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Kaizoku no Baroque

II. Der salzige Wind der See
von

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Tara Lim - Das Mädchen und der Offizier

...Wie es zu diesem Vorfall kam ist noch ungeklärt. Laut der Bürgerinitiative Hayus stehen weitere Untersuchungen noch aus, da bisher keine der Zeugenaussagen zu einem Ergebnis führten. Der Schaden, so seine Schwester Jelena G., sei durch das Opfer selbst verursacht worden. Man wollte uns den Namen der Teufelsfrucht involviert jedoch nicht nennen. Ein Sprecher des Theaterkahns übermittelte uns außerdem, dass Shishibukai Sir Crocodile, der zur Zeit in unseren Gewässern segelt, gesehen worden sei. Allerdings liegen keine Beweise oder sonstige Hinweise auf dessen Beteiligung an dieser Tragödie vor. Die Bitte um ein Interview wurde vehement abgelehnt. Ob es zu einem Kampf kam oder was die Gründe dafür gewesen sein könnten, soll ermittelt werden. Noch bis nächste Woche laufen die Aufräumarbeiten und die Beerdigung Lycra G.s soll laut seiner Hinterbliebenen am kommenden Sonntag im hiesigen Bestattungszentrum stattfinden. Mit großer Trauer blicken wir auf den Verlust eines großartigen Schauspielers und sein episches und rätselhaftes Ableben....
 

»Hier ist Ihr Tee kleine Miss.«

Sie sah kaum auf, als die Kellnerin ihr die Tasse auf den Tisch stellte und unter einem Grinsen wieder davon raschelte, um weitere Bestellungen in ihrem Café aufzunehmen. Eigentlich war es viel zu warm für Tee, aber das Mädchen kümmerte es nicht. Erst recht, als ihr der angenehme Geruch der Teeblätter in die Nase stieg und den Krampf in ihren angespannten Muskeln zu lösen begann. Seufzend legte sie die Zeitung zur Seite und goss sich etwas von dem heißen Wasser aus der Kanne über die Blätter und verfolgte andächtig, wie die kleinen Dampfwölkchen in den klaren, blauen Himmel aufstiegen.

Das Rauschen der Unterhaltungen, das Geschnatter und Getratsche bekam sie ebenso wenig mit wie das Marktgeschrei und die Händler, die umherzogen und ihre Ware an den nächstbesten Tölpel verschachern wollten. Irokos Blick richtete sich nur auf das Wesentliche. In diesem Fall war das nun die zweite Zeitung, die sie schon seit ein paar Wochen mit sich herum trug. Sie war bereits etwas zerfleddert, abgenutzt, als hätten hundert Leute sie hunderte Male gelesen. Und eigentlich stimmte das auch. Etliche Male hatte das Mädchen das Papier in der Hand gehabt, es mit ihrem Schweiß aufgerieben und die Fasern immer weiter zerstört. Aber sie konnte sich nicht davon abbringen wieder und wieder diese eine Nachricht zu lesen. Die Nachricht über ihren Tod. Etwas zittrig nahm sie nun die Zeitung in die Hände und klappte die Seite auf, die ihr beim ersten Anblick bereits das Blut zu Eis gefroren hatte. Es war die Schlagzeile von vor über zwei Monaten gewesen. Auf der Seite war ein großes Bild von einem kleinen Mädchen abgebildet; große, traurige Augen, kurzes, schwarzes Haar.

Darunter ein Bildtitel: Nico Robin, letzter Teufel von Ohara gefasst.

Nicht zum ersten Mal beim Lesen stockte Iroko der Atem. Sie hatte ihre Tee bereits wieder vergessen.

In der Nacht vom 31. März auf den 1. April verzeichnete Oberst Masala von der quomischen Flotte, dass Sir Crocodile, Shishibukai der Regierung, Nico Robin gefasst habe. Nach mehr als zwanzig Jahren der Suche war es der Marine endlich gelungen die Straftäterin festzunehmen. Doch bei der Übergabe ereignete sich ein Unfall. Offizier Esche, seitdem aus dem Dienst suspendiert, sorgte für das Überbordgehen der Gefangenen, was in deren Tod resultierte. Es wurde übermittelt, dass keine Rettungsmaßnahmen eingeleitet werden konnten durch den hohen Gefahrenfaktor durch Haisichtungen...

Iroko stockte erneut, übersprang ein paar Zeilen und las dann weiter.

...Sir Crocodile bestand überdies auf seinen Lohn. Bisher wurde nicht bekannt gegeben, ob ihm die gesamten 79 Millionen Belly zugestanden werden oder nicht. Auf die Frage hin, ob es ein Trick gewesen sei, antwortete Admiral Ao Kiji in einem Interview mit der Presse: „Ich habe nachgeschaut. Sie liegt am Grund des Meeres.“ Die Marine bestätigte dies. „Nico Robin ist passé.“
 

Als sie bemerkte, dass ihre Hände zitterten, legte sie diese Zeitung auf den Stapel. An diesem Vormittag hatte sie sich bereits einige neue und alte Ausgaben zu Gemüte geführt und neben dem Schmerz, den sie heimlich verspürte und der Irritation ratterte ihr analytischer Verstand auf Hochtouren. Eigentlich waren ihr die Schlagzeilen egal und sie las sonst auch nur Berichte, in denen ihre Namen vorkamen. Sir Crocodile und Nico Robin. Nur deswegen hatte sie diesen Artikel über Hayu überhaupt gelesen. Doch bei diesem Namen... Lycra ...hatte sich etwas in ihr geregt. Wie eine uralte Erinnerung, die nicht zu ihr gehörte. Es hatte sie sofort an Kokoroshima erinnert und an die Tatsache, das ein Stück von Robin noch immer in ihr steckte, immer stecken würde. Es war Robins Anteil in ihrer Erinnerung, der diesen Namen wiedererkannte, da war sich das Mädchen sicher. Woher auch sonst hätte diese spontane Abneigung herrühren sollen? Der Tod dieses Mannes besänftigte das Biest in ihrer Brust. Und es überraschte sie gar nicht, dass man Crocodile am Ort des Geschehens gesehen hatte. Die Tatsache, dass Robin angeblich tot war, war wie ein Witz. Noch mehr so, als sie gelesen hatte, dass Crocodile sie augenscheinlich ausgeliefert hatte. Ein Witz. Dennoch... etwas stimmte an dieser Geschichte nicht. Irgendetwas brachte sie immer wieder dazu zu zittern sobald sie die Zeitung nur ansah. „Nico Robin ist passé.“ Die Marine hatte einen derartig schlechten Humor, das ihr bald schlecht wurde.

Mit starrer Miene lehnte sie sich in ihrem Stuhl zurück und schlürfte an ihrem Tee, schloss dabei die Augen und versuchte ihre Umgebung auszublenden. Sie mochte Tara-Lim nicht besonders. Es war ihr zu voll, zu laut, zu überheblich, aber Iroko mochte selten eine Insel und deren Bewohner. Ganz besonders nachdem sie ihre Crew verlassen hatte, war ihr nichts mehr wirklich gut vorgekommen. Sie hatte erst nicht vorgehabt Toshi-o-Toru jemals wieder zu verlassen und nun saß sie hier und überlegte sich wo sie als nächstes hinreisen sollte. Vielleicht sollte sie Sierra fragen, aber der gab ihr nie eine wirklich zufrieden stellende Antwort. Unwillkürlich strich sie über das Amulett, das sie auf Omoide an sich genommen hatte und seit ein paar Wochen um den Hals trug. Es war immer angenehm warm und ließ ihre Fingerspitzen leicht kribbeln, wenn sie es berührte. Sierra war auch der Grund, warum sie auf Tara-Lim war.

Nun nicht konkret diese Insel. Nach dem Tod ihres Vaters, nachdem Baroque Works aus ihrem Leben verschwunden war, hatte dem Mädchen ein Ziel gefehlt und noch immer dümpelte sie halb blind in den Scherben ihres Lebens herum. Aber ihr war aufgefallen, das Sierra hunderte Jahre auf einer Insel hatte zubringen müssen und irgendwie erging es ihm doch wieder genauso, wenn sie als Trägerin seines Amuletts auf ihrer Heimatinsel vergammelte. Außerdem war ihr Großvater ihr bereits nach wenigen Tagen wieder auf die Nerven gegangen. In vielen Punkten waren er und Ossan sich unheimlich ähnlich. Vielleicht hatte sie Ossan auch deswegen immer genauso behandelt. Sie runzelte die Stirn. Was der Affe wohl gerade trieb? Vermutlich sprang er über irgendwelche alten Leute auf Kawari-ori und erzählte von seinen Heldentaten. Ohne, dass sie es bemerkte, stahl sich ein kleines Lächeln auf ihre Mundwinkel. Der Spinner.

An diesem Tag zeigte sich Tara-Lim von seiner besten Seite. Die Insel war belebt, fröhlich, touristenfreundlich. Dabei war sie nicht die erste Insel gewesen, die sie nach Toshi-o-Toru angesteuert hatte. Zuvor war sie ein letztes Mal nach Arabasta zurückgekehrt. Heimlich, um Sierra zu zeigen, wie falsch er mit seiner Einschätzung über sie lag. Sie war kein liebes Mädchen, hatte kein reines Herz oder sonst ein Unfug. Sie hatte kaltblütig dazu beigetragen, dass Arabasta zerfiel. Zwar leistete dessen Königin hervorragende Arbeit und nach vielen Monaten war in weiten Teilen des Landes wieder Regen gefallen, aber das änderte schließlich nichts am Tod des Königs, am verlorenen Vertrauen des Volkes gegenüber seinen Herrschern oder an all den verlorenen Seelen. Und es ließ das kleine Mädchen kalt. Genauso, wie sie es damals kalt gelassen hatte, als Robin sie eingestellt hatte. Doch Sierra hatte sich nicht weiter dazu geäußert, hatte lediglich das Land, seine Menschen in sich aufgesaugt, jede noch so kleine Information aufgenommen wie ein Schwamm.

Gott, er war richtig scharf auf Neues. Vor allem schien es ihm zu gefallen, wenn sie redete und ihm erzählte, was passiert war, wenn sie ihm Dinge über Arabasta erklärte oder über die anderen Inseln, die sie seit dem besucht hatten. Sie blieben nie sonderlich lange. Aus irgendeinem Grund zog es das Mädchen immer wieder sehr schnell auf das Meer zurück. Sie konnte es gar nicht lange auf einer Insel ertragen, doch sobald sie auf dem Meer war, wollte sie zurück auf eine Insel. Schon öfter hatte sie versucht zu verstehen, was eigentlich mit ihr nicht in Ordnung war. Etwas fehlte, etwas ließ sie immer sehnsüchtig auf die Zukunft hoffen, obwohl sie doch wusste, dass dort nichts war. Ihr Ziel? Vielleicht wollte sie Sierra helfen das zu finden, was ihn vom Tod abgehalten hatte. Oft spielte er seine Musik für sie, sang ihr etwas vor und noch öfter schlief sie dabei ein, schlief, träumte traumlos. Sie hörte es in seiner Stimme, wie ein Wunsch nach Erlösung und gleichzeitige Dankbarkeit. Das waren die wenigen Momente, in denen sie seine Stimme hörte.

Er redete nicht viel, schien lieber zuhören zu wollen, dabei war sie selbst kein großer Redner. Er regte das Bedürfnis in ihr sich mitzuteilen, etwas von sich selbst mit ihm zu teilen und da sie nicht wusste wieso das so war, irritierte es sie noch mehr. Seit er bei ihr war, fühlte sie sich nicht mehr so allein, nicht mehr so hilflos und zerbrechlich. Jemand sah immer zu ihr, jemand wachte über sie. Sie war bei Gott keines von den Kindern, die das nötig hatten, aber es war dennoch seltsam beruhigend. Für ihre Seele. Deswegen tat sie das für ihn. Deswegen reiste sie umher, von Schiff zu Schiff, von Insel zu Insel, um ihm etwas von dieser Welt zu zeigen. Vielleicht konnte das den Schmerz seines Daseins etwas Linderung verschaffen. Und vielleicht... vielleicht linderte es ihren eigenen auch ein bisschen.
 

Eine leichte, lauwarme Brise wehte ihr um die Nase und trieb salzige Meeresluft in ihre Lunge. Die Temperaturen waren so angenehm, wie ein Tag im Monat Mai. Tara Lim war ebenso wie Toshi-o-toru eine Frühlingsinsel, doch der Regen wich hier viel öfter mildem Sonnenschein. Und genauso waren seine Bewohner. Nichts deutete auf Piraten oder Tagelöhner hin, es gab keine leerstehenden oder abgewrackten Häuser. Tara Lim, "die Blüte der Sonne", war eine reiche Handelsstadt, von einem Königspaar regiert. Marine gab es hier weit und breit nicht und dafür gab es auch keinen Grund. Das stehende Heer mitsamt seiner großen Flotte hatte über die Jahre hinweg die Gewässer sicher gemacht, der König hatte die Hoheitsgewässer annektiert und den Schutz unter seine eigene Kontrolle gestellt. Es war friedlich und ruhig, die Menschen glücklich und ausgeglichen. Prunkvolle Monumente und Gebäude zierten die Innenstadt, die Randgebiete waren einfacher, aber dennoch gemütlich. Beinahe jedes der Backsteinhäuser um den Stadtkern war gesäumt mit gelben und roten Blumen - das Wahrzeichen Tara Lims. Gal hätte es sicher hier gefallen, schließlich war er ein echter Architekturfanatiker. Und Uma hätte die vielen Cafés geliebt, die es hier gab. Und bei den ganzen Boutiquen und Souvenierläden hätte Paula wohl einen Herzinfarkt bekommen

Die Stadt war bunt und voller Leben. Es faszinierte den Geist, der stumm an Irokos Seite verweilte und dem Treiben zusah. Er hatte so lange auf so etwas verzichten müssen. Jahrhunderte lang abgeschieden von jeglicher Zivilisation. Wie viel sich geändert hatte und doch blieb immer alles gleich. Längst spielte Zeit keine Rolle mehr für ihn. Sierra sog alles in sich auf, behielt es in seinem "Herzen" wie einen Schatz. Das war die Welt, die er verpasst hatte. Nein, vielleicht auch nicht. Vielleicht war das die Chance, die er bekommen hatte. Die einmalige Gelegenheit noch einmal zu fühlen, zu sehen, zu erfahren wie wichtig es war zu leben. Selbst wenn er nur zusehen konnte, beobachten. Ein Lächeln schmiegte sich auf seine kalten, durchsichtigen Lippen. Sierra hatte nicht bemerkt, wie schnell der Abschied von der Crew gewesen war. Die Zeit glitt viel zu schnell an ihm vorbei. Doch er hatte etwas erkannt, hatte es gespürt, bestätigt, was er auf Omoide nur kurz hatte erahnen können.

Vielleicht war er es seine Bestimmung jemanden zu helfen, wieder auf den rechten Weg zu kommen. Helfen zu erkennen, wie schön das Leben war und wie verderblich der Gedanke es einfach hinzuwerfen. Bei jemanden zu stehen, der die Hoffnung aufgegeben hatte. Es war Schicksal, dass er Iroko getroffen hatte, nicht wahr? Es musste etwa derartiges sein. Und er wusste bereits schon lange, dass er sich ein weiteres Mal dem Schicksal fügen würde - dieses Mal freiwillig. Wenn seine Existenz an dieses Mädchen gekettet war und an die Bestimmung sie zu begleiten, zu trösten, ihr Hoffnung zu geben, dann würde er es mit Freuden tun.

Er atmete tief ein, und doch wirbelte keine Luft durch sein Innerstes. Es störte ihn nicht, die Einbildung allein reichte ihm. Er wusste, dass er nicht schmecken, nicht riechen konnte, aber er glaubte den Geruch von Blumen wahrnehmen zu können, spürte das Kitzeln der weichen Blütenblätter unter seinen Fingerkuppen. Es erfüllte ihn mit Stolz und Glück so etwas erleben zu können. Er hatte nicht bemerkt, wie sich diese Entschlossenheit, diese Lebensfreude auf sein Äußeres niedergeschlagen hatte. War sein Gesicht auf Omoide alt und runzelig erschienen, hatte er nun die ebene Haut seiner Jugend zurück. Er ähnelte dem jungen Mann, der er einst gewesen war, als er starb. Blondes, struppiges Haar, das ihm fasrig in das Gesicht hang, die etwas knollige Nase, der breite, schmale Mund. Und doch noch immer durchsichtig, für niemanden zu sehen, den er sich nicht sehen lassen wollte. Für niemanden zu hören, dessen Herz er nicht direkt ansprach. Es war ihm Recht, er genoss es. Und seufzte laut und genüsslich auf.

»Diese Stadt ist unglaublich...«

Iroko hatte einen Arm auf dem Tisch des Cafès abgestützt, der Unterkiefer lag in ihrer Hand uns sie sah ihm dabei zu, wie er sich umsah. »Hm. Du hast wohl sehr, sehr lange nichts Anderes mehr gesehen, wenn du das besonders findest.«

Er drehte den Kopf zu ihr und sie erkannte ein ehrliches Lächeln. »Vielen Dank, dass du mir das ermöglichst.«

Irokos Augen fuhren wieder zurück zu der Kellnerin, deren Grinsen ihr irgendwie auf die Nerven ging. »Es ist nicht so, als hätte ich sonst irgendetwas zu tun.« Sie seufzte, wie schon zig Mal an diesem Tag und allen anderen, der vergangenen Monate. »Auf Toshi-o-Toru hätte ich es vermutlich eh nicht mehr lange ausgehalten. Oji-chan...sagen wir, er ist schlimmer als jede Henne.«

»Ich denke, er hat dich sehr lieb, Iroko.«

Und wieder das Seufzen.

»Du liest ständig die Zeitung der letzten Wochen. Sorgst du dich um deine Freunde?«

»Die kommen schon klar.« Das Mädchen schloss die Augen. Sie wusste genau, dass er in ihrem Blick lesen konnte, was wirklich die Wahrheit war. Dass sie sich in der Tat sorgte. Vor allem um Robin und und ihren Ex-Boss, den sie immer noch nicht Crocodile nennen konnte. Zumindest nicht immer, nicht mal nur in ihren Gedanken. Vielleicht sollte sie ihn jetzt lieber Sir Crocodile nennen...

»Oh, da hast du wohl Recht.« Er grinste fast schelmisch, als wüsste er etwas, was sie nicht ahnen konnte.

Sie grunzte missmutig, etwas, dass sie bisher nur bei ihm gemacht hatte. »...Du nervst mich mit deinem geheimnisvollen Grinsen.« Sie hasste es einfach, dass sie ihn nicht so analysieren konnte, wie die anderen um sie herum. Nur weil er tot war, der Blödmann.

»Weißt du schon, was du machen möchtest? Ich habe gehört hier gibt es einen Zirkus, wollen wir dorthin?«

Nur Schulterzucken. »Wir machen, was du willst. Das habe ich dir schon auf Arabasta gesagt. Ich habe kein Ziel, also kannst du gerne aussuchen, wohin wir gehen.«

»Oh, vielen, vielen Dank Iroko.« Er schwebte ihr vor der Nase herum. Es war eigenartig, zuvor war er nie so voller Glück und Freude gewesen, sondern viel zurückhaltender. Irgendwie hatte Iroko das Gefühl, es war etwas im Busch.

Sie hob eine Augenbraue, grunzte erneut und musste dabei unwiderruflich an Crocodile denken. Ein Seufzen folgte. Sie war ihm viel zu ähnlich für ihren Geschmack. Und was? War Sierra jetzt seine Robin oder was? Gott! Aprubt richtete sie sich auf und legte ein paar Münzen auf den Tisch, starkste dann etwas steif davon. »Ja ja, schon gut.«
 

Sofort schwebte er neben ihr und summte ein fröhliches Lied, das sie noch im selben Moment herunter kühlte. Er schien wirklich eine eigenartige Kraft in seiner Stimme zu haben, dem sie schwerlich widerstehen konnte. Doch er sah sie nicht mehr an, tanzte fast durch die Menschenmenge, um den Leuten auszuweichen.

Zu ihrem Glück oder auch ihrem Unmut war der Eintritt zu diesem Zirkus frei für Kinder unter 14 Jahren. Der lächelnde, fratzenschneidende Clown am Eingang hatte Glück, dass es heute einer ihrer besseren Tage war. In letzter Zeit war sie viel zu aggressiv für ihren eignen Geschmack, selbst mit Sierras Wundermusik. Sie mochte keine Zirkusse. Es war laut, Kinder kreischten ständig und die Vorführungen waren langweilig. Vielleicht war sie einfach schon zu viel Besseres gewohnt. Kein Wunder bei den Menschen, mit denen sie die letzten Monate verbracht hatte. Sich ihrem Schicksal beugend setzte sie sich so weit nach hinten wie möglich. Diese Zirkusleute hatten die Angewohnheit sich Leute aus den Zuschauerreihen zu picken und dann auf die Bühne zu zerren. Sie wollte den Tag aber nicht damit beenden irgendwelchen Schaustellern wehzutun. Ja, eindeutig zu viel Crocodileeinfluss. Zu ihrer Beruhigung waren weniger Kinder, als Erwachsene anwesend. Nun ja, zumindest weniger Kleindkinder als Teenager. Schon jetzt johlten manche sich die Stimme wund und hinterließen bei dem Mädchen tiefe Furchen in der Stirn. Warum hatte sie sich bloß darauf eingelassen?

Der Zirkus war relativ groß, mit dem typischen Stoff von der Außenwelt abgehängt, lachende Clowns, die sie schon jetzt hasste und den Kerl, der immer die Ansagen machte. Schon als ganz kleines Mädchen hatte sie Zirkusse nicht gemocht. Das war so viel... so viel? Ihr fehlte das richtige Wort. Drama. Ja das war's. Einfach zu viel Drama.

In einem Halbkreis reihten sich die Zuschauertribünen. Es war voll, überfüllt, so dass jemand sie immer weiter in die Ecke quetschte. Aber ja, mit ihr konnte man es ja machen. Sie war ja nur ein Kind im Weg. Grrr... Nur etwa zwanzig Minuten konnte sie sich das Gehampel auf der Kreisfläche vor sich anschauen, konnte sie gerade so ertragen, wie irgendwelche Statisten sich über das Hochseil trauten – die Feiglinge hatten ein Netz darunter gespannt - Clowns sich aus Kanonen feuern ließen - nur ein Einfallspinsel hätte das nicht durchschaut - und Tiere durch brennende Reifen geführt wurden. Na wunderbar. Es kotzte sie an. Gerade wollte sie Sierra mitteilen, dass er sich das auch allein ansehen konnte, während sie draußen wartete, als die Lichter heftiger flackerten. Toll, jetzt kam dann wohl die Hauptattraktion. Noch mehr Drama.
 

Dann fiel das Licht plötzlich komplett aus, aber statt Schweigen folgte nur lauteres Tuscheln, Neugier, außer bei Iroko. Diese starrte etwas irritiert und dann schockiert nach oben. Auf dem bis eben noch mittleidig beachteten Hochseil tanzte nun eine Figur in immer wieder neuen grässlichen Balettovertüren, so grausam, dass ihr übel wurde. Diese schlanke, große, nein, riesige Gestalt sprang behände über das Seil, als gäbe es gar keine Tiefe darunter. Iroko wurde so übel, als stände sie selbst auf dem Seil. Blöde Höhenangst. Sie würgte, als der Kerl endlich heruntersprang. Moment mal! Herunter sprang? Sie richtete sich in ihrem Sitz auf, um einen besseren Blick auf den Mann zu haben, der in seinem schillernden pinken Anzug mit den tausend Pallietten in dem leichten Licht, das von ihm auszugehen schien erstrahlte. Es war so bittersüß, dass man Zahnschmerzen bekam. Bis er plötzlich kreischte und direkt auf die Zuschauer zustürmte. Er setzte zum Sprung an, landete auf den Köpfen und Schultern der geschockten Menge und... er... er kam direkt auf sie zu!

Sie machte keinen Schritt zurück, dazu war sie einfach zu gefasst, zu apathisch, aber das änderte nichts an ihrem Gesichtsausdruck, als Bon Clay höchstpersönlich sein fettes, heulendes Grinsen in ihres schmetterte.

»IROKO-CHAAAAAN!!!!!«

Er packte sie aus dem Stand, wirbelte sie im Kreis und tanzte zwischen der maulenden Zuhörerschaft umher, als gäb es kein Morgen. Erschrocken klammerte sie sich an seinen Armen fest und versuchte sich dazu zu überreden bloß nicht auf den so weit enfernten Boden zu blicken.

»Heeey! Clay, zurück auf die Bühne!«

Gerade presste die Dramaqueen das Mädchen gegen seine Wange, war völlig in seiner Kuschelattacke gefangen, als jemand ihn anschubste. Das brachte ihn nur dazu lauter zu kreischen, Iroko noch fester an sich zu pressen, als wäre sie sein Stofftier, das ihm gerade jemand wegnehmen wollte.

»Ahhhh! Nein, lasst mich! Ahhh, Iroko-chaaaan!«

»CLAY!!!«

»Nein, nein, nein!«

Er sprang aus der Menge, verbeugte sich. Iroko klemmte er sich unter den Arm, ihr wildes Gezappel völlig ignorierend.

»Mein Damen und Herren. Es tut mir sooo leid, aber der großartige Claydini muss euch schon verlassen. Ich habe gerade die Sonne aufgehen sehen.«

Als er darauf nur unverständliches Buhen vernahm, lachte er lauter und verbeugte sich noch einmal, wandte sich dann wieder um und sprang, Iroko im Gepäck, aus dem Zirkuszelt. Kaum draußen angekommen, hob er sie wieder nach oben, als wöge sie nicht mehr als ein Strauß Blumen und warf sie durch die Luft, bis ihr wirklich schlecht wurde.

»LASS MICH ENDLICH RUNTER OSSAN!«

Wieder knuddelte er sie durch, bis ihr die Luft wegblieb und sie zu keuchen begann. Endlich, nach einer Ewigkeit ließ er sie herunter, nicht ohne sich selbst auf den Boden zu knien, um zumindest so etwas Ähnliches wie eine von Angesicht zu Angesicht Situation zu erzeugen. Er streichelte ihr zärtlich durch das Haar und sein Make-up schwamm schon längst mit seinen Freudentränen dahin.

»Awwww, du bist so groß geworden. Ich hab sooo viel verpasst! Awwww, AWWWW!« Er hielt es nicht aus und musste sie erneut an sich pressen. »Awwww! Iroko-chahahahahahaahahahan!«

Genervt seufzte sie auf, während ihr Herz einen winzigen Satz machte. Sie war sich gar nicht bewusst gewesen, dass sie ihn vermisst hatte. Diesen riesigen, lächerlichen Clown, der einfach zu viel Liebe zu vergeben hatte.

»Hast es wohl nicht lange auf Kawari-ori ausgehalten was?« kam es schließlich unbegeistert.

Darauf versteifte sich Bon, drückte sie etwas von sich und starrte ihr unsicher ins Gesicht. »Du... weißt es nicht?«

Diese ernste Miene brachte sie zum frösteln. »...Was?«

Seine Lippe bebte im nächsten Moment und er quetschte sie wieder an sich. »Wäääääääh!«

Das Mädchen bemühte sich den Rotz zu ignorieren, den er ihr entgegen sprühte und drückte ihn mühevoll etwas von sich. »Jetzt spar dir den Quatsch und sag mir was du meinst.«

»Buhuhuhuhu, ahhh es ist alles so schrecklich! Es war sooo furchtbar... ich meine, ich war super, natürlich, ein Star, ein wahrer Held, aber buhuhuhu... so furchtbar... die Farben. Ahh, all das Weiß und Blau...brrrrr«
 

Mit jedem Wort wurde ihre Miene düsterer und als sie es nicht mehr ertrug, begann sie ihn plötzlich zu schütteln. »Reiß dich zusammen! Wovon zum Teufel redest du? Marine? Was ist passiert? Was weißt du?« Plötzlich wurden ihre Augen riesig. »Sind die anderen auch hier?«

Er riss den Kopf um. »Uhh, keine Ahnung ob sie schon da sind, aber hoffentlich bald. Buhuhuhu, ich halts nicht mehr aus! Die Ungewissheit.« Er knabberte jetzt an seinen Fingernägeln. »Wäääh, hoffentlich gehts ihr guhuhuhuhuhuhut!«

»Grrr...Ossan, du spuckst jetzt aus, was los ist oder ich werde ungemütlich!«

Mit großen, verweinten Augen, echtem Schmerz in seinem Blick sah er zu ihr herunter, ehe sie wieder in seinen Armen lag, fast auf seinem Schoß lag und leicht hin und her gewiegt wurde. »Er musste doch irgendwas unternehmen. Die blöde Marine hat uns am Arsch geklebt wie eingetrockneter Rotwein auf meiner Lieblingsweste! Wir mussten denen doch weiß machen, dass sie tot ist, sonst hätten die nie aufgehört zu suchen, zu nerven.«

»Verdammt Ossan! Was habt ihr gemacht?!«

Er heulte auf. »Wääh! Wir haben sie umgebracht! Ich hab sie geschubst, ich hab sie geschubst!« Plötzlich ließ er sie los und die Angst, der Hass auf sich selbst und der Schmerz lösten sich aus seiner Brust und schwamm Iroko direkt vor die Füße. Sie hatte ihn schon oft außer sich gesehen, heulend, theatralisch, aber von einem Moment auf den nächsten war das nicht mehr die Dramaqueen Bon Clay, sondern ein Mann mit gebrochenem Herzen. Er wirkte wirklich ehrlich getroffen. Erst jetzt bemerkte sie die Ringe unter seinen Augen, die fahle Haut unter der Schminke. Er wirkte irgendwie dünner als sonst und so fertig mit der Welt, dass ihr Blick sich besänftigte. Ihr Herz pochte unangenehm.

»Ossan...« endlich streckte sie die Hand nach ihm aus, fuhr über seinen Kopf, während er sich noch am Boden abstützen musste, um nicht umzukippen.

Es dauerte eine ganze Weile ehe er ihr wieder antworten konnte, plötzlich viel ruhiger, als jemals zuvor. Seine Stimme zitterte seltsam, gewächt. »Gott, ich bin so froh, dass es endlich vorbei ist.«

Sie ließ ihn noch eine Weile länger weinen, ehe sie wieder Fragen stellte. Man, sie war doch nicht gut dabei jemanden zu trösten! »Schon gut Ossan, sag mir was passiert ist.«

»Hast du nichts mitbekommen, Iroko-chan?«

»Nein, ich habe auf Toshi-o-Toru die Crew verlassen. Wie es geplant war. Ich habe nur... davon in der Zeitung gelesen.«

Der Schwanentänzer nickte heftig, schluchzte lauter. »Ich auch... es hat funktioniert. Die haben nicht gemerkt, dass sie verarscht wurden. Ich war auch wirklich, wirklich gut. Aber... buhuhu, das war das Schrecklichste, was ich jemals tun musste!«

» ...Du hast gesagt, du hast sie geschubst? Was meinst du denn damit? Ich verstehe gar nichts.«

»Na... Bossu hat mich bei denen eingeschleußt. Na eigentlich wars Tin Yan. Aww, das ist eine tolle Frau sage ich dir. Ahh, aber so nen blöden Offizier zu spielen war gar nicht so leicht.«

Iroko zuckte zusammen, ihre Stimme so leise, dass wirklich nur Bon sie hören konnte. »Esche?!«

Er nickte so heftig, dass fast von ihm herunter rutschte. Wieder klammerte er sich an sie, versteckte seinen Kopf auf ihrer Brust und schniefte. »Ich weiß nicht mal, wie es ihr geht! Ob sie es überstanden hat, ob...Gott...«

Aus einem Impuls heraus schlang sie ihre Ärmchen um seinen Hals und legte ihren Kopf auf seinen. »Schon gut Ossan. Versuch es mir zu erklären.«
 

Wieder nickte er schniefend, als endlich alles herausbrach. »Bossu hat mir erklärt, dass sie hinter ihm her sind, dass sie Vermutungen haben, dass sie bald herausfinden würde, wer da bei ihm ist. Meeee, mir wars doch egal. Ich wäre auch für sie gestorben, aber... aber Bossu wollte doch nur eine Chance. Für sie, für uns alle... wenn die Welt denkt, dass sie tot ist, dann lassen sie ihn damit doch in Ruhe und sie hat endlich freie Bahn, muss keien Angst mehr vor ihrem eignen Schatten haben, muss nicht mehr die Crew verlassen!«

Irokos Atem stockte wieder und wieder, als mit einem Mal etliche Puzzelteile ihren Platz fanden. Dewegen also hatte sich ihr Boss so seltsam verhalten.

»Wähähähähäh... ich war doch der Einzige, der ihm da helfen konnte. Ich konnte ihn doch nicht im Stich lassen. Er ist doch mein Zero-chan!«

Sie schloss ihre Augen und streichelte weiter den Mann, der ihr sein Herz ausschüttete.

»Wochenlang bin ich Esche gewesen, ohne Scheiß man, ich war der Saftsack. Ich sag dir, der ist so ein Idiot gewesen! So ein Penner, so ein...« Weitere Schimpfwörter flogen ihr entgegen, dass sie unweigerlich an Uma erinnert wurde, aber es war ihr egal. »Meee, und diese schreckliche Nacht der Übergabe! Ich musste sie gemein zu ihr sein, so fieses Zeug sagen. Weil das genau das war, was Esche getan hätte. Und dann... dann... habe ich sie gestoßen... Iroko-chan... sie hat so geweint, so um ihr Leben gekämpft...« Plötzlich krallte er sich wieder in ihr fest. »Ich... das bringt mich in die Hölle!«

»Sie… wusste nichts davon?«

Er schüttelte den Kopf, schniefte lauter und mit einem Mal wurde Iroko bewusst, was eigentlich passiert war, was wirklich in den letzten Monaten geschehen war und was Bon, was ihr Bossu und Robin, die Crew hatte durchmachen müssen. Und sie... war nicht dabei gewesen, sie hatte nichts davon gewusst, sie... hatte es nicht einmal gemerkt. Natürlich, sie war zu sehr mit sich selbst beschäftigt gewesen, aber...

»Er... er hat dir nichts gesagt ja?« Kam es nach einer ganzen Weile von Bon und als sie es war, die diesmal den Kopf schüttelte, kreischte er plötzlich wieder auf. »AHHH!!! Ich heul dir hier was vor und dabei...« Er packte sie bei den Oberarmen und drückte sie etwas von sich, um sie genau anzusehen. »Was ist mit Toshi-o-Toru? Was ist passiert?! Gehts dir gut?! Ich konnte dich nicht beschützen! Es tut mir so leid!«

Sie schloss resignierend die Augen. »Schon gut. Es hat sich alles erledigt. Bo... ich meine Crocodile und Robin haben mich nicht in Ruhe gelassen.«

»Awww... buhhuhuhu.... Iroko-chan...« Und wieder lag sie in seinen Armen.
 

Es brachte gar nichts weitere Details aus ihm herauszubekommen. Stattdessen brachte sie ihn zumindest dazu sie endlich loszulassen und sich einen etwas abgeschiedeneren Platz zu suchen, um zu reden. Ohne ihre Zustimmung griff er nach ihrer Hand und hielt sie fest, als er sie durch die Menge zog, als suchte er nach einem Halt, den er meinte bei ihr finden zu können. Sie konnte spüren, dass er immer noch zitterte. Herrje, das war mehr, als sie befürchtet hatte. So viel mehr. Außgerechnet Bon? Sie konnte die Worte dieser Artikel nicht vergessen, die immer und immer wieder in ihrem Kopf herumschwirrten. "Offizier Esche unehrenhaft aus dem Dienst entlassen." "Esche seit Wochen nicht mehr gesehen. Marine hat bereits Untersuchungen eingeleitet." "Ich wollte sie doch gar nicht schubsen; Esche, ehemaliger Offizier der Marine." So viele Schlagzeilen. Und das alles war also Bon gewesen.

Als sie an den Strand kamen, ließ dieser sich wortlos in den Sand gleiten und blickte in den Himmel. Sein Herz schmerzte noch immer, aber es tat unendlich gut Iroko bei sich zu haben. Er hatte sich solche Sorgen um sie gemacht und er erinnerte sich noch an den Tag, an dem sein Bossu ihm erklärt hatte, was er tun musste. Bon hatte ihn gebeten Iroko nicht aus den Augen zu lassen, weil er das nun nicht mehr tun können würde. Aber da er mit Zero-chan keinen Kontakt hatte haben können, hatte er nicht gewusst was passiert war. Er hatte lediglich in einer Zeitung was für den Tod eines Offiziers mit Irokos Namen gelesen und sich sonst was ausgemalt. Er wusste nicht warum und er traute sich auch nicht zu fragen. Aber es ging ihr gut, sie lebte, es ging ihr gut.

Etwas vorsichtiger setzte sich das Mädchen neben ihn und sah aufs Meer, spürte schon wieder diese Sehnsucht, blendete sie jedoch aus. In einem Versuch ihn etwas zu trösten, streichelte sie über seine große Hand. Noch immer bohrte sie nach, sie wollte alles wissen. Alles, was es zu wissen gab. »Ossan... wie lange geht das schon so?«

Resignierend schloss er die Augen. »Ich weiß es seit Arabasta. Ich bin nie auf Kawari-ori gewesen. Na, meine alte Crew hab ich trotzdem hingeschickt, versprochen ist versprochen. Uh ich hoffe die kleine Tima freut sich über die Klamotten. Ich hab meinen halben Kleiderschrank auf den Kopf gestellt...«

Iroko konnte sich kaum an die Namen der Menschen von dieser einsamen Winterinsel erinnern, aber Bon hatte sie ja persönlich getroffen.

»Danach ging es ganz schnell.« Sein Blick fiel wieder zu Boden. »Du hättest ihn mal sehen sollen Iroko-chan. Er kann das gut verstecken, aber ich glaube er hatte schreckliche Angst. Angst, dass ich ihm nicht helfen würde, Sorge, dass es nicht klappen würde, noch mehr Angst, dass Robin ihn danach hassen würde...«

»Kann ich verstehen. Sie wusste ja immerhin nichts davon...«

Und wieder kullerten ihm Tränen über die Augen. »Es ist genau wie auf Suimin...«

Dabei zuckte sie zurück. »Was?«

Bon versteckte sein Gesicht hinter seinen Händen. »Alles aus Liebe. Ich konnte doch nicht Nein sagen! Ich musste ihm doch helfen. Er hat mir doch vertraut. Er kann sich auf mich verlassen, das habe ich immer gesagt, ich nehme mein Wort ernst! Es war nicht leicht, aber das mit der Marine war ein Klaks, aber... aber als ich ihr Gesicht gesehen habe... Bestimmt hasst sie mich jetzt auch...«

»Ihr seid doch alle bescheuert.«

»Aber... aber Iroko-chaaaan!«

Iroko lehnte sich zurück, bis ihr Rücken sich in den Sand grub und die Sonne ihr direkt ins Gesicht schien. »Klingt ganz nach ihm. So ein dämlicher Plan.«

»...Buhuhuhu....«

»Da kann ich ja froh sein, dass ich raus bin aus der Crew. Das hätte ich sicherlich nicht mitgespielt.«

»Aber Iroko-chan! Wir mussten doch... doch irgendwas tun...«

»Indem ihr ihr so was antut? Crocodile hat das sicherlich perfekt durchgeplant und ja... aus seiner Sicht kann ich verstehen, dass er keinen anderen Weg gesehen hat. Das ist so typisch für ihn einfach alles auf seine Schultern zu laden, alles in die eigene Hand zu nehmen. Dabei hat er über ihr Leben entschieden. Ich wette das hat nicht nur wehgetan, sondern sie auch wütend gemacht.«

»Iroko...chan? Warum redest du so, als wärst du dabei gewesen?«

»Ach...« Sie rieb sich über die Augen. »Ich weiß eben, was bei den beiden los ist. Auch wenn ich... ich zugeben muss, dass ich nicht gedacht hätte, dass er soweit geht. Wie hoch ist die Chance, dass sie ihn wirklich hasst?«

Das verschlimmerte nur wieder Bons Schluchzen. »Du... denkst du… denkst du.. sie hat die Crew verlassen?«

»Nein.« Kam es ernst, schnell und völlig selbstsicher.

»Ah! Warum nicht? Du hast doch grade gesagt...«

Sie unterbrach ihn forsch. »Machst du Witze? Sie könnte ihn niemals verlassen.«

»Nie...mals?«

Das Mädchen schüttelte den Kopf. »Ich hoffe, sie hat ihm in den Hintern getreten, aber... nein, niemals.«

Der Sand bewegte sich leicht unter ihrem Rücken, als er sich neben ihr niederlegte und in den Himmel starrte. »Ich.. ich hoffe du hast Recht. Ne, woher willst du das eigentlich wissen? Du warst doch nicht dabei.«

Sie wurde ein bisschen rot um die Ohren. »Naja... sie lieben sich doch, nicht? Ich meine, ich weiß wie schnell Liebe in Hass umschlägt, aber... die beiden sind eben... anders.«

Das brachte ihn zum ersten Mal seit Monaten dazu ehrlich zu lächeln. »Aww, Iroko-chan, du bist ja ne richtige Hobbypsychologin.«

»Pff, sei doch still.«
 

»Ach ja...« Er verschrenkte die Arme unter dem Kopf. »Ich hoffe es dauert nicht mehr so lange und sie holen uns endlich ab. Ich muss mich doch bei ihr entschuldigen.«

»Uns?«

Er grinste ihr zu. »Na klar. Uns beide. Oder siehst du noch jemanden?«

Sie runzelte die Stirn und musste unwillkürlich an Sierra denken. »Dich vielleicht, ich komme bestimmt nicht mit.«

»Ehhh?«

»Den Teil mit: ich bin auf Toshi-o-Toru ausgestiegen, hast du wohl nicht gehört, wie?«

»Ja ja, aber ich denke du hast alles geregelt? Ne?«

Vorsichtig nickte sie »Ja, schon, aber...«

Lachend legte er einen Arm um sie. »Na also. Dann kannst du ja wieder mit uns reisen. Du gehörst doch eh dazu.«

Mit einem Ruck zog sie sich von ihm zurück. »Das ist so nicht richtig.«

»Nani?!«

Sie konnte ihn gar nicht ansehen, als sie es aussprach. »Betrachten wir es doch logisch. Ich habe nie wirklich dazu gehört. Ich bin anders als ihr.«

»Nani, nani, nani?!« Seine Augen wurde immer größer, dann legte er den Kopf zur Seite und schien zu grübeln, gab es aber schnell wieder auf. »Ha! Du machst Witze! Wirklich Iroko-chan, das ist nicht sehr komisch.«

»Tze, das sollte kein Scherz sein.«

»Dann ist es wohl ne thermische Idiotie, was?!«

»Eine was?«

»Na, eine thermische Idiotie!«

»Das gibts doch gar nicht.«

»Na klar gibts das!« Er zeigte mit dem Zeigefinger auf sie. »Du spinnst rum, aber nur für eine bestimmte Zeit. Nämlich bis ich dir gezeigt hab, dass das totaler Quatsch ist.«

»Du... bist doch blöd.«

»Hahahaha, aww, Iroko-chan.« Und wieder lag sie in seinen Armen. »Was laberst du denn huh? Warum bist du denn anders? Na? Jetzt bin ich gespannt.«

»Grrr... ich bin ein Kind, oder?«

»Ha, seit wann stört und das denn?«

»Also bitte ja.« Etwas genervt, schubste sie ihn von sich, dass er im Sand herum rollte und sie sich aufrichten konnte. »Ich war doch nie wirklich ein vollwertiges Mitglied. Ihr habt mich doch nie als mehr als das Kind gesehen, das eigentlich nichts bei euch zu suchen hatte. Außerdem bin ich sicher, dass die anderen froh sind, nicht mehr nach mir schauen zu müssen.«

»Wenn du damit meinst, dass wir uns um sich gesorgt haben, ja dann stimmt das wohl. Wenn du damit meinst, du warst nur das Maskottchen, dann irrst du dich.«

»Pff... ich bin ausgestiegen. Fertig.«

»Und das kann man jetzt nicht rückgängig machen? Na hör mal!«

»Hör auf mich zu nerven Ossan.«

»Neihehehehehein!«

»Nein! Da! Du weißt genau, dass ich niemals aufhöre!«

Das brachte ihm nur wieder ein Grunzen Irokos ein.

»Nee, du willst jetzt aber nicht überstürzt die Insel verlassen oder?«

Etwas überrascht schaute sie zu ihm auf, senkte dann den Blick und wandte sich etwas ab. »Nein. Ich warte mit dir, bis sie hier auftauchen. Ich will mich nur... vergewissern, dass...naja...«

Und wieder grinste er. »...Dass es ihnen gut geht?«

»Grr... ja, ja.«
 

~ ~ ~
 

Fast zwei Stunden saßen sie gemeinsam am Strand und Iroko brachte ihren Ossan dazu im Detail diese ganze Plangeschichte genauer zu erklären. Sie wollte es so genau wie möglich wissen, um endlich diese Lücken, die sich bei ihrem inneren Bild von ihrer Crew aufgetan hatte. Deswegen waren sie so angespannt gewesen, so anders, vor allem Robin gegenüber. Anders noch, als nach Suimin. Deswegen hatte sich ihr ehemaliger Boss so verhalten, alles ergab plötzlich so viel Sinn. Nur, dass auch Bon nicht wusste, wie das Ganze ausgegangen war und es setzte ihm zu. Sogar sehr. Die Art und Weise wie er darüber sprach, beinahe ruhig, fast beherrscht, wie ein... nun, wie ein normaler Kerl eben. Es irritierte sie, dass sein Verhalten sie mitnahm, sie traurig machte, auch wenn sie ihm das nicht zeigte. Sie verzog keine Sekunde lang das Gesicht, während er sprach und eine Weile saßen sie danach schweigend im warmen Sand und ließ sich die Sonne ins Gesicht fallen. Stumm stellte Iroko fest, dass sie wirklich warten würde. Sie musste einfach sicher gehen, dass es ihnen gut ging, wollte wissen, ob dieser irrwitzige Plan, wie in sich nur Crocodile hatte ausdenken können, wirklich funktioniert hatte. Das hieß, ob er für ihn und Robin, für die Crew funktioniert hatte. Die Welt hatte den Köder ja offenscheinig gefressen. Aber hatte Robin das auch?

Mehr als sie wollte, dachte sie an diese Frau, die ihren Vater getötet und damit einen Teil von Irokos Seele gerettet hatte. Sie machte sich wirklich Sorgen um sie, aber auch um die anderen. Fast beiläufig blickte sie zu Bon und bemerkte, dass er sie anstarrte. Er hatte einen eigenartigen Glanz in den Augen, als könnte er etwas sehen, dass sie ihn nicht sehen lassen wollte, als sehe er etwas, dass sie nicht einmal selbst sehen wollte. Barsch wand sie sich ab und richtete sich auf und von diesem Moment an begann eigentlich der Albtraum. Der süßliche, pinke, Zuckerwattenalbtraum. Kaum hatte Bon nämlich bemerkt, was Iroko vor hatte, sprang er ihr hinterher und klammerte sich an sie. Er war vielleicht ein durchgeknallter Irrer, aber ziemlich stark und wendig. Mistkerl. Er ließ sie nicht mehr los, zwang sie dazu ihm den Rest der Insel zu zeigen, schleppte sie durch die Gegend wie einen liebgewonnen Sack Kartoffeln.

Für eine Weile bemühte sie sich, sich zu wehren, aber letztendlich gab sie sich geschlagen. Es war einfach vollkommen zwecklos ihm widersprechen zu wollen, wenn er sich ein Ziel gesetzt hatte. Und diesem Fall hieß das: Iroko benutzten, um seine Laune aufzubessern. Und in den folgenden Stunden bemerkte Iroko, dass sie ihn wirklich vermisst hatte. Sie mochte es nicht sonderlich getragen zu werden, schon gar nicht bei der Entfernung zum Boden, die das mit sich brachte, aber das gewaltige Grinsen, die schrille Stimme, das glitzernde Auftreten. Sie waren wie zwei Seiten einer Medaillie. Eigentlich konnte man sich gar nicht noch mehr unterscheiden, wie Iroko und Bon und trotzdem mochte er sie wirklich, nicht wahr? Er hatte sich wirklich Sorgen um sie gemacht und sich selbst ein schlechtes Gewissen. Zumindest krakeelte er das immer wieder in ihre armen Ohren. Aber Iroko kannte den Unterschied. Wenn er etwas sagte, weil das eben sein Stil war oder weil er es wirklich ernst meinte. Es ließ ihr einsames Herz ein bisschen höher schlagen, aber nicht genug, um ihre Meinung zu ändern. Allerdings gab Bon niemals auf. Etliche Male bat er sie wieder der Crew beizutreten. Bis in die Abendstunden, als er sie zu ihrem Hotel zurück brachte und gleich selbst eincheckte, direkt in ihr Zimmer...

Letztendlich bekam sie so auch nicht besonders viel Schlaf, denn obwohl er zwei Stunden nach Mitternacht endlich den Rand hielt, redete er im Schlaf, presste sie entweder an sich oder lag halb auf ihr. Die Stirn runzelnd musste sie immer wieder an Gal denken und fragte sich, wie er das bloß ausgehalten hatte. Sich einen Raum mit dem Kerl zu teilen, musste die Hölle sein. Und obwohl sie sich aufregte, grunzte, wütend die Stirn runzelte, als wieder sein schwerer Arm auf ihrem Brustkorb landete und ihr die Luft auf den Lungen stieß, verließ sie nicht den Raum, nicht das Bett, nicht das Hotel. Besser, sie dachte gar nicht mehr über die Gründe nach, sondern ignorierte es einfach, bis es vorbei war.

Allerdings fiel ihr das schwer, als Bon auch am nächsten Morgen seiner Routine nachging. Das Schreien, dass er als Singen betitelte mit eingeschlossen. Wie ein dämmlicher Hahn, der die Sonne begrüßt oder eher wie ein kopfloses Huhn. Gegen Mittag hielt das Mädchen es dann wirklich nicht mehr aus und zwang den Mann dazu den Mund zu halten und sich von ihr fern. Ein Blauton war wie gemacht dafür, auch wenn er heulend hinter ihr herblickte, die Unterlippe weit nach vorn gezogen, die Worte "Awww, Iroko-chaaaaan!" in seinen Augen erkennbar, brachte sie es nicht davon ab endlich in der Menge zu verschwinden. Ihr Ziel war der Hafen. Die Wahrscheinlichkeit, dass sie schon heute kommen würden, war wohl gering, aber sie spürte die Unruhe in ihrer Brust und das war der einzige Weg ihr entgegen zu treten. Ob es Umas Einfluss war, dass sie mittlerweile öfter handelte, statt nur zu beobachten?
 

Auch an diesem Tag war es warm auf Tara-Lim. Nichts schien verändert, alles war noch so lebendig und warmherzig wie die Tage zuvor. Obwohl es noch früher Morgen war und die Sonne erst wenige Stunden am Himmel stand, war es bereits geschäftig auf den Straßen. Die Leute tummelten sich, flanierten die Straßen entlang und ließen sich von den Händlern in ihre Geschäfte ziehen. Je näher sie dem Hafen kam, desto intensiver wurde der Geruch von frischem Fisch und Meerwasser. Die Menschenmasse hingegen nahm nicht ab, nur ein wenig lichtete sich die Schlange, die durch die Straßen züngelte. Und dann stand sie mitten im Hafen, der halbmondförmig auf die See blickte und an dessen Rändern zahlreiche Cafés und Stände säumten. Vor ihr große Handels- und Passagierschiffe, ab und zu ein paar Schaluppen und Fischerkähne, die ihre Beute an Land brachten. Die Kais waren so beschäftigt, dass Iroko den Überblick verlor. Immer wieder wurde ihre Sicht von Menschen versperrt, die um einiges größer waren als das Kind. Als sie sich endlich einen erhöhten Punkt auf einer Mauer suchte, konnte sie das ganze Szenario überblicken. Schlagartig weiteten sich ihre Pupillen, als sie das anmutige dreimastige Schiff erkannte, dass sie sich viel besser eingeprägt hatte, als sie gedacht hatte. Die Minerva.



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von:  Ysaye
2011-11-17T19:32:22+00:00 17.11.2011 20:32
Endlich wieder zurück bei Iroko-chan und Bon-chan :-)

Schön, dass es Iroko und ihrem Geisterfreund gut geht. Aber Bon-chan ist wirklich stark auf der Tränendüse, meine Güte... :-D

Danke für deine Geschichte - hat mich etwas aufgemuntert nach einer traurigen Nachricht heute Abend.
Von:  Aja1992
2011-11-17T19:31:38+00:00 17.11.2011 20:31
hammer kapi^^



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