Vom Sterben und Scheitern
Es war ein regnerischer Tag. Aber wenn ich heute zurückdenke, habe ich das Gefühl, an diesem Tag habe die Sonne geschienen.
Ich weiß nicht recht, warum ich mit diesem Tag – dem Tag an dem der größte Teil meines Ichs brach - die stahlende Wärme der Sonne assoziiere. Vielleicht weil ich glaube, dass die Sonne hätte scheinen müssen, um der traurigen Nachricht etwas Bitteres anhaften zu lassen, sie irgendwie in den Dreck zu ziehen. Sie lächerlich wirken zu lassen, bedeutungslos. Sie hätte mir zeigen sollen wie idiotisch es ist zu weinen, wie dumm und kindisch. Hätte mir zeigen sollen, dass es weiter geht, dass sie trotzdem scheint, auch wenn die Seele sich in der Dunkelheit für immer verirrt. Dass es deswegen noch lange nicht vorbei ist. Dass es gar nicht auffällt, wenn ein Mensch stirbt.
Und ja, ich hätte damit leben können, wenn an diesem verdammten Tag die Sonne geschienen hätte, weil ich dann gewusst hätte, wie wertlos wir alle sind. Weil ich dann in meiner Annahme bestätigt worden wäre. Weil ich dann gewusst hätte, dass weder ich das Interesse dieser Welt wecke, noch irgendjemand sonst!
Aber an diesem Tag schien nicht die Sonne.
Es regnete. Der Himmel schüttete literweise Wassertropfen auf das Dach unseres Autos. Auf die Windschutzscheibe. Auf den Lack. Auf die glühenden Scheinwerfer. Nur nicht auf mich.
Als würde der Himmel das weinen, was ich in diesem Moment weinen wollte, aber nicht imstande war zu weinen, weil der Schock des Gesagten alles lähmte. Als würde ein Teil von mir unwiederbringlich meinen Körper verlassen, hinaufsteigen zu den Wolken und von dort aus den Sturzbach aus Tränen regnen zu lassen. Um meinen Part zu übernehmen.
Und dann, gerade als ich dachte, ich würde nie wieder weinen können, blinzelte ich. Die erste und einzige Träne an diesem Tag, und in den Jahren danach, kullerte langsam meine Wange hinab. Ich blieb stumm. Verlor nicht einen Laut. Kein Schluchzen, kein Wimmern. Da war nur das Trommeln des Regens, der nicht nur für mich zu weinen, sondern auch zu schreien schien.
Eigentlich wusste ich schon, dass er tot war, noch bevor es ausgesprochen wurde. Noch bevor ich in das Auto gestiegen war. Noch bevor es all die anderen wussten. Die Gewissheit war da gewesen, von Anfang an. Die Nachricht, überbracht von einem unsichtbaren Boten. Tief in meinem Inneren war ich mir schon eine ganze Weile sicher gewesen. Und dennoch war es ein heftiger Schlag, es aus dem Mund eines anderen zu hören. Denn mein Gefühl hätte mich trügen können – und ich hatte mir nichts mehr gewünscht, als dass es mich trügt. Aber als der alles vernichtende Satz ausgesprochen wurde, da gab es keine Zweifel mehr.
In nur einer Sekunde verlor die Welt ihr Gesicht.
Und ich den Bezug zur Welt.
Vielleicht war das der Anfang von meinem Ende. Vielleicht war dieser Tag der Grund für mein späteres Scheitern.