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My Personal Angel

Wonderful Life
von

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Szene Two: Underground

Sie hatte den Kopf gegen die kühle Scheibe gelehnt. Außen blitzte in regelmäßigen Abständen die Beleuchtung des Tunnels auf, blendete immer kurzzeitig, ehe wieder knappe Dunkelheit folgte. Fast wie ein unbeachteter Morsecode. Stumm beobachtete sie ihn mithilfe seines Spiegelbildes. Lange hatte es gedauert ihn zu überreden mit ihr mit zu kommen. Er hatte immer nur gesagt er wolle alleine sein, keine Gesellschaft, sie kannte ihn doch eh nicht also wäre es doch egal, was er tat. Aber das war es nicht. Das war es einfach nicht.

Die Bahn war ungewöhnlich leer für einen Samstagabend. Auch, oder gerade weil, es bereits auf 12 Uhr nachts zu ging. Im normal Fall nutzten viel mehr Leute die U-Bahn. Meist war es so brechend voll, dass man kaum Platz zum Stehen fand, geschweige denn zum Sitzen. Aber heute? Hinter ihm saß ein Jugendlicher mit Musik in den Ohren, die Kappe mit den Buttons tief ins Gesicht gezogen, hinter ihr eine ältere Frau und in der Sitzgruppe neben ihnen ein untersetzter Mann mittleren Alters der nur aus dem Fenster sah und in die von Leuchtstoffröhren erhellte Finsternis starrte.

Schwer seufzte sie, schlang die Arme um sich und schloss kurz die Augen. Der fehlende Regenschirm und das lange Stehen auf der Brücke hatten dafür gesorgt, dass sich das Wasser vollständig durch den dünnen, nicht für dieses Wetter geeigneten Mantel gefressen hatte und sie jetzt erbärmlich fror. Nun gut. Ihm ging es wahrscheinlich auch nicht besser.

„Tut mir leid.“ Diese unerwartete Unterbrechung der Stille ließ sie leicht zusammenfahren und sie sah auf. „Tut mir leid“, wiederholte er murmelnd. „Das Alles.“ Er machte eine müde Handbewegung, ließ den Arm dann wieder sinken. „Der ganze Ärger.“ Sie nickte nur, setzte sich anders hin. Müde fuhr er sich über das Gesicht, blickte wieder aus dem Fenster, auch wenn es nichts zu sehen gab. Aber sie hatte das Gefühl, dass er selbst dann nichts von dem draußen wahrgenommen hätte, wäre keine dunkle, kahle Wand auf der anderen Seite des Glases, sondern eine blühende Wiesenlandschaft.

„Wie heißt du?“, fragte sie schließlich, da er sich wieder dazu entschieden hat, zu schweigen. Sie verzichtete auf jegliche Höfflichkeitsfloskeln, sparte sich das Sie. Du war persönlicher. Und vielleicht schaffte es ja auch ein Stück weit eine Vertrauensbasis. Außerdem hoffte sie, dass er so offener zu ihr war. Immerhin musste er es nicht. Sie war immer noch eine vollkommen Fremde für ihn wie er für sie.

Er wendete erst den Kopf, dann den Blick zu ihr, antwortete allerdings nicht sofort, also fragte sie noch einmal nach. „Simon“, entgegnete er dann, leise. Diesmal sah er nicht wieder weg, sondern weiter sie an, wartete darauf, dass sie sprach.

„Ich bin Illundrial“, stellte sie sich dann selbst vor, lächelte kurz, etwas verlegen, strich sich das Haar wieder hinters Ohr. „Naja, die meisten sagen Illu. Ist einfacher. Und kürzer“, fuhr sie dann fort.

„Das ist ...“, begann er, wurde von ihr unterbrochen.

„Ein komischer Name, ich weiß“, zuckte sie mit den Schultern. „Kann ich leider nichts gegen machen.“

„Ich wollte eigentlich sagen ungewöhnlich und ein schöner Name“, führte Simon seinen Gedanken zu Ende, ehe sein Blick wieder aus dem Fenster wanderte, erneutes Schweigen sich erdrückend über sie legte. Erneut war sie es, die zu erst das Wort ergriff.

„Warum warst du dort, Simon?“, fragte sie vorsichtig, behielt ihn dabei genau im Auge, doch er blieb ihr die Antwort schuldig, regte sich nicht. „So etwas macht man nicht ohne Grund. Man will nicht einfach so von der Brücke springen.“ Da er immer noch nichts sagte, nahm sie an, dass er es einer Fremden nicht erzählen wollte. Es war immerhin sein gutes Recht. Auch wenn es sie traurig machte, die Sorge um ihn nur stieg.

Simon lehnte die Stirn an das kalte Glas, schloss die Augen, atmete zitternd tief durch. Leise fluchte er, wischte sich mit dem Handrücken über die Augen. Einmal. Zweimal. Doch es half einfach nicht, hielt die Tränen nicht zurück, konnte sie auch nicht verstecken. Letztendlich vergrub er das Gesicht in seinen Händen, zitterte, schluchzte verhalten auf. Sie wollte etwas sagen, setzte dazu an, blieb dann doch still. Wie sollte sie jetzt auch die richtigen Worte finden? Stattdessen ließ sie sich nun auf dem Platz neben ihm nieder, nahm ihn in den Arm, wie sie es einige Zeit zuvor auf der Brücke getan hatte, hielt seinen bebenden Körper, lehnte mit geschlossenen Augen ihre Stirn an seine Schulter. Monotones Rattern und Klappern begleitete sie. Gewöhnliche Geräusche, die man Tag täglich hörte und nie wirklich wahrnahm. Jetzt klang es wie lauter Baustellenlärm an einem verkaterten Morgen. Viel zu laut, störend, schmerzhaft.
 

Die U-Bahn war ein guter Vergleich mit dem Leben. Gradlinig zog sie ihre Bahn, folgte vorbestimmten Wegen an ihren Weichen, blieb ab und an stehen. Neue Leute kamen dazu, alte gingen. Aber alles in allem blieb alles gleich. Zumindest solange nichts passierte, was den Zug erschütterte, ihn aus seiner Spur brachte, ihn niederriss und zerstörte. Simons Leben war keine solche gerade Linie mehr. Seine Strecke führte über einen bodenlosen Abgrund und die einzige Brücke darüber war zerschmettert worden. Er musste es ihr nicht einmal sagen. Sie wusste es auch so. Sein Verhalten, ihr Treffpunkt, dass er jetzt in ihren Armen lag, weinte, reichte aus um es zu wissen. Und es interessierte sie nicht, dass sie eben die Haltestelle verpasst hatten. Die Bahn würde wieder hier halten. Immer und immer und immer wieder.

Lange saßen sie so da. Die alte Frau, der Mann und der Jugendliche waren schon lange ausgestiegen. Illundrial hob ihren Blick, sah sich um und entdeckte niemanden mehr in der Bahn. Sie waren ganz allein. Als gäbe es auf der Welt nur noch sie beide und einen vorbestimmten Weg, den noch keiner von ihnen kannte. Aber wollten sie das überhaupt noch? Einem Pfad folgen, von dem sie nicht wussten, wo er sie hinführte, der sie mit größter Wahrscheinlichkeit wieder in so eine Situation brachte. Oder für ein sorgloses, langweiliges, behütetes Leben sorgte. Aber ein Leben leben, das von etwas anderem bestimmt war?

Die Anzeigetafel verkündete, dass der nächste Halt die Temple Station war. Die Zeit war ihr gar nicht solange vorgekommen. Schließlich dauerte es mehr als eine Stunde, ehe man auf dieser Strecke einmal im Kreis gefahren und erneut an denselben Stationen vorbei kam.

„Wir müssen hier aussteigen“, stellte sie fest, nahm seine Hand und erhob sich. Simon sah zu ihr auf mit einer Art Verwunderung. Als hätte er eher erwartet, dass sie alleine ging. Aber sie hatte ihm versprochen, ihn nicht alleine zu lassen. Daher zog sie ihn einfach mit, bevor er etwas entgegnen konnte und ihr womöglich riet, doch besser alleine zu gehen, weil er sich nicht aufdrängen wollte. Doch er sagte nichts, kam einfach widerstandslos mit.

Einsam und verloren lag der Bahnsteig vor ihnen, als sie ausstiegen und die Türen sich hinter ihnen wieder schlossen. Die gesamte Station war leer bis auf ein, zwei Obdachlose, die sich hier ein trockenes Lager für die Nacht bereitet hatten. Zumindest solange bis ein zuständiger Sicherheitsbeamter sie finden und des Platzes verweisen würde, wieder zurück in den Regen. Simon und sie würden sich selbst auch wieder dem Wetter aussetzen müssen. Nur hatte sie bei aller Aufregung vergessen, ihren Schirm wieder aufzuheben und mitzunehmen.

„Es ist nicht mehr weit“, erklärte sie, als sie oben ankamen. Das Wetter hatte sich nicht verändert. Immer noch schlug das Wasser schwer auf den Boden, wäre auch ebenso gnadenlos zu ihnen, wenn sie hindurchgingen. Simon nickte nur, als sie zu ihm sah. Immer noch hielt sie seine Hand. Vielleicht um ihn nicht hinter sich in der Leere zu verlieren, vielleicht damit er es nicht selbst tat. Oder einfach nur um ihn fest zu halten. Nachdenklich blickte sie ihn an, ehe sie die Arme um sich schlang, da sich die Kälte wieder durch ihren nassen Mantel fraß. „Du hast es mir meine Frage nicht beantwortet“, sagte sie dann leise und er starrte zu Boden.

„Ist es wichtig?“, fragte er dann leise nach, schloss die Augen, atmete tief durch. Er wusste es selbst, auch was sie antworten würde. Doch er fand nicht die richtigen Worte, fuhr sich mit zitternden Händen über das Gesicht, sah sie wieder an. Er musste nicht viel sagen. Sie würde es auch so verstehen. „Meine ...“, begann er, stockte kurz, seufzte schwer. „Es gab einen Unfall und ...“ Wieder verstummte er. Sprach diesmal nicht weiter. Sie ermunterte ihn nicht dazu sondern legte ihm die Hand auf den Arm.

„Komm“, forderte sie ihn sanft auf. „Zu mir ist es nicht mehr weit.“ Sie schenkte ihm ein aufmunterndes, verständliches Lächeln, als er sie ansah, umfasste dann erneut seine Hand. „Lass uns gehen.“



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