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Red Moon

Bellas Leben nimmt eine völlig ungeahnte Wende: sie wird zum Werwolf
von

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Der alte Chevy

Hallo Leute, es gibt wieder Lesestoff. Für dieses Kapi hab ich wieder recht lange gebraucht, dafür hab ich auf meiner Dienstreise ein paar der nächsten schreiben können. Und so fad wie es da ist, bin ich mir sicher, dass reichlich Nachschub entstehen wird. Also könnt ihr euch schon freuen auf die nächsten Wochen in Bellas Leben.

Und los geht‘s

Eure Hi-chan
 

Der alte Chevy
 

Charlie hatte sich angekündigt und ich war beinahe ein wenig aufgeregt. Er war der erste Uneingeweihte, der mich seit meiner Verwandlung zu Gesicht bekam. Würde er merken, was mit mir los war? Er war immerhin mein Vater und sollte wohl mitbekommen, wenn sich seine Tochter deutlich verändert hatte. Zum Glück war er noch nie besonders aufmerksam gewesen, und so hoffte ich, dass ich mit Jacobs und Billys Unterstützung seine Gedanken notfalls auf andere Gleise lenken konnte, wenn er tatsächlich Lunte roch.
 

Mit zwei gewaltigen Pizzaschachteln stand er beinahe schüchtern in der Türe, als ich ihm aufmachte und ihn herein bat.

„Du siehst großartig aus, Bella.“ Er strahlte vor Begeisterung, als er das sagte, und ich lächelte zurück.

„Du hast ja richtig Farbe gekriegt, und du wirkst so... gesund und fröhlich. Und irgendwie bist du größer geworden. Wächst du denn noch?“

Das war alles ein wenig übertrieben, aber es stimmte schon, dass man mir das Training durchaus ansah. Auch Jake musterte mich prüfend, und mir schien, als ob er versuchte, mich mit den Augen eines Menschen zu sehen, der mich eine Weile nicht gesehen hatte. Mein Gesicht war ein bisschen weniger bleich als sonst und ich hatte sogar ein paar Sommersprossen auf der Nase bekommen. Unter dem kurzen T-Shirt, das ich trug, konnte man die leicht gebräunte Haut besonders gut erkennen. Mein Bauch war deutlich fester und die kleinen Speckröllchen bereits verschwunden, aber das verdeckte die kurze Jeans. So genau hatte Charlie mich eh nie gemustert. Dafür ließ die Hose meine inzwischen recht straffen Beine frei. Ich war total stolz auf meine Veränderung und strahlte meinen Vater freudig an.

„Das bildest du dir bestimmt nur ein, ich bin doch zu alt, um noch zu wachsen.“, wiegelte ich mit einem grinsenden Seitenblick auf Jacob ab, der meiner Meinung nach die letzten Monate einen halben Meter in die Höhe geschossen war. Unser Spiel um das tatsächliche Alter führten wir immer noch weiter, und ich hatte von ihm freiwillig zwanzig Jahre dazu bekommen, weil ich zum Werwolf geworden war. Aber die hatte er ja auch erhalten, sogar fünfundzwanzig, weil er so gut darin war, und so standen wir wieder ungefähr gleich.
 

"Aber unsere Gruppe ist den ganzen Tag draußen im Wald unterwegs, wo wir Aufgaben lösen und trainieren. Und dass macht hungrig.", versuchte ich ihn nochmals abzulenken und griff gierig nach dem ersten Stück Pizza.

Ich hatte Charlie weiß gemacht, ich würde an einem Überlebenskurs teilnehmen, den Sam in den Sommerferien hielt und den auch viele Jugendliche aus dem Reservat besuchten, was ja auch so ungefähr stimmte. Immerhin war er ganz angetan davon, dass ich mich mal für etwas vollkommen anderes interessierte und hatte so erst recht nichts dagegen, dass ich ständig bei den Blacks war.
 

Langsam war schon so etwas wie Alltag in mein Leben eingekehrt. Das Wohnen bei Billy und Jacob erwies sich als sehr harmonisch. Auch wenn Jacob oft frech und vorlaut war, so verehrte er seinen Vater zutiefst und kümmerte sich rührend um ihn. Er half ihm bei den täglichen Aktionen, ohne ihn zu sehr zu bemuttern oder zu bevormunden. Billy war erstaunlich selbständig mit seinem Rollstuhl und benötigte im Haus nur wenig Hilfe. Nur außerhalb der Hütte war er ziemlich aufgeschmissen, da es keine befestigten Wege gab, die er benutzen konnte. Und Autofahren konnte er auch nicht, so dass Jake die ganzen Einkäufe erledigen musste.

„Dein Überlebenstraining scheint dir bestens zu bekommen. Und endlich hast du mal so richtig Appetit.“, meinte Charlie kurz darauf zum Abschied. Er wollte gleich weiter zu Sue Clearwater, um ihr noch bei irgendwelchen Papieren zu helfen. Billy lächelte verschmitzt, als er das sagte, und ich hatte den Eindruck, dass hier ein wenig mehr dahinter steckte als nur eine freundschaftliche Hilfe bei Formularen und Dokumenten. Ich wusste ja, dass es Sue recht schwer hatte, so alleine mit gleich zwei Kindern, die sich verwandelt hatten, wobei Seth noch sehr jung und Leah einfach unerträglich war. Vielleicht bahnte sich hier etwas an, wobei ich hoffen konnte, dass es meinen Vater auch ein wenig von mir ablenken würde.
 

Auf alle Fälle schien er sehr erleichtert zu sein, dass ich die angebliche Trennung von Edward so gut verkraftet hatte und nicht wieder wie ein Zombie herum hing. Denn Jacob und ich hatten so viel gelacht und uns scherzend um die Pizzateile gezankt, dass er nicht den Eindruck hatte, dass ich besonders unglücklich sei. Wobei ein wenig wurmte es mich schon, dass es ihm so gar nichts auszumachen schien, dass ich hier in der Hütte wohnte und sogar übernachtete. Dabei wusste er ja nicht einmal, dass ich sogar in Jakes Bett schlief und nicht auf dem winzigen Sofa. Wenn ich bei den Cullens gewohnt hätte, hätte er bestimmt ein Riesentrara darum gemacht und von meiner 'Verantwortung' angefangen.
 

Oft hatte ich mich gefragt, was Billy eigentlich dachte, wenn ich morgens aus Jacobs Zimmer kam und im Bad verschwand. Er hatte noch nie ein Sterbenswörtchen dazu gesagt, und ich glaubte, dass er mehr vermutete, als hinter der geschlossenen Türe wirklich vor sich ging.
 

Ich nutzte die Gelegenheit, mit Billy ein wenig zu reden, als Jake am nächsten Nachmittag einfach verschwunden war. Normalerweise gab er Bescheid, wo er hinging, aber manchmal verdrückte er sich auch einfach, ohne ein Wort zu sagen. Meist hing er dann mit Quil und Embry rum, oder er war unterwegs, Ersatzteile zu besorgen für irgendeinen alten Karren, der hinten bei seiner Werkstatt stand und den er für Verwandte oder Freunde reparierte. Ich hatte leider nicht mehr viel Zeit, die ich mit ihm dort verbringen konnte, denn Sam zitierte mich oft zu meinem Training, während Jake keines mehr nötig hatte und nur noch ab und zu mitkam. Keiner konnte sich so schnell verwandeln wie er, und seine Wut hatte er schon lange wieder unter Kontrolle gebracht. Wenn er öfter lachen würde, wäre er fast wieder mein alter Jake gewesen, dessen fröhliches Wesen ich so geliebt hatte. Aber meine Sonne lag hinter Wolken verborgen, und oft war er eher niedergeschlagen und mürrisch, wobei ich befürchtete, dass ich der Grund dafür war. Ihm hier ständig vor der Nase herum zu tanzen war nicht meine Absicht, aber es blieb mir auch keine Wahl. Trotzdem fühlte ich mich richtig zuhause bei den beiden, und ich musste zugeben, dass ich Charlie kaum vermisste. Wenn er abends ab und zu vorbei kam, würde mir das schon genügen.

Meiner Mam hatte ich ebenfalls von meinem Kurs erzählt und dass ich hier wohnte. Sie fand es dufte, dass ich das Beste aus meinen Sommerferien machte und nicht Edward und der verpassten Hochzeit nachtrauerte. Eine Stunde war ich am Telefonhörer gehangen und hatte schon heiße Ohren bekommen, weil sie mir unbedingt erzählen wollte, warum sie so froh war, dass ich nun doch nicht wie sie mit 18 Jahren heiraten wollte. Dabei kannte ich ihre Geschichte doch schon in- und auswendig.

Und ich versuchte ihr auch klarzumachen, dass sie sich keine Sorgen machen brauchte, dass ich wegen einem Kind heiraten musste, denn das war das erste, was sie wissen wollte, als ich rausrückte, dass ich bei Jake wohnte. Meine Ma und ihre Sorgen. Es waren ja nicht alle so verrückt und leichtsinnig wie sie und Charlie.

Langsam hatte ich den Eindruck, dass alle dachten, dass ich mit Jacob schliefe, da ich ja nun schon ein paar Wochen direkt bei ihm zuhause wohnte. Da half es auch nichts, wenn ich noch so sehr aufpasste, dass es ja keine Vorfälle gab, über die man sich das Maul zerreißen konnte. Ich blieb auf Abstand und Jake ebenso, und das Gequatsche der anderen kümmerte uns wenig. Wobei die Stammesleute eh nicht so boshaft über jemanden herzogen wie meine ehemaligen Mitschüler an der High-School. Von denen vermisste ich keinen einzigen, hatte mich nirgendwo gemeldet und auch keinerlei Bedürfnis, einen von ihnen zu sehen. Hier fühlte ich mich wohl, bei der ungezwungenen Gemeinschaft des Rudels. Es ging zwar derbe, aber durchaus fair zu, und man konnte sich auf jeden einzelnen verlassen. Sogar auf Paul. Ich mochte sie, alle miteinander, und sie waren mir wirklich so etwas wie eine große Familie geworden. Gut, bis auf Leah.
 

Ich saß gerade mit Billy am Tisch, er schnitt Zwiebeln klein, während ich immer wieder zu der Tomatensoße am Herd rannte und umrührte. Ich musste lachen, als ich sah, wie Billy die Tränen herunter liefen, und reichte ihm ein Papiertuch, damit er sie trocknen konnte. Er schnitt gerne Gemüse, auch kochte er recht gerne, denn seit seinem Unfall musste er zuhause hocken und von seiner kleinen Unfallrente leben. Hier drehte sich viel ums Essen, denn wir hatten fast immer Hunger. Dad hatte es sich nicht nehmen lassen, Billy Essensgeld für mich zu geben, vor allem als er sah, welche Unmengen ich inzwischen vertilgen konnte. Ich entwickelte mich hier zum Vielfraß, aber ich hatte einfach einen Bärenhunger seit meiner Verwandlung.
 

„Wie ist es denn passiert?“, fragte ich ihn vorsichtig mit einem Nicken auf seinen Rollstuhl. Erst dachte ich, die Frage sei doch zu intim, als er stutze, aber er besann sich nur kurz und erzählte dann mit rauer Stimme: „Ich verwandelte mich in meinem Auto.“

Ich war erstaunt, denn ich hatte gedacht, dass es Billy nie erwischt hätte. Aber sein Vater wie auch sein Großvater waren schon Wölfe gewesen. Und sein Sohn war auch einer. Daher war es eigentlich nur logisch, dass auch er das Gen hatte. Sie hatten es ja sogar von beiden Seiten, hatte Jake einmal erzählt. Denn die Frau von Ephraim Black stammte auch aus einer Werwolffamilie.

„Echt? Du bist auch ein Wolf?“, entgegnete ich ein wenig überrascht.

„Natürlich, Mädchen. “, meinte er nur schmunzelnd, „Nur kann ich nicht jedem auf die Nase binden, dass ich einen Unfall hatte, weil ich mich in einen Werwolf verwandelt hatte.“ Doch das spöttische Grinsen verschwand schnell wieder aus seinem Gesicht, und es wurde erschreckend traurig. Ich hatte bereits ein schlechtes Gewissen, dass ich überhaupt gefragt hatte.

„Ich war reichlich spät dran mit der Verwandlung. Damals bestand keine große Gefahr, die Cullens hielten sich fern, und es gab auch keine Vampirhorden, die durchs Land zogen oder gar über uns herfielen. Ich war schon lange verheiratet und hatte Kinder, und ich dachte, ich würde verschont bleiben, als ich mich mit meiner Frau stritt und es über mich kam.“ Sein Blick wurde verhangen, seinen schwarzen Augen wirkten stumpf, als er an seine Frau und den Unfall dachte.

„Wir hatten uns wegen irgendeiner Kleinigkeit in die Haare gekriegt, und ich wurde auf einmal furchtbar wütend. Ich explodierte, bevor ich richtig wusste, was los war, und das am Steuer des Wagens, deinem alten Chevy. Natürlich verlor ich die Kontrolle, ein Wolf kann eben nicht Autofahren…“ Daher also die Warnung von Jacob, die er mir damals mitgegeben hatte, damit ich ihm ja nicht davon fuhr.

Ich schwieg, wollte nicht weiter an Billys schrecklicher Vergangenheit rühren, denn eine Träne lief ihm die glatten, tiefbraunen Wangen hinab, von der ich nicht wusste, ob sie die Zwiebel oder der Schmerz verursacht hatte.

„Der Chevy rauschte den Hang hinab und donnerte weiter unten in einen Graben. Meine Frau war aus dem Wagen heraus und gegen einen Fels geschleudert worden, und ich saß eingeklemmt hinter dem Steuer fest. Sie war sofort tot, und ich konnte nach den Wochen im Krankenhaus nie mehr die Beine bewegen. Verwandelt habe ich mich seither auch nie mehr.“
 

Seine Gedanken schienen weit entfernt zu sein, vielleicht bei seiner Frau. Ich hatte nirgends Fotos von ihr gesehen, aber Charlie hatte mal gesagt, sie sei sehr hübsch gewesen – so hübsch wie Jacob. Ich wusste nur, dass die beiden Zwillingstöchter früh das Haus verlassen hatten und nur Jake geblieben war, um seinen Vater zu pflegen. Der Unfall hatte die Familie zerstört, und Schuld war die Verwandlung gewesen. Und ich hatte gedacht, dass Emily das einzige Opfer gewesen wäre. Aus einem Impuls heraus fasste ich zu Billy hinüber und drückte seinen muskulösen Arm. Er lächelte mich dankbar an.

„Kaum dass er einen Schraubenschlüssel richtig halten konnte, hatte der Junge begonnen, den kaputten Chevy wieder zu richten. Ich habe ihm beigebracht, wie man Autos repariert, und ich hatte den Eindruck, dass er meinte, es würde alles wieder gut werden, wenn nur der Transporter wieder lief. Er litt furchtbar unter dem Verlust seiner Mam, und in der Werkstatt zu hocken und zu schrauben war die einzige Ablenkung, die er hatte. Als dann auch noch seine Schwestern kurz hintereinander auszogen, sprach er monatelang kein Wort mehr und verbachte all seine Zeit nur noch in der Garage.“

Ich war also nicht die einzige gewesen, die ihren Schmerz in der alten, windschiefen Wellblechgarage hinterm Haus los zu werden versuchte. Ich merkte auch, dass Billy kein Wort von sich selbst und seinen eigenen Schmerz sprach, und ich vermutete, dass er viel zu tief saß, als dass er darüber reden konnte. Trotzdem fuhr er fort, mir zu erzählen.

„Als der Chevy dann fertig war, merkte er, dass ich gar nicht mehr fahren konnte… was ihn aber nicht davon abhielt, selbst damit überall im Reservat herum zu gurken, dabei hatte er noch gar keinen Führerschein. Ich hab die Karre dann deinem Dad verkauft und Jake dafür versprochen, dass er von dem Geld den Golf richten durfte. Damit war er weg von der Straße und hatte wieder etwas zu tun… und du ein Auto für die Schule… bevor ihn dein Vater noch beim unerlaubten Fahren erwischte.“

Ich grinste ihn an. Mein Dad wäre wohl nicht allzu streng gewesen, wenn er einen Fünfzehnjährigen am Steuer erwischt hätte, aber ein wenig rumgebrüllt hätte er wohl schon.
 

Billy atmete tief durch, dann schaute er mich nachdenklich an.

„Zum ersten Mal seit damals sind wir wieder so etwas wie eine richtige Familie. Also seit du da bist.“ Er lächelte mich dabei so nett an, dass mir ganz warm ums Herz wurde. Sein Gesicht wirkte so freundlich, die dunklen Augen schimmerten immer noch ein wenig feucht, aber er wirkte richtig glücklich. Ich hatte fast ein schlechtes Gewissen, weil ich wusste, dass es nur vorrübergehend so sein würde, bis ich soweit war und wieder heim konnte… und zurück zu Edward.
 

„Danke, dass du mich aufgenommen hast und ich so lange bei euch wohnen durfte.“

Er nickte nur kurz. „Du bist immer willkommen, jederzeit. Und du kannst hier wohnen bleiben, solange du willst.“

„Na ja, aber es ist doch ein wenig eng bei euch. Stört es dich denn nicht, wenn ich hier auch noch herum lungere und das Bad belagere?“

„Ach Kind… kein Mensch hat meinen Jake jemals so glücklich machen können wie du…“ „…und auch so unglücklich.“, vervollständigte ich fast flüsternd den Satz. Billy sah mich viel zu rosig. Sah er denn nicht, wie sehr ich seinen Sohn quälte mit meiner Anwesenheit?

„Billy, da ist nichts zwischen uns.“ Er schaute mich mit einem Ausdruck an, den ich nicht so recht deuten konnte.

„Gar nichts? Du schläfst doch bei ihm…“ Jetzt lief ich tatsächlich rot an. Also hatte auch er gedacht, dass Jake und ich ein Paar wären. Und mir kam die Einsicht, dass es ihn gefreut hätte…wie auch meinen Dad. Es wäre alles so einfach, wenn es wirklich so wäre… ich würde mich hier sehr wohl fühlen. Und würde Billy tatsächlich noch eine Freude bereiten.
 

Heftig versuchte ich gegen diese Gedanken anzugehen. Es durfte nicht sein, dass ich sogar schon Jacobs Vater Hoffnungen machte auf eine gemeinsame Zukunft. Wieder fiel mir der Traum ein, den ich einmal geträumt hatte - von dem Weg und den zwei kleinen, schwarzhaarigen Jungs, die auf ihm entlang hüpften, um im Wald zu verschwinden. Meinen beiden Söhnen… seinen Enkeln…

Ich musste wohl recht verzweifelt wirken, denn auf einmal hob er seine Hand und legte sie mir auf den Arm.

„Das wird schon alles werden, Mädchen. Lass dir Zeit!“

Ich nickte nur, und bevor alles noch peinlicher wurde, stand ich auf, rührte in der Tomatensoße und stellte die Pfanne für die Hackfleischbällchen auf den Herd.
 

Ich schüttete gerade das Wasser für die Nudeln ab, als wir das Röhren des alten Transporters vor der Türe hörten. Das hatte Jacob also getrieben, er hatte ihn abgeholt und hergefahren, und ich wischte mir schnell die nassen Hände an einem Tuch ab, bevor ich hinaus rannte. Er saß noch am Steuer und beugte sich weit hinüber zum Beifahrersitz, um mir dort die Türe aufzumachen.

„Komm, steig ein.“
 

Sein Gesicht verhieß mir nichts Gutes, und er schwieg auch die ganze Zeit, während er mit mir an den First Beach fuhr, an unseren Strand. Was war nur vorgefallen? Ich überlegte. Er war bei den Cullens gewesen, wo ich mich seit der seltsamen Begegnung mit Edward nicht mehr hin getraut hatte. Ich selbst wollte erst noch ein wenig warten, bis ich mich ganz sicher fühlte, dass ich keine Gefahr mehr für Edward darstellte und ihn dann alleine besuchen gehen. Hoffentlich waren die beiden Jungs nicht wieder aneinander geraten…
 

Die schmale Mondsichel hing blass am tiefschwarzen Himmel, der dunkle Strand wirkte unheimlich und verlassen, beinahe ein wenig gruselig. Ein frischer Wind blies vom Meer her, und die flachen Wellen rollten träge an den körnigen Strand. Alles kam mir unwirklich vor, oder es lag an mir, weil ich so gespannt war, was Jacob mir sagen wollte, dass ich die Umgebung gar nicht richtig wahrnahm. Wir schlenderten zu dem bleichen Baumstamm hinüber, der wie ein verunglückter Käfer im Sand lag und die Beine in die Luft streckte. Mir fiel auf, dass Jacob ausnahmsweise sogar mal etwas mehr anhatte als nur die üblichen Shorts, er trug ein schwarzes T-Shirt, lange Jeans und sogar Turnschuhe und wirkte ungewöhnlich förmlich damit.
 

„Ich hab deinen Wagen geholt, damit du wieder ein wenig unabhängiger wirst, denn Sam wird dich bald wieder fahren lassen."

"Dankeschön!", bedankte ich mich und seufzte trotzdem wehmütig. Dann würde meine Zeit hier bald abgelaufen sein, und ein großer Teil von mir bedauerte es jetzt schon. Aber da war garantiert noch mehr, was er mir sagen wollte, sonst hätte er mich nicht mit hierher geschleppt.
 

"Und ich soll dir was ausrichten.“ Seine Stimme klang ungewöhnlich rau. Ich ahnte, dass er bei den Cullens etwas erfahren hatte, etwas, das mir nicht gefallen würde.
 

„Was denn?“, fragte ich dennoch neugierig. Ich hatte mich neben ihm auf den nackten Baumstamm gesetzt und schaute ihn auffordernd an, jedoch konnte ich nur wenig von seinem Gesicht erkennen, da es voll im Schatten lag und ihm der Wind die inzwischen schon wieder halblangen Haare ins Gesicht blies. Ich war immer noch zuversichtlich, denn mit meinen guten Fortschritten, die ich machte, würde ich schon in wenigen Tagen Edward besuchen können, und ich freute mich schon sehr, ihn endlich ohne Bodyguards wiedersehen zu können. Ihn und auch Alice und Esme.
 

„Etwas von Edward.“ Seine Stimme wurde frostig, als er den Namen nannte, und er rutschte dabei unbehaglich auf dem nackten Stamm hin und her. Ich spürte, dass er nur sehr ungern den Überbringer dieser Botschaften spielte.

„Hast du ihn gesehen? Wie geht es ihm?“

„Er hatte gewartet. Er wusste, wann der Wagen abgeholt werden würde, denn die Kleine hatte gesehen, dass er verschwindet.“

Ich blickte ihn ein wenig verwirrt an. „Wieso gewartet? Warum denn? Was hatte er denn sonst noch vor?“
 

„Bella, sie sind weg. Alle.“
 

Stille herrschte, und ich hörte nur noch die Wellen an den Strand schlagen. Mein Herz setzte einige Sekunden aus, dann pochte es wie verrückt. Ich war mir sicher, er konnte es hören.

Nervös rieb ich über die Narbe auf meiner Hand, die der Biss von James dort hinterlassen hatte. Seit einiger Zeit fing sie an zu jucken.
 

„Wie, weg? Sind sie wohin gefahren?“

Aber ich ahnte schon, was er mir vermitteln wollte. Es schien ihm sehr unangenehm zu sein, und er blickte verlegen aufs Meer hinaus. Da wusste ich, dass sie Cullens nicht nur einen kleinen Ausflug unternommen hatten oder jagen waren. Und dass Jacob wegen mir wegschaute. Weil er sich Sorgen machte. Um mich.
 

Dann wandte er mir wieder das Gesicht zu und blickte mich unverwandt an. Seine dunklen Brauen waren leicht zusammen gezogen, und er musterte mich vorsichtig.
 

„Sie sind weggezogen, für immer. Die ganze Familie. Ich soll dir liebe Grüße ausrichten, und dass sie es gemeinsam beschlossen hätten. Sie wären Schuld daran, dass du zu dem geworden bist, was du nun bist, wie auch alle Wölfe im Reservat ihnen zu verdanken haben, dass sie die Verwandlung durchmachen mussten. Daher haben sie ihr Haus hier aufgegeben und sind weggezogen, damit wir eine Chance haben, wieder normale Menschen zu werden und leben zu können wie zuvor.“
 

Ich sagte erst mal gar nichts dazu, sondern rieb nur gedankenverloren meine Narbe.
 

Sie waren weg.

Wieder einmal.

Und diesmal hatte ich den Eindruck: für immer...
 

Ich versuchte mühsam, es neutral zu betrachten. Dann war es sehr ehrenhaft, was sie das getan hatten, vor allem, wenn man es so betrachtete, wie sie es schilderten: dass sie dem ganzen Stamm die Möglichkeit geben wollten, wieder normal zu werden. Keine Opfer mehr. Keine Verwandlungen.
 

Aber da gab es auch noch den Aspekt, dass sie vielleicht einfach nur MIR entgehen wollten. So wie Rosalie. Dass ich ihnen unangenehm war, peinlich, ein stinkendes, gefährliches, kleines Anhängsel. Aber ich hatte kein Recht, ihre Entscheidung zu kritisieren. Und erst recht hatte ich keinen Einfluss darauf. Ich musste damit leben. Etwas in dieser Art hatte sich ja schon angedeutet, als Rosalie drohte, auszuziehen. Trotzdem schluckte ihr hart.
 

Zweifelnd sah ich Jacob an. „Haben wir die Chance überhaupt? Also dass wir wieder zu reinen Menschen werden?“, fragte ich heiser.

Jacob zuckte mit den Achseln und schaute wieder aufs Meer hinaus. „Ich denke schon. Es wird wohl ne ganze Weile dauern, vielleicht sogar Jahre, aber dann könnte es durchaus wirken.“

Ich nickte und starrte vor mich hin. Jahre. Ich müsste also Jahre warten, um das Tier wieder loszuwerden. Dabei störte es mich gar nicht mehr so sehr. Aber sie störte es, und zwar gewaltig. Es verhinderte, dass ich mit ihnen zusammen sein konnte, und wenn wir zusammen wären, würde es verhindern, dass ich es loswürde. Eine Zwickmühle. Ich verkrampfte die Hände und grub mir die Fingernägel in die Handflächen.
 

Dann sah ich wieder zu Jacob hinüber und stellte endlich die Frage, vor der ich mich so fürchtete.
 

„Und was ist mit Edward?“
 

Meine Stimme versagte, die letzten Worte waren nur noch ein Hauch.
 

Ob er mich auch verlassen hatte?
 

Wieder einmal?
 

Mein Hals zog sich zusammen, und ich drohte keine Luft mehr zu kriegen. Ich dachte an Sams Übungen und versuchte, die Angst zu beherrschen, die mir den Rücken hinauf kroch. Ich hatte so ein ungutes Gefühl, und Jake spannte mich dermaßen auf die Folter. Er wusste doch, was Edward gesagt hatte. Er würde bestimmt triumphieren, wenn er wieder abgehauen wäre. Dafür kam er mir einfach zu ruhig und gefasst vor…
 

„Er ist mit ihnen weg gezogen...“
 

Ich starrte ihn entsetzt an, der Boden unter meinen Füßen schien sich bereits aufzulösen, da beeilte er sich, den Satz schnell zu Ende zu bringen.

„Aber er wartet auf dich, dass du dich meldest. Er hilft ihnen nur beim Einrichten, damit ihm nicht zu langweilig wird. Sobald du dich gut genug fühlst, um ihn zu treffen, wird er wieder kommen.“

Sein Gesicht war steinern bei diesen Worten, die Lippen fest zusammen gekniffen, als er sich mir zuwandte. Es kostete ihn sichtlich Mühe, so ruhig zu bleiben.

„Er gab mir das hier.“

Und er reichte mir ausdruckslos mein Handy und das silberne Armkettchen mit dem hölzernen Wolf und dem schillernden Kristall.
 

Erleichtert atmete ich auf. Das Handy hatte ich damals in meiner Jackentasche, als ich Edward angefallen hatte, bevor ich die Jacke gesprengt hatte. Das Kettchen musste ich zerrissen haben, aber er hatte es wohl reparieren lassen, denn es lag unbeschädigt in meiner Hand.

Eilig nahm ich beides an mich. Ich hatte so lange ohne die Möglichkeiten der modernen Kommunikation gelebt, dass mir mein Handy wie ein Geschenk des Himmels vorkam. Mit ihm konnte ich Edward endlich wieder öfter und vor allem ungestört anrufen, ihm SMS schicken, ihm von meinem Leben berichten. Und das Kettchen? Ich spielte mit dem glitzernden Stein, der in der dunklen Nacht nur verhalten schimmerte, der kleine, zierliche Wolf baumelte genau gegenüber. Der Schmuck erinnerte mich an meine beiden besten Freunde, und ich betete, dass Edward es mir nicht zum Abschied überreichen hat lassen.
 

Jacob starrte meine Hände an, dann stand er wortlos auf und ging davon. Er war so blitzschnell in der Dunkelheit verschwunden, dass ich ihn nicht mehr ausmachen konnte. Sicher war es für ihn nicht gerade angenehm, Edward über den Weg gelaufen zu sein. Ich nahm an, dass er jetzt wohl lieber alleine sein wollte und länger unterwegs sein würde. Vielleicht lief er ein paar Stunden Patrouille als Wolf, das beruhigte ihn meist. Den Schlüssel hatte er im Chevy stecken lassen, und so fuhr ich langsam zurück, um mit Billy gemeinsam zu Abend zu essen.
 

Billy hatte den röhrenden Motor gehört und blickte mich fragend an, als ich ein wenig frustriert zur Türe herein kam.

"Wo ist Jake? Ist er nicht bei dir?"

Ich schüttelte den Kopf.

"Er hat Edward getroffen.", versuchte ich zu erklären, und Billy brummte nur als Antwort.

"Ich werde ihm sein Essen auf die Seite stellen."

Billy zuckte nur mit den Schultern. Ich saß wohl zwischen allen Stühlen.
 

oooOOOooo
 

Das hat Jacob jetzt gar nicht gepasst. Und dass Billy auch ein Wolf war, finde ich einfach der einzig mögliche Schluss. Es ist gefährlich, sich zu verwandeln, und es hat wirklich viele schlimme Opfer bei den Quileute gefordert. Da ist es ja eigentlich ganz gut, wenn die Cullens verschwinden. Oder was meint ihr?

Kommis erwünscht!



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Kommentare zu diesem Kapitel (7)

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Von:  Legoory
2012-01-13T18:46:44+00:00 13.01.2012 19:46
"Wächst du noch?" XD Ich hab mich weggeschmissen vor Lachen.
Hm, also die Cullens sind weg. Mal wieder. Nur Edward wird wieder kommen. Oder? Hmmmm... wie finde ich das?

Doof!

Wieder einmal ein klasse Kapitel von dir ^^
Von: abgemeldet
2010-12-19T16:41:33+00:00 19.12.2010 17:41
deine ff ist wirklich klasse!!! es ist etwas völlig neues und als ich las dass bela sich in einen wolf verwandelt war ich wirklich gespannt...

es ist wirklich klasse und läuft bis jetzt auch wirklich gut...ich bin wirklich gespannt wie das alles ausgeht...man erkennt an deinem vorgehen überhaupt nicht mit wem bella jetzt zusammenkommt...ehrlich das macht mich hier noch verrückt^^
Von: abgemeldet
2010-11-11T20:52:46+00:00 11.11.2010 21:52
Oh verdammt >_<
Eigentlich bin ich ja so gar kein Fan der Biss-Reihe, aber die FF hat es mir wirklich angetan... vor allem weil ich Edward nicht mag....Für mich glitzern Vampire einfach nicht xDDD
Also deine FF ist wirklich gut und vor allem sehr schön und anschaulich geschrieben... Es sind nur wenige grammatikalische Fehler und es liest sich auch alles sehr flüssig. Darum schreib bitte ganz ganz schnell weiter >_<

Von:  HiYasha
2010-11-09T11:50:20+00:00 09.11.2010 12:50
Hallo Lika08,

schade, dein Steckbrief ist nicht freigeschaltet, und so kann ich dir nicht direkt antworten. Ich gebe daher hier eine Antwort ab.
Also du meinst, Bella kann es Edward tierisch heimzahlen, wenn er sie wieder verlässt? Klar, könnte sie... nur will man das? Sich rächen? also wenn einer nicht will, dann sollte man ihn lieber gehen lassen... finde ich.

Und bedenke, dass ich den Band 4 komplett ersetzt habe. Renesmee gibt es nicht... sie haben bei mir eine eigene Zukunft. Und die verläuft völlig anders. Auch ist die Frage, ob es mit Edward überhaupt weiter geht.

Und Geruch und ihr Schild haben meiner Meinung nach gar nichts miteinander zu tun. Sie kann nur ihre Gedanken abblocken, drum hört sie auch keiner der Wölfe, wie sie auch Edward nicht hören kann. Wobei die Frage ist, ob das so bleibt...

Bald geht es weiter...

LG
Hi-chan
Von:  Lika08
2010-11-08T23:31:13+00:00 09.11.2010 00:31
hi
also ich hoffe echt das Edward sie kein zweites mal im Stich lässt..!!
das wäre echt.... ich weiß auch nicht.. unverantwortlich??? Ich mein HALLO sie kann sich in einen Wolf verwandeln, sie zur not suchen und aufspüren und dann was weiß ich mit ihnen in ihrer wut anstellen!!? Oder etwa nicht???
Ich weiß eine schwierige Situation für alle miteinander aber ich hoffe echt das jeder sein Glück findet... Ist ja nicht so das Bella nicht schwanger werden kann als Wolf, gut okay Renesmee wäre dann nicht nur halb Vampir halb Mensch sondern auch noch ein Teil Wolf aber das macht es doch für Jacob noch angenehmer...??
Außerdem find ich es irgendwie schade das Bella für die Cullens und die Cullens für Bella nicht gleich im Geruch geblieben sind... Das hätte mann doch irgendwie mit ihrem Schild in verbindung bringen können, die Wölfe hören sie deshalb doch auch nicht..!!!
Ansonsten eine tolle Geschichte und ich freue mich auf mehr sowie auf en Happy End ;)
LG LiKa
Von: abgemeldet
2010-11-08T08:07:58+00:00 08.11.2010 09:07
das ist ja wieder typisch, das die cullens einfach so verschwinden, ohne sich zu verabschieden.. sie hätten doch auch persönlich anrufen können..

hhm bin schon gespannt wie es weiter geht :-)
Von:  eilatan89
2010-11-08T02:52:17+00:00 08.11.2010 03:52
oh ja ich mag diese geschichte auch, ich sehe diese geschichte als gegenstück der echten geschichte und hoffe das es schnell weiter geht.

gruß eilatan89
Von:  saso2
2010-11-07T14:12:03+00:00 07.11.2010 15:12
oh man du bist einfach klasse ich liebe diese geschichte einfach ^^
na ja scheib schnell weiter.


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