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Jason Scraps "Schlabbermaul"

Der Roboter Jason Scrap hatte schon immer das Gefühl, seine Intelligenz wäre sein Verhängnis. Sie war präsent, immer. Er konnte sie nicht abschalten, niemals. Und genau das war sein großes Problem. Ganz egal, was er tat, er konnte nichts  tun, ohne eine Reihe von Berechnungen anzustellen, diverse Möglichkeiten in Betracht zu ziehen, einige davon auszuschließen und neue zu erarbeiten. Er war wie ein Hochleistungsrechner, nur besser.

Heute war es wieder soweit, dass er an dieser Bürde zerbrach, an dem, was andere so gern hätten. An dem, was sie alle so sehr wünschten.

Scrap war zu schlau für diese Welt, zu gut informiert und viel zu gut organisiert. Eigentlich fristete er sein Dasein als Privatdetektiv. Früher hatte er sich mal erhofft, das wäre es, was seine überragende Intelligenz fordern würde. Und tatsächlich hatte es den einen oder anderen Fall in seinem Leben gegeben, der ihn bis an seine Grenzen geführt hatte. Aber das war lange her. Heutzutage gab es keine derart verzwickten Aufträge mehr, sondern nur sinnlosen und langweiligen Müll, den es zu bearbeiten galt.

Deshalb war er genervt, gelangweilt und übertrieben patzig, als er seinem neuen Klienten, der ihm gegenüber saß, verkündete, er würde seinen Fall nicht bearbeiten. »Ich werde mich nicht um Ihren Schrott kümmern, vergessen Sie’s! Ich bin Privatdetektiv, Sie Schlabbermaul, kein Schrotthändler!«

Da hatte ihm der Mann doch tatsächlich den Auftrag gegeben, seinen Vorgarten von Schrottteilen zu befreien, unter denen angeblich die Leiche seines Nachbarn lag. Scrap war klar, dass der Herr nur eine billige Ausrede anbrachte, um endlich seinen Garten wieder sauber zu haben. Und wer war da besser geeignet, als das Genie Jason Scrap?

Der fleischige Trottel, aus dessen Mundwinkel stetig Speichel lief, war ärgerlich. Sein dicker Bauch schwabbelte auf und ab, als der Mann aufgeregt und wütend auf seinem Stuhl herumrutschte. »Wissen Sie was?«, fragte er mit zusammengebissenen Zähnen. »Ich lasse mich nicht von einer Maschine beleidigen!«

»Na dann können Sie ja gehen«, meinte Scrap, der ein amüsiertes Lächeln auf den Lippen trug und ein besonders freundliches »Tschüssi!« hinterher setzte.

Der Dicke stand empört auf, lief zweimal das Büro auf und ab, blieb dann stehen und sagte: »Mein Nachbar ist verschwunden, ist Ihnen das eigentlich bewusst?«

»Natürlich. Und es langweilt mich. Ist Ihnen das eigentlich bewusst?«

Ein wütendes Schnauben erklang und Scrap fürchtete schon, Schlabbermaul habe seine Spucke im ganzen Raum verteilt. Wenn er später allein war, nahm er sich vor, würde er sein Büro vollständig reinigen und desinfizieren lassen.

»Mein Nachbar war ein freundlicher älterer Herr, dem ich immer morgens das Essen brachte. Ich habe ihn immer bombenmäßig gemocht

Scrap entfuhr ein Lachen. Der Dicke war der reinste Witz. »Bombenmäßig?«, kicherte der Roboter und musste sich an den Stuhllehnen festhalten, um nicht in seinem Lachanfall zu Boden zu fallen. »Sie sind ja ein richtiger fesher Babo!«

Jetzt wurde Schlabbermaul erst richtig böse. Mit einer immensen Kraft schlug er mit beiden Fäusten auf den Schreibtisch, sodass Scraps Öl-Kaffee mitsamt der Tasse in die Luft flog und sich über die gesamten Unterlagen ergoss. Der Kaffee lief über Papier, über seine externen Festplatten, seine Micro-Chips – über sein ganzes, erbärmliches Leben.

Egal, dachte Scrap, den Scheiß hatte ich ja eh aussortiert.

»Und jetzt hören Sie mir mal zu!«, schrie der Dicke nun und beugte sich über den Schreibtisch, so nah an Scrap heran, dass er ihm mit jedem Wort seine Sabber ins Gesicht schleuderte. »Vor drei Tagen verschwand mein Nachbar ohne jede Spur. Seine Wohnung ist leer, ich habe nachgesehen. Dann steht gestern plötzlich ein Grabgesteck vor seiner Tür auf dem steht: Im stillen Gedenken an Horst Wallbach. Das ist sein Name. Und heute finde ich den Schrotthaufen in meinem Vorgarten und diesen Brief hier.«

Er übergab dem vollgespuckten Scrap, der sich gerade das Gesicht mit einem Taschentusch abwischte, das Kuvert. Scrap besah es sich: Unauffällig, weiß, schnöde, langweilig. Dann öffnete er es und las das, was in schnörkeliger Schrift auf dem grellweißen Papier geschrieben stand: »Die mechanische Kutsche bremst. Aber nicht für jeden.«

Langweilig!, dachte Scrap und gab den Brief zurück. Dann beschloss er: »Na gut, ich kümmere mich darum. Schreiben Sie mir nur schnell Ihre Adresse auf.«

Er schob einen Zettel über den Tisch. Als dieser bei Schlabbermaul ankam, war er mit Öl-Kaffee getränkt, doch das war nicht wichtig. Für Scraps vorhaben würde er auch in diesem Zustand genügen.

Der Dicke nahm einen Kugelschreiber aus der Stiftbox, die seinen Wutausbruch unbeschadet überstanden hatte und begann zu schreiben.

Für den Detektiv war es ein leichtes, etwas, das nur einen Bruchteil seines Könnens erforderte. In seinem Kopf ratterte es kurz und schon hatte er, wonach er gesucht hatte: Die Übereinstimmung.

Der Roboter erhob sich. Jetzt war er es, in dem es zu lodern begonnen hatte. Er baute sich vor seinem Klienten auf, machte sich größer, als er war und schrie seinem Gegenüber ins Ohr: »Verpissen Sie sich!«

Dem Dicken entglitten die Gesichtszüge. Er wusste nicht wie ihm geschah, als Scrap ihm in den gepolsterten Bauch trat und ihn somit zur Tür hinaus schleuderte.

»Für wie dämlich halten Sie mich? Sie haben den Brief selbst geschrieben. Sie dachten wohl, ich hätte keine Software dafür, um Handschriften zu vergleichen, was? Suchen Sie sich jemand anders, der Ihren Schrott wegräumt!« Mit diesen Worten warf Scrap die Bürotür zu und schloss sie ab.

Dann setzte er sich wieder auf den Stuhl und lehnte sich zurück. Schloss die Augen. Wie satt er es hatte, von aller Welt als Idiot wahrgenommen zu werden. Er war das Beste, was diese Welt zu bieten hatte. Er war perfekt, fehlerfrei, genial. Und niemand wusste das zu würdigen.

Plötzlich leuchtete ein rotes Warnsignal vor seinen Augen auf.

»Schrift-Vergleichs-Software nicht auf dem neusten Stand. Update wird heruntergeladen.«

Als das Update installiert war, verfluchte er sich selbst dafür, dass er so ein unausstehlicher Mistkerl war. Seinem System war ein Fehler unterlaufen. Und ihm unterliefen nie Fehler!

Der Brief war nicht von dem Dicken verfasst worden, mit dem er es sich soeben versaut hatte.

Die Schrift, in der der Brief geschrieben war, gehörte jemandem, den er gut kannte. Jemandem, den er besser kannte, als alle anderen.

Verblüfft und ratlos, starrte er auf das neue Ergebnis der Analyse. Das konnte nicht sein. Das war einfach unmöglich!

Er wiederholte den Test, zweimal, dreimal, aber das Ergebnis blieb das Selbe. Seine Berechnungen waren richtig, absolut richtig.

Es war seine Schrift. Die Schrift von Jason Scrap, dem Roboter, der zum ersten Mal in seinem Leben einen Anflug von Angst verspürte.



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von: abgemeldet
2014-01-10T14:14:45+00:00 10.01.2014 15:14
~ Kommentarfieber ~

Guten Tag,
es ist schon lange her, dass ich hier etwas gelesen habe. Aber der Name Jason Scraps kommt mir sofort wieder bekannt vor. ^^ Roboter mag ich ja eigentlich, also bin ich sofort neugierig geworden, was es Neues gibt.

Es liest sich sehr amüsant, wenn ein fleischiger Trottel und ein Roboter sich zanken. Dem Detektiv ist ja beinahe so langweilig wie Sherlock. ;)
Für Scraps vorhaben würde er auch in diesem Zustand genügen. -> Vorhaben (groß geschrieben)

Ha! Das ist mal ein überraschendes Ende. Wann geht es weiter?

Also an diesem Text finde ich nichts weiter zu bemängeln. Technisch und stilistisch ist hier alles im grünen Bereich. Zudem geriet ich beinahe sofort in den Lesefluss und fühlte mich wunderbar unterhalten. Scraps ist sympathisch, auf seine Weise, was ihn interessant macht. Mal abgesehen davon, dass er ein Roboter ist. Und soviele Emotionen hat, wie sonst kaum ein Charakter.
Das kleine Duell mit dem Dicken fand ich lustig. Vor allem, weil er sich damit selbst in die Pfanne gehauen hat.

Was bleibt mir zu sagen? Hier komme ich gerne mal wieder vorbei, um etwas zu lesen.

Liebe Schreibziehergrüße,
abgemeldet
Von:  sunshishi
2014-01-04T17:06:45+00:00 04.01.2014 18:06
Ui, zum Ende hin wird es ja richtig spannend^^
Jetzt würde mich ja echt mal interessieren, wie das passiert ist, ohne dass Scrap etwas davon weiß.
Egal, ich hoffe, das kommt irgendwann noch^^
Die drei ausgewählten Sätze: Hast sie gut umgeschrieben - war sicher nicht einfach.

LG
SuShi
Antwort von:  TommyGunArts
05.01.2014 18:35
:D Ja, wird wohl eine Fortsetzung geben müssen^^
Und ehrlich gesagt fand ich die Monatsaufgabe alles andere als einfach. Ziemlich schwer sogar. Aber gerade deswegen wollte ich mich dran versuchen^^
Danke für deinen Kommentar :)


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