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Ryokochu

von

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§| F r e a k |§


 

*Mehrere Tage zuvor...*
 

Wer etwas haben will, der muss auch den Mut haben, es sich zu nehmen.

Tetsuyas Augen hafteten an der Ladentheke, während er sich das immer wieder sagte.

Ein Mann stand dahinter, klein und schmächtig.

Keine Herausforderung für ihn. Er hatte schon weitaus schwierigere Typen gesehen.

Das Geschäft war leer. Keine Menschenseele würde es mitbekommen.

Es war noch früh morgens, der Besitzer hatte erst vor fünfzehn Minuten geöffnet.

Unauffällig stand er vor einem der vielen Regale. Zu seiner rechten türmten sich haufenweise Dosen, voll mit konserviertem Obst und Gemüse. Dieser Ladenheini schien nicht viel von Ordnung zu halten. Man konnte das ganze Durcheinander kaum überblicken. Sollte er je etwas beim Einkaufen suchen, würde er es hier bestimmt nicht finden.

Er wandte den Kopf wieder nach vorne, blickte gespielt nachdenklich auf die Angebote vor sich.

Normal.

Ein Kunde, wie jeder andere auch, der halt etwas länger brauchte, ehe er wusste, was er kaufen sollte.

Nicht beachtenswert.

Nichtig.

Ungefährlich.

Von wegen!

Tetsuya schob seine rechte Hand in seine Jackentasche.

Er war nicht normal. War es nie gewesen und würde es auch nie sein. Er wollte es noch nicht einmal. Dann wäre er ja genauso ein Langweiler, wie all die anderen. Wäre es nach seinem Vater gegangen, hätte er Medizin studiert oder Jura, irgendetwas bedeutungsvolles, womit man sich eben wichtig machen konnte und ‘ne menge Kohle verdiente. Eine bildschöne Frau sollte er sich seiner Meinung nach nehmen, ein zwei Kinder haben und ein ruhiges Leben führen. Als Anwalt, Arzt oder dergleichen müsse er sich engagieren, sein bestes geben und die Familie ernähren, einfach vorbildlich sein, bis er sich dann mit sechzig zur Ruhe setzten und sein restliches Dasein in seiner riesigen Villa verleben konnte.

Langweilig!, dachte Tetsuya und musste spöttisch lächeln.

Stink langweilig!

Seine Finger ertasteten im Stoff seiner Jackentasche vertrautes, kaltes Metall. Er versicherte sich immer vor dieser einen Situation, welche gleich wieder folgen würde, ob er ‚sie‘ wirklich dabei hatte, auch, wenn er ohne diesen Gegenstand nie das Haus verließ. Das war so sicher wie die Tatsache, dass Haie nur im Wasser überleben konnten oder dass der Weihnachtsmann ‘ne fette Lüge war, um kleine Kinder zu veräppeln.

Mit der anderen Hand fuhr er sich kurz durch das blonde Haar. Hinten stand es leicht struppig von seinem Kopf ab. Die zwei Strähnen, die sein schmales Gesicht umrahmten, waren länger, reichten ihm bis zur Schulter. Eine außergewöhnlichere Frisur. Eben nicht langweilig. Vielmehr anders. Es gefiel ihm anders zu sein, gab ihm ein gewisses Gefühl von Einzigartigkeit, das er brauchte.

Er tastete noch einmal nach seiner Waffe, umfasste das Metall mit den Fingern.

Log geht‘s!, spornte er sich selber an, drehte sich um und marschierte auf die Ladentheke und den schwächlichen Kerl dahinter zu.

Seine Schritte hallten in seinen Ohren lauter wider, als sie waren, viel lauter.

Tetsuyas Pulsschlag verdoppelte sich.

Selbst jetzt mit seinen einundzwanzig Jahren, nach unzähligen kriminellen Vergehen, hatte er immer noch Herzklopfen. Er würde es wohl auch nie vollständig loswerden, das wusste er.

Wie ein Schauspieler, der immer wieder die Bühne betrat, dessen Herz auch um einiges schneller bei der ersehnten Vorstellung schlug.

Seine Beretta fest umklammert stand er vor dem Ladenbesitzer, der abwartend über den Rand seiner Brille schielte.

Das ‘Hände hoch!‘ und ‘Rück die Kohle raus!‘ saß bereits schon auf seinen Lippen und fast hätte er seine Waffe hervorgezogen, sie dem armen Tropf vors Gesicht gehalten, als plötzlich das Leuten der Messingglöckchen erklang, die über der Eingangstür hangen.

»Schönen guten Morgen! «, ertönte eine fröhliche Stimme.

Tetsuya hob eine Augenbraue verwirrt an. Skeptisch musterte er den Mann, der zu ihnen rübergeschlendert kam und lockerte seinen Griff um seine Beretta.

Verdammt! Er unterdrückte ein zorniges Fluchen.

Zeugen waren das letzte, was er gebrauchen konnte.

»Oi! Sagen Sie, wäre es möglich, in ihrem Laden hier ein paar Zettel anbringen zu lassen? Irgendwo? «, erkundigte sich der Typ direkt beim Besitzer und schob sich neben ihn.

Er war ziemlich groß, bestimmt einen Kopf größer als Tetsuya. Er hatte silbernes Haar und trug eine Brille mit dunkelgrünem Gestell.

Vom Kleidungsstil her wirkte er recht lässig.

Verwaschene Jeans, die an den Knien aufgerissen waren, weißes Hemd, das aus der Hose hing, Sneakers und eine nur locker umgebundene, dunkle Krawatte.

Was ist das denn für ein Softi?, schoss es Tetsuya unweigerlich durch den Kopf.

»Zettel? «, wiederholte der Mann hinterm Tresen. Er stützte das Kinn in der Hand. Sein Interesse schien nicht sonderlich groß. »Was denn für Zettel, hm? «

»Na, es handelt sich um eine Anzeige. Warten Sie, ich zeig es Ihnen am besten. « Er griff in die Umhängetasche, die er bei sich trug, und kramte etwas drin herum, bis er einen Flyer in der Hand hielt. Grinsend reichte er ihn dem Ladenbesitzer.

Hallo?!, dachte Tetsuya verärgert. Ich will hier grad einen Überfall starten, also verzieh dich endlich, du Flasche!

Mit seinen Blicken versuchte er vergebens den Fremden zu erdolchen.

Geh weg, geh weg, geh weg!!!

»Hey! « Er schreckte innerlich aus seinen Gedanken, kaum, dass er den Größeren ihn ansprechen hörte. Der Silberhaarige beugte sich zu ihm runter, kam seinem Gesicht aufdringlich nahe und grinste dabei unverschämt amüsiert. »Schon dein Leben versaut? «

Ungläubig klappte Tetsuya die Kinnlade runter.

Hatte er sich verhört?

Halluzunierte er?

Nein, der Freak war wohl einfach nur nicht ganz dicht in der Birne.

Was sollte DAS bitte für eine dämliche Frage sein?!

Was wagte er es überhaupt ihn so was zu fragen?!

Der Typ ignorierte seine verdatterte Miene und fuhr unbekümmert fort. »Wenn ja, dann hab ich die perfekte Lösung für dich! « Er hielt ihm einen Flyer unter die Nase. »Hideaki‘ s WG-Reisebus hat alles, was das Herz begehrt. Verpflegung, warme Betten, Dusche, Toilette- «

»Komm zur Sache! «, fauchte Tetsuya ungeduldig.

Allerdings ließ sich sein Gegenüber keinesfalls davon aus der Ruhe bringen. »…Auf jeden Fall suche ich noch dringend Leute, die Lust auf eine außergewöhnliche Reise ins Unbekannte haben. Du weißt schon, einfach alles hinter sich lassen und versuchen ganz neu anzufangen. « Er legte eine Hand ans Herz, die andere hob er dramatisch zur Decke. »Denn ich, Moriko Hideaki, plane mit dieser Aktion der Bevölkerung das bisher größte und schönste Geschenk zu machen, das Japan je bekommen hat! Selbstlos hab ich alles geopfert, um dieses Ziel zu erreichen und ich werde nicht eher ruhen, bis jeder einzelne in den Genuss dieses Projektes gekommen ist! « Der Brillenträger sagte dies in einem so dramatischen Ton, dass der Ladenbesitzer anfing anerkennend zu klatschen. Zwar mit ernstem Ausdruck auf dem Gesicht, aber immerhin.

Misstrauisch schaute Tetsuya ihn an. »Echt jetzt? «

»Hm, nein, aber es klingt doch wohl sehr edel, nicht wahr? « Er schob sich lächelnd die Brille mit dem Zeigefinger zurecht.

»Das darf nicht wahr sein… « Der Kleinere von beiden fuhr sich entnervt mit der Hand übers Gesicht.

»Eigentlich ist mir die Idee für einen WG-Bus ganz zufällig gekommen, als ich auf einer Auktion einen alten Reisebus ersteigert habe. Eine sehr teure Sache. «, vertraute der Silberhaarige ihm an.

Bei diesen Worten wurde der andere hellhörig. Seine linke Augenbraue hob sich leicht. »Teuer? «, wiederholte er. »Wie… teuer genau? «

»50.000.000 Yen. «

Holla! So viel Geld hätte er auch gerne mal. »Ist der Bus wenigstens noch in Schuss? «

»Es geht. Aber ich wollt ihn unbedingt haben. «

So redet nur ein Vollidiot!, überlegte Tetsuya. Ein reicher Vollidiot. »Könnte ich vielleicht einen von den Zetteln haben? « Kaum, dass er diesen Satz beendet hatte, fing dieser Verrückte -Hideaki- an zu strahlen und schien ganz hingerissen. Seine Augen blitzen hinter den Gläsern seiner Brille entzückt auf.

»Oh, natürlich, mein Lieber! Gerne doch. Hier, bitte. «

»Ähm… danke… « Zögerlich nahm er den Flyer entgegen und steckte ihn in seine Jackentasche.

»Will nun irgendwer der Herren etwas kaufen? Oder wollt ihr vielleicht weiter euer Puppentheater hier fortführen? «, brummte der Ladenbesitzer grimmig. Mit den Fingern trommelte er abwartend auf dem Tresen herum. So viel Trubel am Morgen schien ihm nicht recht zu gefallen.

Tetsuya setzte ein falsches Lächeln auf. »Danke, ich… komm vielleicht später noch mal wieder. «
 

»Es gibt eben doch noch genügend Trottel in Japan. « In Tetsuya war der Gauner erwacht, kaum, dass die Rede von einer Menge Geld gewesen war. Dieser aufgedrehte Hideaki schien eine Menge zu besitzen, wenn er mal eben so eine hohe Summe für einen alten, klapprigen Bus hinhalten konnte. Sein Benehmen sprach auch für die Abstammung aus einer reichen Familie, dieses naive Gerede und dieser sorglose Blick hatten es ihm verraten. Er kannte genug Leute mit wohlhabenden Eltern, die, so wie er, einfach nur blauäugig durchs Leben spazierten und mit ihrem Verhalten geradezu darum baten übers Ohr gehauen zu werden. Wie könnte er dazu schon nein sagen?

Er senkte den Kopf und besah sich erst jetzt richtig das Infoblättchen.
 


 

Hideaki‘ s WG-Reisebus

Sie haben ihr alltägliches, eintöniges Leben satt?

Sie sind auf der Suche nach Abwechslung und Abenteuern?

Sie würden sich über neue Bekanntschaften freuen?

Sie können sich mit zweitklassigen Lebensbedingungen anfreunden?

Dann sind sie hier genau an der richtigen Adresse!

Wir suchen 3 Leute, die sich auf dieses einmalige Projekt

einlassen und einen WG-Bus bewohnen wollen.

Und seien Sie paranoid, krank, wahnsinnig oder einfach nur

anders, als die anderen… wir nehmen jeden bei uns auf!

Auch ein herrenloser Hund findet hier sein Zuhause.

Verschwenden Sie keine Zeit und melden Sie sich noch heute

unter der folgenden Anschrift:


 

Tetsuya runzelte die Stirn und ließ einen amüsierten Laut seiner Kehle entweichen. »Das ist die schlechteste Anzeige, die ich je gelesen haben. Dieser Hideaki ist wirklich verrückt. «, murmelte er und schüttelte grinsend den Kopf.

Dieser Kerl würde leichter auszunehmen sein, als er eh schon gedacht hatte.

Er hatte auch schon ganz genau geplant, wie er das Ganze anstellen würde. Zunächst wollte er sich als harmloser Interessent ausgeben und schauen, wie viel Information sich diesem silberhaarigen Idioten noch über seinen Haufen Geld entlocken ließ. Zur Not würde er einfach seine Waffe ziehen und die Moneten verlangen, ganz klar. Ein typischer Raubüberfall eben, wie er sie schon etliche Male zuvor durchgezogen hatte. Das sollte kinderleicht und ohne Komplikationen verlaufen.

Er zerknüllte den Flyer. Sein Gedächtnis funktionierte gut, er konnte sich auch so die Adresse merken, kein Problem. Seine Schritte waren selbstsicher, seine Miene zuversichtlich. »Reichtum, ich komme! «

Woher hätte Tetsuya auch ahnen sollen, dass seine Pläne sich in nicht allzu entfernter Zukunft schlagartig ändern würden?

Und aus welchen Grund hätte er auch nur ansatzweise mit den Ereignissen der folgenden Tage rechnen sollen?

Außerdem… sind es nicht die überraschenden und plötzlichen Wendungen des Lebens, die eben jenes erst richtig interessant gestalten?



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