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Auf der Flucht

Final Fantasy VII Fanfiction
von

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Herausforderungen

E

s war noch dunkel und in der Wohnung herrschte eine gespenstische Stille als Stella ihr Bett verliess und verschlafen Richtung Badezimmer tapste. Sie war es schon gewöhnt, die Erste zu sein, die morgens aufstand und es war ihr ganz recht so. Auf diese Weise konnte sie in aller Ruhe wach werden, ihren ersten Kaffee trinken und sich die Frühnachrichten ansehen.

Umso erstaunter war sie, als sie die Tür zum Bad verschlossen vorfand. Sie rüttelte ein paar Mal an der Klinke um ganz sicher zu gehen, dass sie sich, verschlafen wie sie war, nicht täuschte.

„Bin gleich fertig“, tönte es aus dem Inneren des Raumes und keine Minute später trat Mehriye zu Stella auf den Flur. Einen Moment lang wusste die Blondine nicht, was sie sagen sollte. Es war noch nicht einmal sechs Uhr morgens und sie stand barfuss und nur mit einem kurzen, schwarzen Nachthemd bekleidet dem Neuzugang in der Wohngemeinschaft gegenüber, der nicht nur bereits komplett angezogen, sondern auch noch frisiert und ganz offensichtlich putzmunter war.

„Warum zum Geier bist du schon wach?“, brachte sie schliesslich hervor.

„Gewohnheit“, lies Mehriye gut gelaunt verlauten und ihre hellen, braunen Augen glühten förmlich. „Ich hab bis vor kurzem Zeitungen ausgetragen und hab mich noch nicht ganz daran gewöhnt, dass ich nicht mehr um vier Uhr aufstehen muss. Ich geh und mach Kaffee.“ Mit diesen Worten verschwand sie in der Küche.

Grummelnd zog sich Stella aufs stille Örtchen zurück. Wie konnte man um diese Uhrzeit bloss so gut drauf sein? Das war doch unnormal…

Als Stella ein paar Minuten später die Küche betrat, fand sie Mehriye recht ratlos vor einem der Schränke, ganz offensichtlich auf die Suche nach dem Kaffee, für den Sie eigentlich hatte sorgen wollen.

„Lass mal, Kleine, ich mach schon“, brummte Stella und förderte die Kaffeedose gezielt aus einem anderen Schrank zu Tage.
 

Mehriye kam sich ziemlich dämlich vor, als sie kurze Zeit später neben Stella auf dem Sofa sass, in der Hand eine Tasse heisse Milch, und die Sechs-Uhr-Nachrichten auf sich einprasseln liess. In einer noch völlig fremden Küche Kaffee machen zu wollen, war eine bescheuerte Idee gewesen. Wann würde sie endlich lernen, zu denken bevor sie etwas sagte oder tat?

Sie bemerkte erst, als Stella aufstand und erklärte, sie gehe sich jetzt fertig machen, dass die Nachrichten bereits zu Ende waren. Mehriye schaltete den Fernseher aus. Das Programm am frühen Morgen war nicht gerade das Intelligenteste, wie sie fand.

Kurz darauf hörte sie, wie sich eine der Zimmertüren öffnete und Cissnei betrat den Raum.

„Holla, du bist ja ein richtiger Frühaufsteher“, meinte die Rothaarige überrascht.

„Ich konnte nicht schlafen“, erklärte Mehriye verlegen.

„Aufgeregt, was?“

Mehriye nickte.

„Mach dir nicht zu viele Gedanken. Der erste Tag wird meistens sehr viel langweiliger als man‘s sich vorstellt. Wird ja nicht jeder derart ins kalte Wasser geschmissen wie die gute Elena…“

„Was is‘ mit mir?“, klang es verschlafen aus dem Flur.

„Nichts Wichtiges. Unser Neuling hat bloss Lampenfieber…“

In diesem Moment öffnete sich die Tür zum Bad und Mehriye hörte, wie Stella verkündete, sie sei fertig.

Während Cissnei im Bad verschwand und Stella sich neuen Kaffee holte, setzte sich Elena herzhaft gähnen zu Mehriye.

„Jetzt mal ernsthaft, was hab ich mit deinem Lampenfieber zu tun?“, wollte sie wissen.

Mehriye zuckte die Schultern. „Cissnei meinte nur, dass mein erster Tag vermutlich langweilig wird und dass nicht jeder so ins kalte Wasser geworfen wird, wie du… Was war denn an deinem ersten Tag?“

„Hm…“, machte Elena, „Naja, ich kam kurz vor dem Meteorfall zu den Turks. Wir hatten damals ‘ne ganze Menge zu tun und viel zu wenig Leute. Ich war also von Anfang an im Einsatz.“

„Klingt cool“, murmelte Mehriye und Elena lachte.

„War’s irgendwie auch… Aber ich glaube, ein bisschen Eingewöhnungszeit wäre trotzdem nicht schlecht gewesen. Dann gewöhnt man sich auch an die Zeiten, in denen nicht so viel los ist und erwartet nicht dauernd Action.“
 

Obwohl Elena und Cissnei sie etwas gebremst hatten, waren Mehriyes Aufregung und ihr Enthusiasmus wieder da, als die vier jungen Frauen das Gebäude um kurz nach sieben verliessen und Elena den grossen, dunklen Dienstwagen, der ihnen zur Verfügung stand, routiniert aus der Parklücke lenkte.

Da das ShinRa-Gebäude vor vier Jahren zerstört worden war, hatten sich die einzelnen Abteilungen nach anderen Räumlichkeiten für ihre Büros umsehen müssen und die wenigen Sektionen, die ihren normalen Betrieb wieder aufgenommen hatten, waren nun kreuz und quer in ganz Edge verteilt. Das Gebäude, das den Turks eine neue Unterkunft bot, erwies sich als äusserst unspektakulär: Ein eher langweiliger Neubau mit vier Stockwerken gegenüber einer kleinen Bäckerei, aus der es herrlich nach frischen Brötchen duftete. Auch hatte Mehriye am Vortag festgestellt, dass sie hier sogar oft aus dem Weg zur Akademie vorbei gekommen war.

Der Eingang des Gebäudes befand sich in einer schmalen Seitengasse. Schmal war auch der Gang, der sich hinter der Eingangstür befand. Er bot gerade einmal Platz für das Enge Treppenhaus zu Mehriyes Rechten. Mit einem leisen Klicken schloss sich die Tür hinter ihr.

„Die Eingangstür kannst du nur mit der entsprechenden Schlüsselkarte öffnen“, erklärte ihr Cissnei. „Soll ja nicht jeder hier rein spazieren können. Du solltest deine also immer dabei haben, sonst steht du plötzlich vor verschlossener Tür.“

Mit einem etwas beklommenen Gefühl folgte Mehriye ihren Kolleginnen in den zweiten Stock, in dem sich die grosszügige Kantine befand. In diesem Teil des Gebäudes war Mehriye noch nicht gewesen.

„Voila, unser Aufenthaltsraum“, kommentierte Elena grinsend, als sie das Ende der Treppe erreicht hatten und sich der grosszügige Raum vor ihnen erstreckte.

Als erstes fiel Mehriyes Blick auf den grossen, runden Esstisch, auf dem einige Flyer von diversen Take-Away-Restaurants und Lieferdiensten verstreut lagen. Obwohl die Kantine über eine kleine Küchenzeile verfügte, wurde hier wohl eher selten gekocht.

An der Wand standen zwei Automaten, welche die Turks mit Getränken, Süssigkeiten und sonstigen Snacks versorgt und auf der Küchenzeile stand eine grosse, vollautomatische Kaffeemaschine, die neben etwa fünf verschiedenen Kaffeevarianten auch heisse Milch, Schokolade und Zitronentee zubereiten konnte. Zweifellos das meistgebrauchte Utensil der Küche. Eine Sofaecke gegenüber der Küche gab dem ganzen Raum irgendwie eine gemütliche Atmosphäre
 

Auf der Treppe waren Schritte zu hören und einen Augenblick später trat ein glatzköpfiger, dunkelhäutiger Mann mit Sonnenbrille in Mehriyes Blickfeld.

„Guten Morgen, Rude“, begrüsste ihn Elena fröhlich.

„Guten Morgen“, liess auch Cissnei hören.

Stella, die gerade einen Schluck aus ihrer Kaffetasse nahm, hob bloss die Hand zum Gruss und Mehriye murmelte ein etwas unschlüssiges „Guten Morgen“.

„Morgen“, antwortete Rude einsilbig und musterte Mehriye einen Moment lang interessiert durch seine Sonnenbrille.

Mehriye musterte ihn ihrerseits einen Moment lang. Rude überragte sie um gut anderthalb Köpfe und war mindestens doppelt so breit wie sie. Dagegen kam sie sich richtig mickrig vor und das, obwohl sie durchaus nicht die kleinste der vier jungen Frauen war. Alles in allem schien Rude zu den Leuten zu gehören, denen Mehriye nicht allein im Dunklen hätte begegnen wollen und vor denen sie ihre Eltern sicher gewarnt hätten.

„Mehriye, das ist Rude“, liess Cissnei hören und legte der Angesprochenen die Hand auf die Schulter. „Rude, unser Neuling Mehriye.“

„Freut mich“, brummte Rude und streckte ihr die Hand entgegen.

„Ebenso.“ Das Mädchen ergriff noch immer etwas unsicher die ihr dargebotene Hand. Mann, hatte der einen Händedruck!

„Wenn sich jetzt alle kennen…“, erklang es hinter ihnen und Mehriyes Blick fiel auf die grossgewachsene, schlanke Gestalt ihres neuen Vorgesetzten. Der Wutaianer lehnte lässig gegen die Wand neben der Treppe, das lange schwarze Haar streng nach hinten gebunden, die Arme vor der Brust verschränkt. „…würd ich Mehriye und Stella gern in meinem Büro sehen“, beendete er den eben angefangenen Satz, wandte sich um und ging die Treppe wieder herunter.

Stella seufzte. Was war denn jetzt schon wieder? Hoffentlich war Tseng nicht auf die blöde Idee gekommen, die Kleine ausgerechnet ihr aufs Auge zu drücken. Schliesslich hatte sie allein genug zu tun und absolut keine Lust, sich auch noch mit einem Anfänger rumschlagen zu müssen…
 

Doch natürlich war es genau das, was ihr Vorgesetzter den beiden Turks eröffnete, als sie einige Minuten später in dem grosszügigen Büro, welches gleichzeitig als Konferenzraum diente, standen.

„Stella, du weisst, ich bin schon länger der Meinung, dass du einen neuen Partner brauchst“, wandte er sich zunächst an die Blondine, welche alles andere als begeistert aussah. „Und darum denke ich, dass es das Beste sein wird, wenn du die Verantwortung für Mehriye übernimmst.“

Mehriye sah unsicher zu Stella. Obwohl diese kein Wort dazu sagte, war überdeutlich, dass sie die Idee, Mehriyes Partnerin zu werden, nicht annähernd so gut fand wie Tseng. Sie sah aus, als hätte sie gerade in eine Zitrone gebissen und gab dem Mädchen neben ihr so das äusserst unangenehme Gefühl, nicht erwünscht zu sein.

Tsengs dunkle Augen fixierten nun Mehriye.

„Wenn du irgendwelche Probleme hast, ist Stella ab sofort deine erste Ansprechperson, verstanden?“

„J…ja, Sir“, brachte Mehriye, die erst durch Tsengs Worte von Stellas säuerlichem Gesichtsausdruck abgelenkt wurde, hastig hervor und meinte, ein aufmunterndes Lächeln über das Gesicht des Wutaianers hinter dem dunklen Schreibtisch huschen zu sehen.

„Gut, ihr könnt dann gehen“, meinte er dann und Mehriye wandte sich zur Tür. Stella hingegen blieb wie angewurzelt vor dem Schreibtisch stehen.

„Ich komm gleich nach…“, murmelte sie.

Mehriye nickte nur und öffnete die Tür. Wahrscheinlich würde die Blondine versuchen, Tseng davon zu überzeugen, die Verantwortung für Mehriye jemand anderem zu übertragen. Offenbar war sie zwar als neuer Teil der Wohngemeinschaft akzeptiert, als neue Partnerin für Stella jedoch, schien sie nicht gut genug zu sein…

„Tseng, ernsthaft, ich brauche keinen neuen Partner“, protestierte Stella tatsächlich, als Mehriye den Raum verlassen hatte. „Und erst recht kein halbes Hemd wie die Kleine. Ich… Ich bin doch kein Babysitter!“

Tseng unterdrückte ein Seufzen und rieb sich genervt über die Augen. Das war ja klar gewesen.

„Sie braucht auch keinen Babysitter, schliesslich ist sie kein Kind mehr. Was Mehriye braucht ist jemand, der mit ihr arbeitet, ihr zeigt, wie die Dinge hier laufen, damit sie Erfahrungen sammeln kann“, erklärte er, sich selbst zur Ruhe zwingend.

„Aber muss das unbedingt ich sein? Warum nicht Elena? Oder Cissnei? Mit denen versteht sie sich ohnehin besser“, setzte die Blondine erneut an.

„Natürlich, du lässt ja niemanden mehr an dich heran seit Jaro tot ist!“ Stella zuckte zusammen als Tsengs Faust geräuschvoll auf das Holz des massiven Schreibtischs traf.

„Jaro hat damit nichts zu tun…“, murmelte Stella sichtlich getroffen und ballte ihrerseits die Hand zu Faust.

„Doch, das hat er. Seit Jaro tot ist ziehst du dich zurück, du vermeidest Beziehungen jeder Art und sag mir nicht, ich hätte nicht recht! Ich erinnere mich sehr genau wie lange Cissnei, Elena und Talitha gebraucht haben, um dich zu dieser WG zu überreden. Und ich weiss, dass es Zeiten gab, in denen sie nicht so lange gebraucht hätten. Obendrein wird es nur noch schlimmer, seit Talitha auch noch umgekommen ist.“ Er sah sie eindringlich an, doch sie wich seinem Blick aus. Jedoch entging ihm nicht, dass Stella ihre Fingerknöchel anspannte, so dass diese blass hervortraten. Er hatte einen Punkt getroffen, das wusste er. „Wir alle haben Leute verloren, die uns etwas bedeutet haben, aber Himmel noch eins, du bist hier Teil eines Teams, Stella, und es wird Zeit, dass du dich endlich wieder so verhältst. Ob es dir gefällt oder nicht, Mehriye ist deine neue Partnerin und du wirst ein Auge auf sie haben.“
 

Als Stella sein Büro einen Moment später wortlos verliess, konnte er ihr ansehen, dass sie seine Entscheidung alles andere als guthiess, doch das war sein letztes Wort in dieser Angelegenheit. Seufzend liess er sich in seinen Sessel zurückfallen.

Stella war schon immer ein schwieriger Charakter gewesen. Stur und verschlossen. Nach dem Ableben ihres früheren Partners Jaro hatte fast nur noch Stellas beste Freundin und ebenfalls Partnerin Talitha einen Draht zu ihr gefunden und nun, beinahe ein Jahr nachdem auch sie verstorben war, war es schier unmöglich geworden, zu Stella durch zu dringen.

Letztlich sah Tseng in Mehriye als Stellas neuer Partnerin eine Chance. Vielleicht brachte die neue Bindung, der frische Wind, den Neulinge zwangsläufig mit sich brachten, Stella wieder von ihrem schon viel zu lange währenden Ego-Trip herunter und zurück zum Team.

Er liess erneut ein Seufzen hören. Es war nicht gerade leicht, was er dem Neuling da auferlegt hatte, zumal Mehriye ja gar nichts davon wusste, doch um ehrlich zu sein, war er mit seinem Latein am Ende. Er wusste sich einfach nicht mehr anders zu helfen.
 

Stella seufzte frustriert, als die Tür zu Tsengs Büro hinter ihr zufiel. Der hatte doch keine Ahnung, was in ihr vorging.

Ihr Blick fiel auf Mehriye, die wie bestellt und nicht abgeholt gegen die Wand neben der Bürotür gelehnt stand. Vorerst würde sie die Kleine wohl nicht loswerden, also beschloss sie, das Beste draus zu machen und sich zu aller erst einen Überblick über die Fähigkeiten des Neulings zu verschaffen.

„Na, nun komm schon…“, forderte sie Mehriye also noch immer leicht gereizt auf, ihr zu folgen.
 

Kurze Zeit später fand sich der Neuling mit einer Pistole und Ohrenschützern ausgestattet und einem flauen Gefühl im Magen auf dem Schiessstand im Erdgeschoss wieder. Warum mussten sie nur ausgerechnet mit der Schiesserei anfangen? Darin war sie an der Akademie schon immer eine der schlechtesten gewesen.

Zweifelnd sah sie zu der Zielscheibe. 10 Meter waren die minimale Entfernung und Mehriye hoffte inständig, dass sie nicht zu nervös war um überhaupt etwas zu treffen.

„Drei Schuss. Lass sehen wie viele Punkte du holst“, wies Stella sie an und setzte sich ihre Ohrenschützer auf.

Nervös holte Mehriye einmal tief Luft, hob die Waffe und feuerte die geforderten drei Schüsse ab. Einer davon hatte die Scheibe am rechten, oberen Rand getroffen, ausserhalb des zählenden Bereichs, die anderen beiden ergaben insgesamt neun Punkte.

Stella unterdrückte den Drang, sich die Hand gegen die Stirn zu schlagen. Was wurde den Akademie-Schülern heutzutage eigentlich beigebracht? Das Mädel stand schon kreuzfalsch da, dass sie die Scheibe überhaupt mit allen drei Schüssen getroffen hatte, grenzte an ein Wunder.

„Du wärst wohl besser zur WRO gegangen…“, meinte sie und erntete einen verdutzten Blick von Mehriye. „Die schiessen auch so miserabel.“

Ohne ein weiteres Wort liess Stella eine neue Scheibe ans andere Ende des Schiessstandes fahren. 50 Meter, das Maximum, welches sich aus den eher beschränkten Platzverhältnissen dieses Schiessstandes heraus holen liess.

„Sieh gut zu. So geht das“, sagte sie schliesslich.

Sie hielt die Augen geschlossen, hob ihren Revolver und schoss. Einmal. Zweimal. Dreimal.

Schon von dort aus, wo sie stand konnte Mehriye erkennen, dass Stella traf, doch erst ein Blick aus kürzerer Distanz zeigte, dass sie auch noch satte 29 Punkte erzielt hatte.

„Wahnsinn…“, entfuhr es Mehriye, was Stella mit einer gewissen Zufriedenheit registrierte.

„War auch schon mal besser…“, murmelte die Blondine, zuckte die Schultern und steckte die Waffe zurück in das Halfter. „Alles eine Frage der Übung.“

Mehriye zweifelte daran, dass das lediglich Übung war. Eine ordentliche Portion Talent war mit Sicherheit auch dabei.

„Zurück zu dir“, sagte Stella dann. „Du schiesst katastrophal. Auf diese geringe Entfernung und ein unbewegliches Ziel von dem du nicht einmal fürchten musst, dass es dich erschiesst oder sonstwie angreift, sollten mindestens 24 Punkte zu schaffen sein. Wenn du nicht ordentlich schiessen lernst, bist du verdammt schnell weg vom Fenster, das kann ich dir flüstern.“

Mehriyes Wangen glühten. Sie suchte nach Worten, wollte etwas erwidern, Stella sagen, dass sie sich mit einer Klinge in der Hand einfach wohler fühlte und besser damit klar kam, als mit einer Schusswaffe, doch sie brachte keinen Ton hervor. Das alles klang so nach einer Ausrede…
 

Letztlich blieb ihr nichts anderes übrig, als sich Stellas Anweisungen zu fügen und die nächsten zwei Stunden immer wieder auf die Zielscheibe zu schiessen, während Stella ihre Haltung ein ums andere Mal korrigierte und Mehriye kritisierte, wenn sie ihrer Meinung nach einen Fehler machte. Und das fing schon bei der Atmung an.
 

Froh über die ersehnte Frühstückspause liess Mehriye sich schliesslich auf einen Stuhl in der Kantine fallen.

„Sieht aus, als wäre dein Morgen nicht gerade entspannt“, hörte sie Cissneis Stimme hinter sich. „Hier“ sagte die Rothaarige und drückte ihr ein Brötchen in die Hand, bevor Mehriye überhaupt antworten konnte.

Erst jetzt fiel Mehriye die grosse und offenbar prall gefüllte Bäckertüte, die Cissnei in der Hand hielt. „Frühstückpause“ bedeutete hier offenbar etwas mehr als die für die meisten Firmen übliche Tasse Kaffee.

Mehriye murmelte ein Dankeschön, während Cissnei sich der Küchenzeile zuwandte.

„Hilf mir mal bitte kurz“, tönte es von der Rothaarigen, die damit beschäftigt war, diverse Brotaufstriche aus den Schränken zusammen zu suchen.

Kurze Zeit später erstreckte sich auf dem Esstisch ein regelrechtes Frühstücksbuffet: Drei verschiedene Sorten Marmelade, Honig, Erdnussbutter, Nuss-Nougat-Creme, eine Platte mit Aufschnitt, eine Packung Müsli, Milch und Orangensaft. Einige Hotels der näheren Umgebung wären wohl neidisch geworden.

„Ganz schön luxuriös“, meinte Mehriye.

Cissnei lachte. „Naja, wir sind oft wochenlang irgendwo in der Pampa unterwegs. Aber hier…“, sie liess ihre zimtbraunen Augen kurz durch den Raum streifen, „…hier sind wir zuhause. Also wieso sollten wir uns nicht ein bisschen Luxus gönnen um uns auch wie zuhause zu fühlen?“

„Ausserdem bezahlen wir das alles ohnehin aus eigener Tasche“, klang es von der Treppe. Mehriyes Blick traf auf einen ihr bisher unbekannten Kollegen, der aussah, als hätte er in seinem Anzug geschlafen: Die Krawatte fehlte völlig, Jackett und Hemd waren zerknitter und letzteres hing halb aus der Hose. Jedoch weitaus auffälliger, wenn auch nicht weniger unordentlich, war die Haarpracht, welche besagter Kollege zur Schau stellte.

Die, wie Mehriye zugeben musste, äusserst interessante Variation des allseits beliebten Vokuhilas erstrahlte in einem intensiven Rotton, der eine Verkehrsampel blass aussehen liess. Insgesamt wirkte der junge Mann, der eben die Kantine der Turks betreten hatte, alles andere als zuverlässig.

Bevor Mehriye etwas sagen konnte, hatte er den Raum bereits durchquert, stand nun direkt vor ihr.

„Das ist also unser neues Küken“, meinte ihr Gegenüber und musterte sie abschätzig. „Mary, nicht wahr? Ich bin Reno.“

Cissnei schmunzelte verhalten. Das war typisch für Reno und sein eher schlechtes Namensgedächtnis. Solange es einfache Namen waren, wie Elena oder Stella sie trugen, hatte er keine grösseren Probleme, sie sich zu merken. Bei etwas ausgefalleneren, wie ihrem eigenen und Mehriyes, dauerte es für gewöhnlich immer erst ein paar Tage, bis sie sich korrekt in seinem Gedächtnis festgesetzt hatten. Meistens fiel das aber ohnehin nicht auf, da Reno dazu neigte, die Leute in seiner Umgebung mit mehr oder minder netten Spitznamen zu bedenken.

„Ähm… ich heiss‘ Mehriye“, liess die Schwarzhaarige verlauten und streckte zögerlich die Hand aus. „Freut mich trotzdem.“

„Ah, sorry! Ich wusste, es war was mit ‘M‘!“ Reno machte ein gespielt betroffenes Gesicht, als er Mehriyes Hand ergriff. „Naja, jetzt weiss ich’s ja…“

Cissnei bezweifelte im Stillen, dass das allzu lange anhalten würde.

„Kann mal einer dem Doc Bescheid sagen, dass Pause ist?“, lies Stella, die bisher schweigend in einem Modemagazin geblättert hatte, nun verlauten.

„Doc?“, wiederholte Mehriye verwirrt. Wer war das nun wieder?

„Dr. Nicolai Haleman“, erklärte Cissnei.

„Unser Haus-Hof-Quacksalber“, fügte Reno mit einem Grinsen hinzu.

„Und wer geht ihn jetzt holen?“, wollte Stella wissen.

„Warum gehst du nicht selbst?“, gab Reno zurück, obwohl er genau wusste, dass der Arzt sowie sämtliche seiner Berufskollegen Stella schlichtweg zu suspekt war, um sich länger als unbedingt notwendig mit ihm zu beschäftigen.

„Keine zehn Chocobos bringen mich freiwillig in diese Giftküche, die er sein Labor schimpft!“, erklärte die Blondine gelassen und blätterte eine Seite in ihrem Magazin um.

Cissnei seufzte. „Ich geh schon…“
 

Der Doc erinnerte Mehriye spontan an ihre jüngeren Brüder. Sein hellbraunes Haar erschien wirr wie bei einem Teenager, der sich weigerte sich zu kämmen, weil er glaubte, besonders cool und verwegen auszusehen, wenn seine Haarpracht in nahezu alle Himmelsrichtungen abstand. Das Dunkelrote T-Shirt auf welchem die Aufschrift
 

Chaos! Panik! Desaster!

Meine Arbeit hier ist getan.“
 

prangte, hätte Ferian, den zweitjüngsten der Familie, sicherlich in Begeisterung versetzt. Obwohl es im Vergleich zu den eher steifen, schwarzen Anzügen, die den Turks als Uniform dienten, eigentlich ein ganz angenehmer Farbklecks war, empfand es Mehriye hingegen als schrecklich albern und unreif. Alles andere als unreif oder albern hingegen wirkten die beiden wachen, blaugrünen Augen, die auf ihre eigenen, hellbraunen, trafen. Vielleicht waren sie es, die Mehriye dazu veranlassten, Dr. Haleman auf Anhieb sympathisch zu finden. Die Augen sind der Spiegel der Seele, hiess es doch bekanntlich.

Doch Sympathie hin oder her, eines machte Mehriye stutzig: Dr. Haleman war äusserst jung, eigentlich fast zu jung für jemanden, der einen medizinischen Abschluss haben sollte. Mehriye glaubte, sich zu erinnern, dass so ein Medizinstudium verdammt lange dauerte und hinzu kam, dass der Meteorfall und das unweigerlich darauf folgende Chaos, die Ausbildung vieler Schüler, Lehrlinge und Studenten enorm verzögert oder ganz beendet hatte. Auch Mehriyes eigene Schulzeit war davon betroffen gewesen.

Das Geostigma und die ganze Sache mit Deepground in den Vergangenen drei Jahren hatten natürlich auch nicht zur Verbesserung der Situation beigetragen.

Dennoch schätzte Mehriye den Doktor höchstens ein, zwei Jahre älter als sich selbst, mitte Zwanzig vielleicht. Entweder war Nicolai Haleman also eins von diesen Wunderkindern, von denen man hin und wieder hörte oder las und die mit 12 bereits die Uni besuchten, oder er war ein gutes Stück älter, als er aussah.

Nachdenklich schmierte Mehriye sich erst eine Schicht Erdnussbutter auf ihr Brötchen um es dann mit einer zweiten Schicht aus Himbeermarmelade zu versehen. Was Stella wohl für Probleme mit dem Doc hatte? Eigentlich schien er ein ganz netter Typ zu sein, obwohl er irgendwie deplatziert wirkte.

„Übrigens“, wandte sich besagte Blondine gerade betont kühl an den Doc. „Ich hoffe, du hast nach der Pause Zeit. Ich brauch dich im Simulator.“

Mehriye atmete unwillkürlich auf. Scheinbar hatte ihre Partnerin nicht vor, den Rest des Morgens auch noch auf dem Schiesstand zu verbringen und dafür war der Neuling dankbar. Der Intensivkurs zuvor war wirklich genug für einen Tag. Und Simulator klang doch ganz gut. Sicher würde sie da zeigen können, was sie wirklich konnte. Vielleicht konnte sie den ersten Eindruck ihrer Fähigkeiten, der ja alles andere als prickelnd gewesen war, ja noch etwas zum positiven korrigieren.
 

Nach der Pause folgte Mehriye Stella und Dr. Haleman zurück ins Erdgeschoss, wo sich der Kampfsimulator befand. Während Stella schweigend voranschritt, nutzte Dr. Haleman die Gelegenheit, den Smalltalk, den er während der Pause mit Mehriye begonnen hatte, fortzuführen.

Es war deutlich zu sehen, dass der Neuling nervös war. Sie umklammerte ihre Waffe, einen etwa meterlangen Stab, der zwei leicht gekrümmte Klingen miteinander verband, so fest, dass Dr. Haleman beinahe fürchtete, dass dunkle, glänzend lackierte Holz würde dem Druck nachgeben und einfach zerbrechen. Natürlich war ihm, irgendwo in seinem Hinterkopf, klar, dass Mehriye nicht die Kraft dazu hatte, es mit blossen Händen zu beschädigen. Ganz egal, wie nervös sie sein mochte.

Der Arzt hoffte inständig, dass das Mädchen mit diesem doch recht tödlich aussehenden Ding auch umzugehen wusste und nicht etwa aufgeregt war, weil genau das nicht der Fall war. So ein Ausflug in den Kampfsimulator konnte unschöne Verletzungen mit sich bringen und auf unnötige Arbeit, wie etwas Verarzten von unvorsichtigen, unerfahrenen oder schlicht unfähigen Neulingen, hatte der Doc heute absolut keinen Bock.
 

Zunächst betraten sie einen kleinen Raum, der fast vollständig von einem wuchtigen Kontrollterminal eingenommen wurde. Von hier aus, so erklärte Stella knapp, wurde der Simulator gesteuert. Der kurzen Einführung, wie die Kontrolleinheit funktionierte, lauschte Mehriye nur mit einem halben Ohr. Die Akademie hatte ebenfalls über solche eine Apparatur verfügt und auch wenn dieses Modell etwas neuer zu sein schien als das der Akademie, war die Steuerung im grossen Ganzen die Selbe.

Auch, dass ein Arzt das Training im Simulator überwachen musste, war nichts Neues für Mehriye. Diese Simulationen waren verdammt realistisch und konnten mitunter tödlich verlaufen, wenn man nicht aufpasste. Mehriye hielt das insgeheim für kontraproduktiv. Was ergab es denn bitte für einen Sinn, auf eine Art und Weise zu trainieren, die einen im schlimmsten Fall umbrachte? Schliesslich trainierte man doch um genau in so einem Fall nicht zu sterben.

Aber sie hatte diesbezüglich ja nichts zu sagen.

„Also dann. Alles klar?“, fragte Stella und riss Mehriye aus ihrem Gedankengang.

Sie nickte. „Alles klar.“

„Gut. Hier.“ Ihre Partnerin hielt ihr eine Art Armband entgegen und erklärte, dass dies zu kontrolle diverser Vitalfunktionen diene und beim Training getragen werden müsse.

Soweit nichts Neues, auch das kannte Mehriye bereits aus Akademiezeiten. Mit einem leisen Seufzen schnallte sie sich das Kontrollarmband ums rechte Handgelenk.

Ob Stella sie wohl für dämlich hielt oder sowas? Es war doch wirklich unnötig, jede Kleinigkeit haarklein zu erklären. Oder wollte sie nach dem etwas unglücklichen Auftakt auf dem Schiessstand bloss auf Nummer sicher gehen?

„Wir fangen einfach an. Aber glaub bloss nicht, dass das ein Spaziergang wird“, meinte Stella und machte sich daran, Gegner und Gelände auszuwählen, während Mehriye den Simulator durch die schmale Tür neben der Steuereinheit betrat. Unwillkürlich fragte sie sich, ob Rude mit seinen enorm breiten Schultern wohl hier hindurch passte.

Kaum dass Mehriye den Raum betreten und die Tür hinter sich geschlossen hatte, verschwand dieser auch schon einem wahren Regen aus Pixeln, welche das trist-technische Interieur aus Glas, Stahl und Kabeln innerhalb weniger Augenblicke durch eine Landschaft ersetzten.

Wenn Mehriye nicht alles trügte, befand sie sich nun in einem täuschend echten Abbild der felsigen Gegend zwischen Edge und Kalm. Zu ihrer linken und rechten ragten rötlich-braune Felsplatten und –Säulen gen Himmel und tauchten das Gebiet in dem sie sich gerade aufhielt in kräftige, teils bizarre Schatten.

Ein tiefes, bedrohliches Knurren liess das Mädchen herumfahren. Ihre Gegner hatten ja nicht lange auf sich warten lassen.
 

Einen Moment lang stand Mehriye einfach nur da, als wäre sie vor Angst erstarrt, den hölzernen Stab, welcher die beiden Klingen ihrer Waffe verband, fest umklammert. Doch es war nicht Angst, die das Mädchen bewegungslos verharren liess, sondern pures Kalkül.

Hektisch auf die vier Kalm-Wölfe, welche ihr vermeintliches Opfer knurrend einkreisten, einzuprügeln, brachte rein gar nichts. Sicher, Kalm-Wölfe waren vergleichsweise schwach, aber in der Gruppe dennoch nicht zu unterschätzen.

In ihrer Zeit an der Akademie hatte sie jedoch gelernt, dass eine gute Taktik der halbe Sieg war. Und eben diese Taktik wurde ihr gerade von der blassgelb-glühenden Analyse-Materia, welche sich in einem der vier Materia-Schächte ihrer Zwillingsklinge befand, geliefert.

Mehriyes helle, braune Augen verfolgten die Bewegungen des Wolfes zu ihrer Rechten, offenbar das Alpha-Tier, genau. Diesen Biestern würde sie den Gar ausmachen, soviel war sicher. Immerhin wusste sie nun genau, wo sie ihre Gegner treffen musste, um diesen Kampf schnell hinter sich zu bringen.

Dann gingen die Tiere zum Angriff über und Mehriye tat es ihnen gleich: Blitzschnell trat sie einen Schritt vorwärts und zog ihre Zwillingsklinge nach oben. Knapp verfehlte sie ihr eigentliches Ziel, die Kehle des Tiers, doch schon beim nächsten Schritt und dem damit einhergehenden Schlag traf sie den Wolf im Nacken. Ein grässliches Knacken verriet ihr, dass sie ihrem Gegner das Genick gebrochen hatte. Im Stillen dankte sie der Natur für die gute, alte Hebelwirkung, mit der sich ihre eher geringe Körperkraft doch noch ein wenig kompensieren liess. Doch noch war nichts entschieden.

Mehriye vollführte eine Drehung um 180 Grad, durchtrennte dabei die Kehle eines weiteren Wolfes, welcher winselnd zu Boden ging. Ein schneller senkrechter Schlag und das durch Mark und Bein gehende Geräusch eines weiteren, brechenden Genicks und auch der dritte Wolf war Geschichte. So langsam fing diese Sache an, Spass zu machen.

Der letzte Wolf, das Alphatier, welches Mehriye zuvor noch so genau im Auge gehabt hatte, wich knurrend und mit gesträubtem Fell einige Schritte zurück. Der Blick des Mädchens traf auf die leuchtend gelben Augen der Bestie und Mehriye wusste, dass der Wolf bis zu seinem bitteren Ende kämpfen würde. Flucht lag nicht in der Natur der Kalm-Wölfe.

Das mächtige Tier stiess ein Heulen aus und sprang auf Mehriye zu. Nur einen Augenblick bevor er sie erreicht hatte, duckte sich die Turk unter dem springenden Tier weg.

Ein kurzer Griff an die Halskette mit der Feuermateria um sie zu aktivieren und eine schnelle Handbewegung in Richtung ihres Gegners, der in diesem Moment noch immer über die Hinweg sprang, genügten, um auch den letzten Kalm-Wolf zu beseitigen und ihn in Flammen aufgehen zu lassen.

Zufrieden klopfte sich Mehriye den virtuellen Staub von der Uniform, während die Landschaft wieder in ihre pixeligen Einzelteile zerfiel.
 

„Nicht schlecht für ein halbes Hemd“, gab Stella, welche das Geschehen auf einem Bildschirm im Kontrollraum verfolgt hatte, zu.

„‘Halbes Hemd‘? Na du machst mir Spass“, klang es aus einer anderen Ecke von Dr. Haleman. „So locker, wie sie das gemeistert hat, ist sie sicher ‘ne ganze Menge, aber kein halbes Hemd.“

Stella zuckte mit den Schultern. „Irgendwas muss sie ja können, sonst wär sie ja nicht hier.“

Mehriye betrat den Kontrollraum wieder. „Ich dachte, das hier wird kein Spatziergang?!“, meinte sie mit einem übermütigen, breiten Grinsen, das von vollster Zufriedenheit zeugte.

„Sieht aus, als wär’s doch einer geworden“, liess Dr. Haleman mit einem kurzen Seitenblick zu Stella hören. Sein Grinsen war mindestens ebenso breit wie Mehriyes. Immerhin hatte er sich schon darauf eingestellt, den Neuling gegebenenfalls verarzten zu müssen. Dass Mehriye den Ausflug in den Simulator bisher unbeschadet bestanden hatte, war eine angenehme Überraschung.

Stella erwiderte nichts. Sicher, sie war nicht glücklich mit der Situation, aber das hatte dennoch nichts damit zu tun, dass sie sich nicht so einfach von einem Neuling beeindrucken liess.

Zugegeben, die Turks hatten schon bessere Zeiten gesehen, aber allein deswegen wurde noch lange nicht jeder bei ihnen aufgenommen, bloss weil er bereit war, den Job zu machen. Wenigstens ein Bisschen was musste man schon können und Stella hätte ernsthaft an Tsengs Urteilsvermögen gezweifelt, hätte die Kleine beim Nahkampftraining auch so eine miserable Vorstellung abgeliefert wie auf dem Schiessstand.

„Ach, das war ja auch einfach…“, meinte Mehriye betont lässig.

„Dann sollten wir vielleicht einen Gang höher schalten, wenn dich das so unterfordert“, erwiderte Stella leicht gereizt. Zugegeben, die Kleine war nicht ganz so miserabel wie zunächst gedacht, aber deswegen herum zu prahlen und einen auf cool zu machen war alles andere als angemessen. Stella zwang sich innerlich zur Ruhe. Sie wusste, dass sich genügend Zeit hatte, um ihrer neuen Partnerin das selbstgefällige Grinsen von den Backen zu putzen.
 

Doch Mehriye liess sich die gute Laune nicht verderben, obwohl Stella sie bis zum Mittag doch ganz schön ins Schwitzen gebracht hatte. Kampfsimulationen waren Mehriyes Meinung nach schon in der Schule der beste Teil des Tages gewesen, einerseits weil es das einzige war, was sie so richtig gut konnte, andererseits, weil es ihr schlicht und ergreifend Spass machte. Entsprechend wenig macht es ihr aus, zwei Stunden im Kampfsimulator zu verbringen.

„Hey Merita“, stiess Reno Mehriye an. „Gib mal die Chili-Sauce rüber.“

„Sie heisst Mehriye, Reno! Nicht Merita“, liess Elena verlauten, bevor die Angesprochene etwas dazu sagen konnte.

Mehriye liess die Flasche mit der Chili-Sauce also Wortlos zu Reno wandern, während dieser eine halbherzige Entschuldigung murmelte. Warum hatten ihre Eltern sie nicht einfach Kate, Elisabeth oder Mary genannt? Das hätte einiges vereinfacht.

„Ehrlich, Reno…“ schaltete sich nun Cissnei in das Gespräch ein. „Der Name ist doch wirklich nicht so kompliziert.“

„Ja“, pflichtete Elena ihrer Kollegin bei. „Stell dir mal vor sie würde…“, sie überlegte einen Moment lang, „…Mehriye Anjali Seraphina Sherry-Lynn Calantha heissen und die müsstest dir die ganzen Namen auch noch in der richtigen Reihenfolge merken!“

„Um Gottes Willen!“, tönte es zeitgleich von Reno und Mehriye.

„Das könnte ich mit ja noch nicht mal selber merken“, stöhnte der Neuling, was Reno, Elena, Cissnei und den Doc dazu veranlasste, laut los zu lachen. Auch Tseng, Rude und Stella konnten sich ein Grinsen und den einen oder anderen zuckenden Mundwinkel nicht verkneifen, obwohl Stella es durchaus zu versuchen schien.

„Da bist du ja mit Mehriye ohne irgendwelchen Zweit- und Drittnamen noch ganz gut bedient“, stellte Cissnei fest, nach dem sich alle wieder etwas beruhig hatten.

Mehriye nickte. „Ich glaube, wenn ich Mehriye Anjali…“ Sie stutzte und blickte Elena fragend an. „Wie war das nochmal?“ Elena schüttelte den Kopf. Sie hatte selbst schon keine Ahnung mehr, wie die Namensreihenfolge weiterging. „Also jedenfalls, wenn ich so heissen würde, würd ich mir lachend ein Magazin Kugeln in den Kopf ballern“, meinte Mehriye ernst. Ob es wohl tatsächlich Eltern gab, die ihrem Kind so etwas antaten?

„Reno wir heute Nachmittags ja genügend Gelegenheit haben, sich deinen Namen zu merken“, meldete sich Tseng nun vom anderen Ende des Tisches zu Wort.

Der Rotschopf wollte gerade zur Frage, wie Tseng denn darauf komme, ansetzen, als er von Rude unterbrochen wurde, welcher ihm wortlos einen Zettel vor die Nase hielt.

Es handelte sich dabei um die Tagesplanung, die Rude seinem Partner aufzuschreiben pflegte. Nicht, dass Reno ein derart grottenschlechtes Gedächnis gehabt hätte, viel mehr waren ihm die Tage der Büroarbeit einfach zuwider und recht egal. Genau wie Rudes Zettel, weshalb es letztlich auch an besagtem Glatzkopf hängen blieb, das Schriftstück mit sich herum zu tragen. Wie die anderen auch fühlte Reno sich im Büro eher wie zuhause und benahm sich zuweilen auch so. Er gehörte nach draussen, falls irgendwie möglich, in einen Hubschrauber und sein Partner wusste das.

Ebenfalls neugierig spähte Mehriye über Renos Schulter auf den Zettel:
 

13.00- 17.00 Uhr: Flugstunde mit Mehriye (die Neue)
 

„Flugstunde?“, wiederholte sie das Gelesene neugierig und spähte verstohlen auf Rudes geradezu riesigen Pranken. Auch wenn sie dem Koloss keine solch kleinen, schwungvollen und schlanken Buchstaben zugetraut hätte, war sie sicher, dass es Rudes Handschrift war, denn Reno traute sie dieses Schriftbild noch viel weniger zu. Doch ganz egal, wessen Handschrift es nun wirklich war, der Inhalt des Geschrieben klang durchaus interessant. Mehriye wusste zwar, dass die Turks über mehrere grosse Hubschrauber verfügten, das Fliegen derselben war an der Akademie nie ein Thema gewesen.

Reno packte Mehriye an der Schulter, bevor sie den Gedanken ordentlich zu Ende führen konnte und zog das erschrockene Mädchen enthusiastisch an sich.

„Ich bin der geborene Pilot, Baby!“, erklärte er nicht gerade bescheiden. „Wenn du nicht völlig talentfrei bist, bring ich dir das Fliegen in Null-Komma-gar-Nix bei!“

„Meinetwegen, aber nenn mich nicht Baby ja?“, meinte Mehriye mit einem mal weit weniger enthusiastisch. Sie hasste es, Baby genannt zu werden. Einerseits war sie eine erwachsene, junge Frau und kein Kleinkind, andererseits hatte sie immer ein Bisschen den Eindruck, ihr Gegenüber würde sie flachlegen wollen, wenn sie Baby genannt wurde.

„Na gut…“, erwiderte der Rotschopf gelassen obwohl ihm der plötzliche, fast aggressive Unterton in Mehriyes Stimme natürlich aufgefallen war. Hoffentlich war die neue nicht immer so empfindlich. „Dann nenn ich dich halt…“ Sein Blick fiel auf Mehriyes Halskette mit dem Sonnenamulett. „..Sunny. Is das besser?“

„Sunny? Klingt eher nach ‘nem Namen für einen Chocobo…“, liess Stella verlauten, bevor Mehriye selbst antworten konnte.

„Also ich find Sunny gut“, erklärte Mehriye mit breitem Grinsen. „Mehriye bedeutet nämlich Sonnenmädchen. Naja, zumindest hat meine Mutter das immer behauptet. Ich weiss nicht, ob’s stimmt. Und besser als Baby ist es allemal…“ Alles war besser als Baby

„Siehst du? Ihr gefällt’s. Und ich könnte wetten, irgendwo gibt’s auch einen Chocobo namens Stella“, gab Reno zurück und erntete einen bösen Blick von Stella.
 

„Ist das ein Combat Falcon?“, fragte Mehriye neugierig, als sie den Raum, indem der Flugsimulator installiert war, gemeinsam mit Reno betrat. Das Zimmer wirkte viel zu klein und beengend für das riesig erscheinende Gerät.

„Jap. Ein Shin-Ra Combat Falcon TH-5 um genau zu sein. Und zwar original-getreu!“, meinte Reno sichtlich stolz und stellte sich vor das schwarze Ungetüm. „Kennst du dich etwas mit Hubschraubern aus?“

Mehriye schüttelte den Kopf. „War in der Akademie kaum Thema. Wir haben mal einen Blick auf verschiedene Kampfhubschrauber-Typen geworfen, aber das war’s dann auch schon. Is‘ auch schon Ewigkeiten her.“ Wenn sie sich richtig erinnerte, war das sogar noch vor dem Meteorfall gewesen. Und ausser dem Combat Falcon, der mit seiner massiven, kastenartigen Form und der typischen matt-schwarzen Farbe besonders einprägsam war, hätte sie wohl auch kein anderes Modell mehr benennen könne.

„Gut, dass sehen wir uns das Ding mal etwas genauer an, damit du auch weisst, was du da fliegst. Der Falcon ist etwa zwanzig Meter lang, fünf hoch und wiegt an die fünf Tonnen“, sprudelte es geradezu aus Reno heraus. Hier war er in seinem Element. „Er hat eine Höchstgeschwindigkeit von 350 Sachen, aber so schnell fliegst du eh nur im Notfall. Normalerweise reichen 250 km/h völlig aus. Und jetzt wird’s richtig lustig. Sehen wir uns die Bewaffnung an!“ Er klopfte mit der Hand gegen ein Teil über der Tür zum Frachtraum, welches an die Flügel eines Flugzeuges erinnerte, jedoch viel kürzer war. Darunter hingen einige Raketenattrappen. „70-mm-Luft-Boden-Raketen, die offizielle Primärbewaffnung des Falcons. Damit das Ziel zu treffen ist trotz Lasersensor und Zielhilfe nicht ganz einfach, aber wenn man den Bogen erst mal raus hat, kann man damit sogar aus nem Kilometer Entfernung noch einigermassen Zielsicher schiessen. Die Sekundärbewaffnung macht allerdings viel mehr Spass.“ Er ging um den Hubschrauber herum und deutete Mehriye, ihm zu folgen. „Hier“, erklärte er und deutete auf ein Maschienengewehr, welches prominent an der Nase des Combat Falcons thronte. „Eine SMG30, 30-mm-Kaliber. Das Ding haut an die 500 Kugeln pro Minute raus und hat ‘ne Reichweite von nem Kilometer, genau wie die Raketen. Damit macht das Ballern erst so richtig Spass! Unsere Falcons sind zusätzlich auch noch mit ner SGT25 ausgerüstet, falls die 30er mal nicht mehr ausreicht. Mit dem Teil kann man nämlich nur 3 Minuten am Stück schiessen, danach is‘ das Magazin leer wie ’n Puff am Montagmorgen. Die 25er schafft’s doch auf 20 Minuten, hat dafür aber ‘ne geringere Reichweite und is nicht annähernd so schnell wie die 30er. Die befindet sich im Frachtraum, aber da können wir hier nicht reinsehen. Alles voll mit Simulator-Technik-Kram.“

„Aha…“, brachte Mehriye hervor. Etwas Intelligenteres fiel ihr in Anbetracht der enormen Geschwindigkeit, in der Reno ihr all diese Informationen buchstäblich an den Kopf warf, einfach nicht in den Sinn. Dafür beschlich sie das dumpfe Gefühl, dass sie hätte mitschreiben, oder, besser noch, ein Tonband hätte mitlaufen lassen sollen. Bis morgen hätte sie das alles ohnehin wieder vergessen.

„Du musst dir das jetzt noch nich‘ alles merken. Bis du richtig fliegen darfst, weisst du das meiste eh“, meinte Reno als hätte er ihre Gedanken gelesen. Vermutlich standen ihr Selbige regelrecht ins Gesicht geschrieben. „Also dann. Lass uns loslegen“, fuhr er fort und hielt die Tür zum Cockpit auf.

„Wie lange dauert es, bis ich allein fliegen darf?“, wollte Mehriye wissen, als sie einstieg.

„Alleine solltest du eigentlich nur fliegen, wenn’s gar nicht anders geht. Eigentlich darf man’s überhaupt nicht, laut Vorschriften muss immer ein Co-Pilot dabei sein. Die Absturzgefahr is allein viel höher als zu zweit. Wie lange es dauert, bis ich dich in einen echten Heli lasse, kommt ganz auf dich an. Wenn du schnell lernst, früher, wenn nicht, später und wenn du talentfrei bist, gar nicht.“, klärte Reno sie auf und reichte ihr ein Paar Kopfhörer. „Die wirst du brauchen, wenn wir die Rotoren anwerfen. Sonst wird’s etwas schwierig mit der Kommunikation.“ Er wartete einen Moment bis Mehriye die Kopfhörer aufgesetzt hatte. „Ok, dann kannst du als Erstes die ganzen Instrumente auf starten.“

Reno zeigte auf eine ganze Reihe von Kippschaltern, die sich an dem Kontrollpanel über ihnen befanden. Ein Instrument nach dem anderen ging blinkend an, als Mehriye die Schalter betätigte.

„Gut, als nächstes machst du die Rotoren an. Die zwei hier.“ Er deutete auf zwei weitere der schier unzähligen Schalter.

Langsam und mit einem dumpfen Geräusch setzten sich die Rotoren in Bewegung.

„Rechts neben dir ist ein Hebel, wie die Handbremse beim Auto. Das ist der Pitch. Zieh den mal ganz nach oben“, klang Renos leicht verzerrte Stimme aus dem Kopfhörer.

Mehriye tat, wie ihr geheissen. Es ging erstaunlich leicht, sie hatte erwartet, mehr Kraft dafür zu brauchen.

„Mit dem Pitch stellst du den Winkel der Rotorblätter steiler. Je steiler die stehen, desto mehr Auftrieb hast du. Den vorderen Teil des Pitch kannst du drehen, das ist quasi dein Gaspedal.“ Er betätigte einen Schalter an der Simulator-Steuerung und dort, wo sich bei einem echten Helikopter die Fenster befanden, sprangen nun grossflächige Bildschirme an, die eine detailgetreue Graslandschaft zeigten. Mehriye konnte sogar sehen, wie sich die Grashalme im Wind, den die Rotoren erzeugten, bewegten.

„Ready for Take-Off“, vermeldete Reno. „Gib etwas Schub.“

Mehriye drehte vorsichtig an dem Hebel.

„Nicht so schüchtern, Sunny, so sind wir ja in zehn Minuten noch am Boden.“

Mehriye drehte stärker und der Falcon erhob sich mit einem sehr realen Ruck in die virtuellen Lüfte.

„Das war jetzt fast etwas zu mutig“, meinte Reno und rieb sich den von dem Ruck schmerzenden Nacken. „Nimm den Schub ein Bisschen zurück. Aber diesmal etwas zärtlicher, ja?“

Mehriye nickte und drehte etwas behutsamer in die Gegenrichtung.

„Na also, geht doch“, lies Reno zufrieden hören. „Das hier ist der Höhenmesser.“ Er wies auf ein kleines, rundes Instrument, einem Tachometer nicht unähnlich. Darunter befand sich ein schmales, digitales Display, welches eine langsam, aber beständig grösser werdende Zahl anzeigte. „Es reicht, wenn du dich auf die Digitalanzeige konzentrierst, die Analoge ist eher sowas wie ‘ne Absicherung, falls die Digitale mal ausfällt. Du kannst erst mal laufen lassen, bis wir bei 200 Fuss sind. Dann stellst du die Rotorblätter wieder waagerecht und wir sehen weiter.“

Nun, da sie sich in der Luft befanden, erschien es Mehriye schwieriger, den Pitch wieder herunter zu drücken und die Rotorblätter wieder in die geforderte, waagerechte Stellung zu bringen.

„Gut, und weil Schwebeflug nicht wirklich interessant ist, geht’s jetzt mit dem Bewegen dieses Dings weiter“, erklärte Reno gut gelaunt. „Mit den Pedalen kannst du den Winkel des Heckrotors ändern, dann dreht sich die ganze Sache.“ Er sah sie auffordernd an.
 

Während der Falcon sich langsam auf der Stelle drehte, erschien am entfernten Horizont eine Bergkette.

„Gut, damit sind wir mit dem einfachen Teil durch. Jetzt kommen wir zum Wichtigsten“, erklärte Reno. „Hier hast du ‘nen Kompass, ‘ne Karte und mit diesem Knopf kannst du die Karte auf Radar umstellen. Wir fliegen Richtung Nord-Nord-Ost, über die Bergkette da. Drück den Steuerknüppel etwas von dir weg und schon geht’s vorwärts.“

Mehriye umfasste den Steuerknüppel etwas fester, doch bevor sie ihn zu sich ziehen konnte, löste sich eine der Raketen, mit denen der Falcon offensichtlich auch virtuell ausgestattet war, und schlug, einen Schweif aus dichtem, weissen, Qualm hinter sich herziehend, in den Boden ein, wo sie einen kleinen Krater hinterliess.

„Finger weg vom Abzug, Sunny“, meinte Reno trocken. „Ganz so weit sind wir noch nicht…“

„Das war keine Absicht…“ antwortete Mehriye kleinlaut und etwas erschrocken. „Entschuldigung.“

„Kein Problem. Hast ja nur ‘n paar Pixel verschoben… Aber pass diesmal etwas besser auf, ja?“

Sie nickte und drückte leicht gegen den Steuerknüppel.
 

Die Grundbegriffe des Helikopter-Fliegens mochten einfach klingen, doch in der Luft zu sein und auf alles gleichzeitig achten zu müssen, war sehr viel schwieriger als Mehriye gedacht hatte. Glücklicherweise war die Bergkette, auf die der Falcon zusteuerte, weiter weg als es zunächst den Anschein gehabt hatte, so dass sich Mehriye die Gelegenheit bot, sich daran zu gewöhnen.

Dennoch überquerte sie den schroffen Bergkamm nur sehr knapp und mit einem dumpfen Rumpeln. Instinktiv drehte sie den Kopf zurück um zu sehen, was den Laut und die damit einhergehende Erschütterung verursacht hatte. Natürlich wurde ihr sofort klar, wie dämlich das eigentlich war, schliesslich besass der Falcon im Gegensatz zu einem Auto keine Heckscheibe. Und selbst wenn, viel zu sehen hätte es ohnehin nicht gegeben, höchstens den Frachtraum.

Sie stiess einen kurzen Seufzer aus.

„Pass auf!“, riss Reno sie aus ihrem Gedankengang.

Ruckartig wandte sie sich wieder dem Bildschirm zu und sah gerade noch, wie eine hohe, steile Felswand verdammt nahe vor ihr aus einem unschuldig erscheinenden, tiefhängenden Wolkenfetzen auftauchte.

Zum Ausweichen war es längst zu spät und so machte der Combat Falcon unangenehm Bekanntschaft mit der Felswand, so dass Reno und Mehriye heftig durchgeschüttelt wurden. Und als wäre das nicht schon genug, breitete sich einen Moment später auch noch eine formschön animierte Explosion auf dem Bildschirm aus. Abgestürzt und explodiert. Na klasse, schlimmer ging’s ja kaum noch…

„Gratuliere. Du hast den Heli gegen ‘nen Berg gesetzt und sogar das verstärkte Cockpit kleingekriegt. Respekt, das schafft nicht jeder. Das Teil ist Schrott und wir beiden Hübschen sind tot. Game over, Sunny“, meinte Reno scherzhaft, als er den Schaden, den der Absturz an einem echten Hubschrauber hinterlassen hätte, auf einem kleinen Display, welches zur Steuereinheit des Simulators gehörte prüfte. Dann liess er sich zurück in den Sitz des Helikopter-Simulators fallen und betrachtete die animierte Explosion, welche immer noch auf dem Bildschirm lief.

Mehriye kauerte indes in ihrem Sitz, die Stirn auf dem Steuerknüppel, den sie noch immer umklammert hielt und erwiderte nichts. Jetzt war es wohl offiziell. Sie war talentfrei. Hundertprozentig.

„Hey… Jetzt mach dir mal kein‘ Kopf, weil du bei deinem Jungfernflug drauf gegangen wärst“, meinte Reno dann ernster. „Is schliesslich ganz normal, deswegen machen wir sowas ja. Jeder von uns hat’s schon mindestens ein Duzend Mal geschafft, sich im Simulator selber zu killen. Und jeder ist schon mindestens ein Mal mit ‘nem richtigen Heli abgestürzt. Naja, ausser Stella…“, erklärte er.

Mehriye liess ein Stöhnen hören. „Die kann ja echt alles…“

Reno lachte laut auf. „Von wegen! Soll ich dir mal verraten, warum Stella noch nie einen Absturz mit einem richtigen Heli hatte?“

„Ich nehme an, das tust du sowieso, egal was ich antworte, oder?“

„Du hast es erfasst. Und Stella hat striktes Flugverbot“, grinste er während Mehriye ihn mit grossen Augen ansah

„Flugverbot?“, wiederholte sie ungläubig. „Im Ernst jetzt?“

„Im Ernst jetzt! Unsere hochverehrte Stella mag ja eine herausragende Schützin sein, aber wenn’s ums Fliegen geht ist sie ‘ne absolute Niete. Total talentfreie Zone. Ich weiss schon gar nicht mehr, wie oft sie mich in dem Ding hier schon umgebracht hat…“ Er klopfte auf das Armaturenbrett des Simulators, was das Gerät mit einem lauten Piepen quittierte. „O.K., ich schlage vor, wir gehen uns was zu trinken holen und dann sehen wir uns nach einem gemütlichen Doppelsarg mit Meerblick um. Na, was sagst du?“ Er legte einen Arm um sie und drückte sie kurz an sich.

Mehriye konnte nicht anders als zu lachen.

„Was zu trinken klingt ja nicht schlecht, aber den Rest der Ewigkeit mit dir in einem Doppelsarg verbringen? Ich glaube, da passe ich lieber und versuch‘s dafür nochmal mit dem Helikopter“, meinte sie mit einem breiten Grinsen, als sie sich aus der halbherzigen Umarmung wand.

Reno erwiderte das Grinsen. „Na, das ist doch genau das, was ich von dir hören wollte.“ Er stand auf und kletterte aus dem Simulator. „Ach ja, das mit Stellas Flugverbot… das hast du nicht von mir, ja? Es ist ihr nämlich ziemlich peinlich.“

Das glaubte Mehriye ihm aufs Wort.
 

„Übrigens“, meinte Reno als er in der Kantine eine Flasche Limonade vor Mehriye abstellte und sich neben sie setzte. „Ein normaler Hubschrauber-Absturz ist nicht so tragisch wie das, was du da produziert hast. Das Cockpit ist verstärkt, unter normalen Umständen brauchst du ‘nen Raketenwerfer um das kaputt zu kriegen. Mindestens.“

„Ach ja? Das sah aber nicht so aus…“, gab Mehriye zurück.

„Ja, ich weiss. Du hast den Tank an dem Bergkamm aufgerissen und der Funkenschlag beim Absturz hat offenbar gereicht um den ganzen Scheiss zur Explosion zu bringen. Gegen Explosionen sind die Dinger nich‘ gerüstet. Das is echt ‘n Problem, seit die Dinger auf Kerosin umgerüstet wurden. Mit Mako gab’s das nie. Da is die ganze Sosse einfach ausgelaufen und fertig.“ Er zuckte mit den Schultern und öffnete seine Limonade. „Naja, Shit happens. Ich wette, die forschen schon an ‘ner Lösung. Prost Sunny.“ Er hielt ihr die Flasche entgegen um mit ihr anzustossen.
 

Am Ende des Tages war Mehriye zwar geschafft, aber irgendwie glücklich. Sie hatte es schliesslich doch noch fertig gebracht, die Bergkette ohne Absturz zu überfliegen und danach beim Schiesstraining nach einigen Versuchen sogar einigermassen getroffen.

Seltsamerweise fiel ihr das Schiessen mit dem riesigen Helikopter viel leichter als mit Handfeuerwaffen. Vielleicht, weil mit dem Hubschrauber weniger Präzision gefragt war und er zusätzlich über eine Zielhilfe verfügte. Besonders für letztes war Mehriye dankbar.

„Hey Mädels, wie sieht’s aus? Kommt ihr mit noch einen trinken?“, rief Reno, als Mehriye das Gebäude zusammen mit Elena, Cissnei und Stella verlassen wollte.

„Wir müssen morgen wieder arbeiten…“; gab Elena zu bedenken.

„Ich passe auch“, meinte Cissnei.

Stella schüttelte bloss den Kopf.

„Vielleicht ein anderes Mal. Bin echt hundemüde“, antwortete Mehriye. Sie wollte nur noch unter die Dusche, vielleicht noch kurz zuhause anrufen und dann ins Bett…

„So ein Mist…“, befand Reno. „Aber hey, am Wochenende kommst du nicht drum rum, Sunny! Wenn wir mal ausnahmsweise mehr statt weniger werden, muss das auch gefeiert werden!“

Mehriye nickte. „Is‘ okay.“

„Ich glaub, am Wochenende komm ich auch mit“, überlegte Cissnei laut.

„Ich auch“, pflichtete Elena bei und lächelte breit.

Mehriye sah sich nach Stella um, um sie zu fragen, ob sie dann auch mitkäme, musste aber feststellen, dass ihre Partnerin scheinbar schon vorgegangen war. Sie seufzte. Allzu schnell würde sie sich wohl nicht mit Stella anfreunden.
 

Wird Fortgesetzt
 



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