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Sein Wille geschehe

von

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I

„Dean?“

„Ja?“

„Dauert’s noch sehr lange?“

Sam hörte, wie sein Bruder empört schnaubte. „Halt einfach deine Klappe, Prinzessin!“, zischte er irgendwo in den Eingeweiden des Impalas. Seinen Kopf unter der Motorhaube versteckt fingerte er schon seit einer Weile, mit Schraubenzieher und allerlei anderen Werkzeugen bewaffnet, an den Maschinenteilen des Wagens herum und schien bisher immer noch keine Ahnung zu haben, was dem Auto fehlte.

Schon seit ihrem letzten Job zickte der Impala wie eine Primadonna. Er sprang nur dann an, wenn er wirklich Lust dazu hatte, und seit neustem kamen aus seinem Inneren merkwürdige Geräusche, die selbst den erfahrenen Autobastler Dean verwundert die Stirn hatten runzeln lassen. Somit war er lieber auf Nummer Sicher gegangen und hatte am Straßenrand geparkt, um das Problem näher unter die Lupe zu nehmen.

Sam saß neben ihm auf einem Felsen, der überraschend bequem war, hielt ein Bier in der Hand und fühlte sich ziemlich nutzlos. Sobald Dean mit seinem Wagen beschäftigt war, hatte der Jüngere nicht mehr viel zu tun außer zu warten und sich jedweden Kommentar zu verkneifen. Ab und zu ließ ihn Dean zwar an seinen Reparaturen teilhaben und erklärte ihm auch das ein oder andere, aber gerade im Moment stand ihm nicht der Sinn danach. Dafür war er viel zu frustriert und wütend, da er den Fehler immer noch nicht gefunden hatte.
 

Sam hätte ihm gerne geholfen, wusste aber, dass er bloß Deans Ehre beleidigt hätte, wenn er sich einmischen würde. Deshalb nippte er stattdessen an seinem Bier und sah gelangweilt in die Gegend, die abgesehen von einem dicht bewachsenen Wald und einer heruntergekommenen Gaststätte etwas weiter entfernt auf der anderen Straßenseite nicht viel zu bieten hatte.

Wenn Sam aber ehrlich zu sich war, kam ihm ein bisschen Langeweile gerade ganz gelegen.

In den letzten Wochen und Monaten war dermaßen viel passiert, dass ihm kaum Zeit zum Atmen geblieben war. Er selbst hatte sich als das Gefäß Lucifers herausgestellt, er und Dean waren eine Weile getrennt unterwegs gewesen und dann natürlich die Sache in Carthage vor ein paar Wochen, bei der Jo und Ellen ihr Leben verloren hatten und sie darüber hinaus verzweifelt hatten feststellen müssen, dass die Hoffnung, die sie in den Colt gesetzt hatten, eine trügerische gewesen war.

Nichts war gelaufen, wie sie es sich vorgestellt hatten.

Viele gute Menschen waren gestorben und sie waren ihrem Ziel, den Teufel zu töten, keinen Schritt näher gekommen. Im Gegenteil, schienen sie sich sogar noch mehr davon entfernt zu haben.

Niemals zuvor hatte sich Sam dermaßen hilflos gefühlt.

Von daher war ihm jede Art der Ablenkung nur willkommen. Selbst dem kleinen Geist-Problem, das sie keinen Tag zuvor in einer Kleinstadt gelöst hatten, war er geradezu enthusiastisch entgegengetreten. Wenigstens diesen Menschen hatten sie helfen können!

Ein kleiner Erfolg. Im Großen und Ganzen gesehen zwar ziemlich unerheblich, aber trotz alledem ein Erfolg.
 

„Ich glaube, am Vergaser liegt es nicht …“, hörte er Dean unter der Motorhaube murmeln. „Vielleicht ist es das Öl …“

Daraufhin verfiel er wieder in Schweigen und bastelte weiter. Emsig und hartnäckig, nicht bereit sich einzugestehen, dass er möglicherweise überfragt war und den Schaden nicht allein würde beheben können.

Sam beobachtete ihn eine Zeit lang. Seit dem Tod von Jo und Ellen war er noch erpichter als sonst, sich in die Arbeit zu stürzen. Ob es Geister, Dämonen oder einfach nur der Impala waren – Dean krallte sich verbissen daran fest. Als würde er versuchen, den Fehler nicht zu wiederholen. Als wäre allein der Gedanke daran, aufzugeben, für ihn unerträglich.

Vielleicht hoffte er ja, auf diese Art und Weise irgendwo Erlösung zu finden oder sich zumindest nicht mehr so schlecht zu fühlen. Unter Umständen versuchte er aber auch einfach nur, seinen Kummer zu verdrängen.

So oder so, eher früher als später würde er völlig ausgebrannt sein.

Sam hätte seinen Bruder gerne ausgebremst und zur Raison gerufen, befürchtete aber, dadurch alles nur schlimmer zu machen und auch noch Deans geballten Zorn auf sich zu ziehen.

Auf gewisse Weise verstand er Dean auch, immerhin war er selbst die letzten Wochen kaum anders gewesen. Er hatte sich von eine Ablenkung in die nächste gestürzt und einfach alles vergessen wollen. Aber inzwischen hatte er erkannt, dass er nicht vierundzwanzig Stunden am Tag auf Hochtouren laufen konnte, ohne die Konsequenzen zu beachten. Ansonsten würde er nur kaputt gehen.

Und Sam hoffte sehr, dass sein Bruder dies auch schon bald bemerken würde.
 

Plötzlich riss ihn das Klingeln von Deans Handy völlig unvermittelt aus seinen Gedanken.

Dean zuckte angesichts des unerwarteten Geräuschs zusammen und donnerte mit seinen Kopf lautstark gegen die Motorhaube, was eine Flut an Verwünschungen nach sich zog. Fluchend kramte er daraufhin sein Telefon aus der Hosentasche hervor und hielt es sich ans Ohr. „Was gibt’s?“, bellte er der Person am anderen Ende der Leitung unfreundlich entgegen.

Es folgte eine kurze Pause, ehe Dean entgegnete: „Cas, das ist wirklich ein ungünstiger Zeitpunkt. Du solltest –“ Er hielt inne, offenbar von dem Engel mitten im Satz unterbrochen. „Am Straßenrand auf der Arkansas State Route 23 nahe Booneville, gegenüber einer Raststätte namens Joe’s Hole. Ein unglaublich dämlicher Name, wohlgemerkt, der –“

Er verstummte wieder abrupt und bereits im nächsten Moment war das inzwischen altbekannte Geräusch von Flügeln zu hören. Wie aus dem Nichts tauchte Castiel neben ihnen auf, als wäre es das Natürlichste der Welt.

Sam zumindest schaffte es, nicht zusammenzuzucken. Allmählich hatte er sich daran gewöhnt, dass der Engel plötzlich ohne jede Vorwarnung erschien, aber dennoch erschreckte er sich immer noch oft genug halb zu Tode. Von daher war es für seinen Puls stets förderlich, wenn Castiel sich vor seinen Besuchen telefonisch ankündigte.
 

Sam blickte den Mann in Anzug und Trenchcoat aufmerksam an und wartete auf irgendeine Hiobsnachricht, die sicherlich folgen würde. Castiel war niemand, der einfach vorbeikam, um vollkommen zwanglos Hallo zu sagen und ein Bier mit ihnen zu trinken.

„Wir haben Probleme“, sagte er im nächsten Moment und bestätigte damit Sams Vermutung, dass er nicht aus reiner Nettigkeit vorbeischaute.

„Wow, Cas, vielen Dank für die Info“, meinte Dean sarkastisch. „Wir haben eine Menge Probleme! Aber wie wär’s, wenn du vorher wenigstens ein paar Manieren durchblicken ließest? Ein einfaches ‚Hallo Dean, hallo Sam, wie geht es euch?‘ ist doch echt nicht zu viel verlangt, oder?“

Castiel musterte den dreckigen und ölverschmierten Winchester eine Weile und wirkte fast nachdenklich. „Warum sollte ich fragen, wie es euch geht?“, hakte er schließlich nach. „Lucifer steht kurz davor, die Menschheit auszulöschen, und es scheint aussichtslos, etwas daran ändern zu wollen. Er ist euch in vielerlei Hinsicht weit überlegen.“ Der Engel schwieg kurz. „Ihr habt keinen Grund, euch gut zu fühlen. Es wäre demnach unsinnig, mich nach eurem Befinden zu erkundigen.“

Dean wirkte angesichts dieser Ansprache wenig begeistert und auch Sam zog seine Mundwinkel nach unten.

Castiel verstand es wirklich, jemanden aufzubauen!

Und das ärgerlichste an der ganzen Sache war, dass man ihm nicht mal widersprechen konnte. Er hatte ja absolut recht! Die Apokalypse war bereits im vollen Gange und ihnen gingen allmählich die letzten paar Ideen aus, die sie noch hatten.

Nicht unbedingt ein Anlass, sich seines Lebens zu freuen.
 

„Also, was sind das für Probleme?“, wollte Dean seufzend wissen, während er gedankenverloren den Schraubenzieher in seiner Hand drehte.

„Omen“, informierte Castiel ihn. „Dämonische Zeichen. In Davenport.“

Dean sog scharf die Luft ein und überlegte sich augenscheinlich einen passenden Kommentar, bevor er letztlich sein Gesicht verzog und bloß den Kopf schüttelte. „Die Dämonen kriechen zurzeit überall aus ihren Löchern“, entgegnete er. „Bobby hat uns erzählt, dass sie in einer Stadt keine fünfzig Meilen von hier ebenfalls ihr Unwesen treiben. Offenbar lebt dort einer von seinen vielen Freunden, der ihn darüber in Kenntnis gesetzt hat.“ Dean zuckte mit den Schultern. „Davenport hingegen befindet sich zwei Bundesstaaten weiter. Wir sollten also erst zu Bobbys Freund fahren und dann –“

„Ihr müsst sofort nach Davenport!“, fiel Castiel ihm ins Wort. Er erschien ungewöhnlich angespannt.

Dean hob eine Augenbraue und wechselte einen kurzen Blick mit Sam. „Und warum?“, hakte er daraufhin nach.

„Die Zeichen in Davenport lassen auf etwas Großes schließen“, erklärte Castiel.

Sam zog sich unweigerlich der Magen zusammen. Das letzte Mal, als er diese Worte gehört hatte, hatten kurz darauf zwei Freunde ihr Leben lassen müssen.
 

Auch Dean war beunruhigt. „Etwa … Lucifer-Groß?“ Er schüttelte entschieden den Kopf. „Vergiss es, Cas! Wir können diesem Bastard nicht nochmal entgegentreten. Zumindest nicht, ohne einen halbwegs vernünftigen Plan oder wenigstens eine Waffe, die ihn nicht zum Lachen bringt. Das wäre purer Selbstmord!“

Sam nickte zustimmend. Noch deutlich sah er Lucifers süffisantes Grinsen vor sich, als der Colt ihm nichts hatte anhaben können.

„Der Teufel befindet sich nicht in Davenport“, stellte Castiel jedoch sofort klar. „Es ist etwas anderes. Etwas Wichtiges.“

Sam beobachtete den Engel intensiv, wollte eine Reaktion oder Gefühlsregung erkennen, aber wie üblich war er einfach nicht zu lesen. Er beherrschte es geradezu meisterhaft, seine wahren Emotionen zu verbergen. Man hätte ihm natürlich auch unterstellen können, dass er einfach nicht genügend Gefühle aufzubringen in der Lage war, sodass man sie ihm äußerlich anzusehen vermochte, doch Sam wusste es besser. Er kannte Castiel inzwischen gut genug, um ohne Vorbehalte zu bescheinigen, dass der Engel alles andere als ein gefühlloses Wesen war, dem das Schicksal von anderen gleichgültig war. Man merkte Castiel seine Anteilnahme nur nicht direkt an, sondern musste sie eher in kleinen Gesten suchen, die man nur zu deuten wusste, wenn man sich länger in seiner Gegenwart aufhielt.

Aber so oder so, er hätte einen perfekten Pokerspieler abgegeben.

„Inwiefern wichtig?“, hakte Dean derweil nach. Er tippte ungeduldig mit dem Fuß auf den Boden, seinen Missmut kaum verbergend. Am liebsten hätte er sich wieder dem Impala zugewendet und zumindest eine Zeit lang alle Gedanken an Dämonen, Lucifer und die Apokalypse ausgeschaltet.

Castiels Miene blieb in der Zwischenzeit unbewegt, als er verkündete: „Wenn die Gerüchte wahr sind, könnte es dabei helfen, Lucifer zu besiegen.“

Sam hob seinen Blick.

Nun, das klang in der Tat wichtig!
 

* * * * *
 

„Warum können FBI-Agenten eigentlich nicht Shirt und Jeans tragen?“, murrte Dean vor sich hin. „Das wäre sehr viel angenehmer.“

Missmutig verzog er sein Gesicht, während er mit einer Hand seine Krawatte zu lockern versuchte und dabei leise vor sich hinmurmelte. Noch nie hatte er sich in Anzügen besonders wohlgefühlt. Er kam sich bloß eingeengt und fehl am Platz vor. Es passte einfach nicht zu ihm.

Und dennoch konnte er dem nicht entkommen. Der Job zog es mit sich, dass sie in bestimmte Rollen schlüpften und so taten, als hätten sie nie in ihrem Leben etwas anderes gemacht.

„Entspann dich“, meinte Sam auf dem Beifahrersitz. Auch er war in Anzug und Krawatte gehüllt und starrte geistesabwesend auf die Straßen Davenports.

Sie hatten die Stadt vor gut einer Stunde erreicht, sich sofort ein Motel gesucht und sich umgezogen, um bei der Polizei vorstellig zu werden. Sie hofften, bei der verantwortlichen Dienststelle mehr über die jüngsten Geschehnisse zu erfahren.

Immerhin waren die dämonischen Zeichen in dieser Stadt kaum zu übersehen. Ganz so, wie Castiel es prophezeit hatte.

Mehrere schwere Stürme hatten Davenport schon heimgesucht und Sachschäden in beeindruckender Höhe angerichtet. Todesopfer hatte es bereits auch einige gegeben. Ebenso gab es vermehrt schwere Brände, deren Ursache bisher nicht festgestellt werden konnte und die die Feuerwehr vor ein absolutes Rätsel stellte.

Klassische Omen!
 

„Der Wagen macht immer noch seltsame Geräusche“, meldete sich Sam erneut. Er versuchte, sachlich-neutral zu bleiben, aber in Deans Ohren klang es irgendwie vorwurfsvoll.

„Das bildest du dir nur ein“, erwiderte der Ältere daraufhin zähneknirschend und gab seinem Bruder mit einem warnenden Seitenblick zu verstehen, das Thema ruhen zu lassen.

Tatsache war jedoch, dass aus dem Inneren des Wagens wirklich noch ab und zu verdächtige Laute schallten. Zwar nicht besonders laut und auch nicht allzu beunruhigend – zumindest würde der Impala nicht in der nächsten Sekunde auseinanderfallen –, aber dennoch war es allmählich an der Zeit, einige Ersatzteile zu besorgen. Spätestens vor ihrer nächsten größeren Reise.

Nach Castiels unerwartetem Auftauchen hatte es Dean noch eine halbe Stunde gekostet, den Wagen zu reparieren. Während der Engel schon längst wieder verschwunden war und Sam die ganze Zeit irgendwas von ‚Abschleppdienst‘ gemurmelt hatte, war Dean kurz drauf und dran gewesen, auszurasten. Es hatte ihn unglaublich wütend gemacht, dass er das Problem nicht hatte aufspüren können. Er war sich dumm und nutzlos vorgekommen.

Kein besonders angenehmes Gefühl.
 

Letztendlich war das Schicksal ihm aber ausnahmsweise hold gewesen. Als er schon knapp davorgestanden hatte, frustriert aufzugeben und Sam den Schraubenzieher an den Kopf zu schmeißen, war ihm etwas Kleingeld aus der Hemdtasche gepurzelt und irgendwo zwischen die Maschinen gekullert. Fluchend hatte er sich noch tiefer vornübergebeugt, intensiv gesucht und schließlich per Zufall das lose Ventil entdeckt, das sich tief in den Eingeweiden des Impalas versteckt hatte und wohl im Glauben gewesen war, dass niemand es je finden würde.

War der Schaden erst einmal aufgespürt gewesen, hatte die Reparatur nur fünf Minuten Zeit gedauert. Aber es hatte Dean viel zu viel Nerven gekostet.

Selbst jetzt noch war er gestresst und reizbar. Und er war sich absolut bewusst, dass nicht allein der Wagen Schuld an seiner miesen Laune war …

Aber er wollte nicht gründlicher darüber nachdenken. An den Colt, an Carthage, an Jo und Ellen …
 

Somit war er fast schon froh, als er das Polizeigebäude entdeckte. Es befand sich in der Innenstadt und war relativ schmucklos und unauffällig, dafür aber von einer beeindruckenden Größe. Dort fanden sicher eine ganze Menge Gesetzeshüter Platz.

Bei einer großen Stadt wie Davenport aber auch kein Wunder.

Empfangen wurden sie von einem diensthabenden Beamten namens Porter, der förmlich unter einem Berg von Akten begraben war und sich erst einmal befreien musste, um die beiden Neuankömmlinge zu begrüßen.

„Es freut mich sehr“, meinte er mit einem breiten Lächeln, das durchaus ehrlich wirkte. Er machte generell einen sehr sympathischen Eindruck, doch sein fester Händedruck verriet, dass er auch ordentlich zupacken konnte. Was Dean bei seiner eher schmächtigen Statur nicht unbedingt erwartet hätte.

„Wie kann ich dem FBI denn weiterhelfen?“, wollte er wissen.

„Wir sind wegen der Vermisstenfälle hier“, erklärte Sam mit seiner typisch gewichtigen FBI-Miene. „Und selbstverständlich wegen der Morde.“

Neben den von den Dämonen verursachten Wetterumschwüngen waren auch dies übliche Zeichen. In Davenport waren, soweit sie es bisher im Internet hatten überprüfen können, in den letzten vier Wochen mehr Menschen verschwunden als in den vorangegangenen sechs Monaten. Personen unterschiedlichen Alters und Geschlechts waren plötzlich ohne jede Vorwarnung wie vom Erdboden verschluckt.

Damit einhergehend geschahen besonders im südlichen Teil Davenports geradezu bestialische Morde. Familien wurden in ihrem Zuhause überfallen und getötet. So etwas wie Skrupel oder Erbarmen hatten die Täter bisher nicht erkennen lassen.
 

Auch Porter berichtete ihnen dies in allen Einzelheiten. „Es ist wirklich schrecklich“, endete er schließlich kopfschüttelnd. „Wir wissen nicht, was für eine Intention dahinter steckt. Es wurde nichts gestohlen. Außerdem stehen die Opfer in den meisten Fällen in keinem engeren Zusammenhang. Es erscheint alles vollkommen wahllos.“

Sam nickte, während er sich auf seinem kleinen Block einige Notizen machte. „Und man hat keinerlei Anhaltspunkte über den oder die Täter?“

Porter wirkte fast schon verzweifelt, als er die Schultern anhob. „Zunächst gingen wir von einem Serienmörder aus. Jemand, der entsetzliches Vergnügen daran findet, menschlichen Leben auszulöschen. Aber schließlich erhielten wir mehrere Augenzeugenberichte. Mal war es eine Frau, die sich vom Tatort entfernte, dann wiederum ein Mann. Ein Augenzeuge erzählte sogar von einer Gruppe von drei Personen.“

Dean versuchte, sich nichts anmerken zu lassen, aber innerlich fluchte er ungehalten. Diese Stadt hatte offenbar mit einer ganzen Schar von Dämonen zu kämpfen.
 

„Konnten die Augenzeugen die Täter beschreiben?“, hakte Sam weiter nach.

„Einige schon“, meinte Porter nickend. „Und ob Sie’s glauben oder nicht, ihre Beschreibungen haben perfekt zu den vermissten Personen gepasst.“

Das glaub ich auf der Stelle, mein Freund, dachte Dean bei sich.

„Das letzte Opfer ist ein Junge namens Tim Miller“, fuhr der Polizeibeamte fort. „Er konnte gerade noch rechtzeitig entkommen. Offenbar ist es sein eigener Vater gewesen, der plötzlich ohne jeden Grund randaliert und seine Frau ermordet hat.“

Porter begann, die für sie wichtigen Unterlagen zusammenzusuchen. Als er das Büro verließ, um die nötigen Kopien anzufertigen, beugte sich Dean zu Sam hinüber.

„Und, was denkst du?“

„Klingt, als wären hier mindestens drei Dämonen unterwegs“, meinte Sam. „Vielleicht sogar noch mehr. Auf jeden Fall sollten wir uns zunächst die Augenzeugen vornehmen und alles herausfinden, was sie wissen.“ Er fuhr sich kurz durch die Haare. „Und ich würde vorschlagen, wir fangen mit diesem Tim Miller an.“
 

* * * * *
 

Sam fand es stets immer wieder aufs Neue wenig berauschend, verängstigte Kinder zu befragen, die gerade ein schweres Trauma erlitten hatten und sich am liebsten den ganzen Tag unter ihrer Bettdecke verkrochen hätten.

Auch Tim Miller machte diesen Eindruck. Er wirkte klein und verloren auf der großen Couch, während er sich schutzbedürftig an seine Tante kuschelte, die den Jungen nach dem Tod seiner Eltern bei sich aufgenommen hatte. Er hatte Schlimmes durchgemacht und Sam wusste nur zu gut, dass keine Worte der Welt ihn trösten würden. Ständig würde er die Bilder in seinem Kopf behalten, wahrscheinlich sein Leben lang.

Und das Schrecklichste an der ganzen Sache war für ihn vermutlich die Ungewissheit.

Denn Tim verstand es nicht.

Verstand nicht, warum sein Vater – den Mann, den er so abgöttisch geliebt hatte –, plötzlich zu einem Monster hatte werden können.

Sam hätte ihm liebend gern die Angst genommen, aber es war ihm nicht möglich. Selbst wenn er dem Jungen die Wahrheit erzählt hätte, hätte das im Grunde nichts verändert. Denn nichts wäre dadurch besser geworden.

Außerdem, so bemerkte Sam, als Tim ihnen zögerlich die Einzelheiten des Vorfalls schilderte, schien er unterbewusst zumindest zu ahnen, was mit seinem Vater geschehen war.
 

„Er war nicht mehr er selbst“, meinte er soeben flüsternd. „Irgendwas … war in ihm.“ Er verstummte kurz, kaute unruhig auf seiner Unterlippe. „Vielleicht war es auch gar nicht mein Dad. Vielleicht sah er nur genauso aus.“

Er wollte nicht akzeptieren, dass sein geliebter Vater ein Mörder sein könnte. Auch seine Tante neben ihn, die jüngere Schwester des Verstorbenen, machte den Eindruck, als wollte sie den Worten des Jungen lieber Glauben schenken als ihrem gesunden Menschenverstand.

„Ist dir noch etwas anderes aufgefallen?“, hakte Dean nach. „Jedes Detail könnte wichtig sein. Unter Umständen ein merkwürdiger Geruch …“

„Die Augen meines Dads …“, wisperte Tim, während er sich enger an seine Tante drückte und diese Erinnerung offensichtlich am liebsten verdrängt hätte. „Sie waren …“

„Schwarz?“, half Sam ihm auf die Sprünge und war wenig überrascht, als der Junge scheu nickte. Alles deutete auf einen klassischen Dämonenüberfall hin.
 

„Du hattest den Polizisten erzählt, dass jemand gekommen wäre?“, fuhr Dean mit seiner Befragung fort.

Tim schluchzte leise. „Ja, ein Mann und eine Frau“, bestätigte er. „Sie haben mich gerettet.“

Und dann erzählte er knapp von diesem mysteriösen Samaritern, die, als sie das Geheul der Polizeisirenen aus der Ferne vernommen hatten, sofort ohne eine ausführliche Erklärung spurlos in der Dunkelheit der Nacht verschwunden waren.

„Und sie hatten eine Tätowierung am Hals?“, erkundigte sich Sam.

„Ja“, meinte Tim nickend. „Es sah aus wie ein H. Aber vielleicht auch was anderes …“ Er senkte den Blick. „Und die Frau hat komisch gesprochen.“

Dean runzelte die Stirn. „Was meinst du damit?“

Tim zuckte mit den Schultern, offenbar selbst nicht ganz sicher, wie er es beschreiben sollte. „Keine Ahnung …“

„Hat sie unter Umständen gelispelt oder gestottert?“, hakte Sam nach. „Oder hat sie gar eine andere Sprache gesprochen?“

Tim schüttelte entschieden den Kopf. „Nein. Sie hat einfach nur … komisch geredet.“

Weitere Informationen waren schließlich nicht mehr aus ihm herauszuholen. Er vergrub sein Gesicht im Pullover seiner Tante und machte damit mehr als deutlich, dass er nicht weiter über das Thema sprechen wollte. Man sah Dean zwar an, dass er gerne noch einige Einzelheiten erfahren hätte, aber nach einem strengen Blick von Tims Tante blieben ihm die Worte im Hals stecken.
 

Somit verabschiedeten sie sich knapp und machten sich auf den Weg zum Impala, den sie ein paar Meter die Straße runter hatten parken müssen.

„Was hältst du davon?“, fragte Dean, während er schon mal nach den Wagenschlüsseln kramte.

„Ich denke, dass der arme Junge Zeit seines Lebens leiden wird“, meinte Sam und seufzte schwer. Manchmal war das Leben einfach nur hart und ungerecht. „Diesen verfluchten Dämon, der seinen Vater besetzt hat, würde ich am liebsten ordentlich dafür büßen lassen.“

Deans düstere Miene verriet, dass ihm der gleiche Gedanke durch den Kopf geschossen war. „Wenn er überhaupt noch hier ist, versteht sich“, entgegnete er jedoch. „Diese beiden Typen, die den Jungen gerettet haben …“

„Klingt so, als wären noch andere Jäger in der Stadt“, sagte Sam.

„Mit einem netten Gruppen-Tattoo“, fügte Dean an. „Denkst du, das H steht für Hunter?“

Sam zuckte mit den Schultern. „Möglich. Allerdings wäre das ziemlich einfallslos, nicht?“

Dean schnaubte. „Stimmt schon. Aber andererseits ist das Offensichtliche oft genug ziemlich einfallslos, nicht wahr? Wenn sie zumindest Wert darauf legen, dass andere Jäger sie schnell erkennen, wäre das ein guter Weg. Vielleicht nicht besonders kreativ, aber darauf käme es dabei ja nicht unbedingt an, oder?“
 

Sam hörte bereits nur noch mit halbem Ohr zu, während seine Gedanken wieder zu den Jägern zurückkehrten. Zum einen war es natürlich vorteilhaft, wenn sich auch andere dieser Sache annahmen – und das offenbar auch noch erfolgreich, wenn man Tims Aussage bedachte –, aber auf der anderen Seite machte es Sam ein wenig nervös. Unter den Jägern hatte sich zunehmend das Wissen verbreitet, dass er in engerer Verbindung mit der Auferstehung Lucifers stand. Nicht wenige machten ihn dafür verantwortlich und nahmen es ihm ausgesprochen übel.

Und Sam konnte es ihnen nicht mal verdenken.

Wie sah es nun mit den Jägern aus, die sich hier in Davenport herumtrieben? Wussten sie auch Bescheid und würden demnach die Einmischung der Winchesters nicht unbedingt begrüßen? Oder waren sie ahnungslos und würden jede Hilfe bereitwillig annehmen, die sie kriegen würden?
 

„Was denkst du eigentlich, was der Kleine gemeint hat, als er sagte, dass die Frau komisch geredet hätte?“, fragte Dean unvermittelt.

Sam zwang sich, seine Aufmerksamkeit wieder ins Hier und Jetzt zu richten. „Ich weiß nicht genau“, antwortete er daraufhin. „Tim schien sich ja selbst nicht ganz sicher zu sein. Womöglich hat sie einfach Wörter benutzt, die ihm völlig unbekannt waren.“

Dean lächelte schief. „Du meinst Schimpfwörter?“, hakte er nach. „Könnte durchaus sein. Ich vermute zumindest, dass der kleine, wahrscheinlich streng katholisch erzogene Junge noch nicht allzu viele Flüche in seinem Leben gehört hat.“ Er lachte auf. „Da bin ich ja schon fast gespannt darauf, diese Lady kennenzulernen. Ich steh auf Frauen, die ein dreckiges Mundwerk haben.“

Sam wollte hierauf einen bissigen Kommentar zum Besten geben und seinen Bruder darauf hinweisen, dass er im Grunde auf alle Frauen stand, solange sie hübsch anzusehen waren und über nicht allzu viel Grips verfügten, aber er ließ es letztlich bleiben. Es war schon eine Weile her, dass sich Dean ernsthaft auf etwas gefreut hatte, sodass er ihm sicherlich nicht den Spaß verderben wollte.

Sam selbst wusste aber nicht, ob er der Begegnung entgegenfiebern sollte. Wenn er ehrlich zu sich war, hätte er diesen Job am liebsten unauffällig erledigt und wäre sofort danach wieder aus der Stadt verschwunden. Aber ihm war auch klar, dass es sich um eine größere Sache handelte, die man bestimmt nicht an einem Abend würde klären können.

Früher oder später würden sie ihre Jäger-Kollegen treffen.

Blieb nur die Frage, ob sie ihnen wohlgesonnen waren oder nicht.



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von:  kleine1
2010-06-18T16:47:50+00:00 18.06.2010 18:47
die sache mit cas ist ja mal wieder sowas von typisch für ihn einfach nur geniel er kann nicht einfach sagen was los ist immer macht er nur merkwürdige anspielungen ^^
die beiden hab echt mein mitgefühl den sie haben es echt nicht leicht aber es ist gut das sie dennoch weiter machen und nicht aufgeben ^^
ein H für hunter das ist echt genial aber vielleicht steckt ja mehr dahinter als man ahnt ^^
ich bin echt mal gespannt wie sie auf sam und dean reagieren wenn sie sie denn finden sollten ^^
freu mich schon jetzt aufs nächste kapi, kann es kaum erwarten wie es weiter geht ^^

lg kleine1
Von:  DoctorMcCoy
2010-06-14T09:14:32+00:00 14.06.2010 11:14
H für Hunter!
Da wäre ich ja nicht drauf gekommen. Heißt das, dass Dean jetzt klüger ist, als ich?
Aber das wäre doch mal eine Überlegung. Dass sich alle Jäger dieses Tattoo machen lassen, damit sie sich gegenseitig erkennen können. So gäbe es bestimmt nicht so viele Missverständnisse.
Aber dass die Frau komisch gesprochen haben soll, irritiert mich auch ein bisschen. Was der Junge wohl damit meinte?

Die Szene mit Cas war natürlich total süß, auch wenn du mir schon zum Teil verraten hast, was er so sagt. Aber ich liebe es ja, wenn er auftaucht und meint "Wir haben Probleme". Besonders, wenn sie gerade gegen Luzifer kämpfen. Ach ja, Cas, du könntest manchmal ein bisschen genauer sein. Aber dass in Davenport was ist, was ihnen helfen könnte. Sowas sollte er ganz zu Anfang sagen, dann hätte er wenigstens die Aufmerksamkeit der Jungs und er würde sicher gehen, dass sie nicht so genervt von ihnen ist.

So, bin dann schon sehr gespannt, wie die ganze Sache weitergeht.
Lg
Lady_Sharif


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