In Menschenhand
In Menschenhand
Es war einer dieser warmen Spätherbstnachmittage, an dem die Sonne ihre letzten Grüße entrichtete und die Landschaft noch einmal in matte Goldtöne hüllte. Im Wolfsgehege war es ruhig geworden, nur ab und zu unterbrach ein entspanntes Gähnen die Stille. Auch Nori, eine der jüngsten Bewohnerinnen des Geheges lag faul auf dem Rücken und ließ sich die warme Sonne auf den Bauchpelz scheinen. ‚Ich liebe dieses Leben’, dachte die die kleine graue Wölfin und blinzelte faul in das Licht.
"So könnte das Leben immer sein, nicht wahr, Nori?", fragte Mara, die weißpelzige Wölfin neben ihr, die ebenfalls den schönen Tag genoss.
"Oh ja.", antwortete Nori, zu faul um sich zu ihr zu drehen. Das Leben könnte wirklich nicht besser sein, dachte die Wölfin, unwissend was das Schicksal noch für sie bereithielt, unwissend, dass nie wieder etwas so sein würde wie zuvor, nach diesem Tag, der mit Sonnenschein und einer reichen Fütterung begonnen hatte.
"Sieh nur.", flüsterte Mara Nori zu und nun musste die faule Wölfin sich doch - reichlich unwillig - zurück auf den Bauch drehen, um zu sehen was sie meinte.
"Menschen, ziemlich viele heute.", kommentierte Nori , die sich lieber wieder voll und ganz ihrem Sonnenband hingeben würde, eher uninteressiert. Doch die gute Freundin Mara, die selten eine Sache, die sie interessierte beruhen ließ, verstand einen Wink mit dem Zaunpfahl selbst dann nicht, wenn sie mehrmals davon getroffen wurde.
"Aber das sind nicht die normalen Menschen.", erzähle Mara also skeptisch weiter. "Sie sind nicht wie die, die mit Fleisch kommen und nicht wie die, die uns nur angucken und dann weitergehen."
"Und wenn schon...Menschen sind überall, in jeglicher Ausfertigung und seltsam obendrein.", grummelte Nori müde und blinzelte den Staub aus ihren Augen, dann erhob sie sich schließlich und sprang mit mehreren Sätzen zu dem Maschendrahtzaungatter, das sie von den Menschen trennte. Wie eine Faust traf sie der Geruch eines Menschen, der einen brennenden Stängel in seinem Maul trug und sogleich lief sie wieder angeekelt zu ihrer Freundin auf den Kunststofffelsen, um die Sonne weiter zu genießen.
Der Mann mit der Zigarette lachte leise und freudlos, als er auf die Verladebox sah, die gerade angekommen war.
"Ich wüsste gerne, warum alle meinen, wir müssten jeden verdammten Wolf, der hier in der Gegend angeschossen wird, aufnehmen.", sagte er mehr zu sich selbst als zu den anderen, die ihn umgaben.
„Wir werden ihn erst einmal in ein einzelnes Innengehege sperren, damit die anderen sich an seinen Geruch gewöhnen.“, teilte er den Mitarbeitern dann mit und drückte mit einem Seufzen die Zigarette aus. „Solch ein russischer Wildfang ist so oder so nicht das richtige für dieses Gehege. Sie hätten ihn gleich abknallen sollen.“
Müde hoben Mara und Nori die Köpfe, als die Menschen weiterarbeiteten und sogar in ihr Gehege kamen, die älteren Wölfe mit langen Stecken auf Abstand haltend.
„Sie verhalten sich seltsam – sogar für Menschen.“, sagte Nori verwirrt, doch ihr fehlte der Mut sich den Menschen wieder so weit zu nähern.
„Und sie haben noch nicht einmal Futter dabei.“, knurrte Mara und drehte sich wieder auf die Seite.