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Vertrauen und Verrat

von

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Schnee

„Was ist vor sechs Jahren wirklich passiert?“

Augenblicklich war es still in dem Keller. Alle hielten ihren Atem an, selbst Ryan. Mein Vater starrte mich geschockt an, bevor er seinen Blick senkte. „Das willst du gar nicht wissen, glaube mir.“, flüsterte er schwach.

„Doch“, sagte ich und bemühte mich, nicht beleidigt zu klingen, „Sonst hätte ich nicht gefragt. Wann hat das mit den Drohbriefen angefangen und was haben sie noch gefordert? Hast du ihre Forderungen erfüllt? Wenn ja, wann und welche?“

Wenn mein Vater vorhin schon geschockt ausgesehen hatte, übertraf der Gesichtsausdruck, den er jetzt hatte, diesen bei weitem. „W- woher weißt du davon?“

„Du weißt doch, dass ich in deiner Wohnung war...“, setzte ich an, „Ich hatte dir eine Nachricht hinterlassen. Nun ja, aber das war nicht das einzige. Ich habe mir ein paar deiner Aufzeichnungen ausgeliehen...“

Das Gesicht meines Vaters wurde kreidebleich. „Alec, du- Bist du verrückt?“, schrie er.

Kian zuckte zusammen. Wenig später öffnete er seine Augen und sah sich verwirrt um. Anscheinend hatte mein Vater ihn eben geweckt. Ich legte ihm kurz die Hand auf die Schulter und deutete ihm an, leise zu sein, bevor ich mich wieder an meinen Vater wandte. Schwach schüttelte ich meinen Kopf. „Tut mir Leid, aber ich musste einfach wissen, ob es wahr ist, ob du etwas mit dem Mord an Kians Eltern zu tun hast. Aber auch nachdem ich die Aufzeichnungen gelesen habe, weiß ich nicht mehr. Sie widersprechen denen, die Kians Vater hinterlassen hat. Ich will wissen, was wahr ist und was nicht!“

Mein Vater schien sich wieder etwas zu beruhigen. Er sah mich niedergeschlagen an. „Hast du wirklich alles gelesen?“

Ich nickte, woraufhin mein Vater seufzte. „Ich hätte es wissen müssen, dass ich es nicht vor dir geheim halten kann. Aber damals warst du noch zu jung und später hatte ich Angst, dass du wütend werden würdest, wenn ich es dir erzähle...“

Abwartend schaute ich den Mann an, sagte aber nichts.

Ryans Vater mischte sich ein. Hasserfüllt sah er Kian an, bevor seine Aufmerksamkeit meinem Vater und mir galt. „Und, wo sind die Aufzeichnungen jetzt? Liegen sie noch in deiner Wohnung. Hast du sie wenigstens weggeschlossen oder konnte dein Mannaro sie in aller Ruhe lesen?!“

„Kian hat sie nicht gelesen!“, antwortete ich wahrheitsgemäß, vergaß aber nicht, ihn dabei anzuschreien, wütend über die indirekten Beschuldigungen. „Nur zu eurer Information: Kian kann nicht lesen! Er konnte also nicht besonders viel damit anfangen!“ Ich stand auf, zog Kian vorsichtig auf die Beine, bevor ich mich vor ihn stellte. „Was ist nun? Antwortet ihr mir noch oder muss ich jemand anderen fragen?“

Die beiden Männer starrten mich sprachlos an. Nach einigen Sekunden ging Ryans Vater auf mich zu und baute sich vor mir auf. „Was glaubst du eigentlich, wer du bist?! In diesem Ton mit Erwachsenen und sogar deinem Vater zu reden!“

Er holte aus, doch Kian stoppte seine Hand, bevor sie mich verletzen konnte. Ich sah dem Mann zornig in die Augen. „Das sagt der richtige! Ich habe allen Grund, wütend zu sein. Ihr habt meinen besten Freund entführt, eine Woche lang in diesem Loch hier eingesperrt, angekettet! Was habt ihr noch alles mit ihm gemacht?!“

Ryans Vater schnappte nach Luft. Er entriss seine Hand Kians Griff und wich einige Schritte zurück. „Besten Freund?! Du nennst dieses Monster da deinen besten Freund?“, schrie er.

„Kian ist kein Monster!“, antwortete ich ihm in gleicher Lautstärke und Intensität. Dann wurde meine Stimme wieder leiser, nahm aber einen bedrohlichen Klang an. „Macht nur weiter mit eurer ignoranten Art zu leben. Dann werdet ihr alles verlieren, was euch lieb ist.“ Ich richtete meinen Blick auf meinen Vater. „Deine Familie hast du bereits verloren. Das einzige, was dir noch bleibst, ist dein Leben. Aber keine Angst, Es dauert nicht mehr lange, dann werden sie dir auch das nehmen.“ Jetzt sah ich wieder zu Ryans Vater. „Dir können sie noch die Familie nehmen. Du hast ja eben gesehen, wie schnell das gehen kann. Noch einmal werde ich Ryan nicht helfen. Sieh zu, wie du ihn schützen kannst oder lebe damit, dass er oder deine Frau jeden Augenblick tot hinter deinem Haus liegen könnten! Sie werden euch verfolgen und bedrohen, bis ihr sie anflehen werdet, dass sie euch endlich umbringen!“

Ryans Vater fiel auf die Knie. „N- Nein, ich...“ Er zitterte am ganzen Körper.

Ich beachtete ihn nicht weiter. Immer noch wütend griff ich nach meinen Kleidungsstücken und zog sie mir wieder drüber. Kurzerhand packte ich Kian am Handgelenk, während ich in Richtung Ausgang stapfte. „Wie es aussieht, bekomme ich meine Antworten hier nicht, also kann ich auch wieder gehen!“

Es zeigte sich keine Reaktion. Erst als ich schon in der geöffneten Tür stand, rief mir mein Vater hinterher. „Alec, warte. Ich sage es dir, aber bitte geh jetzt nicht einfach.“

Darauf hatte ich gewartet. Sofort blieb ich stehen und wandte mich gespielt genervt wieder in seine Richtung. „Diesmal aber wirklich!“ Langsam ging ich auf ihn zu, Kian immer noch am Handgelenk festhaltend.

Mein Vater starrte auf den Boden, schien mir aber endlich antworten zu wollen. „Der erste Brief kam etwa zwei Monate vor dem Tod deiner Mutter. Ihm folgten fast täglich weitere. Zuerst habe ich sie ignoriert, doch als dann mit deinem Tod und dem Tod deiner Mutter gedroht wurde, bekam ich Angst. Ich kontaktierte Arbeitskollegen und bat um Hilfe. Aber das müsstest du eigentlich schon wissen. Immerhin hast du die Briefe gelesen.“

Ich nickte, wissend dass er es nicht sah.

„Ich wollte niemanden umbringen. Gut, zuerst habe ich es in Betracht gezogen, aber nachdem ich die Familie eine Weile beobachtet hatte, brachte ich es nicht mehr fertig. Also entschied ich, dass es das beste sei, umzuziehen. Ich dachte, wenn wir nur weit genug weg von den Mannaro wohnten, würden sie und in Ruhe lassen. Aber noch an dem Abend an dem ich eine Wohnung gemietet hatte, fand ich eine Drohung. Sie hatten sie mit Farbe an die Wand geschrieben. Ich verschob das Datum unseres Umzuges nach vorn. Damit wie zu der vereinbarten Zeit schon weit weg waren, doch sie müssen es bemerkt haben. An dem Abend, an dem unser Umzug stattfinden sollte, griffen sie an. Du weißt nicht, wie es ist, wenn man ahnungslos nach Hause kommt und die Frau tot auf der Straße vorfindet. Doch aus irgendeinem Grund hast du noch gelebt, obwohl die Nachricht an der Wand etwas besagte. Ich weiß nicht, was vorgefallen ist, aber sie müssen durch irgendetwas unterbrochen worden sein. Ich glaube nicht, dass sie dich bewusst am Leben gelassen haben.“

Kians Hände zitterten. Ich spürte es, da ich ihn immer noch am Handgelenk hielt. Er sah mich mit geweiteten Augen an, eine unausgesprochene Frage im Gesicht.

„Dann...“, fragte ich meinen Vater mit schwacher Stimme, was mein besten Freund wissen wollte, „Dann hast du mit dem Tod von Kians Eltern nichts zu tun?“

Er nickte. „Ich wollte, habe es aber nicht fertig gebracht...“, flüsterte er und hob langsam seinen Blick. „Weißt du es, Alec, warum sie dich nicht umgebracht haben?“

„Wegen Kian...“, murmelte ich, „Er hat Scar sozusagen erpresst.“

Mein Vater starrte mich mit weit aufgerissenen Augen an. „Er... Er war dort?“

Kian nickte schwach. Ich sah ihm an, dass er mit sich kämpfte, weshalb ich ihn nach einigen Sekunden darauf ansprach. „Was ist?“ Ich bemühte mich, ruhig und freundlich zu klingen, damit ich ihn nicht erschreckte oder gar einschüchterte.

Mein bester Freund senkte seinen Blick, schaute auf den Boden. „Es stimmt, ich war dort, aber nicht von Anfang an. Ihrer Frau konnte ich nicht mehr helfen, sie war schon tot. Das einzige, was ich noch tun konnte, war dafür zu sorgen, dass er ihm nichts tut.“

„Er?“, hakte mein Vater nach.

„Scar.“, erklärte Kian, „Der der vorhin auf Ryan losgegangen ist. Er war es auch, der Schuld an Alecs Narbe ist...“

„A- aber!“, stotterte mein Vater und sah mich ungläubig an, „Als du eben- Es schien nicht als hättest du vor ihm Angst.“

Ich sah ihm unnachgiebig in die Augen. „Kian hätte eingegriffen.“ Erneut wandte ich mich zum Gehen, hielt aber kurz inne. „Nur damit ihr es wisst. Ich nehme Kian jetzt mit. Solltet ihr euch noch einmal ohne meine Genehmigung auch nur in seiner Nähe aufhalten, könnt ihr etwas erleben. Dann verschwinde ich nicht mehr einfach so!“

Niemand stoppte mich, als ich wieder nach Kians Handgelenk griff und ihn durch die Tür zog, hinaus aus dem Gebäude. Den kalten Wind, der mir entgegenwehte, blendete ich aus. Auch bemerkte ich nicht sofort, dass es bereits dunkle war und das wenige Licht von den Straßenlaternen stammte. Nur unterbewusst nahm ich diese Details war. Langsam verließen wir das Grundstück. Der Mann, der mich vorhin schon am Betreten der Lagerhalle hindern wollte, rannte und hinterher. „Halt! Stehen bleiben!“, rief er.

Zuerst ignorierte ich ihn, doch als er nach einer Weile direkt vor uns stand, war ich zu einer Handlung gezwungen. „Was wollen Sie?“, fuhr ich ihn an, „Ich sage es nur noch ein letztes Mal: Wenn Ihnen irgendetwas nicht passt, dann beschweren sie sich gefälligst bei meinem Vater. Und jetzt gehen Sie mir aus dem Weg!“

Der Mann unternahm nichts, als ich ihn eher unsanft zur Seite stieß und meinen Weg fortsetzte. Kian hatte ich inzwischen losgelassen. Ich wusste, er folgte mir auch so. Wir liefen durch einige Straßen. Plötzlich spürte ich einen schwachen Griff an meinem Ärmel. Sofort blieb ich stehen und sah Kian fragend an.

Doch er starrte auf den Boden und machte es mir somit unmöglich, in seinen Gesichtszügen zu lesen, was in ihm vorging. Erst jetzt fiel mir auf, dass er gar keine Jacke trug, sondern nur einen zerrissenen Pullover. Die Jeans und die Schuhe waren in keinem besseren Zustand. Er zitterte am ganzen Körper, was wegen der Kälte verständlich war. Immerhin war es Anfang Dezember. Ohne weiter nachzudenken, zog ich meine Jacke aus und legte sie Kian um die Schultern. „Komm.“, flüsterte ich, „Gehen wir nach Hause.“

Kian zuckte zusammen, hob wie aus Reflex seinen Kopf und starrte mich mit geweiteten Augen an. Tränen liefen über sein Gesicht und anhand der geröteten Augen und ihren Spuren erkannte ich, dass er schon seit einiger Zeit weinte. Ein Schluchzen entwich seiner Kehle. „Heißt das... Heißt das, ich darf wieder zurück? Du bist nicht mehr wütend auf mich?“

Ich nickte schwach. „Kian, es tut mir Leid. Ich hätte dich nicht so anschreien dürfen. Ich habe es nicht so gemeint. Die Worte sind mir einfach so herausgerutscht. Natürlich darfst du wieder zurück. Du darfst immer zu mir kommen. Keine Angst, ich bin vielleicht noch ein kleines Bisschen wütend, aber ich werde dich nicht schlagen oder anschreien. Sobald wir zu Hause sind, reden wir in aller Ruhe darüber und danach gehst du ohne Umwege ins Bett. Du kannst ja vor Übermüdung kaum noch stehen.“

„Alec, ich-“, setzte er an, brach aber ab.

„Keine Angst.“, redete ich beruhigend auf ihn ein, „Du bist und bleibst mein bester Freund und niemand kann das ändern.“

„Wirklich?“, fragte Kian und ich konnte einen freudigen Unterton in seiner Stimme hören.

„Wirklich.“, antwortete ich, „Aber wenn du mich noch einmal so anlügst, verzeihe ich dir das nicht mehr so schnell. Livi hat es mir gesagt, was du wirklich vorhattest. Du wolltest mich nicht umbringen, um zu deinen Freunden zurück zu können, sondern anschließend im Rudel Amok laufen und deinen Großvater umbringen...“

Schuldbewusst senkte Kian seinen Blick. „Es tut mir Leid. Ich tue so etwas nie wieder.“

„Eine Sache wäre da noch.“, murmelte ich und sah Kian unsicher an, beobachtete jede seiner Reaktionen, „Bitte sei nicht wütend, aber... Ich bin mit Livi zusammen. Ich weiß, dass so eine Beziehung nur wenig Zukunft hat, aber ich will nicht aufgeben. Nicht aus diesem Grund. Ich liebe sie. Deshalb bitte... Du musst damit nicht einverstanden sein oder es gut finden, aber bitte dulde es wenigstens. Wenn du es nicht für Livi tust, dann tue es für mich. Ich bitte dich, nimm Olivias Verbot zurück.“

Kians Gesicht hatte einen verletzten Ausdruck als er nickte. „Du weißt, dass ich alles tun werde, worum du mich bittest.“, sagte er und lächelte traurig, „Ihr habt meine Erlaubniss, aber bitte fangt langsam an. Ich- Ich möchte nicht, dass du verletzt wirst oder schlimmeres.“

„Versprechen kann ich es nicht, aber ich werde es versuchen.“ Dankbar lächelte ich ihn an.

Als ich in den Himmel sah, bemerkte ich, wie weiße Flocken leise auf uns herunterrieselten. Doch sobald sie auf dem Boden ankamen, schmolzen sie wieder. Ich streckte meine Hand nach einer von ihnen aus und beobachtete, wie sie sich in meiner Handfläche in Wasser verwandelte. „Sieht aus als hätten wir endlich Winter.“, meinte ich leicht zitternd vor Kälte, als wir unseren Weg fortsetzten. Warum hatte ich keinen wärmeren Pullover angezogen?



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  chrono87
2010-07-29T09:59:15+00:00 29.07.2010 11:59
ein interessantes kapitel.
die beiden freude sind aber auch süß. sie verteidigen sich gegenseitig. das finde ich wirklich toll. so muss eine freundschaft in meinen augen aussehen.
die geschichte von alecs vater, ich hab den namen vergessen, aber ich glaube er hieß john oder so, ist interessant, aber stimmt sie auch? andererseits, was hat er noch für einen grund zu lügen? ich meine, er hat doch bereits alles verloren, was er verlieren kann...
trotzdem bleibt die frage offen, wer kians eltern umgebracht hat und wie es jetzt weiter geht.
ich finde es gut, dass kian das verbot zurückzieht, auch wenn es ihm nicht leicht fällt, was wohl einfach daran liegt, dass er angst davor hat seinen besten freund zu verlieren und das wohl für immer. ich hoffe nur, das er selbst sein glück mit alice findet.
lg chrono


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