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Lichtbringer

Der Fall des Lichkönigs einmal anders...
von

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Unter Freunden

Vom Burginnenhof hallten scharf gebellte Kommandos hoch. Seyfried spähte aus dem hohen Fenster hinab und beobachtete leidlich interessiert den Aufmarsch der Königsgarde aus Sturmwind, die im Zuge des nahenden Treffens in Bereitschaft versetzt worden war. So ganz hatte er den immensen Aufwand, der betrieben wurde wenn der magische Schild gesenkt wurde, nie verstanden. Arthas hatte auch in der ganzen Zeit vor der Errichtung der Türme nicht ein einziges Mal die Feste angegriffen.

Vielleicht trauen sie ihren Gästen nicht. Er schmunzelte leise in sich hinein und warf noch einen letzten Blick hinaus. Auf dem schmalen Dachfirst des vorspringenden Erkers über dem inneren Burgportal balancierten zwei Krähen und schienen sich über die ganze Hektik genauso zu wundern wie Seyfried.

Der junge Paladin zog seinen Kopf zurück und schloß den pergamentbespannten Fensterrahmen, was den Gemeinschaftraum wieder in vergilbtes Zwielicht tauchte. Nur bei ganz wenigen Räumen der Burg hatte man sich die Mühe gemacht, die Fenster nachträglich zu verglasen. Bei den übrigen hielten nur dünn geschabte Häute den eisigen Wind aus dem Gemäuer fern und sorgten so auch während des Tages für konstantes Dämmerlicht im Inneren. Des Nachts war sowieso alles dunkel, aber tagsüber entfloh Seyfried gerne dem allgegenwärtigen Zwielicht.

Er hatte Niamanee zurück in den ‚hängenden Prinzen’ begleiten wollen, aber beim Verlassen der Burg waren sie auf Mathis gestoßen. Kleinere Risse waren jüngst in den Wänden der Kellergewölben aufgetaucht, deretwegen man den Steinmetz hatte kommen lassen, um eventuelle Reparaturen zu koordinieren. Nun war Mathis auf dem Weg zurück in den äußeren Ring und Niamanee nutzte die Gelegenheit, ihn zu begleiten.

So blieb Seyfried zurück und brachte einige Zeit damit zu, seine Rüstung entsprechend dem Anlaß auf Hochglanz zu polieren. Dabei war ihm die Elfe nicht aus dem Kopf gegangen. Mathis hatte recht gehabt- sie war anders als alle Elfen, die er bisher getroffen hatte. Da war nichts von der distinguierten Zurückhaltung und verdeckten Arroganz, die den Elfen zueigen war mit denen er es bisher zu tun hatte, was ihm stets das Gefühl vermittelte, klein und unwürdig zu sein. Vielleicht war es ihr fremdartiges Aussehen, daß ihm die Illusion vorgaukelte nicht von dieser Welt zu sein und so das Bedürfnis geweckt hatte, ihr alles zeigen und erklären zu wollen. Aber das alleine war es nicht. Trotz ihrer Fremdartigkeit umgab sie eine ihm unerklärliche Aura der Vertrautheit. Da lag etwas Reines, geradezu Unschuldiges in ihrer Ausstrahlung, das er zuvor in dieser Form noch nie gespürt und unwillkürlich seinen Beschützerinstinkt geweckt hatte. Irritierenderweise war es aber nicht die Elfe selbst, von der diese Aura ausging. Es war ein Gefühl, das am ehesten vergleichbar war mit jemand, der eine hell brennende Kerze versteckt unter seinem Mantel trug. Seyfried konnte es sich einfach nicht erklären und nahm sich vor, mit Hochlord Fordring bei einer passenden Gelegenheit darüber zu reden. Irgendwie hatte er das Gefühl, das der alte Paladin ihn noch am ehesten verstehen würde.

Aber fürs erste fror er hier in seiner glänzenden Rüstung in der Kälte der großen, ehemaligen Waffenkammer und wartete mit wachsender Ungeduld auf Kallian. Die Waffenkammer war zu einem Gemeinschaftsraum für die Paladine der silbernen Hand unfunktioniert worden und besaß aufgrund seiner vorherigen Funktion auch keinen Kamin. Hochlord Fordring hatte es abgelehnt, diesen Raum mit einem Kamin oder Ofen nachrüsten zu lassen.

In einer privilegierten Umgebung vergißt der Geist schnell, daß wir hier sind, um zu dienen, waren des Hochlords Worte dazu gewesen und Seyfried war nur allzu froh, daß er diesen asketischen Ansatz nicht auch noch auf ihre Schlafsäle ausgedehnt hatte.

Mit einem Knarren öffnete sich endlich die Türe. Kallian trat ein und grüßte ihn mit einem anerkennenden Ausdruck im Gesicht, den man fast als ein Lächeln hätte bezeichnen können.

„Ich sehe, ihr habt euch um ein angemessenes Auftreten bemüht, Seyfried.“

Kallian trug immer noch seinen schlichten, wattierten Unterrock und Seyfried sah ihn fragend an. „Werdet ihr nicht mit dabei sein, Herr Kallian?“

Kallian schüttelte den Kopf. „Nein. Von der silbernen Hand werden neben Hochlord Fordring nur Herr Balinar und ihr zugegen sein. Wir wollen unsere Bündnispartner nicht mit personeller Dominanz in die Defensive drücken.“ Er bemerkte die Unsicherheit auf dem Gesicht des jungen Paladins und seine Miene wurde versöhnlicher.

„Das muß euch nicht beunruhigen. Die Gespräche werden in der Hauptsache von Hochlord Fordring und König Varian geführt werden. Möglicherweise stellt man euch die eine oder andere Frage, aber zu mehr wird es nicht kommen. Ihr haltet euch diskret im Hintergrund und werdet nur sprechen, wenn Hochlord Fordring euch dazu auffordert. Das sollte nicht allzu schwierig sein, oder?“

Seyfried schüttelte den Kopf. „Wer wird denn noch alles von unseren Leuten dabei sein?“

„Muradin Bronzebart und Erzmagister Rhonin. Vermutlich wird auch Dame Jaina Prachtmeer anwesend sein. Die darnassischen Elfen schicken Waffenführer Lorieth Luchsklaue, da Hochlord Fordring nach der letzten Eskalation die Mondpriesterin Silberschatten nicht mehr bei einer Bündniszusammenkunft dabei haben will.“

„Eskalation?“ Seyfried zog mit amüsierter Neugier seine Brauen hoch. Kallian hingegen machte einen weit weniger amüsierten Eindruck.

„Beim letzten Treffen hat Mondpriesterin Silberschatten Kriegshäuptling Thrall auf eine Art und Weise beleidigt, die eigentlich nicht mehr entschuldbar ist. Woraufhin dieser ungehobelte Garrosh Höllschrei, der damals als Kriegshäuptling Thralls rechte Hand zugegen war, die Zunge der Priesterin verlangte und keinen Zweifel daran ließ, daß er dies auch sofort in die Tat umzusetzen gedachte. Das wiederum rief König Varian auf den Plan und es wäre beinahe zu einem mörderischen Kampf zwischen den beiden gekommen. Kriegshäuptling Thrall und Hochlord Fordring konnten das Schlimmste gerade noch verhindern. Und ich muß sagen, daß Kriegshäuptling Thralls souveräne Art, dem Affront zu begegnen mir durchaus Respekt abnötigte.“

Seyfried grinste. „Da wäre ich gerne dabei gewesen.“

„Das glaube ich euch aufs Wort,“ entgegnete Kallian mit einem trockenen Zug um seinen Mund. „Aber macht euch keine Hoffnungen- dazu wird es heute nicht kommen. Auch Höllschrei ist diesmal nicht mit von der Partie. Neben Krieghäuptling Thrall und seiner Eskorte erwarten wir noch Fürst Mograine sowie die dunkle Dame Sylvanas Windläufer mit entsprechender Begleitung. Es steht zu erwarten, daß es diesmal etwas zivilisierter ablaufen wird.“

Nun hatte Kallian wieder diesen belehrenden Ausdruck in seinem Gesicht.

„Da ich davon ausgehe, das ihr bisher noch nicht viele Gelegenheiten hattet mit Orks zu kommunizieren ein paar Kleinigkeiten noch. Im Gegensatz zu uns Menschen empfinden es Orks als ausgesprochen unhöflich, das der Gesprächspartner konstant Augenkontakt hält. Es ist also geboten den Blick zu senken während ein Ork spricht. Was bei uns eher als Unsicherheit und Schwäche ausgelegt wird, gilt bei ihnen als Respektsbezeugung gegenüber dem gesprochenen Wort. Denkt daran, solltet ihr in die Verlegenheit geraten, auf die Frage eines Orks antworten zu müssen. Auch wenn wir den barbarischen Lebensstil der Orks bisweilen recht herablassend beurteilen und uns ihnen deswegen überlegen fühlen, macht niemals den Fehler, einen Ork zu unterschätzen, auch nicht im Gespräch.

Kriegshäuptling Thrall ist das Oberhaupt aller Clans – selbst die Trolle haben sich ihm untergeordnet. Somit steht er vom Rang her eigentlich noch über Hochlord Fordring und König Varian und ihr solltet ihm den gebührenden Respekt entgegenbringen.“

„Keine Sorge, Herr Kallian, ich werde die silberne Hand nicht blamieren,“ lächelte Seyfried.

„Gibt es etwas, was ich bezüglich der Dame Sylvanas und Fürst Mograine beachten muß?“

„Bei allem, was sie sagen bedenkt, daß Emotionen den Untoten fremd sind. Auch wenn unser natürlicher Instinkt Abscheu gegenüber dem Untod erweckt, so bringt falsch empfundenes Mitleid die Lebenden immer wieder dazu, das zu verdrängen. Gerade Dame Sylvanas nutzt diese eigentlich sehr ehrenhafte Eigenschaft der Lebenden gerne für ihre Zwecke aus.

Die Toten und die Lebenden eint nur eine einzige Sache: Die Vernichtung des Lichkönigs. Vergeßt dies niemals.“

Seyfried sah den Älteren Paladin nachdenklich an. „Sollte es uns wirklich gelingen, den Lichkönig zu besiegen – was passiert denn danach?“

„Wir werden sehen,“ wich Kallian Seyfrieds Frage aus. „Noch ist es nicht soweit.“
 

Seyfried hatte den schnelleren Weg über den offenen Wehrgang vom hinteren Turm zu dem vorderen Burggebäude gewählt. Der Himmel über ihm schien strahlend blau, so blau wie schon lange nicht mehr. Es war bereits eine ganze Weile her, seid der magische Schild das letzte Mal heruntergefahren worden war und das Fehlen der flimmernden Schlieren in der Höhe löste bei Seyfried unwillkürlich eine gewisse innere Unruhe aus. Vom Wehrgang aus hatte man einen recht beeindruckenden Blick über die Festungsanlage und er hielt einem Moment inne, um diese Aussicht in der klaren Luft des wolkenlosen Nachmittages auf sich wirken zu lassen.

Wie aufgereiht zu einer Kette regungsloser Statuen harrten auf dem äußeren Eiswall und der inneren Festungsmauer in geringen Abstand zueinander Bogen- und Armbrustschützeneinheiten der potentiellen Gefahr, die wie all die vergangene Male auch diesmal wohl keine sein würde. Ein beachtlicher Schwarm Krähen kreiste über der Argentumsfeste und fast schien es, als spotte ihr Krächzen über den immensen Aufwand, der für das Treffen betrieben worden war. Zwei der schwarz gefiederten Rabenvögel hatten sich in seiner unmittelbaren Nähe auf den Zinnen des Wehrgangs niedergelassen und beobachteten ihn neugierig mit hektisch blinzelnden Augen. Nachdenklich betrachtete Seyfried die Tiere und setzte mit etwas zügigeren Schritten seinen Weg zum Hauptgebäude fort. Gemeinhin bedeuteten Krähen nie etwas Gutes. Und so viele wie heute waren schon lange nicht mehr hier.
 

Vor dem Eingang zum Kartenraum stand bereits eine Ehrenwache in den Farben der Argentumsdämmerung Spalier. Die schweren, messingbeschlagenen Flügeltüren standen weit offen, wie auch die hohen Türen zum Foyer und das gewaltige Burgtor, so daß die einfallende Sonne dem allgegenwärtigen Dämmerlicht im Inneren der Burg eine freundlichere Note verlieh. Erzmagier Rhonin war bereits anwesend und unterhielt sich angeregt mit Hochlord Fordring, der neben Balinar von Breenan zur rechten Seite des Ehrenspaliers stand und Seyfried nun mit einem freundlichen Kopfnicken aufforderte, sich dazu zu gesellen.

„Ah, der junge Herr Rotpfad!“ Fordring deutete eine Verbeugung an, die Seyfried um so tiefer beantwortete. Der alte Paladin wandte sich an den fuchsbärtigen Erzmagier. „Seyfried Rotpfad ist einer unserer besten Heiler, ein ausgesprochenes Naturtalent mit einer viel versprechenden Zukunft.“ Die respektvolle Verbeugung des Erzmagiers war Seyfried eher unangenehm und er begann jetzt schon das Ende dieses Treffens herbeizusehnen.

Fordring lächelte ihn an. „Ihr fragt euch sicher, warum ich ausgerechnet euch heute dabeihaben will, nicht wahr, Junge?“

Seyfried nickte etwas unsicher. „Die Frage habe ich mir in der Tat gestellt, mein Herr.“

Wieder lächelte Fordring. „Ich weiß, daß ihr ein ausgesprochen gutes Gespür für andere habt. Heute seid ihr nur ein Beobachter. Ihr sollt jeden einzelnen im Saal im Auge behalten und mir später erzählen, was ihr empfunden habt. Euer Gesicht ist unverbraucht, keiner unserer Gäste kennt euch und das wird zumindest bei dem einen oder anderen eine mögliche Unsicherheit im Verhalten hervorrufen, was euch bei euren Beobachtungen nutzen kann.“

„Wenn ihr da mal nicht zuviel von mir erwartet.“

Fordring schüttelte gutwillig den Kopf. „Darüber braucht ihr euch keine Gedanken zu machen, mein Junge.“

Dann wandte sich der silberhaarige Paladin mit ernster Miene wieder an Rhonin. „Unbestätigten Informationen zufolge haben Orkrotten aus dem Alteractal kürzlich Siedler im Süden angegriffen und getötet. Das wird die Gespräche heute nicht einfach machen.“

„Ja, ich hörte davon. Varian wird es mit Sicherheit zur Sprache bringen.“ Der Erzmagier nickte nachdenklich, rückte seine purpurfarbene, goldbestickte Prunkrobe zurecht und Seyfried bemerkte amüsiert, das Rhonin gegenüber dem Hochlord in seiner schlichten, schmucklosen Rüstung geradezu aufgetakelt wirkte.

Vom Burgportal her erklangen jetzt Geräusche, das metallische Scheppern energischer Schritte kam näher. Fordring sah Rhonin mit einem trockenen Lächeln an. „Wenn man schon davon spricht...“

Im Gegenlicht der einfallenden Nachmittagssonne hob sich die massige Rüstung mit dem adlerkopfgekrönten, ausladenden Schulterstücken deutlich von den beiden anderen Personen ab, die jetzt auf die kleine Gruppe um Fordring zueilten. Mit einem flüchtigen Kopfnicken in die Richtung Rhonins blieb König Varain Wrynn von Sturmwind direkt vor Tirion Fordring stehen, stemmte seine Hände in die Hüften und funkelte ihn mit seinen stahlblauen Augen wütend an.

„Ich sehe überhaupt keinen Sinn in der heutigen Zusammenkunft! Einmal mehr haben diese grünhäutigen Affen bewiesen, was ihr wahres Naturell ist!“

Wie eine ungezähmte Brandungswelle sprudelte seine Wut über sie hinweg und ließ Seyfried unwillkürlich zurückzucken. Waffenmeister Renfurt und Hauptmann Faltam, Wrynns persönliche Adjutanten tauschten einen schnellen Blick und bemühten sich wieder um eine unbeteiligte Miene.

„Während unsere Leute hier tagtäglich ihr Leben für die Zerschlagung der Geißel und die Rückgewinnung der verderbten Lande riskieren regeln diese barbarischen Wilden die Landgewinnung auf ihre eigene, heimtückische Art! Wie könnt ihr glauben, daß ich nach diesem erneuten Akt unzivilisierter Barbarei noch willens bin, mit diesen Monstern zu paktieren!“ König Varians Stimme war nicht laut, drang aber in ihrer Schärfe bis in den hintersten Winkel des Flures. Seyfried beobachtete ihn unauffällig. Mit seiner wilden, mühsam zu einem Zopf gefaßten Haarmähne wirkte der König beinahe selbst wie einer der von ihm so verfemten Barbaren.

Fordring gab sich völlig unbeeindruckt. „Hoheit, diese Nachricht ist zum jetzigen Zeitpunkt nicht mehr als ein Gerücht“ beschwichtigte er. „Dies nun zum Anlaß zu nehmen, das Bündnis aufzukündigen ist unserer Sache nun wirklich nicht dienlich!“

„Leider entspricht dieses Gerücht der Wahrheit.“ Die dunkle, kehlige Stimme, die jetzt vom Foyer her erklang konnte nur zu einem Ork gehören. Ohne dabei unhöflich zu wirken, versuchte Seyfried sich in eine günstigere Position zu manövrieren um an König Varian vorbei zum Burgportal sehen zu können. Die drei bulligen Orks, die nun das Ehrenspalier hinauf schritten, waren allesamt imposante Erscheinungen. Zwei von ihnen trugen archaische, bronzebeschlagene Lederrüstungen, der Dritte die für einen hochrangigen Schamanen typische, mit allerlei Amuletten behängten Lederrobe. Der Größte von ihnen ließ mit seiner muskulösen, breitschultrigen Statur selbst König Varian mit seinen voluminösen Schulterstücken geradezu schmal wirken. Die Aura des Respekts, die diesem Ork mit den mächtigen Kieferhauern und den langen, schwarzen Zöpfen vorauseilte, beeindruckte Seyfried. Nie zuvor war er dem Kriegshäuptling der Horde so nahe gewesen. Er hat blaue Augen, stellte er überrascht fest. Mir ist noch nie ein Ork mit blauen Augen begegnet.

Den älteren Ork mit dem weißen Haupthaar und dem zu Zöpfen geflochtenen Bart kannte Seyfried. Es war Hochfürst Saurfang, der Vater des jungen Saurfang, der an der Pforte des Zorns gefallen war. Den jüngeren Schamanen hatte er noch nie gesehen. Alle drei Orks verbeugten sich nun vor Fordring wie auch vor König Varian. Im Gegensatz zu den Paladinen und dem Erzamagier, die die Begrüßung entsprechend höflich erwiderten um dann ihren Blick wieder zu senken, fixierte König Varian den Kriegshäuptling mit offener Verachtung.

„Diese Überfälle haben stattgefunden.“ Thrall sah in die Runde und kein Gesichtsmuskel verriet, ob ihn Varians provokantes Verhalten verärgerte. Seyfried beobachtete ihn genau.

Er hat seine Gefühle im Griff und fühlt sich dem König deswegen überlegen. Sein Blick huschte verstohlen zu König Varian. Und der König weiß das- was ihn noch wütender macht.

„Ausgeführt von Höllenorks.“ Der Kriegshäuptling ließ seine Worte kurz wirken und fuhr dann fort. „Jäger des Frostwolfclans haben einen von ihnen gefangen nehmen können. Aber er zog die Schande des Selbstmords vor, bevor ihm irgendwelche Hinweise auf ihre Auftraggeber entlockt werden konnten.“

„Natürlich nicht. Weil es keine Hinweise gibt!“ König Varian spuckte aus. „Höllenorks. Ihr kommt doch alle aus der Hölle.“

„Hoheit! Ich muß euch ersuchen, eine angemessenere Wortwahl gegenüber unseren Gästen anzuschlagen.“ Hochlord Fordring schien äußerlich völlig ruhig, aber das Blitzen seiner grauen Augen sprach Bände.

„Welches die angemessene Ansprache ist, bestimme immer noch ich, ehrenwerter Hochlord Fordring.“ Mit zornigem Blick wandte der König sich wieder an den Kriegshäuptling.

„Die Tatsache, daß im Alteractal überhaupt noch Orks siedeln, ist ein inakzeptabler Zustand. Das ist unser Land, Thrall!“ Die Art und Weise, wie Varian den Namen des Kriegshäuptlings betonte, war schon eine Beleidigung an sich. Denn Thrall bedeutete in einem älteren, lordischen Dialekt nichts anderes als Sklave. Baron Aedelas Schwarzmoor hatte ihn damals so benannt, als er ihn als verwaistes Kleinkind fand, um ihn dann im Internierungslager Durnholde aufzuziehen und als Gladiator auszubilden. Warum er diesen Namen allerdings behalten hatte, konnte Seyfried nicht so recht verstehen. Es hieß, der Kriegshäuptling habe einmal gesagt: Unter diesem Namen kennt man mich und unter diesem Namen wird man mich fürchten. Nun, furchterregend war im Moment eher König Varian. Unser Land! Das Alteractal gehörte schon seid Generationen der Krone von Lordaeron. Aber mittlerweile marschierten immer mehr Truppen aus Sturmwind ein – zum Schutz gegen die Geißel, wie es hieß. Seyfried war sich da gar nicht mehr so sicher. Nicht weit von ihnen entfernt plante der Lichkönig immer noch den Untergang der bekannten Zivilisation und es wurden jetzt bereits die Karten neu gemischt. Seyfried konnte sich ein leises Kopfschütteln nicht verkneifen. Seine Augen wanderten wieder zu dem Krieghäuptling, der immer noch eine erstaunliche Ruhe ausstrahlte und jetzt leicht lächelte.

„ Nach der erfolgreiche Offensive gegen den Lichkönig sollten wir reichlich Gelegenheit haben, die strategische Neuordnung des Alteractals wieder aufzunehmen, seht ihr das nicht auch so, Majestät?“ Sein Lächeln wurde feiner.

„Ich kann diese Gelegenheit kaum erwarten,“ knurrte Wrynn und dachte nicht einen Moment daran, seinen geringschätzigen Blick von Thrall abzuwenden.

„Und auch wir werden da wohl noch ein Wörtchen mitzureden haben,“ mischte sich nun die unverkennbar knorrige Stimme von Muradin Bronzebart ein, der sich von den anderen beinahe unbemerkt zwischen dem König von Sturmwind und Kriegshäuptling Thrall postiert hatte und beide herausfordernd ansah. Im Gegensatz zu den anderen hatte er keine Rüstung angelegt sondern trug nur ein elegantes Lederwams unter seinem schweren, blauen Umhang.

Er nimmt das Ganze bei Weitem nicht so ernst wie König Varian, erkannte Seyfried als er sah, daß der Zwerg den Orks durchaus höflich zunickte.

„Nun, da wir das Thema Alteractal fürs Erste beendet haben, wollen wir nicht langsam hineingehen?“ Mit freundlich insistierendem Blick wies Hochlord Fordring in Richtung des Kartenraumes, als vom Foyer her sich der Klang schneller Schritte auf leichten Sohlen näherte. Es war Dame Jaina Prachtmeer, die etwas atemlos auf sie zueilte, vor Thrall und König Varian stehen blieb und zu einem flüchtigen Hofknicks niedersank. Ihre langen, weizenblonden Haare machten einen etwas derangierten Eindruck, den sie hastig zu korrigieren suchte, als sie sich an Rhonin wandte. Sie läßt sich ihre Roben prinzipiell auf Maß anpassen, hörte Seyfried Jaelles spöttische Stimme im Kopf.

„Bitte verzeiht meine Verspätung, Magister Rhonin, aber die Sache, um deren Aufklärung ihr mich gebeten hattet, nahm doch mehr Zeit in Anspruch als erwartet.“

König Varian schenkte ihr ein überraschend charmantes Lächeln. „Meine Liebe, ihr seid genau richtig. Wir wollten soeben hineingehen, auch wenn unsere untoten Mitstreiter noch nicht eingetroffen sind.“ Er reichte der Magierin galant den Arm, den diese auch mit einem willkommenen Lächeln ergriff. Schau, schau, Frau Prachtmeers nächste, königliche Jagdtrophäe. Wie Valeera das wohl gefallen wird? Seyfried konnte das hämische Grinsen gerade eben noch unterdrücken und folgte Hochlord Fordring und Balinar in den Kartenraum.

Muradin Bronzebart sah sich nochmals mit einem zwergentypischen Räuspern zum Burgtor um. „ Die Toten haben mal wieder alle Zeit der Welt.“
 

Hohe Lehnstühle waren um den großen, runden Tisch mit dem Panorama der Eiskronenzitadelle aufgestellt worden. Auf einem länglichen Tisch nahe dem brennenden Freikamin standen Wein- und Wasserkaraffen nebst Gläsern, dazu frisches Brot und kalter Braten. Und obwohl die intensive Nachmittagssonne noch ausreichend Helligkeit durch die Fenster schickte, hatte man alle Lichter auf dem mächtigen Kerzenleuchter entzündet.

Überrascht sah Seyfried, daß mit ihnen auch Waffenführer Luchsklaue eingetreten war. Er hatte den kräftigen Nachtelfen überhaupt nicht kommen sehen. Luchsklaue hatte ebenfalls seine kupferbeschlagene Lederrüstung angelegt, trug aber seine eigenen Familienfarben.

Das er bei einem solchen Treffen nicht die offiziellen Farben von Darnassus trug, ließ tief blicken.

Sie hatten den Saal kaum betreten, da fuhr ein eisiger Windhauch über ihre Köpfe und ließ die unzähligen Flammen des Kronleuchters zittern. Der Kälte folgte das Geräusch schwerer, metallischer Schritte. Seyfried blieb wie alle anderen stehen und sah sich um.

Hochlord Fordring ging bereits dem vorderen der drei Todesritter, die nun das Spalier hoch schritten entgegen und verbeugte sich.

„Fürst Mograine! Es beruhigt mich, euch wohlbehalten hier zu sehen. Ich hatte schon die Befürchtung, daß etwas Unvorhergesehenes passiert sein könnte.“

Ein Lächeln, das genauso kalt war wie das blaue Leuchten seiner Augen glitt über Darion Mograines fahles Gesicht, als er Fordrings Verbeugung erwiderte.

„Wir wurden aufgehalten. Eine Gruppe Seuchenpirscher hat recht ambitioniert versucht, unser Erscheinen hier zu verhindern.“

Die Präsenz der Toten bereitete Seyfried geradezu körperliches Unwohlsein. Die deutlichen Verwesungsspuren in den Gesichtern von Fürst Mograines Gefolge riefen unwillkürlich Ekel in ihm hoch. Eines der beiden Gesichter war schon derart zerfallen, daß nur noch die Statur die Frau in der Rüstung verriet. Seyfried gab sich alle Mühe, seinen Abscheu zu verbergen und studierte den untoten Führer der Todesritter. So nahe würde er ihm so schnell nicht mehr kommen.

Sein Blick glitt über das schwarz glänzende Saronit der überaus kunstvoll mit dunklen Symbolen und Totenköpfen verzierten Rüstung. Er wußte, daß dieses schwarze Metall die Todesritter nahezu unverwundbar machte, aber um nichts in der Welt würde er freiwillig eine derartige Panzerung tragen wollen. Die dunkle Macht, die dieses Metall geformt hatte schien die Untoten wie ein düsterer Schleier einzuhüllen und einmal mehr fragte sich Seyfried, wieso sich ein Paladin wie Hochlord Fordring mit derartigen Kreaturen einließ.

Die feinen, orange-bräunlichen Spritzer, die sich überall auf allen drei Panzerungen fanden, waren Seyfried beim ersten Hinschauen gar nicht aufgefallen. Argwöhnisch blieb sein Blick wieder auf Fürst Mograine hängen, dessen Lächeln mittlerweile wieder verblaßt war und Hochlord Fordring nun mit seiner Eskorte in den Saal folgte.

Er hat gelogen. Es hat einen Kampf gegeben, aber nicht mit Seuchenpirschern. Schweigend, mit deutlich gewachsenem Mißtrauen nahm Seyfried seinen Platz hinter Fordring wieder ein.
 

Noch niemand hatte sich auf einem Stuhl niedergelassen, allerdings hatte Muradin Bronzebart sich bereits ein Glas Wein vom Tisch geholt. Nur für die Gesprächsführer waren Stühle vorgesehen, er und Balinar würden wie auch das Gefolge der anderen hinter Hochlord Fordring stehen. Und er als Rangniedrigster war auch dafür zuständig, Hochlord Fordring auf Wunsch Speisen und Getränke vom Tisch zu holen, da Bedienstete bei einem Kriegsrat nicht zugegen sein durften.

Seyfried ließ seinen Blick über die schweigende Runde gleiten, beobachtete, wie sich die Anwesenden bemüht unauffällig taxierten. Der Argwohn der einzelnen Parteien untereinander war förmlich greifbar. Nicht gerade die beste Voraussetzung, um gemeinsame Angriffspläne zu schmieden. Bei dem Schamanen blieben seine neugierigen Augen einen Moment länger hängen, was dieser offensichtlich bemerkte. Für einen Augenblick kreuzten sich ihre Blicke und ein kurzes, animalisches Grinsen glitt über die groben Züge des Orks. Seyfried schenkte ihm ein kurzes Zucken seiner Mundwinkel als Antwort. Ich bin nicht nur als Beobachter hier. So wie dieser Schamane für Thrall bin ich Fordrings Lebensversicherung.

Fordrings kräftige Stimme durchbrach die angespannte Stille.

„Da uns die Dame Sylvanas offensichtlich nicht mit ihrer Anwesenheit beehren möchte, schlage ich vor, daß wir ohne sie beginnen.“

Zustimmendes Kopfnicken antwortete ihm von mehreren Seiten. Der alte Paladin winkte den beiden vordersten Soldaten des Ehrenspaliers zu und diese schlossen die schweren Flügeltüren. Nachdem sich alle gesetzt hatten, ließ Fordring seinen Blick kurz über die Anwesenden gleiten und fuhr fort.

„Die Überfälle auf unsere Außenposten haben deutlich zugenommen. Die Seuchenpirscher und Nachtschatten werden immer mehr. Mittlerweile tauchen sie auch an den entlegensten Standorten auf und verbreiten Angst und Schrecken. Wir verlieren langsam nach und nach unsere Augen im Umland. Und wir wissen alle, daß Luftaufklärung alleine nicht ausreicht, um die Bewegungen der Geißel zu beobachten.“

Der letzte Satz war direkt an Kriegshäuptling Thrall gerichtet. Dieser nickte bedächtig.

„Auch wir haben in den letzten Tagen mehrere Spähergruppen verloren. Der Lichkönig versucht ganz offensichtlich, uns zu zermürben – und uns zum Handeln zu zwingen.“

Fordring griff das Wort des Kriegshäuptlings auf. „Was wir auch müssen. Denn während Arthas uns auf der einen Seite mit dieser Nadelstichtaktik in Atem hält, geht der Bau seiner neuen Festungsanlage Malykriss erschreckend schnell voran. In seinen Saronitminen wird unter Hochdampf gearbeitet, Tag und Nacht schaffen sie dort Unmengen von Saronit hinaus um die Vollendung der Feste voranzutreiben. Diese Mauern werden für uns uneinnehmbar sein. Was das bedeuted dürfte jedem hier wohl klar sein. Wir müssen angreifen.”

In diesem Moment stieg dunkelvioletter Rauch im Saal vor den geschlossenen Türen auf, ein beissender Geruch stieg in Seyfrieds Nase. Automatisch glitt seine Hand zu dem Schwert an seiner Seite. Die Erkenntnis, das die anderen eher indigniert als alamiert wirkten, entspannte ihn wieder etwas, dennoch starrte er unverwandt in den immer dichter werdenen Rauch.

Vom Boden aus schoß jetzt eine hellglühende, gezackte Linie in die Höhe und mit einem eleganten Schritt stieg das wohl atemberaubenste, weibliche Wesen, das Seyfried je in seinem Leben gesehen hatte, aus dem Licht der flimmendern Linie und sah sich lächelnd um.

Im selben Moment fiel der glühende Riss wieder in sich zusammen und der Rauch verflüchtigte sich in violetten Wirbeln, als das Wesen stolzen Schrittes auf sie zukam. Dabei gitt ihr langer Umhang aus schillernden schwarzen Federn wie eine lebendig wirkende Schleppe hinter ihr her. Der überaus schlanke, feingliedrige Körper wirkte wie in schwarzes Leder eingenäht, allenthalben gehalten von zahlosen kleinen Schnallen und Schnüren, die überlangen Beine steckten in ebenso schwarzen, weit über den Oberschenkel reichenden Stiefeln. Eine platinblonde Haarflut, halb bedeckt von einer schweren, dunklen Samtkapuze rahmte ein geradezu unwirklich schönes Gesicht, das das eines Engels hätte sein können – wäre da nicht das verstörend rote Glühen in ihren Augen gewesen.

Der durchaus schmerzhafte Stoß von Balinars Ellenbogen in seine linke Seite riss Seyfried wieder in die Realität zurück. “Ihr solltet euren Mund wieder schließen, Seyfried,” zischte Balinars leise Stimme. “Und vergesst alles, was ihr bis jetzt gedacht habt – sie ist tot.”

Sowohl Tirion Fordring als auch König Varian hatten sich wieder erhoben. Die Spannung im Saal war spürbar dichter und das Lächeln auf dem bleichen Engelsgesicht noch eine Spur breiter geworden.

„Ah, da haben wir ja alle beisammen! Was für ein nettes, beschauliches Familientreffen.“

Die rauchige Stimme jagte Seyfried einen Schauer über den Rücken.

König Varian Wrynn begegnete dem Lächeln mit einem ausgesprochen sarkastischen Grinsen.

„Fürstin Sylvanas! Wie schön, daß ihr uns dann doch noch mit eurer Anwesenheit beehrt.“

„Mein König! Ich konnte es mir doch nicht nehmen lassen, an eurer Seite stehen zu dürfen,“ gurrte die dunkle Stimme zurück. „Allein die Vorstellung läßt doch jedes Frauenherz höher schlagen.“

„Vorausgesetzt, sie hätte denn ein schlagendes Herz!“ zischte Dame Jaina Prachtmeer leise, dennoch deutlich hörbar. Neben Sylvanas Windläufer verblaßte die Schönheit der jungen Magierin zu der Attraktivität einer lordischen Bauernjungfer. Seyfried entging nicht, daß auch andere wie gebannt auf die untote Elfe starrten.

Hochlord Fordring seufzte leise. „Wenn wir jetzt mit den Begrüßungsmodalitäten durch sind, schlage ich vor, daß wir fortfahren.“ Kriegshäuptling Thrall nickte zustimmend. Mit einem eleganten Schwung ließ sich Sylvanas auf dem Stuhl zwischen Darion Mograine und Waffenführer Luchsklaue nieder. Ihr glühender Blick schweifte noch einmal leise lächelnd durch die Runde – und blieb dann auf Seyfried hängen. Seyfried spürte, wie er rot wurde. Verlegen wandte er sich ab und sah noch aus den Augenwinkeln, wie Sylvanas sich jetzt Fordring zuwandte. Dennoch vermeinte er das leise, spöttische Lachen ihrer rauchigen Stimme im Kopf zu hören.

Der alte Paladin wandte sich an Muradin Bronzebart. „Muradin, wann wird euren Beobachtungen zu Folge der Bau von Malykriss abgeschlossen sein?“

Der Zwerg zuckte mit den Schultern. „Lange dauert das nicht mehr. Wenn die mit dem Tempo so weitermachen ¬– fünf, sechs Monate vielleicht, dann steht das Ding.“

Darion Mograine lehnte sich in seinem Stuhl zurück. „Angriffe aus der Luft würden für einen erheblichen Ausfall bei den Arbeitern sorgen und uns ein größeres Zeitfenster verschaffen.“

„Zeitgewinn, der viele unschuldige Leben kosten wird unter den Gefangenen, die Arthas dort zur Arbeit zwingt.“ Hochlord Fordring schüttelte den Kopf.

Sylvanas zuckte gleichgültig mit den Schultern. „Kollateralschaden. Aber Zeitgewinn alleine bringt uns nicht weiter. Ihr habt recht, Fordring, ein Angriff ist unausweichlich.“

„Und wer, verehrte Fürstin, garantiert mir, daß es nicht so endet wie das letzte Mal?“ Der Zorn hinter Varain Wrynns Worten war nur allzu deutlich spürbar.

„Niemand.“ Etwas Lauerndes lag nun in dem feinen Lächeln der Untoten, als sie sich zum König vorbeugte. „Könnt ihr, großer König, mir eine Garantie geben, daß ein Verrat nicht möglicherweise diesmal aus euren Reihen kommt?“

„Im Gegensatz zu euch haben wir keinen Pakt mit einem Dämon geschlossen!“

Sylvanas Lächeln wurde kälter. „Vielleicht wißt ihr es nur noch nicht.“

„Was wollt ihr damit andeuten, Untote?“ Varian Wrynn wirkte jetzt sichtlich ungehalten.

Für einen gedehnten Moment blieben die rotglühenden Augen auf Hochlord Fordring hängen, dann wandte sich Sylvanas wieder dem König zu.

„Nichts weiter als die Tatsache, daß ihr nirgendwo Verrat ausschließen könnt.“

„Vielleicht sitzt Verrat ja bereits hier am Tisch,“ zischte Jaina Prachtmeer leise und funkelte die Fürstin der Verlassenen böse an. Sylvanas nickte, ihr kühles Lächeln wirkte wie gemeißelt.

„Möglich ist alles.“ Eine merkwürdige Mischung aus Geringschätzung und Provokation lag ihn ihrem Blick, als sie sich Darion Mograine zuwandte. „Ich würde auch keinem Untoten trauen.“

Ein unwilliges Knurren grollte aus Thralls Kehle. „Laßt eure Spielchen, Sylvanas!“

„Ich habe schon lange mit dem Spielen aufgehört, Kriegshäuptling.“ Eine beunruhigende Ernsthaftigkeit lag in der dunklen Stimme. Was Seyfried allerdings noch viel beunruhigender empfand war die Tatsache, daß er bei der Untoten Emotionen verspürte, ganz im Gegegnsatz zu Darion Mograine, der nichts als Kälte ausstrahlte. Bei allem, was sie sagen bedenkt, daß Emotionen den Untoten fremd sind. Kallians Worte gingen ihm nicht aus dem Kopf. Er hatte ihn vor Sylvanas gewarnt. Sollten ihre Erscheinung und ihr Auftreten ihn tatsächlich derartig manipulieren?

Die anfänglich berauschende Faszination ihres Anblickes war mittlerweile von dem wieder erwachten Abscheu gegen alles Untote getrübt worden. Sie wußte, daß er sie studierte und so bemühte er sich auch nicht um Unauffälligkeit. Sein Blick glitt über die schillernden Federn ihres Umhanges und er spürte einen leichten Anflug von Heiterkeit. Natürlich. Die ganzen Krähen draußen waren ihretwegen hier. Sie folgen dem Aas.

Die Verunsicherung aber blieb. Sylvanas gegenüber traute er seinen eigenen Gefühlen nicht mehr.

„Das Argentumsbündnis wurde geschlossen, weil uns alle ein Ziel eint – die Vernichtung des Lichkönigs!“ Hochlord Fordrings kräftige Stimme schnitt durch den Saal. Der Paladin hatte sich erhoben und seine stahlgrauen Augen schweiften über die Runde. „Nur mit vereinten Kräften sind wir stark genug, der Gefahr zu begegnen, die unsere Welt bedroht! Nur zusammen können wir der Gerechtigkeit genüge tun!

Dennoch haben wir in den letzten beiden Monaten wahrscheinlich mehr Leute durch Gefechte untereinander denn durch Angriffe der Geißel verloren! Uns allen hier muß klar sein, daß der Lichkönig genau das forciert! Wenn wir weiterhin zulassen, daß der Keil des Hasses immer tiefer zwischen uns geschlagen wird, hat der Lichkönig bereits gesiegt!

Wir können das Ganze hier und jetzt abbrechen, uns wieder gegenseitig bekriegen, um dann zuzusehen, wie der Lichkönig das, was von uns übriggeblieben ist, in den Staub tritt. Dazu muß er nicht mehr tun als sich in seiner neuen Festung zu verbarrikadieren und zu warten!

Ist es daß, was ihr wollt? Den Ausgeburten der Schatten unsere Welt zu überlassen? Zuzusehen, wie sie unter ihrem zerstörerischen Einfluß zerbricht?“

Nun erhob sich auch Kriegshäuptling Thrall. „Unsere Welt wurde bereits von den Schatten zerstört. Und es ist nur noch eine Frage der Zeit, wann die letzten Fragmente auseinanderfallen werden und unsere Heimat für immer verloren ist. Dies darf sich nicht wiederholen! Wir werden für diese Welt kämpfen!“

„Um diese Welt dann für euch zu beanspruchen?“ Mit grimmigem Blick stand König Varian auf. „Ihr kamt in unsere Welt um sie zu erobern! Warum sollte ich glauben, daß sich daran etwas geändert hat?“

„Mein Volk trägt große Schuld an dem was geschah – wir ließen den Hass in unsere Herzen und verfielen so den Schatten.“ Thrall wandte seinen Blick nicht von König Varian ab.

„Aber es war einer der euren, der uns in eure Welt rief, um sie für die Schatten zu erobern! Unsere Schicksale sind miteinander verbunden, Mensch – wir sollten aus den Fehlern unserer Vergangenheit lernen, solange wir noch die Gelegenheit dazu haben.“

„Ich wüßte zwar nicht, was ich zu lernen hätte, Ork – aber sei’s drum.“ Varian nickte bedächtig. „Ich habe mich dem Bündnis angeschlossen und ich werde auch weiterhin meiner Verpflichtung nachkommen und sei es auch nur, weil der Tod einiger Orks möglicherweise weniger Verlust in meinen eigenen Reihen bedeutet. Waffenstillstand – bis wir Arthas Schreckensherrschaft beendet haben und sein Kopf als Trophäe über meinem Thron baumelt!“ Seine finsteren Augen wechselten zwischen Thrall und Sylvanas.

„Eines solltet ihr beiden aber wissen- ich bin noch nicht durch mit der Horde!“

Mit einem ausgesprochen liebenswürdigen Lächeln beugte Sylvanas sich vor.

„Das wir uns nicht mißverstehen, mein König.“ Ihr Lächeln verschwand in einer Grimasse blanken Hasses. „Sollte uns dieser verdammte Hund lebend in die Hände fallen, gehört er mir! Ich schicke euch seinen Kopf für euren Thron, wenn ich mit ihm fertig bin!“ Sylvanas leise, aber um so bedrohlichere Stimme ließ Seyfried frösteln.

Hochlord Fordring sah die untote Elfe ausgesprochen mißbilligend an.

„Wir sollten nicht das Fell des Löwen verwürfeln, bevor er erlegt ist. Deswegen sollten wir jetzt endlich zum taktischen Teil unseres Treffens heute kommen.“

Muradin Bronzebart nickte zustimmend. „Endlich fängt es an, interessant zu werden – wann soll’s losgehen?“ Erwartungsvoll begann der Zwerg demonstrativ seine Hände zu reiben.

„Es scheint sich eine stabile Wetterlage anzubahnen. Das sollten wir nutzen. Ein Angriff sollte innerhalb der nächsten Tage erfolgen.“ Fordring schritt auf das Panorama zu.

„Wir werden uns in einer Zangenbewegung dem Portal der Zitadelle nähern.“ Er wies auf die große Freifläche vor der langen Freitreppe, die zum Eingangsportal hochführte. „Haben wir den Knochenhof erst einmal erreicht, spielen uns die architektonischen Gegebenheiten in die Hände. Der Knochenhof ist wie ein Kessel, der sich zu allen Seiten mit wenig Aufwand absichern läßt. Ziel ist, eine gesicherte Ausgangsposition zu erreichen, von der aus wir die Tore der Zitadelle sprengen können. Dies wird Zeit in Anspruch nehmen und solange muß diese Position gehalten werden.“ Der Paladin drehte sich zu Bronzebart um und der Zwerg stand ebenfalls auf. Was, optische gesehen, keinen großen Unterschied machte.

„Mit der Sprengung des Stahltores der Königsfeste haben wir ja bereits brauchbare Erfahrungswerte sammeln können. Allerdings gehen wir davon aus, daß die Tore der Zitadelle noch um einiges stärker sein werden. Wir werden uns auf die Stellen der Mauer konzentrieren, an denen sich unseren Berechnungen nach die Aufhängungen des Tores befinden müssen. Das kann zwei, drei Tage dauern – und wird ziemlich laut werden.“

König Varian rieb sich nachdenklich das Kinn. „Den Bereich einige Tage zu halten ist das kleinere Problem. Der Weg dahin wird nicht einfach. Hier, im linken Bereich tummeln sich unübersichtlich viele Untote und Monstrositäten. Wir können immer nur kleinere Einheiten durch die Bresche bringen. Und auf dem offenen Feld unterhalb der Ziggurats wurden immer wieder erschreckend große Ansammlungen untoter Neruber gesichtet – und wir haben keine Ahnung, wie viele von denen noch in ihren unterirdischen Gängen lauern.“

„Neruber kommunizieren mit ihren Gedanken. Auf diesem Wege erhalten auch diese untoten Geschöpfe ihre Befehle. Unsere Schamanen können diesen Gedankenfluß stören und uns so einen Vorteil verschaffen, während meine Krieger sich in Stellung bringen.“ Der Kriegshäuptling der Horde wies mit seiner kräftigen Pranke auf den schmalen Durchbruch bei den Ziggurats, der momentan von Truppen der Allianz gehalten wurde.

Fordring nickte. „Die Greifenstaffeln der Zwerge werden euch von der Luft aus mit Brandbomben unterstützen. Hier auf dem offenen Feld ist die Gefahr gering, daß die Brandbomben unseren eigenen Truppen gefährlich werden können. Im Bereich unterhalb der Fleischwerke ist zuwenig Platz für Luftunterstützung. Dort werden wir die Hilfe eurer Magier brauchen, Rhonin. Zusammen mit meinen Paladinen sollten wir das untote Gezücht soweit unter Kontrolle bringen, daß die Fußtruppen den Rest erledigen können. Ihr, Mograine, werdet mit euren Todesrittern in einem Bogen um unsere Truppen reiten und von links kommend einen Keil in die Kampfverbände unseres Gegners treiben und ihnen so den Rückweg hinter geschützte Mauern abschneiden. Euer primäres Ziel werden die Totenbeschwörer sein.“ Fordring zeichnete den vorgedachten Weg mit einer Handbewegung über dem Panorama nach. „Von dort aus reitet ihr weiter, sichert das Durchgangstor zur anderen Seite und werdet, wenn erforderlich, den Hordentruppen zur Seite stehen, vor allem, wenn Vyrkulverbände von Ymirheim aus in den Kampf eingreifen sollten.“ Fordrings Hand wies auf den breiten, dolchzinnenbewehrten Wall, der direkt auf die Freifläche vor dem riesigen Eingangsportal der Zitadelle zulief und beide Kampfgebiete von einander trennte. „Die darnassischen Bogenschützen sowie die Schützeneinheiten der Verlassenen werden hier oben Stellung beziehen und beide Seiten unter Beschuß nehmen, nachdem Greifenstaffeln die dort patrouillierenden Frostriesen ausgeschaltet haben.“

Muradin Bronzebart grinste selbstgefällig. „Kein Problem. Die bomben wir doch locker von den Zinnen.“

Der alte Paladin sah auf. „Von diesen drei Positionen aus werden wir dann langsam auf das Portal zu vorrücken. Haben wir erst einmal Stellung vor dem Portal bezogen, dürfte der schwierigere Teil des Unternehmens bereits hinter uns liegen.

Arthas wird wissen, daß wir angreifen, unsere Truppenbewegungen werden nicht unbemerkt bleiben und er wird vorbereitet sein. Gerade an den beiden zerstörten Mauerabschnitten erwarte ich die heftigste Gegenwehr.“ Fordring beugte sich wieder vor und wies auf die beiden Breschen. „Hier wird sich der Erfolg unserer Operation entscheiden.“

Waffenführer Luchsklaue verschränkte nachdenklich die Arme. „Was, wenn er die Seuche zum Einsatz bringt?“ Sein leuchtender Blick blieb abfällig auf Sylvanas hängen.

„Euer abtrünniger Dämon hat die Effizienz eines solchen Angriffes ja nun eindrucksvoll demonstriert.“

Sylvanas schüttelte mit einem schrägen Lächeln den Kopf. „Wird er nicht. Die Seuchenschwaden sind unkontrollierbar und würden auch den lebenden Truppen seiner eigenen Armee zusetzten, ebenso wie ihm selbst.“

„Ihm selbst?“ Muradin runzelte ungläubig die Stirn. „Der Herr der Seuche Opfer seiner eigenen, diabolischen Erfindung?“

„Amüsante Ironie des Schicksals, nicht wahr?“ Sylvanas Lächeln wurde breiter. „Der Lichkönig entwickelte die Seuche als er noch ein Geist, gefangen in einem Helm war. Aber nun hat er einen menschlichen Körper, der genau wie alle anderen anfällig für die Seuche ist. Zumindest das hat Varimathras’ Verrat bewiesen. Die Seuche hat Arthas ganz schön zugesetzt.“

„Was bedeutet, daß wir den menschlichen Teil des Lichkönigs töten können.“ König Varian wandte sich direkt an Hochlord Fordring. „Aber wie verhält es sich mit seinem Geist?“

Ein kaum wahrnehmbarer Schatten huschte über das markante Gesicht des Paladins.

„Wenn es der Wille des Lichts ist, wird die Kraft des Aschenbringers ausreichen, den Geist des Lichkönigs zu vernichten.“

Ein fast schon höhnischer Zug legte sich auf Darion Mograines fahle Lippen. „Eure Bemühungen, noch einen Abkömmling der alten, königlichen Blutlinie zu finden, sind demnach noch nicht erfolgreich gewesen.“

Fordring schüttelte den Kopf. „So wie es aussieht, haben die Schatten ganze Arbeit geleistet.

Mit eurem Onkel Uther Lichtbringer ist der letzte eurer Blutlinie gefallen.“

Der König von Sturmwind wirkte jetzt ausgesprochen skeptisch. “Was bedeutet, daß wir den Lichkönig möglicherweise gar nicht besiegen können?“

„Die Wege des Lichts sind unergründlich, Majestät.“ Fordring sah in ruhig an. „Der Aschenbringer kehrte zu uns zurück. Das Licht wird uns beistehen, wenn wir den Lichkönig konfrontieren.“

Wrynn zog unwillig eine Braue hoch. „Ich wünschte, ich hätte eure spirituelle Zuversicht, Hochlord. Fakten wären mir lieber als Eventualitäten, die dem reinen Glauben entspringen.“

Er drehte sich zu Erzmagier Rhonin um. „Ihr seid ein Mann des Wissens. Was sagt ihr dazu?“

Der fuchshaarige Magier zuckte mit den Schultern. „Der Aschenbringer ist die einzige Waffe, die Frostgram zerstören könnte. Sollte dies geschehen, wird ein unglaubliches Potential an reiner Seelenenergie freigesetzt. Ich halte es nicht für unwahrscheinlich, daß dies die Macht des Aschenbringers entfalten kann. In der Geschichte der Magie gibt es solche Beispiele.“

Der König schien nicht überzeugt. „Offensichtlich können wir es wohl nur darauf ankommen lassen, oder?“

„Aber vielleicht müssen wir seinen Geist auch gar nicht vernichten,“ fuhr Rhonin fort. „Nachdem der Erzdämon Archimonde durch das Scheitern des Rituals am Berg Hyial vernichtet wurde, jagt ihn auch sein einstiger Schöpfer Kil’Jaeden, der nun auf Archimondes Stelle vorgerückt zu sein scheint. Wenn es uns gelingt, den Lichkönig hier zu besiegen und seinen sterblichen Körper zu vernichten, wird sein Geist genug damit zu tun haben, Kil’Jaedens Schergen zu entkommen. Falls es Kil’Jaeden nicht sogar gelingt, ihn zu eliminieren.“

Sylvanas verschränkte mit einer grazilen Bewegung ihre Arme hinter dem Kopf und lehnte sich mit einem süffisanten Schmunzeln in ihrem Stuhl zurück. „Ist es nicht ungemein beruhigend, daß sich unsere Gegner untereinander genauso schätzen wie wir?“

Sie wartete, bis sie sich aller Aufmerksamkeit gewiß war und fuhr dann etwas ernster fort.

„Rhonin hat recht – Kil’jaeden wartet nur auf eine solche Gelegenheit. Nur bin ich mir nicht sicher, welcher von den beiden das kleinere Übel ist. Wenn erst einmal ein Erzdämon seinen Fuß auf diese Welt gesetzt hat, werdet ihr euch den Lichkönig noch zurück wünschen.“

„Wollt ihr etwa damit andeuten, daß wir den Lichkönig überhaupt nicht bekämpfen sollen?“ brauste König Varian auf.

„Keine Sorge, König.“ Die untote Elfe schien sich über Varians Ausbruch zu amüsieren.

„Ich will, daß Arthas für das, was er mir und meinem Volk angetan hat, bezahlt.“ Ihr Gesicht verfinsterte sich. „Aber es ist unsere Rache!“

Seyfried hatte keine Ahnung, woher er plötzlich die Unverfrorenheit nahm, ohne Aufforderung zu sprechen. „Sie hat recht – wir würden alles verraten für das wir bisher gekämpft haben, wenn wir zulassen, daß ein Dämon der Schatten uns unsereVergeltung nimmt!“

Kaum, daß die Worte seinen Mund verlassen hatten, spürte er, wie sich alle Blicke auf ihn richteten und er senkte schuldbewußt seinen Kopf. Erstaunlicherweise schien niemand seinen Einwurf als Affront zu sehen, im Gegenteil. König Varian sah ihn interessiert an. Dann nickte er zustimmend.

„Euer beherzter Begleiter hat recht, Fordring. Bringen wir es jetzt zu Ende!“ Zustimmendes Gemurmel folgte seinen Worten. Der Hochlord drehte sich zu Seyfried um und seine grauen Augen blieben einen nachdenklichen Augenblick auf dem jungen Mann hängen. Dann lächelte er. Balinar reichte Hochlord Fordring jetzt einen Stapel versiegelter Pergamente und der alte Paladin sah langsam in die Runde.

„Dann kann ich also davon ausgehen, daß alle Anwesenden einem Angriff zustimmen?“

Ein kollektives, schweigendes Nicken antwortete ihm. Wieder schweifte Fordrings Blick über die Anwesenden. „Gibt es zu der von mir aufgerissenen Angriffstrategie noch Einwände?“

Er wartete, aber niemand erhob das Wort. Mit einem Wink wies Fordring Balinar an, die Pergamente zu verteilen.

„In den Papieren finden sich alle Einzelheiten der Offensive einschließlich aller verschlüsselten Kommandos detailliert aufgelistet.“ Er schwieg einen kurzen, bedeutungsschweren Moment. „Die Operation Nordlicht beginnt in drei Tagen bei Morgengrauen. Möge die Macht des Lichtes mit uns sein.“
 

Seyfried sah den Todesrittern nach, die als letzte Gruppe den Saal verlassen hatten und stellte fest, daß es wieder merklich wärmer geworden war. Ganz entgegen seiner Erwartungen hatte auch die dunkle Dame Sylvanas diesmal wie alle anderen die Türen benutzt und verließ nun an der Seite von Darion Mograine die Burg. Auch wenn er es bedauerte, daß er der faszinierenden Fürstin der Verlassenen in nächster Zeit so nah nicht mehr kommen würde, fühlte er sich doch deutlich entspannter. Das Wissen um den bevorstehenden Angriff allerdings hatte in seinen Bauch ein Kribbeln aus Aufregung und Angst geweckt, das nicht mehr einschlafen würde. Jetzt war es also beschlossene Sache.

Erzmagier Rhonin, der mit Dame Jaina noch bei ihnen im Saal geblieben war, wandte sich an Fordring.

„Ich wollte das nicht vor allen zur Sprache gebracht haben. Aber wir haben eine beunruhigende Entdeckung gemacht. Seid gestern haben wir Probleme mit dem Schild. Eine uns noch unbekannte Kraft beeinflußt die Leiter.“

Fordring sah den Erzmagier stirnrunzelnd an. „Aber ihr wisst noch nicht, was es ist. Ist es schlimm? Wird der Schild halten?“

Rhonin nickte. “Der Schild wird halten. Aber eine Fluktuation in den Leitern, deren Ursprung unklar ist, beunruhigt mich. Zumindest können wir mit Sicherheit sagen, dass es nicht von Eiskrone ausgeht. Aber das ist noch nicht alles. Jaina?”

Die junge Magierin trat einen Schritt vor. “Rhonin beauftragte mich, diesen Fluktuationen auf den Grund zu gehen. Diesbezüglich bin ich nicht erfolgreich gewesen, habe aber im Rahmen meiner Untersuchungen noch etwas anderes entdeckt. Es hat diverse ungemeldete Portalgänge gegeben, jemand hat sich sehr viel Mühe gegeben, dass zu verschleiern.”

Besorgnis schlich sich auf Fordrings Gesicht. „Damit würde sich bestätigen, was Sylvanas bereits angedeutet hat – wir haben Verräter hier! Nicht, daß es mich wirklich überrascht, aber es beunruhigt mich außerordentlich, daß Sylvanas darüber mehr zu wissen scheint, als wir selbst. Ich gehe davon aus, daß ihr all eure Magier überprüft habt.“

Rhonin nickte. „Wir sind noch dabei. Wahrscheinlich können wir ihn nur überführen, wenn wir ihn auf frischer Tat ertappen. Aber vielleicht brauchen wir das auch nicht mehr. Seid heute morgen wird einer unserer Portalmagier vermißt.“

Obwohl Hochlord Fordring äußerlich ruhig wirkte, spürte Seyfried, wie aufgewühlt er innerlich war. „Wer hat noch Kenntnis davon?“

Rhonin zuckte mit den Schultern. „Im Augenblick nur die Anwesenden.“ Ein trockenes Grinsen blitze unter seinem Bart. „Und natürlich die Verursacher.“

„Kann es sein, das jemand versucht, den Schutzschild zu manipulieren?“

„Absolut. Aber er müßte die Kraft noch viel mehr fokussieren und das wird ihm nicht gelingen, ohne daß wir es merken. Damit wären Ausgangsort und Verursacher sofort lokalisiert. Im Moment sind die Störungen viel zu diffus, als daß wir sie orten könnten. Ich sehe keine aktuelle Gefahr für den Schild. Aber wir sind an der Sache dran!“

Der Paladin wirkte etwas beruhigter.

„Morgen wird das Schiff mit Baron Varmont eintreffen.“

Jetzt war es Rhonin, der überrascht seine Brauen hochzog. „Varmont kommt persönlich hierher?“

Fordring nickte bestätigend. „Was in der jetzigen Situation der schlechtmöglichste Moment ist. Baron Varmont hat viele Feinde auf Seiten der Schatten. Bis morgen müssen wir mehr über diesen verschwundenen Magier und die Fluktuationen wissen.“

Auch Jaina schien irritiert. „Was will der Baron hier in der Kälte?“

„Er drängt schon seid längerem auf einen Angriff.“ Fordring verzog leicht den Mund. „Uns gehen langsam die Mittel aus.“

„Weiß er von dem, was heute besprochen wurde?“ forschte Rhonin.

Fordring verneinte. „Ich wollte ihm zuvorkommen um zu vermeiden, daß er hier versucht, Tatsachen zu schaffen. Denn ich schätze, daß er genau deswegen hierhin unterwegs ist.“

Sein Gesicht wurde merkwürdig ausdruckslos, als sein Blick von Jaina über Rhonin zu Balinar und Seyfried wanderte. „Es gibt leider noch mehr schlechte Nachrichten. Wir haben aus recht zuverlässiger Quelle erfahren, das Bolvar Fordragon wahrscheinlich noch lebt. Als Gefangener des Lichkönigs.“

Seyfried starrte den alten Mann entgeistert an. „Aber das sind doch gute Nachrichten!“

Balinar schüttelte traurig den Kopf. „Sind es nicht, Junge. Der Lichkönig hält Bolvar nur aus einem einzigen Grund am Leben. Um ihn im Falle einer Bedrohung gegen uns zu benutzen.“ Er seufzte leise. „Hätte ihn das Licht an der Pforte des Zorns doch nur zu sich geholt.“

* * *

Schweigend ging Niamanee neben Mathis her, den Blick grüblerisch auf den Boden gesenkt. Nach einer Weile wandte sie sich an Mathis, der ebenfalls seinen eigenen Gedanken nachzusinnen schien. „Jeder hat doch so seine eigene Geschichte, weshalb er hier ist. Kennst du Seyfrieds Geschichte? Er sieht manchmal so traurig aus.“

Mathis nickte ging aber noch eine Weile Schweigend neben Niamanee her.

„Er spricht eigentlich nie darüber. Einmal hat er es mir erzählt. Als Arthas, mit seinen untoten Horden aus deiner zerstörten Heimat kommend auf dem Weg zurück nach Dalaran war, kamen sie auch durch Darrowheim, dass bis dahin relativ verschont geblieben war. Sie töteten alles, was unter ihre verfluchten Klingen kam. Arthas selbst tötete mit Frostgram Seyfrieds Eltern. Als er mit blutender Klinge vor Seyfrieds kleiner, sechsjähriger Schwester stand, starrte er die Kleine mit seinen glühenden Augen eine ganze Weile an – und ging fort, ohne ihr ein Haar gekrümmt zu haben. Ob das eine perfide Laune von ihm war? Wer weiß. Aber es rettete Seyfried, denn er stand dabei und hat alles mit angesehen.“

Niamanee spürte, wie die Traurigkeit wieder in ihr hochstieg. „Was ist aus Seyfrieds kleiner Schwester geworden?“

„Der kleinen Pamela? Ganz traurige Sache, das. Nachdem Arthas mit seiner untoten Horde durch Darrowheim gezogen war, erhoben sich dort alle Toten. So auch Seyfrieds Eltern. Und die riefen ihre Tochter zu sich. Die Kleine hatte ja keine Ahnung. Seyfried macht sich bis heute die größten Vorwürfe, daß er diesen einen Moment nicht aufgepaßt hat.“

Mathis sah sie an. Und Niamanee konnte in ihm lesen wie ein offenes Buch. Auch er war nicht da gewesen, als sein Sohn in vorderster Reihe gestanden hatte, um dem zurückgekehrten Prinzen zuzujubeln. Der ältere Mann nickte leise. „Ich habe nur noch seinen toten Körper bergen können. Aber zumindest habe ich es geschafft, ihn vor dem Schicksal zu bewahren, daß so viele andere Tote ereilt hat.“

Still durchschritten sie das gewaltige Stahltor, vorbei an den verdoppelten Wachposten und gingen den breiten Mittelweg des äußeren Ringes hinab.

„Was ist aus dem Rest deiner Familie geworden?“ Für einen Moment hatte Niamanee mit sich gehadert, ob sie die Antwort darauf überhaupt hören wollte. Tatsächlich lächelte Mathis jetzt.

„Meine Frau und meine beiden jüngeren Söhne sind in Sturmwind in Sicherheit. Ich hoffe, es geht ihnen gut, es ist schon eine ganze Weile keine Post mehr gekommen.

Arthas beständig wachsende Armee der Toten wütete zunächst in den besseren Vierteln von Lordaeron-Stadt. Von den feinen Herrschaften aus der Oberstadt ist kaum einer entkommen.

Uns Gassenbewohnern in der Unterstadt blieb noch Zeit zum Fliehen. Aber letztendlich war es Vater Nethaniel, dem wir unsere Flucht zu verdanken haben.“

Niamanees Brauen wanderten interessiert in die Höhe.

„Der Priester, der euch das Leben gerettet hat?“

„Nein, das war sein Neffe gewesen, ein junger Novize, der ihm gut eineinhalb Jahre lang zur Seite gestanden hat. Ein stets freundlicher, junger Bursche, war sich für nichts zu schade. Bedauerlicherweise wurde er von seinem Orden abberufen und an einen anderen Ort versetzt. Vater Nethaniel war sogar mal Bischof unter Erzbischof Faol gewesen. Aber es schien den Kirchenoberhäuptern wohl nicht gepaßt zu haben, wie er sich um die Ärmsten der Armen bemüht hat. Also haben sie ihn kurzerhand seiner Ämter enthoben und hätten ihn beinahe noch exkommuniziert. So ist er nach Lordearon- Stadt gekommen und hat einfach weiter gemacht.

Und weil er der wahrscheinlich beste Heiler unter der Sonne ist, haben auch die Reichen und Mächtigen nach ihm verlangt, wenn sie ein Zipperlein plagte. Was ihm wiederum Mittel und Einfluß verschaffte. Er hat sehr viel Gutes bewegt. Ein großer Mann. Und als Arthas die Geißel in der Stadt entfesselte, war er derjenige, der die panischen Menschen geführt hat, ihnen Hoffnung und Mut zusprach- und sich trotz seines damals schon hohen Alters gegen die ersten in die Gassen einbrechenden untoten Horden gestellt hat, um den Menschen die Flucht zu ermöglichen. Kaum ein Gassenbewohner ist durch die Geißel ums Leben gekommen. Viele von ihnen, so wie ich, haben ihre Familien in Sturmwind in Sicherheit gebracht und sind hierhergekommen, um Arthas entgegenzutreten.“

„Was ist aus Vater Nethaniel geworden?“

„Soweit ich weiß, lebt er immer noch in Sturmwind und kümmert sich nun dort um die Ärmsten der Armen. Ja, auch das stolze Sturmwind von König Varian hat seine Schattenseiten. Und mit dem Zuzug der Flüchtlinge aus Lordaeron ist es um so schlimmer geworden.“

Niamanee sah nachdenklich den breiten Weg hinab. „Solche Helden kennt unser Volk nicht. Selbstlosigkeit wird bei uns eher als Schwäche ausgelegt, heutzutage mehr denn je. Mein Volk hat sich sehr verändert. Und das nicht zum Guten. Silbermond ist kein Ort mehr, an dem man gerne verweilt. Nichts zieht mich mehr dahin zurück“

„Dann schließ dich unserem Kampf gegen den Lichkönig an!“

Das Lächeln auf dem Gesicht der Elfe wirkte reichlich gequält. „Ja, das sollte ich wohl. Aber hier kann ich nicht bleiben.“

Mathis sah sie stirnrunzelnd an. „Warum nicht? Balinar von Breenan hat euch doch offiziell willkommen geheißen.“

„Für Herr von Breenan mag das stimmen, für andere wohl kaum. Selbst hier im Norden ist Silbermond allgegenwärtig.“

Skepsis breitete sich auf Mathis Gesicht aus. „Gibt es etwas, daß ich über dich wissen sollte?“

„Familienstreitigkeiten aus einem Leben vor der Geißel. Nichts, was euch hier beunruhigen sollte.“

„Dann bleibt hier! Kämpft an unserer Seite! Zusammen werden wir das Monster von Frostthron stoßen, dann holen wir uns Lordaeron von den Untoten und den Verlassenen wieder! Wir werden Land und Städte wieder aufbauen! Es wird keine Armenviertel mehr geben, alles wird neu und wunderschön! Tirion Fordring wird unser König werden und dafür sorgen, daß es allen Menschen gut geht, er wird die Steuern gerecht verteilen und Schulen und Krankenhäuser errichten lassen! Und mitten in Lordaeron-Stadt werde ich ein großes Wirtshaus bauen mit einem riesigen Kamin. Dann hänge ich meinen Steinhammer an den Nagel, werde Wirt und schenke nur noch Jaelles köstlichen Kräuterschnaps aus! Und wenn es euch nicht in eure Heimat zurückzieht, seid ihr jederzeit willkommen, attraktive Schankmädchen können wir immer gebrauchen!“ Mathis lachte breit.

Niamanees Antwort war ein Zucken ihrer rechten Braue in einem ansonsten emotionslosen Gesicht. Mathis Grinsen verblaßte zu einem leisen Schmunzeln. „Macht nichts – wir finden auch was anderes für dich!“

Der Blick der Elfe war wieder nachdenklicher geworden. „Scheint, als wäre eure prächtige Hauptstadt gar nicht so prächtig gewesen.“

„Es kam ganz darauf an, auf welcher Seite der Stadt du gelebt hast.“ Mathis zuckte mit den Schultern.

„Armut hat es bei uns nie gegeben. Wir hätten uns dafür geschämt.“

„Gut für euch. Da ist die Schamgrenze bei uns Menschen wohl nicht so ausgeprägt – wahrscheinlich sinkt sie proportional zu der Anzahl der Goldbeutel. Dabei war Terenas der Zweite gar kein schlechter König, er war großherzig und weise. Er hat viele Gesetze erlassen, die allen Menschen in seinem Königreich ein gutes Leben ermöglichen sollten. Aber nachdem seine Frau im Kindbett gestorben war, hat er sich mehr und mehr zurückgezogen und seine Berater machen lassen. Die hatten dann ihre eigene Auslegung der Gesetze. Wenige Jahre vor dem Einfall der Geißel scheint sich Terenas wieder mehr in die Staatsführung eingemischt zu haben, denn die Zustände in den Gassen wurden merklich besser, auf einmal waren wieder Gelder da. Schade auch, daß sein Sohn es so verrissen hat.“

„Seit ihr Arthas schon mal begegnet?“

Mathis schüttelte den Kopf. „Nein, nie. Die hohen Herrschaften haben sich in der Unterstadt niemals blicken lassen. Aber nach allem, was man so hört muß er damals schon ein krankhaft ehrgeiziger, egoistischer Kerl gewesen sein. Vielleicht hat er wirklich geglaubt, er könne Lordaeron retten. Aber was er in Stratholme getan hat, ist unmenschlich! Das muß man sich mal vorstellen, er ist da mit seinen Leuten rein und hat die Bewohner reihenweise abgeschlachtet. Mit den eigenen Händen! Er konnte doch gar nicht wissen, wer denn nun wirklich von dem verseuchten Korn gegessen hatte! Nein, er hat vorsorglich einfach alle umgebracht, Männer, Frauen und Kinder. Niemand mit einem Herz im Leibe hätte so etwas tun können!“

Niamanee nickte leicht. „Ich kenne die Geschichte.“

Jetzt fiel ihr Blick auf den schweren Rucksack, den Mathis bei sich trug. „Was tragt ihr da eigentlich bei euch? Steine?“

Mathis lachte. „Da sind tatsächlich Steine drin! Ich hab’ da was in den Kellergewölben gefunden, was ich den anderen unbedingt zeigen wollte! Vielleicht interessiert’s euch ja auch.“

Ein Hornsignal vom Tor hallte laut und dunkel durch die kalte Luft. Kurz darauf folgte ein zweites Signal. Auf ihrem Weg zur Taverne blieben Niamanee und Mathis überrascht stehen und sahen zum großen Tor im Eiswall, daß jetzt langsam geöffnet wurde. Eine größere berittene Gruppe schritt im Gegenlicht langsam in ihre Richtung, die Banner der Horde wehten an den erhobenen Lanzen der vorderen beiden Reiter.

„Es ist Thrall,“ flüsterte Mathis ohne die Augen von den beängstigend großen Fernwölfen zu nehmen, auf denen der Kriegshäuptling der Orks an der Spitze seiner sechzehnköpfigen Eskorte einritt. Soldaten in den Wappenröcken der Argentumsdämmerung begleiteten die Formation zu beiden Seiten. Neben Niamanee und Mathis hatten auch andere Festungsbewohner in ihrem Tun innegehalten, kamen jetzt neugierig näher und begafften die schwergerüsteten Krieger, die sich von den neugierigen Blicken nicht im Geringsten beeindrucken ließen. Als sich die Orks in ihrer unmittelbaren Nähe befanden, wandte Thrall langsam seinen Kopf, schweifte über die Köpfe derer, die vor ihr standen und für einen Moment blieb der intensive Blick seiner blauen Augen auf Niamanee hängen. Dann waren die Orks auch schon an ihr und Mathis vorbeigeritten. Niamanee sah ihnen etwas beunruhigt nach. Wahrscheinlich reiner Zufall, daß der Blick des Kriegshäuptlings auf sie gefallen war – inmitten der Menschen, Zwerge und vereinzelten Nachtelfen mußte sie ja wie ein Fremdkörper wirken.

Die neugierige Menge hatte sich wieder zerstreut und Mathis marschierte zielstrebig auf den ‚hängenden Prinzen’ zu. Niamanee, die noch eine Weile länger den Orks hinterhergeschaut hatte, bemühte sich, ihn wieder einzuholen.

Zu Mathis großer Enttäuschung war das Wirtshaus zu dieser Stunde am Nachmittag recht leer. Meira, die Schankmaid polierte emsig die Tresenplanken, während einige wenige Gäste verstreut an den Tischen saßen. Ein älterer, graubärtiger Zwerg mit recht beindruckender Leibesfülle war am Freikamin zugange schichtete dort neue Holzscheite auf.

Als der Zwerg Mathis erkannte, richtete er sich kurz auf und wischte die rußigen Hände an seiner Schürze ab. „Dolmin und Kulgin sind auf dem Wall. Und Golofin mit den anderen Spähern draußen. Du weißt schon – das Treffen heute.“ Dann grinste er breit. „Aber heute abend gibt’s feinen Elch-Eintopf!“

Mathis grinste. „Na, das werde ich mir nicht entgehen lassen, Balgin!“ Er wandte sich kurz zu Nimanee um. „Das ist Balgin Kohlenfaust, ihm gehört der Laden hier! Ich glaube, ihr kennt euch noch nicht, oder?“

Niamanee verneinte und deutete eine Verbeugung an. Balgin reichte ihr lachend seine haarige Hand. „Wir sind uns zwar noch nicht vorgestellt worden, aber meine Neffen haben schon so viel von euch erzählt, daß wir die Förmlichkeiten mal getrost ignorieren können! Ich bin Balgin!“ Die Elfe schlug etwas verhalten ein. „Niamanee. Aber soviel gibt es doch gar nicht über mich zu erzählen.“

Balgin Kohlenfaust wandte sich zur Schankmaid um. „Meira, sei so lieb und bring uns mal vom frischgezapften Most!“ Er wandte sich mit verschmitzt-verschwörerischer Miene zu Mathis. „Es herrscht zwar im Moment absolutes Alkoholverbot – strikte Order von ganz oben – aber wer wird schon nach ein paar Gärungsbläschen im Most schauen.“

Dann drehte sich der Zwerg wieder zu Niamanee um. „Ihr wißt wohl gar nicht, daß ihr hier unten bereits Tagesgespräch seid, oder?“ Die Elfe sah ihn irritiert an und spürte eine unangenehme Beklommenheit in sich aufsteigen.

„Na, was Dolmin und Kulgin da von dem Überfall berichtet haben – es hat sie ganz schön beeindruckt, wie ihr da mit diesem leuchtenden Schwert gekämpft habt. Und die beiden sind nicht einfach zu beeindrucken.“

Niamanees Beklommenheit wuchs. Sie konnte sich an den eigentlichen Kampfablauf kaum kaum erinnern. Sie war wie in Trance gewesen, hatte es aber zunächst nicht in Frage gestellt und es als Kampfrausch abgehakt. Sie hatten überlebt, das war das einzige, was gezählt hatte. Aber auch Sardak Dunkelschwinge hatte bereits diese merkwürdigen Andeutungen gemacht. Das sie alle in Gefahr gebracht hatte, weil sie vergessen hatte, ein Fläschchen zu nehmen und diesen verdammten Anfall bekommen hatte, daran erinnerte sie sich nur zu gut. Sie warf Mathis einen fragenden Blick zu. „Ist das so?“

Mathis zuckte mit einem schrägen Grinsen die Schultern. „Na ja, ich habe schon so einige Paladine kämpfen sehen – aber was du da gemacht hast, das war schon ziemlich spektakulär. Diese verdammten wandelnden Leichen konnten gar nicht schnell genug von euch wegkommen. Du kannst dich daran nicht erinnern?“ Skepsis schlich in seine Augen.

Der Splitter. Das konnte nur mit dem Splitter zusammenhängen. Irgend etwas passierte mit ihr. Langsam schlich sich Angst in ihre Beklommenheit. Sie sah Mathis unsicher an. „Hört sich unglaubwürdig an, oder?“ Mathis nickte langsam.

„Allerdings. Aber ich habe für mich beschlossen, dir erst einmal zu glauben. Auch wenn ich weiß, das du uns einen Teil deiner Geschichte vorenthältst. “ Er sah sie stirnrunzelnd an. Dann entspannte sich Mathis Gesicht wieder. „Vielleicht will ich deine Geschichte auch gar nicht kennen. Ist vielleicht besser so.“

Erleichterung breitete sich in Niamane aus. Solange sie selbst nicht verstand, was mit ihr geschah, konnte – nein, durfte sie niemanden davon erzählen. Ein Grund mehr, daß sie von hier fort mußte. Möglicherweise war sie eine Gefahr für alle hier.

„Ich muß selbst erst einige Antworten finden. Allerdings finde ich den Gedanken, Tagesgespräch zu sein, ausgesprochen beunruhigend.“

Balgin nahm die Becher von Meira entgegen und entgegnete leichthin: „Blutelfen, die sich hier hin verirren und so aussehen wie ihr werden hier in dieser Langeweile zwangsläufig Tagesgespräch. Seht den Ruf, der euch voranweht als Vorteil, daß hält die eine oder andere zwielichtige Gestalt hier davon ab, euch zu belästigen.“

Mathis wuchtete seinen Rucksack auf die Theke. „So, und nun zeige ich euch mal, was Krestin und ich da unten in den Burggewölben gefunden habe!“ Er zog die Schnüre auf, holte mehrere kindskopfgroße Gesteinsbrocken heraus und ließ sie auf die Holzplatte rumpeln. Meira protestierte. „Ich habe da gerade gewischt! Du zerkratzt mir noch das Holz, Mathis!“ Mathis winkte ab. „Dann wischt du halt noch mal! Komm ‚rüber und schau’ dir das mal an!“

Zwei Männer mittleren Alters mit dichten Bärten in einfacher Schneekleidung hatten sich von den Bänken erhoben und sahen neugierig zu ihnen hinüber. Der Axt nach, die an der Bank des einen lehnte, gehörten sie offensichtlich zu den Holzfällern, die die Feste versorgten. Mathis nickte ihnen mit dem Kopf zu. „Na los, ihr könnt euch das auch anschauen.“ Die Männer zögerten nicht und kamen sofort zur Theke.

Balgin kratzte sich nachdenklich am Kopf. „So eine eigenartige Steinstruktur habe ich noch nie gesehen. Sieht fast so aus, als ob da jemand komische Muster hineingekratzt hätte. Sedimentablagerungen vielleicht. Darf ich mal?“ Er nahm ein grobes Messer vom Regal und sah Mathis fragend an. Dieser nickte. „Klar. Davon gibt es noch eine ganze Menge mehr.“

Der Zwerg begann, mit dem Messer auf einem der Gesteinsbrocken herumzuschaben. Dann schüttelte er den Kopf. „Keine Sedimentablagerungen. Zu hart.“

Meira verzog gelangweilt ihr hübsches Gesicht. „Sind ja ganz nett, diese Steine, aber was ist daran so besonders?“

Ein breites Grinsen zog sich nun von Mathis einem Ohr zum anderen. „Das zeige ich euch jetzt.“ Er wies auf den großen, tönernen Punschtopf mit dem Holzdeckel, der ganz oben im Regal stand. „Hol’ mir den mal ‚runter, Meira-Schätzchen.“

Die junge Schankmaid funkelte Mathis böse an. „Erst zerkratzt du mir meine Theke und dann kommandierst du mich auch noch herum! Und vor allem – ich bin nicht dein Schätzchen!“

Mathis setzte sein freundlichstes Lächeln auf. „Bitte, Meira, würdest du wohl die Güte haben, mir von dort oben den Punschtopf herunterzureichen?“

Meiras lupfte kurz ihre linke Braue, sah Mathis reichlich herablassend an, holte aber dann den Topf. „Schon besser, Herr Steinmetz.“ Mathis grinste amüsiert, nahm die auf der Theke stehende Laterne und beleuchtete eine Weile die Steine. Dann nahm er einen der Brocken, legte ihn in den Topf und schloß den Deckel bis auf einen kleinen Spalt.

„Wer will zuerst hineinschauen?“

Balgin drängte sich nach vorne, stieg auf den Schemel hinter der Theke und spähte hinein.

„So etwas habe ich noch nie gesehen. Was ist das?“

Nach und nach schauten alle in den Topf und den meisten entfuhren ähnliche Worte der Verblüffung. Niamanee hatte sich höflich zurückgehalten, aber nun war auch sie neugierig geworden und spähte durch den schmalen Spalt. Aus dem Topfinneren schien ihr gelbliches, kaltes Licht entgegen, der Gesteinsbrocken war bedeckt mit unzähligen kleinen und größeren Sprenkeln, die allesamt in diesem eigenartig fremden Licht glühten und die bizarren Muster auf der Oberfläche noch deutlicher nachmalten. Staunend sah sie auf und ihr Blick wanderte wie der von allen anderen fragend zu Mathis. Dieser zuckte fröhlich mit den Schultern.

„Ich habe keine Ahnung, was das für Steine sind. Aber sieht hübsch aus, nicht wahr? Vielleicht kann man damit so eine Art Wegbeleuchtung draußen anlegen. Ich bin sicher, dafür gibt es eine Menge interessanter Einsatzmöglichkeiten!“ Er sah in die Runde.

„Wer einen Stein will, kann sich gerne einen nehmen, ich muß morgen sowieso nochmals in die Gewölbe ‚runter. Wir haben da einen verschütteten Gang entdeckt und müssen mal schauen, wo der hinführt. Außerdem habe ich keine Lust, die Dinger noch weiter mit mir herumzuschleppen.“

Das ließen sich die beiden Waldarbeiter wie auch Balgin nicht zweimal sagen und griffen sich die schönsten Brocken heraus. Selbst Meira nahm sich ein kleineres Stück und wischte dann wieder eifrig den Gesteinsstaub von der Holzplatte. In dem Moment schlug mit einem lauten Krachen die Eingangstüre gegen die Wand und ein kalter Luftzug wehte über ihre Köpfe.

Fast gleichzeitig fuhren die Köpfe aller Anwesenden herum. Begleitet von vier leicht gerüsteten Bewaffneten in den Wappenröcken der Kirin Tor trat eine schmale Hochelfe mit platinblonden Zöpfen ein und verschränkte plakativ ihre Arme vor der Brust. Ihr altersloses, durchaus attraktives Gesicht war eine steinerne Maske. „Hat Valeera also recht gehabt!“

Der zornige Blick ihrer himmelblauen Augen richtete sich jetzt direkt auf Niamanee.

„Niamanee Nebeltänzer! Ihr besitzt tatsächlich die Unverfrorenheit, hierherzukommen, nach all dem, was euer Vater uns angetan hat?“

Niamanee atmete tief durch, richtete sich stolz auf und sah Vereesa Windläufer ruhig an.

„Mein Vater hat nicht mehr und nicht weniger als seine Pflicht getan! Er hat seinem König zur Seite gestanden! Das hätte er auch getan, wenn euer Vater Galeandros König gewesen wäre!“

„Euer Vater hat sich schon seid jeher gegen den alten Weg aufgelehnt! Er hat unsere uralten Ideale verraten!“

„Er hat erkannt, daß der alte Weg faslch ist! Genau wie König Anasterian! Glaubt ihr denn tatsächlich, daß es nur um die geplatzte Hochzeit zwischen Sylvanas und Kael’thas ging?“

Vereesa sah Niamanee mit abgrundtiefer Verachtung an.

„Rasaziel hat mit seinen ketzerischen Ideen den alten König völlig verwirrt! Anasterian war auf dem Wege unser größtes Heiligtum aufzugeben! Natürlich ging es nicht nur um die Hochzeit! Mein Vater mußte eingreifen, um das Reich zu bewahren!“

Auch Niamanees Augen funkelten jetzt wütend. „Euer Vater hat gegen den rechtmäßig amtierenden König geputscht. Das war Verrat!“

„Nein, Nebeltänzer! Das war der verzweifelte Versuch, die drohende Katastrophe abzuwenden! Verrat war, was ihr uns angetan habt! Das Exil war wohl unausweichlich, nachdem das Schicksal auf eurer Seite stand – aber das wir nicht gewarnt wurden, als die Orkhorden in Quel Thalas einfielen, das war Verrat! Ihr habt es rechtzeitig gewußt und habt uns nicht gewarnt!“

Auch wenn Niamanee nicht die Augen von Vereesa abwandte, wurde ihre Stimme leiser. „Damit hatte mein Vater nichts zu tun. Prinz Kael’thas hat dafür gesorgt, daß euch die Warnungen nicht mehr rechtzeitig erreicht haben.“

„Kael’thas!“ Sie spie den Namen förmlich aus. „Kael’thas, der den traurigen Rest unseres stolzen Reiches beinahe in den Schoß der Schatten geführt hätte! Und diesem Königshaus hat sich dein Vater verpflichtet gefühlt?“ Vereesa lachte bitter auf und wies aus der immer noch offenstehenden Eingangstüre. „Und da draußen auf dem Frostthron sitzt in all seiner albtraumhaften Schrecknis das ultimative Zeugnis des Versagens des von deinem Vater so hochgepriesenen Lichtes! Das Grauen, das unsere Heimat vernichtet hat! Und du willst mir immer noch verkaufen, daß der Weg, den dein Vater gehen wollte, der Richtige gewesen ist? Schau’ dich doch an, Nebeltänzer! Eine gebrochene, felverseuchte Kreatur, weiter vom Licht und unseren alten Idealen entfernt als je zuvor!“ Die himmelblauen Augen der Hochelfe verengten sich zu schmalen Schlitzen. „Verschwinde von hier! Du bist hier nicht willkommen!“

Mathis sah Niamanee aus den Augenwinkeln an, pfiff kaum hörbar durch seine Zähne und flüsterte: „Ich habe langsame eine Ahnung, warum ihr gehen wolltet.“ Er ging ein paar Schritte vor und stemmte ebenfalls seine Hände in die Hüften und sah Vereesa mit offener Herausforderung an. „Werte Dame Windläufer, Balinar von Breenan hat ihr gestattet, zu bleiben und er spricht für Tirion Fordring! Ihr könnt sie nicht von hier fortschicken!“

Vereesa Windläufer lachte leise auf und bedachte Mathis mit einem Blick, den man normalerweise einer Küchenschabe zuwerfen würde.

„Balinar von Breenan hat überhaupt keine Ahnung, wem er gestattet hat, zu bleiben. Und ihr, Steinmetz, seid wahrlich nicht in der Position, mich zurechtzuweisen!“

Jetzt trat Balgin Kohlenfaust vor, rieb seine Hände an seiner Schürze ab, stemmte sie ebenso wie Mathis in seine runden Hüften und knurrte: „Aber dies ist mein Gasthaus und hier bestimme ich alleine, wer geht und wer bleibt! Und ich wünsche, daß ihr und eure Begleitung jetzt geht, Frau Windläufer. Ihr beleidigt meine Gäste!“

Fassungslosigkeit spiegelte sich in ihren Augen wieder, als Vereesa auf den älteren Zwerg hinabsah. Die aufgeladene Spannung im Schankraum schien förmlich zu knistern. Wieder lachte Vereesa auf, diesmal klang es fast schon hysterisch. „Dicker, kleiner Zwerg, ich werde deine heruntergekommene Spelunke hier dem Erdboden gleich machen lassen! Du hast wohl vergessen, wer ich bin?“

Balgin sah kühl und völlig unbeeindruckt zu ihr auf. „Die Frau von Erzmagier Rhonin.“

Jeder in der Wirtschaft schien nur auf die gewaltige Entladung der bis zum Zerreißen gespannten Atmosphäre zu warten, einige der Gäste hatten sich ganz klein und unauffällig an den Tischen zusammengeduckt. Die Begleiter der Hochelfe tauschten unsichere Blicke. Vereesas Gesichtsfarbe war deutlich blasser geworden.

„Aber, aber, Schwesterherz, wer wird denn der Taten unserer verstorbenen Väter wegen so einen unnötigen Streit vom Zaune brechen?“ Die Gestalt, zu der die rauchige Stimme gehörte, die jetzt völlig unerwartet die Spannung durchbrach, lenkte schlagartig aller Aufmerksamkeit auf sich. Sylvanas Windläufer, sich ihrer Wirkung voll und ganz bewußt, schob sich mit federleichten Schritten zwischen den Bewaffneten hindurch und legte ihren Arm um ihre deutlich kleinere Schwester.

„Die Vergangenheit ist geschehen und nichts kann uns das, was wir verloren haben, zurückbringen, min’ya kim belore.“ Die Zärtlichkeit, mit der die fahle Elfe ihre Schwester ansah, verwirrte Niamanee, denn sie stand im krassen Widerspruch zu der dunklen Aura, die dieses Geschöpf des Todes umgab. Tote besitzen keine Emotionen. Irritiert ließ Niamanee Sylvanas nicht aus den Augen. Die anderen hatte das gänzlich unerwartete Erscheinen der dunklen Fürstin der Verlassenen ebenfalls völlig überrumpelt, einige starrten sie mit offenem Mund an. Selbst Vereesa wirkte neben ihrer Schwester überrascht und verunsichert.

Sylvanas nickte mit einem kühlen Lächeln in die Runde, ohne Niamanee auch nur die geringste Aufmerksamkeit zu schenken. „Meine Schwester hat den Tod unserer Familie nie verwunden. Seht es ihr nach und laßt euch bei eurem gemütlichen Zusammensein nicht weiter stören. Für einige von euch wird es bald sicherlich keine Gelegenheit mehr dazu geben.“ Ihr Lächeln war deutlich eisiger geworden und ohne ein weiteres Wort wandte sie sich wieder ihrer Schwester zu. „Komm, Schwester, laß uns noch ein paar Schritte zusammen gehen – wir haben so wenig Zeit, die wir miteinander verbringen können.“

Vereesa ließ sich widerspruchslos von Sylvanas aus dem Gasthaus dirigieren. Mit einigem Abstand folgten die vier Begleiter, die ebenfalls etwas verwirrt, aber zugleich auch erleichtert wirkten. Der letzte von ihnen schloß beinahe schon entschuldigend die Türe.

Eine ganze lange Zeit herrschte Schweigen an den Tischen und an der Theke, aber Niamanee merkte deutlich, daß die meisten Blicke immer wieder in ihre Richtung wanderten. Sie fühlte sich ausgesprochen unbehaglich und hätte am liebsten auf der Stelle ebenfalls das Gasthaus verlassen. Mathis sah Balgin an. „Was war das denn jetzt?“

Balgin grinste schräg. „Na, immerhin kann ich jetzt behaupten, daß selbst Fürstin Sylvanas bei mir eingekehrt ist.“

Meira verzog ihr Gesicht und blickte zur Türe, während sie fortfuhr, die Theke zu polieren.

„Blöde Kuh.“ Balgin warf ihr einen stirnrunzelnden Blick zu. „So redet man aber nicht über die Führerin der Verlassenen.“ Die Schankmaid schüttelte mißmutig den Kopf. „Die meine ich auch gar nicht. Ich meine ihre wichtigtuerische Schwester. Die und Daidanis Silberschatten kann ich nicht ausstehen.“ Mathis winkte belustigt ab. „Ach, sie nicht so hart zu der Mondpriesterin, die ist doch nur so schlecht gelaunt, weil sie keine Arbeit hat.“

Niamanee sah Mathis fragend an. „Wieso keine Arbeit?“

Ein zynisches Grinsen zog über das narbige Gesicht. „Weil der Lichkönig alle Seelen einkassiert und keine in ihren Mondbrunnen wandert. Es heißt, er habe tief im Inneren der Zitadelle Maschinen stehen, die die Seele eines jeden verstorbenen hier in Nordend einfängt – zumindest die, die er sich nicht mit Frostgram einverleibt. Ein Grund mehr, daß wir die Zitadelle endlich schleifen müssen!“

Niamanee nickte leicht und sah Mathis dann nachdenklich an. „Aber jetzt versteht ihr sicher, warum ich hier nicht bleiben kann.“

„Verstehen schon, aber ich glaube, ihr überbewertet das etwas. Vereesa tut zwar so, hat aber eigentlich nicht viel zu sagen. Bleibt hier, Mädchen, das findet sich alles schon.“

Niamanee schüttelte den Kopf. „Besser nicht. Ich möchte nicht, daß es meinetwegen noch Schwierigkeiten gibt. Jaelle sagte, ihr könntet mir vielleicht ein Pferd besorgen? Ich werde auch dafür bezahlen.“

„Ungern. Es gefällt mir nicht, daß ihr dort alleine hinausreitet. Wo wollt ihr denn hin?“

Die Elfe zuckte mit den Schultern. „Ich weiß es noch nicht. Erst einmal zum Hafen. Ich habe gehört, daß dort morgen einige Schiffe erwartet werden. Vielleicht findet sich ja eine Passage für mich zurück auf den östlichen Kontinent.“

Mathis wirkte etwas enttäuscht. „Ihr wollt nicht mit uns zusammen den Lichkönig bekämpfen?“

„Es ist kein Platz für mich in euren Schlachtreihen vorgesehen.“

„Doch! An unserer Seite! Ihr wollt doch auch Rache für Hochlord Fordragons Tod. Und für das, was Arthas eurem Volk und eurer Familie angetan hat!“

Niamanee sah Mathis beinahe schon entschuldigend an. „Es ist nicht Rache, was ich suche.“

„Was ist es denn?“

„Wenn ich das nur wüßte.“ Sie starrte nachdenklich auf den eigenartigen Stein, den sie die ganze Zeit in der Hand gehalten hatte. „Für einen Moment dachte ich, ich hätte es hier gefunden. Ihr seid alle so freundlich zu mir. Aber das da vorhin hat mir ganz klar gezeigt, daß es leider nicht so ist.“

Der ältere Mann nickte bedächtig. „Ich kann euch offensichtlich nicht umstimmen. Gut, ich besorge euch ein Pferd. Wenn ihr dann des Nachts draußen allein und frierend unter einem Baum schlaft, vielleicht besinnt ihr euch ja doch noch.“
 

Stallmeister Hagstrodt hatte auf Mathis Betreiben hin Niamanee ein robustes, mittelgroßes Pony herausgesucht, dessen struppiges weißes Haar ihrem nicht ganz unähnlich war. In der verschneiten Landschaft würde es schlecht auszumachen sein.

Der Steinmetz beobachtete sie, während sie im matten Licht der Stallaterne ihre wenigen Habseligkeiten in den Satteltaschen verstaute. Er hatte jegliche Bezahlung für das Pony abgelehnt. Mit einem leisen Quietschen öffnete sich die Stalltüre. Jaelle schlüpfte in den großen Holzverschlag, eine voluminöse Decke über der Schulter und einen großen Korb am Arm eilte sie auf Niamanee und Mathis zu. Sie sah die Elfe mit leisem Bedauern an.

„Schade, daß ihr geht – aber nach der Geschichte hätte ich das wahrscheinlich auch getan. Hier ist noch eine warme Decke für Draußen.“ Sie kramte einen prall gefüllten Beutel aus dem Korb und drückte ihn Niamanee in die Hand. „Rotsterntee gegen die Kälte.“ Ein weiterer, etwas größerer Beutel folgte. „Dörrfleisch nach Balgins Spezialrezept.“ Dann lächelte sie verschwörerisch, griff wieder in den Korb und holte zwei kleine Tonfläschchen hervor. „Und zweimal Medizin. Ich glaube, es ist ein bißchen zu stark geworden, aber vielleicht hilft’s ja trotzdem.“ Niamanee starrte Jaelle verblüfft an. „Woher kennt ihr das Rezept?“ Die hagere Frau grinste. „Ich habe mich ein bisschen schlau gemacht.“

Niamanee spürte das leise Kribbeln von Dankbarkeit in ihrem Nacken und ertappte sich dabei, ihren Entschluss in Frage zu stellen. Sie hatte nicht erwartet, daß ihr der Abschied hier tatsächlich schwer fallen würde.

Wieder öffnete sich die Stalltür. Alarmiert fuhren alle drei herum, entspannten sich aber sofort wieder, als sie Seyfried erkannten. Der junge Paladin schien gerannt zu sein, denn er wirkte etwas atemlos, als er auf Niamanee zueilte.

„Ich habe gehört, daß ihr uns wieder verlassen wollt.“ Er sah zunächst sie, dann Mathis und Jaelle fragend an. Niamanee nickte. „Ich muß. Mathis kann’s euch erklären.“

Seyfried sah sich zögerlich um und wandte sich dann an Mathis und Jaelle. „Ich muß Niamanee alleine sprechen. Es ist wichtig.“

Mathis grinste schräg. „Wenn du sie damit zum Bleiben bewegen kannst, immer doch!“

Der rotlockige, junge Mann verzog sein Gesicht ebenfalls zu einen trockenen Grinsen. „Wir werden sehen.“ Mathis legte seine Hand auf Jaelles Rücken und schob sie zur Stalltüre.

„Na, komm, lassen wir die beiden mal alleine.“

Nachdem sich die Stalltüre wieder geschlossen hatte, sah Seyfried Niamanee eindringlich an. „Ihr könnt nicht gehen!“

Die Elfe neigte ihren Kopf. „Und wieso nicht?“

„Weil...“ Seyfried zögerte, wirkte für einen Moment unsicher. „Weil es Neuigkeiten gibt!“

Ihr Blick aus den grünschimmernden Augen forderte ihn unmißverständlich zum Weiterreden auf. Der Paladin senkte für einen Atemzug den Blick und sah wieder auf.

„Weil wir erfahren haben, das Hochlord Fordragon noch lebt,“ platze es aus ihm heraus.

„Der Lichkönig hält ihn gefangen, aber wir werden ihn befreien!“

Niamanee starrte Seyfried wie vom Donner gerührt an. „Bolvar...Bolvar lebt noch?“ stammelte sie fassungslos. Die Welt begann sich um sie zu drehen, sie taumelte, konnte sich aber gerade noch fangen.

Seyfried nickte eifrig. „Ja, Tirion Fordring hat es vorhin selbst gesagt. Deswegen müßt ihr auch hierbleiben! Wir holen ihn da heraus!“

Mit einem Schlag war es wieder ruhig um Niamanee geworden. Da war er wieder, der Weg. Klar und deutlich lag er vor ihr. Es gab keinen Zweifel an dem, was sie tun mußte.

Sie sah den Paladin ruhig an. “Und deswegen muß ich erst recht gehen. Ihr könnt ihn mit eurer Offensive nicht befreien. Bolvar wird tot ein, bevor ihr die Zitadelle erreicht habt. Der Lichkönig wird nicht zulassen, daß er euch lebend in die Hände fällt.“

Jetzt war es Seyfried, der Niamanee bestürzt ansah. „Ihr wollt alleine nach Eiskrone?“

Die Elfe nickte. „Eine einzelne Person hat vielleicht eher eine Chance, unbemerkt in die Zitadelle einzudringen. Das Panorama ist noch in allen Einzelheiten in meinem Kopf und ich weiß auch schon, wo ich es versuchen werde.“ Ihre Augen wurden schmal. „Ich kam nach Nordend, um Bolvar Fordragon zu suchen und ich werde ihn auch finden!“

Trotz mischte sich jetzt in Seyfrieds Bestürzung. „Und wenn ich euch nicht gehen lasse?“

„Das werdet ihr. Ich glaube, ihr wußtet bereits, wie ich reagieren würde, bevor ihr es mir gesagt habt.“ Völlig unvermittelt beugte Niamanee sich vor, gab Seyfried einen Kuß auf die Wange und lächelte ihn an. „Danke, Seyfried. Danke für alles, was ihr für mich getan habt!“

Dan schwang sie sich in den Sattel und sah vom Pferderücken auf den jungen Paladin hinab. „Ihr werdet eine Menge Ärger bekommen, weil ihr es mir gesagt habt, nicht wahr?“ Seyfried wich etwas verlegen ihrem Blick aus und zuckte leichthin mit den Schultern.

„Ach was. So etwas perlt an mir ab.“

Niamanee warf ihm noch ein letztes, warmes Lächeln zu. „Ihr seit ein guter Mensch, Seyfried.“ Dann lenkte sie das struppige Pony auf das angelehnte Stalltor zu.

Nachdenklich sah Seyfried ihr nach, wie sie das Tor aufstieß und in das frühe Abendrot hinausritt. Schweren Herzens mußte Celestian die Prinzessin ziehen lassen.
 

Hochlord Tirion Fordring sah Balinar von Breenan müde an. Beide standen noch vor dem Panorama, während Muradin Bronzebart dafür sorgte, daß nichts von dem kalten Braten auf dem Tisch umkommen würde. Alle anderen waren gegangen.

„Wir haben nur noch diese eine Chance.“ Die Stimme des alten Paladins war bedeckt. „Hoffentlich haben sie alle verstanden, wie ernst die Lage ist und kämpfen diesmal gemeinsam. Bald kommen die Herbststürme und der Winter mit seiner langen Dunkelheit – dann ist an eine weitere Großoffensive nicht mehr zu denken.“

„Ich habe meine Zweifel bezüglich Darion Mograine und Fürstin Sylvanas.“ Balinar sah nachdenklich auf das Eiskronenmodell. Fordring nickte leicht.

„Die habe ich auch, Balinar. Aber solange der Lichkönig lebt bin ich sehr sicher, daß sie mit uns kooperieren werden. Über das danach kann ich mir jetzt noch keine Gedanken machen.“

„Aber das solltet ihr. Die vielen lordischen Kämpfer in unseren Reihen werden ihr Land und vor allem ihre Hauptstadt von den Verlassenen wiederhaben wollen. Es gibt jetzt bereits großen Unmut wegen der massiven Truppenpräsenz aus Sturmwind im Vorgebirge. Gerüchte machen den Umlauf, das Varian plant, Lordaeron zu annektieren. Und sollten wir Arthas und seine Geißel wirklich zu Fall bringen, werden Untote egal welcher Natur überall Freiwild sein.“

„All dies ist mir bewußt. Aber jetzt müssen wir erst einmal all unsere Kräfte auf das konzentrieren, was unmittelbar vor uns liegt. Schlimm genug, das der Lichkönig Bolvar in seiner Gewalt hat. Möge das Licht ihm beistehen, denn der Lichkönig wird ihn zweifelsohne zur Demoralisierung unserer Leute benutzen. Ich habe nicht vie Hoffnung für Fordragon.“

„Es ist schon eigenartig,“ entgegnete Balinar mit einem traurigen Lächeln. „Gestern noch muß ich dieser kleinen, blassen Feldmaus erklären, das Fordragon gefallen ist und sie den ganzen Weg umsonst hierhin gekommen ist und heute erfahre ich, daß er noch lebt.“

Fordring sah Balinar irritiert an. „Wem mußtet ihr gestern Bolvars Tod erklären?“

Balinar winkte ab. „Ach, nichts wichtiges. Golofin Gnollhammer, der Fährtenleser von Kommandant Dunkelschwinges Außenposten hat in den Sturmgipfeln so eine kleine Blutelfe aufgegabelt, die auf dem Weg hierhin war, um Fordragon zu treffen.“ Ein etwas gönnerhaftes Lächeln glitt über sein Gesicht. „Anscheinend hat der gute Bolvar in der Scherbenwelt ein kleines Techtelmechtel mit dem Mädel angefangen und sie ist hierhergekommen, weil sie sich Hoffnungen gemacht hat. Armes Ding. Den ganzen Weg umsonst.“

Alle Farbe schien aus Fordrings Gesicht gewichen zu sein. „Diese Mädchen – hat sie weiße Haare und auffällig blasse Haut? Eine eher ungewöhnliche Erscheinung für eine Blutelfe?“

Der alte Mann konnte die Aufregung in seiner Stimme kaum verbergen. Jetzt war es Balinar, der den Hochlord der silbernen Hand ausgesprochen verdutzt ansah. Er nickte zögerlich.

„Ihr kennt sie?“

„Wieso hat mir niemand davon berichtet?“ Fordrings Stimme klang ungewöhnlich gereizt.

Jetzt sah sich auch Muradin irritiert um und stopfte hastig das letzte Stück Braten in den Mund.

Balinar wirkte in seiner Verblüffung etwas ratlos. „Weil ich den extravaganten Liebeleien der Herren aus Sturmwind bisher keine militärische Bedeutung zugemessen habe. “

Fordrings stahlgraue Augen blitzten Balinar unwirsch an. „Wo ist das Mädchen?“

Selten hatte Balinar den sonst so souveränen Paladin so aufgewühlt erlebt.

„Vermutlich bei Gnollhammer und seiner Korona, die ständig im ‚hängenden Prinzen’ herumlungert.“

Fordrings Blick wechselte kurz zwischen Balinar und Muradin. Sein Befehl duldete nicht den geringsten Widerspruch.

„Bringt die Blutelfe hierher! Sofort!“



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