstgefälligen Gesichtsausdruck vor ihr saß und offenbar dachte, er wäre der Größte.

In ihr keimte mit einem Mal der unbändige Wunsch auf, es ihm ordentlich heimzuzahlen und ihm zu zeigen, dass er nichts weiter war, als ein reicher Kerl mit einem viel zu großen Ego und einer noch größeren Libido. Das konnte sie allerdings nur tun, wenn sie jetzt am Ball blieb und nicht – wie es einfacher und vernünftiger gewesen wäre – alles hinschmiss und kündigte. So zwang sie sich also, erst einmal ruhig zu bleiben. Bevor sie Rahul allerdings eine Antwort gab, musste sie noch etwas tun, das ihr schon seit dem gestrigen Abend unter den Nägeln brannte.

Ohne Vorwarnung hob sie die Hand und verpasste Rahul eine so schallende Ohrfeige, dass ihr im Nachhinein selbst die Handfläche davon schmerzte. „Ich werde hier bleiben. Aber wenn Sie mich auch nur noch einmal seltsam ansehen sollten, gnade Ihnen Gott.“ Mit diesen Worten drehte Anjali sich um und verließ erhobenen Hauptes und mit knallender Tür das Büro.

Sich die schmerzende und bereits rot gewordene Wange haltend, schaute Rahul ihr hinterher und konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. Anjali herumzubekommen war eine viel größere Herausforderung als er gedacht hatte – und er liebte Herausforderungen. Ihre ungestüme und aufbrausende Art war eine mehr als willkommene Abwechslung zu all den leicht zu habenden Frauen, denen er in letzter Zeit begegnet war. Er liebte dieses wilde Funkeln in ihren braunen Augen, wenn er sie zur Weißglut brachte und er war guter Dinge, dass er es in Zukunft noch öfter würde sehen können.
 

Mili zeigte sich nicht besonders überrascht, als Anjali ihr die ganze Geschichte erzählte, als sie am Abend gemeinsam in Milis Wohnung zusammen saßen und Tee tranken. „Irgendwie hatte ich die ganze Zeit mit so was gerechnet, wenn ich ehrlich bin...“, gestand sie ein und schenkte ihrer Freundin einen entschuldigenden Blick. „Kein Mensch legt von heute auf morgen so eine charakterliche Kehrtwende hin.“ Anjali knurrte daraufhin verächtlich in ihre Teetasse und meinte, nachdem sie einen Schluck genommen hatte: „Aber ich werde es diesem Kerl heimzahlen. Der wird am Ende nicht mehr wissen, wo vorne und hinten ist – das kann ich dir versprechen!“ „Das will ich auch hoffen, denn er scheint einen ordentlichen Dämpfer mal dringend nötig zu haben. Aber versprich mir, dass du es nicht übertreibst. So reiche Leute haben immer unheimlich gute Verbindungen. Der könnte im Notfall sicher dafür sorgen, dass du in London nie wieder einen Job kriegst...“, gab Mili zu bedenken, doch Anjali winkte ab. „Und wenn schon. So lange ich mit einem reinen Gewissen weiterleben kann, ist mir das egal. Ich werde mir von diesem Mistkerl jedenfalls nichts mehr gefallen lassen und ihm zeigen, wo der Hammer hängt!“

Sandkastenliebe und Kostenkalkulation

Als Anjali kurz vor Mitternacht von ihrem Treffen mit Mili nach Hause kam, ließ sie sich als erstes seufzend auf ihre Couch fallen und war heilfroh, erst einmal Wochenende zu haben. Sie brauchte unbedingt etwas Abstand zu ihrem plötzlich so chaotischen Berufsleben und entschied sich deswegen dafür, sich am nächsten Tag mit einem guten Buch in den Hyde Park zu legen und alle Fünfe gerade sein zu lassen. Nach diesem Entschluss schleppte Anjali sich noch mühevoll unter die Dusche und ließ sich anschließend erschöpft in ihr Bett fallen, wo sie beinahe auf der Stelle in einen tiefen, traumlosen Schlaf fiel.
 

Das Wetter am nächsten Tag war denn auch perfekt für ihr Vorhaben. Die Sonne strahlte und die Temperaturen waren wunderbar angenehm für einen Frühsommertag. Mit einer Decke und ihrem Buch machte Anjali sich kurz nach dem Mittagessen auf den Weg, suchte sich ein schattiges Plätzchen im Park und war bald darauf auch schon in die Welt ihres Buches vertieft.

„Ähm... Anjali...? Anjali Sharma?“, waren nach einiger Zeit die Worte, die sie wieder in die Realität zurückholten. Verärgert über die Störung grummelte Anjali kurz vor sich hin, bevor sie ihren Kopf hob, um zu sehen, wer der Störenfried war. Als sie ihn (1) jedoch erkannte, war ihre schlechte Stimmung auf der Stelle wieder verflogen. „Arre, Harish?!“ rief sie ungläubig aus und setzte sich auf. „Ich fasse es ja nicht! Was machst du denn hier?!“ Fröhlich umarmte sie ihn und musterte ihn voll freudiger Erwartung, während er sich zu ihr auf die Decke setzte. „Ich bin seit ein paar Wochen für ein halbjähriges Auslandspraktikum in der Stadt.“, erklärte er mit dem breiten Punjab-Akzent, den Anjali so sehr liebte. „Ich habe die ganze Zeit gehofft, dass ich dich zufällig irgendwo treffen würde, aber dass das tatsächlich klappen würde, hätte ich nie für möglich gehalten. Erzähl doch mal, wie geht’s dir so?“
 

Harish und Anjali war Sandkastenfreunde und er war ihr erster heimlicher Schwarm gewesen. Nachdem Anjali vor sieben Jahren allerdings den Punjab verlassen hatte, um in London zu studieren und zu arbeiten, hatte sich ihr Kontakt leider mit der Zeit verloren. Umso glücklicher war sie jetzt jedoch, dass sie ihn so unvermittelt wieder getroffen hatte. Und sie musste zugeben, dass er ihr noch immer so gut gefiel wie früher. Sie mochte sein hübsches Gesicht und sein lausbubenhaftes Wesen, mit dem er es immer wieder schaffte, sie zum Lachen zu bringen.
 

Die beiden hatten sich so viel zu erzählen, dass die Zeit wie im Fluge vorüber ging und sie sich ausmachten, dass sie sich unbedingt bald wieder treffen mussten. Bevor sie sich am späten Abend schließlich voneinander verabschiedeten, tauschten sie noch ihre Nummern aus und freuten sich auf ihr nächstes Wiedersehen.
 

Den gesamten Heimweg über hatte Anjali ein verträumtes Lächeln auf den Lippen. Es musste ein Wink des Schicksals sein, dass sie Harish wieder getroffen hatte, denn sie wurde das Gefühl nicht los, dass ihre damals einseitige Liebe mittlerweile gar nicht mehr ganz so einseitig war. Er hatte sie auf eine Weise angesehen, wie er es früher nie getan hätte und die vielen Komplimente, die er ihr gemacht hatte, sprachen auch für sich. Doch sie beschloss erst einmal, ihr nächstes Treffen abzuwarten und Ruhe zu bewahren, denn es konnte schließlich immer noch sein, dass sie sich in der ersten Euphorie des Wiedersehens bloß alles eingebildet hatte. Das gute und kribbelnde Gefühl in ihrer Magengegend konnte sie allerdings trotzdem nicht abschütteln.
 

Ihre gute Laune vom Wochenende war sofort wieder verflogen, als Anjali am Montagmorgen ins Büro kam und Rahul bereits auf ihrem Schreibtisch sitzend auf sie wartete. „Einen wunderschönen guten Morgen wünsche ich. Hast du dich wieder beruhigt?“, meinte er als er aufstand und ihr zum Gruß die Hand entgegenstreckte. Anjali ignorierte seine Geste und grummelte kaum hörbar vor sich hin: „Ich bin erst beruhigt, wenn du impotent geworden bist...“ „Wie bitte?“, fragte Rahul nach, doch sie winkte daraufhin nur ab. Nicht weiter darauf eingehend hielt er ihr schließlich zwei Hefter hin und meinte: „Diese Kostenkalkulationen müssen bis heute Nachmittag noch einmal durchgegangen werden. Ich werde jetzt noch ein paar Geschäftsgänge erledigen und gegen Mittag wieder zurück sein.“ Damit nahm er seine Aktentasche und verließ das Büro.

Anjali blieb noch einen Moment stehen und blätterte grob die beiden Hefter durch, um sich einen Überblick zu verschaffen. Sie war mit den Gedanken bereits bei der Arbeit als sie spürte, dass plötzlich jemand dicht hinter ihr stand und die Hand um ihre Hüfte legte. „Nicht umdrehen.“, hörte sie Rahul flüstern. Seinen Worten folgte das Geräusch tiefen Einatmens. „... Pfirsich-Shampoo. Ich wusste es.“, meinte er schließlich und brachte Anjali somit dazu, aufgebracht herumzuwirbeln. Mit bitterbösem Blick und drohend erhobenem Zeigefinger schaute sie ihn an. „Wagen Sie sich das noch einmal und Sie werden es ganz furchtbar bereuen!“, knurrte sie und musste sich zusammenreißen, ihm ob seiner Dreistigkeit nicht schon wieder eine Ohrfeige zu verpassen. „Oh, das werde ich mir mit Sicherheit noch öfter wagen.“, erwiderte Rahul daraufhin augenzwinkernd und lehnte sich näher zu ihr herunter. „Ich liebe Pfirsichduft...“, hauchte er, während er sich langsam wieder aufrichtete und dabei mit der Spitze seiner markanten Nase an ihrer Wange entlang fuhr. Das plötzliche Herzklopfen und die Röte, die ihr daraufhin ins Gesicht stieg, machten es Anjali unmöglich, auf diese erneute Dreistigkeit schnell genug zu reagieren. Mit einem überlegenen Lächeln auf den Lippen verließ Rahul schließlich endgültig das Büro.

Erst als er die Tür hinter sich geschlossen hatte, war Anjali wieder fähig sich zu bewegen und warf ihm daraufhin die beiden Hefter, die sie noch immer in den Händen hielt, hinterher. Wütend schnaufend starrte sie auf die verschlossene Tür und die vielen losen Blätter, die durch die Luft flogen und langsam auf den Boden fielen. „Dieser arrogante Mistkerl...!“, schimpfte sie vor sich hin, während sie begann, den verstreuten Inhalt der Hefter wieder aufzusammeln. Noch immer hämmerte ihr Herz wie wild ihn ihrer Brust und sie ärgerte sich fürchterlich darüber, dass sie ihm seine billige Anmache durchgehen lassen hatte. Sie schwor sich, ihn ganz sicher nicht noch einmal soweit kommen zu lassen und wenn nötig sogar den Spieß umzudrehen.
 

Nachdem sie sich soweit wieder beruhigt hatte, machte sie sich schließlich daran, die Kostenkalkulationen zu überprüfen. Es dauerte nicht lange bis ihr der erste Fehler auffiel und somit der komplette Rest ebenfalls falsch war. Stöhnend warf sie die Hände vors Gesicht und atmete tief durch. Diese Rechnungen hatte Rahul gemacht und er hatte dabei anscheinend mehrere wichtige Posten außer Acht gelassen. Die Arbeit der letzten beiden Wochen war also völlig umsonst gewesen – und das obwohl nur noch ein knapper Monat bis zur Abgabe des Projektes blieb. Das bedeutete dann wohl Überstunden – und zwar nicht zu knapp.
 

(1) http://i824.photobucket.com/albums/zz170/elfogadunk/FF%20pics/harish2.jpg

Ein Tritt gegen das Schienbein

Rahul saß nach der Mittagspause an seinem Schreibtisch und schaute die kontrollierten Kostenkalkulationen durch, während Anjali hinter ihm stand und ihm seiner Ungründlichkeit wegen vernichtende Blicke zuwarf. „Bist du dir sicher...?“, wollte er wissen, als er sich die rot markierten Stellen in den Berechnungen anschaute. „Aber natürlich!“, meinte Anjali daraufhin aufgebracht. „Sie haben hier, hier und hier vergessen, die Kosten für die Räumlichkeiten und für das Personal mit einzuberechnen.“, erklärte sie und beugte sich näher zu ihm herunter, um ihm die betreffenden Stellen zu zeigen. Rahul nutzte die sich ihm bietende Gelegenheit sofort und wickelte sich spielerisch eine von Anjalis lockigen Haarsträhnen um den Finger, während er mit einem koketten Lächeln auf den Lippen meinte: „Ich kann mich offensichtlich nur schwer konzentrieren, wenn du in meiner Nähe bist...“ Anjali verdrehte daraufhin nur die Augen und gab ihm einen leichten Klaps auf den Handrücken, damit er ihr Haar wieder los ließ. „Wenn das so ist, sollten wir in Zukunft die gemeinsame Arbeit an dem großen Tisch sein lassen und unsere Aufgaben wieder getrennt in unseren Büros erledigen.“, gab sie kühl zurück und verschränkte die Arme vor der Brust. „Das kommt gar nicht in Frage.“, entgegnete Rahul daraufhin kurz und verzichtete auf jegliche weitere Begründung.

„Wie auch immer. Um die verloren gegangene Zeit wieder aufzuholen, werden wir wohl ein paar Extraschichten einschieben müssen.“, stellte er fest, klang dabei aber ganz und gar nicht so, als ob er diesen Umstand bedauern würde. „Arre! Das kann doch wohl nicht wahr sein!“, rief Anjali plötzlich aus, da ihr gerade ein Licht aufgegangen war. „Sie haben absichtlich diese Fehler eingebaut, habe ich Recht?!“ „Und wieso sollte ich das tun?“, erkundigte sich Rahul mit Unschuldsblick und lehnte sich erwartungsvoll in seinem Stuhl zurück. „Damit Sie noch mehr Zeit haben, mich mit Ihren plumpen Annäherungsversuchen zu belästigen.“, erklärte sie und war bereits wieder kurz vorm Explodieren. Wie konnte dieser Kerl es wagen, ihr mutwillig ihre wertvolle Freizeit zu stehlen?!

Das lausbübische Lächeln, das Rahuls Lippen auf Anjalis Feststellung hin umspielte, war Anjali Antwort genug. Völlig geladen atmete sie tief ein und wollte gerade festen Schrittes das Büro verlassen, als Rahul nach ihrem Handgelenk griff und sie auf seinen Schoß zog. Mit der einen Hand umfasste er ihre Hüfte, um sie am Aufstehen zu hindern und die andere legte er so in ihren Nacken, dass er mit seinem Daumen noch über ihre Wange streicheln konnte. “Ich mag dich, Anjali.“, meinte er und schaute ihr fest in die Augen. „Du bist nicht nur wunderschön, sondern auch unglaublich clever. Du wirst dich in mich verlieben. Dafür werde ich sorgen. Das verspreche ich dir.“ „Gerade weil ich so clever bin, werde ich mich niemals in Sie verlieben. Also lassen Sie mich gefälligst los!“, entgegnete Anjali und versuchte, sich aus seinem Griff zu befreien, doch er war stärker und hielt sie fest. „Wir werden sehen...“, raunte er und schob das Haar beiseite, das ihren Nacken bedeckte, um mit seinen Lippen und der Spitze seiner Zunge ihren Hals zu liebkosen. Danach lockerte er seinen Griff und gewährte Anjali damit, sich von ihm loszumachen. Mit hochrotem Kopf entwand sie sich seinem Griff und verließ nach einem kräftigen Tritt gegen Rahuls Schienbein wütend das Büro.
 

Mit in die Hände gestütztem Gesicht und noch immer hämmerndem Herzen saß Anjali an ihrem Schreibtisch und versuchte, sich mit gleichmäßigem Ein- und Ausatmen wieder zu beruhigen. Rahul hatte sie mit seiner Aktion gerade eben so überfallen, dass sie gar nicht schnell genug hatte reagieren können. Sie hatte das Gefühl, seine Lippen noch immer auf ihrem Hals spüren zu können und fühlte, wie erneut glühende Hitze in ihre Wangen stieg. Dieser Kerl war ein hartnäckigerer Gegner als sie gedacht hatte; sie musste sich also noch etwas Besseres einfallen lassen, um ihn klein zu kriegen, als ihn einfach nur kühl zu behandeln und immer wieder abblitzen zu lassen. Und Mili musste ihr unbedingt dabei helfen.
 

Rahul saß derweil in seinem Büro und schmunzelte vor sich hin. Sein Plan mit den Überstunden hatte hervorragend funktioniert und so hatte er nun noch mehr als genug Zeit, um mit Anjali in den nächsten vier Wochen allein zu sein. Denn was er zu ihr gesagt hatte, meinte er todernst. Er würde alles dafür tun, damit sie sich in ihn verliebte. Dass sie nun sein wahres frauenvernaschendes Gesicht kannte, war seinem Plan zwar nicht unbedingt zuträglich, doch bisher war noch jede seinem Charme erlegen. Bei Anjali musste er sich eben nur ein kleines bisschen mehr ins Zeug legen als normalerweise. Er war sich allerdings sicher, dass sich sein Bemühen mehr als auszahlen würde. Sie war einfach genau das, was er im Moment wollte und schon lange gesucht hatte. Sie war schön, klug, hatte eine eigene Meinung und vor allem ordentlich Feuer. Sie war die perfekte Herausforderung und am Ende der noch perfektere Lohn.
 

Kurz vor Feierabend überlegte Anjali, ob sie sich von Rahul verabschieden sollte oder nicht. Eigentlich widerstrebte es ihr ungeheuerlich, doch am Ende war er schließlich immer noch ihr Vorgesetzter und so entschied sie sich schließlich für eine kurze Verabschiedung, die sie ihm schnell zurufen wollte.

Sie hatte gerade seine Tür geöffnet und wollte zum Sprechen ansetzen, als sie sah, wie er auf der Ledercouch in seiner Sitzecke saß und dabei war, die Wunde, die offensichtlich ihr Schienbeintritt verursacht hatte, zu verarzten. Auf der Stelle bekam Anjali ein schlechtes Gewissen. Schuldbewusst ging sie auf Rahul zu. „Es tut mir leid.“, meinte sie etwas betreten. „Das war nicht meine Absicht.“ „Oh doch, war es.“, lachte Rahul. „Und ich hab es auch verdient, denke ich. Ich nehme dir das also nicht übel. Und wenn eine Narbe zurückbleibt, habe ich wenigstens immer ein kleines Andenken an dich.“ Er zwinkerte ihr zu und holte ein Pflaster aus dem Erste-Hilfe-Kasten, der neben ihm auf der Couch stand, und klebte es über die kleine Wunde an seinem Bein.

„Also was gibt es?“, wollte er wissen, nachdem er sein Hosenbein wieder heruntergekrempelt hatte und aufgestanden war. „Bitte?“, fragte Anjali etwas verwirrt nach. „Du wirst doch wohl einen Grund gehabt haben, dass du in mein Büro gekommen bist...?“, erklärte er. „Oh... Äh, ja. Ich wollte nur Bescheid geben, dass ich jetzt Feierabend mache...“ „Genieß es. Das wird für die nächste Zeit das letzte Mal sein, dass du so früh gehen kannst.“, meinte Rahul und konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. Anjalis schlechtes Gewissen verschwand genau in diesem Moment wieder. Sie verdrehte genervt die Augen und verließ ohne ein weiteres Wort Rahuls Büro.

Arbeit und Pause

Mit einem glücklichen Lächeln warf Anjali ihr Telefon zur Seite und ließ sich auf ihre Couch fallen. Harish hatte gerade angerufen und sich für Freitag mit ihr verabredet. Er wollte sie nach Feierabend abholen und was sie anschließend unternahmen, wollten sie dann ganz spontan entscheiden. Anjali hoffte denn auch, dass sie am Freitag nicht ganz so lange arbeiten musste – schließlich war dann schon so gut wie Wochenende.
 

„Einen wunderschönen guten Morgen, Liebes.“, begrüßte Rahul sie am nächsten Morgen mit einem strahlenden Lächeln. „Ihre gute Laune ist ja widerwärtig.“, bemerkte Anjali grimmig. „Wie können Sie nur so fröhlich sein, wenn vor uns vier Wochen mit massenhaft Überstunden liegen?“ „Ich sehe diese Zeit eher als Geschenk an.“, erwiderte er daraufhin und fügte theatralisch hinzu, als Anjali ihm einen zweifelnden Blick zuwarf: „Ich genieße einfach jeden Moment, den ich mit dir verbringen kann...“ „Oh Gott, Ihre Sprüche werden auch immer plumper!“, stellte sie fest und verleierte die Augen, bevor sie sich von ihm abwendete, um ihre Tasche auf ihrem Schreibtisch abzustellen. „Doch geschmeichelt fühlst du dich trotzdem.“, meinte Rahul grinsend und gab ihr einen kleinen Klaps auf den Hintern, bevor er eilends in sein Büro verschwand.

Anjali schloss die Augen und atmete tief durch, um die wieder einmal aufsteigende Wut über Rahuls Dreistigkeit zu unterdrücken. Das Ego dieses Mannes war einfach unglaublich.
 

Die nächsten beiden Tage arbeiteten sie denn fleißig und zielstrebig durch; am Donnerstag hatte Anjali allerdings bereits erste Ermüdungserscheinungen und versuchte sich am späten Nachmittag abzulenken, indem sie ein Gespräch mit Rahul begann.

„Wie kommt es eigentlich, dass Sie so ein Casanova geworden sind?“, wollte sie wissen und erntete daraufhin verwunderte Blicke ihres Gesprächspartners. „Zeigst du etwa gerade Interesse an mir?“, antwortete er mit einer Gegenfrage und konnte sich sein überlegenes Grinsen nicht verkneifen. Anjali atmete daraufhin genervt aus. „Vergessen Sie es.“ „Nein, nein, schon gut. Ich ist doch äußerst erfreulich, dass du mehr über mich wissen willst. Ich...“, begann Rahul, wurde jedoch vom Klingeln seines Telefons unterbrochen. Etwas verärgert über die Störung nahm er ab und legte nach einem kurzen Moment wieder auf. „In einem der Hotelzimmer wurden ein paar Dinge gestohlen. Ich bin gleich wieder da.“, erklärte er und verließ das Büro.

Nachdenklich schaute Anjali ihm nach. Wie konnte dieser Kerl nur annehmen, dass sie Interesse an ihm zeigte? Sie hatte sich lediglich von ihrer Arbeit ablenken wollen – nur konnte sie ihm das natürlich nicht sagen. Wobei sie sich eingestehen musste, dass es sie tatsächlich ein wenig interessierte, wie Rahul zu dem werden konnte, der er jetzt war. Es war doch schließlich nicht normal, sich jeden Tag jemand Neues mit nach Hause zu nehmen – zumindest nicht in der Welt, in der Anjali lebte. Sie setzte nach wie vor auf feste Beziehungen – auch wenn sie das Gefühl hatte, mit dieser Einstellung immer mehr alleine da zustehen.

Sie wurde aus ihren Gedanken gerissen, als plötzlich auch ihr Telefon klingelte. Als sie ranging, meldete sich Rahul am anderen Ende und bat sie, zu ihm ins Hotelzimmer zu kommen. Etwas verwirrt darüber stimmte sie zu und machte sich auf den Weg.
 

Vorsichtig klopfte Anjali an die Hotelzimmertür und trat anschließend ein. Das Zimmer war eines der zweiten Kategorie, d. h. es hatte den zweithöchsten Preis. Es war geräumig, die Einrichtung äußerst geschmackvoll und der Ausblick wunderbar.

Anjali brauchte einen Moment bis sie Rahul entdeckt hatte. Er stand an den Rahmen des Balkonfensters gelehnt und schaute hinaus. Hier im 14. Stock hatte man einen hervorragenden Blick über Central London ohne jedoch vom Straßenlärm gestört zu werden.

Als Rahul hörte, dass Anjali eingetreten war, drehte er sich um. „Alles in Ordnung hier? Konnten Sie alles klären?“, erkundigte sie sich und schaute sich im Zimmer um auf der Suche nach fehlenden Gegenständen. „Ja, wir haben die Polizei informiert. Sie schauen sich gerade um...“, antwortete Rahul und fügte amüsiert hinzu, als er Anjalis verwirrten Blick sah: „Nicht hier – im Nebenzimmer.“ „... Und... was machen wir dann hier?“, wollte Anjali wissen und beäugte Rahul skeptisch. „Da du vorhin plötzlich in Plauderlaune warst, dachte ich, dass wir unser Gespräch hier fortführen könnten. Hier ist es doch viel gemütlicher als in meinem Büro.“, erklärte er und setzte sich auf das ausladende Bett. „Ich glaube nicht, dass das nötig ist.“, wand sie ein und machte eine abwehrende Handbewegung. „Wir haben außerdem noch eine ganze Menge zu tun...“ „Eine kurze Pause können wir uns ruhig gönnen. Also hör auf dich zu zieren und setz dich zu mir.“, forderte er daraufhin und klopfte mit der Handfläche rechts neben sich aufs Bett. Anjali zögerte jedoch weiter, da sie diesem Braten einfach nicht traute.

Kurzerhand stand Rahul daraufhin auf, ging entschlossen auf Anjali zu, nahm ihre Hand und führte sie zum Bett. „Ich falle schon nicht über dich her.“, merkte er an und drückte Anjali sanft an den Schultern auf die Matratze. „... noch nicht.“, fügte er murmelnd hinzu, während er sich umdrehte und an der Minibar des Zimmers bediente. „Hey, was soll das denn werden?!“, wollte Anjali mit erhobener Stimme wissen und machte Anstalten, wieder aufzustehen. „Ganz ruhig. Wir wollen es uns doch ein wenig gemütlich machen oder nicht?“, antwortete Rahul ruhig und drückte ihr eine Miniflasche Sekt in die Hand. „Und dazu gehört bei Ihnen Alkohol? Ich kann mich nur allzu gut erinnern, was das letzte Mal passiert ist, als Sie es sich mit mir `gemütlich´ machen wollten!“ „Oh ja, daran kann ich mich auch noch sehr gut erinnern.“, erwiderte Rahul mit einem schelmischen Grinsen. Empört stand Anjali daraufhin auf und wollte gehen, doch Rahul hielt sie auf. „Hey, das war nur ein Spaß. Bleib hier. Ich werde mich benehmen. Versprochen.“ Sein Blick war dabei so eindringlich, dass Anjali nicht anders konnte, als ihm nachzugeben.

Widerwillig nahm sie wieder auf dem Bett Platz und schaute Rahul mit grimmiger Erwartung an. Er erwiderte ihren Blick mit Genugtuung, während er sich neben sie setzte und sich anschließend eine kleine Flasche Cremelikör öffnete, während er wissen wollte: „Also. Worüber wollen wir reden?“

Der Hotelzimmervorfall

„... und dann hat mein Vater ihm mit der Faust gedroht und ihn aus dem Haus geworfen.“, beendete Anjali ihre Geschichte und begann zu lachen. Rahul stimmte mit ein und merkte an: „Ich hoffe doch, dein Vater wird anders reagieren, wenn du mich ihm vorstellst.“ Seine Augen blitzten verschmitzt, doch Anjali winkte ab. „Sie würde mein Vater mit der Mistgabel vom Hof jagen.“

Daraufhin wollte sie noch einen Schluck aus ihrer mittlerweile sechsten Minisektflasche nehmen, musste aber feststellen, dass diese bereits leer war. Seufzend ließ sie sich auf die weiche Matratze des Bettes zurückfallen, auf dem sie nun schon seit drei Stunden mit Rahul saß und sich unterhielt. Rahul beobachtete sie und tat es ihr dann gleich.

Schweigend lagen sie für ein paar Augenblicke nebeneinander bis Anjali plötzlich bemerkte: „Sie haben mich schon wieder betrunken gemacht.“ Rahul lachte daraufhin auf. „Auch wenn es so scheint, habe ich das dieses Mal nicht bezweckt. Denn wäre es Absicht gewesen, hätte ich mich nicht ebenfalls betrunken...“ Anjali schaute ihn erst skeptisch an und sah sich dann im Zimmer um, woraufhin sie feststellen musste, dass er anscheinend die Wahrheit sagte. Neben den sechs leeren Flaschen, die sie getrunken hatte, lagen noch einige kleine Likörfläschchen überall auf dem Boden verstreut.

„Sie können mir viel erzählen, wenn der Tag lang ist, mein Lieber...“, meinte Anjali nichtsdestotrotz – konnte allerdings nicht verhindern, dass sie ein wenig lallte. „Das ist wahr...“, stimmte Rahul ihr überraschenderweise zu und richtete sich ein wenig auf, indem er sich auf die Seite legte und seinen Kopf auf seinen Arm aufstütze. „Ich könnte dir erzählen, dass du die interessanteste und schönste Frau bist, die ich seit langer Zeit kennengelernt habe... und du würdest es mir nicht glauben... Anjali...“ Seine Stimme und sein Blick wurden weicher, doch darauf achtete Anjali nicht. Stattdessen setzte sie sich ruckartig auf und schaute ihn mit zusammengekniffenen Augen an. „Ganz genau so sieht es aus. Mein Vertrauen haben Sie verspielt. Absolut und vollständig.“ Während sie sprach gestikulierte sie theatralisch und brachte Rahul damit zum schmunzeln. „Du bist einmalig, Anjali...“, meinte er und setzte sich ebenfalls wieder auf. „Ja, das kann man so sagen.“, stimmte sie ihm mit vor Stolz geschwellter Brust zu und machte sich dann torkelnd auf die Suche nach weiteren Sektflaschen. Nachdem sie in der Minibar fündig geworden war, gesellte sie sich wieder zu Rahul und fixierte ihn mit forschendem Blick, nachdem sie ihren Sekt mit einem Zug zur Hälfte geleert hatte.

„Was ist los?“, wollte Rahul wissen und hielt ihrem Blick dabei ohne Probleme stand. „Ich versuche... herauszufinden... warum Sie so ein Idiot sind...“, entgegnete sie und intensivierte ihren Blick, indem sie näher an ihn heranrückte. „Das wirst du nicht herausfinden...“, antwortete er amüsiert. „... Aber du solltest zu deiner eigenen Sicherheit aufhören, mir so nahe zu kommen, denn sonst kann ich für nichts garantieren...“ Angestachelt durch das Verbot lehnte Anjali sich kampfeslustig noch weiter vor. „Tatsächlich...?“ Rahul senkte seinen Blick und atmete tief ein, bevor er Anjali fest in die Augen sah und mit einem süffisanten Lächeln meinte: „Tatsächlich.“ Daraufhin packte er sie am Nacken, zog ihren Kopf in Windeseile zu sich heran und drückte seine Lippen auf ihre.

Die Folgen des Hotelzimmervorfalls

Das unbarmherzige Schrillen ihres Weckers riss Anjali am nächsten Morgen aus ihrem tiefen und traumlosen Schlaf. Erschrocken schnellte sie nach oben, musste sich aber sofort wieder hinlegen, da ihr plötzlich schwindelig wurde und es in ihrem Kopf hämmerte, als ob jemand mit einem Schlagbohrer versuchte, ihre Schädeldecke zu öffnen.

Erst als die tanzenden Sternchen vor ihren Augen wieder verschwunden waren, wagte sie einen erneuten Versuch sich aufzurichten. Leise fluchend stand sie auf und ging als erstes unter die Dusche. Das heiße Wasser milderte ihre Kopfschmerzen etwas und ließ sie sich gleich ein wenig besser fühlen.
 

Erst beim Frühstück wagte sie sich, darüber nachzudenken, was am vergangenen Abend geschehen war. Sie wusste nur noch, dass sie eine halbe Ewigkeit mit Rahul in diesem Hotelzimmer verbracht hatte. Doch sie konnte sich beim besten Willen nicht mehr daran erinnern, was genau sie dort gemacht hatten geschweige denn wie sie anschließend nach Hause gekommen war.

Ein unangenehmes Gefühl beschlich sie. Sie hatte doch nicht etwa mit Rahul...? Sie wollte diesen Gedanken nicht einmal zu Ende bringen. Egal wie betrunken sie gewesen war, sie hätte sich niemals mit Rahul eingelassen... Das hoffte sie zumindest inständig. Denn egal wie sehr sie sich bemühte, der gestrige Abend wollte einfach nicht zurück in ihr Gedächtnis finden.
 

Auf dem Weg zur Arbeit versuchte sie sich selbst zu beruhigen, indem sie sich einredete, dass sie – wenn wirklich etwas Körperliches geschehen wäre – dies ganz sicher nicht vergessen hätte. So etwas vergisst man schließlich normalerweise nicht so einfach. Diese Überlegung ließ sie denn auch tatsächlich etwas ruhiger werden und als sie am Hotel ankam, fühlte sie sich auch beinahe wieder voll arbeitsfähig. Die Kopfschmerztabletten, die sie vor dem Gehen noch genommen hatte, begannen langsam zu wirken und sie war zuversichtlich, dass sie am Nachmittag, wenn Harish sie abholen wollte, wieder vollkommen fit sein würde.
 

Nachdem sie ihre Sachen auf ihrem Schreibtisch abgestellt hatte, schaute sie kurz in Rahuls Büro, um ihn zu begrüßen. Etwas verwundert schaute er sie an, als sie ihm einen guten Morgen wünschte. „... Alles in Ordnung...?“, erkundigte sich Anjali und das unangenehme Gefühl von heute Morgen schlich sich zurück in ihre Magengegend. „Das sollte ich dich fragen...“, erwiderte Rahul, während er von seinem Stuhl aufstand, um seinen Schreibtisch herumging und auf sie zukam. „Hast du mir etwa wirklich so schnell verziehen?“ „... Was... Was meinen Sie damit?“, fragte sie misstrauisch nach und wich einen Schritt zurück. Ihr Magen begann langsam sich zusammenzuziehen. „... Du willst mir doch nicht etwa erzählen, dass du alles vergessen hast...?“, antwortete Rahul mit einer Gegenfrage und legte seinen Kopf leicht schief. „Ähm... Nun ja... Es kommt darauf an...“, brachte Anjali heraus und spürte, wie ihr Herz begann schneller zu schlagen. „Aha... Und worauf?“, wollte er wissen und verschränkte die Arme vor der Brust, während er einen weiteren Schritt auf sie zu machte. „Naja... Darauf, was passiert ist... und darauf, woran ich mich davon noch erinnern kann...“ Eine böse Vorahnung schnürte ihr Stück für Stück die Kehle zu. „Soll ich deinem Gedächtnis vielleicht ein wenig auf die Sprünge helfen?“ Anjali hatte nicht einmal Zeit, um zu einer Antwort anzusetzen, als sie schon Rahuls Lippen auf ihren spürte. Sie war so überrascht, dass sie im ersten Moment nicht wusste, wie sie reagieren sollte. Und im nächsten Moment kam denn auch schon die Erinnerung an den vergangenen Abend zurück.

Entsetzt legte sie Rahul ihre Hände auf die Schultern und schubste ihn von sich. „Haben Sie noch alle Tassen im Schrank?!“, fuhr sie ihn an. „Hat das eine Mal Ihnen nicht gereicht?!“ „Siehst du, deine Erinnerung ist wieder da.“, entgegnete Rahul amüsiert und fuhr sich mit dem Daumen über die Unterlippe. „Sie sind doch wahnsinnig!“, meckerte Anjali, machte auf dem Absatz kehrt und warf die Tür hinter sich zu.
 

Kaum hatte sie sich vor Wut schnaubend in ihren Schreibtischstuhl fallen lassen, wurde auch schon die Tür, die sie erst vor wenigen Augenblicken hinter sich zugeworfen hatte, wieder aufgerissen. „Anjali, ich bitte dich. Aus welchem Grund bist du denn nun bitte wieder sauer?!“, wollte Rahul wissen und ging auf Anjali zu. Diese schaute ihn daraufhin nur entgeistert an. „Was ist los? Wir wussten doch wohl beide, dass das früher oder später passieren würde.“, behauptete er. „Oh nein! Das wussten wir nicht!“, brauste Anjali auf und erhob sich ruckartig aus ihrem Stuhl. „Sie haben mich geküsst. Zweimal. Ohne meine Erlaubnis. Hat es Ihnen nicht gereicht, dass ich Ihnen gestern dafür eine Ohrfeige verpasst habe?!“ „Hm... Ich nahm an, dass du einfach bloß überrascht gewesen bist...“, entgegnete er gelassen. „Ich meine, du kannst doch nicht abstreiten, dass du es geradezu herausgefordert hast.“ Anjali schaute ihn verständnislos an und stemmte ihre Hände in die Hüften. „Ich habe überhaupt nichts herausgefordert. Wie hätte ich denn ahnen sollen, dass Sie gleich über mich herfallen, wenn ich ein wenig herumalbere...?“ Schon während des Sprechens merkte sie, dass sie Unsinn erzählte. Natürlich hätte sie es ahnen müssen, dass er jede sich bietende Gelegenheit nutzen würde, um sie zu überfallen.

Rahul konnte an ihrem Gesicht ablesen, was sie dachte. „Anjali...“ meinte er nur schmunzelnd und in einem beinahe väterlich anmutenden Ton. „Aber wie auch immer. Wenn du dich dann wieder beruhigt hast, können wir ja an unserem Projekt weiterarbeiten. Aber erledige die Post vorher bitte noch.“, wechselte er abrupt das Thema und ging anschließend zurück in sein Büro.

Zurück ließ er die wieder einmal völlig fassungslose Anjali. Sie konnte diesen Mann kaum fassen. Er ließ sich wirklich durch nichts und niemanden aus der Ruhe bringen – und dass er stets dachte, er sei im Recht, machte es auch nicht besser. Noch nie hatte sie so einen Menschen getroffen und er machte sie wahnsinnig. Noch wahnsinniger machte sie es allerdings, dass er es doch tatsächlich geschafft hatte, sie zweimal zu küssen. Es hätte niemals so weit kommen dürfen und sie schwor sich, dass das niemals wieder passieren würde.
 

Gegen 13 Uhr begann Anjali unruhig zu werden. Harish wollte sie in zwei Stunden abholen, doch so, wie es im Moment stand, war noch lange kein Feierabend in Sicht. Sie hatte noch einen fünfseitigen Bericht zu Ende zu schreiben und das war in dieser kurzen Zeit einfach unmöglich. Ab und zu schaute sie verstohlen zu Rahul hinüber, der ihr an dem großen Tisch, an dem sie arbeiteten, gegenüber saß, doch dieser war die Ruhe in Person und schien nicht einmal ansatzweise in Eile zu sein.
 

Halb drei fasste Anjali sich schließlich ein Herz. „Mr. Khanna, ist es ok, wenn ich in einer halben Stunde Feierabend mache? Ich habe noch einen wichtigen Termin und...“, begann sie, doch Rahul fiel ihr ins Wort. „Ach, wirklich? Wo musst du denn hin?“, wollte er wissen und schaute sie interessiert an. „Ich... denke nicht, dass Sie das etwas angeht...“ „Hm... Du kannst jedenfalls erst gehen, wenn du den Bericht fertig hast. Das wird doch höchstens noch zwei oder drei Stunden dauern.“, merkte er mit beleidigtem Unterton an und widmete sich dann wieder seiner Arbeit.

Anjali kochte innerlich vor Wut, doch sie wollte ihn nicht anschreien, denn dann hätte er ihr womöglich noch eine Extraaufgabe aufgebrummt. Stattdessen schrieb sie Harish also schweren Herzens eine SMS, dass sie sich verspätete.
 

Sie war kurz vor sechs gerade dabei, ihren letzten Absatz zu schreiben, als ihr Handy klingelte und Harish ihr damit signalisierte, dass er vor dem Hotel stand und auf sie wartete. Hastig tippte sie die letzten Wörter ab und verschwand dann mit einer kurzen Verabschiedung Richtung Rahul aus dem Büro. Etwas verdattert schaute er ihr hinterher und fragte sich, was für einen wichtigen Termin sie da wohl hatte. Grübelnd stand er auf und ging zum Fenster, um zu sehen, in welche Richtung Anjali das Hotel verlassen würde. Als er aber sah, wie sie den Haupteingang verließ und freudestrahlend einem jungen Mann um den Hals fiel, klappte ihm beinahe die Kinnlade herunter.

Der Andere

Anjali genoss jede Sekunde ihres Treffens mit Harish. Sie gingen ins Kino und setzten sich anschließend noch in einen kleinen Pub, wo sie sich ausgelassen unterhielten. In seiner Gegenwart vergaß Anjali ihre Probleme und fühlte sich einfach rundum wohl. Die Art, wie er sprach, lachte und sie anschaute, ließ sie die ganze Zeit über ein wohliges Kribbeln im Bauch spüren und sie fragte sich, ob er wohl dasselbe fühlte. Wenn sie ihn ` rein zufällig´ berührte, schien ihn das zumindest nicht zu stören. Außerdem wirkte er in ihrer Gegenwart sehr gelöst und fröhlich. Das konnte allerdings auch daran liegen, dass das einfach seine Art war. Aus diesem Grund beschloss Anjali auch, erst einmal nichts zu überstürzen und sich in nichts hineinzusteigern. Sie hatte nun schon so lange darauf gewartet, da machten ihr die paar Tage auch nichts mehr aus.
 

Die beiden verließen den Pub erst, als er gegen zwei Uhr zumachte. Obwohl es von dort aus nur eine Haltstelle mit der U-Bahn bis zu Anjalis Wohnung war, wollte Harish sie nicht alleine nach Hause gehen lassen. Aus diesem Grund beschlossen sie auch, das kleine Stückchen zu laufen und dabei die angenehme Nachtluft zu genießen.

Als sie schließlich vor der Eingangstür ihres Wohnhauses standen, fragte Anjali unverfänglich und ohne Hintergedanken, ob Harish noch auf einen Kaffee mit raufkommen wollte, denn sie wollte einfach noch nicht, dass er jetzt schon ging. Mit einem bedauernden Lächeln auf den Lippen lehnte er allerdings ab. „Ich denke, es wäre besser, wenn ich mich auf den Heimweg mache...“, meinte er, woraufhin sie nicht verbergen konnte, dass seine Antwort sie enttäuschte. „Bis zum nächsten Mal, Anjali...“, flüsterte er, während er sich langsam zu ihr beugte und einen hauchzarten Kuss auf die Wange gab. Diese unerwartete Berührung elektrisierte sie und so war sie zu nichts anderem mehr fähig als einem zaghaften Kopfnicken, bevor er sich mit einem Lächeln umdrehte und seinen Heimweg antrat.
 

Selbst als Anjali später im Bett lag und an ihre dunkle Schlafzimmerdecke starrte, war sie noch immer wie benebelt. Sie hatte den Eindruck, noch immer Harishs samtweiche Lippen auf ihrer Wange spüren zu können und das ließ sie immer wieder aufs Neue erschauern. Wenn sie daran dachte, ihn das nächste Mal wiederzusehen, spürte sie hunderte Schmetterlinge in ihrer Magengegend herumflattern.

Mit einem glücklichen Lächeln wendete sie ihren Blick von der Decke ab und drehte sich auf die Seite. Als sie jedoch die Augen schloss, schoss ihr plötzlich Rahul durch den Kopf. Empört über sich selbst riss sie die Augen wieder auf und fragte sich, wieso er ihr denn gerade jetzt in den Sinn kam. Das war nun wirklich einer der unpassendsten Momente dafür. Unwillkürlich musste sie dann auch noch an die beiden Küsse denken, die er ihr gestohlen hatte. Auch wenn sie es sich nicht eingestehen wollte, musste sie zugeben, dass seine Lippen überraschend weich gewesen waren. Außerdem war der Kuss im Hotelzimmer überaus zärtlich gewesen. Sie hasste es, sich das einzugestehen, doch sie konnte nicht sagen, dass die Küsse an sich schlecht gewesen waren. Nur der Mann, der sie ihr gegeben hatte, hätte ein schlimmerer nicht sein können. Aus diesem Grund hatte Anjali ihm denn auch mal wieder eine schallende Ohrfeige verpasst und wutentbrannt das Zimmer verlassen. Sie war froh, dass sie in ihrem angetrunkenen Zustand noch dazu fähig gewesen war. Wer weiß, was sonst noch passiert wäre, denn sie war sich sicher, dass Rahul diese Gelegenheit schamlos ausgenutzt hätte. Wenn sie sich dagegen Harish vor Augen hielt, war er in jeder Hinsicht perfekt. Allein dass er vorhin nicht mit in ihre Wohnung gekommen war, zeigte wie hochanständig und wohlerzogen er doch war. Rahul hätte niemals solche perfekten Manieren an den Tag gelegt. Er war und blieb ein nichtsnutziger Frauenheld und daran würde sich wohl niemals etwas ändern. Doch das sollte Anjali nicht kümmern. Er war schließlich nur ihr Chef und mehr würde er für sie auch nie werden. Da war sie sich sicher.

Eifersucht und ein Plan

Den ganzen Morgen über musterte Rahul Anjali bereits mit einem Blick, der sie fast in den Wahnsinn trieb. Irgendwann wurde es ihr schließlich zu bunt. „Okay, was soll das?! Wieso starren Sie mich schon die ganze Zeit über so penetrant an?“, wollte sie wissen und schaute ihn herausfordernd an. „Ich frage mich nur, ob du noch pünktlich zu deinem wichtigen Termin am Freitag gekommen bist...“, entgegnete er, wobei Anjali die ironische Art und Weise, mit der er den `wichtigen Termin´ betonte, nicht entging. Sie beschloss jedoch, dies zu ignorieren. „Pünktlich nicht, aber rechtzeitig.“, erwiderte sie und wartete gespannt auf seine Reaktion, da sie fand, dass er sich heute überaus merkwürdig verhielt. „Dann ist ja gut...“, meinte er allerdings nur und widmete sich dann wieder seiner Arbeit. Skeptisch beäugte Anjali ihren Chef und wunderte sich sehr. „Sind sie sicher, dass bei Ihnen alles in Ordnung ist? Sie sind heute irgendwie seltsam...“, stellte sie fest, auch wenn sie nicht damit rechnete, eine ordentliche Antwort zu bekommen. „Nun ja...“, begann er und lehnte sich in seinem Stuhl zurück – ganz so, als ob er nur darauf gewartet hatte, dass sie ihm diese Frage stellte. „Mir war nur nicht bewusst, dass Dates heutzutage als wichtige Termine bezeichnet werden.“ Seine Worte machten Anjali für einen Moment sprachlos und der vorwurfsvolle und kampfeslustige Unterton in seiner Stimme gaben ihr den Rest. „Ähm... Wie... Wie bitte?“, presste sie heraus und war sich nicht sicher, ob sie gerade richtig verstand, worauf er hinaus wollte. „Also wichtige Termine beginnen – zumindest bei mir – nicht damit, dass ich der Person, mit der ich mich treffe, um den Hals falle...“, stichelte er weiter und verschränkte die Arme vor der Brust, während er sie herausfordernd ansah. „Ähm... Ich... Haben Sie mir etwa nachspioniert?!“, wollte Anjali fassungslos wissen. „Nein.“, erwiderte er jedoch nur ganz lapidar. „Wenn du nicht gesehen werden willst, solltest du so etwas nicht mitten auf der Straße tun.“

Ungläubig starrte Anjali ihn an. „Ich verstehe ganz ehrlich gesagt gerade überhaupt nicht, worauf Sie überhaupt hinaus wollen. Ich habe...“, begann sie, doch Rahul fiel ihr ins Wort. „Das hätte mich auch gewundert. Aber lassen wir das und kommen zu einem anderen Thema. Ich habe morgen ein wichtiges Geschäftsessen und ich möchte, dass du mich begleitest.“ Sein völlig abrupter Themenwechsel warf sie schließlich vollends aus der Bahn. Was war nur los mit ihm? Sie hatte ja von Anfang an gedacht, dass er seltsam war, doch sein heutiges Verhalten setzte dem nun die Krone auf.

„Ein... Ein Geschäftsessen? Wieso...?“, brachte sie hervor und fühlte sich vollkommen durch den Wind. „Du bist meine Sekretärin. Wo liegt da das Problem?“, entgegnete er sachlich. „Ich... Es gibt kein Problem... Ich werde... Sie begleiten...“, antwortete sie, fühlte sich aber gar nicht wohl dabei. „Wunderbar. Wenn das geklärt ist, können wir ja jetzt weitermachen.“, beendete er das Gespräch und vertiefte sich wieder in die Akte, die er vor sich liegen hatte.

Anjali dagegen fühlte sich plötzlich außer Stande, jetzt weiterzumachen. Er hatte sie zu sehr verwirrt und sie beschloss, in ihrer Mittagspause sofort zu Mili zu gehen und ihr alles zu erzählen. Als Außenstehende konnte sie sicher besser beurteilen, was mit Rahul los war.
 

„Er ist eifersüchtig. Das ist doch ganz offensichtlich, Anju.“, stellte Mili ohne jeden Zweifel fest, nachdem Anjali in ihrer Pause zu ihr an die Rezeption gekommen war und ihr die ganze Geschichte erzählt hatte.

Anjali wollte gerade protestieren, doch als sie einen Moment über Milis Worte nachdachte, schien die Sache tatsächlich klar auf der Hand zu liegen. „So ein Mist. Wieso ist mir das denn vorhin bloß nicht aufgefallen?!“, ärgerte sich Anjali. „Das ist doch gar nicht so schlimm. Im Gegenteil... das kannst du doch perfekt zu deinem Vorteil ausnutzen.“, merkte Mili daraufhin verschwörerisch an und fügte hinzu, als sie Anjalis fragenden Blick sah: „Sieh es doch mal so: Khanna denkt, du wüsstest nicht, dass er eifersüchtig aus. Das heißt, er wähnt sich noch auf der sicheren Seite, denn Eifersucht ist doch in diesem Fall eindeutig eine Schwäche von ihm. Du hast ihn in der Hand, wenn du es denn nur willst...“ Anjali wusste, dass da nun sicher nichts Gutes folgen würde, doch Milis Plan interessierte sie doch sehr. „Und wenn ihr beiden dann morgen Essen geht, wirst du dich so richtig in Schale werfen und ihm ganz subtil all deine Vorzüge unter die Nase reiben. Und er wird wissen, dass er dich niemals haben kann. Das wird ihn wahnsinnig machen. Aber das Beste an der Sache ist: Du hast komplett die Fäden in der Hand.“, schloss Mili ihre Ausführungen und konnte sich ihr überlegenes Siegerlächeln nicht verkneifen.

Einen Moment herrschte Stille – bis Anjali schließlich meinte: „Mili, du bist... Das ist... genial! Die perfekte Gelegenheit, es ihm endlich heimzuzahlen!“ Sie war ehrlich begeistert von dem Plan – auch wenn sie es an sich nicht mochte, sich so übertrieben aufzustylen. Doch der Zweck heiligte die Mittel und dieses Mal war es das definitiv wert.

„Aber pass auf, dass du es nicht übertreibst. Er darf nicht merken, dass du bloß mit ihm spielst. Sei schön subtil...“, riet Mili ihr. „Ich spiele doch nicht mit ihm!“, wandte Anjali ein. „Ich zahle ihm nur ein bisschen was von dem zurück, was er mir angetan hat.“ „Nenn es, wie immer du willst, aber achte auch darauf, dass er dich nicht wieder betrunken macht. Wer weiß, was dieses Mal passieren würde, wenn du ihn vorher so scharf gemacht hast...“, gab Mili daraufhin zurück und grinste breit. „Ich bitte dich... So dumm werde ich ganz bestimmt nicht noch einmal sein.“ „Das sagtest du nach dem ersten Mal auch schon. Und dann kam das Hotelzimmer...“, gab Mili zu bedenken. „Und dieses Mal geht ihr in ein Restaurant. Kerzenschein, gutes Essen... Dazu gibt es ein Glas Wein. Oder auch zwei. Da kommt der Schwips schneller als du denkst.“ Anjali rollte mit den Augen. „Du scheinst da wohl aus Erfahrung zu sprechen, hai na?“, neckte sie ihre Freundin. „Kein Kommentar.“, gab diese daraufhin nur vielsagend zurück. „Pass du nur auf, dass dir das morgen nicht passiert.“ Nach diesen Worten und einem Augenzwinkern deutete sie auf ihre Armbanduhr und machte Anjali damit verständlich, dass die Mittagspause vorbei war und sie zurück an ihren Arbeitsplatz gehen sollte.

Das Geschäftsessen

„Vergiss nicht: Subtil bleiben! Ein etwas anzüglicher Blick hier, eine zufällige Berührung da... Mehr nicht! Samajha gayi, Anju?“, ermahnte Mili Anjali noch einmal, woraufhin sie etwas genervt erwiderte: „Ich habe es auch schon nach den ersten fünfzig Mal begriffen...“

Mili meinte es eindeutig zu gut mit ihren Ratschlägen, zumal Anjali schon nervös genug war. Rahul musste gleich da sein, um sie abzuholen und sie war sich plötzlich nicht mehr so sicher, ob sie ihren Plan wirklich durchziehen wollte. Mili hatte sie mit allem, was sie hatte, aufgestylt und hübsch gemacht, doch innerlich fühlte sie sich alles andere als bereit für diesen Vergeltungsschlag.

Ihre Gedanken wurden jedoch von der Türglocke unterbrochen. „Khanna ist da!“, rief Mili daraufhin unnötigerweise aus und drückte Anjali daraufhin ihre Tasche in die Hand, um sie anschließend mit den Worten „Viel Glück, Anju!“ zur Wohnungstür hinauszuschieben.

Mit geschlossenen Augen atmete Anjali noch einmal tief durch, bevor sie sich auf den Weg nach unten machte. Mili hatte ihr versprochen, in ihrer Wohnung auf sie zu warten bis sie wieder nach Hause kam und das beruhigte sie ein wenig.

Sie wollte gerade den letzten Treppenabsatz heruntergehen, als sie sah, dass Rahul (1) bereits im Hausflur auf sie wartete. Überrascht blieb sie einen Moment stehen, als er sich umdrehte und sein Blick auf sie (2) fiel. Seine Augen weiteten sich für einen Moment vor Erstaunen, denn sie sah noch viel besser aus, als er es sich hätte vorstellen können. Er wollte ihr seine Bewunderung allerdings nicht so offen zeigen und so lächelte er ihr nur zu und hielt ihr galant seine Hand hin, um ihr beim Herabsteigen der letzten Stufen zu helfen. Mit einem kurzen Lächeln nahm sie seine Hilfe an und ließ sich dann von ihm zu seinem Wagen führen.

Nachdem sie eingestiegen war, nutzte sie die kurze Zeit, die Rahul brauchte, um um den Wagen herumzulaufen, um tief durchzuatmen und ihren Herzschlag, den Rahuls Anblick hochgetrieben hatte, wieder zu beruhigen. Sie wusste nicht genau, was es war, aber er sah heute sogar noch besser aus als sonst. Wenn sie ihn nicht gekannt und gewusst hätte, was für ein Idiot er war, hätte die Gefahr bestanden, dass sie bei ihm tatsächlich schwach geworden wäre. Aus diesem Grund musste sie sich auch wieder ins Gedächtnis zurückrufen, was für ein mieser Möchtegern-Casanova er war und dass sie hier war, um ihm seine Schandtaten heimzuzahlen.

Während der Fahrt redeten sie nicht viel und das war beiden auch recht so, denn Rahul war noch immer wie benebelt von Anjalis Aussehen und Anjali kämpfte weiterhin mit sich wegen ihres Planes. Ihre Selbstsicherheit war mit einem Mal wie weggeblasen und sie musste sich erst wieder Mut zu sprechen, bevor sie an irgendwelche anderen Aktionen denken konnte.
 

Als sie nach einer halben Stunde schließlich am Restaurant angekommen waren, staunte Anjali nicht schlecht. Es befand sich in einem der edelsten Viertel von ganz London und strahlte bereits durch seine reich verzierte Fassade unheimliche Klasse aus. Drinnen war es denn auch sehr edel eingerichtet und man hatte an der großen Fensterfront einen wunderbaren Blick auf die Themse und die nächtlich beleuchtete Stadt.

Ein Kellner brachte die beiden zu ihrem noch leeren Vierertisch und so war klar, dass sie die ersten waren. Sie nahmen Platz und bestellten sich vorerst nur etwas zu trinken, da sie mit dem Essen noch auf ihre Geschäftspartner warten wollten.
 

Nachdem ihnen ihre Getränke gebracht wurden, herrschte ein paar Minuten lang Stille zwischen ihnen. Anjali nutzte diese Zeit, um sich noch ein letztes Mal Mut zuzusprechen und dann endlich damit anzufangen `subtil sexy´ zu sein.

Sie schlug die Beine übereinander und streifte dabei – ganz zufällig natürlich – mit ihrem Fuß an Rahuls Wade entlang. „Verzeihung...“, meinte sie daraufhin sofort und schaute ihn entschuldigend an. Dabei achtete sie allerdings darauf, dass in ihrer Stimme und ihrem Blick ein kleiner Hauch Verführung mitschwang. Rahul winkte daraufhin lächelnd ab und schien sich nicht aus der Ruhe bringen zu lassen. Irgendetwas an seinem Blick ließ Anjali jedoch ahnen, dass ihr Plan bereits erste kleine Früchte trug.

Nachdem daraufhin wieder für einige Momente Stille eingetreten war, meinte Rahul schließlich: „Kann ich es als Kompliment auffassen, dass du dich für heute Abend viel hübscher gemacht hast, als für deinen wichtigen Termin letzten Freitag?“ Mit dieser Bemerkung brachte er sie für eine Sekunde aus der Fassung. Sie konnte nicht fassen, dass er schon wieder mit diesem Thema anfing. Doch bei genauerer Betrachtung bemerkte sie, dass ihr das sehr gelegen kam.

„Heute ist ein geschäftlicher Termin. Am Freitag war das meine Privatangelegenheit. Das sollte man doch trennen können.“, bemerkte sie spitz und nahm mit aufreizendem Blick einen Schluck von ihrem Wasser. Sie würde sich von ihm nicht aus der Reserve locken lassen – nicht heute.

„Und wenn das hier ebenfalls privat wäre?“, hakte er nach und schaute sie mit einem mehrdeutigen Lächeln auf den Lippen an. „Was soll das heißen?“, antwortete Anjali mit einer Gegenfrage und wurde misstrauisch. Durch einen kurzen Blick auf ihre Uhr stellte sie fest, dass die erwarteten Geschäftspartner bereits fast 30 Minuten zu spät waren und sie begann sich zu fragen, ob sie überhaupt noch kommen würden bzw. ob das hier jemals ein Geschäftsessen werden sollte.

„Das soll gar nichts bedeuten. Ich habe lediglich eine Was-wäre-wenn-Frage gestellt. Du solltest nicht immer jedes meiner Worte auf die Goldwaage legen...“, entgegnete Rahul und zwinkerte ihr zu. Als er allerdings sah, dass sie ihn weiterhin misstrauisch musterte, fügte er hinzu: „... Was ich jedoch eigentlich damit sagen wollte... Du siehst heute noch umwerfender aus als sonst, Anjali...“

Auch wenn sie es nicht wollte und ihr bewusst war, dass er nur versuchte, das Thema zu wechseln, so fühlte sie sich von seinen Worten doch geschmeichelt. Und sie nutzte die Situation sofort aus, um zum Gegenschlag auszuholen. „Vielen Dank... Sie sehen heute aber auch sehr gut aus. Der Anzug betont Ihre...“, begann sie, wurde allerdings in diesem Moment von zwei gut gekleideten Männern mittleren Alters, die sich als die Geschäftspartner entpuppten, unterbrochen. Daraufhin zog sie auch schnell ihre rechte Hand wieder zurück, die sie vorsichtig in Rahuls Richtung geschoben hatte, um mit ihren Fingern über seinen Handrücken zu streicheln.

Es folgte eine kurze Begrüßung und die Männer nahmen Platz. Anjali wunderte sich, dass sie sich nicht für ihr Zuspätkommen entschuldigten, doch maß dem keine weitere Bedeutung zu.
 

Das Essen verlief denn auch sehr angenehm. Die Männer gehörten zu einem Architekturbüro, dem Rahul einen Auftrag zur Umgestaltung einiger Hotelzimmer übertragen wollte. Die Vorstellungen beider Parteien deckten sich und so war ein Vertragsabschluss bald eine sichere Sache.

Während des Gesprächs hörte Anjali aufmerksam zu und gab ihre Meinung zu verschiedenen Themen ab, wenn sie gefragt wurde. Jedoch achtete sie auch darauf, Rahul weiterhin eindeutig-zweideutige Zeichen zu geben. Sie griff zur gleichen Zeit wie er nach einem Stück Brot aus dem Brotkorb und berührte dabei zufällig seine Hand. Oder sie schenkte ihm aufmerksame Blicke, wenn er redete. Ließ dabei allerdings ein anzügliches Funkeln in ihren Augen erscheinen, das nur er bemerken konnte. Sie stellte bald fest, dass ihr Tun Wirkung zeigte. Doch wenn Rahul versuchte, mehr in ihren Blicken zu lesen oder er näher an sie heran rückte, tat sie so, als bemerkte sie es nicht oder blockte einfach ab. Ihr machte das unerwartet großen Spaß – vor allem da es unter den unwissenden Augen der beiden Geschäftspartner stattfand.

Als Anjali sich schließlich zwischen dem Hauptgang und dem Dessert frisch machen ging, ahnte sie nicht, dass Rahul ihr folgte.
 

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In die Ecke gedrängt

Anjali erschrak, als sie aus dem Badezimmer kam und Rahul plötzlich vor ihr stand. Er nahm sie ohne ein Wort bei der Hand und zog sie in eine ruhige Ecke, wo er sie mit dem Rücken gegen die Wand drückte. Er war kaum mehr als zehn Zentimeter von ihr entfernt, als er mit belegter Stimme fragte: „Was soll das werden, Anjali?“ Ihr Herz schlug ihr vor Aufregung und wegen seiner Nähe beinahe bis zum Hals, doch sie zwang sich ruhig zu bleiben und ahnungslos zu tun.

„Ich weiß nicht, was Sie meinen...“, erwiderte sie und schaute ihn mit großen Augen an. „Anjali...“, flüsterte er daraufhin mit drohend anmutendem Unterton und beugte sich weiter zu ihr vor, so dass seine Lippen direkt neben ihrem Ohr waren. „Ich schwöre dir, dass ich dich auf der Stelle nehmen und in meine Wohnung bringen werde, wenn du nicht damit aufhörst. Und wenn wir dort sind, wird es mich nicht im Geringsten interessieren, ob du einen Freund oder sonst irgendetwas hast...“ Seine Stimme klang rau und schickte Anjali Schauer über den ganzen Körper, während sein flach gehender Atem heiß über die Haut ihres Halses streifte.

Sie versuchte verzweifelt, Ruhe zu bewahren und ihn und seine Worte nicht an sich herankommen zu lassen, doch es war zwecklos. Ihr Puls beschleunigte sich, Hitze stieg in ihre Wangen und ihr Bauch begann zu kribbeln. Sie hasste es, doch sie war machtlos dagegen. Sein Aftershave benebelte ihre Sinne, während er langsam eine Hand um ihre Hüfte schob und seinen Körper näher an ihren drückte. Als er allerdings begann, sanft an ihrem Ohrläppchen zu knabbern, schaffte sie es, ihr letztes bisschen Verstand zusammenzukratzen und sich seinen Lippen zu entziehen.

„... Indem Sie jetzt von mir ab lassen, könnten Sie mir zeigen, dass Sie doch noch ein klitzekleines bisschen Anstand besitzen. Das ist eine einmalige Chance, Mister Khanna...“, brachte sie mit gedämpfter Stimme hervor und legte ihre Hände auf seine Schultern, um ihn ein Stück von sich wegzudrücken. Sie suchte seinen Blick und schaute ihm fest in die Augen. In ihr tobte es, doch nach außen hin schaffte sie es, einen vollkommen ruhigen Eindruck zu machen.

Rahul überlegte und musterte sie dabei aufmerksam, bevor er den Griff um ihre Hüfte noch einmal verstärkte und sich zu ihr herunter beugte. Noch ehe Anjali reagieren konnte, spürte sie seine Lippen auf ihren und bekam den zärtlichsten und gleichzeitig leidenschaftlichsten Kuss ihres Lebens. Sie war sprachlos, als Rahul sich wieder von ihr löste und mit einem Augenzwinkern meinte: „Aber wenigstens den warst du mir schuldig...“ Damit drehte er sich um und ging zurück in den Essbereich des Restaurants. Anjali ließ er dabei völlig fassungslos und durcheinander zurück.
 

Für die restliche Dauer des Essens würdigte Anjali Rahul keines Blickes mehr. Sie war verwirrt und wütend – auf Rahul und auch auf sich selbst. Sie wäre am liebsten auf der Stelle nach Hause gefahren, um in Ruhe ihre Gedanken ordnen zu können, doch sie wusste, dass sie noch ein wenig durchhalten musste. Dies war schließlich keine Spaßveranstaltung, von der man einfach so verschwinden konnte.
 

Als das Dessert schließlich überstanden war und die Rechnungen angefordert wurden, schickte sie innerlich ein Dankesgebet gen Himmel. Als schließlich der Kellner kam, wollte sie gerade ihre Geldbörse herausholen, als Rahul schon für sie bezahlte. Sie wartete allerdings noch bis die beiden Geschäftspartner sich verabschiedet hatten und gegangen waren bis sie Rahul deswegen anfuhr.

„Was soll denn das?!“, wollte sie wissen, während sie auf dem Weg nach draußen waren. „Was genau meinst du?“, entgegnete Rahul und schien seine Frage ernst zu meinen. „Dass Sie für mich bezahlen, ist wirklich unangebracht. Ich bin ein eigenständiger Mensch und...“ „Das will ich auch gar nicht bestreiten, aber ich habe dich zu diesem Essen eingeladen. Also ist es doch auch eine Selbstverständlichkeit, dass ich deine Rechnung übernehme.“, unterbrach er sie und machte damit klar, dass er darüber keine weitere Diskussion führen wollte. Anjali drehte sich daraufhin beleidigt weg und entlockte Rahul damit ein amüsiertes Schmunzeln.

„Ich hoffe jedenfalls...“, setzte er nach wenigen Augenblicken an, merkte in diesem Moment jedoch, dass Anjali plötzlich nicht mehr neben ihm lief. Suchend schaute er sich um und sah sie an einem Taxistand vor dem Restaurant stehen und sich mit einem Fahrer unterhalten. Schnellen Schrittes ging er zu ihr, nahm sie am Arm und zog sie von dem Mann weg.

„Was soll denn das werden?“, fragte Rahul und musterte sie verständnislos. „Ich nehme mir ein Taxi. Wonach sieht es denn aus?!“, entgegnete sie trotzig und befreite sich mit einem Ruck aus seinem Griff. „Und wieso bitteschön? Es ist doch selbstverständlich, dass ich dich nach Hause fahre.“ „Nach Ihrer Aktion vorhin bin ich dem gegenüber aber gänzlich abgeneigt, Mister Khanna.“, meinte sie überförmlich und verschränkte die Arme vor der Brust. „Sei nicht albern. Ich werde dich ganz sicher nicht mitten in der Nacht alleine in einem Taxi nach Hause fahren lassen...“ „Dann kommen Sie doch mit.“, schnitt Anjali ihm bissig das Wort ab. Daraufhin ging Rahul ohne einen Moment zu zögern an ihr vorbei zu dem Taxifahrer, unterhielt sich kurz mit ihm und stieg dann in den Wagen. Anjali starrte ihm völlig überrumpelt hinterher und rührte sich erst wieder, als Rahul ihr aus dem Auto heraus zurief, dass sie endlich kommen sollte.
 

„Das ist wirklich absolut unnötig...“, grummelte Anjali vor sich hin und starrte mit verschränkten Armen aus dem Taxifenster. „Da gebe ich dir vollkommen Recht, aber wenn das der einzige Weg ist, dich sicher nach Hause zu bekommen, dann kann ich damit leben.“, entgegnete Rahul und beobachtete, wie sich die unzähligen Lichter des nächtlichen Londons ins Anjalis Haaren spiegelten. Als sie sich allerdings zu ihm herumdrehte, wendete er seinen Blick schnell ab. „Sie sind wirklich ein ganz schrecklicher Mensch. Sie müssen immer das bekommen, was Sie wollen, nicht wahr?“, wollte sie wissen und schaute ihm grimmig in die Augen. „Und wieso macht mich das zu einem schrecklichen Menschen? Ich nenne das einfach nur `zielstrebig´“, antwortete er. „Es ist doch ein wunderbares Gefühl, wenn man nach vielen Hürden und Mühen endlich das erreicht, was man sich vorgenommen hat.“ Anjali wollte ihm widersprechen, doch sie stellte fest, dass er im Grunde genommen Recht hatte. „... Aber Ihre Methoden sind mehr als zweifelhaft...“, gab sie also nur zurück und wendete ihren Blick wieder von ihm ab und auf die Straße. „Auch das habe ich nie abgestritten.“, meinte er. „Ich mag in deinen Augen vielleicht ein schrecklicher Mensch sein, aber ich bin wenigstens ehrlich. Diese Qualität haben heutzutage nicht mehr besonders viele Menschen – vor allem nicht in meiner Position.“ Und wieder hatte er Recht. Anjali seufzte und fühlte sich mit einem Mal hundemüde.

Sie war heilfroh, als das Taxi wenige Minuten später anhielt und sie endlich an ihrer Wohnung angekommen waren.

Kaum war das Taxi zum Stehen gekommen, hatte Anjali auch schon ein paar Geldscheine gezückt und dem Fahrer in die Hand gedrückt. „Ich zahle selbst.“, meinte sie fest entschlossen an Rahul gewandt und schaute ihn grimmig an. „Selbstverständlich.“, entgegnete er daraufhin ungerührt. „Wegen deiner Sturheit mussten wir schließlich erst ein Taxi nehmen. Da ist es nur gerecht, wenn du die Kosten übernimmst.“ Sie wusste, dass er Recht hatte, doch da sie alles andere als gewillt war, das zuzugeben, schnaufte sie nur verächtlich und stieg aus dem Wagen.

Als Rahul ihr folgte und das Taxi daraufhin davon fuhr, schaute Anjali ihn nur irritiert an und fragte: „Müssen Sie nicht zurück zum Restaurant und Ihren Wagen holen?“ „Natürlich. Aber dafür kann ich mir später ein neues Taxi rufen.“, antwortete er und schob seine Hände in die Hosentaschen. „Und worauf wollen Sie noch warten? Ich werde mich jetzt jedenfalls verabschieden und in meine Wohnung gehen.“ „Und ich werde noch mit raufkommen, um...“ „Nein!“, fiel Anjali ihm schnell ins Wort. „Wofür? Außerdem sitzt oben eine Freundin von mir und wartet auf mich.“ „Das ist wirklich eine billige Ausrede, Anjali...“ stellte Rahul fest. „Meinst du nicht, dass wir mal miteinander reden sollten...?“

Seine Worte irritierten Anjali, doch sie wollte sich nicht beirren lassen. „Das ist keine Ausrede. Gute Nacht.“, meinte sie knapp und wollte sich umdrehen, um zu gehen, doch Rahul stoppte sie, indem er sie an der Hand festhielt und mit einem leichten Ruck zu sich herum in seine Arme drehte. „Anjali, ich will dich...“, raunte er mit gesenkter Stimme, während er seine Hände um ihre Taille schob und ihren Körper näher an sich heran drückte.

Anjalis Puls beschleunigte sich und sie fragte sich, womit sie das nur verdient hatte. Sie konnte verstehen, dass so viele Frauen bei Rahul schwach wurden, denn sein Charme und seine Ausstrahlung waren beinahe unwiderstehlich, doch sie selbst wollte auf diese Fassade nicht hereinfallen – am Ende spielte er schließlich doch bloß mit den Herzen, die ihm zuflogen und so etwas konnte sie auf den Tod nicht ausstehen.

Sie hob ihre Arme und legte ihre Hände auf seine Brust, um sich ein Stück von ihm wegzudrücken. „Mister Khanna, bitte... Hören Sie auf damit... Ich bin es leid, Sie ständig abweisen zu müssen...“, bat sie, schaffte es allerdings nicht, ihm dabei in die Augen zu sehen. „Dann tu es doch nicht...“, entgegnete er leise und beugte sich weiter zu ihr vor, sodass sich ihre Nasenspitzen berührten. „Und dann?“, wollte Anjali wissen und drehte ihren Kopf zur Seite. „Damit Sie mich wie all die anderen wieder abschieben, wenn ich Ihnen langweilig geworden bin?“ Sie befreite sich langsam aus seiner Umarmung und meinte dann mit festem Blick in seine Augen: „Dafür bin ich mir zu schade.“ Mit diesen Worten drehte sie sich um und ließ ihn alleine auf der Straße stehen.
 

„Oh mein Gott, Anju, das war perfekt!“, rief Mili aus, nachdem Anjali ihr den Verlauf des gesamten Abends geschildert hatte. „Jetzt hast du ihn doch genau dort, wo du ihn haben wolltest!“ „Ach ja? Wo wollte ich ihn denn haben?“ erkundigte Anjali sich, während sie sich mit einem Wattepad das Make up vom Gesicht entfernte. „Er ist jetzt nicht mehr nur eifersüchtig, sondern auch in seiner Ehre gekränkt. Ich meine, so wie bei dir heute ist er ganz sicher bei noch keiner abgeblitzt.“, erklärte Mili freudig. Anjali musterte ihre Freundin daraufhin skeptisch und stellte fest: „ich denke nicht, dass es noch normal ist, wie viel Spaß es dir macht, Männer zu quälen.“ Mili ignorierte diesen Einwurf und fuhr fort: „Dass du ihn dich hast küssen lassen, war zwar nicht unbedingt das Klügste, aber so weiß er wenigstens, was er verpasst. Wenn du...“ „Mili, ich habe keine Lust mehr auf diesen ganzen Zirkus.“, unterbrach Anjali sie. „Das ist mir alles zu anstrengend.“ Mili überlegte einen Augenblick und gestand dann ein: „Na gut, lassen wir das. Es gibt schließlich auch noch Harish. Mit dem wirst du wenigstens glücklich.“ Mit diesem Worten und einem kurzen Kuss auf Anjalis Wange verabschiedete Mili sich schließlich und machte sich auf den Heimweg.

Anjali saß indes da und fühlte sich wie vor den Kopf gestoßen. Sie lehnte sich auf ihrer Couch zurück und starrte an die Decke. Harish. An ihn hatte sie keine einzige Sekunde an diesem Abend gedacht.

Anjalis Freund

Anjali lag die halbe Nacht wach, um ein wenig Ordnung in ihre völlig verworrenen Gedanken und Gefühle zu bringen. Ihr kam es vor, als ob nach diesem Abend – und vor allem nach Rahuls Kuss im Restaurant – plötzlich alles Kopf stand. Sie mochte Rahul immer noch nicht, aber wenn sie daran dachte, wie sanft und gleichzeitig fordernd seine Lippen ihre bedeckt hatten, spürte sie dasselbe Kribbeln wie sie es zuvor bei Harish empfunden hatte. Und die einzige Erklärung, die sie dafür fand, war, dass es ihr gefiel, wenn er sie küsste. Sie hasste es, sich das eingestehen zu müssen, doch es hatte keinen Sinn, es weiterhin zu leugnen. Was sie mit dieser Erkenntnis nun allerdings anfangen sollte, wusste sie auch nicht. Im Gegenteil: Sie machte alles nur noch komplizierter.

Seufzend warf Anjali sich von einer Seite des Bettes auf die andere. Sie hatte nicht die geringste Ahnung, was sie jetzt tun und wie es weitergehen sollte. Ihr würde wohl oder übel nichts anderes übrig bleiben, als abzuwarten und alles auf sich zukommen zu lassen.
 

Der nächste Tag begann damit, dass Anjali eine Notiz auf ihrem Schreibtisch fand, dass Rahul bis zum späten Nachmittag unterwegs sein würde. Sie war erleichtert, denn so hatte sie wenigstens noch ein wenig Zeit, um in Ruhe an dem Projekt weiterzuarbeiten, ohne sich über Rahul Gedanken machen zu müssen.

Die Stunden vergingen allerdings wie im Fluge und so war Rahul auch schneller wieder da, als Anjali gehofft hatte. Zu ihrer Überraschung begrüßte er sie jedoch nur kurz angebunden und setzte sich anschließend ohne ein weiteres Wort zu ihr an den Tisch, um ebenfalls seine Arbeit wieder aufzunehmen.
 

Es dauerte eine halbe Stunde – in der Anjali das Gefühl hatte, mit jeder Minute angespannter und unkonzentrierter zu werden – bis Rahul ein Gespräch begann.

„Willst du wissen, worüber ich mir heute den ganzen Tag Gedanken gemacht habe?“, fragte er eher rhetorisch. „Nur, wenn es um das Projekt geht.“, entgegnete Anjali uninteressiert und schaute nicht einmal von dem Ordner auf, den die gerade durcharbeitete. „Ich habe mich gefragt, wie wohl unsere Hochzeit sein wird.“, erzählte er und ignorierte ihre Antwort dabei völlig. „Nur wir zwei und unsere engsten Verwandte und Freunde oder eine riesige Feier mit hunderten von Gästen...? Was meinst du?“

Anjali hob den Kopf und schaute ihn völlig entgeistert an. „Bitte... Bitte was??!“ brachte sie mit halb offenem Mund hervor.

„Ich denke, eine große Feier wäre angebrachter. Ich bin schließlich der Manager eines riesigen Hotels.“, stellte er fest und redete weiter ohne Anjali auch nur die geringste Beachtung zu schenken. „Und mit dir als meine Braut ist es doch selbstverständlich, dass ich der ganzen Welt zeige, dass ich heirate...“ Ein Lächeln umspielte seine Lippen und sein in die Ferne schweifender Blick zeigte, dass er sich die ganze Szenerie wohl gerade ganz genau ausmalte.

„Mister Khanna! Wovon reden Sie da bitte?! Das...“, begann sie und konnte dabei nicht verhindern, dass ihr die Röte ins Gesicht schoss. Was war denn nun plötzlich in ihn gefahren?

„Nicht doch. Du musst doch nicht rot werden. Spar dir das lieber für unsere Hochzeitsnacht auf...“, meinte er daraufhin mit einem schelmischen Grinsen und brachte Anjali damit zum Platzen. „Ich weiß nicht, was das nun schon wieder für ein dummer Scherz sein soll, aber ich finde das wirklich überhaupt nicht komisch!“, fuhr sie ihn an und stand mit einem Ruck auf. „Scherz? Das ist kein Scherz.“, entgegnete Rahul und schaute sie verwundert an. „Du meintest gestern Abend zu mir, dass du Angst hast, dass ich dir nur rumkriegen will. Und um dir zu beweisen, dass ich es ernst meine...“ „... reden Sie von Heirat?!“, fiel sie ihm aufgebracht ins Wort. „Das ist eine verdammt große Sache, mit der man nicht solche dummen Späße treiben sollte. Immer wenn ich denke, Sie können nicht noch schlimmer sein, beweisen Sie mir das Gegenteil. Sie sind wirklich unglaublich!“

Mit diesen Worten drehte sie sich um und ging festen Schrittes Richtung Tür. Rahul folgte ihr. „Anjali, ich verstehe dich nicht. Ich habe die ganze Nacht darüber nachgedacht und ich bin mir wirklich sicher, dass...“ „... Sie mich heiraten wollen?! Dass ich nicht lache.“, entgegnete sie spitz und machte mit einem heftigen Ruck die Tür auf. Und mit einem Mal stand plötzlich Harish vor ihr.

„Hi!“, meinte Harish lächelnd, während Anjali versuchte, ihre Gesichtszüge vor Überraschung nicht entgleiten zu lassen. „Hi! ... Was… Was machst du denn hier?“, brachte sie schließlich in dem Bestreben heraus, möglichst ungezwungen zu klingen. „Ich wollte dich überraschen. Deine Freundin an der Rezeption meinte, ich kann einfach durchgehen. Ich hoffe, ich störe nicht...?“, antwortete er und warf eine fragenden Blick zwischen ihr und Rahul hin und her. „Nein, nein, keine Angst. Ich wollte sowieso gerade gehen.“, meinte sie daraufhin hastig und machte einen Schritt nach vorn, sodass sie neben ihm stand.

„Ähm... Das hier ist übrigens mein Chef. Mister Khanna.“, stellte sie Rahul anstandshalber vor und deutete mit einer kurzen Geste in seine Richtung. Die beiden Männer gaben sich daraufhin die Hand. „Und das ist Harish. Er ist...“, begann sie an Rahul gewandt, doch Harish unterbrach sie. „Ich bin ihr Freund.“, meinte er lächelnd und ließ damit unbewusst den bisher so überlegenen Ausdruck in Rahuls Augen verschwinden. Auch Anjali war für einen kurzen Augenblick perplex. Hatte er gerade wirklich gesagt, dass er ihr Freund war? Und meinte er es vor allem so, wie es klang?

Schnell warf sie einen Blick auf Rahul und konnte sofort sehen, wie es in ihm brodelte. Harish schien das jedoch nicht aufzufallen, denn er drehte sich zu Anjali um und fragte: „Wollen wir uns dann auf den Weg machen? Ich habe ein indisches Geschäft entdeckt, dass diese Ladoos verkauft, die du so liebst.“ Anjali zögerte Rahul ansehend einen kurzen Moment, willigte dann jedoch ein und verließ nach einer flüchtigen Verabschiedung mit Harish das Büro.

Rahul stand jedoch da wie versteinert. Dieser Bursche war tatsächlich ihr Freund? Er konnte es nicht fassen. Was fand Anjali nur an ihm? Er hatte einen furchtbaren indischen Dialekt und sein jugendliches Gesicht ließ ihn viel jünger wirken, als er in Wirklichkeit wahrscheinlich war. Anjali konnte doch nicht allen Ernstes einen so schlechten Geschmack haben. Wenn Rahul nur daran dachte, dass dieser Kerl – im Gegensatz zu ihm selbst – sie berühren und küssen durfte ohne sofort eine Ohrfeige zu kassieren, hätte er an die Decke gehen können. Doch so einfach wollte er sich nicht geschlagen geben. Anjali war in seinen Augen perfekt für ihn und so einfach und kampflos würde er sie keinem anderen überlassen.

Schnaufend drehte er sich um und ging zurück in sein Büro. Er brauchte Ablenkung, denn die Vorstellung, wie Anjali und Harish sich verliebt anschauten und dabei gegenseitig mit Ladoos fütterten, brachte ihn beinahe um den Verstand.
 

„Hast du das vorhin wirklich ernst gemeint? Also die Sache, dass du mein Freund bist und...“, wollte Anjali vorsichtig wissen, als sie sich mit Harish und den frisch gekauften Ladoos auf einer Parkbank niederließ. „Ji. Ich hoffe, das war in Ordnung... Ich meine, ich dachte, dass wir beide nach unserem letzten Treffen...“, versuchte er, sich zu erklären und wirkte dabei plötzlich etwas verlegen. Anjali lächelte und legte ihm ihren Zeigefinger über die Lippen. „Ja, das war in Ordnung.“, meinte sie und rutschte nach kurzem Zögern näher an ihn heran, um ihn zu umarmen. Glücklich schloss er die Augen, während er ebenfalls seine Arme um sie legte und den angenehmen Pfirsichduft ihres Haares einsog.

Aufgedrängt

Rahul saß am nächsten Morgen wie auf heißen Kohlen. Anjali war bereits zwei Stunden zu spät und die Erklärungen, die ihm für dieses so untypische Verhalten in den Sinn kamen, gefielen ihm ganz und gar nicht. Wahrscheinlich hatte sie die Nacht mit diesem Harish verbracht und jetzt kamen sie vor lauter Liebe und Lust aufeinander gar nicht mehr aus dem Bett.

Nervös lief er in seinem Büro auf und ab. Sich mit Arbeit abzulenken, hatte er bereits nach zehn Minuten wegen mangelnden Erfolgs aufgegeben und so wartete er nun ungeduldig auf Anjalis Erscheinen oder zumindest einen Anruf von ihr.

Als schließlich nach zweieinhalb Stunden tatsächlich das Telefon klingelte und Anjali sich am anderen Ende der Leitung meldete, wollte er ohne Umschweife und Begrüßung wissen, was los war. „Ich habe mir heute Morgen den Knöchel verstaucht und bin mindestens noch diese Woche krankgeschrieben.“, erklärte sie und löste damit bei Rahul leichtes Entsetzen aus. „Was?! Anjali, das...“, begann er, unterbrach sich dann jedoch für einen Moment, um dann zu sagen: „Ich bin in spätestens einer Stunde bei dir. Bis dann.“ Ohne eine Antwort abzuwarten, legte er auf und machte sich sogleich daran, alle Unterlagen für das Projekt zusammenzusuchen.
 

Anjali saß auf ihrer Couch und starrte sprachlos ihren Telefonhörer an. Rahul hatte doch nicht allen Ernstes vor, jetzt zu ihr zu kommen? Das war ihr alles andere als recht, aber er hatte zu schnell aufgelegt, als dass sie noch rechtzeitig hätte reagieren können. Und wenn sie versuchte, ihn zurückzurufen, meldete sich nur sein Anrufbeantworter, der ihr sagte, dass Rahul den Rest des Tages nicht erreichbar sein würde.

Missmutig versuchte sie aufzustehen, um ihre Wohnung noch ein wenig auf Vordermann zu bringen, doch ihr schmerzender Knöchel machte ihr da einen Strich durch die Rechnung. So blieb ihr nichts anderes übrig, als fernsehend auf Rahul zu warten.
 

Als es nach eineinhalb Stunden schließlich an der Tür klingelte, überlegte sie einen Moment, einfach nicht aufzumachen, doch ihr Gewissen ließ das nicht zu. Sie drückte also den Türsummer und keine zwei Minuten später stand Rahul in ihrer Wohnung.

Er musterte Anjali aufmerksam von oben bis unten bis sein Blick an ihrem bandagierten Fuß hängenblieb. Ohne zu zögern beugte er sich daraufhin nach vorn, hob Anjali auf seine Arme und trug sie unter straken Protesten ihrerseits zu ihrer Couch.

„Was soll denn das?!“, wollte sie mit erhobener Stimme und rotem Gesicht wissen, nachdem er sie vorsichtig abgesetzt hatte. „Ich kann mir nicht vorstellen, dass du mit deinem verletzten Fuß herumlaufen darfst.“, gab er zurück, während er neben ihr Platz nahm und die beiden Aktenkoffer, die er bei sich hatte, auf den Couchtisch stellte. „Wie ist das überhaupt passiert?“ Anjali zögerte einen Moment, bevor sie antwortete. „Heute Morgen war das Treppenhaus frisch gewischt und da bin ich ausgerutscht und ein paar Stufen heruntergefallen.“, erklärte sie, wechselte dann jedoch sofort das Thema. „Und was genau wollen Sie jetzt hier? Sollten Sie nicht im Hotel sein und mit Hochdruck an dem Projekt weiterarbeiten? Der Abgabetermin ist schließlich schon in...“ „Genau deswegen bin ich hier.“, unterbrach er sie. „Wenn du nicht zur Arbeit kommen kannst, kommt die Arbeit eben zu dir. Ich schaffe den Rest unter keinen Umständen allein und jetzt noch jemand Neues einzuarbeiten würde zu viel Zeit in Anspruch nehmen.“ „Das heißt, Sie wollen, dass ich arbeite, obwohl ich krankgeschrieben bin?!“, schlussfolgerte Anjali alles andere als erfreut. „Ganz genau. Aber das wird dir als Heimarbeit angerechnet. Du musst dir wegen deines Gehalts also gar keine Gedanken machen.“ Mit diesen Worten stand er auf und verschwand in Anjalis Küchennische, um sich einen Kaffee zu kochen.

„Willst du auch einen Kaffee?“, rief er, während er die Küchenschränke nach Tassen durchsuchte. Als er fündig geworden war und sich umdrehte, stand Anjali jedoch plötzlich vor ihm und schaute ihn mit zusammengekniffenen Augen an. „Ich finde wirklich, Sie sollten jetzt gehen...“, knurrte sie, während sie sich am Küchentürrahmen festhielt und auf ihrem gesunden Fuß balancierte. „Und ich finde wirklich, dass du dich wieder hinsetzen solltest.“, entgegnete er mit schulmeisterlichem Ton und hatte sie in Windeseile wieder auf seine Arme gehoben, um sie ins Wohnzimmer auf die Couch zurückzubringen. „Du bleibst hier sitzen und ich mache uns beiden einen Kaffee. Dann können wir gerne diskutieren.“, legte er fest und ging zurück in die Küche.
 

Wenige Minuten später war die Luft von köstlichem Kaffeeduft erfüllt und Rahul gesellte sich wieder zur finster drein schauenden Anjali. Sie hatte ihre Arme vor der Brust verschränkt und schaute demonstrativ in eine andere Richtung, als er sich wieder neben sie setzte. „Also.“, begann er und stellte eine Tasse vor ihr auf den Tisch. „Wieso bist du nun schon wieder so wütend?“ „Sie können sich doch nicht einfach hier einnisten, um zu arbeiten. Ich bin krankgeschrieben und muss mich ausruhen. Ich kann mich jetzt nicht stundenlang mit Ihnen hier hinsetzen und Akten wälzen.“, sprudelte sie aufgebracht los. „Außerdem habe ich Schmerztabletten verschrieben bekommen, die Nebenwirkungen wie Müdigkeit und Benommenheit haben. Ich bin also gar nicht in der Lage, Ihnen zu helfen – selbst wenn ich wollte...“ „Das ist doch gar kein Problem. Ich kann den größten Teil auch allein machen, aber es ist wichtig, dass du mir bei den Zahlen und Kalkulationen helfen kannst. Deswegen ist es am praktischsten, wenn ich hier arbeite. So kannst du dich ausruhen, mir im Notfall aber auch helfen. Also was sagst du?“ Anjali gefiel sein Vorschlag eher weniger, doch was hatte sie für eine Wahl? Er würde so oder so keine Ruhe geben bis sie eingewilligt hatte. So ersparte sie sich also viel Zeit und Ärger und erklärte sich widerwillig einverstanden.
 

Anfangs beobachtete sie Rahul noch misstrauisch, doch bald fiel ihr auf, dass sie tatsächlich immer müder wurde bis sie schließlich wegnickte. Als Rahul das bemerkte, musterte er sie eingehend und musste wieder einmal feststellen, wie schön sie war. Er liebte es, wenn sie sich aufregte, doch wenn sie so friedlich dalag, hatte das auch etwas für sich. Ihre feinen Gesichtszüge waren entspannt und ihr Oberkörper hob und senkte sich leicht unter ihren gleichmäßigen Atemzügen. Unwillkürlich formten sich seine Lippen zu einem liebevollen Lächeln, bevor er sich schließlich zwang, sich wieder auf seine Arbeit zu konzentrieren. An sich brauchte er ihre Hilfe gar nicht so dringend, wie er ihr hatte weiß machen wollen. Und der einzige Grund, warum er diese Ausrede vorgeschoben hatte, war, dass er Anjali um sich haben wollte. Ihre Gesellschaft und ihre Nähe waren ihm mit der Zeit immer wichtiger geworden – auch wenn sie ihn die meiste Zeit nur beschimpfte und wütend auf ihn war.
 

Als Anjali nach einer Weile wieder aufwachte, bemerkte sie sofort, dass Rahul nicht mehr neben ihr saß. Verschlafen rieb sie sich ihr rechtes Auge und schaute sich in ihrer Wohnung um. Wenig überrascht stellte sie fest, dass Rahul gerade seinen Kopf zu ihrer Schlafzimmertür hereinsteckte. „Würden Sie mir freundlicherweise sagen, was Sie da machen?“, wollte sie mit erhobener Stimme wissen und schaute ihn mit abschätziger Erwartung an. Etwas erschrocken fuhr er daraufhin herum. „Ich bin auf der Suche nach dem Badezimmer. Und nachdem es hier drin nicht ist, wird es wohl hinter dieser Tür sein.“, meinte er, während er die Schlafzimmertür schloss und die Tür rechts daneben öffnete. Seine Feststellung erwies sich als richtig, da Anjali neben ihrer Eingangstür nur zwei weitere Türen in ihrer Wohnung hatte. Beide befanden sich links neben der Küchennische, die wiederrum rechts neben dem gefliesten Eingangsbereich zu finden war. An diesen schloss denn auch gleich ihr Wohnzimmer mit der großen Fensterfront und der davorstehenden Sitzecke an.

Als Rahul ins Bad verschwunden war, schüttelte Anjali nur den Kopf und zweifelte stark daran, dass er gerade die Wahrheit gesagt hatte. Dabei fiel ihr Blick allerdings auf den Bildschirm des Laptops, den Rahul sich mitgebracht und auf den Couchtisch gestellt hatte. Er war mit seiner Arbeit anscheinend schon ein beträchtliches Stück vorangekommen und das überraschte sie. Er musste also tatsächlich etwas anderes getan haben als in ihrer Wohnung herumzuschnüffeln und sie während des Schlafens zu beobachten.

Nachdem er aus dem Badezimmer wiedergekommen war, bat er Anjali, ein paar Rechnungen zu überprüfen. Sie hatte jedoch kaum damit angefangen, als er wissen wollte: „Seit wann bist du mit diesem Harry Wieauchimmer zusammen?“ Anjali stockte ob der Plötzlichkeit seiner Frage und schaute ihn dann nur voller Unverständnis an. „Sein Name ist Harish. Und ich weiß nicht, was Sie das angeht...“, antwortete sie und wollte sich wieder ihrer Aufgabe widmen, doch da Rahul sie beinahe mit seinem Blick durchbohrte, fügte sie hinzu: „Also schön... Seit Kurzem.“ Sie hielt ihre Aussage absichtlich möglichst wage, da sie nicht wollte, dass er wusste, dass sie erst seit gestern ein Paar waren. „`Seit Kurzem´? Dann kann die Beziehung ja noch nicht besonders innig sein.“, stellte er daraufhin fest und lehnte sich mit einem zufriedenen Grinsen zurück. „Wahrscheinlich habt ihr euch noch nicht einmal geküsst...“

Anjali konnte nicht verhindern, dass sie bei diesen Worten feuerrot anlief, denn er hatte den Nagel auf den Kopf getroffen. Rahul bemerkte ihre Reaktion natürlich sofort und lehnte sich auf der Stelle wieder zu ihr vor. „Ihr habt euch wirklich noch nicht geküsst?!“, wiederholte er und machte sich nicht einmal ansatzweise die Mühe, seine Freude zu verbergen. „Oh, Anjali... Es ist ja offensichtlich, dass du nicht gerade eine Draufgängerin bist, aber dass du so unschuldig bist, hätte ich nun doch nicht gedacht...“ Mit jedem seiner Worte wurden Anjalis Wangen roter. Sie versuchte, sich von ihm wegzudrehen, doch er griff nach ihren Händen und setzte sich vor ihr auf den Tisch. „Anjali, du musst dich nicht schämen...“, meinte er und legte eine Hand unter ihr Kinn, damit sie ihn ansah. „Frauen wie dich findet man heutzutage überhaupt nicht mehr...“ Sein Blick, seine Nähe und seine Worte beschleunigten unwillkürlich Anjalis Herzschlag und sie spürte wieder dieses Kribbeln in ihrem Bauch.

„Und du kannst mir glauben...“, fuhr er mit weicher Stimme fort, während er sich weiter zu ihr vor beugte und sein Blick sich zu ihrem Mund senkte. „... Ich kann es kaum erwarten, dir diese Unschuld zu nehmen...“ Anjali schloss daraufhin die Augen und atmete tief durch, bevor sie sagte: „Sie sollten jetzt besser gehen...“ Rahul hielt wenige Millimeter vor Anjalis Lippen inne und stutzte. „... Also gut... Aber ich komme morgen wieder.“
 

Kaum war ihre Wohnungstür hinter Rahul ins Schloss gefallen, ließ Anjali sich mit einem Stoßseufzer in die Kissen ihrer Couch sinken. Sie atmete tief durch, um sich zu beruhigen und ihre Gedanken wieder einigermaßen klar zu bekommen. Es fiel ihr zu ihrem eigenen Entsetzen immer schwerer, Rahul gegenüber stark zu bleiben und ihn abzuweisen. Und dass er herausbekommen hatte, dass sie und Harish sich noch nicht einmal geküsst hatten, machte es auch nicht besser – vor allem weil es nicht primär an ihr lag. Harish war derjenige, der – was körperliche Annäherung betraf – sehr zurückhaltend war. Das war ihr im Gegensatz zu Rahuls Aufdringlichkeit zwar äußerst willkommen, doch wenn Rahul sie damit aufzog, war es ihr doch unangenehm.

Seufzend stand sie auf und humpelte in die Küche, um sich eine Kleinigkeit zu essen zu machen. Dabei fiel ihr plötzlich auf, dass Rahul offensichtlich ihren Abwasch erledigt hatte. Ihre Spüle war leer und alles war ordentlich zurück an seinen Platz geräumt. Verwundert schaute Anjali sich um und fragte sich, wie lange sie eigentlich geschlafen hatte. Ein Blick auf ihre Uhr beantwortete ihre Frage schnell und ließ sie überrascht nach Luft schnappen. Es war bereits später Nachmittag – sie hatte also beinahe sieben Stunden geschlafen. Sie konnte nicht glauben, dass Rahul sie nicht geweckt und die ganze Zeit still neben ihr gearbeitet und sogar ihre Küche aufgeräumt hatte. Das war nun wirklich das Letzte gewesen, was sie von ihm erwartet hätte.
 

In den nächsten drei Tagen stand Rahul jeweils Punkt neun Uhr mit einer Tüte frisch gebackener Brötchen vor Anjalis Tür. Nach dem gemeinsamen Frühstück machte er sich an die Arbeit und Anjali half ihm in dem Maße, in dem es ihre durch die Tabletten verursachte Müdigkeit zuließ.

Sie wunderte sich über sein plötzlich so umsorgendes Verhalten, doch wenn sie ihn darauf ansprach, winkte er nur ab und wechselte das Thema. Sie fragte sich, ob das nur wieder eine seiner Maschen oder ob seine Freundlichkeit wirklich ernst gemeint war, denn er konnte doch nicht so dumm sein und denselben Trick zweimal anwenden wollen oder? Nichtsdestotrotz ging sie auf Nummer sicher und blieb weiterhin misstrauisch. Man konnte ja schließlich nie wissen. Dieser Mann war unberechenbar – das hatte sie mittlerweile gelernt.

Sonntag

„Hai Rabba! Wie sehen Sie denn aus?!“, rief Anjali aus, als Rahul triefend nass vor ihrer Tür stand. „Ich bin in den Regen gekommen. Sieht man das nicht?“, gab er etwas gereizt zurück und ließ sich von ihr am Oberarm in die Wohnung ziehen. „Aber es regnet doch schon seit heute Nacht. Haben Sie denn keinen Schirm mitgenommen?“, wollte sie wissen, während sie die Tür hinter ihm schloss. „Ich habe bis jetzt jeden Tag einen Parkplatz direkt vor deinem Haus bekommen. Ich konnte ja nicht ahnen, dass ich ausgerechnet heute nicht so ein Glück haben würde...“, meinte er und versuchte, sich aus seinem tropfend nassem Mantel zu befreien. „Aber wir sind hier in London. Hier sollte man doch wirklich immer einen Schirm dabei haben.“, belehrte sie ihn, fügte aber, noch bevor er etwas erwidern konnte, hinzu: „Sie müssen aus diesen nassen Sachen raus und eine heiße Dusche nehmen, sonst haben Sie im Nu eine Grippe am Hals.“ „Liebend gern. Aber nur wenn du mich unter die Dusche begleitest.“, gab er grinsend zurück und versuchte, sie an der Hüfte zu greifen und sie näher an sich heran zu ziehen. Sie war jedoch schneller und wich seiner Hand aus. „Lassen Sie die blöden Scherze und gehen Sie lieber ins Bad. Ich hole Ihnen ein Handtuch und ein paar trockene Sachen.“ Mit diesen Worten schob sie ihn humpelnd Richtung Badezimmer.

„Das war aber kein Scherz!“, war das Letzte, was sie von ihm hörte, bevor sie die Tür hinter ihm schloss und in ihr Schlafzimmer ging, um ein Handtuch und ein altes T-Shirt und eine Jogginghose, die ihr ihr Vater bei ihrem Umzug zum Malern überlassen hatte, zu holen.

Während sie anschließend Tee kochte und den Frühstückstisch deckte, hörte sie das durch die Wand gedämpfte Rauschen der Dusche und ihr wurde bewusst, dass Rahul sich gerade nackt in ihrer Wohnung aufhielt. Sie wusste nicht, warum, doch allein die Vorstellung davon reichte, um ihren Puls zu beschleunigen.

Sie war gerade damit beschäftigt, ihre ihr unanständig erscheinenden Gedanken wieder aus ihrem Kopf herauszubekommen, als plötzlich die Badtür geöffnet wurde und ein tropfend nasser Rahul herausschaute. „Anjali, wolltest du mir nicht ein Handtuch und ein paar trockene Sachen geben?“, erkundigte er sich. „Ich meine, ich kann auch gern nackt hier herum laufen, wenn du unbedingt willst...“ Anjalis Augen weiteten sich, als er Anstalten machte, hinter der Tür hervor zu treten. Eilig griff sie nach den Sachen und warf sie ihm entgegen. Grinsend fing er sie auf und meinte: „Hätte mich auch gewundert...“ Damit verschwand er wieder im Bad und ließ Anjali mit pochendem Herzen und roten Wangen zurück.

Sie hatte nicht viel gesehen, doch das, was sie gesehen hatte, reichte, um sich den Rest denken zu können. Sein muskulöser Oberkörper und seine schmale Taille... Diesen durchtrainierten Körper hätte sie unter seinen Designeranzügen gar nicht vermutet – nicht, dass sie jemals darüber nachgedacht hätte...

Sie hatte sich gerade wieder halbwegs beruhigt, als Rahul erneut aus dem Badezimmer kam. Die Sachen, die Anjali ihm gegeben hatte, waren ihm ein paar Nummern zu groß, sodass das T-Shirt den oberen Teil seiner Brust offenbarte und die Hose nur umgekrempelt seiner Beinlänge entsprach. Sein Haar war noch etwas feucht und sah so ganz ohne das Gel, das er normalerweise benutzte, beinahe flauschig aus.

„Wem auch immer diese Sachen gehören, muss ein bäriger Mann sein…“, stellte er fest und zupfte an seinen Sachen herum. „Die gehören meinem Vater. Sie sehen also, mit was für einem Mann Sie es zu tun bekommen, wenn Sie mir gegen meinen Willen zu nahe kommen...!“, entgegnete Anjali und wendete sich von ihm ab, um ihn nicht weiter ansehen zu müssen und so zu tun, als ob sie das Frühstück weiter vorbereitete. „Nicht mehr lange und du wirst es wollen...“, hauchte er in ihr Ohr, nachdem er unerwartet schnell hinter sie getreten war. Sein Atem streifte ihre Haut und ließ sie unwillkürlich erschaudern. „Träumen Sie ruhig weiter.“, gab sie nicht einmal ansatzweise so bissig zurück, wie sie eigentlich gewollt hatte. Um ihre Unsicherheit zu überspielen, drückte sie ihm eine Tasse Tee in die Hand. „Und jetzt trinken Sie das. Sonst erkälten Sie sich wirklich noch.“
 

Nach dem Frühstück – bei dem Anjali es tunlichst vermieden hatte, Rahul anzusehen – machte sich Rahul denn auch gleich an die Arbeit, während Anjali sich dem Trocknen seiner nassen Sachen widmete. Nachdem sie sie in ihrer Dusche ausgewrungen hatte, verteilte sie sie über die Leinen des kleinen Wäscheständers, den sie in ihrem Schlafzimmer aufstellte. Dabei stieg ihr der Geruch von Aftershave und Zigaretten, der an der Kleidung haftete, in die Nase. Und obwohl sie Zigaretten normalerweise verabscheute, empfand sie den Geruch seltsamerweise doch als angenehm – und sie rechnete es Rahul zugegebenermaßen auch hoch an, dass er es bisher immer vermieden hatte, in Anjalis Gegenwart zu rauchen. Möglicherweise besaß er also doch so etwas wie ein kleines bisschen Anstand.

Als sie schließlich fertig war, gesellte sie sich zu Rahul auf die Couch und wollte gerade anfangen, ihm bei ein paar Rechnungen behilflich zu sein, als ihr Handy klingelte. Nach einem kurzen Blick aufs Display entschuldigte sie sich ins Schlafzimmer. „Hey, Mili, was gibt’s?“, begrüßte sie ihre Freundin, nachdem sie die Tür hinter sich geschlossen und sich aufs Bett gesetzt hatte. „Ich wollte nur fragen, ob ich nachher kurz vorbeikommen kann. Ich habe Schokokuchen gebacken und wollte dir welchen vorbeibringen.“ „Ich weiß nicht. Ich hab dir doch erzählt, dass sich Khanna über die Dauer meiner Krankschreibung bei mir zum Arbeiten eingenistet hat. Und ich weiß nicht, wann er vorhat zu gehen. Rausschmeißen lässt er sich nicht...“ „Khanna ist sogar heute bei dir?!“, hakte Mili ungläubig nach. „Anju, aber heute ist doch Sonntag!“ Anjali klappte daraufhin die Kinnlade herunter. Sie hatte durch ihr Zuhausebleiben vollkommen den Überblick über die Wochentage verloren und nun fiel es ihr wie Schuppen von den Augen. Sie wollte Mili gerade antworten, als sie hörte, wie es an der Tür klingelte. „Anju, verheimlichst du mir etwa etwas? Du wirst doch wohl nichts mit Khanna angefangen haben oder?“, wollte Mili wissen. „Sei nicht albern!“, versicherte Anjali ihr daraufhin schnell. „Ich erkläre dir morgen auf Arbeit alles. Ich muss jetzt erst mal Schluss machen. Es hat an der Tür geklingelt. Bis dann!“

Damit beendete sie das Gespräch und kam gerade noch rechtzeitig ins Wohnzimmer zurück, um zu sehen, wie Rahul den Hörer der Gegensprechanlage auflegte. „Wer war das?“, wollte sie wissen. „Dieser Harry Wieauchimmer...“, antwortete er teilnahmslos, während er zur Couch zurückging. „Was?! Und was wollte er?“ „Dich besuchen, denke ich. Aber ich habe ihm gesagt, dass es im Moment schlecht ist, da du gerade beschäftigt bist...“, meinte er und setzte sich wieder an seinen Laptop. „Was?!“, rief Anjali aufgebracht aus. „Wenn Sie das wirklich so gesagt haben, wird er noch auf dumme Gedanken kommen!“ Eilig humpelte sie zur Couch und lehnte sich darüber, um das Fenster zu öffnen und Harish zurückzurufen, doch es war auf der Straße bereits keine Spur mehr von ihm zu entdecken.

„Was haben Sie sich dabei nur wieder gedacht?! Sie...“, brauste Anjali auf und drehte sich wütend zu Rahul um. Sie stoppte allerdings augenblicklich, als sich sein Gesicht plötzlich unmittelbar vor ihrem befand. Er lehnte sich über sie und stützte seine Arme links und rechts neben sie auf die Lehne der Couch. Sein Blick fixierte ihren. „Du weißt ganz genau, was ich mir dabei gedacht habe...“, meinte er mit leiser aber ernster Stimme. „Er wird nicht in deine Nähe kommen, solange ich es verhindern kann...“ „Was reden Sie da...?“, protestierte Anjali zögerlich, während sie ihren Blick von seinem löste und versuchte, Rahul an den Schultern von sich wegzuschieben. Dass sie dafür nicht genügend Kraft hatte, wusste sie selbst, doch bisher hatte diese Geste immer gereicht, damit Rahul von ihr abließ. Dieses Mal war es allerdings anders. Er hatte bemerkt, dass Anjali sich heute anders verhielt als sonst. Ihre normalerweise so bissige Art fehlte und er wollte wissen, was der Grund dafür war.

Anjali spürte, wie sein bohrender Blick auf ihr ruhte und sie wusste, dass sie keine andere Wahl hatte, als ihm zu begegnen. Ihr Herz klopfte, als ihre Augen sich trafen und sie hatte das Gefühl, ihr Willen würde sich in der tief braunen Farbe seiner Iris ganz langsam auflösen. Außerdem ließ ihn sein so wild durcheinander stehendes, ungestyltes Haar ganz anders wirken als sonst – nicht überlegen und berechnend, sondern warm und vertrauensvoll. Sein Duft und seine Wärme taten ihr Übriges, um Anjalis Sinne zu benebeln. Sollte sie es einfach zulassen...? Nur einmal...?

Vorsichtig und ganz langsam lockerte sie ihren Griff am Kragen seines T-Shirts und schob ihre Hände um seinen Nacken. Ihr Blick wurde weicher und kaum merklich näherte sie sich seinem Gesicht mit ihrem.

Rahul nahm all das äußerst aufmerksam wahr und er konnte es kaum fassen. Hatte er es jetzt tatsächlich endlich geschafft? Ließ Anjali ihn wirklich gewähren? Er zögerte.

Der Rauswurf

Das Klingeln des Telefons zerriss die eingetretene Stille und holte Anjali aus ihrem beinahe rauschähnlichen Zustand zurück. Augenblicklich realisierte sie, was sie gerade im Begriff war zu tun und entschlüpfte eilig Rahuls Nähe, indem sie sich unter seinen Armen hindurch von der Couch schob und zum Telefon hechtete. Als sie schwer atmend abhob, meldete sich ihre Mutter am anderen Ende der Leitung. Dankbar für die Störung antwortete Anjali geduldig auf alle Fragen ihrer Mutter und versuchte, das Gespräch so weit wie möglich in die Länge zu ziehen. Während des gesamten Telefonats spürte sie jedoch ganz genau Rahuls bohrende Blicke im Rücken. Er ließ sie keine Sekunde aus den Augen und beobachtete aufmerksam, wie ihr zum Zopf gebundenes, langes Haar hin und her schwang, während sie sich gestenreich und in einem irren Tempo auf Punjabi mit ihrer Mutter unterhielt. Er verstand nicht ein einziges Wort, doch er konnte an ihrer leicht flatternden Stimme hören, dass sie aufgeregt war. Und er konnte nicht gerade behaupten, dass es ihm sehr viel anders ging. Er war sich noch immer nicht ganz sicher, was da eigentlich gerade passiert war. Aus diesem Grund wartete er auch voller Ungeduld darauf, dass Anjali das Telefonat endlich beendete.

Als es schließlich soweit war, fragte er ohne Umschweife: „Was war das gerade eben, Anjali?“ Als sie nicht antwortete und stumm mit dem Rücken zu ihm am Telefonschränkchen stehen blieb, stand er auf und ging zu ihr. „... Anjali...“, wiederholte er noch einmal leise und eindringlich ihren Namen, als er direkt hinter ihr stehen blieb. Sie drehte sich daraufhin um und schaute ihm fest in die Augen. „Nur ein kleiner Scherz.“, meinte sie lapidar. „Oder glauben Sie im Ernst, dass ich mich wirklich auf Sie einlassen würde?!“ Rahul traute seinen Ohren nicht. Sie erwartete doch nicht etwa, dass er das glaubte?

„Und jetzt hätte ich gern, dass Sie gehen. Es ist meine eigene Schuld, dass ich vergessen habe, welcher Wochentag es ist und Sie das ausnutzen konnten, um mir selbst am Wochenende auf der Pelle zu hocken. Aber jetzt möchte ich wenigstens noch einen freien Nachmittag, bevor ich morgen wieder zur Arbeit komme.“, erklärte sie und drückte sich anschließend an ihm vorbei, um zum Couchtisch zu gehen und seinen Laptop und seine anderen Arbeitsutensilien zusammenzupacken. „Das kann nicht dein Ernst sein...“, wollte er protestieren, doch Anjali ignorierte ihn und ging ins Schlafzimmer, um seine Sachen zu holen. Als sie zurückkam, drückte sie sie ihm zusammen mit seinem Laptop in die Hand und meinte, während sie ihn Richtung Wohnungstür schob: „Oh doch, das ist mein Ernst. Bis morgen!“ Mit diesen Worten verfrachtete sie ihn auf den Flur und schloss die Tür.

Seufzend lehnte sie sich mit dem Rücken gegen das Holz und ließ sich auf den Boden sinken. Sie schloss die Augen und atmete tief durch. War sie etwa verrückt geworden? Sie wollte sich gar nicht ausmalen, was sie wohl gerade getan hätte, wenn ihre Mutter nicht angerufen hätte. Wie hatte sie es zulassen können, dass sich ihr Verstand abschaltete und ihr Körper die Kontrolle übernahm? Rahul war ein gewissenloser Frauenheld und sie wollte unter keinen Umständen zu einer seiner zahlreichen Eroberungen werden. Doch wieso vergaß sie diesen Vorsatz in letzter Zeit immer öfter, wenn er ihr nahe kam? Sie schüttelte den Kopf und wollte damit den Schauer verscheuchen, der ihr plötzlich den Rücken hinab lief. Sie öffnete die Augen und trichterte sich noch einmal ein, dass er nur mit ihr spielte und definitiv kein ehrliches Interesse an ihr hatte. Dass ihr eine bestimmte Frage dennoch weiter im Kopf herumgeisterte, konnte sie nicht verhindern: Wieso hatte er gezögert?

In Rahuls Wohnung

„Oy, Anju, was hast du denn gestern noch mit unserem lieben Herrn Hotelmanger angestellt? Er ist heut nicht zur Arbeit erschienen und hat sich für die nächsten drei Tage krank gemeldet.“, waren die ersten Worte, die Anjali am nächsten Morgen von Mili zu hören bekam, als sie das Hotel betrat. Anjali reagierte auf diese Nachricht mit Erstaunen und dachte schuldbewusst an Rahuls Schuhe, die sie in ihrer Tasche bei sich hatte, da Rahul bei seinem Rauswurf gestern nicht mehr die Gelegenheit gehabt hatte, sie mitzunehmen. Da er daraufhin barfuß im Regen zu seinem Wagen hatte gehen müssen, war eine Grippe wohl vorprogrammiert gewesen.

Einerseits hatte sie somit wegen Rahuls Krankheit berechtigte Schuldgefühle, andererseits war sie allerdings froh, endlich wieder ein bisschen Zeit für sich zu haben und in Ruhe arbeiten zu können. Beim Durchsehen der Unterlagen fiel ihr dann jedoch auf, dass sie überraschenderweise eigentlich beinahe fertig waren. Es fehlten lediglich noch drei Berichte, zwei Kostenaufstellungen und eine finale Zusammenfassung – und das war in der verbleibenden Woche noch wunderbar zu schaffen.
 

Anjali machte sich also fleißig an die Arbeit und genoss die ablenkungsfreie Zeit. Rahul war in letzter Zeit zu einem immer größeren Störfaktor geworden – und diese Feststellung betraf nicht nur ihren Job, sondern auch ihr Privatleben. Ständig geisterte er durch ihre Gedanken und sabotierte zudem ihre Beziehung zu Harish, wo er nur konnte. Und er schien damit auch noch Erfolg zu haben, denn nachdem sie Rahul gestern ihrer Wohnung verwiesen hatte, hatte sie mehrmals versucht, Harish telefonisch zu erreichen – jedoch erfolglos. Sie befürchtete, dass er Rahuls Anwesenheit in ihrer Wohnung völlig falsch verstanden und daraus nun Konsequenzen gezogen hatte. Doch so sehr sie sich auch über diese Situation ärgerte, sie konnte die Schuldgefühle wegen Rahuls Erkrankung nicht verdrängen und fragte sich, ob ein kurzer Besuch wohl angebracht war. Sie wollte ja nur schauen, wie schlecht es ihm wirklich ging. Womöglich hatte er sich das Ganze ja auch nur wieder ausgedacht, da er wusste, dass sie sich schuldig fühlen würde. Wobei ein Besuch dann jedoch genau das war, was er würde erreichen wollen.

Sie war hin- und her gerissen und konnte sich schließlich erst am nächsten Tag dazu durchringen, ihm nach der Arbeit einen kurzen Besuch abzustatten. Als sie seine Adresse aus dem Mitarbeiterverzeichnis heraussuchte, stellte sie erstaunt fest, dass seine Wohnung unweit des Hotels lag. Dieser Kerl musste also wirklich sehr reich sein, denn dieses Stadtviertel war ausschließlich von Millionären bewohnt. Ein ehrfurchtsvoller Schauer lief ihr über den Rücken, wenn sie an so viel Geld dachte.

Während sie nach Feierabend schließlich im Halbdunkeln auf dem Weg zu Rahul war, hatte sie – im Gegensatz zu ihrem Viertel – auch keine Angst, Opfer eines Verbrechens zu werden. Dieser Teil der Stadt war so sicher wie kaum ein anderer.

Nach nur fünfzehn Minuten zu Fuß stand sie schon vor Rahuls Apartmentkomplex. Das Haus hatte um die zwanzig Etagen und wirkte äußerst modern. Rahuls Name stand ganz oben auf dem Klingelschild. Sie musste zweimal Klingeln bis sich endlich jemand meldete. Seine Stimme klang kratzig und tatsächlich krank. Als Anjali sich zu erkennen gab, drückte er sofort den Türsummer und wies sie an, mit dem Lift bis ins letzte Stockwerk zu fahren. Sie tat, wie er ihr geheißen hatte und wurde beinahe vor Erstaunen erschlagen, als sich die Fahrstuhltüren öffneten. Sie stand beim Heraustreten bereits direkt in Rahuls hochmoderner Wohnung, die man aber eher als Loft bezeichnen konnte. Man hatte durch deckenhohe Fenster eine 180°-Sicht auf London und am Horizont konnte Anjali sogar die im Licht der untergehenden Sonne glitzernde Themse erkennen. Sie fühlte sich noch völlig berauscht von dem Anblick, als ihr plötzlich Rahuls raue Stimme ins Ohr flüsterte: „Welch unerwarteter und zugleich höchsterfreulicher Besuch...“

„Sollten Sie nicht lieber im Bett bleiben?“, wollte Anjali wissen, während sie einen Schritt nach vorn machte und sich dann zu Rahul umdrehte. „Wenn du mich begleitest, tue ich das auf der Stelle.“, entgegnete er, doch Anjali hatte ihm schon gar nicht mehr zugehört, da sie viel zu abgelenkt von seinem Zustand war. Seine Nase war rot und seine Wangen glühten. Er trug einen dunkelblauen Satinpyjama und wieder stand sein Haar wild in alle Richtungen von seinem Kopf ab.

„Arre, Sie sehen ja furchtbar aus!“, stellte sie fest und legte ihren Handrücken an seine Stirn, um seine Temperatur zu prüfen. „Und Sie haben Fieber! Gehen Sie auf der Stelle zurück ins Bett!“, kommandierte sie und schob ihn an den Schultern in den rechten Teil der Wohnung, wo sich sein Bett befand, das man erst nach dem Überwinden zweier Stufen erreichte. „Ruhen Sie sich aus. Ich werde Ihnen in der Zeit ein wunderwirkendes Heilmittel kochen, das mir meine Mutter früher immer gegeben hat, wenn ich krank war.“, meinte sie, nachdem sie die Bettdecke über ihn geworfen hatte. „Und wo willst du die Zutaten dafür hernehmen?“, erkundigte er sich und hob skeptisch eine Augenbraue. „Die... hab ich zufällig dabei. Und jetzt schlafen Sie endlich!“

Damit drehte sie sich mit Rahuls wissendem Grinsen im Rücken um und lief ans andere Ende der Wohnung, wo sich die hochmoderne Küche befand. Alles war lupenrein sauber und Anjali fragte sich, ob sie überhaupt schon einmal benutzt wurden war oder ob Rahul einfach nur eine äußerst gründliche Haushälterin hatte. Dass er selber seine Wohnung in Schuss hielt, kam für Anjali nicht in Frage.

Während sie die Zutaten zu dem Hausmittelchen verarbeitete, warf sie ab und zu einen Blick zu Rahul hinüber. Er schien eingeschlafen zu sein und wirkte dabei überraschend friedlich. Dass er wirklich krank war und sogar leichtes Fieber hatte, war für Anjali überraschend gewesen und machte ihre Schuldgefühle nur umso größer. Sie hatte eigentlich angenommen, dass er nur wieder übertrieben hatte, doch sie schien sich geirrt zu haben.

Während der Arzneisud vor sich hin köchelte, erkundete Anjali ein wenig die Wohnung. Sie war etwa dreimal so groß wie ihre eigene und ungeheuer modern. Alles, was ein Mann von Welt besitzen sollte, war da: eine ausladende weiße Ledercouch, ein riesiger LCD-Fernseher, teuer aussehende Glaslampen und -vasen und natürlich ein Arbeitsbereich mit derselben Einrichtung, die er schon in seinem Büro im Hotel stehen hatte.

Doch so schön alles aussah, so unpersönlich wirkte es auch. Es schien das Leben zu fehlen, denn alles stand perfekt an seinem Platz und war tiptop aufgeräumt. Keine persönlichen Dinge lagen herum, keine Fotos, und selbst die Zeitschriften, die auf dem Couchtisch lagen, sahen platziert aus. Anjali konnte sich nicht vorstellen, dass man sich hier zu Hause fühlen konnte.

Das Piepen der Eieruhr riss sie aus ihren Gedanken und erinnerte sie an den Grund, aus dem sie hier war. Schnell machte sie die Arznei fertig und ging dann zu Rahuls Bett, um zu sehen, ob er noch schlief. Kaum hatte sie sich allerdings neben sein Futonbett gekniet, machte er auch schon die Augen auf. „Arre, Sie sollten doch schlafen!“, schimpfte sie, doch er unterbrach sie, während er sich aufsetzte. „Ich habe heute bereits den ganzen Tag geschlafen. Irgendwann geht es nicht mehr, Anjali. Also hör auf zu meckern und gib mir endlich diese Wundermedizin.“, meinte er und machte eine kurze Kopfbewegung in Richtung der Tasse, die Anjali in der Hand hatte. „Also gut. Lassen Sie sich aber nicht von dem Geschmack und dem Geruch abschrecken. Ich weiß, es ist nicht besonders lecker, aber es wirkt wirklich Wunder.“, erklärte sie, während sie ihm die Tasse reicht. Wie erwartet verzog er das Gesicht als er an dem Gebräu roch und den ersten Schluck genommen hatte. „Jetzt haben Sie sich mal nicht so. Halten Sie sich eben im Notfall die Nase zu.“, wies Anjali ihn an und brachte ihn so dazu, alles auszutrinken. „Das war das Widerwärtigste, das ich je getrunken habe.“, stellte Rahul mit vor Ekel verzogenem Gesicht fest und schluckte mehrere Male nach, um den Geschmack aus seinem Mund zu bekommen. „Hier, lutschen Sie diesen Bonbon. So werden Sie den Geschmack wieder los.“, meinte Anjali amüsiert und drückte ihm einen Hustenbonbon in die Hand.

„Und jetzt versuchen Sie, noch ein bisschen zu schlafen – auch wenn Sie meinen, dass es nicht mehr geht.“, meinte sie und stand auf. Rahul griff allerdings nach ihrem Handgelenk und hielt sie fest. „Nur wenn du mir versprichst, dass du noch da bist, wenn ich wieder aufwache...“ Anjalis Lippen formten sich daraufhin zu einem Lächeln. „Schlafen Sie!“, war das Einzige, was sie darauf antwortete, bevor sie ihr Hand aus seinem griff befreite und zurück in die Küche ging, um aufzuräumen. Rahul beobachtete sie dabei bis er schließlich unwillkürlich wegnickte.
 

Nachdem Anjali mit dem Saubermachen fertig war, stellte sie sich ans Fenster und ließ ihren Blick über die mittlerweile hell erleuchtete Stadt. Eine warme Brise wehte herein und sie schloss für einen Moment die Augen. Sie konnte nicht sagen, woher es kam, doch sie fühlte auf einmal eine merkwürdige innere Zufriedenheit. Ein kaum merkliches Lächeln huschte über ihre Lippen, bevor sie sich umdrehte (1) und ihren Blick zu dem schlafenden Rahul wandern und auf ihm ruhen ließ...
 

Als Rahul einige Zeit später aufwachte, war Anjali verschwunden und eine Welle der Enttäuschung überrollte ihn.
 


 

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Sind Sie jetzt zufrieden?

Als der noch leicht erkältete Rahul am übernächsten Tag schließlich wiederkam, war Anjali bis auf eine Kostenkalkulation und den zusammenfassenden Schlussbericht, den Rahul selbst verfassen musste, mit dem Projekt fertig. Sorgfältig ging er ihre Arbeit noch einmal durch, bevor er sich anschließend an das Verfassen des Berichtes setzte.

Währenddessen kümmerte sich Anjali um die Koordinierung seiner nächsten Termine und um die Planung der nächsten Wochen. Es überraschte sie, dass er den ganzen Tag über nicht versuchte, sie wie sonst auch immer in belanglosen Smalltalk, verbunden mit anzüglichen Bemerkungen und zweideutigen Anspielungen, zu verwickeln und stattdessen konzentriert durcharbeitete.
 

Erst als sie sich am späten Nachmittag in den Feierabend verabschieden wollte, bat er sie, noch einen Moment zu bleiben. Er stand von seinem Schreibtisch auf und kam auf sie, die an der Tür stand, zu.

„Ich wollte mich noch einmal für deinen Besuch und deine selbstgebraute Medizin bedanken. Überraschenderweise hat sie wirklich Wunder gewirkt...“, meinte er, doch Anjali sah ihm an, dass er eigentlich noch etwas anderes sagen wollte. „... Und...?“, hakte sie also erwartungsvoll nach und bekam auch prompt eine Antwort. „Wieso bist du einfach verschwunden?“, wollte er wissen und in seiner Stimme schwang ein vorwurfsvoller Unterton mit. Anjali schaute ihn daraufhin erstaunt an. War das etwa der Grund dafür, dass er sich den ganzen Tag so distanziert ihr gegenüber verhalten hatte? War er deswegen etwa beleidigt?

„Wie bitte? Aber...“, wollte sie protestieren, doch er schnitt ihr das Wort ab. „Ich habe dich gebeten zu bleiben und du bist trotzdem einfach gegangen. Wieso?!“ „Haben Sie das etwa ernst gemeint?!“, wollte Anjali wissen. „Ich meine, ich bitte Sie! Woher sollte ich denn wissen, wann Sie wieder aufwachen würden und was hätte ich denn auch die ganze Zeit tun sollen? Außerdem war es schon spät abends und ich musste gestern schließlich arbeiten.“ Anjali verstand seine Aufregung nicht im Geringsten und sie fragte sich, warum ihn das so sehr beschäftigte, dass er heute, zwei Tage später, noch immer sauer deswegen war.

Rahul musterte ihr Gesicht, in dem er nur Unverständnis sehen konnte und seufzte. Es hatte keinen Sinn. Sie verstand es ja doch nicht. „Okay, vergiss es einfach...“, gestand er ein und machte eine wegwerfende Handbewegung, woraufhin Anjali noch weniger verstehen konnte, was eigentlich sein Problem war.

„Ach, bevor ich es vergesse: Du kannst dir morgen frei nehmen.“, wechselte er plötzlich ganz abrupt das Thema. „Ich habe dir dein letztes Wochenende gestohlen, von daher ist das nur fair, denke ich.“ Anjali war überrascht, solch ein Eingeständnis zu hören und bedankte sich. Sie wollte sich daraufhin gerade umdrehen und gehen, als ihm noch etwas einfiel: „Aber vergiss bitte nicht, mir nächste Woche den neuen Speisekartenentwurf zu besorgen.“ Diese Bemerkung ließ sie in ihrer Bewegung innehalten und sich wieder zu ihm herumdrehen. „Aber ich bin doch ab nächster Woche gar nicht mehr da.“, meinte sie, was ihn sofort aufhorchen ließ. „Wie bitte, was?! Was soll das heißen?!“, wollte er wissen und klang dabei beinahe besorgt. „Ich habe doch die nächsten drei Wochen Urlaub.“ „Was?! Davon weiß ich nichts.“ „Ich bitte Sie! Den Urlaub habe ich schon Anfang des Jahres eingereicht und genehmigt bekommen!“, protestierte Anjali trotzig. „Da warst du aber noch nicht meine Sekretärin. Du kannst jetzt keine drei Wochen Urlaub nehmen. Das...“ „Das Projekt ist erledigt und in den nächsten Wochen steht nichts an, was von besonderer Wichtigkeit wäre. Die Zeit werden Sie also auch ohne mich überleben. Außerdem habe ich schon meinen Flug gebucht.“, fiel sie ihm ins Wort und hoffte, ihn mit ihren Argumenten mundtot gemacht zu haben. „Flug?“, erkundigte er sich interessiert. „Ich fliege am Montag zu meinen Eltern in den Punjab.“, erklärte sie. „Sie sehen also: Ich kann meinen Urlaub nicht verschieben. Sie werden die drei Wochen ohne mich schon überstehen. Also bis dann.“ Mit diesen Worten schenkte sie ihm noch ein kurzes Lächeln und wollte sich erneut zum Gehen umdrehen, als Rahul sie mit einer Hand an der Hüfte packte, sie zu sich umdrehte und gleichzeitig die Tür mit der anderen Hand zuklappte, um Anjali mit dem Rücken dagegen zu drücken.

Völlig perplex über dieses unerwartete Verhalten suchte sie seinen Blick, während er seinen Körper gegen ihren drängte und die Hand, mit der er die Tür geschlossen hatte, um ihren Nacken schob. Sie wollte fragen, was das sollte, doch seine Augen ließen sie schweigen. Er schaute sie mit einer solchen Mischung aus Verlangen, Wut, Verzweiflung und etwas, das sie nicht deuten konnte, an, dass ihr ein eisiger Schauer den Rücken herunterlief. Er hielt sie fest und presste sich hart gegen sie, während sein Blick langsam von ihren Augen zu ihren Lippen wanderte. Anjali wusste nicht wieso, doch mit einem Mal überkam sie Enttäuschung und sie fragte sich, ob sein immer merkwürdiger werdendes Verhalten wirklich immer noch nur daraufhin abzielte, sie herumzubekommen. Es schien eigentlich keinen Sinn zu machen, doch was konnte es sonst anderes sein...?

Sie schloss die Augen und seufzte kaum hörbar, bevor sie ihren Blick hob und Rahul anschaute. Sie wollte gerade etwas sagen, als sein Griff um ihre Hüfte noch einmal fester wurde und er sich zu ihr herunterbeugte, um sie zu küssen. Im ersten Moment war sie vor Überraschung bewegungsunfähig. Im zweiten wollte sie ihn von sich stoßen. Und im dritten schaltete sich ihr Gehirn plötzlich aus und überließ ihrem Körper die Kontrolle.

Zögerlich schob sie ihre Arme um seinen Hals und begann, den Kuss zu erwidern. Ihn überraschte ihre entgegenkommende Reaktion so sehr, dass er für einen kurzen Augenblick inne hielt. Es dauerte allerdings auch nur einen weiteren kurzen Augenblick bis er sich wieder gefangen hatte und genoss, worauf er nun schon so lange gewartet hatte. Ihr Mund war weich und sanft und öffnete sich ihm mit jeder Bewegung seiner Lippen ein kleines Bisschen mehr. Stück für Stück ertastete er sich mit seiner Zunge Einlass und war vorsichtig bis sie seine Gesten erwiderte. Doch je länger der Kuss dauerte, desto schwieriger wurde es für ihn, sich zurückzuhalten. Er wurde schneller, drängend, besitzergreifend. Sein Körper begann auf Anjalis Kurven, die er so fest an sich drückte, zu reagieren. Seine Hand wanderte von ihrer Hüfte auf ihren Po, während er seinen rechten Oberschenkel zwischen ihre Beine drängte und sich so fest an ihren Körper presste, dass es beinahe schmerzte. Er wollte mehr von ihr, mehr als den Kuss.

Doch plötzlich stoppte Anjali ihn und drehte ihren Kopf zur Seite. Sie atmete flach und schwer, schloss die Augen und wischte sich mit dem Handrücken fahrig über den Mund. „Sind Sie jetzt zufrieden?“, wollte sie mit brüchiger, heiserer Stimme wissen. Sie wartete jedoch seine Antwort nicht ab und öffnete stattdessen die Tür und verließ eiligen Schrittes und ohne Rahul noch einmal anzusehen das Büro.

Der Flug

Anjalis Gedanken überschlugen sich, doch sie konnte und wollte sie nicht ordnen. Sie fühlte sich im Moment einfach außer Stande, ihre Gefühlswelt zu ergründen. Alles schien zu verworren und kompliziert.

Sie wusste selbst nicht genau, wieso sie Rahuls Kuss plötzlich erwidert hatte. War es, um ihn endlich ruhig zu stellen? Oder war es zur Befriedigung ihrer eigenen geheimen Sehnsucht nach seiner Nähe, die sie sich allerdings bewusst nicht eingestehen wollte? Am Ende war die Lösung vermutlich eine Mischung aus beidem, doch das machte es auch nicht einfacher. Vor allem nicht in Bezug auf ihre Beziehung zu Harish – von der sie nicht einmal wusste, ob sie überhaupt noch bestand. Sie hatte noch mehrmals versucht, ihn zu erreichen, doch sein Handy war ausgeschaltet und dadurch fiel ihr auch erst auf, dass sie gar nicht wusste, wo er überhaupt wohnte. Sie sah keine Möglichkeit, ihn zu erreichen und so glaubte sie, dass das wohl ein eindeutiges Zeichen war und er durch Rahuls Verschulden ihre noch nicht einmal richtig begonnene Beziehung bereits wieder aufgegeben hatte. Obwohl sie es merkwürdig fand, dass er diese Entscheidung ohne auch nur ein Wort der Erklärung oder des Abschieds getroffen hatte. So etwas war normalerweise überhaupt nicht seine Art. Doch am Ende konnte sich Anjali keine andere Begründung für sein Verhalten denken.

Das Schlimmste an dem Ganzen war allerdings, dass sie nicht einmal genau sagen konnte, ob sie deswegen nun traurig war. Eigentlich hätte sie es sein müssen, doch irgendetwas fehlte – und sie konnte nicht im Geringsten definieren, was es war. Und im Moment hatte sie auch einfach keine Muse dazu. Sie freute sich einfach nur darauf, nach über einem Jahr endlich wieder nach Hause zu ihren Eltern zu fliegen und all die Dinge, die sie so schrecklich verwirrten, hinter sich zu lassen. Sie konnte ihren Abflug kaum noch erwarten und so war sie auch froh darüber, dass ihr verlängertes Wochenende schnell herumging. Das lag vor allem daran, dass sie die ganze Zeit beschäftigt war – sie traf sich noch einmal mit Mili, um sich für die nächsten drei Wochen von ihr zu verabschieden, sie musste ihre Reise vorbereiten, ihren Koffer packen und sich beim Nachbarn darum kümmern, dass ihre Pflanzen während ihrer Abwesenheit gegossen wurden.

Zudem kam sie dadurch, dass sie so viel zu tun hatte, gar nicht dazu, über Rahul und Harish nachzugrübeln. Und wenn sich einer der beiden, wenn sie abends im Bett lag, doch in ihre Gedanken schlich, verdrängte sie ihn sofort wieder und konzentrierte sich darauf, was sie in Indien alles erwarten würden – Senffelder, Wochenmärkte, Armreifen, Tempel, traditionelle Kleidung... Sie freute sich wahnsinnig auf ihre Heimat.
 

Ihr Flug ging sehr früh am Montagmorgen. Sie war pünktlich mit allem fertig, doch das Taxi, das sie sich bestellt hatte, verspätete sich und so kam sie beinahe zu spät zum Flughafen. Normalerweise hätte sie den Fahrer dafür ordentlich zusammengestaucht, doch sie hatte keine Zeit dafür. Eilig hetzte sie durch das Flughafengebäude zur Gepäckabgabe und anschließend zum Check-In, wo sie sich nach Luft ringend mehrmals entschuldigte und erst durch ein wenig Überredungskunst noch in den Flieger gelassen wurde.

Keuchend aber erleichtert lief sie durch den breiten Mittelgang des Flugzeuges und suchte anhand ihres Tickets ihren Sitzplatz. Als sie ihn schließlich gefunden hatte und sah, wer neben ihr saß, blieb ihr beinahe das Herz stehen.
 

„Da bist du ja endlich! Ich dachte schon, du würdest den Flug verpassen.“, meinte Rahul und schaute sie mit einem frechen Funkeln in den Augen und einem verschmitzten Lächeln auf den Lippen an. Anjali brauchte allerdings ein paar Augenblicke, um die Situation zu begreifen und starrte ihn einfach nur mit halb geöffnetem Mund an.

„Was zur Hölle tun Sie denn hier?!“, wollte sie schließlich, nachdem sie sich wieder gefangen hatte, lautstark wissen und zog damit die Aufmerksamkeit sämtlicher Passagiere auf sich. „Schhh!“, machte Rahul und beugte sich zu ihr, um sie am Handgelenk neben sich auf ihren Sitz zu ziehen. „Nichts `Schhh´!“, wehrte sie ab und befreite sich aus seinem Griff. „Ich meine es ernst: Was zur Hölle tun Sie hier??“ Ihre Stimme war immer noch zu laut, doch im Moment war es ihr herzlich egal, was die anderen Fluggäste von ihr dachten. Sie war sauer – stinksauer.

„Ich würde sagen – da wir im gleichen Flugzeug sitzen – ich fliege mit dir zusammen nach Indien.“, erklärte er ganz profan. „Das kann doch nicht Ihr Ernst sein!“, fuhr Anjali ihn an. „Was denken Sie sich eigentlich?! Und woher wussten Sie überhaupt, welchen Flieger ich nehmen würde?!“ „Ein guter Bekannter, der hier im Flughafen arbeitet, hat ein paar Beziehungen spielen lassen, als ich ihm sagte, dass es sich um einen Notfall handelte...“ „Diesen Kerl verklage ich!“, fiel Anjali ihm ins Wort und ballte wütend ihre Fäuste. „Und was heißt hier überhaupt `Notfall´?! Sie haben sie doch nicht mehr alle!“ „Natürlich ist es ein Notfall. Ich kann dich doch nicht für drei Wochen allein nach Indien fliegen lassen. Das...“ Seine Erklärung wurde allerdings durch die Ansage des Piloten, dass der Flug in wenigen Minuten starten würde, unterbrochen. Anjali hatte jedoch ohnehin keine Lust mehr, ihm zuzuhören.

Schnaufend stand sie auf und verstaute ihr Handgepäck in der Ablage über ihren Sitzen. Als sie sich dafür nach oben strecken musste, rutschte ihr T-Shirt ein wenig nach oben und offenbarte dadurch einen Teil ihres Bauches. Rahul nahm das äußerst interessiert zur Kenntnis und konnte der Versuchung, sie zu berühren, einfach nicht widerstehen. Er stand also auf und fuhr mit seiner Hand sanft über ihre nackte Haut, während er sich an ihr vorbeischob, um ihr dann den Platz am Fenster anzubieten. Sie dankte es ihm, indem sie ihm einen kräftigen Schlag auf den Handrücken verpasste und ihm einen hasserfüllten Blick zuwarf. Nichtsdestotrotz nahm sie sein Angebot an und setzte sich – das Prickeln, das seine Berührung auf ihrem Bauch ausgelöst hatte, ignorierend – ans Fenster.

Jeden darauf folgenden Versuch Rahuls, ein Gespräch mit ihr anzufangen, ignorierte sie und starrte stur aus dem Fenster. Irgendwann gab er es auf und lehnte sich vor sich hin lächelnd in seinem Sitz zurück. Er hatte gewusst, dass sie so reagieren würde und es freute ihn. Dieses Feuer war schließlich das, was er am meisten an ihr liebte. Außerdem wusste er durch den Kuss, den sie erwidert hatte, dass er auf dem richtigen Weg war. Ihre Fassade bröckelte und er war sich sicher, dass es nur noch eine Frage der Zeit war, bis sie ihm nicht mehr widerstehen konnte.
 

Der Flug war lang und das stetige Sitzen anstrengend. Da kam es ihnen recht, dass sie einmal den Flieger wechseln mussten. Wobei Anjali es allerdings weiterhin hartnäckig vermied, mit Rahul zu reden oder ihn auch nur anzusehen. Er hatte mal wieder eine Grenze überschritten und das nahm sie ihm dieses Mal sehr übel. Diese Reise sollte ihr Erholung und Abstand bieten, doch mit seiner Anwesenheit war beides unmöglich.
 

Als sie im nächsten Flieger saßen und wieder in der Luft waren, musterte Rahul aufmerksam Anjalis halb von ihm abgewandtes Gesicht. Er liebte ihre dunklen Augen, ihre ausdrucksstarken Augenbrauen, ihre etwas zu kräftige Nase und ihre schön geschwungenen, weichen Lippen. Die Lippen, die seinen Kuss so zärtlich erwidert hatten, dass er immer noch eine Gänsehaut davon bekam, wenn er nur daran und an ihren süßlichen Geschmack dachte...

Er musste allerdings zugeben, dass es ihn amüsierte, wie angestrengt sie versuchte, ihn zu ignorieren, obwohl er ganz genau wusste, dass sie bemerkt hatte, dass er sie beobachtete.

Anjali war heilfroh, als er schließlich nach einer Weile weggenickt war. Sein Blick, der die ganze Zeit an ihr haftete, hatte sie beinahe wahnsinnig gemacht. Es war ein unangenehmes Gefühl, zu wissen, bei jeder Bewegung angestarrt zu werden.

Seufzend schloss sie die Augen und lehnte sich in ihrem Sitz zurück, als sie plötzlich merkte, wie Rahuls Kopf auf ihre Schulter rutschte. Zuerst schaute sie ihn erstaunt an, musterte sein friedliches Gesicht, doch dann stieg die Wut wieder in ihr auf und sie zog ihre Schulter mit einer kurzen, kräftigen Bewegung unter ihm weg. Er wurde daraufhin sofort wach und schaute sich mit verschlafenem und verwirrtem Blick um. Bis er allerdings begriff, was gerade passiert war, hatte Anjali ihm schon den Rücken zugedreht und entlockte ihm damit nur ein amüsiertes Kopfschütteln, bevor er wieder die Augen schloss, um weiterzuschlafen.

Plötzlich verlobt

Erst als der Flieger nach insgesamt fast 15 Stunden Flug schließlich zur Landung ansetzte, fiel Anjali ein, dass ihre Eltern sie vom Flughafen abholen wollten. Ihre Zeit, um Rahul loszuwerden, war also begrenzt, denn sie hatte alles andere als Lust darauf, dass ihre Eltern ihn kennenlernten und irgendwelche Fragen stellten, die sie nicht beantworten wollte.

Während die Maschine dem Boden immer näher kam, überlegte sie fieberhaft, wie sie Rahul entkommen konnte. Die einzige Möglichkeit sah sie darin, ihn `aus Versehen´ in der Menge der von Bord gehenden Passagiere zu verlieren und dann schnellstmöglich das Weite zu suchen. Ihr war allerdings klar, dass das wahrscheinlich einfacher gesagt als getan war.

Nichtsdestotrotz versuchte sie es. Und scheiterte. Zwischenzeitlich hatte er zwar tatsächlich den Anschluss zu ihr verloren, doch durch das viel zu langsam laufende Gepäckband hatte er sie schnell wieder eingeholt. Auf dem Weg zum Ausgang schaute sie sich nervös in alle Richtungen auf der Suche nach einem Ausweg um, was Rahul natürlich nicht verborgen blieb. Amüsiert lehnte er sich zu ihr herunter und flüsterte ihr ins Ohr: „Spar dir die Mühe. Du wirst mich nicht los...“ Und zu Anjalis größtem Bedauern behielt er damit Recht, denn in diesem Moment erblickte sie auch schon ihre Eltern, die ihr von der Eingangshalle aus freudig zuwinkten.

Als sie schließlich vor ihnen stand, überwog allerdings die Wiedersehensfreude. Sie ließ ihren Koffer fallen und fiel erst ihrer Mutter und dann ihrem Vater freudestrahlend um den Hals. Doch als sie sich schließlich wieder voneinander gelöst und ein paar Begrüßungsfloskeln ausgetauscht hatten, konnte Anjali die verstohlenen, neugierigen Blicke, die ihre Eltern Rahul zuwarfen, nicht mehr ignorieren und stellte ihn gezwungenermaßen vor.

„Ma, Bauji, das hier ist Rahul Khanna.“, knirschte sie mürrisch hervor. „Er...“ „Ich bin Anjalis Verlobter. Es freut mich außerordentlich, Sie beide kennenzulernen.“, klinkte Rahul sich ein und streckte den beiden zur Begrüßung die Hand entgegen. „Was?!“, riefen daraufhin alle drei unisono aus und schauten ihn verblüfft an. „Ich weiß, das kommt jetzt sicher sehr plötzlich und ich hätte es Ihnen auch gern eher mitgeteilt, aber Anjali wollte Sie unbedingt überraschen...“, behauptete er lächelnd und legte einen Arm um Anjalis Schultern, um sie liebevoll an sich zu drücken. „Was?! Was soll das?! Ich...“, wollte sie daraufhin protestieren, doch Rahul ließ sie nicht ausreden. „Na gut, ich gebe es zu. Ich war derjenige, der Sie überraschen wollte.“, gestand er ein und fuhr sich mit der Hand durch die Haare, um sich dann verlegen am Hinterkopf zu kratzen.

Anjali wollte diese Lüge auf der Stelle aufklären, doch ihre Eltern kamen ihr zuvor. „Arre, Anju, ich glaube es ja nicht!“, rief ihre Mutter aus. „Wie konntest du das nur vor uns geheim halten? Ich kann es gar nicht fassen, dass du endlich einen Mann gefunden hast! Und dann noch einen so höflichen und gutaussehenden dazu!“ Sie wackelte freudig mit dem Kopf und musterte Rahul ausgiebig, während ihr Vater einen Arm um Rahuls Schultern legte und meinte: „Herzlich willkommen in der Familie, Puttar!“

Anjali beobachtete fassungslos das Geschehen und konnte nicht glauben, wie schnell ihre Eltern sich mit Rahul zufrieden gaben und ihn ohne nachzufragen in die Familie aufnahmen. Verzweifelt versuchte sie, die Aufmerksamkeit ihrer Eltern zu erlangen, um den Irrtum aufzuklären, doch die beiden waren viel zu sehr damit beschäftigt, auf ihren vermeintlichen Schwiegersohn einzureden und ihn auszufragen. Sie hatte keine Chance. Und so wurde ihr auch nur ein beiläufiges „Chalo, Beti!“ von ihrem Vater zugerufen, als sie einfach resigniert stehen blieb, obwohl ihre Eltern und Rahul sich bereits in Bewegung gesetzt hatten, um zum Auto zu gehen.
 

Kurz bevor sie am Wagen angekommen waren, startete Anjali einen letzten verzweifelten Versuch, Rahul doch noch loszuwerden. „Mister Khann...“, begann sie, bemerkte jedoch ihren `Fehler´ und korrigierte sich schnell. „Ähm... Rahul, wolltest du dir nicht eigentlich ein Hotelzimmer nehmen?“, fragte sie scheinheilig, löste damit allerdings nur Empörung bei ihren Eltern aus. „Kya?! Das kommt überhaupt nicht in Frage!“, rief ihr Vater aus. „Ihr anständiges Verhalten in allen Ehren, aber Sie würden uns beleidigen, wenn Sie nicht bei uns wohnen würden.“, stimmte ihre Mutter ihrem Mann zu und meinte dann mit vorwurfsvoller Miene an Anjali gerichtet: „Du kannst doch nicht zulassen, dass dein Verlobter sich ein Hotelzimmer nimmt, während wir so ein großes Haus mit mehr als genügend Platz haben. Du solltest in Zukunft ein wenig umsichtiger werden, Anju.“ „Aber ich...“, wollte Anjali protestieren, doch sie hatte die Aufmerksamkeit ihrer Eltern bereits an das in den Kofferraum zu verstauende Gepäck verloren.

Anjali war fassungslos ob der völligen Solidarität ihrer Eltern dem ihnen bis vor wenigen Minuten noch gänzlich unbekannten Rahul gegenüber. Und dass er auch noch die ganze Zeit daneben gestanden und mit einem amüsierten Grinsen auf den Lippen das kleine Schauspiel eben beobachtet hatte, machte es auch nicht besser.
 

Auf der Fahrt zum Haus der Sharmas musste Anjali sich mit Rahul die Rückbank teilen. Nachdem sie bereits ein Weile unterwegs waren, lehnte er sich zu ihr herüber und flüsterte: „Das Duzen kannst du in Zukunft gern beibehalten.“ Er zwinkerte daraufhin, doch Anjali kniff nur wütend die Augen zusammen. „Vergessen Sie’s!“, zischte sie und wendete sich dann von ihm ab, um aus dem Fenster zu starren. „... wie du willst...“, gab er daraufhin zurück und konnte sich ein leises Lachen nicht verkneifen.

„Was flüstert ihr beiden denn da hinten?“, wollte Anjalis Mutter wissen und drehte sich neugierig lächelnd zu den beiden um. „Ich habe Anjali nur gesagt, wie froh ich bin, dass sie mich überredet hat, sie nach Indien zu begleiten.“, entgegnete Rahul und legte eine Hand auf Anjalis Oberschenkel, um kurz darüber zu streicheln. Anjali zwang sich daraufhin zu einem zustimmenden Lächeln und kämpfte gegen den starken Drang an, Rahuls Hand mit einem kräftigen Hieb wegzuschlagen. „Euch beiden sieht man die Liebe wirklich im wahrsten Sinne des Wortes an.“, stellte Anjalis Mutter daraufhin fest. Als sie sich allerdings wieder nach vorn gedreht hatte, schenkte Anjali Rahul einen bitterbösen Blick, der ihm sagen sollte, dass er sofort seine Hand von ihrem Oberschenkel nehmen sollte. Er wollte dieses Spiel allerdings noch ein wenig weiterspielen und strich erst sanft und quälend langsam bis zu ihrem Knie und wieder zurück, bevor er seine Hand wegzog und seine vor Schelm funkelnden Augen von ihr abwendete und seinen Blick aus dem Fenster richtete.

Anjali versuchte indes ihre Atmung gleichmäßig zu halten und ihr wie wild pochendes Herz wieder zu beruhigen. Seine Berührung hatte unwillkürlich ein wahres Feuerwerk in ihr ausgelöst und sie konnte nicht verhindern, dass sie sich für einen Moment fragte, wie es wohl wäre, wenn seine Hand nicht nur über ihren Oberschenkel streichelte. Ihr Körper begann bei diesem Gedanken so sehr zu kribbeln, dass sie für einen Moment die Augen schließen und den Atem anhalten musste. Sie hasste es und verfluchte sich selbst dafür, doch sie war vollkommen machtlos dagegen. Und wenn sie an die vor ihr liegenden drei Wochen dachte, entrann nur ein verzweifelter Seufzer ihrer Kehle.

Brodelnde Wut im Handtuch

Endlich am Anwesen (1) angekommen, registrierte Anjali zufrieden, wie verblüfft Rahul über die Größe des Hauses und des dazugehörigen Grundstückes war. Er hatte ganz offensichtlich nicht damit gerechnet, dass ihre Familie zur gehobenen Mittelschicht gehörte und durch ihre vielen Felder ein überaus reichliches Einkommen hatte.

Nachdem sie das Haus betreten hatten, hoffte Anjali, dass ihre Mutter sie bitten würde, Rahul sein Zimmer zu zeigen, doch zu ihrer Enttäuschung übernahm sie diese Aufgabe selbst und riet Anjali stattdessen, auf ihr Zimmer zu gehen und sich auszuruhen. Es war – durch die Zeitverschiebung in Indien bedingt – schließlich mitten in der Nacht und ein Jetlag würde erfahrungsgemäß nicht ausbleiben. Etwas mürrisch folgte sie der Anweisung ihrer Mutter und hoffte, dass sie wenigstens am nächsten Tag irgendwann die Möglichkeit haben würde, mit Rahul allein zu sein. Sie konnte es kaum noch abwarten, ihre Wut über seine Dreistigkeit und seine unverfrorenen Lügen endlich an ihm auszulassen.

In ihrem Zimmer angekommen, stellte sie ihr Gepäck ab und ließ sich anschließend bäuchlings und mit einem lauten Seufzer auf ihr Bett fallen. Erst jetzt bemerkte sie, wie müde sie eigentlich war. Die ganze Aufregung, die Rahul verursacht hatte, hatte diese Tatsache völlig in den Hintergrund treten lassen. Sie beschloss, nur noch für einen Moment liegenzubleiben und anschließend duschen zu gehen, doch kaum hatte sie die Augen geschlossen, war sie auch schon eingeschlafen.
 

Erst das Klopfen ihrer Mutter an ihrer Tür am späten Vormittag ließ sie wieder aufwachen. „Machst du dich fertig und kommst dann frühstücken, Anju?“, wollte sie wissen und steckte den Kopf zur Tür herein. Ohne die Augen zu öffnen, wedelte Anjali mit der Hand herum und ließ ein zustimmendes Brummen verlauten, als Zeichen dafür, dass sie wach war und verstanden hatte.

Nachdem ihre Mutter daraufhin wieder verschwunden war, blieb Anjali noch fünf Minuten liegen, bevor sie sich mühsam aus ihrem Bett quälte und zur Dusche schlich. Sie war froh, dass im Haus jedes Schlaf- und Gästezimmer ein eigenes Bad hatte, denn so konnte sie sich so viel Zeit lassen, wie sie wollte und das heiße Wasser ausgiebig genießen ohne gestört zu werden.

Als sie das Gefühl hatte, endlich einigermaßen wach und frisch zu sein, stieg sie aus der Duschkabine und schlang sich ein großes Badetuch um den Körper. Große Dampfwolken umgaben sie, als sie das überhitzte Bad verließ und wieder in ihr Zimmer trat. Sie war gerade damit beschäftigt, sich mit einem kleinen Handtuch die Haare zu trocknen, als sie bemerkte, dass sie nicht alleine im Raum war. Rahul saß – gekleidet in ein weißes T-Shirt und eine beige Stoffhose – mit verschränkten Armen auf ihrem Bett und musterte mit einem interessierten Lächeln auf den Lippen ausführlich ihre Erscheinung (2).

„Was machen Sie denn hier?!“, entfuhr es Anjali mit aufgebrachter Stimme, während sie puterrot anlief und versuchte, ihr ihr mit einem Mal viel zu klein erscheinendes Handtuch gleichzeitig höher über ihre Brust und tiefer über ihre Schenkel zu ziehen. Rahul beobachtete amüsiert das kleine Schauspiel, das sich ihm bot und meinte: „Deine Mutter bat mich, dich zum Frühstück zu holen. Und da du im Bad warst, dachte ich, ich warte hier einfach auf dich.“ Sein Grinsen wurde breiter, als er aufstand und langsam auf sie zukam. „Und wie ich sehe hat sich das Warten sehr wohl gelohnt...“ Sein Blick wanderte dabei langsam über ihren spärlich bedeckten Körper. Ihre noch feuchte Haut glänzte durch das durch die großen Fenster einfallende Sonnenlicht und lud ihn förmlich dazu ein, sie zu berühren. Als Anjali allerdings zurückwich, als er seine Hand nach ihr ausstreckte, begnügte er sich mit einer ihrer nassen Locken, die er sich spielerisch um den Finger wickelte.

Anjalis Blick klebte an Rahuls Augen und sie hätte schwören können, dass sie darin sehen konnte, was er gerade dachte. Und diese Gedanken ließen erneut eine Hitzewelle über ihren Körper jagen. Ihr Herzschlag spielte verrückt und sie hoffte inständig, dass er endlich aufhörte, sie mit seinen brennenden Blicken zu mustern und den Raum verließ. Diesen Gefallen tat er ihr allerdings nicht. Stattdessen beugte er sich noch weiter zu ihr vor – was sie durch ihr darauffolgendes Zurückweichen gegen die Wand hinter sich stoßen ließ – stützte seinen Unterarm über ihrem Kopf ab und hauchte ihr rau entgegen: „Jedes Mal wenn ich dich von nun an sehe, werde ich daran denken, wie du jetzt im Moment vor mir stehst: völlig durchnässt und nur mit einem winzigen Handtuch bekleidet...“ Sein heißer Atem schob sich über ihre Haut und hinterließ eine brennende und prickelnde Spur. Doch als ob das nicht schon schlimm genug gewesen wäre, lehnte er sich noch etwas weiter nach unten und begann, mit seiner Zungenspitze langsam den Weg eines Wassertropfens, der aus den Haaren geperlt war, von ihrem Schlüsselbein hinauf zu ihrem Ohr nachzuzeichnen. Anjali konnte sich daraufhin ein leises Keuchen, das sie allerdings sofort erstickte, indem sie sich die Hand über den Mund legte, nicht unterdrücken. Mit einem triumphierenden Lächeln ließ Rahul schließlich von ihr ab und meinte: „Das Frühstück wartet. Zieh dich um, ich warte vor der Tür auf dich.“

Er hatte kaum die Zimmertür hinter sich verschlossen, als ihre Beine plötzlich nachgaben und sie zu Boden sackte. Ihr Herz hämmerte wie wild gegen ihren Brustkorb und ihr gesamter Körper fühlte sich an wie Wackelpudding. Wieso? Wieso nur hatte dieser Mann plötzlich so eine Wirkung auf sie? Wieso konnte sie nicht einfach nur Abscheu für ihn empfinden, wie sie es am Anfang getan hatte? Sie verstand es nicht. Und vor allem fragte sie sich, wann genau sich ihre Einstellung ihm gegenüber begonnen hatte, sich zu ändern – und warum.

Doch jetzt war nicht die Zeit, sich um solche Dinge Gedanken zu machen. Sie musste zum Frühstück, sonst würden ihre Eltern noch auf dumme Gedanken kommen, was Rahul und sie die ganze Zeit getrieben haben. Sie atmete also mehrmals tief durch und rappelte sich anschließend auf, um sich anzuziehen.
 

Nachdem Anjali sich schnell die Haare geföhnt hatte und in einen ihrer Lieblingssalwar Kameez‘ (3) geschlüpft war, trug sie noch ein wenig Kajal um ihre Augen auf und machte sich dann auf den Weg ins Esszimmer, wo Rahul und ihr Vater bereits am Tisch saßen und ihre Mutter ihnen das Essen auftrug. Anjali half ihr dabei und nahm anschließend neben ihrer Mutter und gegenüber von Rahul Platz. Erst in diesem Moment bemerkte sie, wie er sie mit einem merkwürdig verblüfften Gesichtsausdruck anstarrte. Verwirrt hob sie eine Augenbraue und schaute ihn fragend an, doch er schüttelte daraufhin nur etwas abwesend den Kopf und wendete seinen Blick von ihr ab. Sie zuckte daraufhin nur ratlos mit den Schultern und widmete sich dann ihrem Essen.

So bemerkte sie auch nicht, dass Rahuls Augen, als sie ihm keine Beachtung mehr schenkte, verstohlen zu ihr zurückwanderten und jeden Zentimeter von ihr musterten. Er konnte kaum glauben, wie hübsch sie mit dieser indischen Kleidung aussah. Sie stand ihr ganz hervorragend und – er hätte nie geglaubt, dass er so etwas einmal denken würde – sie gefiel ihm in dieser Aufmachung beinahe sogar besser als nur mit diesem winzigen Handtuch bedeckt. Über sich selbst erstaunt, schüttelte er kurz den Kopf und wendete sich dann dem Essen zu, das auf seinem Teller lag.

Als Anjalis Mutter kurz darauf vorschlug, dass Anjali Rahul heute doch ein wenig die Umgebung zeigen konnte, erklärte Anjali sich sofort erfreut einverstanden, denn so würde sie endlich genug Zeit mit Rahul allein haben, um ihn deutlich über ihren Unmut über sein Verhalten in Kenntnis zu setzen.
 


 

(1) http://i824.photobucket.com/albums/zz170/elfogadunk/FF%20pics/sharma_mansion.jpg

(2) http://i824.photobucket.com/albums/zz170/elfogadunk/FF%20pics/rahul_ns.jpg

(3) http://i824.photobucket.com/albums/zz170/elfogadunk/FF%20pics/anjali_sk.jpg

Die Abmachung

Nach dem Frühstück half Anjali ihrer Mutter dabei, die Küche aufzuräumen und auch Rahul bot zu Anjalis Überraschung seine Hilfe an. Zu dritt war die Arbeit schnell erledigt und der geplante kleine Rundgang konnte beginnen. Er endete allerdings bereits wenige hundert Meter vom Haus entfernt an einem alten Traktor vor einer der großen Scheunen der Sharmas.

Abrupt blieb Anjali stehen, drehte sich zu Rahul um und schaute ihm fest in die Augen, bevor sie mit ruhiger Stimme meinte: „Die ist für heute morgen.“ Sie verpasste ihm eine schallende Ohrfeige. „Die für die Lüge über unsere angebliche Verlobung.“ Noch eine Ohrfeige. „Und die dafür, dass Sie mir einfach ohne meine Einwilligung hierher gefolgt sind und mir meinen lang ersehnten Urlaub verdorben haben.“ Und noch eine Ohrfeige.

Schwer atmend stand sie vor ihm und blickte ihn wütend an. Er war allerdings so perplex, dass er im ersten Moment nichts erwidern konnte. Seine Wangen brannten von ihren unerwartet harten Schlägen und er schluckte schwer. „Sie werden meinen Eltern die Wahrheit sagen und diese ganze Lügengeschichte aufklären, samajha gaya?!“, wies sie ihn an und streckte ihm drohend ihren Zeigefinger entgegen. Die Ohrfeigen hatten zwar gerade ungeheuer gut getan, doch sie war noch längst nicht zufrieden.

„Anjali, ich...“, begann er zögernd. „Ich spreche kein Wort Hindi. Und um ehrlich zu sein habe ich auch die Hälfte von dem, was deine Eltern mir erzählt haben, nicht verstanden...“ Verwirrt über diesen plötzlichen Themenwechsel starrte sie ihn an und meinte dann: „Äh... Und warum sagen Sie das erst jetzt…?“, wollte sie wissen. „Weil ich…“, wollte er erklären, doch sie schnitt ihm das Wort ab. „Im Endeffekt ist das jetzt aber auch vollkommen egal! Ich will, dass Sie meinen Eltern die Wahrheit sagen!“ „... Meinst du wirklich, dass das klug wäre? Ich meine, es...“ „Lieber jetzt als noch später.“, fuhr sie ihm zwischen seine Einwände. „Ich habe wirklich keine Lust, drei Wochen lang so zu tun, als ob ich mit Ihnen verlobt wäre!“ Damit drehte sie sich schnaufend und mit erhobenem Kopf um und machte sich auf Weg zurück zum Haus. Rahul jedoch stand wie angewurzelt da und schaute sprachlos zu, wie sie sich festen Schrittes und mit schwingenden Hüften von ihm entfernte.
 

Wenige Meter vor ihrem Haus blieb sie stehen und wartete darauf, dass Rahul zu ihr aufschloss. Sie wollte keine unnötigen Zweifel bei ihren Eltern wecken, indem sie getrennt von ihrem – zugegebenermaßen sehr kurzen – Spaziergang zurückkamen.

Als er sie endlich eingeholt hatte, fiel ihr auf, dass er ein wenig abwesend wirkte und sie fragte sich, ob ihre Ohrfeigen der Grund dafür waren. Falls das der Fall war, freute es sie, denn das war dann wohl eindeutig ein Zeichen dafür, dass er endlich einmal über sein Verhalten nachdachte – das hoffte sie zumindest.

Kaum hatten sie das Haus betreten, trafen sie auch schon auf Anjalis Mutter, die die beiden verdutzt anschaute. „Was macht ihr denn schon wieder hier?“, wollte sie wissen. „Wir haben etwas vergessen. Nicht wahr, Rahul?“, antwortete Anjali und stieß Rahul bei ihren letzten Worten mit dem Ellenbogen unauffällig in die Rippen, als Zeichen dafür, dass er seine Lüge jetzt aufklären sollte. Doch gerade als er seinen Mund öffnen wollte, zwitscherte ihre Mutter los: „Das trifft sich hervorragend, denn weißt du, wer vor zwei Minuten angerufen hat, Anju? Misses Sinha! Ihre Tochter Pooja wird bald heiraten! Zur Hochzeit werdet ihr leider nicht mehr hier sein, aber zur Verlobungsfeier in zehn Tagen seid ihr herzlich eingeladen. Ich habe auch gleich angekündigt, dass du deinen reizenden Verlobten mitbringen wirst.“ Sie strahlte vor Freude, während Anjali jedoch aufgrund dieser Neuigkeit beinahe alles aus dem Gesicht fiel.

„Ich weiß schon gar nicht mehr, wann wir das letzte Mal auf einer Hochzeit waren. Wir müssen unbedingt vorher noch einmal einkaufen fahren, vor allem weil Rahul sicher gar keine festliche Kleidung dabei hat. Am besten wir fahren…“ Die Worte sprudelten nur so aus ihrer Mutter heraus, doch Anjali hörte schon gar nicht mehr zu. Ihre letzte Chance, diese ganze Verlobungslüge aufzuklären, hatte sich soeben in Luft aufgelöst. Sie konnte die Wahrheit jetzt, wo ihre Mutter sie schon so großartig für die Feier angekündigt hatte, nicht mehr offenbaren. Es wäre unglaublich peinlich für ihre Eltern gewesen, wenn sie diese Mitteilung wieder hätten zurückziehen müssen.

Sie bedeutete Rahul also mit einem weiteren Stoß in die Rippen und einem darauffolgenden unauffälligen Kopfschütteln, dass er den Mund halten sollte. Verwirrt schaute er sie an, folgte jedoch mehr als bereitwillig ihrer Anweisung.

Erst als ihre Mutter auf der Suche nach ihrem Mann von dannen gezogen war, verlieh Anjali ihrer Frustration Ausdruck. „Das kann doch alles nicht wahr sein…!“, stöhnte sie genervt und warf die Hände vors Gesicht. Rahul sah sie nur fragend an und verstand das Problem nicht – was jedoch vornehmlich daran lag, dass er beinahe nichts von dem verstanden hatte, was Anjalis Mutter ihnen gerade in einem irren Tempo erzählt hatte.

Nachdem Anjali ihm den Sachverhalt und das daraus entstehende Problem erklärt hatte, schaffte er es nicht im Entferntesten so zu tun, als ob ihn diese Wendung der Dinge stören würde. „Das heißt also: Alles wie gehabt. Die nächsten drei Wochen sind wir ein frisch verlobtes Liebespaar.“, resümierte er mit einem breiten Grinsen, das Anjalis Puls vor Wut schneller werden ließ. „Es sieht ganz so aus…“, antwortete sie missmutig und schloss schnaufend die Augen. Das Schicksal war ganz offensichtlich nicht auf ihrer Seite.
 

Während des Spaziergangs, den sie zur Klärung der Situation doch noch angetreten hatten, verdeutlichte Anjali ihren Standpunkt. „Wagen Sie es ja nicht, die Situation auszunutzen!“, warnte sie Rahul. „Kein Getatsche und keine Küsse, klar?!“ „Das kann ich nicht versprechen. Ich meine, wir müssen schließlich glaubwürdig wirken, und solche Sachen gehören zu einer Beziehung nun einmal dazu oder nicht?“, erwiderte Rahul ruhig. „Und im Küssen bekommen wir beide ja schließlich langsam Übung…“, fügte er hinzu, während er seinen Arm um ihre Schultern legte und gespielt unbeteiligt in eine andere Richtung schaute.

Anjali errötete leicht, da sie genau wusste, dass er auf ihren letzten Kuss im Büro anspielte, doch sie war alles andere als gewillt, jetzt mit ihm über diesen Aussetzer ihrerseits zu diskutieren und befreite sich deshalb aus seinem Griff. „Reden Sie keinen Unsinn! Meine Eltern mögen Sie aus unerfindlichen Gründen, also spielen Sie einfach weiter den charmanten Gentleman. So werden wir die drei Wochen schon irgendwie herumbekommen. Und in zwei Monaten werde ich meine Eltern anrufen und ihnen erzählen, dass unsere Verlobung geplatzt ist, weil Sie mich betrogen haben. Somit wäre die ganze Sache dann wieder aus der Welt.“, teilte Anjali Rahul höchst motiviert ihren Plan mit, doch dieser war davon wenig begeistert. „Ich werde dich also betrügen?“, hakte er skeptisch nach. „Ganz sicher nicht. Wer dich einmal erobert hat, sollte dich nie wieder gehen lassen. Lass dir also besser eine andere Ausrede einfallen.“ Verblüfft schaute sie ihn an und fragte sich, ob er tatsächlich meinte, was er sagte, denn sein Gesicht wirkte überraschend ernst.

„Wobei ich allerdings nicht glaube, dass das nötig sein wird. In zwei Monaten werden wir mit aller Wahrscheinlichkeit wirklich verlobt sein.“, fügte er hinzu und wartete, sie aus dem Augenwinkel heraus beobachtend, auf ihre Reaktion. Sie seufzte allerdings nur und fragte: „Sie können es nicht lassen oder?“ „Ich meine es ernst. Das wirst du bald einsehen. Wieso sonst sollte ich mit dir hierher geflogen sein?“, entgegnete er, doch Anjali zuckte nur ratlos mit den Schultern. Es ermüdete sie, dass es ihr einfach nicht gelang, diesen Mann richtig einzuschätzen. Deswegen wollte sie dieses Gespräch auch nicht weiterführen. Die vor ihr liegenden Wochen würden diesbezüglich schon anstrengend genug werden.

Um das Thema zu wechseln, zeigte sie ihm also wirklich ein wenig die Umgebung mit den weitläufigen Feldern und erzählte ihm ein paar Sachen über ihre Familie. Er hörte aufmerksam zu und schien zu Anjalis Überraschung ehrlich interessiert an dem zu sein, was sie zu berichten hatte.
 

Wieder zu Hause angekommen, wartete bereits das Mittagessen auf die beiden. Anjalis Eltern redeten auf Rahul ein und Anjali genoss noch für eine Weile seinen rat- und hilflosen Anblick, bevor sie schließlich offenbarte, dass er weder Hindi noch Punjabi sprach. Ihre Eltern empörten sich daraufhin darüber, dass ihnen dieser Umstand nicht eher mitgeteilt wurden war und entschuldigten sich bei Rahul dafür, dass sie es nicht von selbst bemerkt hatten.
 

Den restlichen Tag verbrachten die vier damit, auf der Terrasse in der Sonne zu sitzen und sich über die aktuellsten und spannendsten Neuigkeiten auszutauschen. Während Anjali und ihre Eltern ein angeregtes Gespräch führten, hielt Rahul sich zurück. Er genoss es einfach, Anjalis Ausführungen zu lauschen und ihre dabei weit ausholende Gesten zu beobachten. Er empfand ihr Art als einmalig und er schätzte sich glücklich, dass das Schicksal auf seiner Seite war und er sie die nächsten Wochen quasi für sich allein hatte. Ihm war bewusst, dass er diese Zeit weise nutzen musste, denn eine solche Chance würde sich ihm ganz sicher nicht noch einmal bieten. Die drei Ohrfeigen von heute morgen nahm er dafür gern in Kauf und er wusste auch, dass er sie im Grunde genommen auch verdient hatte. Er hatte von Anfang an geahnt, dass Anjali sich seine Dreistigkeit nicht einfach bieten lassen würde – und damit konnte er auch leben, denn am Ende würde sich all der Ärger lohnen. Anjalis Liebe war ihm das wert, so viel war sicher.

Während Rahul diese Überlegungen anstellte, ruhte sein Blick, ohne dass er selbst bewusst registrierte, die ganze Zeit liebevoll auf Anjali. Da sie jedoch so in ihr Gespräch vertieft war, bekam sie davon nichts mit – ihr Vater allerdings schon, und er nahm diese Tatsache zufrieden zur Kenntnis.

Rahuls Wandel

Am nächsten Tag schaffte Anjali es erfolgreich, Rahul größtenteils aus dem Weg zu gehen. Sie wollte nicht mehr Zeit mit ihm verbringen als unbedingt nötig, denn es behagte ihr ganz und gar nicht, mit ihm Pärchen spielen zu müssen. Das gab ihm zu viele Möglichkeiten, sie zu berühren und sie damit aus dem Konzept zu bringen. Es war schließlich nicht nur die Tatsache, dass sie die Ernsthaftigkeit seiner Bemühungen anzweifelte, er war auch nach wie vor ihr Chef.

Doch je mehr sie versuchte, sich das einzubläuen, desto öfter erwischte sie sich dabei, wie sie ihn heimlich beobachtete, wenn er in der Nähe war. Ihre Augen suchten beinahe schon automatisch nach ihm und jedes Mal, wenn ihr das bewusst wurde, verfluchte sie sich dafür, denn eigentlich hatte sie die perfekte Ablenkung, indem sie ihrer Mutter mit dem Haushalt half und sich mit ihr gemeinsam um das Essen kümmerte.

Rahul machte unterdessen Gebrauch von seinen Kenntnissen als Manager, indem er Anjalis Vater ein effizienteres System zur Verwaltung seiner Einnahmen und Ausgaben zeigte.
 

„... Ich habe mir jahrelang viel zu viel Mühe gemacht. Dank Rahul lässt sich jetzt alles in gerade einmal einer Stunde in der Woche ausrechnen!“, schwärmte Anjalis Vater seiner Tochter und seiner Frau beim Abendessen vor und klopfte seinem angeblichen Schwiegersohn anerkennend auf die Schulter. Dieser winkte allerdings nur kopfschüttelnd ab. „Das System stammt nicht von mir. Das habe ich während meines Studiums in Oxford gelernt, als...“, erklärte er, doch Anjali hörte ihm gar nicht weiter zu. Sie war viel zu erstaunt darüber, dass Rahul in Oxford studiert haben sollte. Beinahe wäre sie mit ihrer Verwunderung auch herausgeplatzt, doch sie konnte sich gerade noch zurückhalten, da ihr auffiel, dass es merkwürdig ausgesehen hätte, wenn sie nicht einmal wusste, wo ihr vermeintlicher Verlobter studiert hatte.

Als sie dem Gespräch wieder ihre Aufmerksamkeit schenkte, ging es ohnehin bereits wieder um ein anderes Thema. Anjalis Mutter bestand darauf, vor der Verlobungsfeier in der nächsten Woche unbedingt noch einmal nach Amritsar zu fahren, um einzukaufen, da sie der Meinung war, dass Rahul unbedingt noch traditionelle Festkleidung und Anjali einen neuen Sari brauchte. Anjali war von der Idee wenig begeistert, denn sie hasste es, einkaufen zu gehen, und die Tatsache, dass Rahul auch noch dabei sein würde, machte sie Sache nicht unbedingt erträglicher. Um ihre Mutter glücklich zu machen, erklärte sie sich allerdings einverstanden und machte gute Miene zum bösen Spiel.
 

Nach dem Essen half Anjali ihrer Mutter noch beim Aufräumen und verzog sich anschließend mit einem Buch auf die Dachterrasse. Die Sonne ging gerade unter und tauchte die gesamte Umgebung in ein warmes, goldenes Licht. Anjali ließ ihren Blick für ein paar Augenblicke über die Landschaft und die Felder schweifen, sog tief die Luft ihrer Heimat ein und schloss anschließend für einen Moment die Augen, bevor sie es sich auf dem Boden, an einen der Pfeiler des Terrassengeländers gelehnt, niederließ.

Sie hatte jedoch kaum angefangen zu lesen, als sie Schritte hörte und Rahul plötzlich vor ihr stand. Ohne ein Wort zu ihr, kam er auf sie zu und setzte sich mit nach vorn ausgestreckten Beinen neben sie. Sie schaute ihn mit einer Mischung aus Erwartung und Erstaunen an, doch er lehnte sich nur mit vor der Brust verschränkten Armen zurück und schloss die Augen. „Lies dein Buch. Ich will dich nicht stören.“, meinte er. „Ich hatte nur das Bedürfnis, ein bisschen Zeit mit dir zu verbringen, da wir uns heute kaum gesehen haben.“ Anjali wusste nicht, was sie darauf antworten sollte, vor allem da sie den vorwurfsvollen Unterton nicht überhört hatte, der ihr verriet, dass Rahul genau wusste, dass sie ihn den ganzen Tag über gemieden hatte.

Sie seufzte kurz, um den in ihr aufsteigenden kleinen Funken eines schlechten Gewissens im Keim zu ersticken und meinte dann: „... Sie haben also in Oxford studiert?“ „... Wieso? Erstaunt dich das?“, antwortete er mit einer Gegenfrage. „Ich hatte immer angenommen, Sie wären ein Idiot. Aber anscheinend sind Sie zumindest ein intelligenter Idiot.“, gab sie zurück, woraufhin er seine Augen öffnete und ihm ein kurzes Lachen entwich. „Vielen Dank für das Kompliment!“

Sie begannen daraufhin eine angeregte Diskussion darüber, wer von ihnen beiden intelligenter war und woran das festgemacht werden konnte. Sie vergaßen darüber völlig die Zeit und bemerkten nicht einmal, dass es Stück für Stück dunkler wurde. Erst als es stockfinster war, beschlossen sie, wieder ins Haus zu gehen und sich nach einer kurzen Verabschiedung bei Anjalis Eltern in ihre Betten zu begeben.

Während Anjali sich umzog, stellte sie fest, dass sie das Gespräch mit Rahul durchaus genossen und sich sehr wohl amüsiert hatte. Vor allem da er nicht ein einziges Mal eine mehrdeutige Anspielung oder eine billige Anmache gebracht hatte. Er hatte noch nicht einmal versucht, ihr in ihr Zimmer zu folgen. Was war los mit ihm?
 

Um ihrem Vater bei der Arbeit zu helfen, begleitete Anjali ihn am nächsten Tag gleich nach dem Frühstück auf die Felder – und auch Rahul bot seine Unterstützung an. Anjali fand es erstaunlich, wie gut die beiden Männer sich verstanden und lauschte interessiert ihren Gesprächen.

Rahul erzählte, dass bereits sein Großvater nach Großbritannien ausgewandert und sein Vater in London geboren wurden war. Dadurch hatte Rahul selbst schon keinen Bezug mehr zu Indien und daher auch nie das Bedürfnis gehabt, die Heimat seines Großvaters kennenzulernen und das Land zu besuchen. Das von seinem Vater gegründete Hotel leitete er seit dessen Tod vor sechs Jahren. Seine Mutter war bereits an Krebs gestorben als er noch Teenager war.

Auch wenn Anjali das vor ihrem Vater nicht zugeben konnte, waren all diese Dinge neu für sie und zum ersten Mal wurde ihr bewusst, dass Rahul auch nur ein Mensch mit einer durchaus bewegten Geschichte war. Sie wollte gar nicht daran denken, ohne ihre Eltern leben zu müssen, denn wie Anjalis Vater Rahul auch berichtete, wohnte ihre Familie nicht wie sonst in Indien üblich zusammen in einem Haus, sondern war im ganzen Land verstreut. Die Geschwister ihres Vaters lebten in Lucknow und die Schwester ihrer Mutter in Mumbai. Es war also selten, dass sich die gesamte Familie traf – doch wenn, dann war es jedes Mal ein riesiges Fest.

Etwas versunken in ihre Gedanken wurde Anjali erst wieder in die Realität zurückgeholt, als sie aus dem Augenwinkel heraus bemerkte, wie Rahul aufgrund der Wärme sein T-Shirt auszog. Verstohlen beobachtete sie das Spiel seiner Arm- und Rückenmuskel, als er ihrem Vater dabei half, einen Pflug in die Erde zu stoßen. Sie war fasziniert von dem, was sie sah und ertappte sich dabei, wie sie sich vorstellte, ganz langsam mit den Fingerkuppen über seine nackte und leicht verschwitzte Haut zu streichen und dabei zu beobachten, wie sich durch ihre Berührung eine leise Gänsehaut bildete...

Widerwillig schüttelte sie den Kopf, um ihre Gedanken zu verscheuchen und widmete sich stattdessen wieder dem Abstecken der Beete. Dadurch bemerkte sie auch nicht, dass Rahul sie seinerseits ebenfalls eingehend musterte. Er empfand es als beinahe hypnotisch schön, wie sie dort in ihrem pastellgelben Salwar Kameez und mit ihrem zum Zopf gebundenen, langen Haar auf dem rohen Ackerboden hockte und ihrer Arbeit nachging. Die winzigen Schweißperlen auf ihrer Haut glänzten durch das brennende Sonnenlicht und in ihm kam das Bedürfnis auf, jede einzelne von ihnen wegzuküssen. In Hinblick auf die Anwesenheit von Anjalis Vater verwarf er diesen Gedanken allerdings wieder und konzentrierte sich auf seine Arbeit.
 

Als die drei am späten Nachmittag wieder nach Hause kamen, waren Anjali und Rahul aufgrund der ungewohnt schweren Arbeit vollkommen erledigt. Nach einer ausgiebigen Dusche schlugen sie kräftig beim Abendessen zu und setzten sich anschließend noch mit Anjalis Eltern vor den Fernseher. Anjali hielt allerdings nicht besonders lange durch und nickte bald ein. Dabei rutschte ihr Kopf langsam von der Rückenlehne der Couch auf Rahuls Schulter. Mit den liebevoll-amüsierten Blicken ihrer Eltern im Rücken, hob er sie daraufhin vorsichtig in seine Arme und brachte sie in ihr Zimmer, wo er sie sanft auf ihrem Bett ablegte und anschließend zudeckte.

Für einen Augenblick stand er einfach nur da und musterte ihr schlafendes, vom fahlen Mondlicht beleuchtetes Gesicht und war versucht, ihre so unendlich weich wirkenden Lippen zu küssen, doch er riss sich zusammen. Ihm war bewusst, dass Anjali nicht begeistert gewesen wäre, wenn er sie mit einer solchen Geste geweckt hätte, also ließ er es schweren Herzens bleiben. Er wollte sich durch so unüberlegtes Verhalten nicht alles kaputt machen und begnügte sich damit, noch einmal leicht ihre Hand zu streicheln, bevor er ihr Zimmer wieder verließ, um zurück zu ihren Eltern ins Wohnzimmer zu gehen.

Verkupplungspläne

Auch in den folgenden Tagen hielt Rahul sich, was Anjali betraf, weitgehend zurück. Sie registrierte das mit positivem Erstaunen und gleichzeitiger Verwirrung, da sie nicht wusste, wie sie sein Verhalten einordnen sollte. War es nur wieder eine seiner Maschen oder meinte er es dieses Mal tatsächlich ernst? Sie konnte es bei aller Bemühung nicht sagen und vor allem fiel es ihr nach all seinen bisherigen Aktionen schwer, an seine Aufrichtigkeit zu glauben und ihm Vertrauen zu schenken.

Diese Unsicherheit wurde ihr allerdings durch ein Gespräch mit ihrer Mutter, von ihr unbewusst, beinahe völlig genommen.

Sie hatten gerade das Abendbrot beendet und standen in der Küche, um den Abwasch zu erledigen, als ihre Mutter meinte: „Dein Rahul ist wirklich ein ganz fabelhafter junger Mann, Anju.“ Anjali schaute ihre Mutter daraufhin überrascht über diese unerwartete Feststellung an und errötete ungewollt. „Er ist so höflich, intelligent, hilfsbereit und auch noch gutaussehend. Und vor allem sieht man in jedem seiner Blicke und in jeder Geste, wie sehr er dich liebt.“, erklärte ihre Mutter, während sie das von Anjali abgewaschene Geschirr abtrocknete und ihre Tochter liebevoll musterte. „Was... Was genau meinst du, Ma?“, fragte Anjali unsicher nach und spürte, wie ihr Herz vor aufkommender Aufregung plötzlich begann, schneller zu schlagen.

„Das kannst du natürlich nicht wissen, aber immer wenn du in seiner Nähe bist, beobachtet er dich und scheint dabei immer darauf bedacht zu sein, sofort an deiner Seite zu sein, wenn du ihn brauchst. So eine Hingabe sieht man bei den jungen Leuten heutzutage nur noch selten. Du kannst dich wirklich glücklich schätzen, Anju...“

Anjali traute ihren Ohren kaum. Redete ihre Mutter da gerade tatsächlich von demselben Rahul? Dem Rahul, den sie nur als selbstgerechten Macho kannte? Sie konnte es nicht fassen. Nachdem sie allerdings einen Moment darüber nachgedacht hatte, fragte sie sich, ob er das alles vielleicht nicht nur tat, um ihren Eltern zu imponieren. Sie war sich jedoch nicht sicher, wie sie ihre Mutter darüber ausfragen konnte, ohne ihr zu offenbaren, dass sie an Rahuls Ehrenhaftigkeit zweifelte.

„Er will euch gegenüber natürlich als guter Schwiegersohn dastehen, da legt er sich selbstverständlich ein wenig mehr ins Zeug, als er es normalerweise tun würde...“, argumentierte Anjali schließlich und fand, dass das durchaus plausibel klang. „Oh nein, ich denke nicht. Dein Vater und ich haben das unabhängig voneinander festgestellt und auch in Situationen, wo Rahul gar nicht bewusst war, dass wir ihn sehen konnten. Glaub also ruhig, dass dein Verlobter der Traum einer jeden Frau zu sein scheint.“, entkräftete ihre Mutter ihre Erklärung allerdings sofort wieder und strich ihr mit einem aufmunternd-schlemischen Lächeln auf den Lippen kurz mit der Hand über die Wange. Anjali erwiderte das Lächeln, konnte jedoch noch immer nicht glauben, was ihre Mutter ihr gerade weiß machen wollte.

„... Da ist es wohl ganz gut, dass unser ursprünglicher Plan, dich mit Harish Singh zu verkuppeln nicht funktioniert hat...“, stellte Anjalis Mutter fest, während sie sich daran machte, das trockene Geschirr in die Küchenschränke zurückzuräumen. Erstaunt horchte Anjali daraufhin auf. „Wie bitte? Was?“, hakte sie nach und musterte ihre Mutter skeptisch. „Nun ja, wir wollten dir ursprünglich eine Hochzeit mit Harish arrangieren, da ihr euch früher immer so gut verstanden habt und auch seine Eltern von der Idee begeistert waren. Er selbst war auch einverstanden und so traf es sich gut, dass er nach London musste. So hättet ihr euch wieder annähern können und...“, erklärte ihre Mutter und machte Anjali damit beinahe sprachlos.

Das Treffen mit Harish war also gar nicht so zufällig gewesen, wie sie die ganze Zeit über geglaubt hatte? Wenn es nach ihren Eltern ging, würde sie Harish also heiraten? Sie wusste nicht, was sie davon halten sollte. Noch vor wenigen Wochen hätte sie diese Nachricht Luftsprünge machen lassen, doch nun... Nun fühlte sie vor allem Unentschlossenheit. Ihre Verlobung mit Rahul war schließlich nicht echt und so bestand die Möglichkeit, Harish zu heiraten, weiterhin – nur wusste sie nicht, ob sie das tatsächlich noch wollte. Sie mochte ihn nach wie vor immer noch sehr, aber er hatte schließlich den Kontakt von einem Tag auf den anderen abgebrochen und sie wusste bis heute nicht genau, wieso. Sie beschloss allerdings, diese Tatsache ihren Eltern vorerst zu verheimlichen und ahnungslos zu spielen. Statt der Wahrheit erzählte sie ihrer Mutter also, dass sie Harish zwar getroffen hatte, zu diesem Zeitpunkt jedoch bereits mit Rahul verlobt gewesen war.

„Und das ist auch vollkommen in Ordnung. Du weißt, dass wir dich immer dazu erzogen haben, eigenständig zu denken und deine Entscheidungen selbst zu treffen. Und ich bin mir sicher, die Verlobung mit Rahul war eine gute Entscheidung. Du wirst mit ihm ganz bestimmt glücklich werden.“, meinte ihre Mutter und entlockte Anjali damit ein stummes Lächeln, das über ihr inneres Chaos hinwegtäuschen sollte.

Dass ihr Gespräch nicht ungehört geblieben war, ahnten die beiden nicht. In der Absicht, ihnen zu helfen, war Rahul zur Küche gegangen, aber vor der Tür stehen geblieben, als er seinen und später auch Harishs Namen gehört hatte. Zu seinem größten Bedauern hatte er allerdings den größten Teil des Gesagten nicht verstanden, da die beiden Frauen sich auf Hindi unterhalten hatten. Anjalis Reaktionen und die Tatsache, dass Harishs Name so oft gefallen war, reichten allerdings aus, um ihn eine gewisse Bedrohung erahnen zu lassen.

Nächtliche Umarmung

Am Abend des folgenden Tages veranstalteten die Sharmas eine kleine Gartenfeier für sich und ein paar ihrer Bekannten und Freunde. Während Anjali sich noch zurecht machte und anschließend ihrer Mutter in der Küche bei den letzten Vorbereitungen des Essens half, wurde Rahul von Anjalis Vater den nach und nach eintreffenden Gästen stolz als neuer Schwiegersohn der Familie vorgestellt. Die vorwiegend im Alter von Anjalis Eltern befindlichen Herrschaften waren denn auch gleich so angetan von Rahuls Charme und seiner Redegewandtheit, dass sie der etwas überforderten Anjali – als sie mit ihrer Mutter aus der Küche kam – herzlich zu ihrer Verlobung gratulierten und sie mit Glückwünschen überhäuften. Sie setzte daraufhin nach außen ein höfliches Lächeln auf und wünschte sich insgeheim an einen anderen Ort. Ihr war das alles zu viel, vor allem wenn sie daran dachte, was es für ein Theater geben würde, wenn sie all diesen Leuten später mitteilen musste, dass die Verlobung wieder gelöst wurden war.

Doch für den Moment schob sie die Gedanken vorerst beiseite und konzentrierte sich auf das gesellige Beisammensein. Sie kannte alle Gäste schließlich schon seit ihrer Kindheit und es freute sie immer wieder, wenn sie zu Besuch kamen, wenn sie das eine Mal im Jahr zu Hause war.
 

Der Abend verlief denn auch sehr angenehm. Vor allem wenn Anjali und Rahul sich Geschichten über ihre angebliche Liebesgeschichte aus den Fingern saugten und den interessierten Zuhörern zum Besten gaben, hatte Anjali überraschenderweise besonders viel Spaß. Sie übertrieben natürlich nicht, damit sie auch glaubwürdig blieben, doch es war sehr amüsant, sich ein paar Traumvorstellungen auszumalen und dazu dann die teils bewundernden teils etwas neidischen Blicke ihrer Zuhörer zu sehen. Rahul schien dieses Spiel ebenfalls sehr zu genießen, vor allem weil er diese Gelegenheit nutzen konnte, um Anjali immer wieder in den Arm zu nehmen oder sie mit liebevollen, kleinen Gesten zu ärgern. Sie zahlte es ihm heim, indem sie ihm in unbeobachteten Momenten böse Blicke zuwarf und ihm mit den Ellenbogen in die Seiten stieß. Erwartungsgemäß schreckte ihn das nicht im Geringsten ab.

Anjali musste sich allerdings zu ihrem eigenen Entsetzen eingestehen, dass es sie an sich auch nicht einmal mehr besonders störte. Es war irgendwie ein Teil des Spiels, das sie spielten und außerdem konnte sie nicht sagen, dass es sich unangenehm anfühlte, wenn er seine Arme um sie legte. Sein Körper war warm, sein Griff fest und doch gleichzeitig sanft. Diese Erkenntnis behagte ihr allerdings wenig und so schob sie sie vorerst beiseite und beschloss, sich später darüber Gedanken zu machen.
 

Zu später werdender Stunde verabschiedeten sich die Gäste nach und nach wieder. Als schließlich gegen ein Uhr der letzte gegangen war, halfen Anjali und Rahul noch dabei, grob alles aufzuräumen und setzten sich anschließend, und nachdem sich Anjalis Eltern ins Bett verabschiedet hatten, noch einmal nach draußen auf eine der Bänke, die um das langsam verglühende Lagerfeuer aufgestellt waren.

Sie saßen eine ganze Weile schweigend nebeneinander und starrten in die Glut. Keiner der beiden sagte etwas. Das knackende Holz war die einzige Geräuschquelle. Erst als Rahul bemerkte, dass Anjali Gänsehaut hatte, fragte er, ob er ihr eine Decke holen sollte. Als sie ablehnte, setzte er sich kurzerhand hinter sie und legte seine Arme um ihren Oberkörper. Anjali vergaß daraufhin sofort die kühle Nachtluft und versuchte, sich aus Rahuls Umarmung zu befreien, doch am Ende war ihre Anstrengung zu halbherzig, als dass sie hätte erfolgreich sein können. Sein fester Oberkörper an ihrem Rücken, seine starken Arme um ihre Schultern und seine Oberschenkel, die sich links und rechts an ihre schmiegten, wirkten wie eine Decke und wärmten sie auf die angenehmste Weise.

Anjalis Herzschlag beschleunigte sich, als Rahul nach ein paar Augenblicken seinen Kopf auf ihre linke Schulter legte. Er hatte seine Augen geschlossen und er konnte nicht verhindern, dass sein Atem plötzlich schwerer ging. Sie fragte sich, was ihm wohl gerade durch den Kopf ging und was er dachte. Als sie jedoch in Höhe ihres Steißes etwas größer und härter Werdendes in seiner Hose spürte, bekam sie eine schnellere und deutlichere Antwort als ihr lieb war. Erschrocken wollte sie sich von ihm losmachen, doch er hielt sie fest.

„Mach dir keine Sorgen. Ich werde schon nicht über dich herfallen...“, meinte er ruhig. „Ich weiß schon gar nicht mehr, wie oft Sie mir das schon versprochen haben!“, entgegnete sie nervös und versuchte weiter, sich aus seinem Griff zu befreien. „Ich kann nichts dafür, dass mein Körper so auf dich reagiert. Das ist vollkommen natürlich und heißt noch lange nicht, dass mein Verstand nicht auch noch etwas zu sagen hätte...“, erklärte er und vergrub sein Gesicht in ihrem gelockten Haar. „Das ist mir egal. Lassen Sie mich jetzt bitte los!“, bat sie mit rasendem Puls und glühenden Wangen. „... Nur noch einen Augenblick...“, flüsterte er, während er ihren Pfirsichduft und ihre Wärme tief in sich aufsaugte und sich ihre perfekten Kurven genau einprägte.

Er wollte sie nicht loslassen. Er wollte für immer so sitzen bleiben – mit ihr in seinen Armen. Der perfekte Moment. Doch wenn sie sich wehrte, hatte es keinen Sinn. Sie sollte es auch wollen. Also lockerte er schließlich widerwillig seinen Griff und ließ von ihr ab. Zu seiner Überraschung rührte sie sich allerdings nicht und blieb weiterhin dicht an ihn gedrängt sitzen. „... Anjali...?“, fragte Rahul irritiert und brachte sie damit zurück in die Realität. Ohne es zu merken hatte sie ihre Augen geschlossen, riss sie jetzt allerdings sofort wieder auf und erhob sich erschrocken. Ohne ein weiteres Wort oder einen weiteren Blick lief sie eiligen Schrittes ins Haus und ließ einen ratlosen Rahul zurück.
 

Mit hämmerndem Herzen lag Anjali auf ihrem Bett und starrte an die dunkle Zimmerdecke. Ihr Bauch kribbelte wie verrückt und ihre Gedanken rasten. Wieso tat Rahul ihr das an? Konnte er sie nicht einfach in Ruhe lassen? Es wäre alles so viel einfacher, wenn sie sich weiterhin sicher gewesen wäre, dass er nur Spielchen mit ihr trieb. Doch irgendetwas in ihr glaubte unbarmherzigerweise immer mehr daran, dass er es möglicherweise doch ehrlich meinen könnte. Woher dieser Gedanke so plötzlich kam, konnte sie sich selbst nicht so genau erklären, doch sie wünschte sich sehnlich, dass er schnell wieder verschwinden würde. Nur funktionierte das leider nicht so einfach, wie sie sich das vorstellte. Stattdessen wurde ihre Aufregung nur mit jeder seiner Berührungen größer und das Kribbeln in ihrem Körper stärker.

Sie wurde aus ihren Gedanken gerissen, als es leise an der Tür klopfte und Rahul anschließend in ihr Zimmer trat. Erschrocken setzte sie sich auf und schaute ihn durch die Dunkelheit hindurch an. „Verschwinden Sie!“, fuhr sie ihn mit gedämpfter Stimme an, um zu allem Unglück nicht auch noch ihre Eltern unabsichtlich zu wecken.

„Nein.“, entgegnete er ruhig und kam gemächlichen Schrittes auf sie zu. Erst als er ihr Bett erreicht hatte, blieb er stehen und kniete sich neben sie. „Ich werde erst gehen, wenn du mir sagst, was das gerade eben war.“, meinte er, während er mit ruhigen Augen ihr Gesicht musterte. „Ich weiß nicht, was Sie meinen.“, entgegnete sie bissig und drehte sich von ihm weg. Er schnaufte daraufhin, setzte sich neben sie aufs Bett und griff nach ihren Händen. „Anjali, wenn du neuerdings etwas anderes als Abneigung für mich empfindest, will ich das wissen.“, forderte er, doch sie dachte nicht im Traum daran, ihre wahren Gefühle zu verraten und ihm von ihrem emotionalen Chaos zu erzählen.

Sie befreite sich also aus seinem Griff und stand auf. „Ich finde wirklich, dass Sie jetzt gehen sollten.“, wiederholte sie und deutete mit der Hand in Richtung Zimmertür. Er war allerdings nicht gewillt, ihrer Aufforderung Folge zu leisten. Stattdessen ging er langsam auf sie zu und blieb erst unmittelbar vor ihr stehen. Sie hatte das Bedürfnis zurückzuweichen, doch sie riss sich zusammen und zwang sich dazu, ihm und seinen Blicken Stand zu halten.

„... Anjali...“, hauchte er ihr entgegen, während sich ihre Nasenspitzen beinahe berührten und er sanft seine Hände um ihre Hüften schob. „Sag mir die Wahrheit...“ Seine Stimme war kaum lauter als ein Atemzug und schickte heißkalte Schauer über ihren gesamten Körper.

Anjali schloss die Augen. Sie musste sich konzentrieren. Konzentrieren. Doch worauf? Auf seinen unwiderstehlich erdigen Duft? Auf seine weichen Hände auf ihren Hüften? Auf seine Wärme, die langsam ihren Körper umhüllte? Je länger Rahul ihr so nahe war, desto weniger klar konnte sie denken. Plötzlich gab es nur noch seine angenehme Wärme und seine weichen Lippen, die sich lediglich wenige Millimeter vor ihr befanden. Ihr Atem wurde flacher und sie wartete voller Anspannung drauf, was Rahul als nächstes tat.

Zu ihrer Überraschung geschah allerdings nichts. Sie standen einfach so da bis Rahul schließlich mit rauer Stimme meinte: „... Ich habe meine Antwort...“ Dann ließ er von ihr ab und verließ mit einem leisen Lächeln auf den Lippen Anjalis Zimmer.

Völlig überfordert stand Anjali da und wusste nicht, was sie denken sollte. Was war das gerade? Hatte er sie etwa hereingelegt? Aber hätte der Frauenheld-Rahul diese Situation normalerweise nicht schamlos ausgenutzt und wäre wie ein ausgehungertes Tier über sie hergefallen? Sie war vollkommen überfordert und – wie sie sich eingestehen musste – auch etwas enttäuscht. Enttäuscht darüber, dass er jetzt einfach so gegangen war...

Seufzend schloss sie die Augen und fuhr sich fahrig mit den Händen über ihr Gesicht. Das war einfach alles zu viel. Sie brauchte Schlaf, Erholung. Doch so, wie es aussah, würde beides im Moment aufgrund ihrer mehr als aufgewühlten Gefühlswelt noch eine Weile auf sich warten lassen.

Von den Schwierigkeiten, allein einen Choliverschluss zu schließen

Als die Familie am nächsten Morgen zum Frühstück zusammen saß, ließen Anjali und Rahul sich nichts von den Vorkommnissen der letzten Nacht anmerken. Innerlich brodelte in Anjali allerdings ein Vulkan. Rahul hatte sie offensichtlich durchschaut und sie somit nun im wahrsten Sinne des Wortes in der Hand. Sie hatte keinerlei Zweifel daran, dass er seine nun überlegene Position schamlos ausnutzen würde. Er würde sie quälen und er würde Spaß dabei haben. Sie hasste ihn jetzt schon dafür und hoffte, dass dieser Hass groß genug werden würde, um sich am Ende Rahuls Anziehungskraft wieder entziehen zu können.

Vorerst musste sie allerdings weiterhin so tun, als sei sie Rahuls glückliche Verlobte, vor allem da heute der von ihrer Mutter herbeigesehnte Tag war, an dem sie nach Amritsar fuhren, um passende Kleidung für die Verlobung von Mrs. Sinhas Tochter zu kaufen.
 

Die Stadt war laut und voll und Rahul war anzusehen, dass ihn dieses überaus hektische Treiben ein wenig überforderte. Indien war eben doch etwas ganz anderes als Großbritannien.

Auf dem Weg zu den Geschäften griff er in dem Gedränge schließlich nach Anjalis Hand. Sie wollte sie zuerst sofort zurückziehen, doch da fiel ihr auf, dass das nicht bloß wieder eine seiner Anmachen war, sondern dass er anscheinend so etwas wie einen Anker in diesen Menschenmassen brauchte. So ließ sie es also gnädigerweise geschehen, achtete aber peinlich genau darauf, ihm sonst keine weitere Aufmerksamkeit zu schenken.
 

Nachdem sie das erste Geschäft erfolglos wieder verlassen hatten, beschloss Anjalis Mutter, dass es besser sei, wenn sie sich aufteilten, sodass die beiden Männer gemeinsam gingen und die beiden Frauen ebenfalls. Alle erklärten sich einverstanden – und vor allem Anjali war von diesem Vorschlag sehr angetan. So konnte sie sich wenigstens vollkommen auf den Kleidungskauf, der für sie ohnehin schon anstrengend genug war, konzentrieren, ohne ständig Rahul im Rücken zu haben.

Es gestaltete sich jedoch mehr als schwierig, etwas Passendes zu finden. Entweder stimmte die Farbe nicht oder das Muster war zu auffällig oder der Stoff fühlte sich nicht gut an. Bald waren sie im letzten Geschäft des Einkaufszentrums angekommen und hatten noch immer nichts Anständiges gefunden.

„Hier, probier die mal an, Anju.“, meinte Anjalis Mutter und drückte ihr mehrere Saris in die Hand. Seufzend trottete Anjali in Richtung der Umkleidekabinen und folgte der Anweisung. Doch gleich der Verschluss des ersten Cholis erwies sich als so kompliziert, dass sie ihn ohne Hilfe nicht zu bekam. „Ma? Kannst du mir kurz helfen? Ich bekomme den Verschluss nicht zu.“, rief sie aus der Kabine heraus als sie draußen Schritte hörte und annahm, dass es sich um ihre Mutter handelte. Sie stand mit dem Rücken zur Tür als diese geöffnet wurde und jemand herein trat. „Ich bekomme diese Häkchen einfach nicht zu...“, erklärte sie, während sie ihre Haare nach vorne über die Schulter strich und ihren Rücken entblößte, um den problematischen Verschluss freizulegen. Sie hatte sich allerdings kaum positioniert, als sie einen Geruch wahrnahm, der ihr nur allzu bekannt vorkam, jedoch definitiv nicht ihrer Mutter gehörte.

Erschrocken fuhr sie in der räumlich begrenzten Kabine herum und hatte plötzlich Rahul vor sich stehen.

„Was machen Sie denn hier?! Verschwinden Sie! Raus hier!“, fuhr sie ihn an und hob schützend ihre Arme vor ihre Brust, da ihr Choli wegen des noch offenen Verschlusses viel zu locker saß und zu rutschen drohte.

„Dein Vater und ich sind fertig mit dem Einkauf und als wir zufällig gesehen haben, dass ihr in dieses Geschäft gegangen seid, sind wir euch gefolgt. Deine Mutter hat mich dann auch gleich gebeten, nach dir zu sehen.“, erklärte er, worauf Anjali allerdings nur aufgebracht entgegnete: „Das interessiert mich nicht. Raus hier!“ Während sie mit einer Hand weiterhin ihre Brust bedeckte, schob sie ihn mit der anderen Hand in Richtung Kabinentür. Kaum hatte sie diese jedoch geöffnet, sah sie, wie ihre Mutter geradewegs auf sie zukam. Schnell zog sie sich zurück und bedeutete Rahul, leise zu sein.

„Beti, wie weit bist du?“, wollte ihre Mutter wissen. „Noch nicht fertig.“, antwortete Anjali durch die verschlossene Tür. „War Rahul bei dir?“ „Nein, war er nicht.“, log Anjali. „Dann frage ich mich, wo er ist. Ich hatte ihn eigentlich zu dir geschickt...“ „Vielleicht ist er zur Toilette gegangen...“, antwortete Anjali und hoffte, dass ihre Mutter sich mit dieser Erklärung zufrieden geben würde. „Wahrscheinlich hast du Recht. Ich gehe mich noch ein bisschen umsehen. Bis gleich.“ Mit diesen Worten verschwand ihre Mutter wieder und ließ Anjali erleichtert ausatmen.

In diesem Moment stellte sie allerdings fest, dass sie Rahul in ihrer Aufregung mit ihrem Körper gegen die Kabinenwand gedrückt und ihre Hand über seinen Mund gelegt hatte. Er rührte sich nicht, doch als sie aufsah und ihm ins Gesicht blickte, konnte sie das amüsierte Funkeln in seinen Augen sehen. Sofort ließ sie von ihm ab und machte, während sie ihre Hände wieder vor ihre Brust hob, einen großen Schritt nach hinten. „Gehen Sie jetzt endlich...“, forderte sie und drehte ihm ihren Rücken zu, da sie nicht wollte, dass er sah, wie rot ihre Wangen plötzlich waren.

Zuerst wollte Rahul ihrer Bitte mit zugegebenem Widerwillen nachkommen, doch als sein Blick auf ihren nackten Rücken fiel, war es um seine Selbstbeherrschung schließlich doch geschehen. Er kam auf sie zu und schob vorsichtig ihr langes Haar beiseite. Seine unerwartete Berührung ließ sie zusammenzucken, doch er ließ sich nicht beirren. Stück für Stück schloss er die Häkchen ihres Cholis und ließ dann seine Hände an ihren Seiten hinab bis zu ihren Hüften wandern, bevor er sanft seine Finger mit ihren verhakte und ihre Arme über ihren Kopf hob. Dabei drängte er ihren Körper mit seinem vorsichtig gegen die Kabinenwand und senkte seinen Kopf in ihren entblößten Nacken. Sein heißer Atem streichelte verführerisch über ihre Haut und ließ Anjali unter einer angenehmen Gänsehaut erzittern, während Rahul mit den Fingerspitzen seiner rechten Hand an der Außenseite ihres Armes und ihrer Brust wieder herunter glitt und anschließend seine Hand – für Anjali quälend langsam – direkt unter ihren Brüsten um ihren Oberkörper schob. Seine Finger drückten ihre nackte Haut und drängten von unten her so sanft gegen ihren Busen, dass Anjali die Augen schließen musste, um sich noch einigermaßen zusammenzureißen und nicht aufzuseufzen. Man konnte Rahul einiges vorwerfen, aber ganz sicher nicht, dass er nicht wusste, wie man eine Frau anfassen musste.

Er drückte seinen Körper – und vor allem seinen Unterkörper – fest gegen ihren, während er weiterhin mit seiner linken Hand ihre Arme über ihrem Kopf zusammenhielt und damit begann, ihren Nacken zu küssen. Seine Lippen wanderten ihren Hals hinauf bis zu ihrem Ohrläppchen, an dem er neckend saugte, bevor er sich ihrer halbentblößten Schulter widmete.

Anjali wurde unterdessen beinahe wahnsinnig. Noch nie hatte ein Mann sie so berührt. Natürlich hatte sie Liebesbeziehungen gehabt, aber Rahul spielte da in einer ganz anderen Liga. Dieser Mann hatte Erfahrung – und das offenbar reichlich.

Ihre Gedanken wurden jäh unterbrochen, als Rahul seine rechte Hand bewegte und begann, sie um ihre Brüste zu schieben. Anjali wurde plötzlich heiß und kalt und ihr Atem ging stoßweise. Das musste aufhören – und zwar sofort. „Mister Khanna... nicht...“, brachte sie mühsam hervor und veranlasste Rahul damit dazu innezuhalten. Enttäuscht schloss er die Augen, ließ dann aber widerwillig nach ein paar Augenblicken von Anjali ab, da ihm selbst bewusst war, dass dies nicht der richtige Ort für seine Absichten war.

Schwer atmend drehte Anjali sich zu Rahul um, sah sich allerdings außer Stande, ihm in die Augen zu sehen. „Gehen Sie...“, wiederholte sie sich leise und mit gebrochener Stimme, woraufhin Rahul einen Moment schwieg und dann schmunzelnd meinte: „Das Siezen kannst du jetzt wirklich sein lassen...“ Damit drehte er sich um und verließ die Kabine.

Gefühlsumschwünge

Ihre restlichen Saris probierte Anjali noch wie in Trance an. Sie entschied sich schließlich sogar für einen, konnte sich jedoch bereits fünf Minuten nach dem Kauf nicht mehr daran erinnern, wie er überhaupt aussah. Und auch wenn ihre Mutter mit ihr sprach, war sie gar nicht richtig bei der Sache. Ihre Gedanken kreisten einzig und allein um ihre Begegnung mit Rahul in der Umkleidekabine. Ihr war, als konnte sie noch immer seine Hände und seine Lippen auf ihrer Haut spüren und dieses Gefühl brachte sie fast um ihren Verstand. Ein ungeheurer Wunsch nach mehr von seinen Berührungen flammte plötzlich in ihr auf und sie ahnte, dass sie sich dem nicht mehr lange widersetzen können würde. Sie gab sich wirklich allergrößte Mühe, ihre aufkommenden Gefühle für Rahul zu ignorieren und zu unterdrücken, doch es gelang ihr immer weniger. Er hatte sich Stück für Stück in ihr Leben geschlichen und mittlerweile war es nicht mehr möglich, ihn so einfach wieder auszusperren. Würde sie ihren Gefühlen wirklich nachgeben und sich auf Rahul einlassen, würde er entweder ihr Paradies oder ihr Untergang werden – da war sie sich sicher.
 

Auf dem Heimweg starrte Anjali stumm aus dem Autofenster auf die vorbeirauschende Landschaft. Rahul beobachtete sie dabei und hätte nur zu gern gewusst, woran sie wohl dachte. Ihr Blick war abwesend und sie wirkte beinahe melancholisch. Er fragte sich, ob das etwas mit ihm zu tun hatte, denn das wäre ihm nicht Recht gewesen. Er wollte sie glücklich und nicht traurig machen. Das Problem war nur, dass sie sich ihre Gefühle offensichtlich partout nicht eingestehen wollte und er irgendetwas tun musste, um sie aus ihr herauszukitzeln. Er wollte sie damit weder verletzen noch verwirren, doch er sah keine andere Möglichkeit als weiterhin in der Offensive zu bleiben, um nicht vollkommen in Stillstand zu verfallen. Anjali brauchte immer wieder Anstöße, um sich selbst gegenüber endlich ehrlich sein zu können und er war nur allzu bereit, diese zu liefern bis es soweit war – auch wenn ihm vollkommen bewusst war, dass er es unter keinen Umständen übertreiben durfte, um sie am Ende nicht vollkommen abzuschrecken.

Die Verlobungsfeier

Während Anjali am nächsten Tag versuchte, den kosmetischen Übergriffen ihrer Mutter – die es sich offenbar zum Ziel gemacht hatte, ihre Tochter so herauszuputzen, dass sie der zukünftigen Braut auf der Verlobung die Show stahl – zu entkommen, kam Rahul zufällig an Anjalis offener Zimmertür vorbei und konnte im ersten Moment gar nicht fassen, was er dort sah. Seine vermeintliche Verlobte (1) sah so umwerfend aus, dass er nicht einmal ansatzweise in der Lage war, es in Worte zu fassen. Mit offenem Mund lehnte er für einige Momente im Türrahmen bis er von den beiden Frauen bemerkt und irritiert beäugt wurde. Sich ertappt räuspernd fuhr er sich mit der Hand durchs Haar und verließ das Zimmer ohne ein Wort wieder.

„Also deinem Verlobten scheinst du jedenfalls schon einmal sehr gut zu gefallen.“, neckte Anjalis Mutter ihre Tochter daraufhin mit einem amüsierten Lächeln, bekam von dieser als Reaktion allerdings nur eine wegwerfende Handbewegung.
 

Eine halbe Stunde später lief Rahul Anjali erneut über den Weg als sie gerade auf der Treppe auf dem Weg nach unten war. Er (2) hatte sich mittlerweile ebenfalls umgezogen und ihm stand die traditionelle Kleidung besser, als sie angenommen hätte. Sie musste zugeben, dass er wirklich sehr gut aussah. Ihr fiel allerdings auch auf, wie sein Blick erneut voller Bewunderung und Begehren an ihr hing und in ihr kam plötzlich – und obwohl sie ihn seit dem gestrigen Vorfall in der Umkleide gemieden hatte – das Bedürfnis auf, ihn ein wenig zu ärgern.

„Sie sehen gut aus.“, meinte sie lächelnd, als sie sich in der Mitte der Treppe trafen. Mit hochgezogenen Augenbrauen schaute er sie an und schien überrascht. Er fand sich allerdings sofort wieder und entgegnete: „Ich kann mich noch sehr gut daran erinnern, wann du das das letzte Mal zu mir gesagt hast... Du wirst doch wohl nicht wieder vorhaben, mich aus irgendwelchen undurchsichtigen Gründen anzumachen oder?“ Anjali wusste, dass er auf ihren missglückten Racheversuch bei ihrem Geschäftsessen anspielte, doch sie ignorierte seinen subtilen Hohn und erwiderte: „Das war lediglich eine Feststellung. Nehmen Sie es einfach als Kompliment.“ Während sie sprach, stellte sie sich eine Stufe höher vor ihn, damit sie mit ihm auf Augenhöhe war, und richtete seinen eigentlich akkuraten Kragen. Dann legte sie ihm ihre Hände auf die Brust und schaute ihm tief und beinahe verführerisch in die Augen.

Ihr so untypisches Verhalten irritierte ihn sichtlich und auch sie selbst konnte nicht genau erklären, was so plötzlich in sie gefahren war. Sie schob es darauf, dass sie es satt hatte, immer nur sein Spielball zu sein und dass sie ihm ebenfalls einmal zeigen wollte, wie es war, der Gunst eines anderen ausgesetzt zu sein.

Rahul hob gerade seine Hände, um Anjalis Hüften zu umfassen und sie näher an sich zu ziehen, als plötzlich ihr Vater nach ihr rief. Ohne ein weiteres Wort oder einen weiteren Blick machte sie sich von Rahul los und ließ ihn rat- und planlos auf der Treppe stehen.
 

Als die Sharmas und Rahul am frühen Nachmittag nach einer halbstündigen Autofahrt bei der Verlobungsfeier ankamen, brauchten sie aufgrund der unzähligen Gäste auf dem riesigen Sinha-Anwesen beinahe eine halbe Stunde, um sich zum Brautpaar durchzuschlagen, ihnen zu gratulieren und ihnen ihr Geschenk zu überreichen.

Anschließend mischten sich Anjalis Eltern sofort unter die Leute und betrieben Smalltalk und Informationsaustausch mit beinahe jedem, den sie kannten. Anjali und Rahul stellten sich im Gegensatz dazu lieber erst einmal ein wenig abseits und beobachteten das ganze Geschehen.

Die Feier fand im gepflegten, parkähnlichen Garten und auf der großen Terrasse des Hauses statt. Grob überschlagen schätzte Anjali die Anzahl der Gäste auf etwa 200.

Beim Umherschauen fiel ihr Blick auf den neben ihr stehenden Rahul. Ihm war anzusehen, dass er von dem Treiben durchaus beeindruckt war. Sie wollte gerade etwas zu ihm sagen, als er ihr zuvor kam und meinte: „Es ist ein Jammer, dass wir so eine Verlobungsfeier niemals haben werden...“ Überrascht schaute sie ihn an. „Aber ich verspreche dir, dass unsere Hochzeit mindestens doppelt so groß wird.“, fügte er hinzu und schenkte ihr ein Lächeln gepaart mit einem verschwörerischen Zwinkern. Anjali wollte gerade etwas erwidern, als plötzlich ein älteres Ehepaar auftauchte und ihnen überschwänglich zu ihrer angeblichen Verlobung gratulierte. Die beiden lösten damit eine wahre Kettenreaktion aus, denn alle, die die Nachricht noch nicht von Anjalis Eltern gehört hatten, waren spätestens jetzt darüber in Kenntnis gesetzt.

Es dauerte beinahe eine Stunde bis alle Gratulanten durch waren, denn es wurden nicht nur Glückwünsche verteilt, sondern auch ein kleiner Plausch über das Kennenlernen oder die Zukunftspläne des vermeintlich frisch verlobten Paares aufgezwungen. Rahul meisterte all das mit gewohntem Charme und natürlicher Leichtigkeit, während Anjali versuchte, es ihm gleich zu tun, allerdings das Gefühl hatte, kläglich zu scheitern. Solche Sachen lagen ihr einfach nicht und so überließ sie bald nur noch Rahul das Reden und setzte ein Lächeln auf, von dem sie sich sicher war, dass jeder sehen konnte, wie unecht es wirkte. Währenddessen bemerkte sie gar nicht, wie sehr sie sich an Rahul klammerte. Sie hielt mit beiden Händen seinen Oberarm fest und drückte sich an ihn. Für sie war es eher eine Schutzmaßnahme, während er für die Umstehenden nach liebevoller Vertrautheit aussah.

Auch Rahul kam nicht umhin, ihre Berührung zu bemerken. Vor allem da sie ihre Brüste unbewusst gegen seinen Arm drückte und ihn das mit jeder Minuten mehr aus dem Konzept brachte.

Er war heilfroh, als sie schließlich wieder allein waren und Anjali sich wieder von ihm löste. Sein Arm war zwar an der Stelle, wo sie ihn umklammert hatte, nun aufgrund ihrer fehlenden Berührung unangenehm kalt, doch je länger sie ihm so nah war, desto schneller war es um seine Selbstbeherrschung geschehen.

Wenn es nach ihm gegangen wäre, hätte er sich Anjali auf der Stelle geschnappt, sie hinter irgendeinen Baum im hinteren Teil des Gartens gezogen und Sachen mit ihr angestellt, die ihr die von ihm so geliebte Röte ins Gesicht hätten schießen lassen. Aufgrund der äußeren Umstände verwarf er diesen Plan allerdings wieder und versuchte sich stattdessen auf etwas weniger Erregendes zu konzentrieren. Anjali vereitelte dieses Vorhaben allerdings indem sie sich plötzlich erneut an ihn schmiegte und ihre Arme um seinen Oberkörper schlang. Positiv überrascht schaute er sie an, stellte allerdings fest, dass ihre Aufmerksamkeit einem weiter entfernten Objekt galt. Er folgte ihrem Blick und landete schließlich bei einem etwas schmierig aussehenden, hoch gewachsenen Mann um die 30.

„Was ist los? Wer ist das?“, wollte Rahul wissen. „Dieser Kerl heißt Aman und war während meiner Schulzeit ein unglaublich anhänglicher Schleimer. Ich habe ihn immer wieder abblitzen lassen, aber er hat es einfach nie eingesehen. Das ist jetzt die perfekte Gelegenheit, ihn für immer loszuwerden.“, antwortete Anjali in verschwörerischem Ton und ohne ihren Blick von Aman abzuwenden. Rahul musterte ihn ebenfalls noch einmal und meinte dann grinsend: „Alles klar. Nichts leichter als das.“
 

Als Aman mit einem unangenehm aufgesetzt wirkenden Lächeln auf die beiden zukam, schob Rahul instinktiv eine Hand um Anjalis Hüfte und machte somit noch deutlicher, dass sie zu ihm gehörte.

„Namaste, Anjali. Wie ich gerade hörte, hast du dich vor Kurzem verlobt. Mubarak ho.“, meinte Aman – Rahul geflissentlich ignorierend. Dieser ließ sich dieses Verhalten natürlich nicht bieten und zog Anjali noch ein Stück näher an sich heran, bevor er mit überfreundlichem Ton sagte: „Mich freut es auch sehr, Sie kennenzulernen. Ich bin Rahul Khanna, Anjalis Verlobter. Und Sie sind...?“ Da Aman nun gezwungen war, mit Rahul zu sprechen, erwiderte er: „Mein Name ist Aman Rathore. Anjali wird mich sicher schon einmal erwähnt haben. Ich bin ein enger Freund von ihr.“ Seinen letzten Satz betonte er besonders stark und ließ dabei seinen Blick zurück zu Anjali wandern.

„Hmm... Nein. Nicht dass ich wüsste...“, konstatierte Rahul daraufhin und tat so, als ob er ernsthaft darüber nachdenken würde. Aman sah sich daraufhin in seinem Stolz verletzt und schaute zu Anjali, doch sie setzte nur einen ahnungslosen Blick auf und zuckte mit den Schultern, während sie ihre Hand offensichtlich und provokativ auf Rahuls Brust platzierte. Aman nahm dies wie gewünscht zur Kenntnis, doch ließ er sich nicht so leicht aus der Ruhe bringen und wechselte das Thema: „Und wo habt ihr beiden euch kennengelernt?“ „In meinem Hotel. Ich bin Eigentümer und Manager eines großen Luxushotels in London.“, antwortete Rahul ohne Umschweife aber bewusst vage, wobei er den letzten Satz nur hinzufügte, weil Aman ihn wegen der Formulierung `mein Hotel´ verwirrt angeschaut hatte. „Sie besitzen also ein Hotel? Mein Vater ist Eigentümer einer großen Tankstellenkette.“, erwiderte Aman daraufhin wenig beeindruckt und einer Spur Überheblichkeit in seiner Stimme. „Aha. Und Sie?“, wollte Rahul wissen und präzisierte seine Frage noch einmal, als Aman ihn nur ratlos anschaute. „Ich meine, was arbeiten Sie? Was leisten Sie?“ Als Aman daraufhin nur herumdruckste, mischte Anjali sich ein und meinte zuckersüß: „Er ist noch auf der Suche nach seiner wahren Lebensbestimmung, hai na, Aman?“

Der Angesprochene stimmte nur mit einem knurrenden Laut zu und stellte dann etwas zerknirscht an Anjali gerichtet fest: „Du bist also glücklich, wie ich sehe.“ „Ji haan, bilkul! Rahul ist ein Schatz!“ Damit stellte sie sich auf ihre Zehenspitzen und gab Rahul zur Verdeutlichung ihrer Worte einen dicken Kuss auf die Wange. Beide Männer waren im ersten Moment völlig perplex, fingen sich jedoch schnell wieder. „Dann will ich euch mal nicht weiter stören...“, meinte Aman sichtlich geknickt und wandte sich zum Gehen um, doch Rahul griff nach seinem Oberarm, hielt ihn fest und zog ihn ein Stück näher zu sich heran, um ihm ins Ohr zu flüstern: „Du kannst dir sicher sein, dass ich sie glücklich mache. So glücklich, dass sie ihre Freude jede Nacht im Bett förmlich herausschreit...“ Er erntete für diesen Kommentar einen vollends geschockten Blick von Aman, tat allerdings so, als sei nichts gewesen und meinte mit einem freundlichen Lächeln: „Es hat mich gefreut, Sie kennenzulernen, Aman.“

Als Aman daraufhin ohne ein weiteres Wort stolpernd von dannen gezogen war, wollte Anjali unbedingt wissen, was Rahul ihm ins Ohr geflüstert hatte. „Nur etwas, das ihn dir definitiv für den Rest deines Lebens vom Hals halten wird.“, antwortete Rahul mit einem schelmischen und zugleich höchst selbstzufriedenen Grinsen.
 

Auch den restlichen Abend blieben Anjali und Rahul zusammen. Sie spielten – vor allem wenn Aman in der Nähe war – das glückliche und frisch verliebte Pärchen und führten teils belanglose teils amüsante Gespräche mit anderen Gästen und Bekannten der Familie.

So verging die Zeit bis Rahul am späten Abend feststellte, dass Anjali plötzlich, während er sich mit den Eltern der Braut unterhalten hatte, verschwunden war. Unauffällig entschuldigte er sich und machte sich umgehend auf die Suche nach ihr. Nach guten zehn Minuten fand er sie schließlich allein in einer dunklen Ecke der Terrasse, die das Licht, das aufgrund der vor ein paar Stunden eingetretenen Dunkelheit eingeschalten wurden war, nicht erreichte.

Er stellte sich neben sie und betrachtete sie für einen Moment stumm, bevor er sie fragte: „Alles in Ordnung?“ Überrascht schaute sie ihn an. „Ja, wieso?“ „Ich weiß nicht. Du bist heute anders als sonst.“, entgegnete er kryptisch, während er die Arme vor der Brust verschränkte und sich rückwärts an das hüfthohe, steinerne Geländer lehnte, das die große Terrasse umgab. Als Anjali ihn allerdings nur zweifelnd anschaute, fügte er erklärend hinzu: „Ich meine dein ganzes Verhalten. Heute Morgen auf der Treppe oder hier die ganze Zeit auf der Feier. Es ist für deine Verhältnisse völlig unnormal, wie nett du zu mir bist. Mir ist bewusst, dass das deinerseits alles nur Fassade ist, aber im Gegensatz zu sonst habe ich heute keinen Widerwillen bei dir bemerkt...“

Rahul machte eine Pause, um Anjali die Möglichkeit zu geben, sich zu erklären, doch statt ihm eine Antwort zu geben, starrte sie nur stumm geradeaus in den Garten. Tief durchatmend richtete Rahul daraufhin seinen Blick gen Himmel und fuhr anschließend fort: „Kannst du dir vorstellen, wie schwer es für mich ist, wenn du dich die ganze Zeit über an mich drückst und vor allen anderen so tust, als ob du mich liebst? Es macht mich wahnsinnig, zu wissen, dass du mir, wenn wir alleine sind, sofort eine Ohrfeige verpassen würdest, wenn ich dich auch nur berühre. Es ist nicht fair, dass du...“ „Nicht fair! Wissen Sie was nicht fair ist?“, fuhr Anjali ihm plötzlich aufbrausend dazwischen. „Es ist nicht fair, dass Sie mich bei jeder sich bietenden Gelegenheit in die Ecke drängen und mit mir machen, was Sie wollen! Sie tun immer genau das, was Ihnen gerade in den Kram passt – ohne Rücksicht auf die Gefühle anderer. Das ist nicht fair!“

Anjali wusste nicht, woher dieser Ausbruch so plötzlich gekommen war, aber sie hatte das Gefühl, dass er längt überfällig gewesen war. Sie konnte einfach nicht mehr. Wenn sie und Rahul in der Öffentlichkeit waren, war es für sie mittlerweile kaum noch ein Problem, ungezwungen mit ihm umzugehen, ihn zu berühren oder sich von ihm berühren zu lassen, doch sobald sie mit ihm allein war, kamen die Aufregung und das Gefühl, ihm hilflos ausgeliefert zu sein. Niemand war da, der ihn von Dingen abhalten konnte, von denen sie sich nicht im Klaren war, ob sie sie wollen würde oder nicht. Ihre Gedanken schwirrten nur noch um dieses Thema und es machte sie langsam aber sicher wahnsinnig. Sie musste endlich Dampf ablassen, auch wenn dies mit unsachlichen Argumenten geschah, die eigentlich nur über ihre wahren Gefühle hinwegtäuschten.

„Sie dürfen tun und lassen, was Sie wollen, aber wenn ich einmal mache, wonach mir der Sinn steht, finden Sie das gleich unfair?! Sie haben doch keine Ahnung, wie Sie mit Ihrer Überheblichkeit auf andere Menschen wirken. Sie nehmen sich, was Sie wollen und lassen dabei vollkommen außer Acht, was Sie damit bei anderen auslösen und was sie...“ „Stopp!“, unterbrach Rahul sie unvermittelt. „Kannst du bitte für einen Moment ruhig sein und mich erklären lassen?“ „Nein. Sie haben...“, wehrte Anjali ab, doch er fiel ihr erneut ins Wort. „Anjali, nur eine Sekunde...“, bat er und schaute ihr fest in die Augen. Sie erwiderte seinen Blick und versuchte darin zu lesen, was er gerade dachte, doch es war zwecklos. Seine braunen Augen schienen unendlich tief und gaben nichts über seine Gedanken preis.

Es herrschte für einen Moment totale Stille zwischen ihnen, in der jeder der beiden auf die nächste Aktion des jeweils anderen wartete. Anjali war schließlich diejenige, die Rahuls bohrendem Blick nicht mehr Stand hielt. „Hören Sie auf, mich so anzustarren...“, meinte sie mit finsterer Miene, doch sie hatte kaum zu Ende gesprochen, als sie plötzlich Rahuls Lippen auf ihren spürte. So unerwartet der Kuss kam, so plötzlich war er jedoch auch wieder zu Ende. „Was...?“, brachte Anjali perplex, unsicher und zugleich wütend hervor. „Ich habe dich gebeten, ruhig zu sein. Du bist meiner Bitte nicht nachgekommen, also habe ich mich selbst darum gekümmert.“, erklärte er ganz profan und fuhr fort, bevor Anjali zu einer erneuten aufgebrachten Rede ansetzen konnte. „Ja, ich weiß, ich nehme mir, was ich will. Mich interessiert die Meinung anderer nicht. Aber ich erkenne definitiv, wann ein Kampf aussichtslos ist. Und der Kampf um dich ist das ganz sicher nicht. Ich werde dich nicht aufgeben.“

Jedes seiner Worte versetzte Anjali einen Stich, doch sein letzter Satz gab ihr schließlich den Todesstoß. Mit einem Mal fühlte sie sich vollkommen kraftlos, müde und ausgelaugt. Sie senkte ihren Blick und ließ sich widerstandslos von Rahul in seine Arme ziehen. Ihr Kopf ruhte auf seiner Brust, während er seine Arme um sie schlang und ihren warmen, weichen Körper an sich drückte. Er sog tief ihren von ihm so geliebten Pfirsichduft ein und schloss die Augen. In diesem Moment wussten beide, dass Rahul gewonnen hatte.

Liebevoll streichelte Rahul ihr übers Haar und genoss in vollkommener Zufriedenheit ihre Nähe. Von dem Chaos, das in Anjali tobte, ahnte er aufgrund ihres mehr als ruhigen Äußeren allerdings nichts.

Erst als plötzlich Anjalis Mutter nach ihnen rief und ihnen mitteilte, dass sie sich auf den Weg nach Hause machen wollten, trennten sie sich wieder voneinander. Es fiel allerdings auf der gesamten Heimfahrt kein Wort mehr zwischen ihnen.
 


 

(1) http://i824.photobucket.com/albums/zz170/elfogadunk/FF%20pics/anjali_e.jpg

(2) http://i824.photobucket.com/albums/zz170/elfogadunk/FF%20pics/rahul_e.jpg

Schlaflose Nacht und Entscheidungsschwierigkeiten

Anjali saß in ihrem Zimmer und betrachtete sich in dem Spiegel, der über ihrer Kommode angebracht war. Das Zimmer war dunkel; nur der fahle, von ein paar kleinen Wolken verdeckte Mond spendete ein wenig Licht. Sie hatte sich seit guten zehn Minuten nicht bewegt, starrte nur ihr Spiegelbild an.

Es tobte ein Kampf in ihr, der monströse Ausmaße angenommen hatte. Sie wusste nicht mehr, was richtig und was falsch war. Ihr Sein kam ihr im Moment so irreal vor, dass sie sich fragte, ob das alles nicht nur ein Traum war. Das, was sie für undenkbar gehalten hatte, war eingetreten. Rahul hatte sich in ihr Herz geschlichen und sie konnte nichts mehr dagegen tun. Diese Erkenntnis hatte sie vorhin auf der Terrasse so überraschend getroffen, dass sie sich nun fühlte, als ob ein Bulldozer sie überrollt hätte.

Ihr war, als ob ihr Herz ihren Verstand betrogen und alle Prinzipien über den Haufen geworfen hatte, nach denen sie sich je gerichtet hatte. Sie konnte sich ihren Gefühlswandel einfach nicht erklären und vor allem wusste sie nicht, wie sie damit nun umgehen sollte. Das Gefühl war zu neu, um es ordentlich einordnen zu können. Sie hätte sich am liebsten eine Woche lang von allem abgekapselt, damit sich alles erst einmal setzen und sie sich wieder einigermaßen beruhigen konnte. Doch da das nicht möglich war, musste sie sich etwas anderes einfallen lassen. Ihr Kopf fühlte sich allerdings so leer an, dass an eine Lösung nicht zu denken war.

Mit einem Mal fühlte sie sich unendlich müde. Fahrig fuhr sie sich mit den Händen über ihr Gesicht und achtete dabei nicht darauf, dass sie damit ihr Make-up verschmierte. Sie stand auf und begann, sich aus ihrem Sari zu schälen und sich anschließend ihre Schlafsachen anzuziehen.

Sie war gerade dabei, sich ihr T-Shirt überzustreifen, als es plötzlich leise an ihrer Tür klopfte und anschließend Rahul, gekleidet in ein weißes T-Shirt und eine dunkelblaue Boxershorts, ins Zimmer trat. Nachdem er die Tür hinter sich wieder geschlossen hatte, hielt er einen Moment inne und betrachtete in stiller Faszination den Anblick, der sich ihm bot. Anjali stand beleuchtet vom schwachen Mondlicht in der Mitte ihres Zimmers mit dem Rücken zu ihm, war aber halb zu ihm umgewandt. Ihr langes Haar fiel in weichen Locken über ihren entblößten Rücken, da sie vor Überraschung mitten in ihrer Bewegung, ihr T-Shirt anzuziehen, inne gehalten hatte. Schemenhaft konnte er sogar die Rundungen ihrer Brüste erkennen.

Anjali brauchte einen Moment, um die Situation zu erfassen, streifte dann jedoch hastig ihr T-Shirt über und drehte sich vollends zu Rahul um. „Was wollen Sie hier?!“, wollte sie mit nervöser Stimme wissen und spürte, wie sich ihr Herzschlag plötzlich beschleunigte. Doch statt ihr zu antworten, kam er wortlos auf sie zu, zog sie an sich und küsste sie. Seine Lippen waren harsch und ungeduldig, seine Zunge verlangte nach Einlass, doch den verweigerte Anjali ihm, indem sie sich mühevoll von ihm löste und ihn anschließend schwer atmend und vorwurfsvoll anschaute. Er erwiderte ihren Blick mit vor Begierde glasigen Augen und meinte mit rauer Stimme: „Ich kann nicht mehr, Anjali...“ Dabei schob er eine Hand um ihren Nacken, während er mit der anderen ihre Taille umfasste, um ihren Körper an seinen gedrückt zu halten. Erneut versuchte er, sie zu küssen, doch sie wich ihm aus.„... Ich meine es ernst... Es macht mich wahnsinnig, dich so nah bei mir zu wissen und vor allem nun sicher zu sein, dass du mir gegenüber endlich nicht mehr abgeneigt bist, und dich trotz allem nicht berühren zu dürfen. Ich bitte dich, Anjali...“ Seine Stimme war belegt und in seinem Tonfall schwang eindeutig Verzweiflung mit. Sie fest an sich gedrückt, drängte er sie immer weiter nach hinten Richtung Bett bis sie schließlich am Fußende hängenblieb und nach hinten auf die Matratze fiel. Er landete auf ihr, stützte sich jedoch ab, um sie nicht mit seinem ganzen Gewicht zu belasten. Ohne weiteres Zögern senkte er seine Lippen auf ihren Hals, während er seine linke Hand langsam unter ihr T-Shirt schob.

Anjali war zwischen stoischem Widerwillen und lustvollem Genuss hin und her gerissen, streckte ihren Hals, aber stoppte seine Hand. „Hören Sie auf...“, brachte sie heiser und äußerst mühsam hervor. „Sie entehren mein Elternhaus...“ Ihre Worte ließen Rahul aufschauen. „Das heißt also, gegen meine Absicht hast du nichts einzuwenden, nur über den Ort müssen wir uns noch einig werden...“, schlussfolgerte er mit einem schiefen Grinsen, das er gerade so noch fähig war aufzubringen. „Nein! Ich...“, wollte Anjali, entsetzt über das Verdrehen ihrer Worte, widersprechen, doch Rahul ließ sie nicht ausreden. Erneut fanden seine Lippen die ihren – nun nicht mehr ganz so hart, jedoch noch immer fordernd. Sie legte ihre Hände an seine Schultern, um ihn wegzudrücken, doch vergaß sie dieses Vorhaben, als sie spürte, wie er sein Becken mit seiner deutlich spürbaren Erektion an ihre Mitte drückte. Sie keuchte überrascht auf und fühlte, wie sich ein unbeschreibliches Kribbeln von ihrem Bauch aus über ihren ganzen Körper verteilte.

Während seine Hände erneut ihren Weg unter ihr T-Shirt und über ihre nackte Haut fanden, schlang Anjali ihre Arme um Rahuls Hals und zog ihn näher an sich. „... Bitte... Hören Sie auf...“, flehte sie ihm leise ins Ohr und kitzelte mit ihrem brennend heißen Atem seine empfindliche Haut. Er schloss daraufhin die Augen und sammelte das klitzekleine bisschen Willenskraft, das er noch besaß, zusammen, um schließlich mit größtem Widerwillen von ihr abzulassen.

Er stützte seine Arme links und rechts neben ihr auf dem Bett auf und betrachtete ihr Gesicht, in dem ihr innerer Konflikt trotz der Dunkelheit deutlich zu erkennen war. Er atmete tief durch und stand schließlich auf. „... Du kannst dir nicht vorstellen, wie sehr ich dich will, Anjali... Du löst Dinge in mir aus, die ich nicht einmal beschreiben kann.“, meinte er mit dem Rücken zu ihr gewandt. „Ich bitte dich um unser beider Willen: Entscheide endlich, was du willst.“ Damit verließ er ihr Zimmer und ließ sie allein und noch verwirrter als zuvor zurück.
 

Anjali fand in dieser Nacht keinen Schlaf. Rahuls Worte hämmerten unaufhörlich in ihrem Kopf und ließen sie einfach keine Ruhe finden. Ich bitte dich um unser beider Willen: Entscheide endlich, was du willst. Sie wusste, dass er Recht hatte. So, wie es im Moment war, konnte es einfach nicht weitergehen. Doch wie sollte sie eine Entscheidung treffen, wenn ihr Verstand `nein´ und ihr Herz `ja´ schrie? Sie konnte nicht mehr leugnen, dass sie sich unendlich wohl fühlte, wenn Rahul sie in den Arm nahm oder einfach nur in ihrer Nähe war, doch nach allem, was er sich bisher geleistet hatte, konnte sie ihm einfach kein 100%iges Vertrauen entgegenbringen. Doch genau das war für sie eine der wichtigsten Voraussetzungen für eine Beziehung. Was also sollte sie tun? Es sein lassen und sich für den Rest ihres Lebens fragen müssen, was gewesen wäre, wenn? Oder es einfach wagen und dabei riskieren, dass sie auf schlimmste Weise verletzt werden würde? Ihr erschien keine dieser beiden Aussichten besonders attraktiv, was ihr die Entscheidung nur noch schwerer machte.
 

Den mangelnden Schlaf sah man Anjali am nächsten Morgen deutlich an und so fragte ihre Mutter beim Frühstück auch gleich mit leichter Besorgnis, ob es ihr denn auch gut ginge. Nach einem eher unbewussten, flüchtigen Blick zu Rahul entgegnete sie, dass alles in Ordnung und sie nur von der Verlobungsfeier noch etwas erledigt wäre. Ihre Mutter gab sich mit ihrer Antwort zwar zufrieden, bestand allerdings darauf, dass ihre Tochter den für heute geplanten Marktbesuch ausfallen lassen würde, um sich auszuruhen. Anjali wollte protestieren, da sie sich auf den Ausflug gefreut hatte, doch sie wusste, dass es zwecklos war, mit ihrer Mutter zu diskutieren. Sie würde – wie immer – sowieso den Kürzeren ziehen.
 

Gleich nach dem Frühstück zogen sich Anjalis Eltern auch schon an, um sich auf den Weg zum Markt zu machen. Anjali hatte angenommen, dass Rahul sie begleiten und sie so ein wenig dringend benötigte Zeit für sich haben würde, doch gerade als Rahuls vermeintliche Schwiegereltern fahren wollten, eröffnete er, dass er bei Anjali bleiben und sich um sie kümmern wollte. Die beiden waren natürlich sofort von seiner Fürsorge begeistert und machten sich schließlich ohne ihn auf den Weg.
 

Kaum hatten die beiden mit ihrem Wagen die Ausfahrt verlassen, machte Anjali sich auf den Weg in ihr Zimmer. Rahul folgte ihr und fand sie auf ihrem breiten, mit Kissen bedeckten Fensterbrett sitzend und aus dem Fenster starrend.

„Bist du sicher, dass alles in Ordnung ist?“, erkundigte er sich, während er sich zu ihr setzte. Sie schaute ihn daraufhin mit müden und mit dunklen Ringen untersetzten Augen an und erwiderte: „Das müssten Sie doch am besten wissen...“ Ein wissendes Lächeln huschte über seine Lippen, bevor er antwortete: „Wenn es dir irgendwie hilft: Ich konnte letzte Nacht sicher genauso wenig schlafen wie du...“ „Nein, das hilft mir überhaupt nicht.“, entgegnete sie kalt und wendete ihren Blick von ihm ab.

Rahul seufzte daraufhin und wollte wissen: „Wo liegt das Problem? Was ist es, das dich so sehr zögern lässt?“ „Zuerst einmal die einfache Tatsache, dass Sie immer noch mein Chef sind.“, erwiderte sie augenblicklich. „Und außerdem kann ich Ihnen einfach nicht vertrauen. Sie haben mich mittlerweile so oft angelogen und Spielchen mit mir gespielt, dass ich wirklich nicht mehr weiß, was ich Ihnen glauben kann und was nicht.“ Rahul griff daraufhin nach ihrer Hand und war überrascht, dass sie dies sogar zu ließ sie. „Hör zu, Anjali. Wenn es mir nicht ernst wäre, wäre ich dir wohl kaum extra bis nach Indien gefolgt. Auch wenn du es nicht glaubst, sogar ich habe meine Grenzen. Über das Stadium, dich nur als Bettgeschichte haben zu wollen, bin ich schon lange hinaus. Nur weiß ich nicht, wie ich dir das beweisen soll.“, erklärte er. „Wenn du einen Vorschlag diesbezüglich hast, kannst du ihn mir gern mitteilen. Ich würde alles tun.“

Anjali musterte ihn eindringlich während er sprach, doch sie fand kein einziges Anzeichen dafür, dass er sie anlog. Er wirkte tatsächlich vollkommen aufrichtig, doch etwas in ihr sträubte sich beharrlich dagegen, an seine Ehrlichkeit zu glauben.

„Ich weiß nicht, was Sie tun können...“, antwortete sie resigniert und senkte ihren Blick. Sie beobachtete, wie er ihre Hände in seinen hielt und sanft mit seinen Daumen über ihre Handrücken streichelte. Es war ein angenehmes Gefühl.

Ein betretenes Schweigen legte sich über sie. Rahul konnte sich kaum noch beherrschen. Es war unheimlich schwer für ihn, nur ihre Hände zu halten, ohne gleich über Anjali herzufallen. Diese Frau machte ihn im wahrsten Sinne des Wortes wahnsinnig. Doch gleichzeitig war er auch wütend auf sich selbst, denn wenn er gewusst hätte, dass er ihr gegenüber tatsächlich ernsthafte Absichten entwickeln würde, wäre er die ganze Sache von Anfang an völlig anders angegangen. Aber nun war es zu spät und er musste sich mit den jetzigen verfahrenen Gegebenheiten herumschlagen.

Da er das Gefühl hatte, dass es momentan nichts weiter zu sagen gab, ließ er Anjalis Hände los und wollte gerade aufstehen, als er bemerkte, wie Anjali ihn anschaute. Er konnte es nicht genau definieren, doch es hatte etwas Flehendes, Verzweifeltes und gleichzeitig etwas Aufreizendes. Er konnte einfach nicht anders, als sich zu ihr zu beugen und sie nach kurzem Zögern zu küssen.

Er fühlte sich jedes Mal wie unter Strom, wenn seine Lippen ihre berührten. Sein Körper wurde sensibel für jede noch so kleine Berührung von ihr und seine Hände verselbstständigten sich. Automatisch schoben sie sich um Anjalis Hüften und befühlten ihre so wunderbaren Kurven.

Im ersten Moment bemerkte er es gar nicht, doch dann fiel ihm mit einem Mal auf, dass Anjali seinen Kuss sogar erwiderte. Sehr zögerlich zwar, aber immerhin. Ihre zarten Lippen öffneten sich langsam für ihn und ließen ihn so den Kuss Stück für Stück vertiefen. Er drückte sie sanft gegen die Fensterscheibe, während sie ihre Arme um seinen Oberkörper schob und ihn damit näher an sich heranbrachte. Dabei drückte sich ihr weicher Busen an seine Brust und ließ ihn erregt aufkeuchen. Sein Mund wanderte ihren Hals hinab zu ihrem Schlüsselbein und küsste dabei jeden Millimeter ihrer Haut, den er erreichen konnte.

Als Rahul jedoch hörte, wie Anjali leise aufseufzte, hielt er abrupt inne. Er wusste, dass er – wenn das so weiterging – in wenigen Augenblicken nicht mehr Herr seiner Sinne sein und schamlos über sie herfallen würde. Das wollte er jedoch – so lange sie sich noch nicht endgültig entschieden hatte – unter allen Umständen vermeiden.

Er ließ also unter größter Selbstbeherrschung von ihr ab und meinte mit rauer Stimme: „Ich denke, es ist besser, wenn ich jetzt gehe...“ „... Ja... Ja, das wäre besser...“, entgegnete Anjali mit leicht geröteten Wangen und während sie ihre von ihm zerwühlte Kleidung richtete. Er räusperte sich daraufhin kurz, fuhr sich mit der Hand durchs Haar und verließ dann nach kurzem Zögern das Zimmer.

Der Brand

Um Anjali den von ihr so freudig erwarteten Wochenmarktbesuch in den wenigen letzten Tagen ihres Indienaufenthalts doch noch zu ermöglichen, fuhr ihre Mutter am nächsten Tag nach dem Mittagessen noch einmal mit ihr gemeinsam hin. Anjali genoss die Zeit, die sie zwischen all den Verkaufsständen verbrachte, denn sie liebte die Geschäftigkeit, die unzähligen verschiedenen Düfte der dort angebotenen Waren und sogar den Lärm, der von den vielen Käufern und Verkäufern ausging. Für eine Weile vergaß Anjali in dem bunten Treiben ihr Gefühlschaos und fühlte sich zufrieden und leicht.

Dieses Glücksgefühl verschwand allerdings sofort wieder, als sie am späten Nachmittag wieder nach Hause kamen und schon von Weitem große, dunkle Rauchwolken über ihrem Grundstück sehen konnten. Ihre Mutter trat nach dieser Entdeckung fester aufs Gas, während sich in ihren Gedanken unwillkürlich die schlimmsten Szenarien zusammenspannen.

Kaum hatten sie in der Einfahrt gehalten, sprangen die beiden Frauen auch schon aus dem Wagen und liefen eiligen Schrittes in den Garten hinterm Haus, da in dieser Richtung die Quelle des Rauches zu liegen schien. Das erste, was sie dort sahen, war denn auch die alte, nun halb abgebrannte Scheune, die sich wenige Hundertmeter hinter dem Grundstück befand. Sie war offensichtlich die Ursache des Rauches, da die Feuerwehr dort gerade noch dabei war, die letzten Flammen des Brandes, der hier stattgefunden hatte, zu löschen.

Geschockt starrte Anjali einige Augenblicke auf die Szenerie, die sich ihr dort bot, bevor ihr plötzlich die Frage des Verbleibs ihres Vaters und auch Rahuls durch den Kopf schoss. Suchend wirbelte sie herum, blieb jedoch einen Moment später wie angewurzelt stehen, als sie die beiden, augenscheinlich weitestgehend unversehrt, mit einem Feuerwehrmann, einem Notarzt und zwei Polizisten auf der Terrasse stehen sah. Die Männer waren so in ihr Gespräch vertieft, dass sie Anjali und ihre Mutter erst jetzt bemerkten, wo sie voller Sorge zu ihnen gerannt kamen.

„Kya hua?!“, brach es aus Anjalis Mutter heraus. „Kya hua, Kishan?!“ Sie war den Tränen nahe, als sie nach den Händen ihres Mannes griff und ihn von oben bis unten musterte. Er hatte Schürfwunden am Kopf und an den Armen und seine Kleidung war voller Sand und Ruß. Er nahm seine Frau daraufhin beruhigend in die Arme und schenkte auch der etwas verstörten Anjali ein beruhigendes Lächeln. „Shh... Sab kuch thik hai, Reema...“, meinte er mit ruhiger Stimme, während er sanft den Kopf seiner Frau streichelte. Anschließend erklärte er, was geschehen war.

Er war gerade dabei gewesen, ein paar kaputte Glühlampen in der im Moment kaum benutzten Scheune zu wechseln, als es einen Kurzschluss gab und er daraufhin von einem elektrischen Schlag getroffen von der Leiter fiel. Vermutlich flogen dabei ein paar Funken auf einen der vielen großen Stroh- und Heuballen, die im Moment in der Halle lagerten, und entzündeten diesen. Rahul, der sich zu diesem Zeitpunkt gerade auf der Terrasse aufhielt, bemerkte dies und reagierte sofort. Er holte den bewusstlosen Kishan aus der mittlerweile brennenden Scheune und alarmierte daraufhin umgehend die Feuerwehr.

Schockiert lauschte Anjali dem Verlauf der ihr völlig unglaublich erscheinenden Ereignisse und realisierte erst nach und nach, was ihr Vater ihr da eigentlich gerade erzählte: Rahul hatte ihm – ohne nachzudenken oder zu zögern – das Leben gerettet! Ungläubig schaute sie zu ihrem vermeintlichen Verlobten, der sich gerade mit einem der Polizisten unterhielt.

Auch er war mit Sand und Ruß bedeckt, doch zu einem viel größeren Teil als ihr Vater. Er schien versucht zu haben, das Feuer bis zum Eintreffen der Feuerwehr irgendwie unter Kontrolle zu halten, denn sein Haar war vollkommen durcheinander und sein gesamter Körper war mit dunklen Rußflecken übersät. An dem blaukarierten Hemd, das er trug, waren nur noch zwei Knöpfe, und das führte dazu, dass seine Brust nahezu komplett entblößt war. Und auch seine dunkelblaue, nun an mehreren Stellen aufgeriebene Hose hatte schon bessere Tage gesehen. So sehr Anjali sich auch dagegen wehrte, so konnte sie doch nicht leugnen, dass ihr sein abgetragenes, beinahe heldenhaft wirkendes Aussehen mehr als zusagte und es ihr schwer fiel, ihren Blick von seiner halbnackten, muskulösen Brust abzuwenden.
 

Es dauerte noch eine knappe Stunde bis der Brand endgültig gelöscht war und Feuerwehr und Polizei abziehen konnten. Der Notarzt untersuchte Kishan und Rahul noch einmal gründlich und gab zur Erleichterung aller, mit dem Rat an Kishan, dass dieser sich in den nächsten Tagen noch schonen sollte, grünes Licht.
 

Da trotzdem der Schock noch tief saß, fiel das Abendessen eher spartanisch aus und vor allem ruhig. Erst als im Anschluss alle im Wohnzimmer saßen, kam wieder ein Gespräch zustande. Es wurde über den vollständigen Abriss der glücklicherweise nicht viel genutzten Scheune geredet und Anjalis Eltern bedankten sich zum wiederholten Male überschwänglich bei Rahul für seine Hilfe und seinen heldenhaften Einsatz. Auch Anjali fühlte große Dankbarkeit, doch sie war einfach nicht in der Lage, diese Rahul gegenüber auszudrücken.

Am Ziel angekommen?

Erst als Anjali am späten Abend schließlich in ihrem Bett lag und sämtliche Ereignisse des Tages sich noch einmal in ihr Bewusstsein drängten, wurde ihr bewusst, was eigentlich geschehen war. Ihr Vater wäre heute um ein Haar ums Leben gekommen! Diese plötzliche Erkenntnis traf sie wie ein Schlag ins Gesicht. Ihr wurde plötzlich übel, ihr Herzschlag beschleunigte sich und kalter Schweiß trat ihr auf die Stirn. Eilig und mit zitternden Händen öffnete sie ihr Fenster und hoffte, dass die angenehm kühle Nachtluft sie ein wenig beruhigen würde. Sie schloss die Augen und atmete mehrere Male tief durch.

Nach ein paar Minuten ließ der Druck, den sie plötzlich auf ihrer Brust gespürt hatte, ein wenig nach, sie konnte langsam wieder freier atmen und vor allem klarer denken. Sie realisierte, dass sie wohl seit dem Anblick der brennenden Scheune unter Schock gestanden haben musste, sodass ihr die Schwere der Ereignisse erst jetzt, wo sie Ruhe hatte und für sich alleine war, wirklich klar wurde.

Ihr Kopf fühlte sich plötzlich leer an, als sie sich zurück auf ihr Bett sinken ließ. Sie starrte eine Weile auf ihre in ihrem Schoß liegenden Hände, bevor unvermittelt eine große Welle der Erleichterung sie überkam und gleichzeitig auch unendliche Dankbarkeit gegenüber Rahul. Einzig und allein ihm war es zu verdanken, dass ihr Vater noch am Leben war – und dafür wollte sie ihm auf der Stelle danken.

Ein Blick auf die Uhr verriet ihr, dass es bereits kurz nach Mitternacht war, doch sie konnte und wollte nicht bis zum nächsten Morgen damit warten. Kurz entschlossen stand sie auf, verließ ihr Zimmer und schlich den Gang hinunter zu Rahuls Zimmer. Nach kurzem Zögern klopfte sie vorsichtig an der Tür und trat nach einem Moment des höflichen Wartens ein.

Kaum hatte sie den Raum betreten, konnte sie durch die Dunkelheit hindurch erkennen, wie Rahul sich verschlafen aufrichtete und irritiert in ihre Richtung blickte. „... Anjali...?“, fragte er ungläubig, bevor er sich aus seinem Bett schälte und anschließend zögerlich auf sie zukam. „Was ist los? Ist alles in Ordnung?“, erkundigte er sich mit leicht besorgtem Tonfall in der Stimme.

Zu Boden schauend nickte Anjali nur kurz und nestelte nervös am Saum ihres zwei Nummern zu großen Schlaf-T-Shirts herum. Sie war plötzlich aufgeregt, doch wollte sie ihren Plan deswegen nicht aufgeben. Zur Beruhigung atmete sie einmal kurz durch und meinte dann: „Ich wollte Ihnen danken... Wenn Sie nicht gewesen wären, wäre mein Vater...“ Während sie sprach wurde ihre Stimme plötzlich brüchig, sodass Rahul sie reflexartig in seine Arme zog. „Schon gut... Dafür musst du dich wirklich nicht bedanken...“, erwiderte er, während er ihr zur Beruhigung über den Kopf streichelte und einen sanften Kuss auf ihrer Stirn platzierte.

Anjali erwiderte seine Umarmung und schob langsam ihre Arme um seine Schultern. Sie schloss die Augen und legte ihren Kopf an seine Brust. Rahuls Wärme umfing sie wie ein seidenes Tuch und löste ein wohliges Gefühl in ihrem Körper aus. Vorher kaum gekannte Geborgenheit durchströmte sie und ihr war plötzlich, als ob kein Unheil dieser Welt sie erreichen konnte, so lange sie sich in Rahuls Armen befand. Unwillkürlich schmiegte sie sich enger an seinen Körper, was Rahul mit immer größer werdendem Interesse registrierte, sich jedoch dafür entschied, im Moment lediglich ihre Nähe zu genießen.

Für ein paar Augenblicke standen sie nur schweigend in dieser innigen Umarmung da bis Anjali plötzlich begann, ihre Hände langsam Rahuls Rücken herunterwandern zu lassen und ihren Kopf hob, um ihm ins Gesicht zu sehen. Als ihre Blicke sich trafen, erschrak Rahul für einen Moment. In Anjalis Augen lag etwas, das er bei ihr bisher noch nie gesehen hatte. Konnte er es wagen, es `Verlangen´ oder zumindest `Sehnsucht´ zu nennen? Er kam nicht dazu, sich diese Frage zu beantworten, denn er spürte an seiner Brust, wie Anjalis Oberkörper sich unter ihrem flacher gehenden Atem plötzlich nur noch unregelmäßig hob und senkte.

Rahul verstand die Welt nicht mehr. Konnte er die Situation wirklich so deuten, wie sie ihm erschien? Es fiel ihm schwer, das zu glauben und so suchte er in Anjalis Gesicht nach Anzeichen, die gegen das Offensichtliche sprachen – doch er fand sie nicht. Stattdessen streckte Anjali sich ihm noch mehr entgegen und fuhr kaum merklich mit ihren Lippen über sein Schlüsselbein hinauf zu seinem Hals.

„... Anjali, was...?“, brachte er unter starken Bemühungen hervor und schob sie ein Stück von sich weg, um ihr in die Augen zu sehen. „...Ich glaube Ihnen... Ich vertraue Ihnen...“, entgegnete sie kaum vernehmbar, hielt seinem Blick jedoch stand. Rahul traute seinen Ohren kaum. War es also wirklich wahr? „Bist du ganz sicher?“, vergewisserte er sich. „... Wenn ich einmal angefangen habe, werde ich nicht mehr aufhören können...“ Ohne zu zögern nickte Anjali und entfesselte damit all das, was Rahul versucht hatte, zu unterdrücken.

Mit einem sanften Ruck zog er sie zurück in seine Arme und suchte auch sogleich ihre Lippen mit seinen. Wie lange hatte er auf diesen Moment gewartet und nun konnte es ihm gar nicht schnell genug gehen. Ohne zu überlegen hob er Anjali hoch und verfrachtete sie auf sein Bett. Kaum lag sie, war er auch schon über ihr. Erneut fand sein Mund den ihren und küsste sie mit aller Inbrunst, die er aufbringen konnte. Um sie wieder zu Atem kommen zu lassen, löste er sich nach einigen Augenblicken wieder von ihr und ließ seine Zunge erst um ihr Ohrläppchen herumtanzen und anschließend unterstützt von seinen Lippen ihren Hals liebkosen. Anjali konnte sich daraufhin ein leises Seufzen nicht verkneifen und grub ihre Finger fest in seine nur von einem dünnen T-Shirt bedeckten Schultern. Dadurch nur noch mehr angespornt, schob er mit seiner Hand ihr Oberteil nach oben und fuhr mit seinen Fingern über jeden Zentimeter der weichen Haut ihres Oberkörpers. Als er schließlich ihre Brüste umfasste, stöhnte Anjali auf und zog ihn wieder zu sich hinauf, um ihn erneut zu küssen. Währenddessen machte Rahul sich an ihrer Schlafshorts zu schaffen. Bevor er sie ihr jedoch auszog, entledigte er sich ebenfalls seiner Sachen und streifte sich eilig ein im Nachtschrank bereit liegendes Kondom über seine bereits überempfindliche Erektion.

Als Anjali schließlich nackt vor ihm lag, hielt er einen Moment inne, um sie zu betrachten. Er konnte kaum fassen, wie schön sie war und was für ein Glück er hatte, dass diese von ihm so sehr begehrte Frau sich ihm endlich hingab.

Anjalis Haut brannte unter seinen verlangenden Blicken und sie war froh, als Rahul sich wieder über sie beugte und seine Mitte zwischen ihre Beine drängte, da er so nicht sehen konnte, wie sie errötete. „... Ich werde vorsichtig sein...“, flüsterte er ihr leise und mit rauer Stimme ins Ohr. „Das... Das ist nicht nötig...“, erwiderte sie und schloss die Augen. „Aber... Du weißt, dass es beim ersten Mal wehtut...?“, erkundigte er sich ein wenig irritiert. „Äh... Ja... Ja, aber, das hier... Das ist nicht mein erstes Mal...“, erklärte Anjali und erstarrte einen Moment später, als ihre Blicke sich trafen und Rahul sie mit einem beinahe ausdruckslosen Blick bedachte.

Sag meinen Namen

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Traute Zweisamkeit

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Auf einer Lüge aufgebaut

Ungeduldig saß Rahul in seinem Wagen und wartete auf Anjali. Er stand nun schon seit zehn Minuten vor ihrem Haus, doch das Licht in ihrer Wohnung brannte immer noch. Er fragte sich, was sie nur so lange machte, denn schließlich war es sonst nicht ihre Art, zu spät zu kommen.

Nach weiteren zehn Minuten stieg er aus und schlüpfte hinter einer gerade heimkommenden Hausbewohnerin in den Hausflur, da Anjali zu seiner Verwunderung trotz mehrmaligem Klingeln nicht geöffnet hatte. Auch beim direkten Klopfen an ihrer Tür reagierte sie nicht. Da er sich deswegen langsam Sorgen machte, beschloss er kurzerhand, einfach in ihre Wohnung hineinzugehen. Als er sie weder im Wohnzimmer noch in der Küche antraf, warf er einen Blick ins Schlafzimmer, wo er sie schließlich auch fand.

Sie lag auf dem Rücken quer auf ihrem Bett und hatte ihre Arme über ihrem Gesicht überkreuzt. Außerdem fiel Rahul auf, dass sie noch immer ihre Bürokleidung trug.

„Anjali...?“, fragte er vorsichtig und berührte mit den Fingerspitzen ihren Ellenbogen. Er erschrak als sie sich daraufhin unvermittelt aufsetzte und ihn mit einem eisigen Blick bedachte. „Ist alles in Ordnung?“, erkundigte er sich, wobei er nicht verbergen konnte, dass ihr Verhalten ihn irritierte. „Hast du mir irgendetwas zu sagen?“, antwortete sie ihm mit einer Gegenfrage. „W...?“, wollte er beginnen, doch sie schnitt ihm mit kühler Stimme das Wort ab. „Harish ist vorhin hier gewesen.“, erklärte sie und erhob sich von ihrem Bett. Rahuls Augen weiteten sich daraufhin, denn nun war ihm klar, worauf sie hinauswollte.

„Anjali, hör zu. Ich weiß, dass du jetzt sauer bist, aber lass mich das Ganze bitte erklären...“, begann er mit ruhiger Stimme – ganz darauf bedacht, Anjali nicht noch wütender zu machen. „Das kannst du dir sparen.“, fuhr Anjali ihm allerdings aufgebracht dazwischen. „Ich glaube dir kein Wort mehr. Du hast das alles bestimmt von Anfang an geplant, damit du in Indien genug Zeit hast, mich einzulullen.“ „Du weißt, dass das Unsinn ist. Zu dem Zeitpunkt wusste ich nicht einmal, dass du überhaupt nach Indien fliegen würdest...“, entgegnete er und zwang sich, weiterhin ruhig zu bleiben. „Ich gebe zu, dass ich dir das Ganze wahrscheinlich nicht hätte verheimlichen sollen, aber dann hättest du mich doch niemals an dich heran gelassen. Dieser Kerl war das einzige, was noch zwischen uns stand. Wärst du in meiner Situation gewesen, hättest du die Chance doch ebenso...“ „Hier geht es nicht um mich. Es geht darum, dass du unsere Beziehung auf einer Lüge aufbauen wolltest. Du wusstest doch genau, wie viel Harish mir bedeutet!“, unterbrach sie ihn und gestikulierte wütend mit den Händen.

Rahul wollte daraufhin noch etwas erwidern, doch ohne etwas gesagt zu haben, schloss er seinen gerade geöffneten Mund wieder. Ihm fiel einfach kein geeigneter Weg ein, Anjali einleuchtend zu erklären, warum er ihr verheimlicht hatte, dass Harish die letzten vier Wochen in Schottland gewesen war und er sich bei seinem damaligen Besuch für diese Zeit wegen mangelnder Erreichbarkeit in den Highlands von ihr hatte verabschieden wollen.

„... Ich wusste doch, dass du keine ordentliche Erklärung dafür haben würdest...“, unterbrach Anjali seine Gedanken. „Ich fände es besser, wenn du jetzt gehen würdest...“, fügte sie hinzu und klang plötzlich nicht mehr wütend, sondern ausgelaugt und matt. Ihre Gesichtszüge hatten sich ebenfalls entsprechend ihrer Stimme verändert.

Rahul wollte protestieren, doch er sah ein, dass es im Moment wohl besser war, wenn sie sich erst einmal beruhigte und sie das Ganze morgen in Ruhe weiterdiskutieren würden. Schweren Herzens und das starke Verlangen zu bleiben bekämpfend erklärte er sich also einverstanden und ging.

Als sie die Wohnungstür ins Schloss fallen hörte, sackte Anjali auf ihr Bett zurück, stützte ihre Ellenbogen auf ihre Knien und legte ihr Gesicht in ihre Hände. Wut und Traurigkeit beherrschten ihre Gefühle und sie konnte das Zittern, das ihren Körper plötzlich schüttelte, nicht mehr unterdrücken. Sie wusste nicht mehr, was sie tun sollte und fühlte sich vollkommen orientierungslos.

Als Harish vorhin vor ihrer Tür gestanden hatte, war das ein unheimlicher Schock für sie gewesen. Er hatte ganz normal mit ihr geredet, erzählt, wie es in Schottland gewesen ist und sie gefragt, was sie in der letzten Zeit so getrieben hatte. Wie in Trance hatte sie ihm geantwortet; die Sache mit Rahul – ob bewusst oder unbewusst konnte sie nicht sagen – allerdings auslassend. Bevor er ging, hatte er sie schließlich zum allerersten Mal auf den Mund geküsst. Mechanisch hatte sie diese Geste erwidert, denn erst in diesem Moment war ihr eingefallen, dass Harish ja immer noch dachte, dass sie ein Paar waren.

Doch als er gegangen war, wurde ihr die Tragweite der Ereignisse erst richtig bewusst. Wie es nun weitergehen sollte, wusste sie allerdings nicht. Rahul hatte sie schon wieder angelogen – und das obwohl ihm vollkommen bewusst gewesen sein musste, dass er sie damit verletzen würde. Die Gefühle, die sie nun für ihn hatte, ließen diese Lüge von allen am schmerzvollsten sein, denn nun konnte sie sie nicht mehr einfach wie alle anderen als Dummheit abtun.

Hinzu kam, dass sie nicht wusste, was sie nun wegen Harish unternehmen sollte. Sein Besuch vorhin hatte ihr wieder einmal gezeigt, warum sie ihn all die Jahre geliebt hatte – er war witzig, zuvorkommend, gutaussehend und verstand sich schon beinahe blind mit ihr. So etwas konnte und durfte sie nicht einfach wegwerfen und sich durch eine dumme Lüge zerstören lassen.

Seufzend schloss sie die Augen und ließ sich rückwärts aufs Bett fallen. Sie hatte eine Entscheidung getroffen.

Anjalis Entscheidung

Rahul war überrascht, als er am nächsten Morgen ins Büro kam und Anjali weder anwesend war noch in den nächsten Stunden auftauchte. Auch alle Versuche, sie anzurufen, blieben erfolglos. Als sich das auch den Rest der Woche nicht änderte, begann er, sich ernsthafte Sorgen zu machen. Konnte er sie tatsächlich so verletzt haben, dass sie nun allen Ernstes vorhatte, nicht mehr mit ihm zu reden und den Kontakt ohne jegliche weitere Erklärung abzubrechen?

Das konnte und wollte er nicht einfach so hinnehmen und fuhr am Wochenende schließlich zu ihrer Wohnung. Doch egal wie lange er dort stand und auf sie wartete, Anjali schien weder da zu sein, noch nach Hause zu kommen. Ihr Handy war mittlerweile sogar komplett ausgeschaltet.
 

Sonntagabend saß Rahul schließlich auf seiner Couch und starrte auf die Londoner Skyline, die sich funkelnd zwischen dem dunkelblauen Himmel und seinem Panoramafenster erstreckte. Er fühlte sich ausgebrannt; sein Kopf war leer und schwer. Was sollte er tun? Er sah absolut keine Möglichkeit, irgendwie an Anjali heranzukommen, vor allem da er sich im Moment nicht einmal mehr sicher war, wo und ob sie sich überhaupt noch in London aufhielt.

Der Verlauf der Dinge erschien ihm vollkommen absurd. Wie konnte sie es ihm nur so übel nehmen, dass er ihr eine solch unbedeutende Kleinigkeit verheimlicht hatte? Ihm war zu jenem Zeitpunkt natürlich bewusst gewesen, dass sie an Harishs Zuneigung zweifeln würde, wenn er sich nicht mehr bei ihr melden würde. Deshalb hatte er diese Chance ergriffen und sofort genutzt. Eigentlich hatte er es ihr irgendwann sagen wollen, doch die Zeit in Indien hatte ihn dieses Vorhaben vollkommen vergessen lassen.

Dass die Dinge diese Wendungen nehmen würden, hatte dabei ganz sicher nicht in seiner Absicht gelegen. Allem voran die Tatsache, dass er absolut nicht sagen konnte, wo Anjali denn nun im Moment war. Der Gedanke daran, dass sie womöglich bei Harish wohnte, ließ es in seinem Inneren brodeln. Statt befürchten zu müssen, dass sie in den Armen eines anderen lag, wollte er sie bei sich haben, sich mit ihr streiten, wieder versöhnen und ihr Lachen hören. Dass dieses Glück möglicherweise einem anderen vergönnt sein sollte, gefiel ihm ganz und gar nicht.
 

Nach einer erneuten schlaflosen Nacht kam ihm schließlich eine Idee, als er am nächsten Morgen die Eingangshalle des Hotels betrat und Mili an der Rezeption stehen sah. Ihm entging nicht, dass ihr Blick sich verfinsterte, als sie bemerkte, dass er auf sie zukam. Er ignorierte dies jedoch geflissentlich und bat sie, ihn in sein Büro zu begleiten.

„Können Sie mir sagen, wieso Miss Sharma in der letzten Woche nicht auf Arbeit erschienen ist, Miss Diwan?“, wollte Rahul wissen, nachdem er hinter und Mili vor seinem Schreibtisch Platz genommen hatte. Sie musterte ihn daraufhin argwöhnisch und entgegnete kühl: „Haben Sie denn ihre Kündigung noch nicht gelesen?“

Rahul brauchte einen Moment, um die Bedeutung ihrer Worte zu begreifen und begann dann, den Stapel an Briefen und Unterlagen, der sich aufgrund seiner geistigen Abwesenheit in der letzten Woche auf seinem Tisch angesammelt hatte, zu durchsuchen. Als er schließlich die erwähnte Kündigung fand, entglitten ihm alle Gesichtszüge. Er las sich das Schreiben mehrmals hintereinander durch, doch er begriff nicht, was das sollte.

„Wieso?“, war schließlich seine an Mili gerichtete Reaktion. „Ich bitte Sie! Das dürften Sie doch wohl am besten wissen.“, antwortete sie abweisend und gab sich nicht besonders viel Mühe, ihre Abneigung gegenüber ihrem Chef zu verbergen. „Aufgrund dieser Antwort nehme ich an, dass Anjali Ihnen alles erzählt hat...“, schlussfolgerte Rahul und versuchte, ruhig zu bleiben. „Aber was soll diese plötzliche Kündigung? Was hat sie vor? Und wieso ist sie nicht mehr in ihrer Wohnung anzutreffen?“ „Das können Sie sich doch wohl denken. Ich hätte auch nicht besonders viel Lust, weiter für den Mann zu arbeiten, der mit meinen Gefühlen Jojo spielt und Unehrlichkeit als eine seiner Tugenden ansieht...“

„Das ist doch ausgemachter Unsinn!“, brauste Rahul auf und erhob sich fahrig aus seinem Stuhl. „Wenn ich Anjali nicht lieben würde, hätte ich mich doch wohl kaum so lange um sie bemüht und...“ „Sie lieben sie?“, wiederholte Mili ungläubig. „Natürlich! Ich buhle doch nicht zum Spaß eine halbe Ewigkeit um eine widerspenstige Frau.“, antwortete er mit Nachdruck. „Sie sind ein Idiot.“, stellte Mili daraufhin lapidar fest. „Sie haben absolut keine Ahnung, wie man mit Frauen umgeht und was man tun muss, um sie für sich zu gewinnen. Das Einzige, was Sie können, ist, eine Frau ins Bett zu kriegen. Wenn es dann aber ans Eingemachte geht, sind sie ein vollkommen verlorener Trottel. Sie tun das Falsche und Sie sagen das Falsche. Kein Wunder, dass Anjali nichts von Ihnen wissen wollte.“

Milis Worte waren für Rahul wie verbale Holzhammerschläge. Und zu seinem Entsetzen war sie mit ihrer Rede noch immer nicht fertig.

„Hören Sie zu. Ich weiß nicht, warum, aber ich glaube Ihnen tatsächlich, dass sie sich in Anjali verliebt haben. Deshalb und nur deshalb werde ich Ihnen jetzt sagen, wo sie ist und was sie vorhat, alles klar? Was Sie daraus machen, ist Ihre Sache, aber machen Sie es nur, wenn Sie wirklich vollkommen dahinter stehen und sich sicher sind!“

Rahul wusste nicht, ob die Entschlossenheit seiner Rezeptionistin ihn verärgerte oder ihm imponierte. Doch im Moment hatte er auch gar keinen Nerv dafür, darüber nachzudenken. Es interessierte ihn viel mehr, wo Anjali denn nun war. Doch als er es hörte, fiel er beinahe aus allen Wolken.

„Anjali ist nach Indien zurückgekehrt und wird dort aller Wahrscheinlichkeit nach Harish heiraten.“
 

Nach dieser Offenbarung, fackelte er nicht lange und setzte sich – nach einem kurzen Abstecher nach Hause, wo er eilig noch ein paar Sachen in seinen Koffer warf – umgehend in den nächsten Flieger nach Indien.

Der Flug dauerte ihm eindeutig zu lange, denn so hatte er viel zu viel Zeit, um über seine momentane Situation nachzudenken und sich Stück für Stück in eine entschlossene Wut hineinzusteigern. Was war bloß in Anjali gefahren? Sie musste doch wahnsinnig sein, dass sie wegen einer in seinen Augen so unbedeutenden Kleinigkeit so überreagierte, ihre Beziehung wegwarf und gleich einen anderen Mann heiraten wollte. Die Tatsache, dass dieser ‚andere Mann’ vor ihm da gewesen war, ignorierte er dabei allerdings geflissentlich.
 

Jede Stunde, die der Flug dauerte, kam Rahul in seiner Ungeduld vor wie mehrere Tage und er war ungeheuer froh, als der Flieger endlich zur Landung ansetzte.

Kaum waren die Bordtüren geöffnet wurden, stürmte er hinaus und rief sich, nachdem er rennend den gesamten Flughafen durchquert hatte, eilig ein Taxi. Langsam quälte es sich anschließend durch Amritsars Vormittagsverkehr, um nach knapp eineinhalb Stunden die Vororte zu erreichen und nach einer weiteren halben Stunde Rahul endlich am Haus der Sharmas absetzen zu können.

Nachdem er ausgestiegen war und vor der Tür, von der er nicht gedacht hätte, sie so schnell wiederzusehen, stand, wusste er allerdings plötzlich nicht weiter. Ihm fiel auf, dass er nicht einmal ansatzweise darüber nachgedacht hatte, was er tun sollte, wenn Anjali ihm gegenüber stand. Außerdem wusste er nicht, wie ihre Eltern auf ihn reagieren würden. Wenn sie ihnen die Wahrheit erzählt hatte, konnte er ganz sicher nicht mit ihrem Wohlwollen und ihrer Unterstützung rechnen.

Nichtsdestotrotz beschloss er, seine Bedenken über Bord zu werfen und die Dinge einfach auf sich zukommen zu lassen. Er wollte den ganzen Weg von London bis hierher schließlich nicht umsonst gemacht haben.

Nachdem er noch einmal tief durchgeatmet hatte, drückte er also auf die Klingel. Und daraufhin... tat sich nichts. Er läutete noch weitere Male, doch die Tür blieb verschlossen. Hatten die Sharmas ihn etwa gesehen und ließen ihn nun absichtlich nicht herein? Das konnte nicht sein. Diese Leute waren temperamentvolle, emotionale Inder und er war sich sicher, dass sie ihre Wut nur allzu gern an ihm auslassen wollen würden anstatt ihn zu ignorieren.

Er beschloss daraufhin also, erst einmal im Garten nachzusehen. Er nahm seinen Koffer und lief um das Haus herum. Kaum war er um die Ecke gebogen, sah er auch schon Anjalis Mutter in der Nähe der großen Terrasse in einem Beet hocken und ein paar Blumen pflanzen.

Rahul zögerte kurz, fasste sich dann allerdings ein Herz und rief: „Reemaji?“ Die Angesprochene drehte sich daraufhin um und schaute ihren unerwarteten Gast erstaunt an. „Rahul? Was machst du denn hier?“, wollte sie wissen, während sie sich aufrichtete und ihn zu sich heranwinkte. Unschlüssig folgte er ihrer Aufforderung und fühlte sich ein wenig verwirrt. Weder in ihrer Gestik noch in ihrer Stimme konnte er Ablehnung erkennen.

Als er Reema erreicht hatte, bückte er sich kurz und berührte, wie es in Indien üblich war, um Älteren seinen Respekt entgegen zu bringen, ihre Füße. Nachdem er sich wieder aufgerichtet hatte und sich ihre Blicke trafen, erkundigte er sich einleitend danach, wie es ihr ging. Er wollte sich schließlich langsam herantasten und nicht sofort mit der Tür ins Haus fallen.

Doch Reema tat seine Frage mit einem lapidaren „Gut.“ ab und musterte ihn nur mit einer Mischung aus Mitleid und Besorgnis. Dieser Blick brachte Rahul zunehmend aus dem Konzept und so fragte er schließlich doch sofort danach, ob Anjali da war.

Anstatt ihm direkt zu antworten, bot Reema Rahul allerdings an, auf der Terrasse Platz zu nehmen und ging anschließend ins Haus, um sich ihre von der Gartenarbeit schmutzigen Hände zu waschen und etwas zu trinken zu holen.

„Also Rahul... Anjali ist im Moment mit ihrem Vater und ihrem Jugendfreund Harish in Amritsar...“, meinte Reema schließlich, nachdem sie Rahul ein Glas Wasser gebracht und sich neben ihn gesetzt hatte. „Anjali hat mir erzählt, dass ihr euch getrennt habt und sie deswegen beschlossen hat, hierher zurückzukommen und... und Harish zu heiraten... Die Gründe für eure plötzliche Trennung wollte sie mir nicht sagen, aber da du jetzt hier bist, nehme ich nicht an, dass es in beiderseitigem Einvernehmen geschah...“

Rahul war äußerst überrascht zu hören, dass Anjali ihn nicht bei ihren Eltern verraten hatte. Er verstand nicht, wieso, doch ihm war klar, dass er ihnen die Wahrheit schuldig war. Es fiel ihm alles andere als leicht, doch diese Menschen waren so nett zu ihm gewesen, dass er sie nicht weiter belügen wollte. Also erzählte er Anjalis Mutter die wahre Geschichte – von Anfang an.

Unsicherheit

Als Rahul seine Erklärungen beendet hatte, schwieg Reema für einen Moment und starrte auf den steinernen Terrassenfußboden. Als sie gerade zu einer Antwort ansetzen wollte, ertönte plötzlich Anjalis Stimme: „Ma, wir sind wieder da und wir haben...“ Als Anjali daraufhin durch die Terrassentür nach draußen trat und ihr Blick auf Rahul fiel, verstummte sie jedoch augenblicklich. Fassungslos starrte sie ihn an.

„Was machst du denn hier?!“, wollte sie ganz entgeistert wissen. Reflexartig stand Rahul daraufhin auf. Er war so erleichtert, sie endlich wiederzusehen, dass er sich einbildete, sie wäre in den acht Tagen, in denen sie sich nicht gesehen hatten, noch schöner geworden. Der weite weiß-blaue Salwar Kameezweite weiß-blaue Salwar Kameez (1), den sie trug, stand ihr ausgezeichnet.

Doch bevor Rahul antworten konnte, mischte Reema sich ein. „Anju, wo ist dein Vater?“ „Ich... Äh... Er ist noch in der Garage. Er...“, erwiderte Anjali völlig durch den Wind. „Ich gehe zu ihm.“ Während dieser Worte schenkte Reema Rahul einen vielsagenden Blick und wandte sich dann um, um die beiden allein zu lassen.

Überrascht schaute Rahul ihr hinterher. Er hatte nach seinem Geständnis mit nichts anderem gerechnet als mit der von Anjali damals im Hotelzimmer erwähnten Mistgabel vom Grundstück gejagt zu werden, doch stattdessen bekam er nun die Gelegenheit, allein mit Anjali zu sprechen. So viel Entgegenkommen hätte er nie und nimmer erwartet. Reema schien ihn also nach wie vor sehr zu mögen. Diese Erkenntnis ließ ein kurzes erleichtertes Lächeln über seine Lippen huschen.

„Was soll das? Wieso lässt uns meine Mutter allein? Was hast du ihr erzählt?“, wollte Anjali aufbrausend wissen und unterbrach damit Rahuls Gedanken. Sie schien sich vom ersten Schock erholt zu haben, denn sie hatte die Hände in die Hüften gestemmt und funkelte ihn wütend an.

„Ich habe ihr die Wahrheit erzählt.“, erwiderte er ruhig. „Im Gegensatz zu dir.“ Anjalis Augen weiteten sich bei seinen Worten. „Die Wahrheit? Du hast ihr erzählt, dass die Sache mit uns beiden nur gespielt war? Und trotzdem lässt sie uns allein? Wem willst du diesen Unsinn glaubhaft machen?“ Ihre Wut mischte sich mit langsam aufkommender Unsicherheit.

„Ich will niemandem irgendwas glaubhaft machen. Ich weiß auch nicht, warum deine Mutter mir nicht auf der Stelle den Kopf abgerissen hat, aber da liegt offenbar der entscheidende Unterschied zwischen euch: Deine Mutter lässt Raum für Erklärungen, während du ohne ein Wort das Land verlässt und gleich einen anderen heiraten willst.“

„Wa... Woher weißt du, dass ich…?“, warf Anjali misstrauisch ein, doch Rahul wollte sie nicht ausreden lassen und meinte vieldeutig: „Sagen wir, ein Vögelchen hat es mir gezwitschert.“ Sie wusste jedoch sofort, wer die undichte Stelle war und knurrte leise Milis Namen, bevor sie zum Gegenschlag ansetzte: „Wie auch immer. Ich finde jedenfalls nicht, dass ich mir von dir irgendwelche Erklärungen anhören oder ich mich vor dir rechtfertigen muss. Du hast mein Vertrauen nicht nur einmal missbraucht und jetzt ist Schluss. Ich habe keine Lust mehr auf deine Spielchen. Ich werde einen Mann heiraten, der mich zu schätzen weiß und nicht nur sein Ego mit meiner Eroberung pushen will.“

„Wenn du ihn denn lieben würdest, würde ich mich deinem Vorhaben nicht in den Weg stellen, doch da dem nicht so ist, werde ich ganz sicher nicht aufgeben.“, verkündete Rahul und ließ Anjali damit vor Empörung zurückweichen. „Wie bitte?! Natürlich liebe ich ihn! Was...?“

„Wenn das wahr wäre, hättest du dich nicht auf mich eingelassen. Du bist keine Frau, die mit einem Mann etwas anfängt, wenn sie aufrichtig in einen anderen verliebt ist. Wir wissen es doch beide: Du liebst Harish nicht. Zumindest nicht mehr.“, konstatierte er und stellte dabei fest, dass plötzlich aller Kampfgeist aus Anjali zu entweichen schien. Er hatte den Nagel mit seiner Aussage auf den Kopf getroffen; gegen dieses Argument kam selbst sie nicht mehr an. Man sah ihr regelrecht an, wie sie nach einer Rechtfertigung suchte, doch sie blieb erfolglos. Stattdessen meinte sie schließlich: „Es ist mir egal, was du denkst. Mein Leben geht dich nichts mehr an. Flieg zurück nach London und kümmere dich um dein Hotel.“

Mit diesen Worten drehte sie sich um und lief ins Haus zurück. Rahul wollte sie zuerst aufhalten, doch er entschied sich dagegen und beschloss, sie erst einmal über seine Worte nachdenken zu lassen. Er wusste allerdings nicht, wie lange, denn er konnte sich nicht vorstellen, weiterhin als Gast in diesem Haus geduldet zu werden. Wo also sollte er in der Zwischenzeit hin?
 

Wütend warf Anjali sich in ihrem Zimmer auf ihr Bett. Was zum Teufel wollte Rahul hier? Sie wäre vorhin vor Schreck beinahe umgefallen. Und bildete sie es sich bloß ein oder hatte er in seinem schwarzen Outfit (2) noch besser ausgesehen als sonst?

Widerwillig schüttelte sie den Kopf. Solche Gedanken hatten keinen Platz mehr in ihrem Kopf. Sie hatte sich für Harish entschieden und sie würde glücklich mit ihm werden. Einen so guten Mann wie ihn würde sie nie wieder finden. Es wäre die größte Dummheit gewesen, ihn freiwillig gehen zu lassen. Doch auch wenn sie sich dessen sicher war, kam sie nicht umhin festzustellen, dass Rahuls Worte immer wieder in ihrem Kopf widerhallten.

„Du bist keine Frau, die mit einem Mann etwas anfängt, wenn sie aufrichtig in einen anderen verliebt ist. Wir wissen es doch beide: Du liebst Harish nicht.“

Wütend setzte sie sich auf und schlug mit der Faust in ihr Kopfkissen. Was wusste Rahul schon davon, wen sie liebte und wen nicht? Er hatte nicht das Recht, sich in ihr Leben einzumischen und ihr Vorschriften bezüglich ihrer Gefühle zu machen. Sie hatte ihm vertraut und das hatte er schamlos ausgenutzt. Natürlich musste sie zugeben, dass sie in der kurzen Zeit mit ihm glücklich gewesen war und sich wohl gefühlt hatte, doch er hatte sich ihre Zuneigung nur ergaunert, indem er seinen Konkurrenten mit einem faulen Trick aus dem Rennen katapultiert hatte. Wäre Anjali nicht fälschlicherweise davon ausgegangen, dass Harish sie nicht mehr wollte, hätte sie – so nahm sie zumindest theoretisch an – Rahul niemals an sich herangelassen.

Sie fand es also nur logisch, sich für Harish zu entscheiden. Er war zuerst dagewesen. Sie kannte ihn schon seit ihrer Kindheit und er war immer ehrlich und freundlich zu ihr...

Warum allerdings musste sie sich all das dann immer wieder vorsprechen? Wieso war das aufregende Kribbeln verschwunden, wenn sie an eine Zukunft mit Harish dachte? Tief in ihrem Inneren kannte sie die Antworten auf diese Fragen, doch sie konnte und wollte sie sich nicht eingestehen. Sie hatte eine Entscheidung getroffen und zu dieser würde sie auch stehen – komme, was da wolle – auch des Selbstschutzes wegen.
 

Während Anjali in ihrem Zimmer aufgebracht vor sich hin grübelte, saß Rahul mit ihren Eltern im Wohnzimmer auf der Couch und hörte sich eine Strafpredigt darüber an, dass man nicht lügen sollte.

„... Wir finden nicht gut, was du getan hast, Puttar, aber wir denken nach wie vor, dass du im Grunde ein anständiger Kerl bist.“, meinte Anjalis Vater mit brummiger Stimme.

„Kishan hat Recht.“, stimmte Reema ihrem Mann zu. „Du bist charmant und intelligent, doch nach allem, was wir über dich erfahren haben, denke ich, dass dein größtes Problem einfach ist, dass du unter allen Umständen deinen Willen durchsetzen willst und dazu schnell zu den falschen Mittel greifst. Wir glauben dir, wenn du sagst, dass deine Zuneigung für Anjali echt ist. Fakt ist jedoch, dass du sie sehr verletzt hast. Tu ihr Verhalten nicht als Überreaktion ab, sondern nimm es ernst und geh darauf ein. Erfolg kann ich dir zwar keinen garantieren, doch wir werden Anjali diesbezüglich auch keine Vorschriften machen. Sie ist alt genug, um selbst über ihre Zukunft zu entscheiden. Am Ende muss sie schließlich damit glücklich werden und nicht wir.“

Rahul war erleichtert, dass seine ehemaligen vermeintlichen Schwiegereltern so besonnene Menschen waren und ihm noch eine weitere Chance gaben. Ihm war sehr wohl bewusst, dass alles auch ganz anders und weniger positiv für ihn hätte ausgehen können. Ihre Ratschläge hörte er sich an, wusste allerdings nicht, ob er sie umsetzen können würde, denn für ihn war Anjalis Reaktion nach wie vor maßlos übertrieben.

Er war zwar lernfähig und sah ein, dass er Fehler gemacht hatte, doch gleiches erwartete er auch von Anjali, die allerdings zu stur und impulsiv war, um ihr überzogenes Verhalten einzugestehen. Er war bereit, seine Schuld einzugestehen und sich für alles zu entschuldigen, doch dazu musste er Anjali erst einmal soweit bekommen, dass sie ihm richtig zuhörte ohne ihn gleichzeitig vorzuverurteilen. Die Situation war jedoch festgefahren und er hatte noch keinen Plan, wie er das zu Stande bringen wollte.

Nachdem Rahul sich schließlich bei Reema und Kishan für ihr Vertrauen und ihre Ratschläge bedankt hatte, wollten die beiden wissen, wo er plante zu übernachten. Da er ihnen diese Frage allerdings auch nicht beantworten konnte, schlugen sie ihm – nach einem kurzen Telefonat – vor, bei Bekannten der Familie unterzukommen, die 20 Minuten zu Fuß entfernt wohnten. Sie bedauerten, dass sie ihm nicht anbieten konnten, in ihrem Haus zu bleiben, doch so lange Anjali so schlecht auf ihn zu sprechen war, wollten sie ihr seine Anwesenheit ersparen. Er verstand das, auch wenn er insgeheim gehofft hatte, Anjali näher bleiben zu können. Doch da es nicht zu ändern war, arrangierte er sich mit den gegebenen Umständen. Zehn Minuten später verließ er zusammen mit Kishan ein wenig widerwillig das Haus.
 

„... Anju, hörst du mir zu?“, erkundigte sich Harish und wedelte mit einer Hand vor Anjalis Gesicht herum. Diese schreckte daraufhin aus ihren Gedanken auf und schaute ihn etwas verloren an. „Oh, tut mir leid. Ich habe gerade...“, begann sie, doch Harish unterbrach sie, indem er eine Hand auf ihre Stirn legte. „Ist alles in Ordnung mit dir? Du wirkst ein wenig durcheinander seit ein paar Tagen. Nicht dass du krank wirst...“, meinte er besorgt und musterte aufmerksam ihr Gesicht. Anjali lächelte ihn an. „Nein, keine Sorge. Mir geht es gut. Danke.“

Sie hätte sich am liebsten selbst geohrfeigt. Was war nur mit ihr los? Vor ihr saß der Mann, in den sie seit ihrer Kindheit verliebt war und was tat sie? Sie grübelte darüber nach, warum Rahul, obwohl er nun schon seit drei Tagen in Indien war, sie seit seiner Ankunft nicht noch einmal aufgesucht hatte. Wieso interessierte sie das? Sie hätte froh darüber sein müssen, dass er sie in Ruhe ließ, doch stattdessen machte es sie nur noch wütender auf ihn.

Für den Moment beschloss sie, sich erst einmal von Harish zu verabschieden. Sie hatte mit ihm und seiner Familie Mittag gegessen und hielt es für das Beste, nun nach Hause zu gehen, um ihre Gedanken zu ordnen.

Auf dem Heimweg legte sie einen kleinen Zwischenhalt an der großen Scheune ein, an der sie Rahul vor nun beinahe schon fünf Wochen drei Ohrfeigen verpasst hatte. Sie stellte ihr Fahrrad, mit dem sie unterwegs war, an der Scheunenwand ab und ließ sich auf den staubigen Boden sinken. Ihr Blick streifte über die endlos erscheinenden Felder, die sich vor ihr erstreckten, während sie versuchte, ihre Gefühlswelt zu ergründen.

Wieso war plötzlich wieder alles kompliziert? Mit ihrer Entscheidung hätten doch alle Probleme beseitigt und ihre Zukunft klar sein sollen. Doch Rahuls Auftauchen hatte sie wieder durcheinander gebracht. Wieso folgte er ihr, wenn er sie sowieso immer wieder anlog? Konnte er es nicht einfach gut sein lassen? Oder war ihm das nun auch bewusst geworden und er hatte Indien ohne ein Wort wieder verlassen? Das hätte erklärt, warum sie ihn seit ihrem letzten Treffen nicht mehr gesehen hatte. Dieser Gedanke machte sie zu ihrer Verwunderung allerdings wütend und enttäuscht zugleich. Wieso hatte dieser Kerl sich in ihr Leben schleichen und alles auf den Kopf stellen müssen? Es hätte alles so einfach sein können.

Schnaufend stand sie auf und lief, ihr Rad neben sich her schiebend, den restlichen Weg bis zu ihrem Haus.

Als sie wenig später das Esszimmer betrat, sah ihre Mutter, die dort gerade den Tisch abwischte, ihrer Tochter sofort an, dass sie etwas beschäftigte. „Kya hua, Anju?“, fragte sie und setzte sich an den Tisch. Anjali ging zu ihr, legte ihre Arme um sie und meinte (3): „Jaane na... Ich... Wenn ich ehrlich bin, weiß ich im Moment wirklich nicht, was ich denken soll. Seit Rahul hier so unerwartet aufgetaucht ist, bin ich durcheinander... Er hat dir ja die ganze Geschichte erzählt und es ist eindeutig, dass er es nach seinem miesen Verhalten nicht verdient hat, dass ich noch an ihn denke, aber trotzdem kann ich es nicht verhindern, Ma... Main kya karoon?“

„Tu das, was du für richtig hältst.“, riet Reema ihrer Tochter, doch diese wehrte nur ab. „Das Richtige ist doch offensichtlich, dass ich Harish heirate. Und davon war ich auch bis vor drei Tagen überzeugt, doch jetzt... Rahul ist ein Mistkerl. Erst belügt er mich, dann reist er mir zum zweiten Mal um die halbe Welt hinterher, nur um sich dann nach einem halbherzigen Erklärungsversuch wieder aus dem Staub zu machen? Ich verstehe ihn nicht und komme einfach nicht dahinter, womit er all das bezweckt. Und ich habe das Gefühl, solange mich all das so sehr beschäftigt, kann ich mich nicht so auf Harish konzentrieren, wie er es verdient hätte...“

„Dann lass uns das Ganze jetzt ein für alle mal klären.“, ertönte ein Stimme hinter hier, die sie aufgeschreckt herumfahren ließ. Rahul stand dort im Türrahmen und sah sie ernsten Blickes an.
 

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Erkenntnis

Als Reema nach Rahuls Aussage Anstalten machte, das Zimmer zu verlassen, wehrte er ab, indem er ihr eine Hand auf die Schulter legte. „Nein, bleib hier. Anjali und ich sollten diejenigen sein, die sich ein ruhiges Plätzchen suchen. Was hältst du davon?“, wollte er an Anjali gerichtet wissen. Verwirrt und hilfesuchend schaute sie daraufhin zu ihrer Mutter, die ihr sogleich aufmunternd zunickte.

Etwas widerwillig erklärte sie sich also einverstanden und verließ mit Rahul zusammen das Zimmer. Dieser steuerte unbeirrbar die Dachterrasse an und drehte sich höflich lächelnd zu Anjali um, als sie ihr Ziel erreicht hatten.

„Also. Hast du mir vielleicht irgendetwas zu sagen, Anjali?“, fragte er ohne sein Lächeln abzulegen. „Nein. Nicht dass ich wüsste. Zumal du unser Gespräch ja offensichtlich sowieso belauscht hast.“, gab sie bissig zurück und verschränkte die Arme vor der Brust. „Was machst du überhaupt hier? Erst lässt du dich drei Tage lang nicht blicken und jetzt...“ „Hast du mich etwa vermisst?“, erkundigte er sich, wobei sein Lächeln breiter wurde und ein erwartungsvolles Funkeln in seinen Augen aufblitzte.

Ertappt und empört zugleich schnappte sie nach Luft. „Oh bitte! Sei nicht so selbstverliebt! Wieso sollte ich...?“ entgegnete sie mit einer wegwerfenden Handbewegung, doch Rahul fiel ihr erneut ins Wort: „Weil du – wie du im Gespräch mit deiner Mutter bereits erwähnt hast – immer noch an mich denkst. Das ist doch ein offensichtliches Zeichen dafür, dass du mit `uns´ noch lange nicht abgeschlossen hast. Also lass das ganze Theater endlich sein und sag mir, was wirklich dein Problem ist.“

Er machte einen Schritt auf sie zu, was sie unbeabsichtigt zurückweichen ließ. Seine Augen durchbohrten sie und sie hatte das Gefühl, als wäre die eigentlich angenehme Nachmittagssonne plötzlich brütend heiß. Ihre Gedanken rasten. Verzweifelt suchte sie nach Argumenten, die sie ihm an den Kopf werfen konnte, doch sie fand einfach keine. Er hatte sie mal wieder in die Ecke gedrängt und würde erst Ruhe geben, wenn er hatte, was er wollte.

„Gib mir einen triftigen Grund, der gegen eine Beziehung zwischen uns spricht.“, forderte er, als sie ihm nicht antwortete und begann, seinem Blick auszuweichen. Nach kurzer Bedenkpause antwortete sie schließlich lahm: „Ich kann dir nicht vertrauen. Das...“ „Anjali, ich bitte dich!“, stöhnte er genervt auf. „Man könnte meinen, du wärst eine Schallplatte mit einem Sprung. Ich höre immer nur dieses eine Argument, von dem wir beide wissen, dass es Unsinn ist. Es...“ Er unterbrach sich abrupt, denn plötzlich geisterten Reemas Worte wieder durch seinen Kopf.

„Tu ihr Verhalten nicht als Überreaktion ab, sondern nimm es ernst und geh darauf ein.

Er schloss die Augen, atmete tief durch und meinte dann: „Ich entschuldige mich wirklich aufrichtig für mein Verhalten. Es war falsch und das weiß ich mittlerweile auch. Ich bitte dich ernsthaft um Verzeihung.“ Während er sprach, legte er seine Arme eng an seine Seiten und verbeugte sich vor Anjali.

Seine Worte und vor allem die dazugehörige Geste machten sie sprachlos. Sie konnte nicht anders als den vor ihr verneigten Rahul hemmungslos anzustarren. Niemals hätte sie so etwas von ihm erwartet. In einem Film wurde einmal gesagt, dass ein Mann sich nur vor drei Frauen verbeugt: vor seiner Mutter, vor der Göttin Durga und vor... seiner Geliebten. Es war unmöglich, dass Rahul diesen Film gesehen hatte, doch für sie hatte das immer Sinn gemacht und es passte zu ihm wie die Faust aufs Auge, wie man so schön sagte.

„Du... Du meinst das wirklich ernst...?“, fragte sie vorsichtig und noch immer misstrauisch nach, woraufhin Rahul sich wieder aufrichtete. Er seufzte resigniert. „Anjali. Ich kämpfe jetzt schon seit Monaten um dich und bin wegen dir mittlerweile sogar schon zweimal um den halben Erdball geflogen. Glaubst du wirklich, ich hätte all das getan, wenn ich dich nicht lieben würde?“, wollte er wissen und schaute sie mit ausdruckslosem Gesicht an.

Anjali glaubte jedoch, sich verhört zu haben. „Du... Du liebst mich?!“, wiederholte sie ungläubig und riss vor Überraschung ihre Augen auf. Rahul verleierte daraufhin selbige. „Wieso sind alle so überrascht, wenn ich das erwähne?“, wollte er wissen. „Natürlich liebe ich dich. Ich plane nicht mit jeder x-beliebigen Frau meine Zukunft um Jahre voraus, musst du wissen.“

„... Ja...“, gab sie daraufhin tonlos von sich und ließ sich auf den Boden sinken. Sein Geständnis gab den Dingen nun eine für sie vollkommen neue Betrachtungsweise, die sie erst einmal durchdenken musste.

Rahul wusste nicht, was er mit ihrem Schweigen anfangen sollte, doch ihre zusammengesunkene Gestalt weckte plötzlich seinen Beschützerinstinkt und das unbändige Verlangen, sie in den Arm zu nehmen. Er streckte langsam seine Hand nach ihr aus und schob sie um ihre Schultern. Er erwartete jeden Moment, dass Anjali sie weg schlug, doch sie ließ ihn zu seiner Überraschung gewähren. Sanft zog er ihren Körper an sich und schloss die Augen. Sofort nahm er ihren leichten Pfirsichduft wahr und spürte, wie ihre Nähe und die von ihr ausgehende Wärme ihn in Beschlag nahmen und langsam und wohlig umhüllten.

„Du kannst dir nicht vorstellen, wie sehr ich dich in den letzten elf Tagen vermisst habe...“, murmelte er und streichelte mit einer Hand über ihren Rücken, während die andere auf ihrem Hinterkopf ruhte.

„Rahul...?“, wisperte Anjali, nachdem sie ein paar Minuten schweigend in ihrer Umarmung verharrt hatten. Ohne seine Augen zu öffnen oder sich zu bewegen, entgegnete er nur ein „Hm...?“. „... Wir können trotzdem nicht zusammen sein.“

„Bitte was?!“ Rahul schob Anjali ein Stück von sich weg, um ihr ins Gesicht schauen zu können. „Was soll denn das nun schon wieder bedeuten?!“, erkundigte er sich und gab sich dabei keine Mühe, seine gereizte Tonlage zu unterdrücken.

„Ich habe Harish bereits versprochen, ihn zu heiraten... Das kann ich doch jetzt nicht wieder zurücknehmen...“, erwiderte sie und wendete etwas beschämt ihren Blick ab. Rahuls Augen weiteten sich, bevor er sie erneut verleierte. „Wieso hast du das überhaupt getan?“, wollte er wissen und sah sie verständnislos an. Sie machte sich daraufhin von ihm los und drehte ihm den Rücken zu.

„... Weil ich... so enttäuscht von dir war.“, gab sie etwas zögerlich zu. „Dir muss doch bewusst gewesen sein, dass mein Vertrauen zu dir noch auf wackligen Beinen stand. Und dann kommt der Schock, dass Harish mich gar nicht verlassen hatte, sondern du mir nur seine Abreise verschwiegen hast. Das hat mich so erschüttert, dass ich vor Enttäuschung einfach nur noch wütend auf dich sein konnte und von dir weg wollte. Zu diesem Zeitpunkt habe ich nur noch Harish gesehen und war mir sicher, dass er der Richtige für mich sein musste, da ich doch so lange Zeit in ihn verliebt war und er auch ansonsten alles hat, was ich mir von einem Mann wünschen kann.“

Ihre Lobrede auf Harish ärgerte Rahul ungemein, doch er sagte nichts dazu und hoffte, dass ihre Erklärung irgendwann zu seinen Gunsten umschlagen würde.

„Und ich hätte all das auch zuversichtlich und ohne Reue durchgezogen, wenn du nicht vor drei Tagen hier aufgetaucht wärst. Ich hatte mir eigentlich erfolgreich klar gemacht, dass du mich die ganze Zeit nur hinters Licht geführt und mir irgendwelche Gefühle vorgespielt hast... Aber dass du einfach nicht aufgibst, immer weiterkämpfst und dich sogar um Entschuldigung bittend vor mir verbeugst...“ „... hat dich endlich überzeugt?“, beendete Rahul ihren Satz und hoffte, dass es das war, worauf sie hinauswollte.

Langsam drehte sie sich daraufhin wieder zu ihm herum, schaute ihm in die Augen und nickte langsam. Diese unschuldige Geste ließ Rahuls Herz aufgehen. Er machte Anstalten, Anjali wieder in seine Arme zu ziehen, doch sie wehrte ab.

„Aber trotz allem kann ich Harish doch jetzt nicht vor den Kopf stoßen. Er...“, begann sie, doch Rahul wollte sich diesen Blödsinn – nichts anderes waren ihre Bedenken in seinen Augen – nicht anhören. „Anjali, hör zu. Willst du dich und ihn wirklich in eine Ehe zwängen, obwohl du ihn nicht liebst? Auch wenn es mir schwer fällt, das zuzugeben, aber Harish scheint wirklich ein netter Kerl zu sein. Ich glaube nicht, dass er es verdient hat, nur aus Pflichtgefühl geheiratet zu werden.“, redete er ihr ins Gewissen. „Oder wäre es etwas anderes als bloßes Pflichtgefühl? Liebst du ihn? ... Oder liebst du mich?“

Anjali errötete bei seiner Frage und begann, nervös mit ihren Händen herumzuspielen. „Ich... Auch wenn ich mich lange dagegen gewehrt habe und ich diese Frage vor ein paar Monaten noch klar mit dem Gegenteil beantwortet hätte, muss ich wohl zugeben...“ Sie machte eine kurze Pause, in der Rahul sie erwartungsvoll anstarrte. „... dass meine Gefühle Harish gegenüber... zu deinen Gunsten verschwunden sind...“

Sie hatte kaum ihren Satz beendet, da schloss Rahul schon seine Arme um sie und hob sie mit einem strahlenden Lächeln im Gesicht in die Luft. Anjali stieß einen überraschten Laut aus, doch als sie sein glückliches Gesicht sah, konnte sie nicht verhindern, dass sich auf ihre Lippen auch ein Lächeln legte.

„Lass uns das bitte sofort der ganzen Welt mitteilen.“, schlug er vor und umfasste mit beiden Händen ihr Gesicht, um ihr einen kurzen aber sehr enthusiastischen Kuss aufzudrücken. Erst perplex über seine Euphorie fing Anjali von einem plötzlichen Glückgefühl durchströmt dann doch an zu lachen. „Ich glaube, meine Eltern und Harish werden vorerst reichen müssen.“

Ende gut, alles gut!?

Unruhig lief Rahul im Wohnzimmer der Sharmas auf und ab. Nachdem er und Anjali ihren Eltern verkündet hatten, wie es denn nun letztendlich tatsächlich um Anjalis Gefühle bestellt war, hatten die beiden ihnen herzlich gratuliert und mit einem Augenzwinkern gefordert, dass die erneute Beziehung nun aber ein wenig länger halten sollte als die letzte.

Anschließend war Anjali sofort aufgebrochen, um mit Harish zu sprechen, da sie die Klärung der ganzen Sache nicht noch unnötig hinauszögern wollte.

Rahuls Problem bestand nun darin, dass das bereits mehr als drei Stunden her war und er begann, misstrauisch zu werden. Anjalis Eltern redeten beruhigend auf ihn ein, doch je mehr Zeit verstrich, desto ungeduldiger wurde er. Er war mehrere Male kurz davor, selbst zu Harish zu gehen, doch Reema schaffte es mit einigen Überredungskünsten, ihn doch im Haus zu behalten.

Als Anjali nach beinahe vier Stunden schließlich endlich wieder auftauchte, kam Rahul ihr eilig entgegen. Er stutze allerdings als er ihre geröteten Augen und ihren verschmierten Kajal bemerkte. „Was ist los? Hast du geweint? Was ist passiert?“, erkundigte er sich beunruhigt und strich sanft mit seinen Daumen über ihre Wangen. „Es ist alles in Ordnung.“, entgegnete sie mit einem müden Lächeln. „Ich habe ihm alles erzählt und er sieht ein, dass eine Hochzeit zwischen uns unter diesen Umständen nicht möglich ist.“ „Und wieso hast du dann geweint?“, hakte er argwöhnisch nach. „Weil ich Harish seit dem Kindergarten kenne und es mir sehr schwer gefallen ist, ihm jetzt das Herz zu brechen, du unsensibler Klotz.“, erwiderte sie etwas gereizt ob Rahuls fehlendem Einfühlungsvermögen. „... Wegen mir hast du noch nie geweint.“, brummte Rahul etwas beleidigt, woraufhin Anjali ihn verständnislos anschaute. „Und ich hoffe auch, dass das so bleibt!“, meinte sie nachdrücklich und Rahul bemerkte, wie unangebracht seine eifersüchtige Bemerkung gewesen war. „Es tut mir leid.“, entschuldigte er sich schnell und schloss Anjali in seine Arme. „Wenn du in Zukunft weinst, wird das nur vor Glück sein, alles klar?“ Sie nickte daraufhin besänftigt und schlang ebenfalls ihre Arme um ihn.
 

Nachdem Anjali auch ihren Eltern von Harishs Reaktion erzählt hatte, trösteten diese ihre Tochter noch ein wenig und versicherten ihr, dass Harish ein Stehaufmännchen war und er sicher bald darüber hinwegkommen würde.

Rahul fand dies denn auch den richtigen Zeitpunkt, um sich danach zu erkundigen, wann Anjali eigentlich vorhatte, nach London zurückzukehren. Sie stutzte, da sie darüber noch gar nicht nachgedacht hatte und ihr plötzlich auch einfiel, dass sie ja ihre Wohnung aufgegeben hatte. Rahul zögerte keine Sekunde, als er meinte, dass sie sofort bei ihm einziehen konnte. Nach kurzem Zögern nahm sie sein Angebot an und war überrascht, als er ihr mitteilte, dass er bereits nach Flügen geschaut hatte und sogar heute Abend noch einer ging. Sie wollte wegen der Kurzfristigkeit bereits protestieren, doch hielt sie sich zurück, als er sie daran erinnerte, dass er sich um ein Hotel kümmern musste, das er vor wenigen Tagen ganz überstürzt allein gelassen hatte.
 

Und so waren sie nach einem innigen Abschied von Anjalis Eltern und einem 14-stündigen Flug endlich wieder zusammen in London.

Kaum hatten sie allerdings die Wohnungstür hinter sich verschlossen, zog Rahul Anjali in seine Arme und verwickelte sie in einen hingebungsvollen Kuss. „Du hast mir so wahnsinnig gefehlt...“, raunte er ihr entgegen, während er sie in Richtung seines Bettes lenkte. Seit sie ihm gesagt hatte, dass sie seine Gefühle erwiderte, hatte er nur noch den Wunsch gehabt, ihre Körper ihre Zuneigung gemeinsam feiern zu lassen.

Anjali wehrte sich nicht gegen ihn, sondern ließ sich ganz in ihr Glücksgefühl fallen. Jetzt hatte sie endlich das Gefühl, dass alles richtig lief und gut war. Erst als sie Rahuls Hände auf ihrer nackten Haut spürte, bemerkte sie, wie sehr sie ihn und seine Berührungen wirklich vermisst hatte.

Ihre Körper verschlangen sich ineinander und wurden in ihrer Leidenschaft eins. Keuchend vor heißer Liebe trieben sie sich gegenseitig zum Höhepunkt bis sie schließlich schwer atmend und glücklich nebeneinander lagen. Anjali hatte ihren Kopf auf Rahuls Brust gebettet und lauschte seinem regelmäßigen Herzschlag. Beinahe wäre sie weggenickt, wenn ihr nicht plötzlich eine ihr sehr wichtig erscheinenden Frage eingefallen wäre. „Sag mal, es gibt aber nicht noch mehr Dinge, die du mir noch erzählen solltest oder?“

Ein verschwörerisches Lächeln umspielte Rahuls Lippen, während er bedeutungsvoll meinte: „Hm. Was denkst du?“



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Kommentare zu dieser Fanfic (19)
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Von:  Brigitte
2017-09-07T05:41:05+00:00 07.09.2017 07:41
Hallo elfogadunk, ich lese deine Stories jetzt das zweite Mal. Ich liebe sie ! Ich habe den Vorteil, dass ich nicht warten muss, bis ich weiter lesen kann, weil sie ja schon fertig sind. Also, auf zur nächsten Geschichte ! LG
Von:  Dijana14031992
2014-12-03T20:40:34+00:00 03.12.2014 21:40
Hallo elfogadunk ,
Hab mir die ganze Geschichte in 2 Tagen durchgelesen. Konnte einfach nich aufhören. :)
Du schreibst wirklich sehr gut!

Von:  anandi
2013-08-11T19:18:39+00:00 11.08.2013 21:18
Hallo elfogadunk, deine Stories gefallen mir echt gut. Du hast Talent. Es würde mich freuen wenn es wieder was neues von dir zu lesen gibt.
Anandi
Antwort von:  elfogadunk
14.08.2013 00:38
Vielen lieben Dank! :) Ich schreibe gerade an einer neuen Story, aber da ich momentan leider nur sehr langsam voran komme, möchte ich die Geschichte erst einmal bis zu einem bestimmten Punkt vorschreiben, bevor ich anfange sie zu posten. :)
Von: abgemeldet
2011-02-26T16:53:50+00:00 26.02.2011 17:53
Uff, Anjali ist also doch einsichtig geworden! Jetzt kann dem Happyend ja eigentlich nichts mehr im Weg stehen. Ausser natürlich, du planst noch etwas;)
Und die Anspielung auf KKHH hat mir sehr gut gefallen, den Rahul natürlich nie gesehen hat^.^
Von:  mitsuki11
2011-02-22T21:23:27+00:00 22.02.2011 22:23
Na dann bin ich ja mal gespannt was bei diesem Gespräch raus kommt.
Von: abgemeldet
2011-01-13T14:34:45+00:00 13.01.2011 15:34
Oh nein!
Ich gebe ja zu, Harish klingt sympathisch, aber sie soll sich doch für Rahul entscheiden! Obwohl, dass er sie angelogen hat ist schon ziemlich daneben! Ich hoffe aber, dass er es irgendwie schafft, dass sie ihm verzeiht...
Von: abgemeldet
2010-12-15T15:40:16+00:00 15.12.2010 16:40
Ich glaube, da gibt es nur ein Wort: ENDLICH!

Ist allerdings ein fieser Cliffhanger am Schluss. Ich hoffe, es geht bald weiter!

Liebe Grüsse

Meyra
Von:  Monny
2010-12-04T07:39:23+00:00 04.12.2010 08:39
Oh man wie cool sie hat es angenommen. Freu mich schon auf das nächste kap^^.

gez.Monny^^.
Von:  Monny
2010-12-03T21:43:53+00:00 03.12.2010 22:43
Oh man ein neuer Job^^. Freu mich schon auf das nächste Kap^^.

gez.Monny^^.
Von:  Monny
2010-12-03T21:37:09+00:00 03.12.2010 22:37
Autsch.

Oh man wie peinlich^^. Freu mich schon auf das nächste Kap^^.

gez.Monny^^.


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