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Klassisch

KaiHiromi, ReiMao
von

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Auf Teufel komm raus

Der Abend war nahezu friedlich. Es wurde gerade erst richtig warm in diesem Jahr, und zum ersten Mal kühlte die Erde nicht sofort aus, sobald es dunkel wurde.

Takao und Daichi sahen sich irgendeine Quizshow im Fernsehen an, man hörte sie ab und zu lachen, und Kjouyju war von seiner Mutter schon nach Hause beordert worden. Die anderen Jungs saßen mit mir auf der Veranda, schweigend, aber sie genossen sicher auch das Gefühl des warmen Holzes unter sich. Reis Handy hatte vorhin gesummt, und dann war das nervöse Klackern der Tasten erklungen, als er schnell eine SMS schrieb, doch seitdem war es ruhig gewesen. Selbst das leise Atemgeräusch, das Kai manchmal machte, wenn er Zigarettenrauch in die Nacht blies, hörte man nicht.

Den ganzen Tag lang lag mir schon etwas auf der Zunge, das herauswollte, aber ich wartete noch immer vergeblich auf den geeigneten Zeitpunkt. Man könnte sagen, ich war bereit, einen Pakt zu schließen und wusste nur noch nicht, mit wem.
 

Max brummte ungeduldig. „Sind sie dort etwa immer noch bei dieser James-Bond-Frage?“, murmelte er. Wahrscheinlich hatte er mit halbem Ohr der Quizshow gelauscht. Seine Bemerkung riss Rei aus den Gedanken; dessen Blick klärte sich mit einem Mal wieder, und er setzte sich etwas gerader hin. Er setzte schon an, etwas zu erwidern, doch ich kam ihm zuvor:

„Ich möchte einen Freund“, sagte ich. Rei und Max sahen mich verwundert an, doch Kai drückte nach einem kurzen Seitenblick seine Kippe in dem Aschenbecher aus, den er Takao eigens vermacht hatte, und meinte: „Geh auf die Straße und nehm dir einen.“
 

Ich verdrehte die Augen. „So meinte ich das nicht. Ich will etwas absolut Ernstes –so mit Liebe und so“, fügte ich grinsend hinzu, erntete aber nur erneut eine gehobene Augenbraue. „Du bist aber schon zwanzig, oder?“, fragte Kai. Ich wandte mich demonstrativ ab. Es gab Momente, in denen Kais seltene, bissige Kommentare eine sinnlose Diskussion wunderbar verkürzen konnten, aber wenn man sich ernsthaft mit ihm unterhalten wollte, sollte man nicht das Thema Beziehungen wählen. Ich war überzeugt, dass Kai tief in seinem Innern auch eine Romantikecke versteckt hielt, und sei es nur eine Pritsche mit roter Bettwäsche und einem Teelicht auf dem Nachtschrank. Aber wahrscheinlich hatte nicht mal er selbst die geringste Ahnung davon, dass sie existierte.

„Was sagt ihr, Jungs?“, fragte ich deswegen Rei und Max, die jedoch fast synchron die Schultern hoben.

„Naja, was soll ich schon sagen, Hiromi?“, meinte Rei, „Ich glaube nicht, dass es sich heutzutage loht, an die eine, wahre Liebe zu glauben.“

„Na, so meinte ich das gar nicht! Nur…mal wieder verliebt sein wäre schön. Ich meine, ich fühle mich so abgestumpft. Nach der ersten Jugendliebe ist man völlig desillusioniert, schwört sich, den gleichen Fehler nicht noch einmal zu machen und sieht eine Beziehung nur noch als zeitweiliges Zusammensein mit einer anderen Person an, bis man vielleicht irgendwann jemanden gefunden hat, den man länger ertragen kann und ihn heiratet.“
 

„Erfasst“, sagte Kai, doch ich machte nur eine abwinkende Handbewegung in seine Richtung, weil es offensichtlich war, dass er das nur sagte, um mich noch mehr zu triezen. Genauso gut hätte er sagen können „Ich habe keine Ahnung, wovon du sprichst.“, das hatte bei ihm in etwa die gleiche Bedeutung.

„Ich habe keine Ahnung, wovon du sprichst“, meinte Rei da. Man sah ihm an, dass er sich redlich bemühte, meine Worte nachvollziehen zu können, jedoch scheiterte er kläglich. Dabei verstand Rei die Frauen oft sogar besser, als ich.

„Da gibt es nicht groß was zu verstehen“, sagte ich, „Ich will den ganzen Scheiß noch mal. Mich in jemanden verknallen. Mit ihm flirten und zusammenkommen. Die Zeit des Verliebtseins. Und das Gefühl, dass er der absolut eine für mich ist.“

„…die Erkenntnis, dass er dich betrügt, die Qual der Trennung, Tränen, Schmerz, Wut, Selbstmittleid, schon klar.“

„Halt die Klappe, Kai.“

„Okay.“ Er hob die Hände. „Geh raus, verknall dich und mach alle Fehler der Pubertät noch mal. Aber wenn du dann irgendwann mit den Überresten deines Herzens vor der Tür stehst, wirst du von mir nichts weiter hören, als: ich habs dir doch gesagt.“

„Schon klar. Rede bloß nicht so viel, Hiwatari, sonst wirst du heiser“, entgegnete ich. „Außerdem, wer sagt denn, dass ich ausgerechnet zu dir komme, wenn einer mit mir Schluss macht?!“ Der Blick, den ich daraufhin kassierte, erinnerte mich daran, dass ich nach den letzten Trennungen mein Herz jedes Mal in Takaos Küche ausgeschüttet hatte –in Anwesenheit aller. „Jaja, schon klar“, murmelte ich.
 

„Wie bist du denn überhaupt auf diese Idee gekommen?“, fragte Rei nun betont sanft. Dafür liebte ich ihn; er glich Kai in diesem Punkt perfekt aus; diskutierte man mit beiden über irgendetwas, war es wie mit den kleinen Engelchen und Teufelchen, die den Figuren in manchen Trickfilmen auf den Schultern sitzen. Dazu kamen dann noch Takao, der durch seine oft einfachen Fragen alle wieder auf den Boden der Tatsachen brachte, und Max, der immer zur Stelle war, wenn sich ein Streit anbahnte. Nur Daichi konnte meistens nicht mithalten; in solchen Momenten wurden die vier Jahre, die uns trennten, wieder bemerkbar. Jetzt beneidete ich Daichi um seine Jugend. Er durfte sich ungestraft in Liebe stürzen, und alle würden sagen, der arme Junge, er hat es nicht besser gewusst.
 

„Jetzt tu mal nicht so doof, Rei“, fuhr ich ihn trotzdem an, „Ich hatte seit zwei Jahren keinen allzu innigen Kontakt zu Männern mehr, weißt du, was das bedeutet?“

„Geht’s also doch nur ums Ficken. Weißt du, das können wir dir auch besorgen, kein Thema“, mischte sich Kai nun wieder ein.

„Schatzi, ich weiß, dass du eine geile Sau bist“, entgegnete ich mit unüberhörbar genervtem Unterton, „Aber ich steh halt nicht so drauf, wenn einer nach dem Sex in den Spiegel guckt, „Man, war ich gut!“ sagt und geht.“

„Eins zu null für Hiromi“, kommentierte Rei.

„Halt dich da raus, Rei“, sagte Kai, „ich wollte sie grad klar machen. Sie hat Schatzi zu mir gesagt, da läuft heut noch was!“
 

Es war nicht gerade befriedigend, mitansehen zu müssen, wie das Gespräch, dass ich für so wichtig erachtet hatte, vor meinen Augen den Bach runterging, aber ich ließ mich trotzdem zu einem kurzen Lachen hinreißen. Sie waren Männer; wahrscheinlich hatten sie einfach kein Talent für solche Themen. Selbst Max, der die ganze Zeit von einem zum anderen gesehen hatte, taute jetzt wieder auf, setzte sich neben mich und legte einen Arm um meine Schultern. „Ach, so schwer kann das nicht sein. Wir finden schon einen Kerl für dich, Hiromi!“

„Genau, wir fangen morgen auf dem Konzert damit an“, sagte Rei, und: „Ja, da finden wir bestimmt einen tollen Metaler für dich“, fügte Kai monoton hinzu. Es war nicht zu erkennen, wie ernst es ihm damit war.
 

Wir waren für den nächsten Abend von Garland eingeladen worden, der in einem einschlägigen Schuppen arbeitete und uns regelmäßig Karten für kleinere, gitarrenlastige Konzerte besorgte. Diese Konzerte waren zu einem etwa monatlichen Highlight unserer Clique geworden. An diesen Abenden wurden aus meinen Jungs grobmotorische, pöbelnde, testosteronstrotzende Männer. Dann warfen sie sich in Bandshirts und mehr oder minder enge, schwarze Jeans, verzichteten auf jegliches Haarstyling und soffen literweise billiges Dosenbier. Max stürzte sich regelmäßig in diverse Circles und Moshpits, von denen er aber nach ein paar Minuten die Schnauze voll hatte und dann jedes Mal von Kai und Rei gerettet werden musste, die als einzige von uns groß und breit genug waren, um ihn herauszuziehen und selbst nichts abzubekommen.

Ich liebte es, wenn sie betrunken waren. Takao konnte dann nicht still sitzen, und man brauchte eine Leine, wollte man ihn nicht aus den Augen verlieren. Wir verzichteten meistens darauf und hofften einfach, dass er am Ende der Veranstaltung irgendwie wieder zu uns finden würde. Max übte sich, wie schon gesagt, in vielerlei Tanzstilen. Rei wurde ganz philosophisch; wenn man sein Lallen verstand, konnte er einem die Weltformel herleiten und Kant zitieren. Kai schließlich offenbarte seinen stupiden Humor, indem er über Witze lachte, wie: Kommt ein Cowboy vom Friseur –Pony weg! Seitdem er einmal mehrere Minuten über diesen Witz gelacht hatte, war mir seine sonstige Humorlosigkeit etwas verständlicher geworden.
 

Was mich anging, so sah ich mir gern die Gothic-Frauen an, die wahrscheinlich jedes Mal zwei Stunden lang vor dem Spiegel zubrachten, ehe sie einen Schritt nach draußen und in Richtung Konzert machten. Für mich waren sie alle gleichermaßen von fremder, dunkler Schönheit. Ellenlanges Haar, Katzenaugen, rote Lippen, Spitze, Lack und Leder, gefährlich hohe, gefährlich designte Highheels. Ich kannte mich kein Stück in der Szene aus, aber ich beneidete diese Frauen um ihre Ausstrahlung. Sie waren wie Schwarze Witwen; wenn ihre Männer ausgedient hatten, fraßen sie sie einfach auf. „Du bist viel zu süß“, hatte Max gesagt, als ich in seiner Gegenwart einmal davon gesprochen hatte, mir auch ein Korsett kaufen zu wollen. Kai hatte damals den Vogel abgeschossen mit den Worten: „Das würde dir dein Bisschen Oberweite auch noch wegquetschen.“ Ich war eine geschlagene Woche stinksauer auf ihn gewesen und hatte mich demonstrativ die meiste Zeit mit Rei und Takao abgegeben.
 

Dabei waren meine Jungs, was Frauen anging, wirklich pflegeleicht. Will heißen, sie schleppten nicht andauernd irgendwelche Mädchen an. Zumindest nicht in meiner Gegenwart; was sie bei sich zu Hause machten, war mir egal. Rei hatte bestimmt keine Zweitfrauen; er führte seit Jahren eine Halbbeziehung mit Mao –sie waren schon öfter zusammen und wieder getrennt gewesen, als ich zählen konnte. Max flirtete gerne, besonders, wenn er getrunken hatte. Ich erinnerte mich immer gern an ein Erlebnis zurück, an dem er tatsächlich versucht hatte, bei einer der schwarzen Schönheiten zu landen und eiskalt ausgelacht worden war. Takao hat sich als Max‘ gelehriger Schüler erwiesen. Er kam bei Mädchen an, die früher auch auf Klassenclowns gestanden hatten.

Kai…nun, Kai bekam die Mädchen einfach. Es war, als müsste er sie nur zwei, drei Mal länger ansehen, und sie kamen zu ihm, als hätte er ihnen eine telepathische Nachricht gesandt. Allerdings ließ er sie auch oft genug gleich wieder abblitzen. Wahrscheinlich probierte er nur ab und an aus, ob seine Telepathie noch funktionierte.
 

Neben mir kam Bewegung auf. Rei war aufgestanden. „Ich werd langsam nach Hause“, meinte er, woraufhin Kai sich auch aufsetzte. „Ich komm mit.“

Damit war unsere Runde für heute wohl aufgelöst. „Bringt ihr Jungs mich nach Hause?“, fragte ich und sah zu ihnen hoch. Natürlich würden sie. So machten wir es immer. Rei wohnte irgendwo auf dem halben Weg von Takao zu mir, aber Kai machte immer noch einen kleinen Schlenker und brachte mich vor die Tür. Als ich ihn einmal gefragt hatte, warum er das tat, hatte er geantwortet, es wäre nicht richtig, ein Mädchen allein im Dunkeln nach Hause gehen zu lassen. Seitdem fühlte es sich immer ein Bisschen so an, als hätte ich einen Bodyguard, wenn wir zusammen zu mir liefen.
 

Wir verabschiedeten uns von den anderen; Max setzte sich zu Takao und Daichi auf die Couch und aß ihnen prompt die letzten Chipskrümel weg. Nachdem wir den Garten verlassen hatten, war von ihnen nichts mehr zu hören. In der Ferne brummte irgendwo der Verkehrslärm, aber das war ein Geräusch, das man nur allzu schnell ausblenden konnte. Als wir den Kanal erreichten, wehte ein kühler Wind vom Wasser mir die Haare aus dem Gesicht. Rei und Kai unterhielten sich über Reis Hausarbeit, die er in ein paar Wochen abgeben musste. Den Namen von Reis Studiengang konnte ich mir einfach nicht merken. Irgendetwas mit Kultur. Bei Kai war es einfacher, der machte Medizin, obwohl ich mich ernsthaft fragte, was er damit anfangen wollte. Ich hörte ihnen bloß zu, obwohl ich nicht viel von den gemurmelten Worten verstand, aber zwei tiefe, männliche Stimmen von der Seite geben einem Mädchen das Gefühl, absolut sicher zu sein.
 

Einige Minuten später erreichten wir das klobige Backsteingebäude, in dem Rei wohnte. Es war grau und schlicht, und die Wohnung das Geld nicht wert, das Rei für sie zahlte, aber es war ein Dach über dem Kopf und ein Ort, an den er sich zur Not zurückziehen konnte. Auf mehr durfte man als Student hier auch nicht hoffen. Als wir um die Ecke kamen und den Eingang sehen konnten, bemerkte ich einen zusammengekauerten Schatten im Türrahmen. In diesem Moment blieb Rei stehen. Ich hörte seine Schuhsohle über den Asphalt schleifen und wandte mich um. Auch Kai sah ihn verwirrt an, bevor sein Blick langsam zum Haus wanderte, wo der Schatten sich erhoben hatte und mit kleinen, schüchternen Schritten auf uns zukam.
 

Es war Mao. Sie begrüßte uns mit offensichtlicher Verlegenheit. Ich sah über ihre Schulter hinweg einen riesigen Koffer vor der Tür stehen und konnte aus Kais gehobener Augenbraue schließen, dass auch er erkannt hatte, worum es hier ging. Noch bevor Rei und Mao die ersten Begrüßungsfloskeln ausgetauscht hatten, räusperte er sich. „Wir gehen dann weiter, Rei.“

„Äh, jaja, geht nur“, stammelte er hilflos, doch damit würde er allein klarkommen müssen.

„Gute Nacht!“, sagte ich noch, bevor ich Kai hinterherlief. Kaum hatte ich ihn erreicht und waren wir aus dem Blickfeld der beiden getreten, machte ich mir Luft. „Ach du meine Güte!“, seufzte ich, „Was war das denn bitte? Wie in einem dieser Liebesfilme!“

„Ein schlechter Liebesfilm, wenn du mich fragst“, murmelte Kai und kramte aus seiner Hosentasche eine Zigarettenschachtel hervor. Ein untrügliches Zeichen dafür, dass er auch nicht recht wusste, was er von der Sache eben halten sollte. „Sieht ganz so aus, als müsste Rei jetzt etwas Platz in seiner Bude schaffen“, meinte ich. Kai verdrehte bekräftigend die Augen. „Warum fängst du eigentlich nicht an zu Kichern, Hiromi?“, fragte er, „Das ist doch genau so eine Szene, wo ihr Frauen immer anfangt zu seufzen.“

„Frag mich morgen nochmal. Heute bin ich viel zu überrumpelt. Und hör auf, auf mir herumzuhacken.“
 

In den nächsten Minuten herrschte Waffenstillstand. Ein Schlagabtausch mit Kai machte schon Spaß, war aber oft auch einfach nur anstrengend.

„Also…hältst du mich wirklich für dumm, weil ich das heute Abend gesagt habe?“, fragte ich dann.

„Ich halte dich nicht für dumm. Aber was du gesagt hast, halte ich für ausgemachten Schwachsinn“, antwortete er. Ich verzog den Mund zu einem unverbindlichen Schmollen. „Du bist so unromantisch.“

„Gebranntes Kind“, entgegnete er.

Ich verkniff mir, ihn nach dieser Bemerkung weiter auszufragen. Natürlich war ich neugierig; ich konnte mir beim besten Willen kein Mädchen vorstellen, das es ernsthaft schaffte, Kai die Finger zu versengen, sodass er den Glauben an eine große Liebe –sollte er ihn je gehabt haben– schon längst aufgegeben hatte. Wobei das Gleiche jedoch auch für Max und Takao galt. Rei war der einzige der Jungs, den ich mir ernsthaft mit einem Mädchen vorstellen konnte, und damit meinte ich nicht nur Mao.
 

Was war nur passiert, dass Mao so plötzlich vor Reis Tür gestanden hatte? Hatte sie ihn so sehr vermisst? Gab es Ärger bei ihr zu Hause in China? Der riesige Koffer, den sie mitgebracht hatte, sprach Bände. Vielleicht war es, wie in einem Anime, sie hatten sich als Kinder das Versprechen gegeben, dann und dann zusammenzuziehen, und jetzt war der Tag gekommen, und Rei hatte es einfach über die Jahre vergessen, im Gegensatz zu Mao. So sind Männer nun mal. Wobei, sollte Rei Mao tatsächlich so ein Versprechen gegeben haben, musste er schrecklich verliebt in sie gewesen sein.

„Na, ich bin ja mal gespannt, wie lange das gut geht“, sagte Kai neben mir und riss mich aus den Gedanken.

„…hm?“

„Ich frage mich, wie lange Rei das aushalten wird“, erklärte er. „Ich könnte mir vorstellen, dass er sich ziemlich schnell in die Enge getrieben fühlt.“

„Woher willst du das wissen?“, fragte ich. Automatisch fühlte ich mich mit Mao solidarisiert, die doch immerhin die Strapazen der langen Reise auf sich genommen hatte, um bei ihrem Liebsten zu sein. Kai verdrehte die Augen zum Himmel. „Echt, Hiromi, jetzt ist mir klar, warum du auf die bekloppte Idee gekommen bist, ausgerechnet jetzt die große Liebe zu finden“, sagte er. „Du hast überhaupt keine Ahnung von Männern.“
 

„Was soll das heißen?“, fuhr ich ihn an, was ihn natürlich nicht im Mindesten beeindruckte. Er nahm die Kippe aus dem Mund und sah mich an. „Hör mal, Rei ist einundzwanzig und so gesehen ein freier Mann. Er war immer froh, mit Mao zusammen zu sein. Er konnte sie sehen, aber sie war auch immer wieder weg und hat ihm nicht ständig an den Hacken geklebt. Entfernung kann eine Beziehung auch verlängern, weißt du.“ Er machte eine kleine Pause und runzelte die Stirn. „Oder dazu führen, dass man es immer wieder versucht, weil man vor lauter Vermissen nie weiß, wie eine richtige Trennung ist. Wie man‘s nimmt. Jedenfalls war es gut so. Und jetzt ist sie plötzlich hier, und er wird befürchten dass er sie jetzt heiraten, ihr ein Haus kaufen und Kinder zeugen muss.“

„Aber das stimmt doch gar nicht!“, rief ich.

„Aber mal ehrlich, das wollt ihr Frauen doch von dem Mann, den ihr liebt.“

Ich stutzte. Ja, so gesehen hatte er wohl Recht. Wenn ich meine vagen Vorstellungen von großer Liebe weiterspann, kamen unweigerlich ein gemeinsames, kleines Häuschen und eine Schar Kinder dabei heraus. Waren wir Frauen wirklich so durchschaubar?

„Siehst du“, sagte Kai, der meine Gedanken wohl erahnt hatte. „Jedenfalls wird Rei sich unter Druck gesetzt fühlen, und dann wird er ganz schnell aus dieser Misere rauswollen.“
 

Ich erschrak. Für mich waren Rei und Mao das perfekte Paar gewesen. Sie hatten sich doch immer ellenlange Mails und tausende SMS geschrieben und waren, wenn sie sich gegenseitig besucht hatten, nie aus ihren Zimmern heraus gekommen. War Mao hier gewesen, hatte man Rei tagelang nicht zu Gesicht bekommen. Ich war mir immer sicher gewesen, dass ich eines Tages Maos Brautjungfer sein, einen Kuchen zum Einzug backen und auf ihr Kind aufpassen würde, wenn sie mit Rei ins Kino wollte.

„Aber es muss ja nicht so kommen“, argumentierte ich hilflos. Kai hatte wohl den weinerlichen Ton in meiner Stimme, für den ich mich sofort verfluchte, gehört, also lenkte er ein: „Nein…wenn Rei die Eier hat, wird er es aushalten, bis die Zweifel wieder weg sind. Aber ich werde ihm da nicht reinreden. Ach, komm, Hiromi!“ Er wuschelte mir durch die Haare. „Ich kanns nicht sehen, wenn Mädchen wegen mir anfangen zu flennen.“

„Ich flenn doch gar nicht…“, murmelte ich. Was er gesagt hatte, machte mich furchtbar traurig. Ich konnte es nicht mitansehen, wie eine harmonische Beziehung den Bach hinunter ging. Jedoch, wenn es kam, wie Kai prophezeit hatte, würde ich wohl auch keinen Finger rühren, um die beiden beieinander zu halten. Man sollte sich da nicht einmischen. Aber schade war es schon.
 

Ich streckte den Arm aus und hakte mich bei Kai unter. Er sagte nichts dazu. Das mochte ich an ihm, er war zwar alles andere, als sanft oder gar zärtlich, aber in ihm steckte unübersehbar der Instinkt, Frauen beschützen zu müssen, wenn es nötig war. Deswegen machte er jedes Mal einen Umweg, um mich nach Hause zu bringen. Deswegen ließ er es zu, dass ich mich an seinen Arm klammerte, wenn mich etwas so deprimierte, dass ich nicht auf den Weg achten konnte. Immer, wenn ich mir in Takaos Küche die Augen ausgeheult hatte, war er am nächsten Tag mit einer Tüte gekommen, in der Zigaretten, ein paar Dosen Bier und eine Tafel Schokolade steckten, als wäre es einfach mal wieder an der Zeit, sich etwas zu gönnen, wenn wir zusammen saßen. Er machte das so selbstverständlich, dass einem gar nicht auffiel, wie ungewöhnlich das für ihn war. Ich fragte mich, ob er auch etwas für Rei tun würde, wenn der uns irgendwann eröffnete, dass er mit Mao Schluss gemacht hatte.
 

Wir erreichten die Straße, in der ich mit meinen Eltern wohnte. Langsam wurde ich zu alt, um die Beine noch unter dem Tisch meines Vaters zu haben, aber so war es am einfachsten. Wohnungen waren teuer. Und schließlich wohnte Max auch noch zu Hause, ich war also nicht die einzige. Meine Mutter hatte schon oft gefragt, warum ich den jungen Mann, der immer so nett war, mich nach Hause zu bringen, nie mit herein bat. Aber es war selbstverständlich, dass Kai nur bis zur Tür mitkam. „Danke“, nuschelte ich und ließ ihn los. Doch anstatt wie sonst nur kurz zu nicken, sah er mich ernst an. „Hör auf, Trübsal zu blasen“, sagte er streng. „Es ist nicht deine Beziehung. Sorg lieber morgen dafür, dass du endlich eine anfängst. Scheinst es nötig zu haben.“ Für die letzte Bemerkung knuffe ich ihn, eine Bewegung, die in eine kurze Umarmung zum Abschied überging. Kai roch nach Rauch und Pfefferminze, typischer Rauchergeruch. Beruhigend, doch ausblenden konnte ich die Gedanken, die ich mir um Rei und Mao machte, nicht.

Ganz Musik

Am nächsten Abend erschien Rei als letzter bei Takao, wo wir uns immer trafen, bevor wir loszogen, denn er wohnte ganz in der Nähe des Clubs. Natürlich hatte Rei Mao mitgebracht. Sie trug schwarze Klamotten, die jedoch aussahen, als wäre es das Erstbeste in entsprechender Farbe gewesen, das sie in ihrem Koffer gefunden hatte. Abgesehen von Kai und mir starrten sie alle überrascht an, sodass Rei die ganze Sache kurz erklärte. Mao war sichtlich bemüht, die Anspannung, die merklich in der Luft hing, zu lösen, indem sie zu jedem lieb und nett war; allerdings ging diese Anspannung nicht von einem von uns aus, sondern eher von Rei.
 

„Das ist ja toll, dass du heute gleich mitkommst!“, sagte ich deswegen und zog Mao an meine Seite, damit sie nicht die ganze Zeit an Rei hing. „Dabei musst du doch noch ganz müde sein.“

„Nein, nein. Geht schon“, sagte sie. „Ich hab den ganzen Tag geschlafen. Und als Rei sagte, dass er heute mit euch ausgeht, hab ich ihn überredet, mich mitzunehmen.“

„Hat er dir gesagt, was genau wir machen?“, fragte ich vorsichtshalber, doch sie schüttelte den Kopf. „Hab auch vergessen zu fragen. Obwohl er ja ein bisschen affig aussieht mit diesem komischen T-Shirt. Und warum hat er sich die Haare nicht gemacht?“

Ich seufzte. War das jetzt wieder typisch Mann? Ich würde Kai oder Max nachher fragen müssen, was das bedeutete, eher Kai, der kannte Rei ein Stück besser; aber jetzt bemühte ich mich erst einmal, Mao möglichst schonend das Programm für den heutigen Abend beizubringen. Ihre Miene schwankte dabei von Verwirrung bis Schrecken und endete mit gehobenen Augenbrauen. „Na, ich werde es schon überleben…“, murmelte sie.
 

Inzwischen waren wir beim „Kittchen“ angekommen, so hieß der Club. Es war ziemlich szenig, hatte Platz für 300 Leute und eine Bühne, auf der eine Hand voll Musiker plus die nötigen Instrumente Platz fanden. Garland stand gleich am Eingang und riss die Karten ein. Takao hatte den ganzen Stapel bei sich und streckte sie ihm hin, und Rei überredete ihn kurz, Mao auch reinzulassen. Sie musste nicht einmal bezahlen. „Wer spielt denn?“, fragte ich, als ich an ihm vorbei hineinging. Da Takao der Kartenverwalter war, wusste ich fast nie Bescheid. „Die Jungs nennen sich Showdown“, antwortete Garland. „Ah“, kam Kais Stimme von hinten, „Ich hab mir deren Myspace-Seite angeguckt. Die könnten dir auch gefallen, Hiromi.“

„Gehst du vor die Bühne?“, rief ich über die Schulter, denn je weiter wir nach drinnen kamen, desto lauter wurde es.

„Ich denk schon.“

„Nimmst mich mit?“

„Klar.“

Noch so eine Sache, die furchtbar praktisch war, wenn man mit einem Haufen Kerle unterwegs war. In der Menge vor der Bühne standen die Jungs meistens hinter mir und schirmten mich von eventuell pogenden Fans ab. Und wenn wir so begeistert waren, dass wir mitsprangen, war wenigstens jemand in meinem Rücken, den ich kannte. Es gab weitaus Schlimmeres, als in einem wilden Konzert an einen Kai Hiwatari gepresst zu werden.
 

„Wollt ihr auch mitkommen?“, fragte ich die anderen. „Es geht gleich los.“ Rei sah Mao fragend an, doch die schüttelte nur den Kopf. Also blieb Rei auch, obwohl ich genau sah, wie er kurz seufzte. Max jedoch nickte begeistert und schlüpfte vor uns in die Menge. Wahrscheinlich würden wir ihn gleich schon verloren haben. Er stand meistens irgendwo in der Mitte, wo die Chancen auf einen Moshpit am größten waren. „Glaubst du, er kommt heute auf seine Kosten?“, fragte ich Kai, der die Schultern hob. „Die Jungs haben ein, zwei Songs, bei denen man richtig die Sau rauslassen kann. Aber mal gucken, wie die Leute heute drauf sind. Ich glaub, die meisten kennen die noch gar nicht. Bis auf die da“ Er deutete nach vorn, wo eine Gruppe aufgedonnerter Mädchen in der ersten Reihe stand. Eingefleischte Fangirls. „Heute Mädels-Pogen, oder was?!“, fragte ich grinsend. „Na los, geh schon“, sagte Kai feixend, „Du willst es doch auch.“

„Danke, ich steh nicht auf Bitchfight“, entgegnete ich und behielt dieses Mal sogar das letzte Wort, denn in diesem Moment fing das Konzert an.
 

Nach und nach betraten vier schlaksige junge Männer die Bühne. Die übliche Besetzung also: Der Schlagzeuger war so schmächtig, dass ich es gar nicht glauben wollte, als er sich an sein Instrument setzte, aber er drosch probehalber einen mächtigen Wirbel auf die Becken, und der Saal tobte zum ersten Mal. Der Bassist trug einen prächtigen Iro in blau und die Arme voller Tattoos. Der Gitarrist hingegen sah aus, wie ein kleines Unschuldslämmchen, das gerade mit den Hausaufgaben fertig geworden war. Und als der Sänger herausgestürmt kam, war mir sofort klar, dass er eine Rampensau war. Doch was wollte man mehr? Eigentlich sollten nur Menschen auf der Bühne stehen, deren Lebensinhalt darin bestand, andere zu unterhalten und die sich gleichzeitig am Kreischen ihrer Fans aufgeilten. Rampensäue eben.

„Moin!“, rief der Sänger ins Mikro. „Ich seh euch alle gar nicht!“ Er trug eine Sonnenbrille. Ich verdrehte grinsend die Augen. „Lasst mal was hören!“ Ein Brüllen und Kreischen hob an, und kurz, bevor wir wieder verstummten, schrie jemand: „Ausziehen!“

„Später“, sagte der Sänger. „Wir spielen jetzt erstmal, ja?“

„Ist gut!“, kam es aus der Menge, die gleiche Stimme, wie eben.

„Dankeschön. Also: Moin, wir sind Showdown, und der Song heißt Bones.“
 

Fast augenblicklich begannen sie zu spielen, und es riss mich von den Füßen. Ich musste einfach springen, und aus der Bewegung, die um mich herum entstand, konnte ich schließen, dass ich nicht die einzige war. Der Gitarrist mit dem Babyface musste, so stellte sich bald heraus, eine sadistische Ader haben; das war die einzig logische Erklärung für die Misshandlungen, die er seinem Instrument zufügte. Aber es war so verdammt gut. Die schrägen Töne stachen durch mein Gehör ins Hirn, der Bass vibrierte wie schwingende Hammerschläge in meinem Brustkorb. Die Drums zitterten in meiner Lunge. Ich war ganz Musik. Die Leute drängten immer dichter zusammen, und einmal spürte ich, wie Kai mich festhielt, damit wir nicht getrennt wurden. Aber ich hatte keine Angst. Keine Angst, dass ich fallen könnte. Keine Angst, erdrückt zu werden. Solange ich nur ein Stück der in Licht getauchten Bühne im Blick hatte, würde mir nichts passieren. Der Sänger rannte auf und ab und schrie wie ein gelangweiltes Kleinkind. Er schien nicht genug kriegen zu können. Es war so scheißegal, was er sang; ob er sich nun Wut und Schmerzen aus dem Leib brüllte, oder vor Freude unartikuliert jauchzte. Ich hatte keine Ahnung, was von beidem es war, es war einfach nicht wichtig. Nichts war wichtig in diesem Moment. Nur das Gefühl der Einheit mit der Menge um mich herum und das Bedürfnis, den Jungs auf der Bühne das zu geben, nach dem sie verlangten, so wie sie auch uns gaben, was wir wollten.
 

Erst, als die grelleren Lichter ausgeschaltet wurden und eine Akustikgitarre erklang, bemerkte ich, wie sehr ich außer Atem war. Ich spürte, wie mir der Schweiß den Rücken hinunterlief. Meine Beine taten weh; ich schwankte und stieß Kai an, der es irgendwie geschafft hatte, hinter mir zu bleiben. Sein Körper war heiß. Inzwischen standen wir ein gutes Stück von der Stelle entfernt, in der wir uns aufgestellt hatten. Irgendwo in der zweiten oder dritten Reihe, ziemlich genau auf Höhe des Sängers. Ich wischte mir über die nasse Stirn und sah zu ihm. Er hatte zu singen begonnen. Das Lied beruhigte meinen nervösen Herzschlag. Die wenigen Fetzen des Textes, die ich aufschnappte, berührten mich auf eine Weise, wie ich es noch nie erlebt hatte. Ich wollte weinen, einfach so, ich hatte doch eigentlich gar keinen Grund dazu.

Ich glaube, das war der Moment, in dem ich mich in ihn verliebte.

Er sah gut aus, er war Sänger einer Punkband und ich ein Mädchen auf der Suche nach Liebe –natürlich musste es so kommen. Ich hätte es mir an den Fingern abzählen können, und irgendwie hatte ich auch schon mit so etwas gerechnet. Wenn mich heute Abend niemand angesprochen hätte, hätte ich mir eben einen Typen ausgeguckt und ihn hoffnungslos idealisiert.
 

Aus dem Bedürfnis heraus, meinen Gefühlsüberschwall mit jemandem zu teilen, drehte ich mich zu Kai um und grinste ihn breit an. Er hob die Augenbraue und beugte sich zu mir vor, damit er in mein Ohr sagen konnte: „Ich hab dir doch gesagt, die werden dir gefallen!“ Ich schüttelte den Kopf und drehte nun meinen Mund zu seinem Ohr. „Ich habe gerade meine zukünftige große Liebe entdeckt!“ Er runzelte die Stirn, blickte zur Bühne, dann wieder zu mir und formte mit den Lippen überdeutlich das Wort „Nein“. Und schüttelte resigniert den Kopf. Wahrscheinlich würde er sich jetzt die ganzen nächsten Tage Vorwürfe machen, weil er mich erst auf die Musiker des heutigen Abends aufmerksam gemacht hatte. Geschah ihm recht; ich würde ihm in naher Zukunft ständig mit Showdown in den Ohren liegen.
 

Nach dem Akustikset kam eine neue Salve schnellerer Lieder. Ich versuchte mitzuspringen, aber schon beim zweiten Mal knickten meine Beine plötzlich ein, und hätte Kai nicht nach meinem Arm gegriffen, wäre ich wohl doch noch unter irgendeiner Sohle gelandet. Also begnügte ich mich mit auf- und abwippen und stieß den Arm im Takt nach vorn, während auf der Bühne Sänger, Bassist und Gitarrist in synchrones Headbanging verfallen waren. Es gab ein lärmendes, beinahe episches Ende, und wir verlangten lauthals nach Zugabe, doch die Spielzeit war schon vorbei. Die Menge verlief sich, einige traten schon den Heimweg an, aber die meisten besetzten jetzt die Bar. Max tauchte plötzlich vor uns auf, völlig außer Atem; die Haare klebten ihm im verschwitzten Gesicht, das Shirt am Körper, aber er grinste, als hätte er gerade high im Regen getanzt. „Kai, du hast doch gesagt, du warst bei denen auf Myspace“, rief er uns zu, „Geben die demnächst noch ein Konzert in der Nähe?“
 

Gemeinsam gingen wir zu dem Tisch zurück, an dem wir die anderen zurückgelassen hatten. Dort trafen wir auf Rei, Mao und Garland, dessen Schicht heute wohl beendet war. „Hiromi, hast du noch eine Jacke dabei?“, fragte Mao erschrocken und musterte mein durchtränktes Oberteil. „Sonst erkältest du dich noch!“

„Ja, mach dir keine Sorgen.“ Ich setzte mich neben sie. „Und? Wie hats dir gefallen?“ Sie hob die Schultern. „Nicht so meine Musik, aber ganz nett“, meinte sie versöhnlich. „Ich wusste gar nicht, dass dir so was gefällt.“

„Na, auch nicht jeden Tag“, gab ich zu und sah mich schon nach Takao um. Ich entdeckte ihn in der Masse an der Bar, er quetschte sich gerade zwischen zwei Typen hindurch und kam dann zu uns. Im Schlepptau hatte er –o Wunder– ein kicherndes Mädchen. An ihrem Showdown-T-Shirt, auf das ich augenblicklich neidisch wurde, erkannte ich sie als eine aus der Fangirl-Gruppe. Ich wollte sie sofort in Beschlag nehmen: „Wow, wo hast du denn das geile Shirt her?“. Doch sie tat meine Begeisterung mir einem Blick ab, der mich eindeutig zu Abschaum degradieren sollte. „Internet“, antwortete sie und wandte sich wieder Takao zu, der ihr Bier hielt.
 

„Hey, Hiromi.“ Das war Rei, der sich erhoben hatte und neben Kai stand. „Wir gehen was zu Trinken holen, was möchtest du?“

„Bringt mir einfach irgendwas mit“, sagte ich.

Sobald sie weg waren, zupfte Mao mich am Ärmel. „Sag mal…glaubst du, Rei liebt mich noch?“, fragte sie. Augenblicklich fühlte ich mich überfordert. Das konnte sie mich doch nicht fragen, wo meine Sinne noch auf den Showdown-Sänger eingeschärft waren. Für alles Weitere war ich gerade viel zu unsensibel. „Ja, ähm, sicher, oder?!“, entgegnete ich ausweichend.

„Also keine andere?“

„Wa- Mao! Rei doch nicht!“

„Gut.“ Sie lehnte sich zurück und tastete den Tresen mit Blicken wie Suchscheinwerfern ab. „Ich hatte mich gewundert. Er ist komisch drauf.“

„Naja, ist ja auch kein Wunder, so plötzlich, wie du aufgetaucht bist“, nuschelte ich. Mao fuhr hoch. „Plötzlich?! Rei hat davon gewusst! –Aber da er euch nichts erzählt hat, scheint es ihm ja nicht allzu wichtig gewesen zu sein. Oder er hat es vergessen; wäre ihm auch zuzutrauen.“

Das erstaunte mich jetzt doch. Rei soll davon gewusst haben? Dann war es mehr als seltsam, dass die ganze Sache so überraschend gekommen war. Vielleicht lag da ja nur ein sehr, sehr großes Missverständnis vor. Doch ich hatte mir geschworen, mich nicht einzumischen, und das aus gutem Grund: je verschachtelter diese Geschichte sich gestaltete, desto stressiger wurde sie für alle Beteiligten, und es war reiner Selbstschutz, dass ich mich da jetzt nicht hineinwarf, sondern erst einmal selber mein Glück finden wollte. Meinetwegen konnte Mao sich bei mir ausheulen, aber ich würde mich hüten, zwischen ihr und Rei zu vermitteln.
 

Etwas kaltes berührte meine Schulter, und als ich mich umwandte, reichte Rei mir eine Dose Cola. „Heute weniger Suff“, sagte er. Ich nickte, aber irgendetwas sagte mir, dass Maos Anwesenheit an diesem Sinneswandel nicht ganz unschuldig war. Da bemerkte ich Kais Grinsen.

Kai grinste eigentlich nie so. Als ob er ein dickes Geschenk hinterm Rücken versteckt hätte. Oder irgendetwas wüsste, was ich nicht weiß und deswegen furchtbar stolz auf sich ist. „Rate mal, wer gerade an der Bar aufgetaucht ist“, sagte er. Ich blickte an ihm vorbei in die Richtung, in die er zeigte. Die Menschentraube, die sich vor dem Tresen gebildet hatte, sprach Bände. „Na geh schon!“ Kai zupfte an meinem Ärmel. „Ich will mich da hinsetzen.“ Mit einem unwesentlich festeren Griff hatte er mich hochgezogen. Ich stand so plötzlich, dass ich beinahe wieder eingeknickt wäre, wobei ich wahrscheinlich auf Kais Schoß gelandet wäre, der natürlich prompt meinen Platz in Beschlag genommen hatte –und aus so einer Sache konnte man sich dann nicht wieder herausreden, egal, was man sagte. Ich zwang mich also zum Stehenbleiben. Dann machte ich, sehr vorsichtig, wie ein Kleinkind bei seinen ersten Gehversuchen, ein paar winzige Schritte nach vorn. Dort, wo die Leute waren, war auch er.
 

Ich kam mir vor, wie der letzte Idiot und straffte die Schultern. Wenn er schon nicht bei meinem bloßen Anblick auf die Knie fallen und mir einen Antrag machen würde, würde ein Autogramm fürs erste auch reichen. Mit diesem Gedanken kam ich der Traube immer näher und begann den Hals zu recken, um besser sehen zu können.

Der Bassist lehnte an der Bar, sein Iro stieß beinahe gegen eine der Lampen, und ließ sich mit zwei Mädchen fotografieren. Neben ihm nahm der Gitarrist gerade ein Glas Bier vom Barkeeper entgegen. Die meisten Leute hatten sich aber um die anderen beiden versammelt, die nebeneinander an einem Stehtisch lehnten und alles signierten, was ihnen entgegengestreckt wurde. Der Sänger wirkte ein Stück kleiner, als auf der Bühne. Er war vielleicht so groß, wie Max. Ich schob mich in die Menge, drängelte ein wenig und stand schließlich in der ersten Reihe, bevor mir einfiel, dass ich ja gar nichts zum Signieren dabei hatte. Ich hatte nicht einmal mein Handy, mit dem ich zur Not ein Foto hätte machen können, denn das steckte in Maos Handtasche.
 

Meine Miene muss genau in dem Moment entgleist sein, als er mich ansah. Er lachte und winkte mich zu sich. „Na, alles klar?“, fragte er zur Begrüßung. „Passt“, sagte ich und versuchte, möglichst lässig zu klingen. „Ich hab nur grad gemerkt, dass ich absolut nix zum Signieren habe.“

„Na, wir finden schon was. Was ist denn hiermit?“ Plötzlich fühlte ich seine Finger an meinem Bauch und wollte zurückzucken. Dann merkte ich, dass er mich gar nicht streichelte, sondern auf den übertrieben breiten Saum der Boxershorts tippte, die ich trug. Vor einiger Zeit war es mal Mode gewesen, Jungenunterwäsche zu tragen, und ich hatte den Trend mitgemacht, nur, um festzustellen, dass Boxer manchmal sehr bequem sein konnten. Und manchmal sahen sie an Frauen halt auch ganz geil aus. In diesem Augenblick war es mir zwar auch irgendwie peinlich, sie zu tragen, aber immerhin rettete sie mir gerade den Abend. „Klar, mach nur!“, sagte ich deswegen. Mit einem Kleinjungenlächeln zückte er seinen Edding und schrieb schwungvoll seinen Namen auf meine Unterwäsche. „Ey!“, rief der Drummer, der uns erst jetzt bemerkte, „Lass mich auch!“ Noch während er schrieb, rief der Sänger die anderen Bandmitglieder zusammen: „Ey, Yoshio, Makoto, wollt ihr mal ‘ne Boxer signieren?!“

„‘n BH wär mir lieber!“, rief der Bassist zurück, kam aber trotzdem. Inzwischen versuchte ich, die Unterschriften zu entziffern. Der Sänger hieß Katsumi, der Drummer Shun. Makoto war der Bassist, also musste das Babyface mit der sadistischen Ader Yoshio heißen. „Ey“, raunte Makoto, „Willste nicht doch ‘n Autogramm auf deinen BH?“

„Äh, nein danke.“ Er hob die Schultern. „Okay. ‘n Versuch wars wert.“

„Ich weiß nicht, Jungs, macht mich das jetzt an, oder nicht?“, fragte Katsumi und betrachtete noch mal sein Meisterwerk. Ich verschränkte die Arme; auf Notgeilheit hatte ich dann doch keine Lust, egal, wie toll ich ihn fand. „Wo spielt ihr als nächstes?“, fragte ich, um abzulenken. Er nannte den Namen eines kleinen Küstenstädtchens südlich von hier. „Aber danach kommen wir gleich wieder zurück, dann ist die Tour vorbei. Dann geht’s in den Proberaum“, verkündete er noch. Ich nickte unverbindlich, doch bevor ich noch etwas sagen konnte, wurde ich von einigen Mädchen abgedrängt, die die letzten Minuten ungeduldig darauf gewartet hatten, dass die Jungs mit mir fertig wurden.
 

Während ich zu den anderen zurückging, wurde mir langsam klar, was gerade passiert war. Die Band hatte auf meiner Unterwäsche signiert. Und alle hatten sie derweil an mir rumgegrabscht. Ich wusste nicht, ob mir das peinlich sein, oder ob ich einen Anfall vorpubertären Fangirlverhaltens zulassen sollte. Letztendlich entschied ich mich für die eleganteste Variante: ich stolzierte hoch erhobenen Hauptes und breit grinsend zu meinen Jungs und versteckte dabei den verräterischen Boxersaum unter meinem Shirt.

„Bitte sag mir, dass du sie für Arschlöcher hältst und nie wieder etwas mit ihnen zu tun haben willst“, sagte Kai, sobald ich die Hälfte meines Hinterns neben ihm auf die Bank gequetscht hatte. Für mehr reichte es nicht. „Nein“, entgegnete ich schnippisch, „Im Gegenteil, sie sind sehr nett.“

„Werd bloß kein Groupie.“
 

„Jaja.“ Ich wollte wieder einen langen Hals machen, um vielleicht noch einen Blick auf die Jungs zu erhaschen, und erschrak. Katsumi hatte sich aus der Umklammerung seiner Fans befreit und stand kurz vor unserem Tisch. „Ah, da bist du ja“, sagte er und streckte mir einen Zettel entgegen. „Ich hab dir hier ne E-Mail-Adresse aufgeschrieben. Könntest du vielleicht ein Foto von deiner Hose machen und es da hinschicken? Wir sammeln so was für das Fotoalbum über unsere Fans auf Myspace.“

„Äh, ja…äh, geht klar“, stammelte ich und nahm ihm den Zettel ab. „Ähm…muss ich drinstecken? In der Hose, mein ich?“ Er grinste anzüglich. „Mach, wie du denkst. Man sieht sich.“ Er winkte. Wie in Trance winkte ich zurück und konnte erst aufhören, als Kais kalte Worte mich in die Realität zurückrissen: „Was meinte er mit Hose?“ Ich spürte, wie ich unter seinem Blick verlegen wurde. Mit so wenig Worten wie möglich erzählte ich es ihm nun doch und zeigte kurz den Saum meiner Boxershorts. Ich erntete missbilligendes Kopfschütteln. „Naja, wenigstens hast du sie nicht auf deinem Arsch signieren lassen…“, seufzte er.
 

„Kai?“ Das war Rei. Er hatte einen Arm um Mao gelegt, die an seiner Schulter lehnte und schon ganz kleine Augen hatte. „Was meinst du, wollen wir langsam gehen?“ Wieder verspürte ich ein instinktives Verständnis für Mao. Für sie muss es ein anstrengender Abend gewesen sein, und sie sollte schließlich auch ein wenig Zeit allein mit Rei verbringen können. „Ja, lass uns los“, sagte ich deswegen. „Wo ist Takao?“

„Max ist ihn grad suchen. Ah, da sind sie schon.“

Draußen war es angenehm kühl. Mein Shirt war längst getrocknet, und mit dem Nachtwind kroch auch die Müdigkeit meine Beine hoch. Ich machte die Jacke zu und freute mich auf den langen, schlaftrunkenen Weg nach Hause. Wir würden schweigen, und ich würde dem tauben Gefühl in meinen Ohren nachspüren, durch das ich mich immer fühlte, wie in Watte gepackt.

Katsumi stand bei den Rauchern und winkte mir zu, als er mich bemerkte. Ich grinste und machte eine fahrige Bewegung mit dem Arm. Dann war es wirklich vorbei. Mit dem Club ließen wir auch die Erlebnisse des Abends hinter uns.

Social network

(So, gute zwei Wochen sind vergangen, Zeit für das nächste Kapitel. Es ist wohl mehr so ein Filler, aber es hat trotzdem großen Spaß gemacht, es zu schreiben, denn man konnte sich so schön viel zu den Jungs und Mädels ausdenken, was nichts mit der Serie zu tun hat xD. Ach ja, und mit Boris ist Bryan gemeint, weil ich recht gerne die Originalnamen verwende.)
 

Sobald ich aufgestanden war, schaltete ich den Computer ein. Ein Tab für Myspace, ein Tab für Facebook. Ein Teil der Jungs war auch schon da. Max hatte vor ein paar Minuten ein Foto gepostet, auf dem er und die anderen zu sehen waren. Kurz, bevor wir gestern losgegangen waren, hatte er das Handy gezückt, in die Höhe gehalten und abgedrückt. Jetzt trug das Bild den Titel „Emo-Foto“ und hatte schon die ersten Kommentare bekommen. „Wo war ich mit meinen Gedanken, als du das gemacht hast?“, hatte Rei geschrieben, darunter folgte ein simples „omg“ von Kai. Der hatte auch einmal mehr die beste Statusmeldung: „Hört sich an, als hätte meine Nachbarin gerade den besten Sex ihres Lebens.“ Dafür hatte er schon vier Mal ein „Like“ bekommen, sowie einen Kommentar von Yuriy: „Klopf an und frag, ob du mitmachen darfst!“. Daraufhin Kai: „Nein danke, die ist 45.“. Daraufhin Yuriy: „O,o!“.
 

Ich liebte es, Menschen, die ich kannte, im Internet zu beobachten. Meistens benahmen sie sich dort ein wenig anders, als sonst, und oftmals waren die Schweigsamen diejenigen, die alle mit ihren kurzen, knackigen Kommentaren zum Lachen brachten. Oder von denen Fotos auftauchten, auf denen sie verboten scharf aussahen. Vor Kurzem erst war ein Bild von Boris durch unsere Reihen kursiert, auf dem er mit freiem Oberkörper, eine Hand in der Tasche seiner Jeans, mit der anderen ein Handtuch auf der Schulter haltend, im Rahmen eines großen Rundbogenfensters stehend, zu sehen war. Es war nie herausgekommen, wo genau es entstanden war, aber gemacht hatte es wohl Yuriy, der scheinbar ein Händchen für tolle Schnappschüsse hatte.
 

Auch die Profilbilder sprachen ihre eigene Sprache. Max zum Beispiel umarmte glücklich lächelnd einen Kaktus. Mao hatte ein sehr niedliches Foto, auf dem sie gerade von Rei einen Kuss auf die Wange bekam. Rei hatte einige Zeit lang das gleiche gehabt, war dann aber zu einem etwas seriöserem übergegangen, das jemand im Hörsaal von ihm gemacht hatte: Er saß ganz vorn, mit einem unglaublich klugen Gesichtsausdruck, und um ihn herum waren alle Bänke leer, abgesehen von einem hohen Bücherstapel, der sich zwei Meter links von ihm türmte. Takao sah man noch immer mit einem überglücklichen Lächeln sein Abschlusszeugnis schwenken. Und Kai hatte eines gewählt, auf dem er und Yuriy zu sehen waren. Er hatte die Rechte Augenbraue gehoben, Yuriy die linke, und beide hatten einen Blick aufgesetzt, bei dem man nicht recht wusste, ob er einen anmachen oder doch eher vorwarnen sollte.
 

Ein wenig unwillig riss ich mich von Facebook los und suchte in Myspace nach Showdown. Ich wurde sehr schnell fündig. Als ich das Profil öffnete, erklangen die ersten Töne von „Bones“, und jetzt konnte ich sogar ein Bisschen was vom Text verstehen. Es gab eine Übersicht der Tourdaten, aus der hervorging, dass die Jungs tatsächlich nur noch ein Konzert gaben, bevor sie wieder zurückkamen. Ich las mir die Biografie durch und klickte mich durch die Fotos. Katsumi sah auf jedem gut aus. Er war ein sehr dunkler Typ, schwarze Haare und fast schwarze Augen, aber das rundete seinen eleganten Stil nur ab. Ich erwischte mich dabei, wie ich bei jedem neuen Bild aufseufzte, und das war schon ein wenig peinlich. Aber es half nichts, ich hatte ihn schon hoffnungslos idealisiert, wie ich es geahnt habe.
 

Der Ordner der Fanfotos war noch recht klein. Zu sehen waren ein paar Mädchen in auffallenden Klamotten, selbstgestaltete Bandshirts und Basteleien und eine Wand, die zugekleistert mit winzigen Artikeln über Showdown war. Ich schielte kurz zu meinen Shorts, die friedlich auf dem Bett lagen. Ich hatte Fotos von ihnen gemacht, auf denen sie einfach so dalagen, aber auch welche, auf denen ich drin steckte. Da sah man aber nur ein kleines Stück meines Bauches und gar nichts von meinen Beinen. Ich fand es sogar ziemlich gut gelungen. Jedenfalls konnte ich mir nicht vorstellen, dass sich jemand an so einem Foto aufgeilen würde. Dafür sah man die Autogramme gut.

Für solche Gedanken war es jetzt allerdings auch zu spät. Ich hatte die Bilder noch letzte Nacht verschickt. Natürlich hatte ich noch keine Antwort erhalten, aber ich erwischte mich dabei, wie ich sehnsüchtig auf eine wartete. Ich schloss Myspace. Ich hatte alles gesehen.
 

Über Max‘ Foto war jetzt eine Statusmeldung von Yuriy aufgetaucht: „Ich müsste lernen, aber ich lass mich immer so schnell ablen…oh, ein Fussel.“

Ihm war anscheinend genauso langweilig, wie mir. Ich könnte einen Chat anfangen, aber eigentlich kannten wir uns nicht gut; ich hatte ihn nur geaddet, weil er irgendwie zu Kai gehörte. Und seine Kommentare waren witzig. Auf seinem Profilfoto trug er eine riesige Sonnenbrille und schien sich mit jemandem zu unterhalten, der rechts außerhalb des Bildes stand. Im Hintergrund sah man den Fitzel eines bunten Zwiebelturms.
 

Die Häufigkeit, mit der er im Internet war, hatte mich anfangs erstaunt. Wobei das für viele Jungen galt, die ich kannte. Für mich waren Social Networks bis dahin ein eher weibliches Phänomen gewesen. Sie waren ja auch auf weibliche Werte zugeschnitten: Quatschen ohne Ende, schneller Informationsaustausch, Freunde wo und wann du willst. Aber scheinbar waren auch Männer sehr mitteilungsbedürftig, und Poser waren sie doch alle, deswegen wechselten bei einigen auch regelmäßig die Profilbilder. Oh, und man konnte sie ja so gut stalken. Das war eigentlich meine Lieblingsbeschäftigung: Profile angucken, endlose Blogs lesen und sinnlose Forumsstreitigkeiten verfolgen.

Ich klickte mich also ein wenig durch Yuriys Profil, so ganz aus Prinzip. Gut zwei Drittel waren jedoch auf Russisch geschrieben, leider auch die Pinnwandeinträge von Kai, über die die beiden meistens heftig diskutierten, wobei die Kommentare zum Schluss auf aussagekräftige Smileys zusammenschrumpften.
 

So kam ich dann auf Kais Profil. Im Verlauf seiner Pinnwand gab es extrem viele Links zu irgendwelchen Musikvideos, und ich fragte mich jedes Mal, ob er das halbe Leben auf der Suche nach guter Musik verbrachte, oder einfach nur das Talent hatte, gute Bands aufzuspüren. Dazwischen verstreut Yuriys Spameinträge, die sehr oft nur aus Herzchen bestanden. Wahrscheinlich hatten die beiden heimlich geheiratet, um nicht in die Verlegenheit zu kommen, irgendwann eine Familie aufweisen zu müssen oder doch noch Torschlusspanik zu bekommen, es hatte nur keiner gemerkt. Ich überlegte, ob ich einen von Yuriys Herzchen-Beiträgen kommentieren und fragen sollte, wann sie denn endlich ihren Beziehungsstatus ändern und sich gegenseitig als Ehemann angeben würden. Aber dazu wohnte Kai dann doch zu nah bei mir. Wenn ich das tat, würde es sicher einen Vortrag über meine Liebesambitionen geben, und dabei konnte Kai nur gewinnen.

Gelangweilt scrollte ich weiter. Seit wann war Kais Profil so eintönig? Normalerweise gab wenigstens ab und an irgendeinen bissigen Spruch von ihm, der darauf schließen ließ, dass irgendjemand wieder Mist gebaut hatte.
 

»Na, schöner Mann?!«
 

Ich hielt inne und suchte den Beitrag, den ich gerade überflogen hatte. Da war er. Na, schöner Mann –tatsächlich. Von einem Mädchen. Kai addete keine Groupies. Kai kannte sowieso kaum Mädchen, die ich nicht kannte. Und selbst über diejenigen wusste ich Bescheid, ich wusste über alle Freundeslisten der Jungs Bescheid.
 

Sie nannte sich Def Tone; ich hatte diesen Namen zuvor noch nie gelesen. Aber das Erstaunlichste war dann doch Kais Antwort darauf: „Na, Schnegge?!“

Schnegge. Dieses Wort existierte im Vokabular von Kai Hiwatari nicht. Aber es war von ihm gepostet worden, also was zur Hölle war hier los? Je öfter ich diese zwei Sätze überflog, desto deutlicher schien zwischen den Zeilen so etwas zu stehen, wie: „Willst du ficken?“ – „Immer doch.“. Ich spürte alle meine weiblichen Instinkte Alarm schlagen. War diese Def Tone vielleicht eine längst verflossene große Liebe –war sie DIE große Liebe?- die nun zurückgekehrt war und sich in Kais Arme werfen wollte? War sie irgendein Aufriss, den er ohne unser Beisein gemacht hatte, und bahnte sich zwischen den beiden jetzt die große Liebe an? Dann würde sich auch für mich einiges ändern, dann könnte er nämlich nicht mehr so sehr auf mir herumhacken und würde vielleicht sogar etwas Verständnis für meine Faszination für Katsumi aufbringen. Er würde dieses Mädchen irgendwann mitbringen und sie uns vorstellen, und vielleicht würden wir Freundinnen werden und das Verliebtsein gemeinsam erleben.
 

Vielleicht hatte ich mir geschworen, nicht in Reis Beziehung einzugreifen. Aber es konnte ja nicht schaden, Kai einen kleinen Schubs in die richtige Richtung zu geben, oder?

Seelenklempner

Zwei Tage später passierte dann das, auf das ich insgeheim schon gewartet hatte: Mao schlug mir vor, zu zweit Shoppen zu gehen. Es war klar, dass sie sich ausheulen wollte. Ich sagte zu, obwohl ich sicher war, dass ich mich nicht sonderlich konzentrieren würde. Dafür gab es zu viele andere Sachen, über die ich mir den Kopf zerbrach. Ich hatte die letzten 48 Stunden über sehnsüchtig auf eine Nachricht von Katsumi gewartet, doch mein Postfach blieb leer wie eh, und auch mein Foto war noch nicht im Internet erschienen. Wahrscheinlich waren die Jungs zu beschäftigt mit dem letzten Konzert und der Rückfahrt, sodass ich wohl frühestens in einer Woche mit etwas rechnen konnte. Jedoch war so etwas leichter gesagt, als getan. Natürlich würde ich es kaum aushalten können; inzwischen hegte ich für Katsumi die gleichen Gefühle, wie ich sie als Teenager für ständig wechselnde Schauspieler gehabt hatte, und ich wusste nicht recht, ob mich das beunruhigen oder ich mich darüber freuen sollte. Immerhin bedeutete das auch, dass ich im Alter nicht abgestumpft war, denn das ist etwas, vor dem ich noch heute Angst habe.
 

Die zweite Sache war Def Tone. Ich hatte ihr Profil förmlich auseinandergenommen und Kais Seite praktisch nonstop gestalkt. Doch das einzige, was ich herausgefunden hatte, war, dass sie wirklich hübsch aussah. Sie war blond und hatte europäische Züge, daher vermutete ich, dass sie auch aus Russland kam. Mit anderen europäischen Ländern hatte Kai herzlich wenig zu tun. Auf ausnahmslos allen Bildern war sie sorgfältig geschminkt und zurecht gemacht; sie schien ihre Kleidung mit Sorgfalt zu wählen und trug wohl gern hohe Schuhe. Kurzum, sie war Kais Typ. Über die Jahre hatte ich herausgefunden, dass er da ganz Neandertaler war: die Frau an seiner Seite musste gut aussehen, man musste sie vorzeigen können. Sie sollte schlagfertig sein, aber doch immer zeigen können, dass sie von ihm ausgeführt wurde. Wenn Kai etwas nicht mochte, dann Frauen, die mit absichtlich verwuschelten Haaren und gequält-lässigem Klamottenstil versuchten, sich Fehler anzudichten, um noch perfekter zu erscheinen, als sie eh schon waren. Er hielt nichts von süß oder hip, und Def Tone war beides ganz gewiss nicht, sie war einfach scharf. Hart an der Grenze zur Edelschlampe, aber das war ja gerade das Scharfe. Mir war jedenfalls schnell klar geworden, warum Kais Neandertaler-Instinkte sofort auf sie angesprungen waren, auch wenn ich mich noch immer fragte, wo zum Teufel sich die beiden kennengelernt hatten. Mit den anderen Russen, die ich kannte, war sie jedenfalls nicht verlinkt, das konnte es also nicht sein. Und leider waren auch keine weiteren Meldungen von ihr bei Kai erschienen.
 

„Sag doch auch mal was dazu!“

Ich schreckte hoch. Wir standen in einem kleinen Laden und wühlten uns durch die Kleiderstangen, wobei Mao die Oberteile so vehement von links nach rechts riss, dass es nicht einmal mehr so aussah, als würde sie sie betrachten. Die ganze Zeit über hatte sie geredet, und ich war mit meinen Gedanken abgeschweift, sodass ihr Redefluss zu einem monotonen Rauschen im Hintergrund verkommen war. „Was soll ich denn dazu sagen?“, seufzte ich, als hätte ich brav zugehört. Es war ja sowieso klar, worüber sie sich aufregte: Rei war in den letzten Tagen merklich abgekühlt, wenn sie zu zweit zu unseren Treffen erschienen waren. Er ließ Mao, die ihm mit einem entwürdigenden Hundeblick hinterher sah, bei mir stehen und ging zu den anderen Jungs. Danach war meistens Grüppchenbildung nach Geschlechtern angesagt, und das war nun etwas, was mich gehörig nervte. Aber ich hatte geschworen, mich nicht einzumischen, also versuchte ich so gut es ging, das Ganze einfach auszustehen. Immerhin durfte ich noch mit Mao, Rei und Kai nach Hause gehen, wobei mir Kai jedoch auch nichts Neues von Reis Meinung zu seiner Beziehung sagen konnte. Er hielt sich genauso zurück, wie ich.

„Es ist deine Beziehung“, sagte ich schließlich, denn das Schweigen zwischen uns war seit einigen Minuten nur noch durch das Quietschen der Metallbügel über die Kleiderstange unterbrochen worden. „Ich kann dir da auch nicht helfen. Vielleicht ist das ja auch nur eine Phase bei Rei; er muss sich halt erst mal wieder an dich gewöhnen.“ Sie schnaubte; das war sicher keine Antwort, die sie hatte hören wollen. „Das ist hübsch“, sagte ich und deutete auf das Oberteil, das sie gerade achtlos auf die andere Seite geschoben hatte. „Probier das doch mal an!“ Sie betrachtete es kurz, zuckte die Schultern und hängte es über ihren Arm. Auf dem Weg zur Umkleide griff sie wahllos in die Kleiderständer und zog noch einige Teile heraus. Ich folgte ihr und lehnte mich gegenüber der Kabinentür gegen die Wand. Wahrscheinlich würde jetzt noch irgendetwas kommen: im besten Falle würde Mao sich in den neuen Klamotten hübsch finden und sich ihre Laune bessern.
 

Leider trat der schlimmste Fall ein. Nachdem ich einige Minuten lang das Rascheln von Stoff gehört und sich bewegende Schatten im Spalt unter der Tür gesehen hatte, wurde es plötzlich ganz still in der Kabine. „Mao?“, fragte ich und erhielt als Antwort ein Schluchzen. Ich öffnete die Tür. Mao saß in Unterwäsche auf dem kleinen Höckerchen und heulte sich die Augen aus. Einmal angefangen, konnte sie gar nicht mehr aufhören. Die Klamotten lagen auf dem Boden verstreut herum. Ich ging vor ihr in die Hocke. „Mao, was ist denn los?“

„Warum müssen Hosen immer dann nicht passen, wenn es mir schon mies genug geht?“, presste sie hervor. „Rei guckt mich nicht mal mehr an. Und jetzt fühl ich mich auch noch fett!“ Ich griff nach der Jeans, die zu ihren Füßen lag. „Das ist doch gar nicht deine Größe“, stellte ich fest. Sie hatte wohl nach der erstbesten gegriffen und gar nicht erst nachgesehen, ob sie überhaupt hineinpassen konnte. „Soll ich dir eine passende holen? Und dann erzählst du mir, was mit Rei ist, ja?“ Sie nickte und ich ging wieder hinaus. Ich hatte keine Ahnung, aus welchem Stapel sie die Jeans gezogen hatte, also lief ich auf die junge Verkäuferin zu, die gerade ein Werbeposter an der Wand befestigte. „Entschuldigen Sie“, sagte ich, „Können Sie mir helfen? Ich brauche die hier eine Nummer größer.“

„Moment“, antwortete sie, stieg von der kleinen Leiter und drehte sich zu mir um. Ich hätte beinahe die Jeans fallen lassen.
 

Es war Def Tone.

Ich erkannte sie nicht nur an dem europäischen Gesicht, eher an ihren langen, weißblonden Haaren. So eine Farbe war wirklich selten. Sie wäre auch ohne Schuhe noch ein paar Zentimeter größer gewesen, als ich, aber natürlich trug sie einfache Pumps mit Absatz. Dazu einen Bleistiftrock und eine schwarze Bluse mit einer vorwitzigen, schmalen Krawatte. Wie ich mir gedacht hatte, sie war ganz und gar Kais Typ. „Die, eine Nummer größer?“, fragte sie und nahm mir die Hose aus der Hand, wobei ich von French Nails gekratzt wurde, die nur einen winzigen Tick unter die Beurteilung „zu lang“ fielen. Sie hatte meinen Blick wohl gar nicht bemerkt. Mit wiegenden Hüften lief sie mir voraus und zog die richtige Größe aus einem Stapel Hosen, die auf einem Tisch lagen. Als ich wieder zu Mao ging, folgte sie mir; natürlich, sie war Verkäuferin, sie wollte uns beraten. Ich sagte nichts und reichte Mao die Hose nach drinnen. Dann hörte man es wieder rascheln. „Alles okay mit deiner Freundin?“, fragte Def Tone leise. „Sie hat sich vorhin ja ziemlich aufgeregt. Ich wollte weghören, aber…naja, ihr wart ziemlich laut.“

„Tut uns Leid“, flüsterte ich zurück. „Sie hat ein wenig Liebeskummer.“ Def Tone nickte verstehend. In diesem Augenblick trat Mao aus der Kabine heraus, einzig mit Jeans und BH bekleidet. Die Hose saß tadellos und machte einen schönen Knackarsch. Wenn Mao sie nicht wollte, so überlegte ich, würde ich sie mir vielleicht kaufen. Aber Mao strahlte, was seltsam aussah zu ihren verheulten Augen. „Mädchen, das ist genau den Stil“, kommentierte Def Tone. „Wenn dein Freund dich damit sieht, überlegt er sich zweimal, ob er eure Beziehung aufs Spiel setzen will.“ Mao nickte lächelnd und wischte sich noch mal über die Augen. „Tut mir Leid, dass ich so rumgekeift habe“, sagte sie. Def Tone winkte ab. „Wir sind ja unter uns, ihr seid heute meine letzten Kundinnen… Und außerdem weint jede mal einem geilen Typen hinterher. Dazu sind wir Frauen. Er kann sich noch so scheiße benehmen, wenn wir ihn lange genug geliebt haben, heulen wir trotzdem wie Schlosshunde, wenn dann Schluss ist.“
 

Ich spitzte die Ohren. Sprach sie da etwa aus Erfahrung? „Ja, und noch schlimmer wird es, wenn man denjenigen dann irgendwann wieder trifft“, behauptete ich und hoffte, dass sie daraufhin noch etwas sagen würde. Tatsächlich schluckte sie den Köder und meinte: „Ach, naja, das geht mal so und mal so. Ich hab neulich erst jemanden auf Facebook wieder gefunden, mit dem ich mal was hatte. Und…naja, also Fickbeziehung würde ich noch zulassen, aber mehr nicht.“ Sie lächelte Mao warm an, doch diese konnte nur verlegen grinsen. „Nein, das wäre gar nichts für mich. Entweder ganz oder gar nicht. Und noch sind wir ja zusammen.“

„Dann solltest du dafür kämpfen.“

Mao nickte tapfer, doch ich hatte größtenteils abgeschaltet, nachdem das Wort „Fickbeziehung“ gefallen war. Es ist schlimm, aber in diesem Punkt bin ich ganz Mädchen: Nun wollte ich wirklich alles wissen, denn inzwischen war ich mir sicher, dass Def Tone von Kai gesprochen hatte. Ich verspürte das dringende Bedürfnis, jede Kleinigkeit zu erfahren, die die beiden anging, und das nicht, weil ich neidisch war –ich hatte schließlich Katsumi. Es hatte wohl viel eher etwas von Sensationsgeilheit, und weil Maos und Reis Probleme in dem Sinne schon wieder veraltet waren, wollte ich mich nun dieser Beziehung widmen. Also streute ich weitere Brotkrumen: „Na Gott sei Dank seid ihr noch zusammen. Ich halte ja so eine Fickbeziehung auch nicht für das Wahre.“ Daraufhin hob Def Tone die Schultern. „Ach, wisst ihr, es kann durchaus praktisch sein. Ich mein, der Kerl ist schon ziemlich geil. Aber noch mal mit ihm zusammen sein will ich halt nicht. Ich hasse es, dass wir immer gleich als Schlampen abgestempelt werden, wenn wir ein paar One-Night-Stands haben, aber Männer dürfen ihr Ding überall reinstecken und jeder sagt, ist schon in Ordnung, die wollen sich nur die Hörner abstoßen.“

„Und was sagt dein Kerl dazu?“, fragte ich unschuldig.

„Mal davon abgesehen, dass er nicht mein Kerl ist, scheint er nicht abgeneigt zu sein“, antwortete sie mit einem frechen Grinsen. Ich hob die Augenbrauen. Nicht schlecht, Kai, nicht schlecht, dachte ich.
 


 

Mao lud mich in Reis Wohnung ein. Er war nicht da, und ich ertappte mich dabei, dass ich ganz froh darüber war. Wenn Mao sich jetzt langsam als Hausherrin sah, konnte das die Situation nur zuspitzen.

Wir warfen ihren Laptop an, erstellten eine Musikliste und Mao zog die neuen Jeans an. Später würden wir noch bei Takao vorbei sehen, wo wahrscheinlich auch alle anderen Jungs waren. Wenn sie Mao auf den Hintern schielten, wurde Rei vielleicht eifersüchtig und würde ihm wieder einfallen, warum er mit seinem Mädchen zusammen war. Während sie sich noch eingehend im Spiegel im Flur betrachtete, durchsuchte ich den Kühlschrank nach Getränken. Rei hatte immer einen riesigen Vorrat leckerer Sachen, denn er kochte gerne und gut. Jedoch war seine winzige Küche dadurch arg überfüllt. Überhaupt sah die Wohnung jetzt, wo ich wirklich drin stand, noch kleiner aus, als ich es mir nach seinen Beschreibungen vorgestellt hatte. Kein Wunder, dass wir uns nie bei ihm trafen. In dem einzelnen Wohnraum hatten ein großes Futonbett Platz, Kleiderschrank und Schreibtisch, sowie ein vollgestelltes Bücherregal. Es war kleiner, als das Zimmer, dass ich bei mir zu Hause bewohnte. Jetzt wurde mir auch klar, warum er von Maos Ankunft eher semi-begeistert gewesen war. Müsste ich mit einem Menschen auf so engem Raum leben, und wenn es mein Freund war, den ich eigentlich über alles liebte, ich würde trotzdem verrückt werden.
 

Wir teilten uns schließlich eine Dose von irgendeiner süßen Limonade und machten uns ein paar Stunden später zu Fuß auf zu Takao. Die Sonne prallte noch immer auf den Beton und Asphalt, und an vielen Stellen flimmerte die Luft. Im Verlauf des Tages war es immer wärmer geworden, und selbst der Wind war heiß wie von einem Föhn, sodass er keine Abkühlung verschaffte, wenn er in unsere luftigen Oberteile fuhr. In einem trockenen Busch am Straßenrand zirpten Grillen. „Wir sollten demnächst schwimmen gehen“, sagte Mao. „Lass uns die Jungs gleich fragen!“

Ein paar Minuten später kamen wir an, fast zeitgleich mit Max, der mit dem Rad vorfuhr, an dessen Lenker ein Beutel mit Getränken hin und her schwang. „Takao hat mich losgeschickt. Ich wollte Eis holen“, sagte er, „Aber das wäre getaut, ehe ich hier gewesen wäre. Wisst ihr, wo Kai steckt?“

„Ähm, nein“, antwortete ich, „Ist er denn nicht hier?“
 

Natürlich war er es nicht. Obwohl es schon recht spät war, war er noch nicht aufgetaucht. Vielleicht hatte er auch nur keine Lust, dann blieb er öfter weg; jedoch sagte er normalerweise vorher ab, das hatten wir ihm antrainieren können. Ratlos hob ich die Schultern, und Max machte es mir einen Moment später zustimmend nach. Er bot uns etwas aus seinem Beutel an, und wir nahmen dankbar an, denn die Hitze hatte die Limonade in unseren Körpern schon längst wieder verzehrt. Als Mao ein Stück voraus ging und sich von Rei in eine kurze Umarmung ziehen ließ, die irgendwie routinierter wirkte, als sie sollte, deutete Max verhalten auf ihren Hintern und hob vielsagend die Augenbrauen. Ganz, wie ich gehofft hatte. Ich grinste verschwörerisch zurück.
 

Kai tauchte nur Minuten später auf, gerade rechtzeitig, um die letzte Dose Cola zu bekommen. Ich bemerkte sofort, dass er erfrischend nach Duschgel roch und nicht wie sonst nach kaltem Zigarettenrauch. Als wäre er gerade erst aufgestanden. Aber das konnte ja nicht sein, um diese Uhrzeit, das war gar nicht sein Stil. Er warf mir einen provokant-fragenden Blick zu, als er bemerkte, wie ich mich schnuppernd zu ihm beugte. „Warum bist du erst so spät gekommen?“, fragte ich scheinheilig.

„Ich war im Schwimmbad. Hat sich hingezogen.“

„Was? Wie gemein, warum hast du nicht Bescheid gesagt?“ Wahrscheinlich, weil er gar nicht im Schwimmbad gewesen war. Aber leider sah man es Kai nicht an, wenn er log.

„Weil ich meine Bahnen ziehen wollte, ohne befürchten zu müssen, andauernd von Takao zu einem Wettschwimmen herausgefordert zu werden“, antwortete Kai. „Die ganzen Kinder waren ja schon stressig genug. Seit wann hat Mao so einen geilen Arsch?“

Ich verdrehte die Augen und meinte: „Das solltest du mal Rei fragen, damit er es auch mal bemerkt.“

Doch das schien gar nicht mehr nötig zu sein. Als ich mich daraufhin zu den beiden umdrehte, sah ich, wie Reis Hand flüchtig über Maos Gesäß glitt. Ich grinste in mich hinein.
 

Schnell entschieden wir uns dazu, den Nachmittag im Schatten vor dem Dojo sitzend zu verbringen. Wir bewegten uns so gut wie gar nicht, und trotzdem lief der Schweiß nahezu in Bächen an uns hinunter. Die Gespräche beschränkten sich auf kurze Satzfetzen und gemurmelte Entgegnungen, und Max stand irgendwann auf und schaltete drinnen die Anlage ein, sodass leise Musik aus dem Haus zu uns drang. Kai verzog augenblicklich das Gesicht; man konnte es ihm meistens nicht recht machen, wenn es um Musik ging. Allerdings musste ich zugeben, dass die Wahl heute besonders schlecht ausgefallen war, denn sie war auf MingMing gefallen, die sich immer mehr zum beliebtesten Popsternchen des Landes mauserte. Da schien sie hartnäckig wie eine Zecke zu sein. Zwar waren ihre Lieder inzwischen zumindest teilweise erträglich, jedoch unheilbar überproduziert und exakt nach dem gerade modernen Schema geschrieben. MingMing ritt die Mainstreamwelle so geschickt, dass sie bald in fast allen Haushalten eine ihrer Platten im Regal platziert sehen würde. Kyouyju war natürlich begeistert, was man an seinem Gesichtsausdruck sehr gut erkennen konnte, obwohl er sich einen schwärmerischen Kommentar verkniff. Ihm hatte niemand die Liebe zu MingMing ausreden können, egal, wie oft wir ihn Gitarren und Schlagzeugen und jaulenden Synthesizern aussetzten. Jetzt konnte er sich nicht mehr halten und fing an, das Lied mitzusummen, was Kai dazu verleitete, einen leidenden Seufzer auszustoßen.
 

„Sie gibt ja bald ein Konzert, hab ich gehört“, meinte Max und deutete mit dem Daumen hinter sich zum Dojo, aus dem MingMings Stimme noch immer zu uns hinaus leierte. „Schön für sie“, murmelte Rei gequält, „Hoffentlich verdient sie damit so viel, dass sie danach erstmal in den Urlaub fahren kann oder so. Meinetwegen kann sie auch irgendwo ne neue Platte aufnehmen. Hauptsache, sie ist nicht mehr allgegenwärtig.“

„Rei!“ Ich stieß ihn mahnend an, weil Kyouyjus Gesichtsausdruck sich bei diesen Worten drastisch gewandelt hatte. „Ich werde auf jeden Fall hingehen…“, nuschelte er. Rei hob die Hände. „Hey, ist vollkommen in Ordnung. Geh nur. An mir soll’s nicht liegen!“

„Außerdem wird nicht alles an dem Konzert schlecht sein“, warf Takao dazwischen, „Immerhin sind Showdown als Vorband engagiert.“
 

„WAS?!“, entfuhr es mir, womit ich mir von allen Seiten entsetzte Blicke einfing. „Woher in drei Teufels Namen weißt du das?“, fragte ich Takao, lauter, als es nötig gewesen wäre.

„Naja, äh…Ich hab doch dieses Mädel kennengelernt, dieses Fangirl…und die hat‘s mir gestern erzählt…“

Eine zuverlässige Quelle also. Niemand war besser informiert, als die richtig harten Fangirls. Oh mein Gott. Meine Gedanken rasten: wieso spielten Showdown für MingMing? Seit wann war das bekannt? Wie würden sie auf einer großen Bühne wirken? Und wie teuer waren eigentlich die Tickets?

„Bitte sag mir, dass dein Schweigen nicht bedeutet, dass du mit dem Gedanken spielst, zu dem Konzert zu gehen, nur, um die Vorband zu sehen“, sagte Kai. Ich zuckte ertappt zusammen und lächelte ihn zuckersüß an. Ohne es zugeben zu wollen hatte ich mich doch längst entschieden. „Kyouyju, wann beginnt denn der Ticketverkauf?“, fragte ich scheinheilig. Kyouyju hob die Schultern. „Morgen um elf online, aber…“

„Bestell mir mal ein Ticket mit.“

„Was?!“ Dieser Aufschrei kam nicht nur von Kyouyju, sondern auch von Rei und Takao. Kai hingegen verdrehte resigniert die Augen. „Ich wünsche dir, dass du von MingMings kreischenden Fans zertrampelt wirst“, sagte er.

Getroffen

>>Deine Schlüpfer sind im Netz.«

Ich konnte nicht verhindern, dass meine Finger kurz über dem Touchpad des Laptops zuckten, als ich diesen Satz las. Er stand ganz oben auf meinem Facebook-Profil, liebevoll dorthin gepostet von Kai. Darunter hatten sich bereits einige neugierige Kommentare angesammelt. Ich klickte das Fenster zu und wollte mich selbst davon überzeugen; und siehe, zwischen den anderen Fanfotos prangte nun meine vollgekritzelte Boxer, versehen mit dem Titel „Hiromi“ und den Datum des Konzerts. Wenigstens hatten sie darauf verzichtet, den Ansatz meiner Schenkel und meines Bauches zu zeigen und eines der anderen Bilder ausgewählt. Inzwischen stand auch das Konzert von MingMing auf der Liste der Tourdaten, einsam und allein, denn ansonsten würden Showdown erst einmal keine Auftritte mehr haben. Ich schob die Unterlippe vor und griff neben mich, wo der Umschlag mit dem Ticket lag. Kyouyju hatte wirklich ganze Arbeit geleistet: nur wenige Minuten nach elf hatte er mich angerufen und gesagt, dass die Tickets unterwegs waren.
 

Die Halle, in der MingMing spielen würde, war riesig. Wir hatten Stehplätze ergattert und gehörten damit wohl zu den Glücklichen, aber ich machte mir schon Gedanken über die Menschenmassen, die es zu überwinden galt, wenn ich wieder hinauswollte. Ich hatte nämlich keineswegs vor, mir MingMing anzusehen. Ich würde Showdowns Auftritt abwarten und danach die Halle verlassen. Mit ein wenig Glück könnte ich sogar den Hintereingang finden und den Jungs dort auflauern.
 

Ich zog das Ticket aus dem Umschlag und las noch einmal alle Angaben durch. Es war ein wahnsinnig aufregendes Gefühl, so ein wichtiges Stück Papier in den Händen zu halten, auch wenn dieses Mal nur das Kleingedruckte interessant war. Es brachte mich dazu, das erste Mal vor einem Konzert über meine Klamottenwahl nachzudenken. Normalerweise war es mir egal, wie ich auf so einer Veranstaltung aussah; die Sachen mussten praktisch und robust sein. Doch mal ehrlich, es hatte noch nie ein Groupie im Schlabbershirt gegeben. Ich würde wohl noch mal in die Stadt fahren und ein paar Läden abgrasen müssen.

Ich hatte den Gedanken noch nicht ganz beendet, da bildete sich eine Assoziationskette aus ihm: Shoppen bedeutete, in Klamottenläden zu gehen, Klamottenläden bedeuteten, dass ich Def Tone noch mal treffen könnte, Def Tone treffen bedeutete, Def Tone in ein Gespräch zu verwickeln…und rauszubekommen, ob Kai gestern tatsächlich brav im Schwimmbad seine Bahnen gezogen hatte.
 

Eine Stunde später drückte ich die Tür zu der Boutique auf, in der Def Tone arbeitete. Ich hatte Glück: sie stand an der Kasse und tippte irgendwelche Zahlenkombinationen ein, die sie von Etiketten ablas. Ihre manikürten Finger klackerten über die Tastatur. „Hi“, sagte ich und stellte mich auf die andere Seite der Kasse, woraufhin sie zu mir aufsah. „Hey!“ Sie klang nicht einmal sonderlich überrascht. „Wie geht es deiner Freundin? Immer noch Beziehungsprobleme?“

„Öh, ja, es geht…“ Die hatte aber ein Gedächtnis. „Hier ist ja nicht viel los“, fing ich noch mal an und machte eine vage Geste, die den ganzen Raum umfassen sollte. Def Tone hob die Schultern. „Naja, wir verkaufen zu einem großen Teil ja nicht die konventionelle Mode, von daher ist unser Kundenkreis recht klein und hat…hm, speziellere Wünsche.“ Ich nickte. Schon beim letzten Mal hatte ich bemerkt, dass der Laden nicht mit den großen Modehausketten zu vergleichen war. Man konnte zwar auch nicht behaupten, die Klamotten hier wären auf eine bestimmte Szene ausgerichtet, aber es war, wie Def Tone schon gesagt hatte, „speziell“. Ich begann, zwischen den Ständern hin und her zu schlendern und hier und da eine Klamotte herauszuziehen.
 

„Brauchst du Hilfe?“, fragte Def Tone irgendwann und kam auf mich zugestöckelt. Heute trug sie Römersandalen mit Absatz. Ihre Fußnägel waren dunkel lackiert. „Suchst du was Bestimmtes?“

„Naja, weiß nicht genau…irgendwas Rockiges, Edles…“ Ich kannte mich nicht aus, wenn es um Modefachbegriffe ging. Shirt war Shirt und Hose war Hose. Eigentlich war ich schon froh, dass ich eine Röhre von einer Boot Cut unterscheiden konnte. Def Tones Finger klackerten sich nun durch die Kleiderbügel. „Was hältst du davon?“, fragte sie dann und hielt mir ein lockeres, gerissenes Shirt unter die Nase. „Dazu brauchst du dann aber auch eine Leggins mit nem schönen Muster, guck mal, das haben wir hier…“ Ich lief ihr hinterher. „Wie läuft es mit deinem Ex, den du im Internet gefunden hast?“, fragte ich ihren Rücken und erntete ein Lachen. „Er ist eiskalt“, antwortete sie, während sie bei einer rot-schwarzen Leggins nach der Größe guckte. „Kennst du solche Männer? Wo du denkst, du kommst einfach nicht ran?“

„Joah…“, machte ich.

„Das ist so einer. Aber verdammt noch mal, ich steh drauf. Ich hatte auch schon andere, aber irgendwie lauf ich dann immer so einem hinterher. Wahrscheinlich brauche ich das. Ich kann es nicht haben, wenn ich das Gefühl habe, stärker als der Mann zu sein. Ich brauche einfach jemanden, der noch dominanter ist, als ich. Aber find mal so einen.“

„Hm…“

„Jedenfalls, mein Ex macht mich grad total an. Also, er hält mich hin und so, aber ich merke, dass er das nur tut, um mich zu reizen. Wahrscheinlich wartet er darauf, dass ich auf Knien zu ihm gekrochen komme. Stell dir vor, gestern erst, also…“ Sie warf mir einen pikierten Blick zu, schien dann aber alle Zweifel über Bord zu werfen und erzählte mir die ganze Geschichte: „Ich hab ihn gestern im Schwimmbad getroffen.“
 

„Nein!“, rief ich aus, gleichzeitig wurde mir klar, wie unpassend diese Reaktion war. Aber ich hätte einfach nicht damit gerechnet, dass doch so viel Wahres hinter Kais „Ausrede“ steckte. „Ähm, ich meine, wow, also dann auch gleich ganz…intim…so in…Badesachen…“ Ich wusste, wie Kai oben ohne aussah. Und Def Tone bekam ganz glänzende Augen. Wir warfen uns ein verschwörerisches Lächeln zu, bis ich bemerkte, dass sie ja gar nichts von meiner Freundschaft zu Kai wusste und schnell abzulenken versuchte: „Und? Seid ihr in den Whirlpool gesprungen?“

„Hmpf. Wenn es mal so einfach wäre. Er hat mich gefragt, wo mein Arsch geblieben ist.“ Wir blickten beide an ihr hinunter. „Ich hab ein paar Kilo abgenommen, weil ich in letzter Zeit so viel herumgerannt bin“, sagte sie.

„Immerhin steht er scheinbar auf einen ordentlichen Hintern“, meinte ich. Kai, du Neandertaler.
 

„So!“, machte Def Tone plötzlich. Sie drückte mir einen Stapel weiterer Klamotten in die Hand, die sie die ganze Zeit über nebenbei zusammengesucht hatte, und schob mich in Richtung der Umkleidekabine. „Gibt es denn einen bestimmten Anlass?“, fragte sie wieder ganz kaufmännisch, als ich den Vorhang geschlossen hatte.

„Hm, ja. Ich gehe auf ein Konzert.“

„Oh. Wer spielt denn?“

„Eigentlich MingMing. Aber ich will nur die Vorband sehen. Showdown.“

„Oha, verstehe. Die findest du also gut, ja?!“

„Ja, total. Kennst du sie denn?“

„Hm-hm, ein bisschen…“

In diesem Moment klingelte mein Handy. Ich hatte gerade eines der Oberteile halb über meinen Kopf gezogen und zog es nun irgendwie herunter, sodass es ganz verdreht auf dem Boden landete. Dann wühlte ich schnell nach dem Telefon und nahm ab. Es war Rei. „Hey“, sagte er, „Kommst du heute Abend zu Takao? Wir wollen nachher noch einkaufen gehen und kochen. Also, wenn du was Bestimmtes trinken willst, solltest du es jetzt sagen.“

„Klar, ich komm vorbei“, antwortete ich und betrachtete mich im Spiegel. Ohne das Oberteil waren die Leggins nicht gerade vorteilhaft, aber ich glaube, das hatten diese Hosen einfach so an sich. Die Färbung war jedenfalls sehr interessant. „Kauft einfach die Getränke wie immer. Ach so…“ Schlagartig war mir eine Idee in den Kopf geschossen, „Was dagegen, wenn ich eine Bekannte mitbringe?“

„Nö, wir kochen doch eh immer zu viel.“

„Super!“ Ich legte auf und zog mich wieder um. Beladen mit den Klamotten und ein Shirt in der anderen Hand haltend, das ich mir tatsächlich kaufen würde, ging ich zurück an die Kasse. „Sag mal“, fragte ich Def Tone, „Hast du heute Abend schon was vor?“
 


 

Die Jungs hatten den Tisch aus Takaos Wohnzimmer in den Garten getragen und Kissen dazugelegt. Mao und Max trugen Häppchen heraus, die wir auf dem heißen Stein zubereiten würden. Als Mao Def Tone sah, erkannte sie sie sofort wieder. „Hey, schön dich zu sehen. Ich wusste gar nicht, dass ihr euch so gut kennt.“

„Tun wir auch nicht“, entgegnete ich lachend, „Es ist mehr so was wie ein spontaner Entschluss beiderseits gewesen. Das ist übrigens Mao. Mao, das ist Alyona“, stellte ich sie einander vor. Ich hatte tatsächlich Def Tones richtigen Namen erfahren, nachdem ich sie beinahe mit ihrem Nickname angesprochen hatte. Nun griff ich nach ihrem Arm und zog sie mit ins Haus, um sie den Jungs vorzustellen. „Also, der Blonde von eben war Max, der da drüben am Herd heißt Rei –was machst du da Schönes, Rei? Ist das Obstsalat? Oh, ich liebe dich! …Da drüben am Computer sitzt Kyoujyu, und die beiden an der Playstation sind Takao und Daichi. Und wo ist…?“ Während Alyona noch ein paar Worte mit Rei wechselte und ihm ein paar Apfelstücke stibitzte, sah ich mich nach Kai um. Ich entdeckte ihn in Takaos Zimmer, wo er bäuchlings auf dem Bett lag und Manga las. Er hatte Takao, wie er sagte, „Manga-Manieren“ beigebracht, indem er ihm ständig von irgendwelchen Serien erzählte, die er selbst lesen wollte, damit Takao sie an seiner statt kaufte, denn Takao wiederum war davon überzeugt, dass ein Manga, den Kai gut fand, wirklich lesenswert sein musste.
 

„Hey Kai, komm zu uns, ich will dir eine Freundin von mir vorstellen“, sagte ich unschuldig, woraufhin er nur eine Augenbraue hob und eine Seite umblätterte. „Du hast Freundinnen außerhalb der Beyblade-Szene?“, fragte er, ohne aufzusehen, und ich stemmte entrüstet die Fäuste in die Hüften. „Ja, ich habe so was wie soziale Kontakte gleichen Geschlechts, stell dir vor!“

In diesem Augenblick trat Alyona, auf einem Stück Apfel kauend, an meine Seite. „Was schreist du denn, Hiromi…?“ Und sah Kai, der nach ein paar Sekunden der überraschend eingetretenen Stille auch aufsah. Jetzt hoben sich beide Augenbrauen. „Hey, Lena.“

„Hey.“

„Ich wusste gar nicht, dass ihr euch kennt.“

Sie drehte sich zu mir. „Ja…flüchtig…“

„Wie, ihr kennt euch auch?“, fragte ich laut und hoffentlich überzeugend ungläubig. „Das ist ja ein Ding!“ Die Blicke, die die beiden mir daraufhin zuwarfen, waren sich so erschreckend ähnlich, dass ich das unmissverständliche Gefühl bekam, mich zurückziehen zu wollen. „Ja, ähm, das trifft sich doch gut, oder nicht? Ich geh dann mal zu Rei und frag, ob er noch Hilfe braucht oder so…“
 

Ich wischte in den dunklen Flur und entfernte mich ein paar Meter von der Tür, nur, um mich nach einigen Sekunden wieder anzuschleichen und zu lauschen. „Ähm, ich hab wirklich nicht gewusst, dass du hier bist“, sagte Alyona gerade. Seltsam, sie sprachen gar kein Russisch miteinander. Das Bettzeug raschelte, also hatte Kai sich wohl aufgesetzt. „Das glaub ich dir doch“, sagte er. „Musst dich nicht rechtfertigen. …und sonst? Alles gut?“ Ich biss mir auf die Lippen, um ein Kichern zu unterdrücken. Kai besaß einfach kein Feingefühl für Konversation. Er kam immer mit den Vorschlaghämmern unter den Redewendungen.

Ich merkte, wie jemand von hinten auf mich zukam und drehte mich um. Es war Max, der mich wohl schon seit einer Weile beobachtete und nun ein schelmisches Grinsen zeigte. „Na, wer ist die Frau?“, raunte er mir zu, als er sich neben mich stellte. „Doch nicht etwa die, die ihm die schicke Nachricht auf sein Profil gepostet hat?“

„Stalkst du Kai etwa auch?“, flüsterte ich ungläubig zurück.

„Manchmal…“

„Du bist unmöglich, Max.“

„Sagt die Richtige. Ich bin nur neugierig.“ Er deutete mit dem Daumen in Richtung der Tür. „Ist aber echt ne krasse Braut, oder?“

„Mal davon abgesehen, dass ich dir so eine Wortwahl nie zugetraut hätte, aber…ja.“

„Wir sollten aufpassen, dass sie nicht gleich Takaos Bett entweihen.“

„Kai doch nicht.“

„Hallo?!“ Max schickte mir einen vielsagenden Blick. „Hast du dir die Frau mal angeguckt? Die hat genau das richtige Format für ihn. Mit irgendeiner grauen Maus würde er sich nicht abgeben.“

„Boah Max.“ Beinahe wäre ich in Mädchenhaftes Giggeln ausgebrochen. Diese ganze Sache machte mich so hibbelig, dass ich mich ein wenig in die Zeit zurückversetzt fühlte, in der es noch verdammt wichtig gewesen war, wer mit wem und ob und wieso und wo und wie lange und überhaupt.
 

„Ey, was macht ihr denn hier?“, fragte plötzlich eine laute Stimme. Takao stand am anderen Ende des Flures und blickte uns verständnislos entgegen. „Nichts“, sagten Max und ich wie aus einem Munde und gingen breit Grinsend an ihm vorbei nach draußen, wo jetzt alles für das Essen vorbereitet war. Kurz darauf erschien auch Takao wieder, der Kai und Alyona im Schlepptau hatte. Die beiden wirkten nicht so, als wären sie mehr als gute Freunde, was mich ein bisschen enttäuschte, doch andererseits war so ein Verhalten ja auch wieder typisch für Kai.

„Sollte ich es bereuen, dass ich dir die Geschichte vom Schwimmbad erzählt habe?“, raunte Alyona mir zu, als sie sich neben mich setzte und nach einer Schüssel mit kleinen Fischfilets griff. Ich schenkte ihr mein süßestes Kleinmädchenlächeln, und sie hob seufzend die Schultern. Nach kurzem Zögern gestand ich ihr dann auch flüsternd, dass ich sie gestalkt hatte, was ihr wiederum nur ein Lachen entlockte.
 

Es wurde ein wahrer Bilderbuchabend, zumindest, was die Temperaturen anging. Die Hitze vom Tag wich nur geringfügig, sodass es sehr angenehm wurde, im Shirt draußen zu sitzen. Da Alyona und Kai nicht die geringsten Anstalten machten, vor aller Augen übereinander herzufallen, verlagerte ich meine Beobachtungen wieder einmal auf Rei und Mao, doch was ich sah, erschreckte mich: Anstatt sich aneinander zu kuscheln und nicht die Finger voneinander lassen zu können, herrschte zwischen den beiden eisiges Schweigen. Rei sah aus, als hätte er gerade in eine Zitrone gebissen. Ich hatte noch nie so tiefe Furchen zwischen seinen Augenbrauen gesehen. Mao versuchte, tapfer zu sein, aber man merkte sofort, dass sie um die Fassung rang. Sie wirkte wie ein Reh im Scheinwerferlicht. Ich wollte ihre Aufmerksamkeit durch Blicke auf mich lenken, doch sie war so in Gedanken, dass sie nichts um sich herum zu bemerken schien. Dann beugte sich schließlich Max zu mir und raunte: „Weißt du, was jetzt schon wieder bei den beiden schief gelaufen ist?“ Ich schüttelte den Kopf.

„Ich glaube, sie haben vorhin gestritten“, flüsterte er weiter. „Ich wollte ins Bad und hab gehört, wie sie in der Küche geredet haben. Rei hat richtig aggressiv geklungen. Ich meine, inzwischen weiß ich ja, dass er so drauf sein kann, aber gegenüber Mao? Es war…fies von ihm.“

„Ach ja? Was hat er denn gesagt?“

„Irgendwas, dass sie ihn nervt und er sie ja nicht drum gebeten hat, hier aufzutauchen. Ziemlich unter der Gürtellinie in dieser Situation, wenn du mich fragst.“
 

In diesem Moment stand Mao auf und ging ins Haus. Ich überlegte kurz, ob ich ihr nach sollte, ließ es dann aber bleiben. Wahrscheinlich wollte sie sowieso nicht die ganze Aufmerksamkeit auf sich lenken.

„Sag mal, Rei“, meinte Max da und wies mit dem Daumen über die Schulter dorthin, wo Mao verschwunden war. „Arbeitest du eigentlich gerade auf eine Trennung hin?“ Daraufhin verdüsterte sich Reis Gesicht noch mehr. „Das geht dich nichts an!“, fauchte er.

„Naja, ich find schon. Immerhin sind wir auch mit Mao befreundet, und wir sehen alle, dass es ihr im Moment sehr schlecht geht.“ Jetzt erhob sich auch Rei und machte Anstalten, die Runde zu verlassen. Er ging schnurstracks auf den Ausgang des Dojos zu. „Hey!“, brüllte Max, ich hatte ihn noch nie so brüllen hören, und rannte ihm hinterher. „Bleib gefälligst stehen! Seit wann rennst du denn vor Problemen weg, Rei?!“ Und da passierte es: Rei drehte sich blitzschnell um und verpasste Max, der ihn gerade erreicht hatte und ihm eine Hand auf die Schulter legen wollte, einen Kinnhaken. Max konnte sich noch fangen und hob nun seinerseits die Fäuste. Augenblicklich waren auch Takao, Daichi und Kai auf den Beinen und liefen zu den beiden, Kyouyju direkt hinterher. Alyona und ich blickten uns mit vor Schreck geöffneten Mündern an. „Alter, lass den Scheiß!“, erklang Takaos Stimme. Er hatte sich vor Max gestellt und seine Fäuste abgefangen. Auf der anderen Seite hatte Kai Rei am Arm gepackt und ihn herumgerissen, sodass er seinen Kontrahenten nicht mehr sehen konnte. Er redete leise auf ihn ein.
 

Ein paar Minuten später war die Situation deeskaliert. Max und Rei wurden von den anderen wieder zum Tisch geführt und ließen sich auf die Kissen fallen. Rei vergrub das Gesicht in den Händen und ächzte. „Hey“, sagte ich, „Wenn du möchtest, frage ich Mao, ob sie ein paar Tage bei mir schlafen will.“ Er hob den Kopf, sein Blick war nachdenklich. „Ja“, meinte er zögernd, „Ich glaube, das wäre vielleicht ganz gut…“

Ich nickte. „Okay.“

„Aber…lass mich das mit ihr besprechen, ja? Ich rede mit ihr, wenn wir heute wieder bei mir sind. Ganz in Ruhe. Dann kann sie morgen zu dir kommen, wenn sie will.“

Ein abermaliges Nicken, und dann kam Mao wieder. Als ich ihr Gesicht sah, wusste ich, dass sie alles von dem Streit zwischen Max und Rei mitbekommen hatte.
 


 

Wir gingen wieder einmal zusammen nach Hause, mit einer kleinen Ergänzung: Rei und Mao liefen voraus, ich folgte ihnen, und hinter mir Kai und Alyona. Die Nacht war herrlich, der Himmel strahlte dort, wo das Stadtzentrum lag. Es wurde nie richtig dunkel. Wir redeten kaum, eigentlich fast gar nicht, aber ich beobachtete, wie Rei Mao flüchtige Blicke von der Seite zuwarf. Doch sie hielt den Kopf gesenkt, sah auf den Weg hinunter und tat, als merkte sie nichts. Schweigend erreichten wir Reis Zuhause, verabschiedeten uns leise voneinander. Machten uns wieder auf den Weg, zu mir, und man merkte, dass die Stimmung plötzlich viel leichter war. Als hätte jemand ein geheimes Verbot aufgehoben. Wir fingen an, uns zu unterhalten, den Großteil des Gesprächs besorgen Alyona und ich, Kai machte eigentlich nur mal eine kurze Bemerkung, wenn er gefragt wurde. Und dann kam dieser Moment, an dem ich mich, ich weiß nicht mehr warum, umdrehte, und es sah.
 

Ihre Hand in seiner.
 

Es warf mich um. Sie sahen so perfekt aus, diese beiden schönen Menschen, in absoluter Gleichberechtigung, ohne Unterwürfigkeit, ohne jegliches Gehabe. Er hatte die freie Hand in der Hosentasche und blickte über den Kanal und sie hatte gerade ihr Handy herausgeholt, um einen routinierten Blick auf den Bildschirm zu werfen, während sie mir irgendwas erzählte. Er, groß, athletisch, cool. Sie, sexy, elegant, gelassen.

Ich wandte mich wieder ab und konnte so das breite Grinsen verstecken, das sich quer über mein Gesicht zog. Doch gleichzeitig war es seltsam, Kai mit einer Frau zu sehen; sehr seltsam. Es machte mir ein bisschen Angst.

After Dark

Einen Tag später zog Mao tatsächlich bei mir ein, und fast augenblicklich merkte man, wie die Situation abkühlte, eine Temperatur erreichte, mit der alle Beteiligten umgehen konnten. Rei wurde umgänglicher und zeigte sogar wieder Freude, wenn er seine Freundin sah. Mit Mao hatte ich eine wunderbare Gesellschaft gewonnen: gleich in der ersten Nacht redeten wir bis fast zum Morgengrauen, etwas, das sich seit einigen Jahren nicht mehr erlebt hatte – seit Pyjamapartys nicht mehr angesagt waren. Wir hatten eine Flasche Sekt geköpft, uns über Dessous ausgetauscht, und irgendwann wusste sie alles über meine sexuell wilden Jahre mit meinen ersten Freunden, wofür ich im Gegenzug Informationen erster Hand über ihre Erfahrungen mit Rei bekam. Wenn wir aufstanden, schaltete ich als erstes den Fernseher ein und wir ließen den Musikkanal nebenher laufen. MingMings Videos wurden praktisch in Dauerschleife gespielt, was ich für eine gute Abhärtung vor dem Konzert hielt. Wir aßen gemütlich Frühstück, surften zusätzlich im Internet oder telefonierten, wie wir es schon mit fünfzehn gemacht hatten, als wir unsere ersten brauchbaren Handys bekommen hatten und uns furchtbar wichtig vorgekommen waren. Ich beschloss, meinen letzten Sommer vor der Uni in vollen Zügen zu genießen. Ich wollte noch einmal ganz Mädchen sein, und Mao war mir dabei eine große Hilfe.
 

Die Jungs beobachteten uns mit gemischten Gefühlen, wenn wir irgendwo zusammen saßen und kicherten. Besonders Takao führte regelmäßig verbale Seitenhiebe in unsere Richtung aus, was bei uns aber nur den Eindruck erweckte, dass er irgendwie neidisch sei, auf was auch immer. Sogar Rei fing schließlich an, ihn wegen seiner eigenen Neckereien aufzuziehen, und Max kam nicht umhin, ihn zu fragen, ob er denn mit ihm Shoppen gehen wolle. Das verschlug Takao dann endgültig die Sprache; seitdem murmelte er nur unverständlich in seinen nicht vorhandenen Bart, anstatt uns lautstark aufzuziehen.
 

Ach ja, und Alyona gab es auch noch. Sie war von Zeit zu Zeit dabei, wenn wir zusammen saßen. Weder sie noch Kai hatten irgendetwas verlauten lassen, ob sie nun zusammen waren oder nicht, weshalb ich davon ausging, dass zwischen den beiden tatsächlich nur eine Bettgeschichte lief. Was jedoch nicht die seltenen Momente erklärte, in denen sie nach einander griffen und wie ein cooles V.I.P.-Pärchen im Blitzlicht der Paparazzi irgendwo entlangflanierten. Ich konnte mir noch immer nicht verkneifen, sie anzustarren, wenn ich sie so zusammen sah. Es war einfach zu perfekt. Mit Mao hatte ich ewig über die beiden diskutiert, und wir waren übereingekommen, dass sie sich wahrscheinlich deswegen die meiste Zeit über ignorierten, weil sie sonst ständig und überall Sex haben müssten –perfekten Sex, versteht sich. Das war wie mit Brad Pitt und Angelina Jolie, nur viel lässiger.
 

„Glaubst du“, sagte Mao, während sie an ihrem Kaffee nippte, „dass sich seine Nachbarn schon beschwert haben? –Obwohl, die werden die Show wohl auch genießen…“ Natürlich waren wir wieder bei diesem Thema angelangt, wie eigentlich jeden Morgen. Doch dies war eine von den Bemerkungen, mit denen ich das Gespräch darüber meist als beendet erklärte. Mao hatte das überraschende Talent, mit wenigen Worten Szenarios zu schaffen, die sich dann als rasche Bildabfolge in meinem Kopf festsetzen. Und so sicher ich mir war, dass der Anblick eines Kai Hiwatari beim Sex nicht von schlechten Eltern war, so peinlich war es mir, auch nur daran zu denken. „Mao!“, rief ich pikiert aus, woraufhin sie mir nur ein zuckersüßes Lächeln schickte. „Tut mir leid. Ich rede nur einfach zu gern über solche Sachen…“
 

„Schon okay. Solange du nicht anfängst, über die Größe seines Teils zu fachsimpeln…“, murmelte ich.

„Oh, das würde mich interessieren, weißt du’s?“

Ich glaube, mein Gesicht spiegelte pures Entsetzen wider, bevor es rot wurde. „Ich sag dir auch, wie es bei Rei ist“, bot Mao frech an. Ich merkte, dass ich die Luft angehalten hatte und stieß sie langsam aus. „Mao, wie alt bist du noch gleich? Also ich für meinen Teil habe genug nackte Männer in meinem Leben gesehen. Der Anblick von der Gürtellinie abwärts ist in den seltensten Fällen schön, also kann ich auf weitere verzichten, solange ich solo bin.“

„Gut gesprochen, das kann ich nur unterstützen.“ Sie prostete mir mit ihrem Kaffeebecher zu.
 

„Aber…“, fing sie nach ein paar Minuten wieder an, „Da wir schon mal beim Thema sind…also, es kann sein, dass ich demnächst mal eine Nacht bei Rei bleibe.“ Augenblicklich wurde ich hellhörig. Natürlich hatten wir bemerkt, dass es zwischen den beiden wieder zu knistern begonnen hatte. Sie warfen sich lange, intensive Blicke zu und berührten sich heimlich; ein gutes Zeichen. Sie konnten einfach nicht voneinander lassen. „Das freut mich für dich. Lass es krachen.“

„Er hat ein Futonbett. Da kann nichts krachen.“

„Umso besser.“
 

In diesem Moment kamen vom Fernseher einige Töne, die mich sofort starr werden ließen. Ich hechtete zum Bildschirm und hockte mich davor. Da war sie, die Werbung für MingMings Konzert, und ein paar Sekunden des Spots waren tatsächlich Showdown gewidmet. Es war unfassbar, sie, als unbekannte lokale Band, im Fernsehen zu sehen, ganz professionell und souverän. Und Kazumi, so gutaussehend. Was war er für mich geworden? Eine feste Instanz, irgendwo weit weg von mir, wie eine Fernbeziehung. Ich sah mir jeden Tag seinen Blog an und verfolgte ihn auf Twitter –und er twitterte wie die großen Stars, nur eben mit weniger Leuten, die es lasen. Das hatte auf eine seltsame Art zur Folge, dass ich meinte, ihn besser zu kennen, als ich es in Wirklichkeit tat. Er war zu einem ganz selbstverständlichen Teil meines Lebens geworden; wirklich eher wie eine Beziehung denn wie eine Schwärmerei.
 

„Hey“, sagte Mao, die sich immer über meine Fangirlmomente lustig machte, „Wirst du dich seinem audiovisuellen Charme entziehen können? Rei hat gerade geschrieben. Heute Abend ist Theme-Night im „Kitchen“. Wollen wir da hin?“
 


 

Es ist wahr, ich hatte in diesem Sommer nicht viel mehr zu tun, als einem Traum(mann) hinterher zu jagen und mit meinen Leuten auf Tour zu gehen. Aber ich behauptete, es verdient zu haben. Wir alle waren durch stressige Jahre gegangen, und in diesen Monaten fühlte es sich fast so an, als wären wir an ein bestimmtes Ziel gekommen. Es war ein Gefühl, wie das, wenn man in einem Flugzeug sitzt, kurz vor dem Start. Es gab nichts mehr zu tun, also konnten wir uns zurücklehnen und darauf warten, dass die Motoren anfingen zu röhren.
 

Das Thema der Party war „Quentin Tarantino“. Da meine Jungs auf dem Gebiet seiner Filme allesamt Experten waren, boten sie auch einen entsprechenden Anblick. Für Männer galt 80er-Jahre-Proll, von Hawaiihemd über Shirts und Denim mit schweren Stiefeln bis hin zu Anzügen mit Krawatte, ergänzt durch Knarren in allen Variationen und Pornobrillen. Bei den Frauen war weniger mehr: besonders beliebt waren Bikinioberteile zu Jeans oder Stripperoutfits und der gelbe Anzug aus Kill Bill. Ich selbst trug ein Kleines Schwarzes und eine Perücke, hatte mir einen Schönheitsfleck aufgemalt und einen Zigarettenhalter besorgt. Pulp Fiction halt. Mao hatte nicht allzu freizügig (na gut, gar nicht freizügig) vor die Tür gehen wollen und mimte daher Jackie Brown mit weißer Bluse und schwarzem Kostüm. Die Jungs repräsentierten die ganze Palette der Prolls, Reis Outfit ging mit dem Ledermantel in Richtung Sin City, Takao und Max waren vom Typ Kill Bill und Kai erschien in Bestatter-Optik. „Schicker Anzug“, sagte ich zu ihm, während er sich noch die Krawatte richtig band.

„Das ist die einzige Themenparty, die ich je mitmachen würde“, murmelte er, noch ganz auf seinen Schlips konzentriert, den er gerade festzog. Dann betrachtete er mich kurz. „Hey, Pulp Fiction, gib Knorke!“ Wir stießen unsere Fäuste aneinander und betraten nach Takao den Club. Natürlich tanzten heute alle zu den Soundtracks der Tarantino-Filme. Für mich war das gewöhnungsbedürftige Musik, ich brauchte einfach ein Bisschen mehr Gitarre oder Synthesizer. Für mich klang dieser Rock-Blues, oder was das war, etwas altbacken, aber es gab ein paar Klassiker, die eigentlich jeder kannte.
 

„Wo hast du denn deine Freundin gelassen?“, fragte Mao kurz darauf frech, als wir uns an die Bar gesetzt hatten. Da Kai sich offensichtlich nicht angesprochen fühlte, wiederholte sie beharrlich. „Lena?“, fragte er zurück, „Ist doch gar nicht meine Freundin.“

„Und mir ist egal, wie du eure Beziehung bezeichnest, ich will nur wissen, wo sie ist.“

„Zu Hause?!“

„Warum?“

Er drehte sich auf seinem Hocker zu ihr um, sodass ich sein Gesicht über ihre Schulter hinweg sehen konnte. Dieser Anzug stand ihm verdammt gut. „Hör mal, Schätzchen“, sagte er, „Du bist ganz schön neugierig, weißt du das?!“ Sie streckte ihm die Zunge raus. „Und kindisch“, fügte er hinzu, „Das passt nicht zu deinem Outfit. Überhaupt nicht.“
 

Ich frage mich bis heute, woher Kai diese Worte nimmt, mit denen er Frauen eins auswischen kann, ohne offensiv-beleidigend zu werden. Mao jedenfalls blies nur noch kurz die Wangen auf und würdigte ihn keines Blickes mehr. Da von diesem Moment an Stille zwischen uns herrschte, rutschte sie nur Augenblicke später von ihrem Hocker und ging zu Rei, der an einem Pfeiler lehnte und mit den anderen redete. Ich beobachtete, wie sie ihn bezirzte und kurze Zeit später auf die Tanzfläche schleifte. Takao bekam Reis fast volles Glas in die Hand gedrückt und bedankte sich grinsend. In diesem Moment wurde „After Dark“ angespielt, das berühmte Stripperlied aus „From Dusk Till Dawn“. Auf der Tanzfläche fanden sich die Leute automatisch zu Paaren zusammen. Ich entdeckte Maos hellen Schopf in ihrer Mitte.
 

Watching her

Strolling in the night

So white

Wondering

Why it’s only after dark
 

„Hey“, sagte Kai, der sich kurzerhand auf Maos Hocker gesetzt hatte, „Soll ich dir einen ausgeben?“

„Was ist los, Hiwatari? Hat der Anzug dich zum Gentleman gemacht?“ Natürlich konnte ich ihn damit nicht provozieren, aber er war einer der wenigen Kerle, die sich von solchen Witzen nicht beleidigt fühlten. „Ach, ich dachte nur, wo wir beide heute einen auf einsamen Pulp-Ficion-Cosplayer machen, könnten wir uns ja gemeinschaftlich besaufen.“ Daraufhin nahm ich sein Angebot an. Er bestellte irgendetwas härteres, die Mischung fiel deutlich zugunsten des Alkohols aus.
 

In her eyes

A distant fire light

Burns bright
 

„Also du gehst jetzt ernsthaft zu MingMing?“, fragte er irgendwann und ich nickte. Er schüttelte den Kopf. „Was?!“, fragte ich zurück und erntete diesen Kai-Blick, der so etwas sagte wie >Alter, get a life!<.

„Also ist es dir jetzt irgendwie ernst mit diesem Katsumi, ja?! Ich meine, ganz ehrlich, gibt es denn keinen erreichbaren Kerl?“

„Ach, das ist kompliziert“, sagte ich und nippte konzentriert an meinem Drink. „Ich glaub, ich kann mich gerade nicht verlieben. Also, nicht in einen normalen Kerl. Ich bewundere Katsumi, und das ist im Moment okay. Ich will das ausnutzen.

„Aber ich dachte, du willst unbedingt die große Liebe finden?“ Kai sah mich nicht an, sondern musterte die Tanzenden ein paar Meter vor uns. Wir hatten uns auf den Hockern herumgedreht und er stützte sich mit den Ellenbogen auf dem Tresen ab.
 

„So einfach ist das nicht“, entgegnete ich, „Ich würde schon gerne, und ich würde auch einen Normalo nehmen, aber ich find halt keinen so…attraktiv oder wie auch immer. Ich sehe ja, wie mich manchmal einer anguckt, und ich weiß, da könnte was laufen, aber ich hab einfach keinen Bock auf diese Leute.“ Tatsächlich hatte ich auch heute schon kurze Blicke mit zwei, drei Männern gewechselt, die mich aber nach dieser kurzen Prüfung schon wieder nicht interessiert hatten. Das war irgendwie ganz seltsam, denn ich hatte erwartet, dass mich das ewige Alleinsein anspruchsloser gemacht hatte. „Vielleicht sollte ich von dir weggehen“, meinte Kai, „Vermutlich schrecke ich potentielle Flirtpartner ab.“
 

Wondering
 

„Ach was.“ Ich winkte ab. „Hab heut eh keine Lust. Ist schön, mit dir zu quatschen.“ Er nickte. „Weißt du, am Anfang hast du mich genervt“, sagte er und ich wusste, dass er von meiner Anfangszeit bei den Bladebreakers sprach, „aber inzwischen bin ich froh, dass wir uns so gut verstehen.“
 

Why…
 

„Mensch, das klingt ja wie ein Liebesgeständnis“, stichelte ich und piekste ihn in die Seite. Natürlich reagierte er gar nicht darauf. Ich stürzte die letzten Schlucke aus meinem Glas herunter und fragte: „Na? Krieg ich noch nen Drink?“
 

It’s only after dark
 

Wir waren stillschweigend übereingekommen, dass wir heute eine Sitzparty abhielten. Stundenlang saß ich mit Kai an der Bar, betrank mich und merkte, wie auch seine eisige Miene irgendwann im Alkohol zu tauen begann: er hatte seine Mundwinkel nicht mehr so gut unter Kontrolle und grinste häufiger. Das ließ ich ihn natürlich lautstark wissen, woraufhin ich meine Getränke wieder selbst bezahlen musste. Ab und an kamen Max und Takao vorbei, in wechselnder Begleitung, aber ihre Kommentare schrumpften dann auch auf ein „Ihr seid ja immer noch hier!“ zusammen. Rei und Mao sah man des Öfteren auf der Tanzfläche. Irgendwann, als ich gerade darüber nachdachte, ob der Wodka am Beginn des Abends schlechter geschmeckt hatte, stieß Kai mir plötzlich den Ellenbogen in die Seite und deutete in die Menge. Dort standen Rei und Mao und küssten sich leidenschaftlich. Ohne uns anzusehen gaben wir uns erneut Knorke. Besser hätte der Abend gar nicht laufen können.
 

„Gut, da das jetzt geklärt ist, gehe ich eine rauchen“, meinte Kai dann und rutschte von seinem Barhocker. „Ach du Scheiße!“ Und musste sich an dem Möbel festhalten. „Was’n?“, fragte ich, „Ist dir der Alkohol zu Kopf gestiegen?“ Wäre nicht verwunderlich, schließlich waren wir zwischendurch kein einziges Mal aufgestanden.

„Scheiße“, wiederholte Kai, wobei er aber eher belustigt denn erschrocken klang, „Wie kann denn das sein, dass ich im Kopf noch fast klar bin und nicht mehr gehen kann?“

„Warte, ich helf dir“, bot ich an und kam ebenfalls auf die Füße. Dabei merkte ich, was Kai meinte: plötzlich drehte sich alles um mich. „Haha, na schön: lass uns zusammen nach draußen wanken. Wir schaffen das schon!“ Ich schlang meinen Arm um seine Taille und spürte seinen auf meinen Schultern liegen; uns gegenseitig stützend kamen wir tatsächlich draußen an. Kai lehnte sich an die Wand und zündete sich eine Zigarette an. Wir standen etwas außerhalb des Laternenlichts, da es irgendwie blendete. Um uns herum rauchten noch andere Leute in Grüppchen oder quatschten einfach nur. Ein Betrunkener zerbrach irgendwo klirrend eine Flasche.
 

„So“, meinte Kai, „Jetzt ist der Alkohol wieder gleichmäßig verteilt. Erinnere mich daran, so was nie wieder zu machen!“

„Jaa, dito“, entgegnete ich, „Und lass uns hoffen, dass keiner ein Foto gemacht hat.“ Wir warfen uns einen Blick zu und ich fing an zu prusten. Kai durchwuschelte kurz meine Perücke und zog mich zu sich heran, den Arm wieder um meine Schultern gelegt. „Gott, bist du warm!“, stellte ich fest und rückte noch ein bisschen näher zu ihm, da ich zuvor ziemlich gefröstelt hatte. „Hm. Kannst mich ruhig weiter ‚Kai‘ nennen“, meinte er, drückte seine Kippe an der Wand aus und warf sie zu den anderen auf den Boden. Wir blieben, und das ist rückblickend das Seltsame, dann weiter so stehen. „Also…du bist echt kuschlig“, sagte ich schließlich und kassierte ein Schnauben. Prüfend piekste ich mit dem Zeigefinger in seinen Bauch, stieß auf harte Muskeln. „Hm…obwohl…“ Schneller als mir lieb war fand seine Hand die Stelle an meiner Seite, wo ich kitzlig war. Ich wand mich aus seinem Griff und hielt ihn an den Ärmeln fest. „Alter!“ Der Alkohol meldete sich wieder, von der schnellen Bewegung war mir schwindlig. Ich hielt mich an Kai fest, und irgendwas bewegte mich dazu, mich auf die Zehenspitzen zu stellen und ihm einen winzigen Kuss zu geben. Auf den Mund, natürlich. Ich merkte gar nicht richtig, was ich da überhaupt tat.
 

I find myself in her room
 

„Na, da ist aber jemand betrunken“, kommentierte Kai belustigt.

„Jepp“, entgegnete ich, „Ich bin betrunken, ich darf alles! Küsst du mich nochmal?“

„Wieso ich? Du bist doch die, die sich hier auf wehrlose Männer stürzt!“

„Wehrlos, na das halte ich ja für ein Gerücht!“ Ich griff nach seinem Kragen und drückte meine Lippen noch mal auf seine, und erst da wurde mir bewusst, was hier eigentlich abging. Aber er wehrte sich nicht, also machte ich weiter und wir gingen tatsächlich dazu über, miteinander rumzuknutschen, wie man so schön sagt. Und es war…sehr schön, bescheiden ausgedrückt. Er schmeckte nach Rauch und ein ganz kleines Bisschen nach Minze, aber mich erstaunte vor allem, wie sehr es mir selbst gefiel, ihn zu küssen. Die meisten Freunde, die ich gehabt hatte, waren miserable Küsser gewesen; viele neigten dazu, einfach nur rhythmisch den Mund auf- und zuzuklappen, wie Karpfen, und mir genauso rhythmisch die Zunge bis zum Anschlag in den Hals zu stecken. Wie man es halt von einschlägigen Jugendzeitschriften erklärt bekommt. Bei Kai war das anders, irgendwie spielerischer. Seine Zungenküsse kamen viel seltener, und ich weiß nicht, wie er das machte, aber wenn ich ihm die Lippen öffnete wurden mir richtiggehend die Knie weich. Das war es einfach, was ich gebraucht hatte: diese bloße Körperlichkeit, ohne Hintergedanken oder tiefere Gefühle, über die man später nachdenken musste. Irgendwas zur Überbrückung der Zeit, in der ich noch auf die große Liebe wartete. Kurzum: in diesem Augenblick machte Kai Hiwatari mich sosehr an, dass ich eigentlich nur noch darüber nachdenken konnte, wie ich ihn dazu überreden konnte, mit mir ins Bett zu gehen. Ich konnte gar nichts dagegen tun, dass ich gleich auf Sex kam. Ich wollte einfach immer mehr, wusste, dass mich das bloße Küssen nicht zufrieden stellen würde. Also löste ich mich von ihm und murmelte so was wie: „Sag mal, würdest du auch mit mir schlafen?“
 

Feel the fever of my doom
 

„Hiromi“, sagte er mahnend, „Du weißt, dass das im Nachhinein problematisch werden könnte.“

„Was, was soll denn daran problematisch sein? Du bist doch nicht mit Alyona zusammen, oder?“

„Nein…“ Er hielt mich an den Armen fest, weil ich geschwankt hatte. Gott, ich wollte mit ihm nach Hause gehen und nicht diskutieren! „Ich dachte eher, problematisch für dich“, meinte er. Ich sah ihn so fest an, wie es mir möglich war. „Kai. Ich werde kein Problem damit haben. Ich liebe dich nicht, ich will nur mit dir schlafen. Du bist einer der wenigen Leute, denen ich dafür genug vertraue. Können wir nicht einfach ein bisschen Spaß zusammen haben?“

Er seufzte. „Weißt du, an jedem anderen Tag hätte ich wahrscheinlich nein gesagt. Aber in diesem Aufzug siehst du echt heiß aus.“ Und ließ einen anerkennenden Blick über mich gleiten. Ich griff nach seiner Hand und drückte ihm noch einen Kuss auf. „Lass uns zu dir gehen, ja?!“
 

Auf dem Weg durch die dunklen Straßen fragte ich mich nur kurz, warum er das mit sich machen ließ. Vermutlich wollte er auch einfach nur „ein wenig Spaß haben“. Über andere Dinge machte ich mir herzlich wenig Gedanken, obwohl ich genug Zeit gehabt hätte, die ganze Sache noch mal zu überdenken. Ich war genau im richtigen Maß betrunken und erhitzt durch seine Küsse, und es kam mir ganz natürlich vor, mit einem meiner Freunde ins Bett zu gehen –halt. Nicht einfach mit einem meiner Freunde. Mit demjenigen, mit dem ich am ehesten scherzhaft Flirten konnte, ohne, dass er mir das übel nahm. Der mir überhaupt kaum etwas übel nahm. Wenn man es so betrachtete, war Kai schon eine ziemlich treue Seele, aber trotzdem nicht so schwach, dass ich mir vorkam, als würde ich ihn ausnutzen. Kai Hiwatari konnte man nicht ausnutzen, er machte nur das, was er wollte, und dass er in diesem Moment mich wollte war verdammt großes Glück.
 

Falling, falling

Through the floor
 

Ich war vorher noch nie in Kais Wohnung gewesen. Sie war nur unwesentlich größer, als Reis und bei Weitem nicht so vollgestellt, aber trotzdem irgendwie heimelig. Kai hatte einen ziemlich ausgeprägten Sinn für Ordnung, aber es gab trotzdem chaotische Ecken wie den Schreibtisch, wo sich CDs und Bücher stapelten, oder das zerwühlte Bett mit dem kleinen Häufchen Musikzeitschriften auf dem Boden neben dem Kopfende. In der Küchenecke stand noch eine Glaskanne mit ein wenig Kaffee auf der Anrichte, daneben eine Tasse. Die Tür zum Bad war offen, und der Geruch seines Duschgels lag in der Luft. „Willst du was trinken?“, fragte er routiniert, und dann, als es ihm auffiel: „Musik? Licht? Pornos oder Spielzeug?“
 

„Mach mal mein Kleid auf“, entgegnete ich und drehte ihm den Rücken zu. Das war der Startschuss, und von diesem Punkt an machte es einfach Spaß. Es kam mir die ganze Zeit vor, als würden wir nur herumalbern, und das lag sicherlich darin begründet, dass ich ihm so sehr vertraute. Ich empfand seine Berührungen nicht als lüstern, wie es sonst immer war, sondern einfach angenehm, sodass ich nicht die geringsten Hemmungen hatte, ihn meinerseits aus seinem Anzug zu helfen.
 

I’m knocking on the devil’s door, yeah!
 

„Hübsche Unterwäsche“, kommentierte er, als wir es uns in seinem Bett bequem gemacht hatten. „Pah“, machte ich und nestelte an meinem BH herum, streifte ihn ab und warf ihn irgendwo hin. „Und?“, fragte ich dann, „Hübsche Brüste?“

„Hübsche Brüste“, bestätigte er und legte sich auf mich. Ich war wunschlos glücklich, glaube ich. Selbst als wir dabei waren, fing ich an, leise zu lachen. Kai hielt inne und blickte übertrieben genervt auf mich herab. „Was denn? Bin ich so lächerlich?“
 

„Quatsch“, entgegnete ich, „Du bist toll, hörst du das nicht?“ Und ich stöhnte ein paar Mal extra laut.

„Okay, Hiromi, du hast die Wahl: Willst du gefickt oder rausgeschmissen werden?“

„Ach Mann!“, sagte ich gedehnt, jedoch mit einem versöhnlichen Unterton, und drückte mich ganz fest an ihn. Wir lagen eine Weile lang so da, und dann wurde es wirklich romantisch und intensiv. Wir sahen uns dabei an, küssten uns und legten Pausen ein, damit es länger dauerte. Und irgendwann hatte ich, ungelogen, den besten und längsten Orgasmus meines Lebens.
 

In my heart

A deep and dark and lonely part

Wants her

And waits for after dark

Regenwetter

Ich wurde vom Gurgeln der Kaffeemaschine geweckt. Zuerst dachte ich, ich wäre bei Takao, aber die Geräuschkulisse war einfach zu fremd. Dann vergrub ich die Nase im Kissen, merkte, dass es unverkennbar nach Kai roch, und mir fiel alles wieder ein. Ich war nackt, ich lag in Kai Hiwataris Bett und er mit ziemlicher Sicherheit nicht mehr neben mir. Und, verdammt, hoffentlich war Mao über Nacht bei Rei geblieben, sonst würde es Fragen geben.
 

Zuerst einmal blieb ich jedoch noch ein bisschen, wo ich war und genoss ganz eigennützig das Gefühl, im Bett eines Mannes zu liegen, mit dem ich Sex gehabt hatte. Nach ein paar Minuten fiel mir auch das leise Klopfen des Regens auf, der schräg über mir auf die Scheibe traf. Ich lauschte ihm noch eine Weile, bis ich mich schließlich doch aufsetzte, die Decke um mich geschlungen. Kai stand, gekleidet in Shirt und Shorts, in der Küchenecke und hatte mir den Rücken zugewandt. „Guten Morgen“, sagte ich laut, woraufhin er sich umdrehte. Der Anblick, der sich mir bot, machte mich auf einen Schlag sprachlos.
 

Da stand er, dieser schöne Mann, und auf seinem Arm hielt er eine ebenso schöne Katze mit silbergrauem Fell und großen goldgelben Augen. „Ach ja“, sagte er, als er meinen Blick bemerkte, „Du kennst meine Mitbewohnerin ja noch gar nicht. Das ist Minerva.“ Die Katze bewegte sich, sodass Kai sie herunterließ. Mit ein paar Sätzen war sie zu mir aufs Bett gesprungen und rollte sich auf ebendem Kissen zusammen, an dem ich gerade noch geschnuppert hatte. „Na das ist ja seltsam“, kommentierte Kai, „Normalerweise macht sie um alle Frauen, die ich mitbringe, einen großen Bogen. Lena hat sie sogar angefaucht.“ Ich konnte nicht verhindern, dass ich kurz ein Gefühl von Triumph verspürte. Vorsichtig streckte ich die Hand aus und berührte Minervas Fell, das, wie ich feststellte, sehr dick und weich war. Sie öffnete nur kurz die Augen und sah mich an, bevor sie weiterdöste. „Also wenn sie jetzt noch schnurrt, müssen wir heiraten“, meinte Kai, „Kaffee? Oder willst du erst was zum Anziehen haben? Ich kann dir was leihen, wenn du willst.“
 

„Ja, gerne. Und heb mal bitte meinen BH auf, ich kanns gar nicht sehen, wie der da mitten im Zimmer liegt.“ Während Kai in seinem Schrank herumwühlte und dabei einige Klamotten vor seinen Füßen verstreute, resümierte ich noch einmal die letzte Nacht. Ich hatte Sex mit ihm gehabt. Lange und ausgiebig, kein besoffenes Rein-Raus, wie man es sonst immer von One-Night-Stands hörte. Es war richtiggehend perfekt gewesen. Und doch hatte sich jetzt kaum etwas zwischen uns verändert. Er behandelte mich immer noch, wie zuvor. Unsere Beziehung war höchstens einen Strich intimer geworden, weil wir ja nun alles voneinander gesehen hatten. Es war mir auch nicht peinlich, mich ihm nun auch am Tag nackt zu zeigen, als er mir ein T-Shirt gab und ich die Decke zur Seite legte, um mich anzuziehen. In Slip und Shirt machte ich es mir wieder bequem und nahm eine Kaffetasse von Kai entgegen, der sich daraufhin neben mich setzte. Von irgendwoher hatte er eine Fernbedienung mitgebracht und schaltete nun den kleinen Fernseher an, der an der gegenüberliegenden Wand stand. Auf MTV liefen die allmorgendlichen Musikvideos. „Ach so“, sagte er, „Wenn du was essen willst, hab ich natürlich auch was da; ansonsten würde ich nachher irgendwann einfach was holen gehen. Wir haben einen Nudelstand um die Ecke, der ist gut.“ Ich sah ihn von der Seite an. „Heißt das, ich kann den ganzen Tag hierbleiben?“

„Du kannst so lange bleiben, wie du willst.“
 

„Sagst du das zu allen, die bei dir schlafen?“ Jetzt erwiderte er meinen Blick. „Ja. Wenn jemand es in meine Wohnung geschafft hat, kann er auch bleiben. Ich lasse ja nicht jeden rein, weißt du.“ Das war zwar eine komische Logik, aber sie passte zu Kai. Die ganze Situation wurde mit einem Schlag behaglicher, und je länger ich darüber nachdachte, desto mehr verstand ich seine Worte. Ich kannte Leute, die veranstalteten Partys mit hundert Mann in Einzimmerwohnungen, aber wenn es mal einen Notfall gab und jemand dringend einen Schlafplatz brauchte, stellten sie sich taub. Kai hingegen sah sich die Leute, denen er die Tür öffnete, erst ganz genau an, war dann aber auch sehr fürsorglich. „Sag mal, Kai“, fragte ich, „Warum zeigst du es nicht viel öfter, dass du so hilfsbereit bist?“
 

„Das ist ganz einfach“, antwortete er, „Wenn die Leute rauskriegen, dass du alles für sie machst, ohne was dafür zu verlangen, dann fangen sie an dich auszunutzen. Mir ist das noch nicht passiert“, fügte er hinzu, weil er wohl bemerkt hatte, wie ich zu einer Frage ansetzte, „Aber ich hab es, auch schon als Kind, ziemlich oft miterlebt. Es ist scheiße, und die meisten Leute wissen das auch, aber sie machen es trotzdem. Vielleicht kriegen sie es auch gar nicht mit. Es passiert halt immer und immer wieder.“

„Verstehe“, murmelte ich und überlegte automatisch, ob ich schon mal jemanden ausgenutzt hatte. Bestimmt. Spätestens wenn man in der Schule ein Fach bestehen musste und es nur diese eine Person gab, die es einem gut genug erklären konnte. Ansonsten scherte man sich einen Dreck um diese Person, aber wenn es darauf ankam, war man nett zu ihr. Abwesend begann ich, Minerva zu streicheln, die sich davon nicht im Mindesten beeindrucken ließ. „Was ist Minerva für eine Rasse?“ Kai sah zu seiner Katze, als müsste er selbst noch mal nachgucken. „Sie ist eine Karthäuserkatze. Ich hab sie aus Deutschland.“

„Aus –was?! Wie kommst du denn bitte an eine Katze aus Deutschland?“, fragte ich perplex.
 

„Lange Geschichte.“ Ich sah mit meinem schönsten Hundeblick zu ihm auf. Als er mich ignorierte, legte ich mutig das Kinn auf seine Schulter und himmelte ihn weiter an. Es wurde ihm sichtlich unangenehm. „Was?“

„Komm, erzähl’s mir!“, forderte ich, „Sonst fall ich über dich her und leg dich nochmal flach.“

„Was für eine Drohung, Kleine, ich bin schwer beeindruckt.“

„Ich vögel‘ ich zu Tode!“

„Na das will ich sehen.“

Ich stürzte mich auf ihn und Kai entfuhr ein kleiner, erschrockener Schrei. „Hiromi, verdammt, mein Kaffee!“ Er balancierte die Tasse mit ausgestrecktem Arm. „Oh“, machte ich, „Tut mir Leid.“ Loslassen tat ich ihn trotzdem nicht. „Warte mal –der Kaffee ist dir wichtiger als ich?!“

„Im Moment schon, ja.“ Er nutzte die Pause, die daraufhin entstand, um einen Schluck zu trinken. Ich beobachtete ihn dabei, bevor ich leise fragte: „Würdest du denn überhaupt nochmal mit mir schlafen?“ Daraufhin hob er eine Augenbraue. „Also, es war schon schön mit dir“, meinte er, „Aber ich glaube nicht, dass ein zweites Mal unserer Freundschaft so gut tun würde. Ich will nicht, dass da jetzt eine Fickbeziehung draus wird.“

Ich nickte verstehend. „Also, erzählst du mir jetzt, wie du an deine Katze gekommen bist?“
 

„Tja, also…“ Er lehnte sich an der Wand hinter dem Bett an und sah auf den Fernsehbildschirm, ohne ihn wirklich wahrzunehmen. „Ich glaub, ich fang erstmal damit an, wie ich nach Deutschland gekommen bin. Das war damals so, als ich schon in Japan war, dass Voltaire mich in den Schulferien immer zu irgendwelchen Verwandten geschickt hat. Unsere Familie ist praktisch auf der ganzen Welt verstreut, auch wegen der Firma. In Deutschland haben wir schon ganz lange einen Sitz, noch aus der Zeit, als es die UdSSR noch gab. Das war ja damals so, dass es da solche Satellitenstaaten gab, oder wie die hießen, und Deutschland war geteilt und der Osten gehörte zu UdSSR.“

„Oha. Was du nicht alles weißt…“ Ich kannte mich mit europäischer Geschichte gar nicht aus. Interessierte mich auch nicht. Kyoujyu war darin etwas versierter, aber er sprach immer nur von Frankreich.

„Ja, ich weiß das alles auch nur, weil es was mit der Firma zu tun hat“, sagte Kai, „Der Punkt ist jedenfalls, dass ein Teil von Deutschland zur Sowjetunion gehört hat, und zu der Zeit wurde da der Sitz unserer Firma gegründet. Und diesen Sitz gibt es da jetzt immer noch, und deswegen bin ich nach Deutschland gekommen. Also, meine Verwandten wohnen auf dem Land, aber die Zentrale ist in Berlin.“
 

„Ah, cool.“ Das sagte mir schon wieder was. Berlin, davon hatte ich mal irgendwo gehört. Vermutlich im Zusammenhang mit diesem Dritten Reich und dem Weltkrieg, oder was die da getrieben hatten. „Und wie ist Berlin so?“

„Eigentlich ziemlich cool. Berlin ist eher…naja, ein bisschen dreckig. Sieht nicht gut aus, riecht nicht gut, aber das hat irgendwie was. Ist schwer zu beschreiben. Jedenfalls war ich dann da, aber eher auf dem Land, und das war eigentlich total schön. Ich komm ja nunmal aus der Großstadt, hab nie woanders gewohnt, da war es super, so als Kind, wenn man auch mal einfach so durch den Wald und über die Felder rennen konnte. Aber bei den Feldern musste man aufpassen, sonst hat man von den Bauern den Arsch vollgekriegt, die waren total geizig und haben immer gesagt, dass wir ihnen die Ernte platttreten würden, aber das war totaler Bullshit. Wir waren damals noch klein genug, dass wir auf den Treckerspuren langgerannt sind, da haben wir keinen einzigen Halm umgeknickt.“

Ich konnte nicht anders, ich musste ihn breit anlächeln, während ich seinem Redeschwall lauschte. Kai schien plötzlich in Erinnerungen zu schwelgen, seine Sätze wurden immer länger, weil er sich wohl immer wieder weiterer Einzelheiten entsann. Als er meinen Blick bemerkte, hielt er inne. „Langweile ich dich?“

„Überhaupt nicht.“

„Ah, okay.“

„Erzähl weiter. Du warst dabei, dass ihr von Bauern den Arsch vollgekriegt habt.“

„Haben wir ja grade nicht, weil wir uns nicht erwischen lassen haben. Aber das musst du dir vorstellen, die haben da echt riesige Felder. Ich weiß noch, ich hab da Fahrrad fahren gelernt, auf irgend so einem schlammigen Feldweg, da lagen so Betonplatten drauf in zwei Spuren, für die ganzen Maschinen. Und da bist du dann langgefahren, ewig weit, und um dich rum nur Feld und ganz weit hinten vielleicht ein paar Bäume. Total krass. Da gibt’s ja auch keine Berge oder so was, da ist alles platt. Es gibt so Ecken, da kannst du an ganz klaren Tagen den Fernsehturm am Horizont sehen, und du bist vielleicht fünfzig Kilometer weit weg von Berlin. Also, naja, da muss dir dann schon einer sagen, dass dieser Strich da der Fernsehturm ist, aber immerhin, du kannst ihn sehen.“
 

„Kannst du denn eigentlich was auf Deutsch sagen?“, fragte ich neugierig, als er eine Pause machte.

„Ah, das ist witzig“, entgegnete er, „Ich konnte mal ein bisschen mehr, aber so richtig nie. Mit meiner Familie hab ich Russisch gesprochen, mit den Kindern redet man mit Händen und Füßen und in Berlin klappt’s mit Englisch. Aber einen Satz kann ich noch.“

„Na?“

Haste mal’ne Mark?

„Gesundheit“, erwiderte ich und prustete los. „Nee, ehrlich, was heißt das denn bitte?“

„Das sagst du“, antwortete er, „Wenn du in Berlin Geld schnorren willst. Dann stellst du dich irgendwo hin, hältst die Hand auf und fragst die Passanten sozusagen nach Kleingeld.“

„Wieder was gelernt. Wie war das? Has…Haste…?“

„Haste mal’ne Mark.“

„Hastemallemaaarg.“

„So ungefähr. Und, warte mal…“ Plötzlich runzelte er angestrengt die Stirn. „Da war noch was. Das hat uns dieser eine Bauer hinterher gerufen, der hat das so oft gesagt, dass ich es mir irgendwann gemerkt habe…wie war das noch gleich…Wenn ick…wenn ick euch awische, denn….dennn…denn zieh ick euch die…warte, jetzt hab ich‘s: Wenn ick euch awische denn zieh ick euch die Hammelbeene lank!

Das war der Punkt, an dem ich haltlos anfing, zu lachen. Ich hatte keine Ahnung, was er da gerade gesagt hatte, aber ihn Deutsch reden zu hören war noch skurriler, als diese Momente, in denen er auf Russisch telefonierte. Noch dazu hatte er, wohl automatisch, die ärgerliche Miene dieses Bauern nachgemacht, während er gesprochen hatte.
 

Minerva ergriff die Flucht, als es ihr zu laut wurde. Sie warf mir einen absolut menschlichen, ärgerlichen Blick zu und verzog sich aufs Fensterbrett, wo sie sich malerisch ausstreckte. „Und wo hast du nun deine Katze genau her?“, fragte ich, weil mir bei diesem Anblick unser Ausgangspunkt wieder eingefallen war.

„Das war vor fünf Jahren, als ich das letzte Mal da war. Mit siebzehn oder so. Da sind wir ins Tierheim nach Berlin gefahren, weil meine Verwandten sich einen Hund anschaffen wollten. Haben sie ja auch gemacht. Aber ich bin irgendwie, ich weiß gar nicht mehr, wie genau, zu den Katzen gekommen, und da hab ich Minerva gesehen. Sie war damals erst ein paar Wochen alt, so ein kleiner, fiepender Fellball. Ihre Mutter hatte wohl einen großen Wurf gehabt und die Besitzer konnten nicht für alle Kätzchen eine Familie finden. Und sie war die letzte. Jedenfalls guckte sie mich mit diesen großen Augen an, die waren damals noch blau –und dann war’s vorbei. Dann konnte ich sie nicht mehr einfach so da lassen. Ging einfach nicht.“ Als wüsste Minerva ganz genau, dass wir über sie reden, fing sie an zu schnurren. Das leise Motorengeräusch war bis zum Bett hin zu hören.

„Soll ich dir was sagen?“, sagte ich zu Kai, „Mit dieser Geschichte kriegst du jede Frau rum. Hörst du? Jede.“
 


 

Der Tag war wunderbar, obwohl es draußen in Strömen regnete. Kai hatte wohl beschlossen, dass er für heute genug geredet hatte und hüllte sich fortan in Schweigen, aber es war eine angenehme Stille, die dadurch entstand, durchsetzt von verzerrten Geräuschen aus dem Fernseher. Ich ging irgendwann ins Bad und unter die Dusche, jedoch nicht ohne vorher einen neugierigen Blick in sein Regal zu werfen. Dort stand das Parfum, das ich, wie ich nach kurzem Schnuppern feststellte, sehr mochte, denn es fiel mir jedes Mal auf, wenn er es trug. Daneben eine Reihe von Stylingprodukten für die Haare, eine kleine Sammlung, auf die wohl manches Mädchen neidisch geworden wäre. Im Fach darunter stapelten sich schon wieder Musikzeitschriften; wirklich nur Musikzeitschriften, ich fand kein einziges Erotikheft, was mich schon fast ins Erstaunen versetzte. Aber wahrscheinlich hatte Kai einfach nur oft genug Sex. Die Magazine lagen in bequemer Höhe, sodass man sie von der Badewanne, um die ich ihn sofort beneidete, aus erreichen konnte. Und auf dem hinteren Rand der Wanne thronte ein kleines, gelbes Quietscheentchen. Nein, wie süß. Das musste er geschenkt bekommen haben, ansonsten würde ich ihn nie wieder ansehen können, ohne dieses Entchen vor Augen zu haben.

Ich stieg also in die Wanne, zog den Vorhang zu und stellte die Dusche an. Natürlich benutzte ich sein Duschgel, und es war seltsam, plötzlich nach ihm zu riechen…
 

Nachdem ich aus dem Bad gekommen war und einen Blick in seinen Kühlschrank geworfen hatte, beschloss ich kurzerhand, selbst etwas zu kochen, allein aus dem Wunsch heraus, ihm etwas dafür zurückzugeben, dass er mich seit gestern Abend nach allen Regeln der Kunst verwöhnte. Es mutete beinahe schon hausfraulich an, wie ich da in der Küche stand und wahllos Gemüse in die Pfanne warf und etwas kreierte, von dem ich wusste, dass es in jedem Fall irgendwie schmecken würde. Allerdings hätte ich das Ganze beinahe anbrennen lassen, weil ich zu vertieft in die Betrachtung von Kai gewesen war, der auf seinem Bett lag und mit Minerva spielte, die sich wieder zu ihm gesellt hatte. Er hatte eine Daunenfeder aus dem Kissen gezogen und kitzelte die Katze damit an der Nase. Als ich die Pfanne schließlich vom Herd nahm, hatte Kai die Arme unterm Kopf verschränkt und Minerva sich auf seinem Bauch zusammengerollt. Beide dösten. Ich schlich so leise wie möglich zu ihnen und setzte mich vorsichtig auf den Bettrand. Keiner der beiden reagierte. Eine Weile lang betrachtete ich sein Gesicht, wobei mir die absurdesten Gedanken durch den Kopf schossen, die alle etwas damit zu tun hatten, wie ich diesen schönen Tag ins Unendliche ausdehnen könnte. Dann beugte ich mich zu ihm hinunter. Nur noch einmal, dachte ich. Küsste ihn.
 

Natürlich wurde er wach. Ich merkte es, als er meinen Kuss scheinbar instinktiv erwiderte. Schon wollte ich mich lösen, als ich spürte, wie seine Hand sich in meinen Nacken legte und mich dort hielt, wo ich war. Schließlich kletterte ich ganz ins Bett und legte mich auf ihn. Minerva hatte natürlich längst wieder die Flucht ergriffen. Seine Hände wanderten unter das weite Shirt und strichen warm über meine Haut. Dann drehte er sich herum, legte mich auf den Rücken und war über mir.
 

Knapp eine Viertelstunde später lag ich ganz still an ihn gedrückt und lauschte seinen regelmäßigen Atemzügen. Jetzt hatte ich ein verdammtes Problem. Ich liebte den Sex mit Kai, ich liebte den Alltag mit Kai; ich liebte einfach diese ganze Natürlichkeit, mit der wir uns behandelten. Plötzlich war die Angst in mir aufgewallt, dass ich dieses Gefühl nun nicht mehr missen wollte. Ich befürchtete, mich –zugegeben: schon wieder– in etwas hineinzusteigern, was im Grunde völlig utopisch war. Kai und ich waren Freunde, inzwischen zwar Freunde mit Extras, aber nicht mehr. Und so paradiesisch die letzten 24 Stunden auch verlaufen waren, mein Verstand sagte mir, dass es nicht immer so sein würde. Aber in welcher Beziehung klappte das schon? Die Frage war, konnte, nein, durfte ich hier überhaupt von einer Beziehung sprechen? Vielleicht war es für Kai immer noch nur ein One. Andererseits hatte er mir heute Dinge über sich erzählt, von denen vermutlich herzlich wenige Leute wussten. Wir waren so vertraut miteinander umgegangen, und ab und an hatte ich mich sogar bei dem Gedanken erwischt, dass ich mich Alyona überlegen fühlte. Dennoch: ich steuerte hier ganz offensichtlich auf ein Dilemma zu, und der einzige Weg, das zu verhindern, war, sich so bald wie möglich von diesem Fast-Beziehungs-Luxus zu lösen.
 

Kais Hand legte sich auf meinen Oberarm. „Du bist unruhig.“ Ich drehte mich zu ihm um und spähte durch die immer dichter werdende Dunkelheit, denn ohne, dass ich es gemerkt hatte, war es wieder Abend geworden. Mein Blick fand seine Augen und ich seufzte. „Was ist mit Alyona, Kai?“

„Was soll sein? Es war wirklich nur eine Bettgeschichte.“

„Auch für sie?“, hakte ich nach, und nun war es an Kai, ganz leise zu seufzen. „Wir haben uns seit einer Woche nicht gesehen“, sagte er, und ich musste kurz nachrechnen, aber ja, es war wirklich schon so lange her, dass ich Alyona das letzte mal gesehen hatte. Die Zeit verging ja ganz schön schnell. „Auf meinen Wunsch hin“, fuhr Kai währenddessen fort, „Wir waren vor ein paar Jahren zusammen, aber seit es vorbei ist, ist es für mich auch wirklich vorbei. Für sie aber nicht. Sie war so selbstbewusst in letzter Zeit, dass ich ihr geglaubt habe, als sie meinte, sie wolle nur eine Fickbeziehung. Aber ich hätte es einfach mal besser wissen müssen.“
 

„Das heißt, sie will noch was von dir?“

„Ich denke schon. Deswegen hab ich jetzt erstmal wieder den Kontakt abgebrochen.“

„Hm-hm.“

„Ich denke wirklich, dass das die beste Entscheidung war.“

„Ja, schon klar“, murmelte ich, „Du brauchst dich vor mir nicht rechtfertigen. Aber es ist schon seltsam…dass du jetzt mit mir hier liegst, wo ihr noch gar nicht so lange…“

„Ja, frag mal“, kam es belustigt von ihm.

„…Kai?“

„Hm?“

„Willst du im Moment überhaupt eine Freundin?“

„Gott, Hiromi! Du stellst Fragen!“

„Bin halt neugierig.“

„Hm.“

„Hm? Was soll das ‚Hm‘ jetzt schon wieder, Hiwatari?“

Er schwieg.

„Ey…“

Aus der Dunkelheit neben mir kam ein amüsiertes Schnauben, dann schlang sich ein Arm um mich und er zog mich zu sich hin.
 


 

Ein bisschen kitschig, aber ich hatte das Bedürfnis nach Harmonie :D

Nach Hause

Wieder erwachte ich in einem fremden Bett, mit dem Unterschied, dass ich nun sofort wusste, wo ich war, und Kai heute neben mir lag. Es war noch gar nicht richtig hell, und so fragte ich mich einen Augenblick lang, wovon ich wach geworden war. Dann hörte ich das rhythmische Vibrieren eines Handys ganz in der Nähe, aber ich konnte nicht sagen, wo das Gerät lag. Schwerfällt richtete ich mich auf und durchwühlte den Kleiderhaufen neben dem Bett, der ja gestern Abend noch einmal angewachsen war. Durch meine Bewegungen wurde nun auch Kai wach. „Was’n los?“, nuschelte er und zog sich die Decke über den Kopf. In diesem Moment fand ich das Handy, ausgerechnet in meiner Perücke von der Themenparty.
 

Das Grinsen, das sich dabei auf mein Gesicht gelegt hatte, erstarb jedoch beinahe sofort wieder, als ich nämlich erstens bemerkte, dass es sich um Kais Handy handelte und zweitens, dass Alyonas Name auf dem Display prangte. „Kai?“, sagte ich und rüttelte ihn, bis er endlich die Decke zurückschlug. Dann hielt ich ihm das Handy vor die Nase, sodass er beinahe schielen musste, um das Display zu sehen. „Hmpf“, machte er, bevor er es mir abnahm und abhob. „‘allo?“ Eine Pause. „Eto ya.“ Danach verstand ich nichts mehr. Er sprach in kurzen, abgehakten Sätzen, soviel bekam ich mit. Die Pausen waren recht lang. Während ich nervös an meiner Unterlippe kaute und sein Mienenspiel beobachtete, brach unwillkürlich die Realität wieder über mich herein. Ich war seit vorgestern Nachmittag nicht mehr zu Hause gewesen. Niemand wusste, wo ich war und vermutlich hatte uns auch niemand von der Party weggehen sehen. Das einzige, was passiert sein konnte, war, dass die anderen bemerkt hatten, dass Kai auch fehlte, als sie nach Hause gehen wollten und sich den Rest irgendwie zusammengereimt hatten. In einer Version, die nicht der Wahrheit entsprechen konnte, denn niemand würde auf die Idee kommen, dass Kai und ich in irgendeiner Weise miteinander im Bett landen würden. Aber ich würde heute nach Hause gehen müssen, allein wegen Mao und meiner Eltern. Es würde peinliche Fragen geben, das war klar. Hoffentlich genügte es, wenn ich ihnen erzählte, ich hätte bei Kai geschlafen und wäre zu faul gewesen, bei dem schlechten Wetter gestern nach Hause zu kommen. Und Kai hätte ja eine so tolle DVD-Sammlung und überhaupt.
 

Eine Bewegung neben mir riss mich aus den Gedanken. Kai hatte den Arm mit dem Handy sinken lassen. „Und?“, fragte ich neugierig. Er hob die Schultern. „Na was wohl?!“, entgegnete er, „Ob wir uns denn sehen und über alles reden könnten. Nein, da gibt’s nix zu reden, finde ich.“

„Das ist aber ziemlich hart, oder?!“ Ich fing mir einen tadelnden Blick ein. „Hör mal, Hiromi“, sagte er ungeduldig, „Das mit Alyona und mir lief jetzt schon lange und kompliziert genug. Ich hab langsam echt die Nase voll davon. Ist schon schlimm genug, dass sie mich wieder mal überreden konnte, überhaupt was mit ihr anzufangen.“

Allerdings gehörte, aus Alyonas Sicht gesehen, schon eine gehörige Portion Gefühlschaos dazu, den Ex um fünf Uhr in der Früh unbedingt anrufen zu müssen. Seltsam, so ein Durcheinander würde man bei den beiden absolut nicht erwarten. Sie taten ja immer so abgeklärt. Naja, Kai war es wohl auch, aber ich wollte mir nicht vorstellen müssen, wie viele Beziehungsauf- und –abs es hatte geben müssen, bis er an diesen Punkt gelangt war. Davon hatten wir anderen Bladebreakers ja auch nie etwas mitbekommen.
 

„Darf ich dich was fragen?“, sagte ich.

„Hm?“

„Hast du sie mal richtig geliebt?“

„Hm.“

„Also so richtig tief und bedingungslos, so wie man das immer sagt?“

„Hm.“

„Krass.“ Da hatte er mir wohl etwas voraus. Ich kannte eher so das jugendliche Verknalltsein, die Freunde, die man ein paar Wochen lang hatte und dann in den Wind schoss, wenn sie langweilig wurden. Und die späteren Beziehungen, die zwar „ganz cool“ waren, aber auch irgendwann im Sande verliefen. „Was ist denn passiert? …Wenn ich fragen darf.“

„Du darfst. Das Alter, das ist passiert. Wir waren einfach mal zu jung.“

„Hä?“

Er begann mit dem Handy in seiner Hand zu spielen. „Naja, man kennt sich gut und kommt miteinander klar, das Verliebsein ist weg aber man würde trotzdem nicht auf die Idee kommen, sich nach was anderem umzusehen, aber irgendwann kommt einem der Gedanke, ob das denn jetzt alles gewesen sein soll. Ob das jetzt schon die ist, mit der du dein Leben verbringen wirst, wo du noch nicht mal weißt, ob das überhaupt die beste ist, die du jemals finden wirst. Und wenn du das einmal gedacht hast, geht’s eigentlich nur noch bergab.“

„Und dann habt ihr euch getrennt?“

„Jepp.“

„Und dann?“

„Na das Übliche: Erst stellst du deine Entscheidung infrage, dann fallen dir tausend Gründe ein, warum es richtig war und Jahre später hast du entweder nochmal was Richtiges gefunden oder findest deine Gründe rückblickend kitschig und bist plötzlich wieder der Meinung, dass dir so was nicht noch mal passieren wird.“
 

„Also kurz: Du hängst noch an ihr?“

„Naa, nicht wirklich“, ächzte er und drehte sich auf den Bauch. „Sie weiß einfach, wie sie’s machen muss. Und wenn ich grad nix besseres zu tun hab denk ich ‚Warum nicht?!‘ und fang wieder was mit ihr an…Bis sie dann wieder zu viel will. So geht das schon seit Jahren, immer mal wieder.“

„Klingt nicht gerade berauschend.“

„Ach, es geht.“ Er legte das Handy irgendwo auf dem Boden ab und fuhr sich dann müde durch die Haare. „Man gewöhnt sich daran. Ist sowieso erschreckend, an was man sich so alles gewöhnen kann.“ Dann legte er den Kopf auf seine verschränkten Arme und blinzelte träge. Ich saß noch immer aufrecht, hatte die Beine angezogen und stützte nun den Arm aufs Knie und den Kopf in die Hand. Von hier aus konnte ich durch das Fenster sehen, wie sich ein heller Streifen Licht am Horizont ausbreitete. Minerva saß wieder auf dem Fensterbrett und hob sich als schwarzer Umriss vom Himmel ab. Gestern Nacht musste sie draußen gewesen sein, sonst hätte sie sich sicher bemerkbar gemacht.
 

Ein Blick zur Seite zeigte mir, dass Kai wieder eingedöst war. Mit zunehmender Helligkeit waren immer mehr Einzelheiten seines Gesichts zu sehen. Ich konnte nicht behaupten, dass sein Anblick kribbelndes Herzklopfen bei mir auslöste; es war eher etwas anderes. Ein tiefes, warmes Behagen. In dieser Umgebung hatte ich das Gefühl, ein unabhängiger Mensch zu sein, was mir in Gesellschaft meiner Eltern manchmal fehlte. Ich war eine erwachsene, selbständige Frau und hatte hier doch ein Nest, das jeden Schutz in sich vereinte: Familie, Freundschaft und die Geborgenheit eines geliebten Menschen. Ich war noch nicht einmal zwei Tage hier und fühlte mich schon zu Hause. Nackt wie ich war, stand ich leise auf und schlich zum Fenster. An der Scheibe klebten immer noch ein paar Tropfen, aber es regnete nicht mehr. In den Häuserwänden, die den kleinen Innenhof umschlossen, auf den ich hinunterblicken konnte, gab es kein einziges Licht. Minerva sah mich mit ihren großen Augen an und brach in leises Schnurren aus, als ich die Hand hob, um sie zu streicheln. Was hatte Kai gesagt? Wenn sie bei meinen Berührungen schnurrte, mussten wir heiraten. Na das würde lustig werden. Vielleicht merkte sie ja instinktiv, dass ich nicht das Gleiche von Kai wollte, wie seine anderen Liebschaften. Und, verdammt noch mal, ich war ja auch keine dieser Liebschaften!

Das Bettzeug raschelte. Kai hatte sich auch aufgesetzt, die Arme um die Knie geschlungen und sah mich nachdenklich an.
 


 

Um elf Uhr klingelte es plötzlich Sturm. „Lass mich raten“, meinte Kai und ging mit einem halben Brötchen in der Hand zur Tür. „Da will dich bestimmt jemand abholen.“ Ich verschluckte mich fast an meinem Kaffee, sprang auf, griff nach meinen Klamotten und flitzte an Kai vorbei ins Bad, noch bevor seine Hand die Türklinke auch nur berührt hatte. Ich wollte nicht so aussehen, als wäre ich gerade erst aus dem Bett gestiegen. Zumal es hier momentan nur ein Bett gab, aus dem ich steigen konnte.
 

Durch die Badtür hindurch bekam ich so ziemlich alles von der Konversation mit, die draußen geführt wurde. Anscheinend waren es Rei und Mao, die uns da überraschten. „Kai!“, rief Mao aufgeregt, „Ist Hiromi bei dir? Sie ist seit der Party neulich nicht nach Hause gekommen. Wir haben uns erst keine Gedanken drüber gemacht, weil du ja auch weg warst, wir dachten, ihr seid vielleicht zusammen in eine andere Bar oder so…aber dann ist sie am nächsten Tag nicht aufgetaucht und –“

„Sie ist hier“, unterbrach Kai, „Wir hatten ein bisschen viel getrunken, deswegen hat sie hier gepennt und wir haben gestern den ganzen Tag zum Auskurieren gebraucht.“

„Na Gott sei Dank!“, entfuhr es Mao.

„Da hat sie Recht“, meinte nun Rei, den ich nur gedämpft reden hörte, weil er so leise sprach. „Mao hat mir richtig Angst gemacht, bis wir losgegangen sind, um Hiromi zu suchen. Ich bin nur froh, dass der erste Versuch gleich ein Treffer war. Warum habt ihr euch nicht gemeldet?“
 

„Naja, wir hatten einen Mordskater und haben eigentlich den ganzen Tag geschlafen“, antwortete Kai. „Und jetzt hab ich gerade Kaffee aufgesetzt. Wollt ihr reinkommen?“

„Rein?“, fragte Rei ungläubig, „In deine Wohnung?“

„Ihr könnt auch einfach hier stehenbleiben.“

„Vergiss es, so eine Gelegenheit lass ich mir nicht entgehen!“ Ich schmunzelte ob dieses Ausrufes von Rei. Vermutlich hatte er gerade eben genauso aus der Wäsche geguckt, wie ich, als ich erfahren hatte, dass ich hier bleiben durfte. Nur ein paar Sekunden später hörte ich ein verzücktes Quietschen von Mao: „Wo hast du denn die schicke Katze her, Kai?“ Ich strich noch mal mein Kleid glatt, das jetzt, am Tag und ohne mein geschminktes Gesicht sehr seltsam an mir aussah. Außerdem erinnerte ich mich augenblicklich wieder daran, was dieses Kleid inzwischen alles miterlebt hatte. Dann öffnete ich die Tür und trat hinaus. „Tut mir so leid!“, rief ich, bevor irgendjemand etwas sagen konnte, „Ich hatte gestern so einen Kopf“ Ich deutete die ungefähre Größe mit meinen Händen an, „und konnte eigentlich an nichts anderes denken, als an Schlaf. Und als es dann wieder ging, war‘s schon so spät, dass ich gleich noch ne Nacht hiergeblieben bin.“

„Wir haben seit heute Morgen versucht, dich zu erreichen“, entgegnete Mao mit vorwurfsvoll in die Seiten gestützten Fäusten, „Wir haben euch beide tausend Mal angerufen!“
 

Ich konnte ihre Vorwürfe mit wenigen Worten zerstreuen. Vermutlich war sie einfach nur froh, mich gefunden zu haben, also herrschte nach kurzer Zeit wieder vollkommener Friede, und wir saßen zu viert in Kais wirklich winziger Küche verteilt, die eigentlich nicht einmal ein Zimmer für sich war, und tranken Kaffee. Kai ließ sich nichts anmerken; er war wie immer und ließ nicht durchblicken, was wir inzwischen schon alles miteinander erlebt hatten. Ich fragte mich, ob ich genauso abgeklärt wirkte, obwohl ich mich seltsam gezeichnet fühlte, als stünde auf meiner Stirn so etwas wie „Ich war mit Kai Hiwatari im Bett“. Doch Rei und Mao schienen gar nichts zu merken, also wurde ich mit der Zeit entspannter.
 

Schließlich kam der Moment, an dem ich mich von dieser Wohnung verabschieden musste. Ich wurde ganz wehmütig, weil ich genau wusste, dass mein eigenes Zuhause nicht solche Gefühle für mich bereithielt. Es war eben das einfache Zuhause, das ich mir mit diversen Leuten teilen musste, das jeder kannte. Kein kleines, intimes Nest wie hier. Die Welt vor Kais Tür kam mir auf einmal sehr groß vor. Als ich mich von ihm verabschiedete, bekam ich natürlich keine Extrabehandlung. Er benahm sich mir gegenüber wie immer, hob die Hand zum Abschied und lächelte mich mit diesem Lächeln an, das er wirklich nur den guten Freunden zeigte und das trotzdem immer irgendwie unverbindlich war, als gehörte er gar nicht richtig dazu. Schade. Ich hoffte, nicht allzu geknickt auszusehen und rang mir ein Grinsen ab. Dann fiel die Tür auf eine seltsam dramatische Art und Weise ins Schloss. Du bist doch eine alte Seifenoperntante, schoss es mir durch den Kopf.
 

Den Weg zu mir nach Hause verbrachte ich schweigend. Ich merkte nicht einmal wirklich, dass Mao wieder mit zu mir kam, sich von Rei jedoch mit einem Kuss verabschiedete; erst, als sie mich fragte, was los sei, holte sie mich wieder aus meinen Gedanken. „Tut mir leid, bin noch ein bisschen müde“, nuschelte ich.

„Macht doch nix. Hey, lass uns ‚Gilmore Girls‘ gucken, hat gerade erst angefangen.“ Sie schaltete den Fernseher ein, doch ich genehmigte mir erst einmal eine Dusche. Während ich das Wasser über mich laufen ließ, eingezwängt in unsere enge Duschkabine, konnte ich nur an den Sex mit Kai denken. Gott, hatte er mich am Ende zur Nymphomanin gemacht? Ich konnte wohl nur hoffen, dass sich meine Euphorie in den nächsten Tagen legte. Vor allem, da auch bald das Konzert sein würde und ich mich mental darauf vorbereiten sollte, wenn ich an diesem Tag Spaß haben wollte. Konzerte bedeuteten Stress pur. Immer. Man musste schon mit einer positiven Einstellung dort aufkreuzen, um sich nicht die Laune verderben zu lassen und sich im Klaren darüber sein, wie alles ablaufen würde. Allerdings war ich noch nie auf einem Arenakonzert gewesen, sondern nur in Clubs. Ich hatte ja keine Ahnung, wie das funktionierte mit den verschiedenen Eingängen und den Rängen und was es da nicht alles zu beachten gab. Naja, Hauptsache, ich konnte etwas sehen. Und so hatte ich sogar für ein paar Minuten Kai vergessen.
 

Als ich mich jedoch wieder neben Mao setzte, dachte ich schon wieder daran zurück. Kai Hiwatari beim Sex, das war ein Anblick, der sich in die Netzhaut brannte. Ich wusste nicht, wie er das machte, aber er schaffte es immer wieder. Und ich wollte mit jemandem über ihn reden, zumindest darüber, was für eine krasse Person er war.

„Sag mal, Mao“, sagte ich daher und versuchte, so sachlich wie möglich zu klingen, „findest du, dass Kai attraktiv ist?“

„Ach, naja…“ Mao schien das gar nicht verdächtig zu finden. Gut, wir hatten die letzten Tage ja sogar beinahe über sein bestes Stück gefachsimpelt (und was würde Mao eigentlich dazu sagen, wenn sie wüsste, dass ich darüber inzwischen im Klaren war?), also war die banale Frage nach Attraktivität wohl nicht weiter auffällig. „Also ich finde ihn schon gutaussehend. Er hat ja auch so ein bisschen diese russischen Züge, weißt du, was ich meine? Hier, das mit den Wangenknochen und so“ Sie deutete eine Linie auf ihrer eigenen Wange an. „Und bei den Augen, da sieht man es schon. Für mich ist das jetzt nichts, mir ist er ein bisschen zu eckig. Aber deswegen mag ich ja auch Rei: er hat irgendwie ein weicheres Gesicht. Was ich aber an Kai total…faszinierend finde, ist die Ausstrahlung. Er hat einfach eine total krasse Persönlichkeit, find ich.“ Ich nickte und lächelte ein wenig, weil sie ziemlich genau die gleichen Worte benutzte, wie ich.

„Ja“, sagte ich, „Ich glaube, das ist es gerade, was ihn so anziehend macht.“

„Ja, auf jeden Fall! Der kommt in einen Raum, und du denkst erst mal so ‚Wow, was ist das bitte für ein Typ?‘. Das passt halt voll zu ihm. Er ist ein Mann mit Ecken, und genau das macht ihn ja auch so attraktiv. Rei ist ja eher so der glatte Typ, der Coole, der dann aber auch ganz schnell mal zärtlich sein kann. Bei Rei fühle ich mich meistens einfach nur sicher.“
 

„Auch jetzt wieder?“ Das war die richtige Frage. Maos Gesicht bekam diesen Ausdruck, wie ich ihn nur in der ersten Zeit mit Rei bei ihr gesehen hatte. Dieses bedingungslose Verknalltsein schien wieder von ihr Besitz ergriffen zu haben. „Na, wie war eure gemeinsame Nacht?“, fragte ich spitzbübisch. Sie seufzte bedeutungsschwer, bevor sie mit der Sprache herausrückte: „Oh Gott, Hiromi, wo soll ich anfangen…Es klingt jetzt bestimmt total kitschig, wenn ich das erzähle, aber es war superromantisch. Also, es war jetzt nicht so mit Rosenblättern und dem ganzen Mist, um Gottes Willen, die Wohnung war…einfach mal aufgeräumt“ Sie kicherte. „Alles war ordentlich, nichts lag im Weg, das Bett war gemacht…Und wir haben gar nicht viel geredet, wie haben uns einfach nur hingelegt, ausgezogen und es ewig lange getan. Weißt du, ich kanns jetzt echt verstehen, wenn manche Frauen beim Sex heulen, das kann ja so schön sein…“

„Und habt ihr dann danach mal geredet?“

„Ja, natürlich. Er meinte, dass er mich ja liebt und mich gerne um sich hat, aber dass ihm alles zu schnell ging und er sich einfach eingeengt gefühlt hat…Ich versteh’s ja auch, irgendwie. Aber ich glaub, ich muss noch ein bisschen bei dir bleiben, wenn das geht?“

„Natürlich“, sagte ich sofort. Es freute mich ehrlich, dass es mit den beiden wieder aufwärts ging. Bei ihnen war es nun mal die große Liebe, sie würden sicherlich irgendwann heiraten und Kinder kriegen. Etwas anderes war ganz und gar unmöglich.
 

„Und du?“, fragte Mao plötzlich, „Wie war deine Nacht mit Kai?“ Sie sprach das bedeutungsschwer aus, und ich brauchte ein paar Sekunden, um zu begreifen, dass das nicht ernst gemeint war. Sekunden, in denen mir sämtliche Gesichtszüge entgleist waren. Mao sah mich forschend an. „Hiromi? Alles in Ordnung? Hab ich was Falsches gesagt?“

„N-Nein“, stotterte ich, „Es ist nichts. Also, was soll schon gewesen sein? Ich hab geschlafen, und am nächsten Morgen hatte ich einen Kater.“

„Und er hat dich gepflegt…“

„Pff, von wegen, der war selber kaum ansprechbar.“

„Kann ich mir gar nicht vorstellen. Hast du wenigstens ein Foto gemacht?“

„Na wie denn, ich konnte mich kaum rühren!“

„Okay, das ist echt Ironie des Schicksals“, meinte sie, „Da liegst du schon mal bei einem total heißen Typen zu Hause rum, und dann geht’s euch so dreckig, dass du nicht mal über ihn herfallen kannst.“

„Jaa, schrecklich, nicht?!“, nuschelte ich. Wir saßen dann fünf Minuten schweigend nebeneinander und guckten fern. Mao kicherte ein paarmal über irgendwelche Witze, die ich gar nicht richtig mitbekam. Mein Kopf wurde einfach nicht frei. Wieder versuchte ich, an das Konzert zu denken, mich auf Katsumi zu freuen. Das klappte beinahe, aber nur, bis mir ganz plötzlich einfiel, wie Kai tatsächlich ganz leise meinen Namen geflüstert hatte, als er…Scheiße!
 

„Du, Hiromi…“ Ich sah zur Seite und in Maos Gesicht, die an ihrer Unterlippe knabberte. „Ich wollte dir jetzt echt nicht zu nahe treten, ich weiß ja, dass du nie mit Kai ins Bett gehen würdest. Tut mir leid.“

„Ach, schon gut“, presste ich heraus, „Ich weiß doch, dass das nur ein Scherz war. Kai und ich sind Freunde, weiter nichts.“ Ich wollte das mit besonderer Festigkeit sagen, damit es mir vielleicht auch wieder klar wurde. Wir waren Freunde, einfach nur Freunde. Und schließlich hatten wir auch gar nicht verliebt rumgemacht, hatten uns außerhalb des Bettes nicht mal wirklich berührt. Es gab also keinen Grund, jetzt so verrückt zu spielen. Und außerdem…war ich doch gar nicht sein Typ. Kai stand auf Frauen wie Alyona, die mit ihm mithalten konnten, sowohl optisch als auch intellektuell. Das einzige, in dem ich genauso gut war, wie Kai, war vielleicht das Sprücheklopfen. Nein, es war unmöglich, dass aus diesem kleinen Abenteuer mehr werden konnte, und jetzt musste ich mich nur noch damit abfinden. Ich brauchte ganz einfach einen Mann.

Social network II

Dieses Mal ist es wirklich etwas sehr kurz, dafür wird das nächste Kapitel umso länger^^
 

»Noch fünf Tage bis zum Konzert, der Countdown läuft!« Das postete ich an diesem Morgen auf meine Pinnwand. Wahnsinn, wie schnell die Zeit verging. Aber die Karten waren ja auch ungewöhnlich spät verkauft worden; normalerweise lagen ganze Monate zwischen Ticketbestellung und Konzert, vor allem, wenn es galt, eine Arena zu füllen. Aber das hatte MingMing wohl nicht mehr nötig, ihr Konzert hatte sich auch trotz der kurzen Fristen ausverkauft.

Ich hatte mir inzwischen einen Plan der Halle aus dem Internet heruntergeladen und wusste nun Bescheid, wo wir uns anstellen mussten. Außerdem hatte ich auch so eine Ahnung, wo die Tourbusse und die Laster für die Instrumente parken würden, denn dort musste ich auch hin, wenn ich die Jungs nach der Show sehen wollte. Aus der mentalen Vorbereitung war eine ernsthafte Planung geworden. Ständig überlegte ich, wie ich das Schöne mit den Nützlichen in Sachen Outfit verbinden konnte. Außerdem tüftelte ich an einem Zeitplan: Kyouyju hatte zwei Stehplatzkarten ergattert. An sich war das toll, denn von Sitzplätzen bei Konzerten hielt ich herzlich wenig. Jedoch würden wir sehr früh da sein müssen, um weit nach vorne zu kommen. Ansonsten würden wir nämlich rein gar nichts von der Show sehen. Das jedoch war wieder blöd für meinen Plan, nach Showdown die Halle zu verlassen, denn dann musste ich mich durch die ganzen Leute quetschen. Aber mit ein bisschen Glück fand ich ja vielleicht einen Seitenausgang.
 

Mao war an diesem Morgen nicht da, denn sie war noch einmal bei Rei geblieben. Die beiden wollten dann in der Stadt frühstücken gehen, worum ich sie sogar ein wenig beneidete. Es hatte schon was, morgens mit seinem Angebeteten bei Croissant und Latte Macchiato in der Fußgängerzone einen auf ganz europäisch zu machen. Mao hatte zu gegebenem Anlass eine Reihe Herzchen in ihr Profil gepostet. Max lud gerade fleißig, jedoch viel zu spät, die Fotos von der Mottoparty hoch, die ja nun auch schon ein paar Tage zurücklag. Natürlich hatte er auch Kai und mich geknipst, und ich musste zugeben, dass wir zwei sehr gut aussahen, wie wir da an der Bar saßen, als wären wir gerade aus einem 90er-Jahre-Kultfilm entsprungen.

Mir wurde immer noch heiß, wenn ich an die darauf folgende Nacht zurückdachte, aber im Moment baute ich gerade den nötigen Abstand dazu auf. Ich hatte die Jungs in letzter Zeit kaum gesehen, weil sich einfach nichts ergeben hatte. Meistens war ich mit Mao unterwegs oder hatte alte Schulfreundinnen getroffen, die eigentlich immer Zeit für eine Runde quatschen hatten. Ich war froh, dass ich mich so gut in Bewegung halten konnte, das machte den Kopf so schön frei, und inzwischen freute ich mich auch wieder auf Katsumi.
 

Heute jedoch hatte ich mir geschworen, nach allen Regeln der Kunst zu faulenzen. Rechner an und sinnlos gesurft, so musste das sein! Und scheinbar waren auch andere der Meinung, denn auf Facebook herrschte reges Treiben. Garland richtete die nächsten Veranstaltungen im „Kittchen“ ein und schickte mir jedes Mal eine Einladung. Einige Bands, die ich schon kannte, kamen wieder in die Stadt, also würde der nächste Monat sehr konzertlastig werden.

Und dann ploppte das Chatfenster auf. Es war von Kai aktiviert worden, was ich erst auf den zweiten Blick sah, denn er hatte ein neues Profilbild. »Hey Hiromi, du musst mir helfen«, stand da.

»Na was haste denn?«, schrieb ich zurück.

»Ich krieg demnächst Besuch und hab grad festgestellt, dass ich ein Kopfkissen zu wenig habe, weil Minerva mein zweites vor ein paar Wochen okkupiert hat. Hast du noch eins übrig?«

»Kommt drauf an, wessen heiliges Haupt sich dann darauf betten wird«, tippte ich, um ein bisschen mehr zu erfahren. Kai musste man ja meistens alles aus der Nase ziehen.

»Rothaarig«, erschien im Fenster und ich schnaubte kurz. Manchmal war das bei ihm die Antwort auf alles und nichts.

»Yuriy kommt dich besuchen?«, hakte ich nach, »Was verschafft uns denn die Ehre?«

»Langeweile, schätze ich. Boris, Sergeij und Ivan sind um die Zeit wohl nicht da, und er wollte nicht alleine zu Hause hocken.«

»Oha. Ja, okay, kannst eins von mir haben. Wann brauchst du es denn?«

»Irgendwann Ende der Woche. Ich sag noch mal Bescheid, okay? Danke schon mal!«

»Passt schon«, schrieb ich noch und klickte das Fenster dann wieder zu.
 

Yuriy also…ein Blick auf die Seitenleiste verriet mir, dass er auch online war. Wie spät war es eigentlich gerade in Moskau? Es musste extrem früh am Morgen sein, also hatte er entweder durchgemacht oder war zu einer unmenschlichen Zeit wachgeworden. Ich hatte neulich irgendwo aufgeschnappt, dass er jetzt einen Blog für seine Fotos hatte, den er Gott sei Dank auch auf Englisch führte. Der war wirklich nicht schlecht, und die Bilder bewiesen, dass Yuriy allemal Talent hatte. Vielleicht bekam ich ihn ja dazu, mal ein paar ordentliche Aufnahmen von mir zu machen, denn ich hatte seit einer Ewigkeit kein seriöses Foto mehr von mir gesehen. Wieder einmal überlegte ich, ob ich nicht einfach einen Chat anfangen sollte. Irgendwie hatte ich in letzter Zeit den Drang, ein paar Leute näher kennenzulernen. Kurzerhand klickte ich auf das kleine Quadrat in der Seitenleiste und schrieb auf Englisch: »Hab gehört, du beehrst uns bald mit deiner Anwesenheit?« Und wartete. Es war irgendwie aufregend, ausgerechnet Yuriy Ivanov anzuschreiben, denn ich hatte bis jetzt, ganz ehrlich, immer ein wenig Angst vor ihm gehabt. Ich wusste einfach nicht, was er von mir hielt.
 

»Kai, die alte Klatschtante«, erschien in diesem Moment im Fenster. Wow, er hatte tatsächlich geantwortet, obwohl er mich gar nicht so wirklich kannte. Ich erinnerte mich plötzlich an das erste und bisher einzige Mal, bei dem wir so etwas wie Kommunikation betrieben hatten: Es war während der letzten Weltmeisterschaft gewesen; ich hatte auf dem Korridor gestanden und verzweifelt versucht, dem Getränkeautomaten die zwei Dosen Cola zu entlocken, für die ich ihn gerade bezahlt hatte. Ich hatte es mit schütteln und treten versucht, aber mit meiner Statur war ich nicht gegen das Gerät angekommen, bis auf einmal Yuriy hinter mir stand und mit seinem kratzigen russischen Akzent so etwas sagte wie: „Einmal kräftig da oben gegenschlagen.“ In diesem Augenblick war auch schon eine Faust an mir vorbeigesaust, und ich hatte kurz Angst um die Gesundheit des Automaten gehabt; doch meine Coladosen klapperten daraufhin fröhlich im Ausgabefach.
 

»Und sonst so?« , erschien auf dem Bildschirm. Ganz großes Kino. Ich grinste, doch dann fiel mir etwas ein. »Sag mal, kennst du eine Alyona?«

»Ich kenne eine ganze Menge Alyonas :D «

»Kais Alyona?«

»Ach die…seine Freundin.«

»Seine immermalwiederwennesgeradepasst Freundin«, schrieb ich.

»Na was willst du wissen?« Warum kam ich mir auf seine Frage hin wie eine Stalkerin vor? »Wie lief das bei den beiden?«, traute ich mich dennoch zu tippen. Eine Weile lang blinkte daraufhin nur die kleine Sprechblase am unteren Rand des Fensters, die zeigte, dass mein Gesprächspartner etwas schrieb. Dann:

»Also ich weiß nicht viel über sie, nur, dass er sie drüben bei euch kennengelernt hat. Ich glaube, sie sind irgendwie zusammen zur Schule gegangen. Jedenfalls war er eine Zeit lang ziemlich heftig in sie verliebt, und sie wohl auch in ihn. Hat ja auch gepasst, ich hab die beiden einmal zusammen in Moskau getroffen, und ich weiß noch, wie ich dachte, dass die sich echt gesucht und gefunden haben. Wie die Faust auf das verdammte Auge halt.«

»Und was ist dann passiert? Ich meine, ich weiß, dass sie irgendwie auseinander sind, weil es nicht mehr so gepasst hat, aber…« Dieses Mal ließ ich den Satz unbeendet.
 

»Du bist ziemlich neugierig, Hiromi.« Ich fühlte, wie meine Wangen heiß wurden. »Also was nun?«, schrieb ich. Wieder wartete ich, bis die kleine Sprechblase erlosch und ein weiterer Absatz im Fenster erschien.

»Ich weiß auch nicht viel mehr. Irgendwann ist es bergab gegangen und die beiden waren auseinander. Und wieder zusammen. Und naja, ich glaub, du weißt, worauf ich hinaus will. Ist komisch mit den beiden.«

»Und was hältst du von Alyona?«

»Sie ist scharf. Und sie passt zu ihm. Aber sie muss ja auch irgendeine Macke haben, sonst wären sie ja bestimmt schon längst wieder zusammen.«

Das waren ziemlich dürftige Informationen dafür, dass sie von Kais wahrscheinlich bestem Freund kamen. Ein wenig frustriert stieß ich die Luft aus. Was hatte ich mit dieser Fragerei überhaupt bezwecken wollen? Die Idee war mir ganz spontan gekommen, und letztendlich war ich genauso schlau wie zuvor.

»Ivanov, ist dir eigentlich klar«, schrieb ich nach kurzem Zögern, »dass du hier die Klatschtante bist?«
 

»Das ist die Müdigkeit«, antwortete er prompt. Also doch durchgemacht. Was machte der Mann eigentlich die ganze Zeit? »Wie spät ist es denn bei euch?«, fragte ich.

»Fünf.«

»Okay, Ivanov, es ist Wochenende, was machst du?«

»Warum nennst du mich ständig Ivanov?«

»…Yuriy?«

»Danke. Und warum fragst du eigentlich nicht Kai selbst nach Alyona?«

»Spinnst du?!«

»War das eine Frage?«

Ich konnte nicht verhindern, dass ich daraufhin in leises Lachen ausbrach. Der konnte ja richtig sympathisch sein. »Wir müssen was zusammen machen, wenn du hier bist«, tippte ich, »Egal, was Kai sagt, wir zwingen ihn dann einfach, mitzukommen. Deal?«

»Deal.«
 

»Schön. So, und jetzt leg dich ins Bett :D«

»Das klingt nach einem durchaus erotischen Angebot.« Wieder Hitze in meinen Wangen. Diese Russen! Ich gab ein sehr leidendes Emoticon ein.

»Vergiss das Bett, Hiromi, ich mach mir jetzt einen Kaffee, und dann geht es weiter«, schrieb er, »Wir sehen uns dann in ein paar Tagen.« Und er war offline. Einfach so, ganz plötzlich. Wieder so ein Kerl, aus dem man einfach nicht schlau wurde. Und ich hatte mich gerade tatsächlich darauf eingelassen, mit ihm und Kai etwas zu unternehmen. Ich musste ganz schnell irgendjemanden finden, der noch mitkommen würde, ansonsten hatte ich wohl ein Problem, denn mit den beiden in Kombination würde ich allein nie fertig werden.
 

Noch ganz in Gedanken klickte ich mich wieder einmal durch diverse Profile, bis mir einfiel, dass Kai ja ein neues Bild hatte. Gott, war das nicht ein wenig armselig, dass das allein schon eine kleine Sensation an diesem Tag für mich war? Ich wollte es mir noch nicht eingestehen, aber eigentlich war mir langweilig. Vielleicht schlug mir das Nichtstun aufs Gemüt. Vielleicht hätte ich mir doch einen Job für die freie Zeit suchen sollen. Vielleicht hätte ich doch einen richtigen Urlaub planen sollen. Naja, hinterher ist man immer schlauer. Hätte ja auch nicht erwartet, dass ich nach dem Prüfungsstress doch so schnell wieder fit war.
 

Ein kleiner Schreckensschauer, der sich seelenruhig seinen Weg meinen Rücken hinunter bahnte, riss mich aus den Gedanken. Ich hatte das Bild gefunden und mich selbst darauf entdeckt. Ich wusste gar nicht mehr, dass dieses Foto überhaupt gemacht worden war, aber jetzt, wo ich es sah, fiel es mir wieder ein. Kurz bevor wir in den Club gegangen waren, hatten wir uns noch mal für Max in Pose geworfen, wir „einsamen Pulp-Fiction-Cosplayer“. Ich stieß divenhaft nichtvorhandenen Rauch aus meiner Zigarette aus und er ahmte täuschend echt John Travoltas Killerblick nach, und verdammt noch mal, wir sahen irgendwie aus, als gehörten wir zusammen.

Viele kleine Spektakel

Ich hatte ja versprochen, das nächste Kapitel wird länger. Bitteschön: über 4000 Wörter. Da ich inzwischen auch ein weiteres Kapitel auf Vorat habe, konnte ich das hier schon früher hochladen. Bin gut, ne?! xD
 


 

Ich kam mir vor wie in der Wüste. Sengende Hitze ging auf uns hernieder und weit und breit war nicht das kleinste Fleckchen Schatten zu sehen. Die Halle erhob sich vor uns, aus strahlend hellem, neuem Stein, sodass es mich fast blendete. Die Bäume, die um sie herum gepflanzt worden waren, waren noch so winzig, dass nicht einmal ein Käfer unter ihnen vor der Sonne geschützt wäre. Es gab zwei Eingänge, vor denen sich jeweils vielleicht zwanzig Leute versammelt hatten, also lächerlich wenige, die in den Zugängen campierten und sich mehr schlecht als recht schützten. Es würde mich nicht wundern, wenn sie, kaum dass sie die erste Reihe vor der Bühne erreichten, schon wieder von der Security über die Barrikaden gezerrt werden mussten, weil sie einen Hitzeschlag bekommen hatten. Ich zog Kyoujyu in den knappen Schatten einer hervorspringenden Ecke des Gebäudes und packte als erstes die großen Wasserflaschen aus. „Hör mal, wenn jetzt noch niemand da ist, können wir uns bestimmt bis kurz vor Einlass Zeit lassen, bis wir uns anstellen“, versuchte ich ihn zu beruhigen, da er immer wieder zu den anderen Fans hinüber spähte. „Die meisten haben sowieso feste Sitzplätze, also werden sie auch ganz gemütlich erst kurz vor Beginn antanzen. Da kannst du dich drauf verlassen.“ Daraufhin schien er sich zu beruhigen und stürzte enthusiastisch den ersten halben Liter Wasser hinunter.
 

Ich besah mir die Klientel vor der Halle: sie bestand zu einem sehr großen Teil aus minderjährigen Mädchen, also war auch eine Gruppe Erwachsener nicht weit, die ein wenig abseits stand. Einige rauchten. Erziehungsberechtigte, die wahrscheinlich gleich auf ein ganzes Grüppchen aufpassten. Überraschenderweise waren jedoch auch schon einige Jungs zu sehen, die ernsthafte Fanambitionen zu haben schienen. Kleine Justin Biebers, die cool von A nach B flanierten und verhaltene Blicke auf die Mädchen warfen. Ich fühlte mich ein wenig in den Livemitschnitt von Miley Cirus hineinversetzt, den ich mal aus Jux und Tollerei auf YouTube gesehen hatte. Na das konnte ja was werden.

Eine Gruppe fehlte allerdings, die ich von den meisten größeren Rockkonzerten, die nicht allzu extrem waren und von vornehmlich aus männlichen Musikern bestehenden Bands ausgetragen wurden, kannte: Die Ex-Boygroup-und-jetzt-Rockfrontmann-Fangirls. Diese waren meistens gestandene Frauen mit Kind und Kegel, die einzig des sexy Frontmanns wegen zu einem Konzert gingen, natürlich in der ersten Reihe stehen und dabei auch noch gut aussehen mussten. Aber da MingMing nun einmal nicht mit den Reizen eines echten Kerls dienen konnten, würden solche Tussen hier wohl nicht auftauchen. Konnte mir nur recht sein.
 

„Kyoujyu, ich geh mal ein Stück“, sagte ich schließlich zu meinem Begleiter, „Möchtest du mitkommen oder lieber hier warten?“ Natürlich wollte er warten. Wahrscheinlich würde er sich den ganzen Tag nicht vom Fleck rühren, damit er ja nichts verpasste. Ich musste ihn unbedingt noch dazu kriegen, zur Toilette zu gehen, bevor er richtig ernst wurde. Erst einmal stand ich jedoch auf, klopfte mir den Staub von der Hose und begab mich wagemutig in die pralle Sonne. Es war wie ein Schlag ins Gesicht. Um möglichst wenig davon abzubekommen, schlängelte ich mich so dicht am Gebäude entlang, wie es möglich war. Die Eingänge befanden sich an beiden Enden der langen Seite der Arena. Auf halbem Weg stand ein Tor offen, vor dem ein paar Leute mit Headset hin und her liefen. Ich stellte keine dummen Fragen, also beachteten sie mich nicht. Dafür konnte ich kurz einen Blick auf die Rückseite der Bühne erhaschen. Dann vorbei an dem Grüppchen vor Eingang B, das sich fast wie ein Spiegelbild von unserem Ende ausnahm. Kaum jemand unterhielt sich; die meisten schützten sich mit Schirmen vor der Sonne und bewegten sich so wenig wie möglich. Erst als ich um die nächste Ecke kam, wurde es interessant: Ein Bauzaun. Dahinter reihten sich drei Tourbusse und ein paar LKWs auf. Volltreffer. Hier musste ich nach dem Auftritt herkommen. Ich lief bis an den Zaun heran und spähte auf das angrenzende Gelände. Natürlich war niemand zu sehen. Die saßen jetzt alle irgendwo backstage, tranken was Kaltes und warteten auf den Soundcheck. Der Ausgang war vielleicht dreißig Meter entfernt, also würde ich wohl rufen müssen, um auf mich aufmerksam zu machen. Nicht die höflichste Art und Weise, jemanden in ein Gespräch zu verwickeln, aber dann musste es halt mal so sein. Zufrieden kehrte ich zu Kyoujyu zurück, der aus lauter Langeweile auf seinem Handy spielte, da er ja nicht einmal seinen geliebten Laptop hatte mitnehmen dürfen.

„Jetzt heißt es, Abwarten und Tee trinken“, meinte ich und griff erneut nach unseren Rucksäcken, um das Picknick auszupacken, das ich noch für uns gemacht hatte.
 


 

Der Einlass verlief praktisch reibungslos. Die Security war gut ausgebildet und noch dazu nett, eine Mischung, die man selten antraf. Ein riesiger und ebenso breiter Typ spähte in meine Tasche und zählte belustigt auf: „Handcreme, Haarbürste, Deo…Warum schleppt ihr Mädels bloß immer das ganze Zeug mit euch rum?“

„Damit wir für euch Männer gut aussehen“, entgegnete ich, während ich schon an ihm vorbeistürmte und mein Zeug auf den Garderobentresen knallte. Dann packte ich Kyoujyu am Arm, und wir schafften es tatsächlich, noch mindestens zwanzig Fans zu überholen, bis wir am Zugang für den Stehbereich standen, wo wir ein Armband bekamen. Ein weiterer Sprint –und dann standen wir tatsächlich vorn an der Barrikade. Vor uns war die Bühne mit ihrem in den Saal ragenden Laufsteg. Ich hatte Kyoujyu in eine Ecke geschleift, zum Ansatz des Laufstegs, denn so würde ich auch einen guten Blick auf die eigentliche Bühne haben. Meist war es so, dass die Vorbands ihn nicht betraten, und wenn man dann an dessen Stirnseite stand, sah man gar nichts.
 

Mein Begleiter war ganz außer Atem. Doch ich klopfte ihm beschwingt auf die Schulter: „Freu dich, dank mir wirst du einen tadellosen Blick haben!“ Er rang sich ein Lächeln ab. Jetzt mussten wir erneut einfach abwarten. Es dauerte ewig, bis sich die große Halle gefüllt hatte. Ich setzte mich für ein paar Minuten auf die Barrikade und sah zu, wie nach und nach die Ränge besetzt wurden. Auf der Rückseite gab es sogar VIP-Logen, in denen sich ein paar Anzugträger bewegten. Schließlich wurde ich von einem Security-Typen von meinem Platz gescheucht und setzte mich auf den Boden. Um mich herum wogte ein immer dichter werdendes Heer aus Beinen. Dosenmusik erfüllte den Raum, auf der Bühne rannten die Leute vom Staff hin und her und verkabelten sie letzten Instrumente. Und irgendwann ging plötzlich das Licht aus.
 

Ich sprang sofort auf und klammerte mich an der Barrikade fest, doch es blieb, bis auf die donnernden Jubelrufe, ruhig um mich. Erst da fiel mir wieder ein, dass Showdown nur der Voract waren. Trotzdem packte es mich mit einem Mal: mein Herz raste, meine Augen waren weit aufgerissen und auf mein Gesicht legte sich ein Lächeln, dass sich irgendwie arg verzerrt anfühlte. Ich sah vermutlich aus, wie eine Wahnsinnige. Dann stürmten die Jungs auf die Bühne, griffen nach ihren Instrumenten und stimmten ein wildes Intro an. Ich fing an, auf und ab zu hüpfen und steckte wohl ein paar Umstehende mit meiner Begeisterung an, denn sie setzten sich ebenfalls in Bewegung. Katsumi musste uns bemerkt haben, denn er rannte sofort auf uns zu, stand dann, die Füße auf unserer Augenhöhe, über uns und widmete uns die erste Strophe des Songs. Er schien noch mehr Energie zu haben, als damals im „Kittchen“, als würde er mit zunehmender Hörerschaft immer geladener werden. Zwar betrat auch er tatsächlich nicht den Laufsteg, dafür kam er immer wieder in unsere Ecke zurück und animierte uns zum Mitsingen. Ich brüllte mir meine Stimme kaputt. Schon nach drei Songs taten mir Hals und Beine weh, aber die Show war es allemal wert, und die ewige Warterei hatte sich mehr als gelohnt. Das war die Musik, die mich während der letzten Wochen ständig begleitet hatte, mich träumen gelassen hatte. Sie hatte mich beruhigt, wenn ich mir zu viele Gedanken um Mao und Rei oder Alyona und Kai gemacht hatte. Sie hatte mir geholfen, die Nacht mit Kai und die damit verbundenen Gefühle zu relativieren. Und diese Musik jetzt zu hören, so leidenschaftlich vorgetragen, mit ganzem Herzen, wie es sein sollte, und ein Teil von ihr zu sein, war unbeschreiblich. Ich nahm nichts anderes mehr wahr, nur ich und die Jungs auf der Bühne existierten noch in diesem Raum. Ich liebte Katsumi auf eine besondere Art und Weise; ich sah zu ihm auf, wie zu einem Lehrmeister, weil er der Mensch war, dem es gelang, in Worte zu fassen, was ich bisher nicht aussprechen konnte. Er zeigte mir, was ich fühlte und beschützte mich gleichzeitig vor denjenigen, die es nicht verstanden. Diese Geborgenheit wollte ich immer haben.
 

Nach einer halben Stunde war alles vorbei. Ich war durchgeschwitzt und ausgelaugt und wurde doch von einer Welle äußerster Zufriedenheit überrollt. Als die Lichter wieder angingen, blendeten sie mich. Am liebsten wäre ich allein gewesen, um all die Eindrücke noch einmal Revue passieren zu lassen. Ich klammerte mich an die Barrikade, ignorierte alle Leute um mich herum und atmete tief durch. Erst nach ein paar Minuten fiel mir ein, dass ich ja jetzt eigentlich die Halle verlassen wollte. Plötzlich erschien die Menschenmasse hinter mir unüberwindlich. Ich sah Kyoujyu an, den ich bis dahin vergessen hatte und der noch völlig unversehrt neben mir stand. Er warf mir ziemlich entgeisterte, verängstigte Blicke zu, die mir verdeutlichten, wie abgedreht ich gerade auf ihn gewirkt haben musste. Es war mir herzlich egal. Gerade hatte ich alle Probleme der letzten Wochen einfach über Bord werfen können. „Kann ich dich alleine lassen?“, fragte ich ihn, „Ich geh jetzt raus und wir sehen uns nach dem Konzert, okay?“

„Ist gut“, sagte er nur und nickte. Ich grinste ihn noch mal an und sah mich dann um. Wie kam ich jetzt am besten hier raus? Da bemerkte ich einen Aufgang ganz in der Nähe. Ah, sehr gut, also gab es doch nicht nur einen Zugang. Wäre ja sicherheitstechnisch auch gar nicht möglich gewesen. Ich begann also, mich durch die Menschen hindurch zu schlängeln. Die Reihen hatten sich geleert, weil viele noch mal eine Pinkelpause machten, bevor es richtig losging. Es dauerte trotzdem eine Weile, da ich viele auf dem Boden sitzende Grüppchen umrunden musste.
 

Schließlich erklomm ich die Stufen. Auf dem obersten Absatz drehte ich mich noch einmal um und ließ den Blick durch die Halle schweifen. Es war überwältigend. Sämtliche Sitzplätze und die ganze Stehfläche waren besetzt. Die Menschen auf der anderen Seite erkannte man nur noch schemenhaft. In der Mitte erhob sich eine kleine, umzäunte Insel aus Laptops und anderer Technik, von der aus Sound und Licht gesteuert wurden. Ich schüttelte fassungslos den Kopf.

In diesem Moment wurde es wieder dunkel. Die ganze Halle erbebte förmlich im aufkommenden Getöse. Dann flackerten die Lichter auf und ein Intro fing an. Ich drehte mich auf dem Absatz um und stürmte nach draußen, doch bevor ich die Tür wieder schließen konnte, hörte ich schon das „Hey! Hey!“, das freudig vom Publikum wiederholt wurde. Kyoujyu war bestimmt schon in Ohnmacht gefallen. Während ich den menschenleeren Gang entlanglief, kam es dumpf von drinnen: „Ich bin die Größte, trainier‘ so viel ich kann, beim Bladen nehme ich jede Herausforderung an, hey legt jetzt los und hört auf zu reden, ich werde euch wegfegen…!“ Ich ächzte gequält und beeilte mich gleich noch ein bisschen mehr.
 

Die Luft draußen war angenehm kühl. Ich musste mir meine Jacke

überziehen, aber dann wurde die Temperatur sehr angenehm. Es war niemand zu sehen, doch selbst hier hörte man noch den gedämpften Bass. Ich schob die Hände in die Taschen und machte mich auf zum Bauzaun. Dort angekommen spähte ich durch das Gitter hindurch, doch auch hier war keine Menschenseele. Ich würde wohl warten müssen. Damit ich nicht auskühlte, hüpfte ich ein paarmal auf und ab und machte einige Aufwärmübungen aus dem Sportunterricht, die nicht allzu peinlich aussahen. Dann ging ich dazu über, einen Stein durch die Gegend zu kicken. Ich fühlte, wie mein Oberteil langsam wieder trocknete. Ich hatte ja die Jacke aufgelassen. So eine laue Sommernacht war das Beste für Konzerte. Nicht auszudenken, wie ich frieren würde, wenn es Winter wäre!
 

Ich zuckte kurz zusammen, als Bewegung am Hintereingang entstand. Sofort hielt ich inne und kniff die Augen zusammen, um etwas zu erkennen. Eine Person kam dort heraus, aber es schien niemand von der Band zu sein… Plötzlich stockte mir der Atem: Ich hatte langes, weißblones Haar aufblitzen sehen und hörte das regelmäßige Klackern von Hackenschuhen. Das durfte doch nicht wahr sein!

Es war jedoch die pure Wahrheit: Das dort drüben war Alyona. Ich begriff nicht, was vor sich ging. Was hatte das zu bedeuten? Kurz entschlossen rief ich nach ihr. Sie blieb augenblicklich stehen und drehte sich zu mir. Scheinbar erkannte sie mich, denn kurze Zeit später stand sie mir auf der anderen Seite des Zauns gegenüber. „Hiromi? Was machst du denn hier?“, fragte sie perplex. „Das gleiche könnte ich dich fragen“, entgegnete ich, „Ich hab mir Showdown angesehen.“

„Ach ja, das hattest du ja damals erzählt!“ Sie klang eigentlich recht freundlich. „Was zur Hölle machst du backstage?“, entfuhr es mir trotzdem. Sie setzte ein zuckersüßes Lächeln auf. „Naja, ich hab die Jungs kennengelernt, als sie vor Ewigkeiten mal bei mir eingekauft haben. Seitdem hängen wir öfters miteinander ab, und ich besuche sie nach ihren Gigs. Ähm…willst du vielleicht mit reinkommen?“ Ich blinzelte sie an. Wie? Mit reinkommen? „Klar!“, rief ich, bevor sie es sich anders überlegen konnte. Zusammen hievten wir den Zaun ein Stück zur Seite, so dass eine Lücke offen stand, durch die ich hineinschlüpfen konnte. Wahnsinn, dachte ich. Ich war tatsächlich backstage. „Die Jungs sind aber noch nicht fertig. Lass mich erst eine rauchen, dann können wir mal reingehen und gucken, wie weit sie sind“, meinte Alyona. Wir setzten uns auf eine Stufe vor dem Eingang, und sie zündete sich eine Kippe an. Die gleiche Marke, wie Kai, fiel mir auf, nur mit Menthol. Es verursachte fast den gleichen Geruch, Rauch und Minze, nur dass er bei ihr direkt aus der Zigarette kam und bei Kai eine Mischung aus Zigarette und Kaugummi war. „Alter, warum sagst du so was denn nicht früher?“, echauffierte ich mich, was jedoch nur halb ernst gemeint war. Sie grinste mich schelmisch an. „Du hast ja nie gefragt. Selbst damals im Laden nicht, als wir uns über Showdown unterhalten haben.“

„Hm. Stimmt. Ich hatte halt andere Probleme.“ Es entstand eine kleine Pause. „Ach, apropos Probleme…“, fing ich dann an, denn wieder einmal hatte die Neugier gesiegt. „Ich hab dich schon lange nicht mehr mit Kai zusammen gesehen…“

Ihr Gesicht verzog sich, doch sie verlor nichts von der Selbstsicherheit, die sie immer ausstrahlte. „Können wir nicht einfach über Showdown reden?“, fragte sie leise.
 

„Schon, aber…naja…“ Warum konnte ich nicht einfach meine Klappe halten? Ich ärgerte mich selbst über meine Neugierde. Ständig musste ich jede Perspektive kennenlernen. Ich sollte mich einfach da raushalten. Aber es war nichts zu machen, nun hatte ich begonnen. Ich biss mir auf die Unterlippe und übte mich in Schweigen. Wenn ich schon die Stimmung versaut hatte, brauchte ich jetzt nicht noch länger darauf herumzureiten. So saß ich innerlich däumchendrehend neben ihr und wartete darauf, dass etwas passierte. Tatsächlich fing Alyona zu reden an, als sie ihre Zigarette ausgedrückt hatte. „Also, hm…hat er denn irgendwas gesagt?“ Also doch wieder Kai. „Naja“, druckste ich, „Nicht viel. Nur, dass er dich nicht mehr sieht.“ Sie nickte. „Scheiße…“ Und vergrub das Gesicht in den Händen. Mich überkam das schlechte Gewissen. Immerhin hatte ich mit ihm im Bett gelegen und wusste mehr über die Sache, als ich zugab. Aber wie würde das denn klingen? ‚Hör mal, nachdem ich neulich mit deinem Ex gefickt habe, hat der mir erzählt, dass er nix von dir will.‘ Ging ja schon mal gar nicht. Und wenn ich ihr bloß Kais Meinung über sie wiedergeben würde, wäre das mindestens genauso schmerzhaft. Niemand erfährt gern durch dritte, wie der Ex von ihm denkt.
 

„Wart ihr überhaupt richtig zusammen?“ Ich beschloss, mich richtig dumm zu stellen, damit sie mir in aller Ruhe ihre Perspektive darlegen konnte. Komisch, damals bei Rei und Mao wollte ich mich auf keinen Fall einmischen, und hier tat ich es umso leidenschaftlicher. Naja, mein guter Vorsatz hatte sich ja auch in Wohlgefallen aufgelöst, spätestens nachdem Mao bei mir eingezogen war. Ich konnte wohl einfach nicht aus meiner Haut.

„Nein, wir waren nicht zusammen“, sagte Alyona. „Wollte ich ja auch gar nicht. Wirklich nicht. Es hatte sich nur angeboten, dass ich ihn getroffen hab…Es ist immer schön, ihn zu treffen. Aber…verdammt, ich kann nicht aufhören, ihn zu lieben.“

Ich glaube, ich machte große Augen. Das klang zu abgeschmackt, um wahr zu sein, und doch war ihr Tonfall sehr leidenschaftlich und ernst. „Wie, du kannst nicht aufhören?“, fragte ich, „Das geht doch sowieso nicht so einfach…“

„Es ist…ganz seltsam“, entgegnete sie leise, nachdenklich, „Das mit uns ging sehr, sehr tief. So tief, dass ich nicht einmal böse war, als es auseinander ging, obwohl es mich ziemlich überrascht hat. Ich meine, ich werde ihn immer lieben, glaube ich. Nur kann ich ausgerechnet das nicht akzeptieren. Immer wenn ich ihn sehe, will ich ihn für mich. Aber das geht nicht.“ Ich hörte aufmerksam zu. Vor meinen Augen bröckelte Alyonas schöne Fassade, und sie war nichts weiter, als ein vierzehnjähriges Mädchen nach dem ersten Liebeskummer. „Ich flirte ganz automatisch mit ihm, wenn wir uns begegnen. Und genauso automatisch landen wir im Bett. Und wenn ich einmal mit ihm schlafe, ist es wie früher und ich bin genauso verliebt wie damals.“

„Aber er nicht“, ergänzte ich.
 

„Natürlich nicht.“ Alyona schnaubte kurz. „Ich glaube, Männer kommen über so was besser hinweg. Selbst wenn es so tief geht. Frauen…Frauen können in vielen Facetten lieben. Aber mir hilft das jetzt auch nicht weiter…“ Plötzlich legte sie eine Hand über ihre Augen. Fing sie jetzt etwa an zu weinen? Himmel, damit würde ich nicht umgehen können. Ich hatte ja keine Ahnung, wie ich sie trösten sollte. „Wenn…wenn er nur endlich eine Freundin hätte!“, fuhr Alyona stockend fort, „Wenn ich sehen könnte, dass er glücklich ist, dass er sich für jemanden entschieden hat! Solange er Single ist, werde ich ihn haben können, wann ich will, und ich will ihn, sobald ich ihn sehe!“

„Hey, ich will dich ja nicht verletzen, aber warum suchst du dir keinen anderen Kerl?“, fragte ich, was vermutlich kälter klang, als es gemeint war. „Hab ich ja versucht“, antwortete sie, „Wirklich. Ich hatte einige Kerle. Aber es war einfach keiner dabei, mit dem ich es länger ausgehalten hab. Ich vergleiche sie ja nicht mal mit Kai, überhaupt nicht. Aber ich bin immer auf der Suche nach diesem Gefühl, dass ich bei ihm hatte, nach dieser tiefen, bedingungslosen Liebe. Ich hoffe ja, ich finde das nochmal. Ich will nicht irgendwann den erstbesten nehmen müssen.“
 

„Ich verstehe.“ Ich verstand sie so gut. Im Grunde suchten wir beide das Gleiche, wobei ich jedoch noch nicht wusste, wie sich das, was ich suchte, wirklich anfühlte. Aber ihre Angst konnte ich dafür umso besser nachvollziehen. Ich wollte nicht irgendwann neben einem Mann aufwachen, den ich nicht liebte und feststellen müssen, dass es für einen Neuanfang zu spät ist, weil dadurch mehr Menschen verletzt werden würden, als wenn alles so bliebe, wie es war. „Es ist“, sagte sie und wischte sich die Augen, „Ein verdammtes Scheißgefühl, wenn man weiß, dass er nicht mehr als Freundschaft oder nur Sex will.“

„Aber du gibst ihm ja auch nicht gerade das Gefühl, dass bei dir mehr dahintersteckt“, meinte ich. „Du hast ihn ins Bett gelockt, du hast selbst gesagt, dass du nicht mehr als eine Fickbeziehung willst, was soll er denn da bitte denken?“

„Ich weiß!“, rief sie plötzlich, „Du musst mir nicht meine Fehler aufzählen!“

„Schon klar…“

„Verdammt, warum heule ich mich jetzt bei dir aus? Ausgerechnet bei dir…“
 

Ausgerechnet bei mir? Na jetzt wurde es aber interessant. Ich verkniff mir einen Kommentar, damit sie mich am Ende nicht noch anzickte, aber meine Augenbrauen schossen trotzdem in die Höhe. „Also hör mal, Mädchen“, sagte ich ganz fachmännisch, „Wenn du meine ehrliche Meinung dazu hören willst, dann sag ich dir eins: Ich finde, dass du dich da in etwas reinsteigerst, was eh nicht mehr funktionieren würde. Denkst du, wenn du mit ihm zusammen wärst, würde alles so sein wie damals? Ich glaube nicht. Es kann einfach nicht mehr so werden. Das bildest du dir ein.“ Mensch, ich konnte ja tatsächlich so wirken, als wäre ich die totale Expertin auf dem Gebiet. Alyonas Mund verzog sich. „Na, du weißt aber genau Bescheid über Kais Gefühle.“ Ich konnte nicht verhindern, dass mein Gesicht augenblicklich heiß wurde. „Wa-was soll das heißen?“, stammelte ich, doch in diesem Moment rettete mich ausgerechnet Yoshio (wir erinnern uns: der sadistische Gitarrist), weil er die Tür hinter uns aufstieß und so etwas sagte wie: „Hey Mädels, was sitzt ihr hier draußen rum?“ Ihm fiel erst viel später auf, dass ich gar nicht zum Team gehörte.
 

Erst einmal folgten wir ihm jedoch in die Garderobe, wo es eine Sofaecke und eine Minibar gab. Alyonas Gemüt musste sich während des kurzen Ganges abgekühlt haben, denn als sie mich vorstellte, war sie schon wieder ganz sie selbst. Ich verbeugte mich artig vor dem Team und den Jungs, die es sich mit Bier gemütlich gemacht hatten. „Hey, dich kenn ich aber!“, rief Katsumi aus, nachdem er mich eine Weile gemustert hatte. „Wusste ich’s doch! Du bist die mit den Shorts!“

„Jaaaah…“, nuschelte ich gedehnt, doch Katsumi war selbst so begeistert von seinem guten Gedächtnis, dass er mich mit einem Wink aufforderte, mich neben ihn zu setzten und beinahe übergangslos begann, mich zuzutexten. Ich glaubte, im falschen Film zu sein. Mein „Schwarm“ war mir ganz nah, so nah, dass ich sein Deo roch, unter seinen Wimpern ein Rest des Guyliners entdeckte und nur kurz meine Hand hätte heben müssen, um einen Fussel von seinem Hemd zu entfernen. Ich hatte keine Ahnung, was er mir alles erzählte, aber ich hing an seinen Lippen. Er fuhr sich regelmäßig durch die Haare, eine Geste, die ich schon von der Bühne kannte und mit der er seine Frisur wunderbar zerstörte.
 

Irgendwann glitt Alyona neben mir aufs Sofa und drückte mir eine kalte Flasche in die Hand. Es sollte die erste von vielen sein. „Hiromi redet übrigens fast nur noch von dir, seit sie euch das erste Mal gesehen hat“, sagte sie und zwinkerte Katsumi über meinen Kopf hinweg verschwörerisch zu. Von ihrer Gefühlsduselei noch vor wenigen Minuten war nichts mehr zu spüren. „Ach wirklich?!“, nahm er den Faden auf, wobei er mich direkt ansah. Mir blieb nichts anderes übrig, als irgendwie zuzustimmen und dabei möglichst nicht wie ein Fangirl zu wirken. Das ging alles ziemlich schnell, aber Katsumi zeigte gerade ernsthaftes Interesse an mir. Und diese Situation wollte ausgenutzt werden…
 


 

MingMings Auftritt dauerte gute zwei Stunden. In diesen zwei Stunden hatte ich Katsumi praktisch für mich allein. Die anderen umringten uns zwar, beschäftigten sich aber mit sich selbst, sodass wir ungestört redeten und redeten und redeten. Naja, eigentlich sagte ich dabei ziemlich wenig, den Großteil des Gesprächs besorgte Katsumi, aber das störte mich natürlich nicht sonderlich. Ich hörte ihm zu und trank Bier und fühlte mich geehrt, so viel von einem Menschen erzählt zu bekommen, den ich bewunderte. Ich hatte schon oft bemerkt, dass sich die Attraktivität eines Mannes erhöhen oder verringern konnte, sobald er den Mund aufmachte. Optisch unscheinbare Männer verwandelten sich in Traumprinzen, wenn der Charakter stimmte. Katsumi war allerdings der erste, der einfach mal alle hohen Erwartungen, die ich dank der Optik an ihn gestellt hatte, erfüllte.

Um uns herum wurde es allmählich lauter. Der Alkoholpegel stieg, und die Stimmung war ausgelassen. Alyona wurde von Makoto und Shun belagert, während Yoshio irgendwelche Kerle aus dem Team unterhielt. Fast wie auf einer kleinen Party.
 

Als Katsumi einen Arm um mich legte, versteifte ich mich kurz, bevor mein ganzer Körper in Aufregung verging. Noch mehr Deogeruch, und, was noch viel wichtiger war: Seine Wärme, die mich direkt berührte. Der Körper dieses Mannes an meinem. Der blanke Wahnsinn. „Was meinst du?“, fragte er leise, „Wollen wir mal an die frische Luft?“ Einen Moment lang hatte ich die Befürchtung, er wolle mit mir in einen Nebenraum gehen und mich kurz und schmerzlos flachlegen. Das wäre scheiße gewesen, hätte mich zum Groupie gemacht, und ich hätte vermutlich nein gesagt. Nach draußen gehen war jedoch etwas ganz anderes: Das war irgendwie sicherer, gleichzeitig romantischer. Also nickte ich, und er griff nach meiner Hand, um mich hinter sich herzuziehen. Die anderen beachteten uns nicht, nur Alyona grinste mich auffordernd an.
 

Draußen setzten wir uns nebeneinander auf die Stufe, unsere Knie berührten sich. Er stützte das Kinn in die Hand und sah mich an. „Du bist echt ’ne Süße, hat dir das schon mal jemand gesagt, Hiromi?“ Ich schüttelte den Kopf und beobachtete, wie sich seine Hand auf mein Bein legte. Ich war seltsam abwesend: Das hier passierte nicht wirklich, oder? „Hast du einen Freund?“, fragte Katsumi. „Nein“, sagte ich automatisch, jede andere Antwort wäre auch schwachsinnig gewesen. Mein Gott, der hatte tatsächlich was mit mir vor!

„Schön…“, hörte ich seine Stimme ganz nah an meinem Ohr. Dann strich ein Finger vorsichtig über meine Wange. „Komm mal her…“

Nein, das hier passierte nicht mir. Ganz sicher nicht.

Seine Lippen drückten sich auf meine, und meine Augen fielen einfach zu. Wir küssten uns! Und dann…steckte er mir die Zunge in den Hals und ich merkte, dass er einer von den Karpfen war.

Dubstep für Anfänger

„Aha.“

Das war alles, was Kai dazu sagte. Ich hatte ihm gerade lang und breit von meinem Abend mit Katsumi erzählt und ihm unter die Nase gerieben, dass ich Showdown schon morgen in ihrem Proberaum besuchen würde. Dass ich der festen Überzeugung war, Katsumi habe ernsthaftere Absichten. Und dass ich das glücklichste Mädchen der ganzen verdammten Welt war. Auch wenn er miserabel küsste.
 

Auf der anderen Seite der Leitung schwieg Kai sich aus, aber ich hörte, wie er lange ausatmete. Er rauchte. „Sag bloß, ich bin der erste, dem du das erzählst“, meinte er dann.

„Ähm, ja, allerdings.“

„Ich fühle mich geehrt. Aber darf ich dann annehmen, dass ich den anderen erstmal nichts sage?“

„Ähm, ja, bitte.“ Ich hatte das bescheuerte Gefühl, einen Sprung in der Platte zu haben. Ein bisschen beleidigte mich Kais praktisch nicht vorhandene Reaktion schon: immerhin war unser One noch nicht allzu lange her.

„Okay“, sagte er nach einer weiteren Pause. „Gut, Hiromi, ich würde gern noch weitere pikante Informationen von dir hören, aber ich muss jetzt los und Yuriy vom Flughafen abholen.“

Yuriy? War es tatsächlich schon so weit? „Sag mal“, fiel mir ein, „Wolltest du dir nicht ein Kissen von mir ausleihen?“

„Ja, klar. Bist du zu Hause? Dann kommen wir einfach nachher vorbei.“
 

„Klar, ich hab heut nix vor. Ich mach Kaffee.“ Auf der anderen Seite brummte er zustimmend und legte auf. Na das war ja jetzt weniger befriedigend gewesen. Ich hatte gehofft, Kai mit meinen Neuigkeiten ein bisschen aus der Reserve zu locken. Er hätte wenigstens so was wie „Krass“ oder „Hey, schön, dass du den Typen rumgekriegt hast“ sagen können. Andererseits war es jedoch auch nicht verwunderlich, dass Kai herzlich wenig Interesse zeigte. Er dachte sich wahrscheinlich seinen Teil und wartete schon auf den Tag, an dem ich wieder einmal heulend in Takaos Küche sitzen würde. Aber darauf konnte er lange warten! Selbst wenn Katsumi ernsthafte Absichten hegte, ich würde mich zusammen nehmen und nicht in Euphorie verfallen. Wenn man ganz nüchtern an so eine Beziehung heranging, wurde man nicht so schnell verletzt, nicht wahr?!

Ach verdammt, jetzt konnte ich Mao gebrauchen. Sie pendelte in letzter Zeit zwischen mir und Rei hin und her, und ich konnte nie mit Sicherheit sagen, wann sie wieder auftauchte. Allerdings musste es sie doch auch interessieren, wie das Konzert gewesen war, also kam sie ja vielleicht vorbei.
 

Ich hatte den Gedanken noch nicht ganz zu Ende gebracht, als ich hörte, wie sich die Haustür öffnete. Ich hatte Mao vor kurzem einen Schlüssel gegeben, damit sie nicht auf mich angewiesen war. Jetzt sprang ich sofort auf und stürmte nach unten, wo sie tatsächlich stand und sich die Schuhe auszog. „Hey, Hiromi!“, rief sie und strahlte mich an, „Ich sehe, ich komme richtig: Wie war das Konzert?“

Innerhalb der nächsten halben Stunde wusste Mao über alles Bescheid. Außer natürlich über die Hintergründe des Gesprächs, das ich mit Alyona geführt hatte. Ich erzählte ihr lediglich, was ungefähr gesagt worden war und versuchte, mich vor einer Meinungsäußerung zu drücken. Das klappte allerdings ganz gut, da Mao viel mehr an dem Augenblick interessiert war, als Katsumi mich geküsst hatte. Ihr Mund wollte sich gar nicht mehr schließen, so deutlich brachte sie ihr Erstaunen zum Ausdruck. „Wahnsinn!“, hauchte sie langgezogen, „Das heißt, ihr datet euch jetzt, wie die Amerikaner sagen würden, ja?!“

Ich hob die Schultern, konnte aber nicht verhindern, dass mir ein freudiges Strahlen übers Gesicht zog. „Naja, vielleicht. Mal sehen, was daraus wird.“

„Na ich drück dir die Daumen, dessen kannst du dir gewiss sein!“
 


 

Natürlich musste Mao schneller, als mir lieb war, wieder zurück zu Rei. Die beiden konnten in letzter Zeit einfach nicht ohneeinander sein. Seitdem die Wogen zwischen ihnen geglättet waren, turtelten sie herum wie frisch verliebt.

Also blieb ich eine Zeitlang allein mit dem Fernseher und schleppte mich schließlich träge in die Küche, um Kaffee zu kochen. Und siehe, als hätten sie es gerochen, standen, kaum dass die ersten Tropfen durch den Filter gegangen waren, die Jungs vor der Tür. „Na toll“, sagte ich auf Englisch, als ich öffnete und die beiden großen, dunkel gekleideten Gestalten vor mir aufragten, „Jetzt denken die Nachbarn bestimmt wieder, dass mein Vater krumme Geschäfte mit der Yakuza dreht und Ärger am Hals hat. Kommt bloß schnell rein!“

„Ach, aber wenn ich dich selbstlos nach Hause bringe, bin ich wieder der nette junge Mann, der zu höflich ist, um reinzukommen“, konterte Kai, während er an mir vorbei nach drinnen ging. Yuriy enthielt sich eines Kommentars, warf mir jedoch ein verschwörerisches Grinsen zu, bevor er auch eintrat, und ich musste mir insgeheim eingestehen, dass das ehemalige Team NeoBorg optisch nichts zu wünschen übrig ließ. Yuriy sah beinahe unverschämt gut aus für jemanden, dem der Schlafmangel in Form von deutlichen Augenringen ins Gesicht geschrieben stand. Sie verliehen ihm diesen gewissen künstlerischen Charme, diese still-intellektuelle Ausstrahlung eines an Insomnie leidenden Genies. Wobei ich mir sicher war, dass er seine Nächte nicht in Gedanken brütend in einer dunklen Ecke hockend verbrachte.
 

Erst jetzt fiel mir auf, wie besonders die Situation war, denn schließlich hatte ich Kai zuvor nie hereingebeten, oder zumindest hatte er nie auch nur Andeutungen gemacht, dass er es erwartete. Für ihn jedoch schien das hier weit weniger befremdlich zu sein; er zeigte das gleiche verhaltene Interesse für die Räumlichkeiten, wie immer, wenn er in eine neue Umgebung kam. Eigentlich seltsam, wie normal sich so ein irgendwie unnormaler Mensch verhalten konnte.

„Der Kaffee braucht noch ein paar Minuten. Ihr könnt euch ins Wohnzimmer setzen“, sagte ich und holte schon mal die Tassen, bevor ich mich zu ihnen gesellte. „Wie war der Flug?“, fragte ich dann an Yuriy gewandt, der den typisch japanisch eingerichteten Raum interessiert gemustert hatte. „Das Essen war schlecht, die Stewardessen hässlich und es gab Komplikationen bei der Landung. Also alles wie immer“, antwortete er, und sein Akzent verlieh der Aussage einen, in meinen Ohren, überheblichen Anstrich. Das minderte jedoch nicht meine Sympathie für ihn, die noch von unserem Chat herrührte. Ich lachte kurz und überlegte, wie man diesen Smalltalk ausbauen konnte, gab es aber schnell auf. Das Gespräch würde schon noch zustande kommen, und bis dahin war Schweigen Gold, vor allem in meiner jetzigen Gesellschaft. Yuriy und Kai konnten sich mit Blicken verständigen; sie waren ein Paradebeispiel dieser Männerfreundschaften, die mir immer ein Rätsel bleiben würden, in denen nicht geredet, sondern höchstens mal zustimmend gebrummt werden musste, um Konversation zu betreiben. Also ging ich erstmal den Kaffee holen und textete sie mit belanglosem Zeug zu, während ich eingoss und Milch und Zucker dazustellte. Was eigentlich eine Geste reiner Höflichkeit war, denn natürlich tranken die beiden ihren Kaffee immer „schwarz wie die Seele des Teufels“, und so war ich die einzige, die sich bediente.
 

In den nächsten Minuten bemerkte ich, dass ich Kai nicht ansehen konnte. Jedenfalls nicht direkt. Ich wich seinem Blick automatisch aus, was ihn dazu verleitete, des Öfteren eine Augenbraue zu heben. Eine Bemerkung blieb allerdings aus. Verdammt, ich fühlte mich, als müsste ich vor ihm Rechenschaft ablegen, warum ich jetzt was mit Katsumi am Laufen hatte. Dabei interessierte ihn die ganze Sache doch offensichtlich nicht. Stattdessen war es Yuriy, der das –zugegeben, bis dahin nicht vorhandene– Gespräch darauf brachte: „Ich hab gehört, du hast auf deinem Konzert einen großen Fisch an Land gezogen?!“, sagte er plötzlich und wirkte dabei so höflich-neugierig, dass er unmöglich von dem Fettnäpfchen wissen konnte, in das er zu tappen drohte. Dieser Satz verriet mir, dass Kai ihm von der ganzen Sache erzählt haben musste. Von wegen, er würde nichts verraten. Alte Klatschtante. Wobei ich es ihm nicht wirklich übel nahm, es war Yuriy, und der gehörte ja nicht zu unserer üblichen Clique. Bei irgendwem musste Kai sich schließlich ausheulen. Ich fragte mich nur, über wie viele Details er tatsächlich im Bilde war. „Ähm, ja, tatsächlich“, antwortete ich und übte mich im strahlend Lächeln. „Es war ein unglaublicher Zufall, ich hab Alyona backstage gesehen und bin so reingekommen.“
 

„Oha, na sieh mal einer an…“, meinte er und schielte unter halb geschlossenen Lidern zu Kai, der jedoch noch immer nicht reagierte, sondern in aller Ruhe seinen Kaffee trank. So stoisch hatte ich ihn schon lange nicht mehr erlebt. Ich ging also in die Offensive: „Und siehst du, Kai, ich wurde auch gar nicht zertrampelt!“

„Ja, denn das werden jetzt auch Katsumis weibliche Fans an Stelle des MingMing-Fanclubs übernehmen“, brummte er und warf mit plötzlich einen erschreckend scharfen Blick zu. Diesen Kai-Blick, der einem anzeigte, dass man kurz davor war, sich in die Scheiße zu reiten. Ich hielt ihm höchstens einen Herzschlag stand. „Nein, mal ganz ehrlich, Hiromi“, sagte er zu meinem Scheitel, denn ich hatte den Kopf senken müssen, „Du bist doch gar nicht so naiv, du weißt doch, wie das in den meisten Fällen ausgeht, wenn eine halbwegs berühmte Person mit einem Normalo zusammen ist. Noch dazu ist Katsumi Sänger einer Rockband und verdammt exzentrisch, wie wir ja alle wissen. Also in meinen Augen wird eure „Beziehung“ ein klarer Fall. Zumal du ja noch gar nicht weißt, ob ihr überhaupt zusammenkommen werdet.“
 

„Aua“, nuschelte ich kleinlaut.

„Nix aua. Ich will dich nur vor einem Fehler bewahren.“ Ich spürte, wie er mich weiterhin genau musterte. Sein Blick war irgendwie körperlich bemerkbar, als brannte er winzige Löcher in mein Shirt.

Von Yuriy kam ein leises, erlösendes Hüsteln. „Hiromi, sag mir doch mal bitte, wo das Bad ist“, meinte er und verschwand aus dem Zimmer, als ich es ihm erklärt hatte. Ein, zwei Minuten vergingen in Stille. „Wie…wie viel weiß er?“, fragte ich dann stockend und hob zögernd den Blick, um dem von Kai zu begegnen. Ich musste mich regelrecht zwingen, die Augen auf dieser Höhe zu behalten. „Nicht viel mehr, als die anderen“, gab er zurück, „Ich hab ihm nur gesagt, dass da was mit Katsumi war, weil ich annahm…dass du darüber reden wollen würdest.“ Ich konnte nur nicken. „Mao weiß es auch schon“, sagte ich dann, „Ich habe mit ihr geredet.“

„Oh. Na dann tut es mir leid, dass ich es einfach so weitererzählt habe. Aber er wird schon den Mund halten.“

„Okay…“
 

Spätestens seit Yuriy rausgegangen war, fühlte ich mich richtig mies. Ich konnte nicht einmal erklären, warum. Diese Situation war mir so unangenehm, dass sich mein ganzer Körper verkrampfte. Auf einmal sprang ich auf: Ich musste hier weg! „Ähm, ich, äh…bring mal die Tassen nach draußen!“ Doch irgendwie wollten mir meine Hände nicht gehorchen. Ich stand nur da und starrte Kai an. Der erhob sich nach einigen Sekunden, die mir wie Minuten vorkamen, ebenfalls, musterte mich äußerst nachdenklich und zog mich dann wortlos in seine Arme. Sofort kam wieder Bewegung in meinen Körper, automatisch umschlang ich seine Taille und drückte mich an ihn. „Warum freust du dich nicht einfach für mich?“, murmelte ich in sein Shirt.

„Warum legst du so viel Wert auf meine Meinung?“, fragte er zurück. „Hast du doch sonst auch nicht gemacht.“

Ach, er war so schön warm. Das hatte ich gebraucht. „Ich will nicht streiten“, sagte ich leise, „Nicht mit dir.“
 

„Und ich will nicht wieder eines schönen Tages zu Takao kommen und dich weinend in der Küche sitzen sehen müssen. Wenn du traurig bist, steckst du immer alle damit an.“ Da war er wohl wieder, Kais Beschützerinstinkt. Es tat gut, zu wissen, dass er sich letztendlich doch um mich sorgte. Seine bloße körperliche Nähe beruhigte mich, und ich ertappte mich bei dem Gedanken, dass ich genau das die letzten Tage über vermisst hatte. Mein langes Singledasein musste mich empfänglicher für Berührungen von Männern gemacht haben. Ich wollte ihn küssen und ärgerte mich gleichzeitig über diesen Wunsch. Ich ärgerte mich, dass ich nicht die Courage aufbringen konnte, die Finger von ihm zu lassen. Also hob ich den Kopf und brachte ein paar Zentimeter Luft zwischen uns, ließ ihn aber nicht los. Ich sah ihn an und konnte mich nicht endgültig lösen. Stattdessen merkte ich, wie ich mich auf die Zehenspitzen stellte und ihm wieder näher kam. „Mach das nicht, Hiromi…“, sagte er.

„Dann lass es nicht zu“, entgegnete ich, denn ich war inzwischen fest entschlossen. Seine Mundwinkel gingen ein kleines Stück nach oben. Ich spürte, wie eine seiner Hände sich von mir löste und sich seine Finger kurz darauf in meinen Haaren vergruben. Er zog mich zu sich, aber mein Gesicht glitt an seinem vorbei und er drückte einen Kuss auf meine Schläfe. Kurz durchflutete mich die pure Enttäuschung, aber dann konnte ich wieder klar denken und ihn endlich loslassen. „Danke…“
 

„Kein Ding. Hör mal, wir müssen dann auch langsam los, denke ich…“

Ich stutzte: Und mich alleine lassen? Ich würde es nicht aushalten, wenn ich den ganzen restlichen Tag damit verbringen musste, Löcher in die Luft zu starren. Ich hatte verdammt noch mal keine Beschäftigung, und allein spazieren gehen war, ganz ehrlich, so ziemlich das Langweiligste, was ich mir vorstellen konnte. Und außerdem…dachte man beim Spazierengehen immer so viel nach. „Habt ihr was sehr Wichtiges vor?“, fragte ich daher. Kai legte den Kopf ein wenig schief, ich sah, wie er den Mund einen winzigen Spalt öffnete und seine Oberlippe mit der Zungenspitze berührte. Das tat er oft, wenn er innerlich irgendetwas gegeneinander abwog, doch mich durchrieselte bei diesem Anblick ein letzter, kleiner Schauer. Erst Yuriys Stimme hinter mir bewirkte, dass ich wieder blinzeln konnte. „Nö, so wichtig ist das gar nicht. Wir wollen eigentlich nur feiern gehen“, sagte er und bekam dadurch unsere ungeteilte Aufmerksamkeit. „Ach ja, wohin denn?“, griff ich das Thema neugierig auf und verschränkte die Arme. Yuriy sah Kai fragend an, woraufhin er antwortete: „Der Laden heißt ‚Europa‘. Dort spielen sie den besten Dubstep östlich des Urals und westlich von LA.“

„Aha.“ Ich hatte keine Ahnung, was Dubstep war. „Kann ich mitkommen? Yuriy und ich hatten sowieso ausgemacht, dass wir was mit dir unternehmen, wenn er hier ist.“
 

„Ach, habt ihr das?!“ Kais Tonfall war vage zweifelnd, allerdings nicht angepisst, das hörte sich ganz anders an. Über meinen Kopf hinweg warf er seinem Freund einen Blick zu, der jeden anderen spielerisch zu einem Häufchen Asche verbrannt hätte, bei Yuriy jedoch nur ein fast schon schwiegermütterliches Lächeln hervorrief. „Da geht er hin, der Männerabend“, seufzte Kai.
 


 

Eins war sicher: Das „Europa“ war von einem gänzlich anderen Schlag, als das „Kittchen“. Es lag näher am Stadtzentrum und hätte den kleineren Club mindestens zweimal fassen können, aber das war noch der unwesentlichste Unterschied. Die Klientel nahm sich ziemlich prollig aus; oder zumindest hielt ich Jungs in weißen Anzügen für prollig, und von denen gab es hier einige. Begleitet wurden sie von Mädchen in Hackenschuhen und kurzen Kleidern in allen Variationen, was mich jedoch erleichterte, denn instinktiv hatte ich mich richtig angezogen: Ich besaß eines dieser luftigen Wickelkleider, in denen jede Frau irgendwie gut aussah. Und außerdem hatte ich an diesem Abend zwei der besten Accessoires, die man sich vorstellen konnte. Als wir uns vor der Tür anstellten und ich mich bei meinen beiden Russen einhakte, erhaschte ich mehr als einen neugierigen Blick seitens der umstehenden Damen. In diesem Moment war ich sogar froh, dass sich niemand hatte erbarmen können, als viertes Rad mitzukommen, weder Mao noch Max oder Takao.
 

„Ey Yuriy, hast du inzwischen eigentlich das neue Album von…?“, fragte Kai, der Name des Interpreten ging irgendwie unter, und wieder fühlte ich mich wie in einer völlig anderen Welt, denn ich verstand kein Wort. „Was denkst du denn?!“, brummte Yuriy, der sich mit der freien Hand eine Zigarette anzündete. Ich seufzte: „Jungs, worauf hab ich mir hier bloß eingelassen?“ Ich erntete wissendes Grinsen stereo. Dummerweise hatte ich auch so lange für meine Kleiderwahl gebraucht, dass ich nicht einmal mehr dazu gekommen war, Dubstep im Internet zu suchen. Das war, als würde ich zu einem Konzert einer mir unbekannten Band gehen und nicht einmal das Genre kennen. Wobei ich mir aber denken konnte, dass die Musik heute recht elektronisch war, denn so wie die Leute hier sahen Rockfans nicht aus. Nicht mal auf ihren Abschlussbällen. Nervös krallte ich mich noch etwas fester in die Ärmel meiner Begleiter. Kai trug einen leuchtend dunkelblauen Blazer über einem schwarzen Shirt und gleichfarbigen Stoffhosen, bei denen der Arsch auf halb acht hing, was an ihm aber irgendwie sehr gut aussah. Wahrscheinlich lag es einfach am männlichen Körper, da wirkten die Oberschenkel nicht so ausgebeult wie bei den Frauen, die solche Hosen trugen. Yuriys Jackett fühlte sich gröber an und war schräg geschnitten, sodass es vorn ein gutes Stück länger war, als hinten. Die Farbe war im Halbdunkel nicht so gut zu erkennen, aber es handelte sich wohl um ein recht dunkles Grau. Darunter trug er ebenfalls schwarz, jedoch im Gegensatz zu Kai sehr schmal geschnittene Jeans.

Ich wiederhole: Sie schmückten mich mehr als ein Paar Diamantohrringe. Mit meinem Erscheinungsbild war ich also äußerst zufrieden.
 

Wir kamen ohne Schwierigkeiten an den Türstehern vorbei, obwohl diese dumme Witze darüber machten, seit wann es denn bitte weibliche Pimps gäbe und dass ich mit den zwei Kerlen das Mann-Frau-Verhältnis im Club stören würde. Sobald sie die Tür für uns öffneten, schlug mir Musik entgegen. Schon an der Garderobe musste ich rufen, um mich zu verständigen. Und als wir den Clubraum betraten, sprengte mir der Bass förmlich den Brustkorb weg. Erschreckend plötzlich realisierte ich, was Dubstep war: am Computer fabrizierte Musik mit einem recht schnellen Grundbeat, über den verschiedene…Geräusche gelegt wurden. Manches hörte sich wie arg verzerrtes Scratching an, anderes wie ebenso arg misshandelte Gameboy-Melodien. An den Turntables stand ein winziger Nerd mit halb rasiertem Kopf und ging ab wie ein Punk im Moshpit. Ich glaube, mir stand einen Augenblick lang der Mund sperrangelweit offen. So etwas gab es hier…? Warum hatte ich noch nie davon gehört? Auf der Tanzfläche spasteten die Leute ab, als wäre ihnen der Zustand ihrer Kleidung egal, obwohl sie draußen noch so versnobt gewirkt hatten. Es wurde auf engstem Raum gesprungen; einige kletterten auf die Geländer, die die Fläche umgrenzten und machten Bewegungen, von denen ich dachte, dass sie seit den Neunzigern ausgestorben wären.
 

Kai packte mich jäh am Arm und zog mich in eine andere Richtung. Er führte uns zu einem zweiten Floor, der zwar mit der gleichen Musik beschallt wurde, aber wesentlich leerer war, vermutlich, weil man von hier den durchgeknallten DJ nicht sehen konnte. Oder wie auch immer sich so ein Musiker jetzt nannte. Es gab eine kleine Bar in Reichweite und viele Sitzgelegenheiten, von denen wir gleich drei beanspruchten. „Okay“, sagte ich, sobald ich saß, „Erklärt mir das. Bitte. Ich meine…warum…“ Ich sah Kai sprachlos an, „Ich dachte, du stehst auf Metal in allen Formen und Farben?!“, entfuhr es mir.

„Was?! Hör mal, Metal ist doch langweilig geworden“, entgegnete er und setzte seine „C’mon!“-Miene auf. „Du weißt doch: Ich mag extreme Musik…andere Musik…und ganz ehrlich: Ich glaube, die Zukunft liegt im elektronischen Bereich. Allein die Technik, die jedes Jahr auf den Markt kommt…Das hier ist Musik, die wird fast ausschließlich am Computer gemacht, und das wird sich jetzt auch erstmal weiterentwickeln. Die ganzen Gitarrengenres stagnieren doch gerade…“

Na da hatte ich aber eine Lawine losgetreten. Kai war ganz in seinem Element. Hätte Yuriy nicht einfach eingeworfen, dass Kais Gelaber ihm auf den Sack ging, hätte er wohl noch ein paar Minuten weiterphilosophiert. Er schien sich in diesem Laden wie zu Hause zu fühlen, ignorierte die Lautstärke gekonnt und übertönte sie einfach, wenn er sprach. Da merkte man erst, was Kai für ein Organ hatte; normalerweise murmelte er ja nur vor sich hin und hielt bei uninteressanten Themen lieber die Klappe.
 

„Wollen wir tanzen?“, rief ich schließlich und zeigte mit dem Daumen über die Schulter zur Fläche. Kurze Zeit später wurden wir von der Masse eingesogen und hatten ein paar Quadratmeter für uns ergattert. Nach dem ersten Schock erwies sich Dubstep als durchaus tanzbare Musik. Ich bewegte mich fast automatisch im Rhythmus, und mir wurde überraschenderweise nicht langweilig. Meine ersten Erfahrungen mit Techno waren recht ermüdend gewesen, aber hier gab es so viele verschiedene Elemente und Ebenen, dass es abwechslungsreich genug für mich war. Irgendwann wurde ein Song (Stück? Opus?) gespielt, den scheinbar alle außer mir kannten, denn nach einem kurzen, recht melodiösen Part schrie der ganze Saal plötzlich „YES OH MY GOD!“, woraufhin eine Kaskade an elektronischen Geräuschen auf uns niederging, die ordentlich in den Ohren dröhnten.
 

Ich bekam einfach nicht heraus, wie die zwei Russen das machten. Selbst bei den verzerrtesten Teilen, zu denen man eigentlich nur noch unkontrolliert zucken konnte, schafften sie es, zu tanzen und gut dabei auszusehen. Yuriy brachte mir etwas bei, was er die „Drum-and-Bass-Handbewegung“ nannte. Man machte eine irgendwie zeigende Geste, knickte aber Mittel-, Ring- und den kleinen Finger nur leicht ein und bewegte die Hand dann auf Schulterhöhe auf und ab, der Handrücken zeigte dabei nach außen. Die Kunst war es, den Takt zu treffen, denn die Bewegung brauchte irgendwie mehr Zeit, als es den Anschein hatte. Ich fühlte mich wie der letzte HipHoper und ließ es schnell wieder sein. Dafür entdeckte ich einige andere seltsame Bewegungen, die um mich herum gemacht wurden und mich ganz entfernt an den Moonwalk erinnerten. Ich deutete auf einen Typen in meiner Nähe und warf den Jungs einen fragenden Blick zu, woraufhin sich Kai zu meinem Ohr beugte. „Das ist Shuffle.“
 

Die Leute glitten irgendwie über den Boden und bewegten sich eigentlich ziemlich wenig. Shuffle war reine Beinarbeit, die Arme wurden lässig mit geschwungen, aber man konnte sicher auch mit den Händen in den Hosentaschen tanzen. Kai tippte einem Tänzer auf die Schulter, stellte sich neben ihn und ließ sich mitten auf dem Floor die Basics erklären, während ich im Takt der Musik wippte und ihnen zusah. Nach einigen Minuten shufflete Kai mich beinahe um, denn er verlor das Gleichgewicht und musste sich an mir festhalten. Ich konnte ihn gerade so davon abhalten, mich mitzureißen, und als er sich wieder aufgerichtet hatte, blieben unsere Blicke irgendwie aneinander hängen. Er grinste mich an wie ein kleiner Junge, mit diesem Lächeln, das ich noch nie an ihm gesehen hatte. Flirtete er gerade mit mir? Was war das für eine seltsame Situation, wie konnte ich sie bloß für mich nutzen? Dieser Blick war so anders als damals auf der Mottoparty. Ich wollte fragen, ob er mit mir tanzen würde. Das erschien mir als das einzig Logische, was ich tun konnte. Doch da drehte er den Kopf ein kleines Stück und sah lange über meine Schulter hinweg in eine bestimmte Richtung. Und dann stand plötzlich dieses…Etwas neben mir.
 

Klar, sie sah geil aus, klar, sie bot sich ihm praktisch an wie eine läufige Hündin, aber… „Was zur Hölle tut er da?“, rief ich Yuriy entgeistert ins Ohr.

„Ähm, er macht’ne Alte klar?!“, entgegnete er. Die spitze Bemerkung, die ich mir eigentlich zurecht gelegt hatte, war auf einmal aus meinem Kopf verschwunden. Mein Mund blieb ein Stück weit offen stehen. Yuriy musterte mich von der Seite, doch Kai hatte der Tussi inzwischen einen Arm um die Taille gelegt und veranstaltete eine Art abartigen Balztanz mit ihr. Ich verstand die Welt nicht mehr. Und noch dazu verspürte ich plötzlich das dringende Bedürfnis, hier und jetzt auf die Tanzfläche zu kotzen. „Das…das muss ich mir nicht geben!“, sagte ich übertrieben laut, drehte mich übertrieben schnell auf dem Absatz um und stolzierte übertrieben zackig auf die Bar zu. Verdammt, das war eine ausgewachsene Szene. Erst als ich am Tresen lehnte, ging mir das ganze Maß der Peinlichkeit auf. Ich wollte einfach nur verschwinden. Als der Barkeeper mich fragte, bestellte ich irgendetwas von der Karte, das sich nach viel Alkohol anhörte, doch kurz bevor ich ihn bezahlen konnte, schob sich eine Hand an mir vorbei, die einen Schein hielt. Es war Yuriy. „Na, was war das denn? Hast du Kao gerade eine Szene gemacht?“, meinte er und griff nach meinem Glas, um den ersten Schluck zu trinken. Er verzog das Gesicht. „Willst du dich jetzt spontan abschießen?“
 

„Lass das mal meine Sache sein“, grummelte ich und nahm ihm mein Getränk wieder ab. Es schmeckte wirklich widerlich. "Von wegen Szene..."

„Haha, gibt’s ja nicht!“ Er schien sich wirklich zu amüsieren. Dann kam er mir ganz nahe und sah mir geradewegs in die Augen. Die seinen spiegelten immer noch pure Belustigung wider. „Du glaubst doch nicht wirklich, dass Kai ernsthaft was mit der kleinen Schlampe da drüben vorhat?!“

Ich blinzelte. „Du willst mir sagen, er wendet den uralten Frauentrick an und will mich eifersüchtig machen?“

„Ähm, nein, so meinte ich das nicht“, entgegnete er, in seiner Stimme schwang leichte Verwunderung mit, „Ich denke, er will einfach nur ein Bisschen Spaß haben. Wieso sollte er dich eifersüchtig machen?“

„Ach, vergiss es einfach.“ Der Abend hatte doch so gut angefangen, und jetzt hatte er sich für mich in das genaue Gegenteil verwandelt, nur, weil Kai mit einem Flittchen rummachte, das schlimmer war, als Alyona ohne Hirn und mit doppelt so viel Oberweite. Ich glaube, ich stürzte meinen Drink in rekordverdächtiger Geschwindigkeit herunter. Yuriy blieb an meiner Seite. Als ich fast fertig war, beugte er sich noch mal zu meinem Ohr. „Warum drehst du wegen Kai eigentlich so ab? Ich dachte, du stehst auf diesen Katsumi?!“ Mich durchrieselte es kalt. Ach ja. Stimmt ja. Verdammt.
 

Ich trank aus und griff nach seiner Hand. „Genau“, rief ich über die Schulter hinweg, während ich ihn schon hinter mir herzog, „Und da Kai scheinbar Besseres vorhat, wirst du jetzt mit mir tanzen!“ Wenn einer meiner russischen Beaus nicht wollte, musste ich halt den anderen nehmen. Und Yuriy war bei weitem keine schlechte Wahl. Wir landeten irgendwo in Kais Sichtweite und bewegten uns eher motiviert, denn angemacht. Ich hatte immer noch großen Respekt vor ihm, daher scheute ich mich ziemlich davor, ihn wirklich anzufassen oder ihm sogar eindeutig nahe zu kommen. Wäre mir in anderen Situationen auch nie eingefallen, aber selbst jetzt, wo mir der Gedanke kam, dass ich Kai ja selber ein wenig eifersüchtig machen könnte, konnte ich mich nicht dazu durchringen. Wie hätte das denn auch ausgesehen? Vermutlich hätte Yuriy mich eiskalt ausgelacht. Dieser Abend hatte sich erschreckend plötzlich zum Worst-case entwickelt. Ich hatte schlechte Laune. Eigentlich hatten wir doch zu dritt Spaß haben wollen; und jetzt machte Kai da mit irgendeiner Tussi rum, die nicht nur nuttig, sondern auch hässlich war. Musste ich das denn verstehen?
 


 

Irgendwann waren wir zu erschöpft, um auch nur einen Zeh rühren zu können. Ich hatte den restlichen Abend auf der Tanzfläche verbracht, mit Yuriy, der ganz selbstlos alle zweifelhaften Angebote ausgeschlagen hatte, wodurch er in meinem Ansehen nur noch weiter gestiegen war. Kai tauchte irgendwann auf, allein, seine Miene spiegelte pure Langeweile wider. Er verlor kein Wort zu seiner Aktion, selbst dann nicht, als ich ihn ganz offen auffordernd ansah, damit er es erklärte. Wobei ich mir da auch schon wieder blöd vorkam, schließlich musste er nicht Rechenschaft bei mir ablegen. Mein Gemüt war abgekühlt, aber ich hatte nun das Gefühl, gar nichts mehr zu wissen. Ich wollte mir nicht mehr den Kopf darüber zerbrechen, ob es mich verletzte, wenn Kai sich in meiner Gegenwart schamlos durch eine Disse flirtete.

Wir schleppten uns nach draußen und quetschten uns in ein Taxi. „Hiromi, du wohnst in der Nähe“, meinte Kai, „und außerdem brauchen wir noch dein Kissen. Also fahren wir zu dir.“

„Kein Problem“, nuschelte ich, denn sobald die Musik weg war, überfiel mich die Müdigkeit. „Wir müssen nur leise sein, damit meine Eltern nicht wach werden…“ Komischer Satz, wenn man ihn sagen musste, obwohl man schon zwanzig war.
 

Eine halbe Stunde später schlichen wir uns in mein Zimmer und fingen erst wieder zu Reden an, als ich die Tür hinter mir verschlossen hatte. Yuriy warf sich rücklings auf mein Futonbett. „Gute Nacht!“, sagte er, meinen Protest selbst dann noch ignorierend, als ich schon an seinem Arm zog, damit er sich wenigstens aufsetzte. „Wir müssen echt aufpassen, dass der uns nicht einschläft, sonst krieg ich den vor morgen Früh nicht hier weg“, meinte Kai. Ich konnte nur bestätigend ächzen und drückte ihm ein Kissen in die Hand. „Reicht das?“, fragte ich lustlos. Das Kissen landete auf meinem Kopf und zerwuschelte meine Haare. „Nicht so schnippisch hier, Miss!“, sagte Kai. Ich riss ihm das Kissen aus der Hand und drosch mit letzten Kräften auf ihn ein. Elender Dreckskerl! Er musste zurückweichen, stolperte über Yuriys Füße und fiel ebenfalls aufs Bett. „Hast du einen Schlag drauf, Hiromi...“, ächzte er. Ich stieß einen schnippischen Laut aus und setzte mich zwischen die Jungs. Müdigkeit überfiel mich wie ein Hammerschlag.
 

„Schläft er?“, nuschelte Kai, der auch gleich liegen geblieben war. Yuriy hatte die Augen geschlossen und schien nichts mehr mitzubekommen. „Scheint so…“, murmelte ich zurück. Ich ließ mich auf den Rücken fallen. „Nur ein paar Minuten, dann schmeiß ich euch raus…“ Und schloss die Augen. Scheiß auf die verkorkste Nacht. Ich wollte nur noch schlafen.

„Weißt du, Hiwatari, manchmal hasse ich dich.“

„Hm…“, machte Kai neben mir.
 


 

Es war noch dunkel, als ich aufwachte, weil mir verdammt warm geworden war. Sobald es in meinem Kopf etwas klarer wurde, wusste ich auch, woher die Hitze kam: Ich lag zwischen zwei Männern, die besser heizten als europäische Kachelöfen. Mein Rücken wurde gegen Yuriys gepresst und ich blickte in Kais Richtung; dem sachten Lufthauch seines Atems nach zu urteilen musste sich sein Gesicht schräg über mir befinden. Ich pieckste ihm mit dem Zeigefinger ein paar Mal in den Bauch, dann rührte er sich und nuschelte irgendetwas Unverständliches. „Rück‘ mal ein Stück“, flüsterte ich. Kommentarlos folgte er dem Befehl und drehte sich um, sodass nun sein Kreuz vor mir aufragte.
 

Erneut hob ich die Hand und fing an, kleine Muster auf seinen Rücken zu malen. Er brummte unwillig. „Lass das.“ Vermutlich sagte er das sogar im Schlaf. Ich richtete mich auf und beugte mich über ihn, und ehe ich mich versah, hatte ich ihn auf die Wange geküsst. Erst in diesem Moment fiel mir wieder ein, dass ich eigentlich einen ziemlichen Hass auf ihn hatte. Verdammt. Mir war immer noch schleierhaft, inwieweit seine Aktion mit mir zu tun hatte. Vielleicht hatte es ja auch gar nichts zu bedeuten. Vielleicht hatte er sich ganz einfach gar nichts dabei gedacht. Sollte bei Männern ja öfter mal vorkommen. Und Yuriy? Hatte er dank meiner Zickereien was spitz gekriegt? –Ach, das war doch zum Haareraufen!

„Warum machst du auch so eine Scheiße?!“, murmelte ich, meine Lippen berührten fast Kais Rücken.
 

„Was’n?“

Ich zuckte zusammen. War er etwa wach? In der Dunkelheit hatte ich die Augen weit aufgerissen und sah trotzdem nicht mehr, als den schattenhaften Umriss seines Körpers. „Kai?“, fragte ich zaghaft. Keine Antwort. Womöglich hatte er im Halbschlaf geredet und war dann wieder eingenickt. Ich starrte weiter seine Schultern an, und plötzlich durchflutete mich schwere Traurigkeit. „Warum hast du nicht mit mir getanzt? Du hast mir den Abend versaut, weißt du“, murmelte ich. Da kam Bewegung in ihn. Er drehte sich auf den Rücken, und ich erschrak noch einmal, als ich seine geöffneten Augen sah, die mich interessiert musterten. Mir rutschte ein leises „Scheiße…“ heraus, das ihn grinsen ließ. „Tut mir Leid, Hiromi“, sagte er leise, „Aber ich hatte das Gefühl, dich ein wenig ärgern zu müssen.“

„Was? Oh du Scheißkerl!“, zischte ich ihn an, obwohl ich es gar nicht so ernst meinte. „Warum denn? Hat es was mit Katsumi zu tun?“

„Hm…vielleicht“, antwortete er, „Ich meine…du und Katsumi…er ist doch so hässlich.“
 

„Findest du?!“ Ich konnte mir ein Kichern nicht verkneifen. Es kam selten vor, dass meine Jungs über etwas lästerten, aber ich freute mich jedes Mal, wenn sie es taten. Sogar jetzt, wo es doch um jemanden ging, den ich eigentlich recht gern hatte. „Ja, tue ich“, sagte er. „War der Sex mit mir etwa so schlimm, dass du dich trotz allem an diesen…mir fällt gerade kein passender herablassender Ausdruck ein…ranschmeißen musstest?“

Ich spürte, wie meine Wangen heiß wurden. „N-nein“, nuschelte ich, „Der Sex war toll, weißt du doch…“ Man hörte kaum etwas, aber ich merkte, wie sein Körper durch sein kurzes, lautloses Lachen in Bewegung kam. Ermutigt rutschte ich noch ein Stückchen näher und schmiegte mich an ihn. „Warte…“ Ich richtete mich kurz auf und er legte wie selbstverständlich den Arm um mich. Von diesem Moment an konnte ich ihm absolut nicht mehr böse sein. Es war schön, mein Gesicht irgendwo an seiner Schulter vergraben zu können. Wir schwiegen.
 

„Alyona scheint übrigens eifersüchtig auf dich zu sein“, sagte er irgendwann. Ich hob den Kopf, um wenigstens ein Bisschen was von seinem Gesicht sehen zu können. „Warum?“

„Nachdem ihr euch auf dem Konzert getroffen habt, hat sie mir eine ziemlich hässliche SMS geschrieben“, erzählte er, „Was ich eigentlich mit dir zu schaffen hätte und dass sie es aber eigentlich gar nicht wissen will; dass sie denkt, ich würde auf zwei Hochzeiten tanzen und Keks.“ Keks. Das hatte er von Max. Ich grinste. Gleich darauf gingen meine Mundwinkel jedoch wieder nach unten. „Tut mir Leid…“, nuschelte ich.

„Ach was. Vielleicht wird ihr so mal klar, dass aus uns einfach nichts mehr werden kann. Sie findet schon einen anderen. Wahrscheinlich schneller, als ihr lieb ist. Und dann sind alle glücklich.“

Ich horchte auf. Hörte sich das leicht -nur ein ganz kleines Bisschen- verbittert an? „Findest du?“ Plötzlich war ich hellwach und aufgeregt wie vor einer Prüfung. Ich versuchte, mir nichts anmerken zu lassen und mich nicht zu bewegen, obwohl ich am liebsten im Zimmer auf und ab gegangen wäre.
 

„Naja, ist doch so…“ Seine Stimme war etwas leiser geworden. Er drehte den Kopf zu mir und seine Stirn stieß an meine. „Alyona und Mr. X…du und Katsumi…“ Der letzte Name verklang bedeutungsschwer in meinen Ohren. Und doch konnte ich mich dann nicht mehr zurückhalten. Ich legte ihm eine Hand auf die Wange und kam ihm die wenigen Zentimeter entgegen, die uns noch trennten. Er erwiderte meinen Kuss sofort, ich spürte nicht das kleinste Zögern. Noch einmal genoss ich die Art und Weise, wie er mich küsste, immer in Gedanken bei Katsumi, von dem ich so etwas nicht erwarten konnte. Das würde wohl das letzte Mal sein, die letzte Gelegenheit, Kai so zu berühren. Bevor ich wirklich realisierte, was ich tat, hatten sich meine Hände schon auf Wanderschaft begeben. Ich schob sie zögernd unter sein Shirt und ertastete alles, was ich dort fand. Nur nichts vergessen, dachte ich, nichts von alldem.
 

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Musik zu diesem Kapitel:
 

Skrillex – Scary monsters and nice sprites („YES OH MY GOD!“)
 

John B – The journey (Drum and Bass, aber egal xD)
 

http://www.youtube.com/watch?v=RirNPca7i6U&feature=feedf (Shuffle)
 

Tipp:

Noisia – Machine gun (Seht euch dieses Video an. Es ist soooo eklig -und soooo genial!)

Traum vs. Prinz

Uff, dieses Mal bin ich ganz schön ins Schwitzen gekommen. Das Kapitel ist heute erst fertig geworden, und ich bin einfach nur froh, dass ich den Zeitplan einhalten konnte. Da ging er hin, mein schöner Vorsprung von ursprünglich zwei Kapiteln...T.T
 


 

Bevor ich aus dem Haus ging, schrieb ich den Jungs noch eine Nachricht: Guten Morgen! Wenn ihr euren Dornröschenschlaf beendet habt, könnt ihr gerne bei mir duschen, Handtücher liegen vor der Badezimmertür. In der Küche findet ihr Wasser und Kaffee, und wenn ihr nicht den Kühlschrank leerfresst, dürft ihr auch frühstücken. Kai, melde dich einfach beizeiten, okay? –Hiromi. Den Zettel legte ich auf den kleinen Tisch in meinem Zimmer. Direkt daneben lag Kais Blazer. Ich zögerte, doch dann nahm ich ihn auf und besah mir den glänzenden blauen Stoff ganz genau. In dem spärlichen Licht sah es aus, als läge ein ganz leichter, lackschwarzer Schimmer darüber. Fast schon vorsichtig hob ich die Hand, bis die Fasern meine Nase kitzelten. Ich roch Kais Parfum. Das, was ich so mochte. Noch ein, zwei Sekunden verharrte ich so, dann zog ich mir den Blazer an.
 

Ein kurzer Blick zeigte mir, dass die beiden noch immer tief und fest schliefen. Nachdem ich mich aus ihrer Mitte weggestohlen hatte, waren sie wohl zusammengerückt, um die kalte Lücke zu schließen; jedenfalls hatten sie es geschafft, sich in den wenigen Minuten, in denen ich mich fertig gemacht hatte, so ineinander und in die Bettdecke zu verknoten, dass ich mir nicht mehr sicher sein konnte, welcher Körperteil zu wem gehörte. Echte Männerfreundschaft bis in den tiefsten Schlaf. Ich grinste gehässig. Was Kai wohl dazu sagen würde, wenn ich das hier fotografierte und er es morgen auf Facebook begutachten konnte…? Er würde mich unangespitzt in den Boden rammen, ganz klar. Ich ging hinaus; vor dem Spiegel im Flur zupfte ich den Blazer noch einmal zurecht, dann verließ ich das Haus.
 


 

Es dauerte etwa eine Stunde bis zu der Straße, in der der Proberaum lag. Diese Stunde verbrachte ich damit, über mich und Kai und mich und Katsumi nachzudenken. Heraus kam dabei nichts. Mir war klar geworden, dass ich für beide unleugbare Gefühle hatte. Spätestens seit gestern Abend war ich mir dessen auch in Bezug auf Kai sicher. Nun, eigentlich hatte ich es seit dem Tag gewusst, den ich mit ihm verbracht hatte. Und doch…sträubte sich alles in mir dagegen, anzunehmen, dass diese Gefühle auch nur im Entferntesten erwidert werden könnten. Trotz des Ones. Trotz der Küsse. Trotz allem. Es war schier unmöglich, dass Kai Hiwatari irgendetwas von mir wollen könnte. Er war einer meiner besten Freunde, also wie ein verdammter großer Bruder für mich, und nicht wie ein Geliebter!

Katsumi hingegen erfüllte die Voraussetzungen für eine Beziehung schon besser: Er entstammte nicht meinem unmittelbaren Umfeld, wurde von der Clique gebührend misstrauisch beäugt, und ihn und mich verband nichts als unsere Verliebtheit. Genug Abstand von der Alltagswelt für traute Zweisamkeit.
 

Das war also aus meiner Suche nach der großen Liebe geworden: Auf der einen Seite hatte ich provoziert, dass aus einer Freundschaft etwas mehr geworden war, auf der anderen Seite war ich wie ein kleines Schulmädchen in einen Mann verliebt, den ich eigentlich gar nicht kannte. Ich wusste nur das von ihm, was er über das Internet preisgab. Das war nicht viel besser, als wenn ich zu einem Blinddate gefahren wäre.
 

Irgendwann wurde diese Zeit des Grübelns beendet. Ich stieg aus der Bahn, brauchte eine Weile, um mich zu orientieren und schlug dann tatsächlich den richtigen Weg ein, denn ein paar Minuten später stand ich vor dem richtigen Haus. Hier war man der Innenstadt nahe, eine Straße weiter tobte das Leben, aber es war seltsam leer und ruhig, bis auf die gedämpften Geräusche von Menschen und Verkehr. Ein abgenutztes Neonschild hing über dem Eingang, jetzt natürlich ausgeschaltet, das auf einen Club im Erdgeschoss hinwies. Der Proberaum befand sich im Keller. Ich stieg die ausgetretenen Stufen hinab und betätigte probehalber die Klinke der Stahltür, die mich unten erwartete. Sie war offen. Sobald ich eingetreten war, hörte ich Stimmengemurmel. Es lotste mich den schmalen, dunklen Gang entlang zu einer weiteren Tür, die angelehnt war. Ich erkannte Katsumis Stimme auf Anhieb. Als ich anklopfte, wurde die Tür sofort aufgerissen und Makoto grinste mich an; er musste direkt daneben gesessen haben.
 

„Hallo…“, grüßte ich verschüchtert, doch das ging praktisch unter in einer Umarmung seitens Katsumi. Er war einfach plötzlich vor mir aufgetaucht, ich hatte ihn gar nicht kommen sehen. „Schön, dass du da bist!“, sagte er. „Wir werden dir heute leider nicht so viel bieten können. Eigentlich wollten wir eine kleine Jamsession machen, aber irgendwie quatschen wir die ganze Zeit nur.“

„Kein Problem…“, nuschelte ich. Es überwältigte mich noch immer, wie offen und locker er sich mit mir unterhielt.

„Setz dich, nimm dir was zu trinken, oder warte, ich hole was. Was möchtest du? Nicht, dass die Auswahl groß ist. Wir haben Cola und Bier.“

„Äh, Cola, bitte.“ Ich hatte das dringende Bedürfnis, nüchtern zu bleiben. In einer Ecke des Raumes stand eine Couchgarnitur. Zwar waren an jeder Ecke winzige Füßchen angebracht, doch in der Mitte hingen die Sofas sämtlich bis zum Boden durch. Als ich mich auf einem niederließ, fühlte ich mich, als säße ich auf einem Wasserbett. Da mussten unglaubliche Sprungfedern drin sein.
 

„Alles klar. Shun, hol der Frau mal ne Dose Cola!“ Nachdem er die Aufgabe erfolgreich abgetreten hatte, setzte er sich neben mich und legte schwungvoll einen Arm um meine Schultern. „Du bist so eine Süße“, meinte er. „Ich mag das. Ist mal was anderes als diese Teenager, die sich viel zu erwachsen für ihr Alter benehmen.“ Darauf wusste ich nichts zu erwidern, aber ich nickte und versuchte zu lächeln, denn ich hatte schon verstanden, dass das wohl ein Kompliment sein sollte. Plötzlich beugte er sich zu mir und schien an mir zu schnuppern. „Wow, du riechst echt gut! Welches Parfum benutzt du?“

„Jetzt lass die Frau doch mal Luft holen!“, mischte Yoshio sich ein, der das Ganze vom Sessel aus beobachtet hatte; und an mich gewandt fügte er hinzu: „Schalte einfach ab, wenn es dir zu viel wird. Er quasselt ständig, wie eine Frau –ohne dich beleidigen zu wollen.“

„Schon gut“, meinte ich und fühlte mich trotzdem noch etwas hilflos. „Also, äh…“ Ich drehte mich zu Katsumi, der mich anlächelte. Erst zu spät merkte ich, dass es wohl ein zärtliches Lächeln war. „Wie kam es eigentlich, dass ihr bei MingMing Vorband wart?“
 

„Haha, lange Geschichte…“, antwortete Yoshio. Sie erzählten abwechselnd, wie sie im Internet über MingMings Homepage gestolpert waren, auf der eine Anzeige um eine Vorband geworben hatte. Es sollte ein kleiner, privater Wettbewerb vor MingMings Augen stattfinden, woraufhin sie sich eine Vorband wählen konnte. Und irgendwie hatten Showdown es halt geschafft. „Das war so krank“, meinte Shun, der inzwischen zurückgekommen war und mir meine Cola gebracht hatte. „Man kam sich vor wie bei ‚Star Search‘ oder so was –dabei haben wir uns immer geschworen, niemals bei sowas mitzumachen.“

„Never ever“, bestätigte Katsumi, der mir frech die Dose aus der Hand nahm, um selbst einen Schluck zu trinken. Dabei zwinkerte er mir verschmitzt zu, was ihn so hinreißend –ich meine wirklich hinreißend, es gibt einfach keinen passenderen Ausdruck für diesen Blick– machte, dass ich mich kurz fragen musste, ob das hier alles wirklich real war. Ich schüttelte leicht den Kopf, um die Taubheit darin zu minimieren und fragte: „Und was habt ihr jetzt vor?“

„So dies und das“, meinte Yoshio. „Wir warten erstmal ab, ob wir noch ein paar Alben verkaufen können und jammen ein Bisschen rum. Und wenn dabei was rauskommt, gehen wir wieder richtig ins Studio. Alles easy.“
 

Obwohl ich an diesem Nachmittag das Tageslicht nicht mehr sah, fühlte ich mich in dem dunklen, heruntergewirtschafteten Raum gut aufgehoben. Es musste einfach ein Bisschen ranzig sein, wenn richtige Talente am Werk waren. Irgendwann konnten sich die Jungs auch tatsächlich noch dazu aufraffen, eine kleine Jamsession vom Zaun zu brechen. Ich verhielt mich ganz still und lauschte gebannt, wie aus ein paar experimentellen Riffs ein kleiner Song wurde. Sogar Katsumi stieg ein, indem er einfach irgendetwas vor sich hinsang, das mehr Melodie als Text war. Er hatte eine wahnsinnig schöne Stimmfarbe, die jetzt, ohne großartige Verstärkung, noch besser zum Vorschein kam. Es hörte sich einfach viel natürlicher an. Ich konnte einfach nicht fassen, dass dieser schöne Mann mit dieser wundervollen Stimme sich zu mir hingezogen fühlte.
 

Später setzte er sich dann wieder zu mir, während die anderen noch weiter machten. Er legte einen Arm um mich und raunte mir irgendwas zu. Ich mochte seine Sprechstimme, aber sie machte mir nicht die gleiche Gänsehaut wie sein Gesang. Angenehm war es trotzdem. „Hast du einen Bruder?“, fragte er mich auf einmal. Verwundert schüttelte ich den Kopf. „Wieso?“

„Naja…“ Er zupfte an meiner Schulter herum. „Das ist doch ein Männerblazer, oder? Oder machst du gerade den Boyfriend-Style mit? Ich meine, versteh’s nicht falsch, das Teil steht dir.“

„Danke…“, nuschelte ich lediglich, denn mir war die Absurdität der Situation aufgegangen. Da saß ich nun, bei einem Mann, für den ich etwas empfand, in ein Kleidungsstück gehüllt, dass ich einem anderen Mann stibitzt hatte, für den ich auch Gefühle hatte.
 

Katsumi schien von meinem inneren Konflikt nichts mitzubekommen. Er war schon bei einem ganz anderen Thema: „Musst du heute wieder nach Hause?“ An dieser Frage war nicht lange herumzuinterpretieren. Er wollte, dass ich mit zu ihm kam. Scheiße. Das ging mir aber arg zu schnell. „Ähm, ja, ich habe meiner Clique versprochen, heute noch vorbei zu kommen.“ Stimmte so zwar nicht, aber zur Not konnte ich bei Takao erscheinen, wann ich wollte.

„Nimm mich doch mit!“, schlug er vor, doch ich winkte ab und versuchte dabei, so locker wie möglich zu wirken. „Nee, lass mal“, meinte ich, „Ich muss sie erst noch ein Bisschen darauf vorbereiten, dass wir was miteinander haben. Ein anderes Mal, okay?“
 

„Okay.“ In seinen Augen flackerte tatsächlich ein wenig Enttäuschung. Ich streckte die Hände aus, zog ihn zu mir heran und verwickelte ihn in einen tröstenden Kuss. So etwas klappte wohl automatisch: Auch wenn ich inzwischen arge Gewissensbisse entwickelte und nicht einmal genau wusste, wem gegenüber, hatte ich das Bedürfnis, ihm zu gefallen. Und dennoch erinnerte ich mich gleichzeitig daran, wie in der Nacht meine Hände genauso auf Kais Wangen gelegen hatten und dass diese sich ganz anders anfühlten, als Katsumis. Katsumi war außerdem viel kleiner als Kai, er überragte mich nur ein ganz kleines Stück. Ich könnte meinen Kopf nicht an seine Schulter lehnen, ohne eine Nackenstarre zu bekommen. Dafür war es viel einfacher, an seine Lippen heranzukommen, wenn ich ihn küssen wollte. Und Katsumi überließ mir gerade tatsächlich die Kontrolle, sodass ich ihn davon abhalten konnte, den Karpfen zu spielen. Alles in allem sehr angenehm.

„Hey ihr zwei Liebenden!“, unterbrach Makoto uns. Er bewarf Katsumi mit einem zerknüllten Zettel. „Nehmt euch ein Zimmer, im Proberaum herrscht Fickverbot. Hier wird gearbeitet!“
 


 

Ein paar Stunden später trat ich wieder auf die Straße. Es war schon früher Abend, und das Licht bekam ganz langsam einen rötlichen Stich. Ich drehte mich nicht noch einmal um, sondern lief zügig und mit irgendwie abgehackten Schritten zur U-Bahn-Station. In meinem Kopf herrschte eine seltsame Leere, ich konnte meine Gedanken auf nichts fixieren. Stattdessen stand ich, zwischen all die anderen Leute gepresst, in der Bahn und las Werbeschilder. Immer und immer wieder. Selbst flüchtige Erinnerungen an Katsumis Küsse, Blicke, Berührungen konnten mich nicht davon abhalten. Irgendetwas stimmte nicht.
 

Ich fuhr zu Takao. Alle waren dort, auch Rei und Mao, die sich mit Eis fütterten, und Kai hatte Yuriy mitgebracht; sie saßen auf der Veranda, wärmten sich in der Abendsonne und unterhielten sich. Ich merkte erst, dass ich noch immer Kais Blazer trug, als er mich darauf ansprach: „Sag mal, hast du keine eigenen Jacken? Ich hab schon gedacht, ich hätte das Ding im ‚Europa‘ vergessen…“ Und Mao musste mir von ihrem Schock des Tages erzählen: Sie war, kurz nachdem ich das Haus verlassen hatte, zu mir gekommen um noch ein paar ihrer Sachen zu holen, die zum Teil immer noch bei mir lagen. Dabei war sie auf Kai und Yuriy gestoßen, die sich einen Kaffee gemacht und beim Trinken auf meinem Bett gelümmelt und ferngesehen hatten. Ihre ersten Gedanken zu dieser prekären Situation waren, auch weil sie dachte, ich wäre noch da und nur im Badezimmer, natürlich ganz und gar nicht jugendfrei gewesen, und die Jungs hatten ihre liebe Mühe damit gehabt, ihre Verdächtigungen zu zerstreuen.
 

Ich hörte ihnen allen zu, doch ich konnte mich nicht richtig auf ihre Worte konzentrieren. Deshalb nickte ich nur und lächelte, bevor ich unter einem Vorwand in die Küche ging. Hier war es schön ruhig. Ich setzte mich an den Tisch und starrte die glatte, weiße Kühlschranktür an. Ob Takao Süßigkeiten im Haus hatte? Bier? Vielleicht müsste noch jemand einkaufen gehen…ach ja, und wir wollten ja noch eine DVD zusammen gucken, irgendwann, das hatten wir vor einer Ewigkeit mal beschlossen. Was war das noch gleich für ein Film gewesen?

Es half nichts. Ich fühlte, wie ich langsam aber sicher keine Luft mehr bekam. Und dann heulte ich los. Ich wusste nicht, warum. Vielleicht wollte ich es auch nicht so genau wissen. Auf einmal, als ich die ganze Clique gesehen hatte, war mir hundeelend geworden. Ich wollte einfach nur ein paar Minuten mit mir allein verbringen, dann könnte ich vielleicht wieder zu ihnen gehen. Einfach nur ein Bisschen weinen.
 

Natürlich war mir das nicht vergönnt. Nachdem ich eine Weile still, aber haltlos vor mich hingeflennt hatte, ging die Tür auf. „Hiromi…?“

Es war Yuriy. Verdammte Scheiße, der hatte echt ein Talent für Fettnäpfchen. Doch anstatt peinlich berührt auf seine Zehenspitzen zu starren, ging er ohne merkliches Zögern in die Offensive: „Hey, dass kein Bier da ist, ist doch kein Grund zum Heulen!“, meinte er und setzte sich auf den Stuhl mir gegenüber. „Was ist los?“

Natürlich konnte ich nicht antworten. Ich stand auf, kramte in einer Schublade nach Taschentüchern und wischte mir die Wangen trocken. Ich konnte Yuriy nicht ansehen, spürte seinen Blick jedoch auf mir, der eine Intensität hatte, die ich bis jetzt nur von einer anderen Person kannte. „Okay, vergiss es“, hob Yuriy wieder an. „Ich weiß schon, was los ist. Kai, oder?“
 

„Was?“, stammelte ich. Er zog die Augenbrauen hoch und sah mich irgendwie tadelnd an. „Süße, glaubst du, ich merk es nicht, wenn zwei Leute nachts anfangen, neben mir rumzumachen?“ Ich verlor sofort jegliche Beherrschung über meine Mimik, was ihn sehr zu amüsieren schien. „Oh Gott, das tut mir Leid, wirklich…“, stotterte ich zusammen, doch er winkte ab. „Ist ja nicht so, dass ihr Sex hattet. Da hätte ich dann schon was gesagt. Obwohl…ich bin ja auch so ein Bisschen voyeuristisch, glaube ich…hm…“ Auf meinen Wangen breitete sich Hitze aus.

„Nein, mal ganz im Ernst, Hiromi“, sagte er, „Warum machst du nachts mit Kai rum und gehst dann tagsüber zu einem anderen Kerl? Ich bin ja im ‚Europa‘ schon stutzig geworden, als er sich diese Bitch angelacht hat; aber als du ihm dann die Szene gemacht hast, wurde mir so einiges klar. Die Frage ist nur, warum das bei euch so kompliziert ist? Dass Kai erst um drei Ecken denkt, bevor er mal den Arsch an die Wand kriegt, weiß ich ja, aber dass du genau so drauf bist…“

„Moment mal“, unterbrach ich ihn. Sein kleiner Monolog hatte mir genug Zeit verschafft, um mich wieder zu fassen. Die Tränen waren zumindest weg. „Mach mal langsam, bitte. Zwischen Kai und mir ist nichts. Jedenfalls nichts Ernsthaftes. Ich meine, gut, wir haben miteinander geschlafen, aber das war nur einmal, hat gar nichts zu bedeuten…“
 

„Okay…“ Anstatt mir ordentlich zu antworten stand er auf und begann, die Küchenschränke zu durchsuchen. Er wühlte ein wenig zwischen Gewürzen und Vorräten herum, bis er endlich mit einem leisen, triumphierenden Laut eine Chipstüte in der Hand hielt. „Takao hat gesagt, dass die hier irgendwo rumliegt“, erklärte er knapp auf meinen verwirrten Blick hin, bevor er die Tüte aufriss und die Hand darin versenkte. „Mann, hab ich einen Hunger…Also“ Unterbrochen von Rascheln und Knuspern redete er schließlich weiter auf mich ein: „Erstmal glaube ich dir kein Wort. Wenn du diesen One, oder was auch immer das war, mit Kai nicht ernst nehmen würdest, säßest du jetzt nicht heulend hier. Punkt. Die Frage ist nur, warum du dir das Leben so kompliziert machst und mit diesem Katsumi gehst, anstatt Kai klarzumachen.“

„Ich kann Kai nicht klarmachen.“

„Warum?“

„Weil er nichts Ernstes von mir will.“

„Warum?“

„Herrgott, wir sind beste Freunde!“

„Na und?“

„Warum stellst du so bescheuerte Fragen, Ivanov?“

„Ich war mal Teamchef von NeoBorg, bescheuerte Fragen zu stellen liegt mir praktisch im Blut.“
 

Nach diesem Schusswechsel blieb ich erstmal still. Ich war wütend auf Yuriy. Er verstand gar nichts. Wir starrten uns über den Tisch hinweg an, er schob sich immer noch Chips in den Mund, den ein belustigtes Lächeln zierte. Seine ganze Art war irgendwie herablassend, und zum ersten Mal störte es mich wirklich. Kurzum: ich war beleidigt; ich hatte keine Lust mehr, mich mit ihm zu unterhalten. „Du hältst dich wirklich für richtig schlau, oder?“, giftete ich ihn schließlich an. „Es ist eben nicht alles so einfach! Du kannst nicht so mir nichts, dir nichts zu jemandem hingehen und ihn klarmachen. Ich will eine richtige, ernsthafte Beziehung, die langsam wächst. Nicht so etwas…Spontanes.“ Meine Rede klang ja richtig einleuchtend. Anstatt mich auf Kai zu stürzen und irgendwann festzustellen, dass es ja doch nichts für mich war, tastete ich mich ganz langsam und geduldig zusammen mit Katsumi vor. Unsere Beziehung lief einfach, wie es sollte, ha! –Ich war tatsächlich ein wenig gespannt darauf, wie Yuriy nun reagieren würde.

Sein Grinsen wurde noch ein Stückchen breiter. „Du hast Angst!“, sagte er. Das war das Letzte, was ich erwartet hätte. „Warum sollte ich?“, fauchte ich deswegen, doch er hörte gar nicht zu, sondern redete einfach weiter: „Kai hat mir von deinem Traumprinzengefasel erzählt. Totaler Bullshit, wenn du mich fragst, und ich sag dir was: Du glaubst doch nicht einmal selbst, was du da vor dich hinlaberst.“

„Was?!“
 

„Verarsch mich nicht, Hiromi.“ Seine Stimme hatte jegliche amüsierte Färbung verloren. Er hörte sich jetzt sogar ziemlich gereizt an, und sofort wandelte sich mein gesunkener Respekt zu leichter Furcht. Schon beeindruckend, schoss mir durch den Kopf, wie er meine Gefühle beeinflusste, rein durch die Art und Weise, wie er etwas sagte. „Du machst doch das genaue Gegenteil von dem, was du wolltest“, fuhr er fort. „Anstatt auf deine Gefühle zu achten und das zu tun, was dir emotional richtig erscheint, vertraust du nur auf deinen Dickschädel. Klar, im Gegensatz zu unserem Antiromantiker muss Katsumi ein wahrer Prinz sein, und eure Chancen stehen ja nicht einmal schlecht –aber wenn du so überzeugt von eurer Beziehung wärest, würdest du schon längst nicht mehr so zwischen den Stühlen sitzen, wie du es gerade tust.“
 

Ich vergrub mein Gesicht in den Händen. Das war alles so kompliziert, dass mir der Kopf schwirrte. Ich hatte einfach nur darauf warten wollen, bis ich mich vollends auf Katsumi einlassen konnte, doch Yuriy machte gerade eine Mücke zum Elefanten und mir ein noch schlechteres Gewissen. „Was willst du überhaupt von mir?“, fragte ich deswegen.

„Nun, eigentlich will ich nur, dass du einen Schlussstrich ziehst. Gleich, welcher Art. Die Situation, so wie sie jetzt ist, ist viel gefährlicher für deine Freundschaft mit Kai, als wenn du dich für eine Seite entscheiden würdest. Glaub mir, Kai macht sich auch so seine Gedanken. Er fragt sich, warum du nicht endlich ganz zu Katsumi gehst.“ Autsch. Das tat ungewöhnlich weh. „Und dann ist da noch die Sache mit Alyona. Weißt du, jetzt, wo ich weiß, dass ihr was miteinander habt, wundert mich nicht mehr, warum er sie loswerden will.“ Jetzt fing Yuriy wieder an, nach Chips zu fischen und wandte den Blick von mir ab. Ich jedoch war vollkommen verwirrt. „Was hat das mit Alyona zu tun?“, hakte ich nach. „Er will doch sowieso nichts von ihr.“
 

„Naja…“, sagte er zwischen zwei Bissen, „Das stimmt nicht so ganz. Immerhin haben sie sich mal geliebt. Also, so richtig. Das ist nie ganz weg. Und Kai stellt auch langsam fest, dass er lange genug alleine war. Du wärest übrigens nicht die schlechteste Wahl für ihn. Du bist unkompliziert. Kai hat keinen Bock auf eine Tussi, die ihn den ganzen Tag lang beansprucht. Also hast du bei ihm in letzter Zeit wohl ordentlich punkten können. Aber wenn du nicht willst…“ Er zog demonstrativ die Augenbrauen hoch und tupfte Chipskrümel von der Tischplatte.

„Was dann?“, fragte ich; ich konnte nicht verhindern, dass es sich gepresst anhörte.

„…dann nimmt er halt Alyona.“

BAMM. Das war scheiße.
 

„Na was denn, Hiromi?“, fragte Yuriy, als er meinen Blick bemerkte, „Denkst du, er wartet auf dich, bis du dich mit Katsumi ausgetobt hast, und dann könnt ihr einfach da weiter machen, wo ihr aufgehört habt?! Wir reden hier von Kai. Der hat’s nicht so mit schicksalshafter Liebe, wie du. Was nicht geht, geht halt nicht. Und mal ganz ehrlich, was erwartest du denn von ihm? Dass er Katsumi aufs Maul haut und dann heroisch vor der ganzen Welt erklärt, wie sehr er dich liebt?“

In diesem Moment schossen mir wieder die Tränen in die Augen. Einfach so, ich konnte es weder verhindern noch wieder aufhalten. Irgendwie schien mich Yuriy mit diesen Worten verraten zu haben; sie hatten sich direkt in meinen Kopf gebohrt und dort Gedanken freigesetzt, die ich mir zuvor nicht eingestanden hatte. Ich war glücklich, dass ich Katsumi hatte. Aber Kai wollte ich eben auch. Doch vor einer Beziehung mit Kai hatte ich schlicht und ergreifend Angst. Er würde mich mit Sicherheit nicht so behandeln, wie ich immer hatte behandelt werden wollen. Ich kannte ihn gut, ich wusste, wie er tickte. Es würde Momente geben, in denen er mich entweder furchtbar wütend oder furchtbar traurig machen würde, und das wollte ich einfach nicht.
 

„Yuriy…“, gelang es mir irgendwann zu sagen, „Ich weiß einfach nicht, was ich machen soll.“

Es knisterte laut, als er die Tüte zusammenknüllte und in einem hohen Bogen in den Mülleimer warf. Dann jedoch streckte er die Hand aus und berührte mich ganz leicht am Arm. „Das kann ich dir auch nicht sagen“, meinte er. „Ich bin nur hier, um dir den Kopf zu waschen. Gern geschehen, übrigens.“ Er war so seltsam. Total direkt und ziemlich ungeduldig, aber dadurch brachte er die Leute zurück auf den Boden der Tatsachen. Tat er das hier für mich, oder wollte er bloß seinem besten Freund einen Gefallen tun? Man bekam schnell das Gefühl, dass Yuriy die Dinge nur tat, weil er irgendein für ihn bedeutsameres Ziel verfolgte.

Ich sagte nichts mehr, sondern heulte lieber noch ein Bisschen weiter. Yuriy war selbst schuld, wenn er dadurch ein schlechtes Gewissen bekam. Aber das war wohl nur Wunschdenken; ein Yuriy Ivanov hatte wegen so etwas kein schlechtes Gewissen. Trotzdem blieb er sitzen und sah mich wohl immer noch an, doch ich erwiderte diesen Blick nicht. Und dann hörte ich Schritte auf dem Flur.
 

Wieder ging die Tür auf. „Sagt mal, ist hier irgendwo ein schwarzes Loch, dass euch alle verschluckt…?“ Zwischen Kais Augenbrauen entstand eine deutliche Falte, als er uns sah: Ich, verheult und verquollen und Yuriy, dessen Hand immer noch nur wenige Zentimeter von meinem Unterarm entfernt auf dem Tisch lag. Er holte Luft, um irgendetwas zu sagen, doch Yuriy kam ihm zuvor: „Gut, dass du kommst. Ihr zwei könntet mal einige Sachen klären.“ Daraufhin schloss sich Kais Mund nur sehr langsam wieder, und ich beobachtete zum ersten Mal, wie sich Resignation, Zweifel und Erleichterung zugleich auf seinem Gesicht ausbreiteten.

Ein Schritt

Da waren wir also. Kai und ich. An diesem Tisch. Yuriy war wieder verschwunden, er sorgte dafür, dass wir in nächster Zeit nicht von den anderen gestört werden würden.

Es hatte mir im wahrsten Sinne die Sprache verschlagen. Ich wusste nicht, was ich sagen sollte, in diesem seltsamen Moment, wo ich ein- für allemal klären musste, wie es mit uns weitergehen würde. Das hieß, wenn da überhaupt was gehen könnte. Kai schien sich jedoch nicht anders zu fühlen, denn er sagte ebenfalls kein Wort, und zum ersten Mal glaubte ich zu erkennen, dass ihm dies Unbehagen bereitete.
 

„Tut mir Leid“, seufzte ich schließlich und durchbrach damit das Schweigen. Er runzelte die Stirn. „Warum denn?“ Und ich zuckte die Achseln. Für alles halt. Ich wollte mich für das ganze Durcheinander entschuldigen, das ich verursacht hatte.

„Du hast doch nichts Falsches gemacht“, meinte Kai. „Wenn ich keinen Bock gehabt hätte, hättest du es gemerkt.“

„Und…“, setzte ich langsam an, entschlossen, nicht länger um den heißen Brei herumzureden, „…wie sieht es jetzt aus? Hast du immer noch Bock? Auf mich?“ Wir schickten uns gegenseitig ein kurzes, verschwörerisches Grinsen zu, das eher meiner Wortwahl galt als etwas anderem. Doch dann wurde er schnell wieder ernst. „Also wenn ich ehrlich sein soll…“

„Ja?“, fragte ich schnell.

„Gott, Hiromi, warte doch mal! Ich bin nicht gut in sowas, ich muss erst überlegen, wie ich das formulieren soll…“

„Hör mal, es ist mir scheißegal, wie du es formulierst. Mach es nur so, dass ich es verstehe.“ Ich war hitzig. Ich wollte es hinter mich bringen. Verdammt, das hier war so peinlich –für uns beide.
 

„Okay, also –ganz ehrlich“, sagte Kai, „Als du damals mit Katsumi anfingst, dachte ich, du willst uns verarschen. Ich glaube, das haben wir alle gedacht. Wir haben erwartet, dass du dich eine Zeit lang austoben und dann wieder auf den Boden kommen würdest… Aber dann sind wir auch noch miteinander im Bett gelandet - “ Er machte eine kurze Pause und ich wagte es trotzdem nicht, ihn zu unterbrechen. „Danach bist du noch komischer geworden. Du bist mir immer aus dem Weg gegangen, hast ständig irgendwas Besseres vorgehabt, wenn wir uns bei Takao treffen wollten. Daran hab ich gemerkt, dass du diese Sache doch irgendwie ernst genommen hast. Und irgendwie wollte ich dann erst recht nicht weiter darauf eingehen; ich wollte nicht, dass du dir irgendwelche Hoffnungen machst und lieber abwarten, was passiert. Andererseits…“ Schon wieder eine Pause. Er fixierte angestrengt die Tapete über meinem Kopf und es war ihm anzumerken, dass er eigentlich nicht weitersprechen wollte. „…andererseits ging das mit Alyona dann auch fürchterlich schief. Die Details kennst du ja nicht einmal. Und deswegen… hab ich mich auch gefragt, wie es wäre…also…“ Ich befürchtete, er würde sich gleich die Zunge abbeißen, anstatt diesen Satz zu Ende zu führen. Dabei wollte ich ihn so gerne hören.

„…wenn ich vielleicht doch auf dich eingehen würde.“
 

Ich glaube, wir atmeten beide erleichtert aus. „Aber dann hast du tatsächlich Katsumi abgeschleppt“, sagte er daraufhin und sah mir dabei endlich wieder in die Augen. „Das war scheiße. Aber so richtig.“

„Wegen Alyona“, schlussfolgerte ich. Kai nickte. „Aber du sagtest doch, es wäre so fürchterlich schief gegangen!“

„Jaah. Aber weißt du…bei uns geht es dauernd fürchterlich schief.“ Er klang beinahe etwas entrüstet über meine Anschuldigung. Rechtfertigte er sich etwa? „Alyona ist nunmal eine Frau, bei der du drüber nachdenken musst, ob du dich auf sie einlassen willst oder nicht. Wir streiten uns verdammt oft. Eigentlich streiten wir uns nur, wenn wir nicht gerade ficken. -Tut mir leid“, fügte er hinzu, als ich missbilligend den Mund verzog.

„Wenn sie doch so schrecklich ist, warum machst du dann überhaupt mit ihr rum?“, fragte ich. „Du kannst mir jetzt übrigens nicht erzählen, dass das noch irgendwas mit alter, nie endender Liebe zu tun hat. Das glaube ich dir nämlich nicht.“
 

„Hat es auch nicht“, brummte Kai. „Oder hat sie dir das so erzählt? Klar, wir haben eine ziemlich…tiefgründige Vergangenheit, aber das ist nun wirklich vorbei. Ich hatte andere Gründe, warum ich mich auf sie eingelassen habe.“

„Und die wären?“

„Gott, liegt das nicht auf der Hand?“, entgegnete er, „Man sagt mir zwar nach, ich hätte die Gefühle eines Steins, und zu einem gewissen Grad stimmt das sicher auch – aber selbst ich möchte irgendwann nicht mehr alleine mit einer Katze in meiner Bude hocken und die Wand anstarren!“ Die Empörung, die bei diesen Worten an den Tag trat, war so ehrlich und untypisch für ihn, dass ich tatsächlich kurz auflachte. Sofort entschuldigte ich mich dafür. „Tut mir Leid, tut mir Leid, aber das kam so unerwartet.“ Es gelang mir, wieder ernst zu werden. „Gut, also warst du hin- und hergerissen zwischen Alyona und …?“

„Nicht wirklich“ Er hob die Schultern. „Als du anfingst, dich mir gegenüber zu benehmen, als würdest du was von mir wollen, bin ich zwar ins ernsthaftes Grübeln verfallen, aber letztendlich fand ich die Möglichkeit, etwas mit dir anzufangen, statt mit ihr, sogar ziemlich gut.“
 

Wow. Das traf mich zu einem gewissen Grade unvorbereitet. Ich konnte erstmal nichts sagen, die Worte mussten erst ankommen. Als es soweit war, wurde ich kurz sehr wütend auf ihn, weil er sich nichts, aber auch gar nichts, hatte anmerken lassen. Doch dann fiel mir ein, dass das wahrscheinlich an meiner übertriebenen Schwärmerei für Katsumi gelegen hatte. Schließlich hatte ich mich zu dieser Zeit besonders bemüht, diese in den Vordergrund zu rücken. Innerlich fasste ich mir an den Kopf. Ich war sinnbildlich auf dem direkten Weg an Kai vorbeigegangen, obwohl der die Arme schon halb ausgebreitet hatte.
 

Nun, nachdem ich noch einmal reflektieren konnte, hatte ich endlich das Bedürfnis, ihm meine Situation zu schildern. Ich versuchte, ganz sachlich zu bleiben und erzählte, dass meine Gefühle für Katsumi echt waren, ich mir jedoch auch hatte eingestehen müssen, dass ich etwas für ihn empfand. Irgendwann fiel es mir leichter, alles in Worte zu kleiden. Ich konnte ihm alles sagen, er unterbrach mich kein einziges Mal, und ihm war auch nicht anzusehen, wie er über diese Dinge dachte. Trieb mich das sonst oft zur Weißglut, war ich jetzt sogar froh darüber, denn eine unerwartete Gefühlsregung hätte mich wohl sofort innehalten lassen. Und wer weiß, ob ich den Faden wieder hätte aufnehmen können.

„Hm“, machte er, als ich zum Ende gekommen war. Typisch. Ich verdrehte die Augen.

Kai sah mich nachdenklich an, sodass mir bald mulmig wurde und ich unruhig auf meinem Stuhl hin- und herzurutschen begann. Was sollte mir dieser Blick bloß sagen?
 

„Was hältst du von einer offenen Beziehung?“, fragte er.

Ich fiel aus allen Wolken. „Ich? Mit dir?“, hakte ich nach. „Also warte mal –hab ich das richtig verstanden? Du willst mit mir, naja, zusammen sein?“

„Ich rede von einer offenen Beziehung, das ist nicht unbedingt dasselbe, wie richtig zusammen zu sein. Du bist doch eigentlich alt genug, um das zu wissen. Wie weit bist du inzwischen mit Katsumi?“

„Katsu –hä?“ ich war noch immer nicht ganz klar, meine Gedanken schwirrten um das Wort „Beziehung“. Das war das letzte, was ich erwartet hätte. Ich hatte, ganz ehrlich, damit gerechnet, dass Kai und ich beschließen würden, unsere Freundschaft nicht aufs Spiel zu setzen und dass ich dann mit einem weinenden Augen die Finger von ihm lassen würde. „Wir…wir sind nicht zusammen. Wir daten uns, sozusagen“, antwortete ich schließlich dennoch.

„Oh, gut. Also: ja oder nein?“

„Du meinst, zur offenen Beziehung?“

„Ja.“

„Oh, äh, jetzt sofort?“

„Ich kann dich auch zu Neujahr noch mal fragen“, brummte er sarkastisch.
 

Nun fing ich an, ernsthaft über diese Möglichkeit nachzudenken. Mit seinem Angebot erlaubte Kai mir praktisch, mich weiter mit Katsumi zu treffen. Das hieß, dass ich mich letztendlich doch noch für ihn entscheiden konnte. Und in diesem Falle wäre eine Trennung weder für mich, noch für Kai besonders schmerzhaft, da wir ja eh nicht gänzlich zusammengehört hatten. So eine offene Beziehung war eigentlich so was wie…Freunde mit Extras. Und Freunde mit Extras bedeutete auch, dass die Freunde vielleicht blieben, wenn die Extras wegfielen. Zumindest im Idealfall. „Was ist, wenn unsere Freundschaft daran kaputt geht?“, fragte ich trotzdem, jedoch eher rethorisch. Ich wollte es mir nicht eingestehen, aber eigentlich hatte ich mich schon längst entschieden. In dem Moment, in dem Kai mir sein Angebot unterbreitet hatte, war es mit meiner Gefühlslage bergauf gegangen. Kai hob die Schultern. „Wer nicht wagt…“, setzte er an und ließ den Satz ins Leere laufen. Diese Antwort passte zu ihm.

Ich kapitulierte. „Ja, gut, okay!“ Zum Zeichen meiner Aufgabe hob ich beide Hände. Irgendwie fühlte es sich an, als hätte ich einen langen Dauerlauf gemacht oder zwei Stunden Mathe hinter mir. Ich wollte nur noch, dass sich die Wogen endlich glätteten und wieder Frieden herrschte. Aber es war auch Freude dabei: Ich wollte immer ernsthafter wissen, wie es war, mit Kai so etwas wie eine Beziehung zu führen. „Lass es uns versuchen“, meinte ich.
 

„Gut.“ Kai erhob sich, als hätte er nach einem langwierigen Meeting endlich einen Vertragsschluss erreicht und würde nun zum Mittagessen gehen wollen, und schlenderte auf die Tür zu. Ich konnte nicht anders auf diese plötzliche Bewegung reagieren, als ihm perplex dabei zuzusehen. „Hey, warte mal!“, rief ich, als er schon die Hand an der Klinke hatte, „Na das fängt ja gut an! Krieg ich nicht wenigstens ‘nen Kuss, so als…Besiegelung oder so?“ Er hob eine Augenbraue, hielt aber erst einmal inne. Also stand auch ich auf und ging zu ihm. So sicher ich meine Schritte setzte, so nervös wurde ich auch, je näher ich ihm kam. Kurz, bevor ich auf seiner Höhe war, streckte er den Arm aus, legte ihn mir um die Taille und zog mich zu sich heran. Er küsste mich kurz, aber intensiv. „Zufrieden?“, fragte er dann, woraufhin ich ihm einen kleinen Schlag gegen den Bauch verpasste. „Halt bloß die Klappe. Das wird noch spannend genug“, brummte ich.

„Allerdings“, entgegnete er, bevor er meine Hand nahm und mich hinter sich her nach draußen zog.
 


 

„Na das ging ja richtig fix!“, stellte Yuriy fest. Wir waren auf dem Heimweg; bevor wir wieder zu den anderen gestoßen waren, hatten sich unsere Hände wie von selbst gelöst. Wir hatten beide keine Lust, uns großartig erklären zu müssen. Erst jetzt, wo wir nur noch zu dritt den altbekannten Weg am Kanal entlangliefen, hatten wir Yuriys dezente Fragen beantwortet. „Wenn ich gewusst hätte, dass euch wirklich nur noch ein Arschtritt fehlt, hätte ich euch den schon längst gegeben.“

„Zatknis, Yuriy, du bist erst seit zwei Tagen hier“, sagte Kai.

„Ja, und überleg mal, was in diesen zwei Tagen so alles passiert ist. Bleibst du heute bei Hiromi? Ich würd dann in deinem Bett pennen, das ist gemütlicher als diese komische Luftmatratze, die du da hast…“

„Alter, mach mal langsam“, wandte Kai ein, „Wieso sollte ich bei ihr bleiben?“

„Was?“, machte Yuriy gedehnt, „Gibt’s heute etwa keinen Versöhnungssex mehr?“

Kai wandte sich zu mir. „Willst du Versöhnungssex?“, fragte er.

„Sag bloß ja, ich hab einen steifen Nacken von der blöden Matratze“, kommentierte Yuriy von der Seite. Ich seufzte. „Weißt du, mir ist egal, was wir heute Nacht noch machen“, sagte ich, „Aber du kannst gerne bei mir bleiben. Bevor Yuriy dir die ganze Zeit in den Ohren liegt.“ Kai nickte nur und begann, in seiner Tasche nach dem Schlüssel zu suchen, den er dann an Yuriy weitergab. Dem gab er auch gleich Instruktionen bezüglich Minerva, denn Madame hatte natürlich ihren ganz eigenen Zeitplan.
 

Unsere Wege trennten sich schließlich an einer Kreuzung. Hier begann normalerweise Kais Umweg, also fühlte sich zuerst alles an, wie immer. Doch nachdem wir ein paar Minuten schweigend nebeneinander hergegangen waren, musste ich einfach nach seiner Hand greifen, und von da an war alles nur noch seltsam. Allein die Tatsache, dass wir uns länger als ein, zwei Sekunden an den Händen hielten und einen auf Pärchen machten, war erschreckend verwirrend, allerdings durchaus im positiven Sinne. Ich musste immer wieder hinsehen, weil ich immer noch nicht so recht fassen konnte, wie schnell das alles gegangen war. Heute Morgen hatte ich mir noch den Kopf über meine verzwickte Lage zerbrochen, jetzt war ich kopfüber hineingestürzt und ließ mich einfach mal treiben. Ich musste irgendwie den Verstand verloren haben: Soweit ich mich zurückerinnern konnte, hatte ich es immer verurteilt, wenn jemand zweigleisig gefahren war.
 

„Alles okay?“, kam es plötzlich von Kai, der auf mich herabsah. „Jaa“, machte ich, „Es ist nur…“ Wir sahen beide auf unsere verschränkten Hände. „Komisch, nicht?“, stellte Kai fest. „Ich hatte auch noch nie was mit jemandem aus dem Freundeskreis.“

„Ja. Wann wollen wir es den anderen sagen?“, fragte ich, denn die Erwähnung unserer Freunde hatte mich wieder darauf gebracht.

„Ich weiß nicht“, antwortete er leise. „Sollten wir es ihnen überhaupt erzählen? Immerhin hast du die ganze Sache bisher mit dir rumgetragen –und ich ja auch, irgendwie- und sie würden aus allen Wolken fallen, wenn sie davon erführen. Zumal alle der Meinung sind, dass du fest mit Katsumi zusammenkommen wirst und so eine zweischneidige Sache eher nicht gutheißen.“

„Ja, seh‘ ich auch so“, meinte ich und drückte seine Hand. Fast sofort wurde dieser Druck erwidert. Dennoch: Es würde schwer werden, den anderen etwas vorzumachen, besonders Rei und Mao, die doch am meisten mit uns beiden zu tun hatten. Es war vielleicht ganz gut, dass Yuriy Bescheid wusste und uns notfalls unter die Arme greifen konnte. Aber irgendwie war es auch Schade, dass ich mit Mao nicht darüber reden durfte. Wobei…ich konnte sie ja auch einfach beiseite nehmen, ihr die ganze Sache ruhig erklären und ihr eintrichtern, dass sie Stillschweigen zu bewahren hatte. So wie ich sie kannte, hielt sie sich bestimmt auch daran. Zuversichtlich rückte ich ein Stück näher zu Kai.
 

Bald darauf kamen wir bei mir an. Alle Fenster waren dunkel, also schliefen meine Eltern schon. Konnte mir nur Recht sein. Sie bekamen sowieso kaum etwas von meinem Leben mit. Klar, wir redeten über alles, wenn wir zusammen aßen, aber inzwischen verliefen unsere Tagesabläufe so unterschiedlich, dass sich kaum ein Zeitpunkt finden ließ, an dem mal alle zu Hause waren. Auch von dem Besuch der Jungs neulich wussten sie noch nichts.
 

Ich schloss auf und wies Kai an, leise zu sein. „Herrlich“, flüsterte er belustigt, „Ich komme mir vor, als wäre ich vierzehn und würde heimlich zu einem Mädchen gehen, das eigentlich noch gar keinen Männerbesuch haben darf…“ Ich brach in leises Kichern aus, was es mir erschwerte, die Schuhe auszuziehen. Ich schwankte, musste mich an Kais Schulter abfangen und kam gar nicht mehr aus dem Giggeln raus. Doch dann ging plötzlich die Küchentür auf. Meine Mutter stand dort, gekleidet in einen Morgenmantel und eine Tasse in der Hand. „Oh, hallo“, sagte sie, „Ich habe mich nur gewundert, mit wem du da tuschelst.“ Sie musterte Kai von oben bis unten. Ich kannte diesen Blick: Meine Mutter entschied gerade darüber, ob ich einen guten Fang gemacht hatte oder nicht. Sie war kein Bisschen prüde, im Gegenteil, manchmal wünschte ich mir, sie wäre etwas schüchterner oder so. Wenn es um Männer ging, nahm sie kein Blatt vor den Mund, und auch meinen Vater ließ sie zur Not wissen, dass er allein Dank ihrer unermesslichen Gnade ihr Gatte sein durfte.
 

Ihre Augenbrauen hoben sich anerkennend, als Kai ohne zu zögern die Hand ausstreckte und sich vorstellte. „Ich kenne Sie doch“, sagte sie dann höflich, „Sie begleiten meine Tochter öfter hierher, richtig? Hab mich immer gewundert, dass Sie nie mit reingekommen sind. Ich dachte schon, Sie wären schwul oder so. Wäre schade“, schloss sie mit einem Zwinkern. Peinlich berührt setzte ich an, etwas zu sagen, doch Kai hielt mich davon ab, indem er kurz und ungezwungen auflachte. Ich atmete erleichtert aus. „Na dann, ihr zwei hübschen“, sagte meine Mutter, die sich schon in Richtung Schlafzimmer bewegte, „Ich wünsch euch eine gute Nacht…macht nicht mehr so lange…“ Dabei grinste sie mich noch einmal wissend an, dann verschwand sie in dem anderen Zimmer.
 

„Oh je“, seufzte ich, „Tut mir Leid. Ja, sie ist immer so.“

„Macht doch nix. Sie ist nett.“ Kai machte eine auffordernde Kopfbewegung, damit ich vorausging. Zum zweiten Mal führte ich ihn in mein Zimmer, und wir ließen uns wieder nebeneinander auf meinem Bett nieder. Ich musste plötzlich gähnen, wobei mir auffiel, dass es letztendlich wirklich spät geworden war. Außerdem musste ich mir noch einmal eingestehen, dass es ein wirklich anstrengender Tag gewesen war. An dem, was heute so alles passiert war, würde ich noch eine Weile zu knabbern haben. Trotzdem mochte ich die Wärme, die Kai neben mir ausstrahlte. Ganz automatisch lehnte ich mich an ihn und legte meinen Kopf auf seine Schulter, die dafür genau die richtige Höhe hatte. Genüsslich schloss ich die Augen, und kurz darauf spürte ich, wie er schützend einen Arm um mich legte.
 

Beinahe sofort wurde ich noch müder als zuvor und verfiel ins Dösen, bis Kai auf einmal sagte: „Wir sollten uns vielleicht doch hinlegen, wenn du hier schon fast einschläfst.“ Er bewegte sich, ich verlor den Halt an seiner Schulter und kippte nach hinten. Dennoch hielt ich meine Augen geschlossen; vielleicht konnte ich sie auch schon nicht mehr öffnen. Ich hob die Arme. „Hilf mir mal“, nuschelte ich und hörte ihn leise lachen, bevor seine Hände mich wieder hochzogen und er mir das Shirt über den Kopf zog. Während ich wieder umfiel, nestelte er schon an meiner Jeans herum, bevor ich auch von dieser befreit wurde. Das alles machte er so routiniert, dass ich mich fragte, ob er darin vielleicht schon Übung hatte. „Sag mal“, murmelte ich ins Kissen, „Wie oft hast du schon eine schlafende Frau ausgezogen?“
 

„Weißt du“, kam seine Stimme vom Ende des Bettes, „es gab da mal eine Zeit, in der wir uns sehr gerne betranken. Und zwei Mitglieder meines alten Teams hatten die dumme Angewohnheit, sofort einzuschlafen, wenn sie besoffen irgendwo zum Liegen kamen.“ Ich gluckste kurz und strampelte lustlos mit den Beinen die Decke weg, damit ich nicht mehr auf ihr lag. Als wäre das schon Kraftanstrengung genug gewesen, blieb ich dann wieder still und fühlte mich schwer wie ein Stein. Ich blinzelte träge und stellte fest, dass er das Licht ausgemacht hatte. Schon bemerkte ich, wie sich die Matratze neben mir absenkte, als er sich ebenfalls hinlegte und die Decke über uns zog. Ich drehte mich auf die Seite und schmiegte mich an ihn. Sein Geruch machte mich schläfrig; ich drückte die Nase in sein Shirt. Diese bloße Nähe vermittelte mir ein Gefühl von Sicherheit, sodass ich gar nicht auf die Idee kam, über Gott und die Welt nachzudenken, wie ich es sonst immer vor dem Einschlafen tat. Mein Kopf war leer und alle meine Sinne auf die kleinen Bewegungen seines Körpers fixiert, die mich auf eine ganz eigene Art und Weise zu hypnotisieren schienen. Ich verweilte auf der Ebene zwischen Wachen und Schlafen, unentschlossen, ob ich nun doch noch einmal zu reden anfangen oder einfach eindösen sollte. Doch dann hob ich den Kopf ein wenig. „Kai?“
 

„Hm?“ Gut, er war also noch wach. „Ich will mich noch ein Bisschen unterhalten“, sagte ich.

„Typisch Frau: Kein Sex, dafür stundenlang reden.“

„Oh, willst du Sex? Können wir gerne vorher noch erledigen…“, ging ich darauf ein.

„Dann kann ich aber nicht garantieren, dass ich danach noch lange ansprechbar bin. Außerdem ist es uncool, Sex zu planen. Ich werd einfach irgendwann über dich herfallen, okay?“

„Wenn’s dir Spaß macht…“, entgegnete ich. Dann herrschte auf einen Schlag wieder Funkstille, weil wir den Aufhänger verloren hatten. „Ich dachte, du wolltest dich unterhalten?“, fragte er nach einigen Augenblicken.

„Hm, jaah…“ Ich überlegte. „Wir sollten wieder öfter zusammen Party machen. Also, wir alle. Wieder ins ‚Kittchen‘ oder so“, sagte ich dann.

„Gute Idee. Takao meinte ja auch, dass Garland ihn gefragt hat, wo wir in letzter Zeit immer stecken.“

„Dann lass uns das einfach machen. Wird sicher toll; mal wieder ein richtiges Konzert, wo man ordentlich schwitzt und Atemnot bekommt…“ Bei dem Gedanken grinste ich in die Dunkelheit.
 

„Du bekommst nie genug, was?“, fragte Kai. „Warst doch gerade erst.“ Ich winkte ab, was er natürlich kaum sehen konnte, also fügte ich hinzu: „Ach was, so ein Arenakonzert ist einfach nicht das Wahre. Klar, man kommt schon ins Schwitzen, aber eigentlich ist das viel zu sehr Massenabfertigung.“ Ich machte eine Pause, doch dann fiel mir noch ein Zusatz ein: „Und außerdem musst du dich gerade beschweren, du bist doch selbst dauernd auf irgendwelchen Shows von irgendwelchen Bands, deren Namen man nicht aussprechen kann.“ Das war eine Anspielung auf die vielen (ost-)europäischen Gruppen, die er sich immer ansah, wenn er wieder ein paar Wochen in Russland verbrachte. Er blieb dann meist nicht lange in Moskau, sondern nutzte die Gelegenheit, um auch den vielen Festivals einen Besuch abzustatten, die jährlich auf dem Kontinent stattfanden.

„Erwischt“, gestand er schließlich. „Ich glaube, das ist irgendwie meine Droge. Musik, meine ich.“

Ich nickte. „Wie hat es bei dir angefangen?“, fragte ich, „Ich meine, was war dein musikalisches Schlüsselerlebnis?“
 

Darüber musste er nicht lange nachdenken, denn er antwortete rasch: „Das war kurz bevor ich Takao und die anderen kennenlernte. Damals…“ Das Wort verlor sich kurz, als müsste er darüber nachdenken, ob er diesen Satz wirklich vollenden sollte. Doch dann sprach er weiter: „Damals fing ich an, mich öfter mir meinem Großvater zu streiten. Bis dahin hatte ich eigentlich alles gemacht, was er von mir wollte, aber dann kam diese Zeit, in der ich aufmüpfig wurde. Ich bin dann im Internet auf Linkin Park gestoßen.“

„Ah ja“, kommentierte ich, denn ich wusste, dass Linkin Park für unsere Generation als „Einstiegsdroge“ galt. Bei mir war es nicht so gewesen, denn ich hatte erst später angefangen, auch härtere Musik zu hören. Eigentlich erst, als ich mich mit den Jungs anfreundete.

„Das war total krass“, fuhr Kai inzwischen fort. „Ich meine, diese Musik war eine Offenbarung: Man hört diese Songs, und plötzlich wird einem klar, dass man eben doch nicht der einzige ist, der solche seltsamen Gefühle einem anderen Menschen gegenüber hat. Solche…niederen Gefühle, die man sich eigentlich selbst nicht eingestehen möchte. Und auf der anderen Seite, dass man doch nicht der einzige ist, der auf die einfachsten Dinge im Leben nicht mehr klar kommt und alles am liebsten hinschmeißen würde. So was…diese Verarbeitung von Hass, aber auch andere Sachen…so was gibt dir ‚normale‘ Musik irgendwann nicht mehr. –Naja, und mit Linkin Park kam dann der ganze Rest: Korn, System Of A Down, Papa Roach, Deftones…“
 

„Deftones“, wiederholte ich und Kai verstummte. „Ja“, sagte er schließlich. „Das war dann etwas später. So nach der zweiten WM. Zu der Zeit haben Alyona und ich uns kennengelernt.“

„Hm.“ Ich wartete darauf, dass er weitersprach. Als er keinen Widerstand von meiner Seite bemerkte, fuhr er fort: „Wir waren beide ganz schön kaputt, glaube ich. Diese ganze Geschichte mit Wyatt, und später mit Zeo, hat mich rückblickend ziemlich fertig gemacht. Ich weiß bis heute nicht, warum –vielleicht ist dabei irgendwas wieder hochgekommen, keine Ahnung. Und bei ihr war es so, dass ihre Familie gerade auseinandergefallen war. Der Vater hat gesoffen –das ist jetzt nichts Ungewöhnliches, aber schön ist es trotzdem nicht– und ihre Mutter hatte einen anderen, der hier in Japan einen Job hat. Und von einem Tag auf den nächsten hat die Mutter dann die Sachen gepackt und ist abgehauen. Wir haben uns praktisch über die Musik angefreundet: Ich weiß noch, dass ich bei ihr zum ersten Mal Placebo gehört habe. Und irgendwann haben wir uns zusammen ‚Queen of the Damned‘ angesehen.“
 

Erst jetzt machte er wieder eine Pause. Ich war mal wieder überrascht, wie viel er zu erzählen bereit war. Seit ich ihn kannte, war mir bewusst gewesen, dass es einige sehr deutliche Aufs und Abs in seinem Leben gegeben hatte. Von den früheren wusste ich nur durch Erzählungen der anderen, doch es hatte mir bis jetzt genügt. Ich hatte ihn nie ausgefragt, vielleicht, weil ich insgeheim doch befürchtete, dass es irgendwas in ihm wachrütteln und er erneut in irgendein Tief fallen könnte. Dabei war das Unsinn: inzwischen konnte man sicher sein, dass Kai diese Vergangenheit endgültig hinter sich gelassen hatte.

Damals aber, nach der zweiten WM der Bladebreakers, hatte selbst ich bemerkt, wie er immer düsterer geworden war. Wir hatten ihn nur noch selten zu Gesicht bekommen. Ich hatte mir ewig viele Gedanken gemacht und auch die anderen ausgefragt; doch die erzählten mir nur das, was sie wussten, und dass Kais Verhalten im Vergleich zu dem, was sie von ihm kannten, sogar recht normal war. Und eines Tages war er dann wieder aufgetaucht. Und kam wieder öfter vorbei. Und schien irgendwie gelöster. Ob das an Alyona gelegen hatte?
 

„Queen of the Damned?“, fragte ich. „Da war doch auf dem Soundtrack…“

„Jepp“, bestätigte er, „Das war unsere erste Begegnung mit den ‚Deftones‘. Alyona benutzt seitdem diesen Namen im Internet. Die Musik hat uns beide damals einfach umgehauen. Das war…wie eine verdammte Droge. Du hast die Musik angemacht und warst einfach weg, egal, was du gerade gemacht hast, dich konnte einfach keiner mehr erreichen. Das hat einfach alles um dich herum und vor allem das, was in dir war, ausgelöscht.“

„Das hört sich unheimlich an“, murmelte ich.

„Glaub mir, es war das Beste, was mir in der Zeit passiert ist. Ich hab damals ganz schön viel Scheiße gemacht. Wahrscheinlich wäre es schlimmer gewesen, hätte es die ‚Deftones‘ nicht gegeben.“
 

Ich nickte und das Bettzeug raschelte unter meinem Kopf. Mehr konnte ich nicht machen. Ich musste erstmal alles, was Kai gerade erzählt hatte, sacken lassen. Nur langsam wurde mir klar, wie viel er mir gegenüber über sich preisgab. Ich verstand ihn ja eigentlich schon recht gut; meistens war ich diejenige, die die anderen beschwichtigte, wenn er wieder irgendetwas tat, was für sie vollkommen unverständlich war. Vielleicht lag das vor allem daran, dass ich mich einfach irgendwann an seine Art gewöhnt hatte, während besonders Takao noch immer von ihm zur Weißglut getrieben werden konnte. Jedoch gab es da diese Lücken -diese Dinge aus seinem Leben, über die wir einfach nichts wussten. Diese Zeiten, in denen er einfach verschwunden war. Natürlich kamen diese Lücken auch dadurch zustande, dass er in einem Internat gelebt hatte, doch das war bei Weitem nicht der einzige Grund.
 

Ich merkte, wie Kai den Kopf drehte und mich von der Seite ansah. Unwillkürlich musste ich lächeln. „Weißt du, was das geilste Gefühl auf der Welt ist?“, flüsterte er, und sein Atem ließ mich erschauern.

„Wenn du auf einem Konzert bist“, fuhr er fort, „Du bist nassgeschwitzt und kannst kaum noch stehen, und dann spielen sie ein Lied, das einfach alles für dich bedeutet. Du kannst nichts mehr sehen. Du kannst nichts mehr sagen. Aber du fühlst die Base Drum, du fühlst jeden verdammten Schlag in deinem ganzen Körper. Das ist es.“

„Ja“, bestätigte ich. Unter der Decke tastete ich nach seiner Hand und verschränkte meine Finger mit seinen. „Das ist es.“

Bin kaputt, ist'n schönes Leben

Wir schliefen schließlich doch noch miteinander, und zwar am nächsten Morgen. Als ich aufwachte und mich an ihn kuschelte, empfand ich sein Shirt als überaus störend, zumal ich selbst nur in Unterwäsche geschlafen hatte. Also weckte ich ihn, indem ich anfing, ihn von diesem überflüssigen Kleidungsstück zu befreien. Etwaige Proteste erstickte ich vorsorglich mit einem Kuss, und ohne ein Wort zu wechseln zogen wir uns die restlichen Kleider vom Leib und machten unseren versprochenen Versöhnungssex wahr.
 

Danach ging ich kurz in die Küche, um Kaffee aufzusetzen und fand ein kleines Frühstück auf dem Tisch vor, zusammen mit einem kurzen Gruß meiner Mutter. Das war so unglaublich süß von ihr, dass ich ihr sofort eine Dankes-SMS schrieb, bevor ich alles in mein Zimmer trug. „Lass dir helfen“, sagte Kai, als er sah, wie ich die Tür mit dem Ellenbogen öffnete, und nahm mir etwas ab. „Wow, wie hast du das so schnell hinbekommen?“

„Das war meine Mutter“, antwortete ich etwas verlegen. „Sieht aus, als würde sie alles tun, damit du ihr noch eine Weile erhalten bleibst.“

„Also wenn sie so weitermacht, können wir gerne darüber reden.“ Wir machten es uns wieder bequem und nahmen das, was Mama für uns zubereitet hatte, genauer unter die Lupe. Für Mao und mich hatte sie auch schon des Öfteren etwas hergerichtet, doch hier schien sie sich ganz besonders viel Mühe gegeben zu haben. „Sie mag dich“, stellte ich nüchtern fest, bevor ich mir eine Weintraube in den Mund schob. Kai erwiderte nichts, schmunzelte aber ein wenig in sich hinein.
 

„Was machen wir heute?“, fragte ich.

„Wir? Gar nichts.“ Auf meinen beleidigten Blick hin erklärte Kai: „Ich hab keine Zeit, tut mir Leid. Yuriy und ich müssen noch mal durch die Stadt und ein paar Sachen besorgen. Aber wir sehen uns ja dann heute Abend bei Takao.“

„Hm. Okay.“ Ich schmollte noch etwas vor mich hin, aber dem schenkte Kai natürlich keine Beachtung. Ah, der Nachteil einer offenen Beziehung, dachte ich. Und der Nachteil meines Partners, denn wenn Kai mich nicht dabei haben wollte, konnte ich ihn auch nicht überreden, mich trotzdem mitzunehmen. Aber das hatte ja schon wieder so was Mafiöses, diese Behauptung, er müsse mit Yuriy irgendwelche Besorgungen machen...Wie gesagt, ich würde diese Freundschaft nie so ganz verstehen können.
 

Aus den Augenwinkeln betrachtete ich ihn. Er hatte sich zurückgelehnt, eine Tasse Kaffee in der Hand, und sah mit dem typischen Mienenspiel aus dem Fenster. Nicht, dass es dort viel zu sehen gab außer der Wand des Nachbarhauses und vielleicht ein Stück Himmel aus seinem Blickwinkel. Er war noch immer halbnackt und hatte nur die Beine nachlässig wieder unter die Decke geschoben. So hatte ich ihn das erste Mal gesehen, als wir in unserem ersten Jahr als Team gemeinsam an den Strand gegangen waren; ich war damals reichlich nervös gewesen, als einziges Mädchen in der Gruppe und umgeben von entblößten Kerlen. Inzwischen hatte sich sein Körper natürlich verändert: Alles war irgendwie definierter, und man sah ihm schon an, dass er nicht mehr wie besessen für die nächste Beyblade-Meisterschaft trainierte. Auch an mir war diese Umstellung nicht spurlos vorbeigegangen. Nach vielen Jahren als Strich in der Landschaft hatte ich es tatsächlich geschafft, so etwas wie weibliche Formen zu entwickeln, auf die ich natürlich entsprechend stolz war. Was ich jedoch in diesem Moment feststellte, war, dass ich ihm absolut nicht widerstehen konnte. Nicht einmal, wenn ich es wollte. Wahrscheinlich war diese ganze Sache mit der offenen Beziehung das Beste, was mir passieren konnte. Am liebsten wäre ich den ganzen Tag mit ihm im Bett geblieben.
 

„Wann musst du denn los?“, fragte ich dennoch, woraufhin er einen Blick auf den Wecker warf, der neben meinem Bett auf dem Tisch stand. „Hm. Na spätestens in zwei Stunden…“

„Okay“, sagte ich und griff nach seiner Tasse, um sie ihm abzunehmen und irgendwo hinzustellen, „Du hast zwei Stunden, um mich auf meinen harten, einsamen, langen Tag vorzubereiten.“ Dabei sprach ich die Adjektive besonders theatralisch aus, was ihn grinsen ließ. „Armes Mädchen…“, murmelte er und zog mich auf seinen Schoß. Beinahe sofort beugte ich mich zu ihm hinunter und küsste ihn stürmisch.

Eines muss man uns lassen, unser Sex war einfach traumhaft. Ich hatte keine Ahnung, wie und wann er mich ausgezogen oder wo er das Kondom hergenommen hatte, aber auf einmal schliefen wir wieder miteinander, und meinetwegen hätte es ewig so weitergehen können. Er ließ mich eine Weile oben bleiben, bevor er einen Arm fest um mich legte und mich in einer einzigen Bewegung auf den Rücken drehte. Ich schlang die Beine um ihn, damit wir uns noch näher waren und erntete einen verlangenden Blick, der mich erschauern ließ. Und irgendwann ließ ich mich einfach fallen und genoss.
 


 

Zweieinhalb Stunden später saß ich vor meinem Computer und klickte mich gelangweilt durchs Netz. Der Tag versprach öde zu werden. Telefon und sämtliche Internetdienste schwiegen, was aber auch daran liegen konnte, dass es noch früh war, also praktisch noch vor Mittag, und eigentlich erreichte man am Wochenende niemanden vor zwölf. Dabei hätte ich gut jemanden gebrauchen können, dem ich meine Gedankengänge anvertraute, dann würden sie sich vielleicht sogar ordnen lassen. Denn eigentlich verwirrte mich diese ganze Dreiecksgeschichte, in die ich hineingeraten war, ungemein. Zwar lebte ich die Sache aus und war glücklich damit, aber irgendwie fuhren meine Gefühle seitdem, also seit noch nicht mal vierundzwanzig Stunden, gewaltig Achterbahn. Es war schon krass: Die Sache mit Katsumi lief doch auch noch gar nicht so lange, genaugenommen auch erst ein paar Tage, auch wenn es mir länger vorkam; und gleich danach hatte das mit Kai ernsthaft angefangen. Nach meiner langen Abstinenz war das beinahe ein Bisschen zu viel.

Resigniert legte ich den Kopf auf meine verschränkten Arme. Ich hörte das leise Knistern und Summen meines Laptops, das mich ganz schläfrig machte. Irgendwie war ich seit geraumer Zeit dauermüde. Reizüberflutung, das musste es sein…
 

Das Klingeln meines Handys riss mich aus dem leichten Schlaf. Verdammt, ich war tatsächlich in dieser Position eingenickt. Jetzt taten mir Arme und Nacken weh, sodass ich mich erst einmal strecken musste, bevor ich abhob.

„Guten Morgen!“

Ich brauchte eine Weile, bis ich die Stimme erkannte. Es war Katsumi, offensichtlich prächtig gelaunt, denn er brüllte beinahe vor Freude. Sofort war ich hellwach. „Hey“, murmelte ich, „Was gibt’s?“

„Ich will dich sehen“, antwortete er, „Lust auf Eis und einen Spaziergang? Ich muss auch noch unbedingt in den Elektromarkt, das neue Korn-Album kaufen…“ Sein Frohsinn steckte mich irgendwie an, sodass sich meine Mundwinkel noch während er redete zu einem Grinsen verzogen. „Na klar, gute Idee“, sagte ich, sobald er geendet hatte, „Wir treffen uns am besten am Brunnen im Park, kennst du den? Da in der Nähe ist ein schönes Café, die haben riesige Eisbecher.“
 

Als ich am Brunnen ankam, wartete er schon auf mich. Er trug verwaschene Jeans und ein schwarzes Shirt, seine Haare hingen ihm lose ins Gesicht. Er gab mir einen Begrüßungskuss, und obwohl mir dabei ein Bisschen flau wurde, hatte ich weniger Schuldgefühle als erwartet. Also ließ ich ihn auch meine Hand halten, während wir zu dem Café schlenderten. Katsumi redete beinahe unentwegt. Er hatte unglaublich viel zu erzählen, angefangen vom Kauf eines neuen Sets Saiten für seine E-Gitarre bis hin zu der Idee für einen Song, die ihm gestern kurz vorm Einschlafen kam und die er, natürlich, heute Morgen vergessen hatte. Aber das machte wohl nichts, denn eigentlich war Makoto der Songschreiber der Band, und Katsumis Texte würden nach eigener Angabe nie und nimmer an seine heranreichen können.

Dann fragte er tatsächlich, wie es mir so ginge und was ich so getrieben hätte in den vierundzwanzig Stunden, die wir uns schon nicht mehr gesehen hatten. Ich druckste herum; abgesehen von Kai war schließlich nicht so viel passiert. Irgendwie redete ich mich damit heraus, dass es gestern bei Takao sehr langweilig gewesen und ich früh nach Hause und ins Bett gegangen war.
 

„Trefft ihr euch denn jeden Tag?“, fragte Katsumi daraufhin neugierig.

„Ja, fast.“

„Hm“, machte er, „Wird das nicht sowieso irgendwann langweilig?“

„Ach naja.“ Ich winkte ab, gab ihm im Stillen aber doch irgendwie Recht. Wenn ich nicht regelmäßig wegginge, würden mir die Cliquenabende wohl ganz schön öde vorkommen. „Ich verschaffe mir Abwechslung: Konzerte, Partys, Shoppen…was man so macht, wenn man zu viel Freizeit hat.“ Er lachte und ich wartete darauf, dass er mich nach meinen Plänen fragte –Was willst du nach den Ferien machen? Wo wirst du studieren? Oder gehst du ins Ausland? Darauf hatte ich nicht die mindeste Lust. Meine Pläne gingen keinen etwas an, und wenn jemand fragte, zuckte ich inzwischen nur noch die Achseln und wimmelte ihn irgendwie ab. Doch er fragte einfach nicht, sondern beließ es bei dem Lachen.
 

Im Café angekommen durfte ich mir einen wirklich monströsen Eisbecher auf seine Kosten bestellen. Als er vor mir hingestellt wurde, konnte ich Katsumi auf der anderen Seite des Tisches nicht mehr sehen. Doch das beruhte auf Gegenseitigkeit, denn sein eigener Becher stand dem meinen in nichts nach. Die nächsten Minuten verliefen demzufolge auch schweigend, denn wir hatten beide genug damit zu tun, die erste Schicht Eis zu löffeln, ohne dass etwas danebenfiel.
 

„Also…“, fing Katsumi dann wieder an, „Gehst du denn heute auch dorthin?“ Er war wohl immer noch bei Takao. Ich hob die Schultern. „Ja, eigentlich hatten wir ausgemacht, dass wir uns wieder dort treffen. Aber ich glaube, heute ist irgendwas im ‚Kittchen‘ los, also werden wir später wohl noch da hingehen.“

„Ich weiß.“ Er nickte bekräftigend, „Die haben da eine Metalband aus Osaka aufgerissen, die spielen heute da. Hm. Eigentlich keine schlechte Idee. Nimmst du mich mit?“

„Oh, äh…“ Scheiße. Eigentlich hätte mir ja klar sein können, dass Katsumi mich so etwas fragen würde. Hatte er ja gestern schon angedeutet. Doch es traf mich trotzdem ziemlich unvorbereitet. Fieberhaft überlegte ich, ob ich nicht irgendeine Ausrede erfinden konnte, aber mir fiel partout kein stichhaltiger Grund ein, warum er meine Freunde nicht kennenlernen sollte. Zumal diese Freunde im wahrsten Sinne des Wortes schon viel von ihm gehört hatten. Nur, wie sollte ich das Kai erklären?
 

Katsumi beobachtete mich aufmerksam und schob sich dabei weiter Eis in den Mund. Er war sexy. Wahrscheinlich wusste er das auch. Innerlich musste ich mir eine kleine Kopfnuss geben. „Hör mal“, meinte er, „Wenn deine Freunde mich nicht leiden können, sag es doch einfach!“

„N-nein!“, rief ich aus, „Das verstehst du falsch!“ Zusätzlich wedelte ich ein Bisschen mit den Händen herum. „Nein, es ist nur so…naja, es ist für mich ziemlich ungewöhnlich, mit einem Mann dort aufzutauchen…“ Na, das hörte sich doch sogar plausibel an. Und stimmte im Prinzip ja auch. Katsumi entspannte sich sichtlich, als er diese Antwort hörte. „Ach so. Ich dachte schon, ich muss mich jetzt deiner Clique stellen und mir den Weg zu dir freikämpfen wie Scott Pilgrim.“ Er machte ein paar minimalistische Martial-Arts-Handbewegungen und verzog das Gesicht, sodass ich nicht anders konnte, als in mädchenhaftes Kichern auszubrechen und mich beinahe an meinem Eis verschluckte. So ging das Kichern in Husten über, bevor ich mit Tränen in den Augen antwortete: „Quatsch. Nee, das ist alles kein Problem. Ist nur eben eine ungewohnte Situation. Naja. Komm einfach mit. Ich denke, die anderen werden sich freuen.“ Was hätte ich auch anderes sagen können? So, wie ich Katsumi bisher erlebt hatte, hätte er ansonsten seinen Hundeblick ausgepackt und nicht länger wieder verschwinden lassen, bis ich zugestimmt hätte. Jetzt breitete sich wie auf Knopfdruck ein Strahlen auf seinem Gesicht aus. „Super!“, sagte er und stürzte sich dann wieder auf sein Eis.
 

Später betraten wir den Elektromarkt, der sich in der örtlichen Mall befand und gleich vier Stockwerke Ladenfläche umfasste. Die Mediathek befand sich ganz oben, sodass wir erst die Küchengeräte, Fotoapparate, Fernseher und Haushaltshilfen passieren mussten. Katsumi schien sich hier bestens auszukennen, denn er zog mich sofort hinter sich her in eine Ecke, wo über den Regalen ein Schild mit der Aufschrift „Alternative & Metal“ angebracht war. Ich fühlte mich ein paar Jahre meines Lebens zurückversetzt in die Zeit, in der ich meine ersten Alben gekauft hatte. Die CDs waren mir damals noch so wertvoll vorgekommen, dass ich sogar darauf aufpasste, dass sie in meiner Tasche nicht allzu sehr hin- und hergeschleudert wurden, denn ich nahm an, sie würden Kratzer bekommen, wenn sie in ihrer Hülle rotierten.
 

Er fand das neue Korn-Album sofort und machte beinahe den Eindruck, die pappverhüllte CD umarmen zu wollen. Doch er schien sich gerade so beherrschen zu können und winkte mich mit sich. Wir landeten an einem der Scanner, die an jedem Regalende angebracht waren. Dort konnte man den Barcode des Albums einscannen und es daraufhin anhören. Leider gab es nur ein Paar Kopfhörer, deswegen drehte Katsumi die Lautstärke auf voll und hielt sie nur so hin, dass bei uns beiden was ankam. Ohne jeglichen Bass und arg verzerrt drangen Drums, Gitarren und Gesang an unsere Ohren. Trotzdem konnten wir nicht anders, als kurz nach den ersten Akkorden in rhythmisches Kopfnicken zu verfallen wie die letzten HipHopper. Wir grinsten uns an, Katsumi wirkte beinahe selig ob der guten Musik. „Die ist ihr Geld wert“, urteilte er nach fünf Minuten.
 


 

So zog sich der Tag hin. Wir bummelten durch die Stadt und hielten bald sogar Händchen (Katsumi hatte die Initiative ergriffen), während wir uns den Weg durch die Menschenmassen bahnten, die es bei dem schönen Wetter ebenfalls nach draußen trieb. Es war angenehm warm, doch in den Läden herrschte die trockene Kälte von Klimaanlagen, weshalb wir uns gar nicht erst lange in ihnen aufhielten, sondern meistens schon nach ein paar Minuten unverrichteter Kaufdinge weitergingen.

Irgendwann wurde es später Nachmittag, und nach einem Blick auf die Uhr drängte ich ihn zum nächsten Bahnhof. Von hier aus war der Weg zu Takao ziemlich lang und man musste ein paar Mal umsteigen. Wahrscheinlich würden wir dieses Mal als letztes auftauchen.
 

Das taten wir tatsächlich. Zur Begrüßung rief Takao: „Hey, wir wollten schon die Bullen anrufen, damit sie nach dir suchen gehen…oh“, fügte er hinzu, als er Katsumi sah. „Hallo. Bist du der Typ, von dem sie immer redet?“ Ich glaube, ich errötete sichtbar. Schnell wimmelte ich Takao ab und ging in den Garten, denn ich wollte die Begrüßung so schnell wie möglich hinter mich bringen. Es waren wirklich wieder einmal alle da. Sogar Kai und Yuriy hatten es pünktlicher geschafft als ich. „Hey Leute“, sagte ich laut, nachdem ich einmal tief Luft geholt hatte, und grinste angestrengt in die Runde. „Ähm, also das ist Katsumi…“ Vorgestellter hob die Hand und winkte einmal kurz. Während Max und Daichi die Geste nachlässig erwiderten und sich dann wieder ihrem Kartenspiel widmeten, kam von Mao ein mädchenhaftes Kichern. Sie sprang auf, baute sich vor uns auf und meinte: „Ich weiß, das soll man nicht sagen, aber wir haben schon viiieeel von dir gehört!“ Während Katsumis Blick noch auf ihr ruhte, ließ ich meinen über ihren Kopf hinweg zu Kai wandern, wo er sich mit seinem traf. Er schien weder wirklich wütend oder so etwas zu sein. Naja, eigentlich konnte man gar nichts aus seiner Miene ablesen, wie immer. Nur Yuriy neben ihm hatte die linke Augenbraue bis zum Anschlag hochgezogen. In einer entschuldigenden Geste hob ich die Schultern.
 

„Willst du mich nicht vorstellen, Hiromi?“, kam es in diesem Augenblick von Mao. „Oh!“, entfuhr es mir, „Natürlich, entschuldige.“ Ich ging der Reihe nach alle Leute durch: Mao und Rei, Takao und Kyouyju am Laptop, Max und Daichi bei den Karten, Kai und Yuriy rauchend; wir setzten uns zu ihnen, und auch unser zweites Pärchen folgte uns. Und dann geschah etwas, was ich nie im Leben erwartet hätte.

Kaum dass wir uns gesetzt hatten nahmen Kai und Yuriy ihr Gespräch wieder auf, das sie wohl noch schnell zu Ende führen wollten, ehe ein neues Thema begonnen wurde. Schon nach wenigen Worten stellte sich heraus, dass es wohl mal wieder um Musik ging, und ich merkte, wie Katsumis Aufmerksamkeit immer weiter zu ihnen abdriftete.
 

„Ich sag dir, das ist die geilste Mischung, die ich seit Langem gehört habe!“, meinte Yuriy, „Und das hätte ich echt nicht erwartet. Metal und Dubstep, das hat sich für mich angehört wie…Schlager und Speedpunk. Ich dachte wirklich, das geht nie und sie fallen damit voll auf die Schnauze.“

„Hab ich doch gesagt“, entgegnete Kai mit einem selbstgefälligen Grinsen, „Damals bei ‚Get Up‘ hab ich mir schon fast in die Hosen gemacht, aber der Rest ist doch mindestens genauso gut. Ich sag dir was: Scheiß auf Linkin Park. Da kommt nix mehr. Aber Korn…“

„Sagt bloß, ihr habt auch schon das neue Album?“, klinkte Katsumi sich ein. Ich erwartete, dass Kai ihn daraufhin mit einem einzigen Blick töten würde. Wirklich. Ich sah ihn schon hintenüber fallen. Doch stattdessen drehte er, meine Affäre, sich nur zu Katsumi, meinem fast-Freund, um und meinte: „Geiler Stoff, oder?“ Von diesem Moment an schienen die beiden für die Welt verloren. Das Korn-Gespräch nahm epische Ausmaße an, schließlich argumentierten hier ein praktizierender Musiker, ein Metalexperte und dessen bester Freund. Rei, Mao und ich konnten nur sprachlos daneben sitzen und uns verwirrt ansehen. Vor allem ich verstand die Welt nicht mehr. Das musste wohl eine Facette der seltsamen Männerfreundschaften sein: Kai und Katsumi verstanden sich einfach prächtig.
 

Als wir schließlich alle ins ‚Kittchen‘ aufbrachen, nahm ich Yuriy beiseite und fing an, ihn auszufragen: „Sag mal, hab ich was verpasst?“

„Das gleiche könnte ich dich fragen“, entgegnete er und wies unauffällig auf Katsumi, der, noch immer im Gespräch mit Kai, uns vorausging. „Warum hast du ihn mitgeschleppt?“

„Hat sich so ergeben“, antwortete ich wahrheitsgemäß, „Hätte ja keiner ahnen können, dass zwischen Kai und ihm die große Liebe ausbricht…“

„Amen“, brummte Yuriy. Wir warfen den beiden Männern vor uns einen abschätzenden Blick zu. Als ich mich daraufhin wieder abwandte, bemerkte ich, dass Mao uns beobachtete hatte. Sie starrte neugierig zu mir herüber, während sie bei Rei untergehakt ging. Ich tat, als hätte ich nichts bemerkt, ahnte jedoch schon, dass in ihr wohl langsam einige Fragen aufkeimten.
 


 

Im Club war schon ordentlich was los. An allen Ecken sah man lange Haare und schwarze Klamotten. Die Stimmung war ausgelassen und die besten Plätze schon besetzt, doch Katsumi packte kurz nachdem wir hereingekommen waren meine Hand und zog mich in die Menge. Ich drehte mich zu Kai um, doch der machte keine Anstalten, uns zu folgen, sondern schlug den Weg zur Bar ein. Achselzuckend ging ich weiter; aber es war schon Schade, dass wir heute nicht zusammen das Haus rockten.

Katsumi stellte sich beschützend hinter mich und legte mir die Arme um die Taille. Das hatte ich bisher nur bei anderen Paaren gesehen, die mir mit dieser Gestik immer arg auf die Nerven gegangen waren. Deshalb drehte ich mich zu ihm um und meinte: „Lass mich ja los, wenn sie anfangen, sonst kriegst du einen Ellenbogen ins Gesicht.“

„Aye, Aye, Käpt’n“, entgegnete unbeeindruckt, und in diesem Moment ging das Licht aus.
 

Die Band war okay. Musik, bei der man den Text kaum bis nicht verstand, war zwar nicht wirklich mein Ding, aber zum abhotten reichte es allemal, und die Jungs da vorne waren wahre Meister des Headbangens, boten also genug fürs Auge. Katsumi schien ebenfalls seinen Spaß zu haben; tatsächlich bekam irgendwann ich seinen Ellenbogen ab, woraufhin ich mich revanchierte und wir unseren eigenen Zwei-Mann-Moshpit eröffneten. Nach fünf Minuten war ich durchgeschwitzt und durstig, also griff ich die Gelegenheit beim Schopf und bedeutete ihm, dass ich zur Bar gehen würde. Er nickte nur, bevor er weiterrockte. Gut. Das würde mir ein paar Minuten geben, in denen ich mit Kai reden konnte.

Der saß immer noch an der Bar, vor sich eine Flasche und in ein Gespräch mit dem Barkeeper vertieft, das er jedoch abbrach, als ich mich neben ihn setzte. „Na?!“, grüßte ich, „Krieg ich was zu trinken?“

„Was bettelst du mich an, frag Katsumi“, meinte er, was nicht wirklich ernst gemeint klang, und winkte den Barkeeper noch mal heran, damit ich etwas bestellen konnte. Als ich mein Getränk in den Händen hielt versuchte ich mich an einem Gespräch: „Warum bist du nicht mit vor die Bühne gekommen?“ Er warf mir einen Kai-Blick zu und seufzte theatralisch: „Ach Hiromi…“

„Was?“, quengelte ich. Das mit dem Gespräch funktionierte nicht. Alles spielte sich nur zwischen unseren Augen ab. Wir starrten uns nicht die ganze Zeit an, sondern ließen die Blicke immer wieder schweifen, aber sie fanden dennoch zueinander zurück. Ich bemerkte, dass die anderen zusammen in einer Ecke am Tisch saßen.
 

„Mir ist warm“, sagte ich schließlich, „Ich geh kurz nach draußen. Kommst du mit?“ Wir verließen den Club und liefen ein Stück nebeneinander die Straße entlang. Beinahe automatisch steuerte ich eine dunkle Ecke an, die man vom Eingang des ‚Kittchens‘ aus nicht sehen konnte. Kurz, bevor ich sie erreichte, nahm ich ihn bei der Hand, zog ihn das letzte Stück hinter mir her und zu mir heran. Ich fühlte, wie er die freie Linke in meinen Nacken legte, als wir uns küssten. Seine Finger strichen durch mein Haar. Ich schlang beide Arme um ihn und drückte mich fest an ihn.

Natürlich musste ich irgendwann wieder loslassen, auch wenn ich nicht wirklich Lust dazu hatte. „Scheiße“, murmelte ich, als ich bemerkte, dass wir schon wieder etwas getan hatten, was in unserer jetzigen Lage wirklich arg an der Grenze war. „Kannst du laut sagen“, stimmte Kai mir zu, „Vielleicht sollten wir doch nicht alle gemeinsam weggehen.“

„Hm“, machte ich unzufrieden. Das schien mir keine richtige Lösung zu sein, eher eine Verschiebung des Problems. Ich spürte seine Lippen an meiner Schläfe. „Du hast es so gewollt.“
 

Ja, hatte ich. Scheiße. Ich hob mal wieder einfach die Schultern und schlug den Weg zurück ein. Gemeinsam tauchten wir wieder in den stickigen Raum ein, doch noch bevor ich auch nur daran denken konnte, wohin ich jetzt gehen wollte, trat Mao in meinen Weg. „Hey, ich hab dich gesucht“, meinte sie freundlich, „Wollen wir uns irgendwo hinsetzen und reden?“ In diesem Augenblick wusste ich, dass sie etwas von der Dreieckssache ahnte. Allerdings hatte ich ja eh vor, ihr alles zu erzählen, also konnte es mir nur recht sein. Wir setzten uns nahe der Damentoilette in eine ruhige Ecke. Sie sah mich erwartungsvoll an. „Nur damit das klar ist“, sagte sie, „Verarschen kann ich mich selber. Was läuft da zwischen dir und Kai? Bitte verständlich und ungeschönt.“

„Na gut“, meinte ich. „Ich hab parallel zu Katsumi was mit ihm. Katsumi weiß davon nichts. Das mit Kai ist…eine offene Beziehung. Wir schlafen miteinander.“ Mao schaffte es nicht ganz, ihr Erstaunen zu verstecken, wirkte aber recht gefasst. „Wie lange geht das schon?“

„Mottoparty“, antwortete ich knapp, und da fiel ihr schließlich doch kurz der Unterkiefer hinab. „So lange? Oh Scheiße, und ich hab dich danach doch noch aufgezogen! Also hast du wirklich mit ihm gepennt? Warum hast du denn nichts gesagt, Mensch?“
 

„Hallo?“, entgegnete ich, „Ich und Kai Hiwatari? Ich? Die ich die ganze Zeit von Katsumi schwärme? Und er, wo er doch grad was mit Alyona hatte?“

„Hm“, machte sie, „Da ist was dran. Aber, ganz ehrlich, also…ist das jetzt was Ernstes? Ich meine, wegen Katsumi…wenn es nur um den Sex geht, ich sag dir gleich, Männer sind da lernfähig, mit ein Bisschen Geduld kriegst du das mit Katsumi auch noch hin…“ Daraufhin unterbrach ich sie und erklärte, dass es da schon um mehr als nur Sex ging. Aber das schien sie nicht gerade zu beruhigen. Sie druckste noch eine Weile herum, suchte nach Wörtern, bis sie schließlich sagte: „Naja, versteh mich nicht falsch, irgendwie freue ich mich ja für dich, aber trotzdem…ich kann es irgendwie nicht so locker hinnehmen. Überleg doch mal, das könnte total schief gehen. Was hält dich denn davon ab, dich für einen zu entscheiden?“

Nun war ich diejenige, die herumdruckste. Ganz realistisch betrachtet war Katsumi nett, zärtlich und wusste, wie man mit Frauen umging. Kai führte auch jetzt noch zu einem großen Teil sein eigenes Leben, war kaum spontan und die Beziehung mit ihm zu endlosen Aufs und Abs verurteilt. Folgte ich aber meinen Gefühlen, würde ich mich im Moment aber eher für Kai entscheiden. Doch wer wusste schon, wann sich das wieder änderte.
 

„Ich will mich nicht falsch entscheiden“, murmelte ich schließlich. Es tat gut, das Mao gegenüber aussprechen zu können, auch wenn sie mich wahrscheinlich nur mit Mühe verstand. Ich hoffte einfach, dass sie es vielleicht irgendwann akzeptierte. Im Moment versuchte sie natürlich nur, mich davon zu überzeugen, einen Schlussstrich zu ziehen und am besten Katsumi zu nehmen. Aber ich schaltete einfach auf Durchzug. Hauptsache, sie wusste es, Hauptsache, ich konnte mit einer weiblichen Person darüber reden. Erst der zweite Tag, und schon so ein Haufen Argumente für und wider.
 

Wir blieben so lange in unserer Ecke, bis auf einmal Katsumi vor uns stand und die Hände nach mir ausstreckte. Die anderen würden langsam loswollen, meinte er, und ob wir mitgehen würden. Ich konnte nur nicken und ließ mich bereitwillig von ihm mitnehmen. Wir liefen händchenhaltend, neben uns Rei und Mao, offensichtlich glücklich miteinander. Kai war irgendwo hinter uns, unterhielt sich mit Yuriy auf Russisch. Manchmal drangen die fremden Worte, ohne hörbare Pause, wie kleine Ströme, an mein Ohr. Die vielen Spitzen in der russischen Betonung ließen ihre Stimmen lebhafter klingen. Die Sätze hatten einen ganz bestimmten, wenn auch nicht wirklich greifbaren Takt. Ich schloss die Augen, lauschte und überließ Katsumi derweil die Führung.

Spiel mit dem Feuer

Bin ein wenig im Verzug, hoffe aber, dass ihr es mir aufgrund von Weihnachts- und Jahreswechselchaos nicht allzu krumm nehmt... ^^'
 

„Mao, dir ist aber schon klar, dass du mir mit dem Gerede nicht gerade eine große Hilfe bist, ja?!“ Ich hatte mir das Handy zwischen Schulter und Ohr geklemmt, während ich einen Einkaufswagen vor mir herrollte und zusätzlich noch einen Zettel von meiner Mutter zwischen den Fingern der rechten Hand festhielt, auf dem so etwas stand wie „Obst, Gemüse, Eier“. Da mir das alles zu gesund geklungen hatte, befand sich im Wagen bereits eine ordentliche Menge Süßkram.

„Ist mir klar, dass du das nicht hören willst“, murrte Mao am anderen Ende der Leitung, „Trotzdem. Findest du nicht, dass das schon lange genug geht? Jetzt hast du sogar schon beide im Bett gehabt…“ Ich verdrehte die Augen. Manchmal benahm Mao sich so, als wäre Sex der Schlüssel zu jeder funktionierenden Beziehung. Mindestens jeden zweiten Tag riet sie mir, einfach denjenigen zu nehmen, der besser ficken konnte.
 

„Weißt du, was ich glaube?“, stichelte ich, „Ich glaube, du hast viel mehr Schiss wegen der ganzen Sache, als ich. Hey, das ist mein Problem, okay? Du hast damit gar nichts zu tun. Und wenn es irgendwann rauskommt, wird das keinerlei Konsequenzen für dich haben.“

„Das sagst du so leicht“, murmelte sie, „Aber seitdem ich davon weiß, fühle ich mich mitverantwortlich!“ Das verleitete mich zu einer dankbar-gerührten Lautäußerung. Es war ja auch unglaublich süß von Mao, wie sie mit mir mitfühlte. In den letzten Tagen hatte mich mein doppeltes Spiel manchmal an den Rand des Wahnsinns getrieben. Katsumi hatte das unglaubliche Talent, mich anzurufen, wenn ich gerade bei Kai war. Und natürlich wollte er sich dann immer mit mir verabreden. Kai ließ alles kommentarlos über sich ergehen: ich konnte Vereinbarungen mit ihm treffen und wieder absagen, wie ich wollte, er verlor weder die Geduld noch ließ er je irgendeine Bemerkung fallen. Aber gerade das störte mich. Wenn er schon über alles Bescheid wusste, konnte er mich doch wenigstens unterstützen!
 

„Ach Mao“, seufzte ich nochmal, „Du bist ein Schatz, weißt du? Aber du musst wirklich nicht mehr tun, als mir einfach zuzuhören. Ich krieg das schon hin. Irgendwann. Okay?“ Ihr unzufriedenes Grummeln drang an mein Ohr. Doch dann wurde sie plötzlich hektisch: „Oh, hör mal, Rei ist gerade reingekommen. Lass uns später weiterreden, ja?!“

„Okay…“, meinte ich und legte auf. Ein Blick auf die Uhr sagte mir, dass ich mich beeilen musste. Nach drei Tagen hatte ich es endlich wieder geschafft, mich mit Kai zu verabreden. Davor mussten noch die Einkäufe beendet werden, und außerdem wollte ich mich heute mal etwas herausputzen. Der sollte schließlich wissen, was er an mir hatte. Ich war gespannt, ob er Yuriy für den Abend losgeworden war, aber der war eigentlich das geringste Problem unserer Beziehung. Wenn Kai zu ihm sagte, er solle sich beschäftigen gehen, dann tat er das, auch wenn ich um Himmels Willen nicht wissen wollte, was genau er machte. Die beiden hinterfragten irgendwie nie die Taten des anderen. Ich hatte Yuriy neulich in ein Gespräch verwickelt, weil ich herausfinden wollte, ob Kai ein Problem damit hatte, wenn ich ihm laufend absagte –denn ihm selbst konnte man natürlich nichts aus der Nase ziehen– aber er hatte nur die Schultern gehoben und gemeint, es sei schon alles in Ordnung so, wie es war. Alles sehr unbefriedigend. Manchmal war ich richtiggehend wütend auf den Rothaarigen, weil ich mir sicher war, dass er wichtige Dinge über Kai wusste, von denen ich auch gerne erfahren wollte, über die sich beide jedoch ausschwiegen. Aber wahrscheinlich sah ich schon Gespenster.
 

Mit Katsumi lief es unkompliziert. Seine Naivität erinnerte mich ein Bisschen an Brooklyn, den ehemaligen Teamkollegen von Garland. Nur, dass Katsumi eindeutig das psychopatische Gehabe abging. Vielleicht kam ihm deswegen kein Verdacht, weil er viel zu beschäftigt mit der Band war. Irgendwie war aus den Jamsessions jetzt doch noch etwas Größeres erwachsen, sodass die Jungs fiebrig an neuen Songs für ein zweites Album werkelten. Meistens holte ich Katsumi daher vom Proberaum ab oder war gleich bei den Proben anwesend. Es war unglaublich spannend, zu beobachten, wie Schritt für Schritt neue Musik entstand.

Das Problem bei dieser zeitaufwändigen Beziehungspflege war allerdings, dass ich selbst total hektisch wurde. Ich musste ständig darauf achten, was ich wem erzählte, und das schloss nicht nur meine beiden Kerle, sondern auch den ganzen Freundeskreis mit ein. Meistens hatte ich zwei bis drei „Termine“ am Tag, war also meinetwegen zum Frühstück mit Katsumi verabredet und ging mit ihm zur Probe, traf mich danach mit Mao oder anderen Freunden in der Stadt und war abends bei Takao, wo entweder Katsumi wieder zu uns stieß oder ich dann mit Kai nach Hause ging. Was natürlich passieren musste, ohne dass die anderen etwas mitbekamen.
 

Seufzend schmiss ich noch eine Packung Chips in den Wagen. Nervennahrung musste sein. Dann schlenderte ich in Richtung Kasse, doch bevor ich dort ankam, stellte sich mir jemand in den Weg. „Hey, Hiromi, was ein Zufall!“ Es war Takao, der mich über einen Stapel Pizzakartons hinweg anlachte. „Wow, was hast du vor?“, fragte ich mit einem Fingerzeig auf die Pizzen. „Vorrat“, nuschelte er. „Ich ess‘ die schon nicht alleine, keine Angst! Aber wenn Daichi sich wieder bei mir einnistet, muss ich ihn irgendwie satt kriegen.“

„Ja, das sehe ich ein.“ Ich schob meinen Wagen neben ihm her und reihte mich hinter ihm in die Kassenschlange ein.

„Aber du bist ja auch nicht schlecht dabei“, meinte er und betrachtete meinen Einkauf. Das Obst und Gemüse war inzwischen begraben unter Schokolade und Co. Ich verdrehte bekräftigend die Augen. „Das ist aber auch nötig bei dem Stress in letzter Zeit.“

„Du hast Stress? Wegen Katsumi?“

„Hm, ja…“, machte ich, „Ich bin ständig mit ihm unterwegs, deswegen.“
 

„Ach so.“ Es entstand eine kleine Pause, weil er bezahlen musste. Während die Kassiererin dann meinen Einkauf über den Scanner zog, fuhr er fort: „Aber er ist wirklich cool. Katsumi, meine ich. Ich finde es gut, dass er sich so schnell eingegliedert hat. Hatte ehrlich gesagt ein Bisschen Angst, dass das die Gruppe auseinanderreißen könnte.“

Ich nickte nur. Natürlich wusste ich, dass die Clique einer der Dreh- und Angelpunkte in Takaos Leben war. Ohne seine Freunde würde er wohl kaum drei Tage überstehen können.

Ich zahlte ebenfalls und nahm meine Tüten. Zusammen mit Takao verließ ich den Laden. Wir liefen nebeneinander die Straße entlang. „Sag mal“, setzte er nach ein paar Augenblicken an, „Lag das eigentlich an Katsumi, dass du vor Kurzem fast gar nicht mehr zu uns gekommen bist?“

„Was meinst du?“, fragte ich verwirrt.

„Naja, damals…nach der Mottoparty. Da hattest du laufend was anderes vor, mit irgendwelchen Leuten, die du sonst eigentlich nie siehst. Wir haben uns ganz schön darüber gewundert. Und Kai war auch ganz komisch drauf. Hattet ihr euch irgendwie gestritten? Wegen Katsumi?“
 

„Was? Ach nein“, wehrte ich schnell ab, „Naja…er hat mir schon davon abgeraten, mit Katsumi zusammenzukommen. Du kennst ihn ja. Manchmal benimmt er sich, als wär er noch unser Teamchef.“ Daraufhin grinste Takao und nickte bekräftigend. „Aber jetzt ist wieder alles in Ordnung. Ich hab ihm die Meinung gegeigt, und jetzt hält er sich daraus“, schloss ich.

„Oh, gut.“ Es klang, als würde Takao erleichtert ausatmen. „Wie gesagt, ich hab mir schon Sorgen gemacht. Aber wenn doch mal was ist, also…Du weißt ja, dass du über alles mit uns reden kannst. Ja?“
 

Ich lächelte ihn ehrlich glücklich an. Es war schön zu wissen, dass ich bei meinen Freunden immer willkommen war. „Danke“, sagte ich. Daraufhin verabschiedeten wir uns, da er einen anderen Weg einschlagen musste.

Sobald er um eine Ecke verschwunden war, merkte ich jedoch, wie sich mein Gesicht verdüsterte. Ja, wenn es mit Katsumi nicht klappte, konnte ich mich jederzeit bei den anderen ausheulen. Aber was war, wenn das mit Kai ein schlechtes Ende nahm? Wenn wir uns stritten? Wir hatten beide das gleiche Recht auf unseren gemeinsamen Freundeskreis. Doch ich wusste, dass vor allem Takao darunter leiden würde, wenn irgendetwas innerhalb der Gruppe im Argen lag.
 


 

Ein paar Stunden später stand ich vor Kais Tür, ein Bisschen herausgeputzt und eine Flasche Wein in der Tasche. „Wow, jetzt fühle ich mich underdressed“, meinte er, als er mir öffnete und musterte mich anerkennend. Er selbst trug nur graue Stoffhosen und Shirt, aber wir hatten sowieso ausgemacht, den Abend bei ihm zu verbringen, also wunderte ich mich nicht darüber. Stattdessen hob ich die Schultern. „Ich darf doch wohl gut aussehen für meinen Kerl, oder?!“, sagte ich und trat ein.

„Natürlich. Hab ja nix anderes behauptet.“ Er grinste mich kurz an und nahm mir die Tasche ab, während ich meine Schuhe abstreifte. „Was hast du da drin? Pflastersteine?“

„Quatsch. Guck rein und hol Gläser“, befahl ich. Mit einem kritischen Blick betrachtete er die Flasche. „Okay. Was hast du vor?“ In diesem Moment schmiegte ich mich schon an ihn. „Abfüllen und flachlegen“, raunte ich ihm zu. „Ist ein Plan, oder?“
 

„Jaah, durchaus…einfach, aber effektiv. Aber mach’s dir doch erstmal bequem, bevor es ernst wird.“ Das ließ ich mir nicht zweimal sagen. Ich setzte mich auf sein Bett und zog Minerva auf meinen Schoß, die sich neben mir zusammengerollt hatte. Sie ließ es willig mit sich geschehen und krallte sich ein Bisschen in meine Leggings. „Pass auf, sie haart gerade“, rief Kai, der in der Küche stand und gekonnt den Korken zog. Man hörte ein leises Ploppen. „Katzen, die haaren, fühlen sich wohl“, meinte ich und strich über Minervas silbriges Fell, „Ich hab die Kleine schon vermisst…“

„Na toll. Bist du wegen der Katze hier oder wegen mir?“ Kai stellte zwei gefüllte Gläser aufs Fensterbrett, bevor er sich neben mich setzte und Minerva im Nacken kraulte. Nicht zum ersten Mal bemerkte ich, dass hier definitiv ein Beistelltisch fehlte, oder generell ein Tisch, denn Kais Wohnung war so eng, dass nicht einmal einer in die Küche hineinpasste. Wenn wir aßen, saßen wir dabei entweder im Bett oder auf der Arbeitsfläche in der Küche. Mit einem kurzen Blick stellte ich fest, dass es hier bis auf den Schreibtischsessel auch keine Stühle gab.
 

„Irgendwie ist deine Wohnung voll untermöbliert“, sagte ich.

„Finde ich nicht. Hier steht schon viel zu viel drin.“ Er streckte sich und ließ kurz die Schultern kreisen; dabei verzog er das Gesicht. „Was ist los?“, fragte ich, denn mir war, als hätte ich leise einen Knöchel knacken hören.

„Ich muss mir irgendwo den Nacken verspannt haben“, murmelte er, „Sag mal, du kannst nicht zufällig massieren?“

„Klar, aber es wird schmerzhaft“, entgegnete ich und konnte mir ein anzügliches Grinsen nicht verkneifen, „Und du musst dein Shirt ausziehen.“

„Ach ja?“

„Ach ja. Bist du noch nie massiert worden, oder was?!“ Statt eine Antwort zu geben zog Kai sich sein Oberteil über den Kopf. Ich wies ihn an, sich auf den Bauch zu legen und setzte mich auf ihn. Die ganz klassische Massage-Situation also. In den ersten Minuten fragte ich mich daher auch noch, ob er mich nicht vielleicht austrickste, damit wir schneller zur Sache kamen, doch sobald ich seinen Nacken zu kneten begann, erkannte ich, dass er es verdammt ernst gemeint hatte. Die Muskulatur war steinhart. „Was hast du denn gemacht?“, fragte ich erstaunt, als ich den Griff sogar noch einmal verstärken musste, um überhaupt etwas zu erreichen.

„Keine Ahnung“, antwortete Kai gedämpft, „Ich muss heute Nacht irgendwie falsch gelegen haben oder so…Verdammt, das tat weh!“
 

„Sag bloß, der große Kai Hiwatari hat Schmerzen!“, neckte ich und bohrte meinen Daumen gleich noch einmal in seinen Nacken. Ich merkte förmlich, wie er sich jeden weiteren Laut verbiss und grinste triumphierend in mich hinein.

Es dauerte eine ganze Weile, bis ich alle Muskeln wieder gelöst bekam. Hätte ich passendes Öl gehabt, hätte ich mich gern über seinen ganzen Rücken gearbeitet, denn ich massierte unheimlich gern. Während unserer Zeit als Bladebreakers hatte ich genug Erfahrung gesammelt, denn damals war es regelmäßig zu Verspannungen aller Art gekommen. Und außerdem gab es wohl keine bessere Gelegenheit, um an gut gebaute Männer Hand anlegen zu dürfen…

Ich gab Kai einen Klaps, als ich schließlich fertig war. „Aufwachen, Dornröschen, ich hab’s geschafft.“

„Von wegen Dornröschen“, ächzte er theatralisch, „Ich weiß nicht, was die Leute immer haben –wenn Massagen immer so wehtun, verzichte ich auch in Zukunft gerne wieder darauf.“

„Ihr Männer seid manchmal solche Weicheier…“ Ich beugte mich vor, sodass ich halb auf Kai lag und ihm ins Ohr flüstern konnte: „Aber ich finde, für meine gute Arbeit hab ich jetzt eine Belohnung verdient, hm?“ Er drehte den Kopf zur Seite und schielte zu mir hoch. „Wann hast du eigentlich aufgehört, zurückhaltend zu sein, Hiromi?“ Ich übte mich in Schweigen und biss ihm leicht in die Ohrmuschel.
 

Ein verzerrtes Klingeln erfüllte das Zimmer. Verwirrt ließ ich von Kai ab, als ich erkannte, dass es von meinem Handy stammte. „Scheiße. Wehe, das ist schon wieder Katsumi“, murmelte ich und sprang aus dem Bett. „Lass es doch einfach klingeln“, meinte Kai, während er sich aufsetzte, doch ich schüttelte den Kopf. „Das hatten wir doch schon“, erinnerte ich ihn, „Du kennst doch Katsumi. Der legt einfach nicht auf.“ Und tatsächlich dudelte das Gerät immer noch vor sich hin. Ich stolperte zu meiner Tasche und zog es hervor. Doch als ich die Anzeige auf dem Display sah, stutzte ich. „Mao“, sagte ich zu Kai, „Komisch. Sie weiß doch, dass ich grad bei dir bin…Hallo?“, fragte ich, als ich abhob.

„Hiromi, endlich!“ Sie klang total aufgeregt. „Hör zu, worst case! Ich hab total Mist gebaut!“

„Was ist denn los?“, fragte ich alarmiert. Kai war wohl durch meine Tonlage auch beunruhigt, denn er warf mir einen neugierigen Blick zu, den ich, auf meiner Unterlippe kauend, erwiderte. Er verschränkte abwartend die Arme.
 

„Also, Rei hat heute plötzlich angefangen, mich zu löchern“, sagte Mao. Ich verstand nicht: „Wieso löchern? Was ist überhaupt los bei euch?“

„Mann, ich kann ihn einfach nicht anlügen!“, entgegnete sie, „Und er hat gemerkt, dass ich manchmal einfach das Thema gewechselt habe, wenn wir uns unterhalten haben. Also…also, ich hab ihm erzählt, dass da was zwischen Kai und dir läuft.“

„Ähm, na und?“ Zwar war ich zuerst erschrocken, doch eigentlich durfte es kein allzu großes Problem sein, wenn Rei was davon wusste, oder?

„Na und?!“, rief Mao, „Rei ist total ausgerastet! Er ist grad zur Tür raus, ich glaub, er will Kai persönlich die Meinung geigen…“

„WAS?!“ Jetzt hob auch ich die Stimme, wenn auch vor Wut. „Das geht ihn doch gar nichts an, verdammt! Was will der denn hier?“ Bei meinem letzten Wort zog Kai die Augenbrauen nach oben.

„Ja, keine Ahnung“, stammelte Mao, „Hiromi, es tut mir echt furchtbar leid! Ich hätte doch nie geahnt, dass er gleich so auf die Barrikaden geht!“

„Ähm, ja, ist schon in Ordnung“, sagte ich, denn ich wollte ihr jetzt nicht auch noch einen Vorwurf machen. „Danke, dass du Bescheid gesagt hast…wir klären das schon, okay?“

„Okay…“
 

Ich verabschiedete sie noch schnell und legte auf. „Also“, sagte ich dann zu Kai, „Rei steht gleich vor der Tür. Mao hat ihm alles erzählt. Er ist wohl total durchgedreht.“

„Was?“ Kai reagierte genauso ungläubig, wie ich. Er schien kurz nachzudenken, dann seufzte er und stand auf. Griff nach seinem Shirt und streifte es wieder über. „Na gut, Hiromi“, sagte er dann, „Pass auf: Ich mach das schon. Halt dich einfach zurück, okay? Wenn er mir auf’s Maul hauen will, soll er’s halt versuchen. Aber dann musst du nicht unbedingt dazwischen stehen.“

„Ja, aber kann mir mal einer erklären, was er jetzt für ein Problem damit hat?“, echauffierte ich mich. Nachdem die ganzen Informationen erst einmal gesackt waren, wurde ich wütend. Was erlaubte Rei sich überhaupt? Sollte er uns doch einfach in Ruhe lassen!
 

Kai kam zu mir, legte die Arme um mich und zog mich ein wenig an sich heran. „So’ne Scheiße“, brummte ich und bemerkte, wie er grinste. „Boah, wie kannst du nur so ruhig bleiben?“ Darauf sagte er nichts. Wir blieben eine Weile so stehen, und ich merkte, wie sich mein Gemüt langsam abkühlte. Wie lange brauchte Rei eigentlich bis hierher? So weit war es ja nicht, also konnte er in fünf Minuten vor der Tür stehen. Schnell genug würde er wutbedingt ja laufen…Seufzend schob ich Kai ein Stück von mir weg. „Na schön“, meinte ich, „Was soll ich machen? Danebenstehen und blöd glotzen ist ja nicht das Optimum, nicht wahr? Soll ich dir irgendwie den Rücken stärken?“

„Lass nur“, antwortete Kai, „Ich glaube nicht, dass Rei unbedingt sauer auf dich ist. Ich denke, er wird mir ordentlich die Leviten lesen wollen. Warum auch immer. Ich versteh’s immer noch nicht ganz, aber ich kann’s mir, glaube ich, denken, warum ihn das so wütend macht. Vielleicht solltest du ganz aus der Schusslinie gehen…“
 

„Willst du mich etwa wegschicken?“, fragte ich ungläubig. „Dazu ist jetzt eh keine Zeit mehr. Der müsste gleich vor der Tür stehen.“

Kai hob die Schultern. „So meinte ich das auch nicht.“ Mehr sagte er nicht. Verdammt noch mal, dass er nicht einmal den Mund aufmachen konnte, wenn es wichtig wurde! Mit einem bitterbösen Blick beobachtete ich, wie er zum Fensterbrett ging und die Weingläser wieder aufnahm. Eines drückte er mir in die Hand, das andere stürzte er in wenigen Schlucken herunter. Seufzend tat ich es ihm gleich. Ein wenig Nervennahrung konnte jetzt nicht schaden, zumal ich immer noch nicht kapierte, warum ausgerechnet Rei sich so aufregte, war er doch sonst immer der ruhigste und verständnisvollste von uns allen. Aber in Liebesdingen schien er ja eine ganz eigene Meinung zu vertreten, das hatten wir ja schon vor einiger Zeit erlebt, als es mit Mao so schlecht gelaufen war. Da konnte Rei regelrecht zur Furie werden. In Gedanken versunken schüttelte ich den Kopf. Kai, der mich zuvor nur angesehen hatte, drückte mir auf einmal sein Glas in die Hand. „Bringst du die in die Küche?“, fragte er und ich warf ihm einen ungläubigen Blick zu: „Alter, bin ich jetzt dein Hausmädchen?“
 

„Bitte“, fügte er ungerührt hinzu. Irgendetwas war seltsam an dieser Handlung. Meine Wut verrauchte mit diesem Gedanken; ich hob die Schultern und ging in die Küche, stellte die Gläser ins Spülbecken. In diesem Moment klingelte es Sturm an Kais Tür. Überrascht hob ich den Kopf und mein Blick traf seinen. Kai zog die Augenbrauen hoch und verschwand dann aus meinem Sichtfeld, um zu öffnen. Erst jetzt begriff ich: Rei sollte gar nicht erst mitbekommen, dass ich überhaupt hier war.
 

„Rei?“ Als ich Kais Stimme hörte, bemerkte ich erstaunt, wie überzeugend sie sich anhörte, „Was ist denn mit dir passiert?“

„Verarschen kann ich mich selber!“ Rei war offensichtlich noch immer stinksauer. „Lass mich rein, wir müssen reden!“

„In deinem Zustand will ich dich aber nicht weiter als fünf Schritte in meine Wohnung lassen…“, sagte Kai.

„Ist mir scheißegal! Hauptsache, die Tür ist zu!“ Ich hörte, wie diese ins Schloss fiel. „Also?“, fragte Kai und „ALSO!“, brauste Rei auf. Ich hatte ihn selten, wirklich sehr selten, so wütend erlebt und verhielt mich dementsprechend mucksmäuschenstill, obwohl ich die beiden auch gern gesehen hätte, falls es irgendein Unheil gab und ich dazwischen gehen musste.

„Alter, was soll der Scheiß mit Hiromi?“, sagte Rei laut, „Stimmt das, was Mao erzählt? Dass ihr eine offene Beziehung habt?“
 

„Ja, allerdings“, entgegnete Kai, und ich sah förmlich vor meinem inneren Auge, wie er dazu die Arme verschränkte. „Na und? Warum regst du dich jetzt so auf?“

„Das fragst du noch?“ Jetzt schrie Rei wieder. „Sag mal, ist dir nicht klar, was du hier machst? Mal davon abgesehen, dass sie mit Katsumi zusammen ist –Hiromi ist unsere beste Freundin, seit Jahren! Du kannst doch jetzt nicht so was mit ihr abziehen!“

„Sag mal, was willst du überhaupt von mir?“ Auch Kai klang jetzt gereizt.

„Stell dich nicht doof, Kai: mit Alyona kannst du das meinetwegen machen oder mit irgendwelchen Weibern, die wir nicht kennen, die halten das vielleicht aus. Aber ich kann es nicht zulassen, dass du Hiromi so etwas antust!“

„Kannst du dich eigentlich auch verständlich ausdrücken?“

„Ey, kapierst du’s nicht oder willst du’s nicht kapieren?“, fuhr Rei ihn an, „Jeder Trottel, der in den letzten Jahren was mit dir zu tun hatte, weiß doch, dass du nur auf Sex aus bist; weil der ach so tolle Kai Hiwatari es ja nicht nötig hat, sich um die Gefühle einer Frau zu scheren! Wie gesagt, mit Alyona funktioniert das vielleicht, aber wenn es um Hiromi geht, ist es einfach nur noch eine verdammte Scheiß-Aktion!“
 

Daraufhin war es still. Ein paar Sekunden lang hörte man gar nichts. Ich stand mit weit aufgerissenen Augen an der Anrichte und starrte ins Zimmer, ohne wirklich etwas zu sehen. Scheiße. Rei hatte das ja in den ganz falschen Hals bekommen. Dann hörte ich wieder Kais Stimme, doch ihr Klang machte mir plötzlich Angst: „Sag mal, Rei, bist du eigentlich völlig bescheuert? Erstens geht es dich einen verdammten Dreck an, wann ich mit welcher Frau was mache. Zweitens, glaubst du echt, ich hätte mir nicht Gedanken gemacht, bevor ich was mit Hiromi angefangen hab? Ich hätte gedacht, du kennst mich besser. Drittens“ Er war immer lauter geworden, doch jetzt erreichte er das Maximum zwischen sprechen und schreien, „Geht es dich nichts, aber auch GAR NICHTS an, wenn Hiromi und ich beschließen –und ja, wir haben das gemeinsam beschlossen, ich bin nicht wie irgendeine verdammte wilde Bestie auf sie losgegangen, ob du’s glaubst oder nicht!– irgendwas miteinander anzufangen! Halt dich daraus, verfickte Scheiße noch mal, und spiel hier nicht den Obermacker, vor allem DANN NICHT, wenn du nicht einmal selbst dazu in der Lage bist, zu deiner eigenen Freundin zu stehen!“
 

Mein Mund klappte auf. Das war weit unter der Gürtellinie, was aber bewies, das Rei Kai erfolgreich zum Ausrasten gebracht hatte.

„Was willst du denn jetzt DAMIT sagen?“, brüllte Rei zurück.

„Das will ich dir gerne sagen: Du machst hier einen auf Moralapostel, dabei hast du zu Hause eine Freundin sitzen, die für dich sogar aus China hierhergekommen ist und der du heile Welt vorspielst, während du uns hinter ihrem Rücken die Ohren vollheulst, weil du dir immer noch nicht sicher bist, ob du sie wirklich liebst!“

Ich bekam überhaupt keine Zeit, diese neue Wendung des Geschehens zu verarbeiten, denn aus dem Flur kam das Geräusch eines Schlages. Jemand stieß zischend die Luft aus, dann folgten ein weiterer Schlag und ein dumpfes Aufkeuchen. Ein hohler Knall, als jemand gegen die Tür stieß. „Verpiss dich, Rei“, sagte Kai in normalisierter Lautstärke, „Geh nach Hause, denk drüber nach, und dann können wir noch mal über die ganze Sache reden.“
 

„Scheiße, Mann“, sagte Rei nur. Eine Weile blieb es still, dann hörte ich erneut, wie die Tür ins Schloss fiel. Erst jetzt wagte ich es, aus meinem „Versteck“ herauszukommen. Kai kam mir entgegen; er hielt sich den Handrücken vor die Nase. Rei hatte sie wohl blutig geschlagen. Wortlos drehte ich mich wieder um und holte ihm einen kalten Lappen, doch anstatt ihn sich in den Nacken zu legen, wischte er nur das Blut weg. „Geht schon, danke…“, murmelte er. Man merkte es ihm vielleicht nicht an, doch ich ahnte, dass ihn dieser Streit genauso schockierte, wie mich. Nicht nur, weil Rei und Kai sich noch nie gestritten hatten, sondern auch, weil Dinge gesagt worden waren, die sie wohl beide jetzt bereuten. Ich zog ihn mit sanfter Bestimmtheit zum Bett und wir setzten uns wieder darauf. Nach einer Weile traute ich mich, eine Frage zu stellen: „Stimmt das…? Ich meine, was du über Mao gesagt hast?“
 

„Davon solltest du eigentlich gar nichts wissen“, seufzte er und drückte noch einmal den Lappen gegen seine Nase. „Aber ja, es stimmt. Rei hat mir im Vertrauen erzählt, dass er immer noch an der Sache mit Mao zweifelt. Das wird wohl auch der Grund sein, warum er wegen uns so ausgetickt ist.“

„Wir hätten es vielleicht doch gleich allen erzählen sollen…“, sagte ich leise, „Dann wäre es nicht dazu gekommen.“ Kai schüttelte den Kopf: „Nein. An dieser Dreieckssache gibt es genug, das man kritisieren kann. Je weniger die anderen wissen, desto besser. Schon gut…“, fügte er hinzu, als ich einen verzweifelten Laut von mir gab. Dann spürte ich, wie sich sein Arm um meine Taille schlang. Ich legte meinen Kopf auf seine Schulter und schloss erschöpft die Augen. Mit so etwas hatten wir rechnen müssen. Doch jetzt, wo es so gekommen war, konnte ich nicht behaupten, darauf vorbereitet gewesen zu sein.
 


 


 

Ach ja...ich hoffe natürlich, dass ihr alle einen fleißigen Weihnachtsmann hattet und gut ins neue Jahr gerutscht seid^^

Gary und Stue - Arschlochmodus

Die Saiten gaben ein Geräusch von sich, als wollten sie gleich wieder reißen, während Makoto sie stimmte. Ich saß ihm gegenüber auf dem siffigen Sofa, den Kopf auf die Hände gestützt, und sah zu, aber eigentlich war ich mit meinen Gedanken ganz woanders. Seit dem Streit zwischen Kai und Rei zweifelte ich an allem, was bis jetzt passiert war. Es entsprach einfach gar nicht meiner Person, mich auf so etwas einzulassen. Ich war nur ein stinknormales Mädchen, das am glücklichsten in einer stinknormalen Beziehung war. Scheiß auf Abenteuer. Vor allem, wenn dadurch die Gefahr entstand, unsere Gruppe auseinander zu reißen. Ich hatte ziemlich Mist gebaut, fand ich. Und ja, ich spielte mit dem Gedanken, die Sache zu beenden, in welcher Weise auch immer. Genau das war ja das Schwierige: ich wusste immer noch nicht, was ich nun wirklich wollte.
 

Katsumis schallendes Gelächter riss mich aus meinen Grübeleien. Yoshio und er standen um Shuns Drumset herum, auf dem letzterer mehr schlecht als recht herumtrommelte. Er schien auch in irgendeiner Krise zu stecken, die aber wahrscheinlich weit weniger schlimm war, als meine. Ich seufzte neidvoll.

„Was ziehst du denn für eine Flappe, Hiromi?“, fragte Makoto mit seiner tiefen Stimme. Er nuschelte, weil er einen Kaugummi im Mund hatte und einer der wenigen Menschen war, die es nicht schafften, unbemerkt zu kauen.

„Ach nichts…“, murmelte ich, „Ist im Moment eben so…“ Was sollte ich auch anderes sagen? Ich konnte ihm schlecht unter die Nase reiben, dass ich am liebsten den ganzen Tag im Proberaum verbracht hätte, weil ich absolut keine Lust verspürte, nachher zu Takao zu gehen und vielleicht direkt in einen weiteren Streit zu geraten und noch eher die eisige Funkstille zwischen Kai und Rei und die dadurch heraufbeschworenen Fragen ertragen zu müssen.
 

Makoto hob die Schultern und beschäftigte sich weiter mit seiner Gitarre. Ich hatte schon bemerkt, dass er sich nicht gerne überall einmischte. Wenn man seinen Rat wollte, musste man schon zu ihm gehen und direkt sagen „Du, ich hab ein Problem, hör’s dir mal bitte an.“ Aber das würde ich natürlich nicht tun. Makoto kannte Katsumi schon seit seiner Kindheit. Er würde sich also keineswegs auf meine Seite stellen, wenn ich ihm alles erzählte. Und außerdem brauchte auch ich jemanden, der mich sehr gut kannte, um mich auszusprechen.
 

Ich hatte mit Mao geredet. Beinahe sofort, nachdem ich Kais Wohnung verlassen hatte, hatte ich sie angerufen und in ein Café bestellt. Ich wollte ihr trotz allem immer noch keinen Vorwurf machen, sondern wirklich nur reden. Vor allem, da auch ihr Name in dem Streit der beiden Jungs gefallen war. Sie erzählte mir bereitwillig, wie es dazu gekommen war, dass sie den Mund nicht länger hatte halten können. Rei hatte da so einen bestimmten Gesichtsausdruck oder Ton in der Stimme, der ihr beinahe Angst machte. Dann konnte sie ihn einfach nicht anlügen. Mir würde es wahrscheinlich nicht anders ergehen; ich hatte Rei mehr als einmal wütend erlebt und wusste, dass in ihm eine recht fiese Seite schlummerte, die ihn wohl selbst anekelte, gegen die er aber auch nicht angehen konnte. Also tröstete ich sie sogar, und später fiel mir auf, dass eigentlich ich hatte getröstet werden wollen. Es lief halt nichts so, wie ich es geplant hatte. Vielleicht war ich auch einfach zu gutherzig.

Später schaffte ich es dann doch noch, Mao von Reis Zweifeln an ihrer Beziehung zu erzählen. Es musste sein, egal, was die Jungs dachten. Es war Mao gegenüber nur fair. Sie reagierte erstaunlich gefasst. Nach kurzem Schweigen meinte sie, sie habe es schon länger geahnt und ihn deswegen einfach überzeugen wollen. Sie habe besonders glücklich und unkompliziert wirken wollen, um ihm keinen Grund zu geben, sie zu verlassen.
 

Als ich jetzt wieder daran zurückdachte, erkannte ich, dass ich mir wohl jemand anderes suchen musste, um mit meinen Problemen fertig zu werden. Mao kam dafür gerade nicht infrage. Nur, konnte ich im Gegensatz dazu vielleicht Mao helfen? Ich fühlte mich dazu nicht im Geringsten in der Lage. Meine Gedanken kreisten meist nur um Kai und Katsumi, Katsumi und Kai. Ich bemitleidete mich und war im gleichen Moment wütend über dieses Selbstmitleid. Es konnte doch einfach nicht so schwer sein, zu einem Ja und dem anderen Nein zu sagen!
 

„Hey, mein Schatz.“ Katsumi setzte sich zu mir und legte mir einen Arm um die Schultern. Mein Schatz. So hatte Kai mich noch nie genannt. Aber Kai zeigte Zuneigung ja auch auf ganz andere Art und Weise. Durch Berührungen. Oder diese Art, wie er zuhörte: nicht einfach mal nebenbei oder mit der Intention, danach sofort einen guten Rat parat zu haben. Wenn Kai zuhörte, sog er einfach alles in sich auf. Aber so etwas wie „mein Schatz“, so etwas Simples, Beziehungstypisches, das konnte er nicht.

„Makoto sagt, dich bedrückt irgendetwas“, fuhr Katsumi fort, „Ich will nicht sagen, dass ich es nicht bemerkt habe. Aber ich dachte, du rückst vielleicht von selbst mit der Sprache raus.“

„Es ist nichts, nur…“ Verdammt. Das „nur“ hatte ich gar nicht aussprechen wollen. Jetzt musste ich den Satz irgendwie beenden. „Zwei meiner Freunde haben sich ziemlich heftig gestritten. Kai und Rei. Die beiden reden seitdem kein Wort mehr miteinander.“
 

„Oh, das ist mies“, sagte Katsumi, „Also steckt eure Gruppe jetzt in einer Krise, ja? Hm, das wird schon wieder, denke ich. Wir sind ja alle erwachsene Menschen. Und so, wie ich euch bis jetzt erlebt habe, glaube ich nicht, dass so ein kleiner Streit euch auseinanderreißen wird. Oder ging es um etwas sehr wichtiges?“

„Naja, es ist so eine Beziehungssache…“, erzählte ich. Es würde guttun, wenigstens einen Teil der Geschichte loszuwerden, auch wenn ich Katsumi wieder anlügen musste. Ich war es leid, ich hasste es, zu lügen, vor allem, wenn mir derjenige etwas bedeutete. Das konnte es doch alles nicht Wert sein! –Und trotzdem. Trotzdem konnte ich ihm hier und jetzt auch nicht die ganze Wahrheit sagen. „Also, Rei war wohl wegen Irgendetwas wütend auf Kai, und in der Hitze des Gefechts hat Kai ihm an den Kopf geworfen, er würde Mao nur vortäuschen, dass zwischen ihnen wieder alles in Ordnung ist…“ Katsumi wusste natürlich von dem kleinen Drama zwischen Rei und Mao. Ich hatte ihm alles Wichtige über unsere Clique erzählt, damit er nicht in ein Fettnäpfchen trat.

Jetzt schwieg er sich kurz aus, bevor er wieder ansetzte. Während er sprach, strich seine Hand langsam und tröstend über meinen Oberarm und ich konnte nicht anders, als mich an ihn zu lehnen.
 

„Also an sich finde ich es erstmal richtig, dass die Sachen jetzt so offen auf dem Tisch liegen. Obwohl das wohl nicht allzu taktvoll dort hingelegt wurde, aber meiner Meinung nach fährt man in einer Freundschaft am besten, wenn man ehrlich ist. In Beziehungen übrigens auch. Es kann also nur hilfreich sein, wenn Rei dadurch einen kleinen Schubser bekommen hat, damit er mit Mao redet…oder sich zumindest selbst mal fragt, wie er zu ihr steht und ob das noch einen Sinn hat. Glaubst du, er würde sich von ihr trennen?“

„Ich weiß nicht“, seufzte ich, „Die beiden waren für mich immer das Traumpaar schlechthin. Aber sie sind schon ein paar Mal getrennt gewesen. Liegt an der Entfernung…“

„Oh ja, das ist ein ziemlicher Killer.“ Er lachte in sich hinein. „Aber ganz ehrlich, Hiromi“, sagte er dann, „Du solltest dich da nicht so reinsteigern. Du bist viel zu emphatisch. Das ist gut, versteh mich nicht falsch, ich mag es ja gerade, dass du dich so gut um deine Leute kümmerst. Aber du darfst dir einfach nicht immer die Sorgen anderer aufbürden, okay?!“

„Ja, du hast Recht…“, murmelte ich und schmiegte mich noch mehr an ihn. Ich lächelte zu ihm hoch. Es tat gut, dass er da war. „Wenn du möchtest, kannst du heute bei mir bleiben“, schlug er vor und ich willigte nur zu gern ein. Ich hatte keine Lust, mich wieder in die Höhle des Löwen, also das Kinomiya-Dojo zu wagen, zumal auch der Rest der Jungs langsam die Nase voll von der Eiszeit haben dürfte, die zwischen Kai und Rei herrschte.
 


 

Als wir später nach draußen kamen, standen zwei Mädchen vor dem Haus. Zuerst dachte ich, sie würden einfach hier wohnen und sich nur unterhalten; doch dann sprach eine von ihnen die Jungs an.

„Wir sind große Fans.“

Der nächste Blick galt mir. Er war skeptisch und nicht gerade erfreut. Ich versuchte, mir nichts anmerken zu lassen und war auch sehr dankbar dafür, dass Katsumi nicht herausposaunte, ich wäre seine Freundin. Er sagte ein paar nette Worte und schob das Gespräch dann auf Shun und Yoshio ab, die offensichtlich nichts gegen den Fanbesuch hatten. „Wir gehen dann schon mal“, sagte Katsumi und nahm mich an die Hand. Oje, spätestens jetzt war offensichtlich, dass ich zu ihm gehörte. Ich warf allerdings keinen Blick zurück, um zu sehen, ob die Mädchen es bemerkt hatten, sondern wollte einfach nur weg. Sich jetzt darüber auch noch den Kopf zu zerbrechen wäre zu viel gewesen.
 

Katsumi wohnte ganz in der Nähe des Proberaums, man musste nur kurz mit der Bahn fahren. Die Wohnung war genauso winzig wie die von Kai und Rei und befand sich in einem kleinen Haus mit Garten, dass von einer geschwätzigen Alten vermietet wurde, die penetrant darauf achtete, dass alle ihre Mieter auf Sauberkeit achteten. Dafür drückte sie bei wechselndem nächtlichem Besuch ein Auge zu, wie Katsumi mir erzählt hatte. Die meisten seiner Nachbarn waren Studenten und einige von ihnen recht umtriebig. Es war schön hier. Allein die paar Bäume und Sträucher verleiteten zur Entspannung. Manchmal strich eine Katze durch den Garten, aber heute sah ich sie nicht, als ich das Fenster öffnete und hinausblickte. „Machst du Tee?“, fragte ich Katsumi, „Oder soll ich?“

„Wenn du Tee machst, geh ich noch mal zum Konbini und besorge irgendwas zum Knabbern“, entgegnete er. Als ich nickte, zog er seine Schuhe wieder an. „Der Computer müsste noch an sein, falls du ins Internet oder Musik hören willst“, rief er noch, bevor er verschwand.
 

Nachdem ich den Tee aufgegossen hatte, setzte ich mich vor seinen Laptop und loggte mich auf Facebook ein. Es war nicht sonderlich viel los; bei dem schönen Wetter hatten wohl alle etwas Besseres vor, als zu surfen. Max hatte vor einigen Stunden ein paar Musikvideos geteilt. Unter einem von ihnen war eine heftige Diskussion zwischen ihm, Takao und Kai entbrannt, in der es darum ging, ob der Künstler nun von „Thriller“ abgekupfert hatte oder nicht. Auf Kais Profil hatte Boris von NeoBorg in großen, englischen Lettern geschrieben: „ALTER, WO IST UNSER TEAMCHEF??“. Der Post war ganz banal von Yuriy geliked worden.
 

Ich öffnete Kais Profilbild. Da war ich. Mit meiner Perücke und dem aufgemalten Schönheitsfleck. Eins musste man unserer Gruppe lassen: Wir waren ziemlich gut im Verkleiden. Max hatte in der Schule Theater gespielt und so auch einmal einen Kurs in Theaterschminken bekommen; er machte sich immer gerne über uns her, wenn es um Mottopartys ging. Vor über anderthalb Jahren hatten wir Halloween im Tim-Burton-Stil gefeiert, und obwohl wir tagelang brauchten, um die beiden zu überreden und ihnen kurz vorher einen guten Schluck Alkohol einflößen mussten, hatte er es am Ende geschafft, Kai und Rei wie eine zweifache Ausführung von Sweeney Todd aussehen zu lassen. Das war wirklich unheimlich gewesen: da sie beide etwa gleich groß waren, konnte man sie die ganze Nacht nicht auseinander halten; erst recht nicht mit steigender Promille. Ich grinste in mich hinein. Irgendwo müssten doch auch davon noch Fotos herumgeistern…Ich klickte mich durch die Bilder, auf denen Kai verlinkt war. Es gab Fotos von Konzerten (schwarzgekleidete Menschen mit und ohne Bart, die grinsten wie kleine Kinder vorm Weihnachtsbaum) und Festivals (Luftaufnahmen der Masse vor der Bühne, und wenn man darüber fuhr, blinkte ein Viereck auf, das gefühlte zweihundert Köpfe umfasste und Kais Namen trug), überwiegend russische Schnappschüsse (Yuriy hatte immer den Fotoapparat dabei) und natürlich Aufnahmen von Partys (die modische Vielfalt reichte von simplem Schwarz über edle Blazer bis hin zu den freakigen Gruppenfotos in Kostümen), unter denen ich schließlich auch das gesuchte fand. Auf den ersten Blick sahen sie wirklich wie Zwillinge aus. Man müsste Kai und Rei dieses Foto mal wieder zeigen, überlegte ich, um sie daran zu erinnern, wie eng ihre Freundschaft damals gewesen war.
 

„Er ist wirklich stylisch.“

Erschrocken zuckte ich zusammen. „Schleich dich doch nicht so an!“, rief ich, doch Katsumi lachte nur und stellte sich hinter mich, stützte sich auf die Stuhllehne. „Ich wollte ihn beizeiten sowieso mal fragen, wo er seine Klamotten kauft…“

„Wen meinst du?“, fragte ich, „Kai?“

„Jepp.“

„Ähm, ich dachte immer, Männer würden sich eher weniger über Klamotten unterhalten…“

„Hey, ich bin Musiker, ich steh auf einer Bühne“, entgegnete er, „Ich muss mir schon darüber Gedanken machen, was ich anziehe. Nein, aber ganz ehrlich“, fügte er hinzu und drehte sich um, um Tee einzugießen, „Deine Jungs sind cool. Vor allem Kai. Der kommt in einen Raum, und du denkst nur, wow, was ist das bitte für ein Typ?“
 

„Hm“, machte ich hilflos, doch ich wusste ganz genau, dass Katsumi dadurch nicht verstummen würde. Er bemerkte es einfach nicht, wenn jemandem ein Gesprächsthema unangenehm war. Und ich konnte mir weit Besseres vorstellen, als zuzuhören, wie ein Kerl über einen anderen schwärmte.

„Ich muss gestehen“, fuhr Katsumi nach einer kurzen Pause fort, „Als wir uns damals kennengelernt haben…auf dem Konzert…da bin ich dir doch noch mal hinterher gelaufen, wegen der Email-Adresse. Naja, und als ich gesehen habe, dass du neben ihm gesessen hast, war mein erster Gedanke: Verdammt, die hübschen Frauen sind immer vergeben.“

„Du hast gedacht, wir wären zusammen?“, fragte ich perplex und stellte erst danach fest, dass ich genauso gut hätte sagen können „Du fandst mich schon damals hübsch?“
 

„Naja…“ Katsumi gab mir eine Tasse und wies einladend auf den Kuchen, der auf seinem Bett lag, bevor er sich selbst das erste Stück nahm. Ich blieb jedoch erstmal auf meinem Stuhl sitzen. „Vielleicht nicht gerade zusammen“, meinte er kauend, „Aber als ich euch so sah, dachte ich, du wärst eine von denen, die zwar für Musiker schwärmen, sich letztendlich aber doch Typen aus ihrem Umfeld nehmen, weil sie denken, das wäre realistischer… Und, naja, ganz ehrlich –ich versteh nicht unbedingt, was in Frauen so vorgeht. Ich weiß auch nicht, was Frauen an Männern anziehend finden. Aber Kai ist einfach mal ein cooler Typ und optisch jetzt auch nicht gerade eine Baracke…und er stand dir offensichtlich näher als ich.“
 

Ich hob die Schultern. „Und trotzdem bin ich jetzt hier, oder nicht?!“, meinte ich provokant und beugte mich vor, um mir was von dem Kuchen zu nehmen. Während Katsumi geredet hatte, hatte ich mich bei Facebook ausgeloggt und das Fenster geschlossen. Ich konnte es nicht ertragen, dass gleichzeitig von Kai gesprochen wurde und ich seine Fotos immer im Augenwinkel hatte. Dieser Name schien heute wie ein Fluch auf mir zu lasten, und das, obwohl ich mich gerade heute eigentlich auf Katsumi konzentrieren wollte. Komisch, zuvor hatte es mich nie gestört, wenn einer der Jungs über den anderen redete. Aber das war auch noch nicht so oft vorgekommen…
 

Es klopfte an der Tür. Katsumi und ich sahen uns verwirrt an, dann verzog er den Mund und stand auf, um zu öffnen. Seine Vermieterin stand auf der Schwelle und fing sofort an zu reden. Sie regte sich furchtbar auf, ich wusste gar nicht, worüber, hörte aber irgendwas von Zigarettenkippen auf dem Rasen und wer denn bitteschön daran schuld sei. Katsumi redete beschwichtigend auf sie ein. Während die beiden diskutierten, beäugte ich den Kuchen und überlegte, welche Sorte ich als nächstes essen sollte. Und dann bemerkte ich ein vertrautes Brummen, das von meiner Tasche kam.
 

Kai rief mich an. Kurz überlegte ich, ob ich einfach auflegen sollte, als ich seinen Namen auf dem Display sah; aber dann warf ich einen kurzen Blick zur Tür, der mir sagte, dass Katsumi wohl noch ein paar Minuten beschäftigt sein würde, und ging schließlich doch ran. „Hey. Was gibt’s?“

„Kommst du heute zu Takao?“, fragte er schlicht.

„Nein.“

„Später zu mir?“

„Eher nicht.“ Ich überlegte vielleicht eine Sekunde, bevor ich hinzufügte: „Ich bin bei Katsumi und werd wohl bis morgen bleiben.“

„Ach so.“

Ich wartete, aber mehr kam nicht. Auf einmal wurde ich furchtbar wütend. Konnte dieser Scheißkerl nicht mal den Anstand haben, eifersüchtig zu werden, wenn ich praktisch kurz davor war, mit seinem Konkurrenten ins Bett zu steigen und die Nacht durchzuvögeln?

„Vielleicht habe ich morgen Abend ein Bisschen Zeit für dich, aber ich weiß noch nicht“, sagte ich kalt.

„Ist okay. Sag einfach Bescheid, wenn du sicher bist.“

Innerlich explodierte ich bei diesen Worten. „Gut!“, quetschte ich heraus und konnte gerade noch so verhindern, dass ich laut wurde. Mit aller Kraft drückte ich den Knopf mit dem roten Hörer ein und hoffte, meine Aggression so bewältigen zu können, aber diese kleine Geste reichte bei Weitem nicht aus.
 

Katsumi kam zurück. „Nur weil sie mich einmal mit einer Kippe gesehen hat, denkt sie gleich, ich wäre der einzige, der ihren Garten verwüstet“, beschwerte er sich, „Dabei raucht mein Nachbar wie ein Schlot, der geht sogar mitten in der Nacht vor die Tür, wenn ihm die Lunge piept, weil drinnen dürfen wir ja nicht.“

„Hm“, machte ich zerstreut. In Gedanken verfluchte ich noch immer Kai. Energisch griff ich nach dem Kuchen und begann, ihn herunterzuschlingen. Katsumi beobachtete mich mit einem spöttischen Lächeln. „Keine Angst, ich ess dir schon nicht alles weg. Du kannst dir auch Zeit lassen“, meinte er, und erst jetzt bemerkte ich, wie hastig ich war und mir stieg die Hitze in den Kopf. Als er meine Reaktion sah, fing er an zu lachen und griff nach mir, um mich an sich zu drücken. „Hey, was auch immer bei euch gerade los ist“, murmelte er, „Ich bin da, okay?“
 

Ich wollte heulen. Es war so unfair, dass er so lieb zu mir war! –Doch dann dachte ich mir, warum eigentlich? Er tat doch genau das Richtige in dieser Situation: Seine Freundin hatte Sorgen, also kümmerte er sich um sie. Damit machte er seine Sache schon mal besser, als gewisse andere Herrschaften…

Ich drückte ihn sanft von mir weg. „Danke. Es geht schon wieder.“ Und fing sein Lächeln auf, das gleichzeitig tröstend und glücklich war. Das beschämte mich irgendwie; ich konnte nicht glauben, dass er überhaupt einen Grund dafür haben sollte, sich über meine Anwesenheit zu freuen. Aber das war wahrscheinlich wieder so ein Frauending. Zweckpessimismus oder so.
 


 

Als ich am nächsten Tag nach Hause fuhr, traf ich Yuriy in der Bahn. „Wo kommst du denn her?“, fragte ich ihn überrascht und er erzählte mir von einem Park am Stadtrand, in dem er heute Morgen fotografiert hatte. Er reichte mir sein „Heiligtum“, eine digitale Spiegelreflex, für deren Preis er sich laut eigener Aussage auch seinen Kleiderschrank neu hätte füllen können, und ich klickte mich durch die Bilder. „Die sind wirklich schön“, sagte ich anerkennend, als ich ihm das Gerät zurückgab, „Und ich find’s klasse, dass wir uns mal wieder sehen. Hab mich schon gefragt, ob du vielleicht auch einfach wieder abhaust, ohne Bescheid zu sagen. Dein Team vermisst dich ja.“

„Hast du etwa wieder auf Facebook gestalkt?“, entgegnete Yuriy und grinste, als er meinen unschuldigen Gesichtsausdruck bemerkte. „Naja, ich bleib nicht mehr allzu lange. Gibt ja noch Uni und Geldverdienen und so…“

„Alles überbewertet, wenn du mich fragst“, spottete ich, „Aber bevor du abhaust machen wir noch mal was, ja? Ich nehm mir auch extra Zeit, versprochen. Ich hatte ja auch eigentlich gedacht, dass ich dich noch öfter bei Kai sehe, aber der scheint dich ja immer rauszuschmeißen…“
 

„Ach, ich schmeiß mich eher selbst raus“, meinte Yuriy leichthin, „Hatte sowieso vor, mir die ganze Gegend anzugucken und ein paar Aufnahmen zu machen. Und da wollte ich Kai auch nicht immer mitschleppen. Er würde mich jetzt nicht stören, aber wenn er mit seinem Mädchen zusammen sein kann, anstatt irgendwo zu sitzen und ewig warten zu müssen, bis ich endlich mal den Auslöser drücke…“ Er hob die Schultern. „Also mir würde die Entscheidung nicht schwerfallen.“

Ich nickte lediglich und sah auf meine Schuhspitzen, die sich im Lichtfleck des Fensters befanden. Draußen schien die Sonne, und im Abteil lag ein leichter Geruch von Schweiß und abgegriffenen Kunststoffen. Ein perfekter Tag für einen Stadtbummel und Eisessen.
 

„Weißt du, wie es mit Rei inzwischen steht?“, fragte ich.

„Hm“, machte er, „Ehrlich gesagt hab ich keine Ahnung. Kai ist ziemlich stur in der Sache. Er meinte nur zu mir, dass er Rei jetzt bestimmt nicht vorkauen würde, wie er zu handeln hatte und dass Rei schon selbst auf ihn zukommen muss, wenn er sich wieder beruhigt hat. Ich meine, es war ja auch ein ganz schöner Schuss in den Ofen für Rei, oder?“

„Wie meinst du das? Dass er eigentlich Kai zur Sau machen wollte wegen einer Frauengeschichte und Kai ihm dafür seine eigenen Fehler unter die Nase gerieben hat? Hm. Aber ich versteh immer noch nicht, warum die beiden sich jetzt anschweigen wie kleine Mädchen. Es nervt mich.“ Allein wenn ich daran dachte, war ich wieder gefrustet. Es gab doch gar kein Problem zwischen den beiden. Sie sollten sich lieber um Mao und mich kümmern, anstatt sich anzuschmollen. Aber da stand ihnen wohl wieder ihr hochheiliger Stolz im Weg…
 

Yuriy musterte mich von der Seite, doch ich ignorierte seine Blicke. „Ich verstehe schon, warum Kai so mauert. Er will einfach, dass Rei die Sache mit Mao endgültig klärt“, sagte er, „Und du kennst ihn ja: Wenn Rei dafür eine Person braucht, auf die er währenddessen seinen Frust schieben kann, stellt er sich dazu gerne zur Verfügung. Die Sache ist nur die, dass Kai selbst seine Frauenprobleme nicht so einfach lösen kann. Ich glaube, er hat dir die Entscheidung überlassen, Hiromi.“
 

Ja, das war mir auch schon klar geworden, stellte ich fest, ich war hier diejenige mit zwei Kerlen und das war ganz allein mein Problem. Niemand würde mir helfen, niemand würde mir die Entscheidung abnehmen. Ich war eine freie, emanzipierte Frau, die sich den Mann nehmen durfte, den sie wollte. Gott, es kotzte mich so an.
 

„Weißt du was, Yuriy?“, sagte ich, „Wenn Kai sich lieber um Rei Gedanken macht, als um mich, bitteschön. Ich werd mich von ihm trennen.“

Sieht nur so aus

Hatte ich schon jemals vor den Augen eines Mannes wegen genau dieses Mannes geweint? Nicht, soweit ich mich erinnern konnte. Bis jetzt hatte ich alle Trennungen hinter mich bringen und meine Tränen zurückhalten können, bis ich in Takaos Küche oder zu Hause saß; wenn es denn überhaupt welche gegeben hatte.
 

Danke, Kai!, dachte ich wütend, als ich mich endlich auf mein Bett werfen durfte. Ich hatte mit rotgeweinten Augen auf dem Bahnhof gestanden und während der Fahrt wieder losgeflennt, ohne es verhindern zu können. Angefangen hatte es schon viel früher; genauer gesagt, als Kai mir die Tür öffnete und ich ihn ansah.

Was denn los war, hatte er gefragt und sogar besorgt geklungen; aber ich war einfach an ihm vorbei nach drinnen gegangen und hatte angefangen, ihm die Karten auf den Tisch zu legen.
 

Dass ich einen wirklich schönen Tag mit Katsumi verbracht hatte. So begann ich.

Dass ich mich in seiner Nähe so verdammt gut aufgehoben fühlte.

Dass ich gemerkt hatte, wie gut er sich eigentlich um mich kümmerte.

Dass ich nicht das Gefühl hatte, von Kai die gleiche Aufmerksamkeit zu bekommen. Oder sonst irgendwas Vergleichbares.

Dass ich mich deswegen für Katsumi entschieden hatte.
 

In diesem Moment glaubte ich, nicht mehr atmen zu können. Einerseits wollte sich mein Körper nicht mehr bewegen. Andererseits schien die Luft im Raum dick wie Gallert. Ich starrte auf meine Knie hinab und lauschte auf eine Bewegung, einen Ton von Kai. Das Wasser lief mir immer noch über die Wangen, aber das war jetzt auch irgendwie egal, ich hatte schon jegliche Würde verloren.

„Okay…“, seufzte Kai, und wenigstens klang es so, als würde er sich nicht gänzlich wohl in seiner Haut fühlen.

Ich wartete. Aber es kam weiter nichts.

„Würdest du“, sagte ich ohne aufzublicken, „Würdest du so freundlich sein und noch was anderes sagen als ‚Okay‘?!“

„Was soll ich sagen, Hiromi?“, entgegnete er unsicher, immerhin, so viel war zu erkennen. „Ich muss das wohl akzeptieren.“
 

„Du bist so ein Arschloch!“, brüllte ich ihn an, „So ein verdammtes Arschloch!“ Ich hatte den Kopf gehoben und warf ihm einen wirklich hasserfüllten Blick zu. Doch Kai hob nur eine Augenbraue, und das versetzte mich noch mehr in Rage. „Ich hab keinen Bock auf einen Kerl, der sich nicht dafür interessiert, ob er gerade mit einer Frau zusammen ist oder nicht. Im Gegensatz zu dir hat Katsumi immerhin Ahnung davon, wann man mal was Nettes zu seiner Freundin sagen könnte! Stell dir vor, einfach so! So ganz ohne Grund! -Nicht mal jetzt sagst du was!“ Am liebsten hätte ich ihn dafür geschlagen. „Du kriegst einfach nicht das Maul auf!“ Ich sprang wieder auf und wollte einfach hinausstürmen. Immerhin hatte ich ja alles gesagt, was ich sagen wollte. Doch daraus wurde nichts, denn Kai hielt mich einfach fest und umarmte mich. Ich hatte nicht den Willen, um ihn wegzustoßen.
 

Kurz darauf war ich gegangen. Wir hatten nichts mehr gesagt und uns auch nicht mehr angesehen. Es war einfach vorbei.
 

Ich verbrachte den Rest des Tages im Bett, zu einem nicht geringen Teil heulend. Niemand störte mich, nachdem ich simpel verkündet hatte, dass ich nichts essen wollte. Erst, als es schon dunkel war, raffte ich mich auf und schaltete den Fernseher ein, um mich abzulenken. Ich sagte mir immer wieder, das Richtige getan zu haben. Und so war es ja auch, nicht wahr? Ich würde ein Bisschen trauern, und dann würde wieder alles so normal werden, wie es nur konnte, zumindest in der Gruppe. Die Freundschaft zwischen mir und Kai hatte aber wahrscheinlich einen solchen Knacks bekommen, dass sie nie wieder so eng wie früher werden konnte. Bei diesem Gedanken kamen mir erneut die Tränen hoch, aber dieses Mal war ich vorbereitet: ich hatte bereits eine Schachtel Taschentücher neben mir deponiert. Bis jetzt kannte ich so eine extreme Form von Beziehungsaustrauer nur aus dem Film.
 


 

Danach ging ich erstmal allen aus dem Weg. Auf meinem Handy sammelten sich die entgangenen Anrufe, doch ich ignorierte sie allesamt. Das hielt ich etwa drei Tage lang aus, dann nahm ich wieder Kontakt zu Katsumi auf und lenkte mich bei ihm ab. Zu Takao ging ich nicht; ich redete mich damit heraus, dass Showdown gerade sehr viel Stress hatten und jede helfende Hand gebrauchen konnten.

Natürlich war Takao nicht zufrieden mit dieser Antwort. „Mao, Rei und Kai benehmen sich auch total seltsam!“, warf er mir am Telefon vor, „Ich bin doch nicht blöd, Hiromi –könnte mir vielleicht einer von euch mal sagen, was hier eigentlich los ist? Erst streiten Rei und Kai sich, und jetzt behauptest du, du wärst zu beschäftigt, um Zeit mit deinen Freunden zu verbringen. Da ist doch was kaputt bei euch! Bitte, Hiromi…“, fügte er hinzu, „Ich will doch nur helfen…“

„Ich glaube nicht, dass das eine gute Idee ist“, seufzte ich in den Hörer, „Warte doch einfach ab, Takao…das renkt sich schon wieder ein. Vertrau mir, okay?“ Daraufhin musste er mir ja zustimmen. Zwar hörte er sich nicht im Mindesten zufrieden an, aber was sollte er denn machen? Wenn die anderen nicht mit der Sprache herausrückten, schön, von mir würde auch niemand was erfahren. Dazu hatte ich keinen Bock mehr.
 

Stattdessen verbrachte ich meine Zeit mit den Jungs von Showdown. Ich bemühte mich, so normal wie möglich zu wirken, und sie schafften es, mich abzulenken. Tatsächlich war es nicht einmal allzu weit hergeholt gewesen, als ich Takao damit abgespeist hatte, dass die Band gerade vielbeschäftigt war. Sie spielten die neuen Songs ein und verbrachten viel Zeit mit Proben; gleichzeitig telefonierten sie ständig herum und versuchten, Auftritte ans Land zu ziehen. Obwohl sie MingMings Vorband waren, ließ der große Durchbruch auf sich warten. Vielleicht lag es an dem Musikgenre, das sie bedienten und das dem der Sängerin zu fremd war. Das war ungefähr der gleiche Effekt, als hätte man Britney Spears vor Dir En Grey auftreten lassen.

So spielte sich ein Großteil der Bandvermarktung noch immer übers Internet ab. Da ihr selbsternanntes Streetteam Videos von ihrem großen Auftritt gedreht hatte, hatten sie in den letzten Wochen sogar einige Fans dazugewonnen. Um sie zu unterstützen bot ich an, ihre offizielle Facebook-Seite zu verwalten, und diese Aufgabe stellte sich als durchaus dankbar heraus. Mich lenkte es von meinen Sorgen ab und die Jungs waren um eine Pflicht erleichtert.
 

Ich beantwortete gerade einige Fragen von Fans auf ebendieser Seite, als Katsumi mir von hinten die Augen zuhielt. „Geh zurück in den Proberaum!“, befahl ich ihm gespielt herrisch, „Ihr seid noch lange nicht fertig!“

„Jawoll, Ma’am!“ Er salutierte. „Ich würd dich vorher nur gern fragen, ob du Lust hast, am Wochenende auszugehen.“

„Wir beide?“, fragte ich skeptisch, denn ich wusste, dass weder seine, noch meine finanzielle Lage am Ende des Monats gut aussah, „Ausgehen?“

„Naja, eigentlich nur im übertragenen Sinn…“, meinte er und setzte sich neben mich, bevor er ausholte: „Wir haben endlich einen Auftritt an Land gezogen. Ein paar befreundete Bands mieten zusammen das ‚Trash‘ für nächsten Samstag und haben gefragt, ob wir uns anschließen. Du weißt ja, wie das läuft.“ Ich nickte. Solche Konzerte wurden oft organisiert. Es traten gleich mehrere Bands auf, dafür nur sehr kurz, und mit den eingenommenen Geldern wurde die Miete bezahlt. Dabei kam selten Gewinn raus, aber durch geschickte Mundpropaganda und ein bis zwei bekanntere Bands ließ sich da schon was reißen.

Das „Trash“ war eigentlich der ideale Ort dafür. Es war ein kleiner Club in günstiger Lage, der vielleicht dreihundert Mann fassen konnte. Es gab eine Bar und einen für die Verhältnisse recht großzügigen Backstagebereich. Und das wichtigste: der Laden war szenig genug, um die Leute anzuziehen.
 

„Also wird unser Date dann so aussehen, dass du dich mit deinem Mikro beschäftigst und ich dir dabei zusehen darf“, meinte ich und grinste ihn breit an, um zu signalisieren, dass das nur ein Scherz sein sollte. Doch Katsumi wirkte trotzdem etwas geknickt. „Tut mir Leid. Ich verspreche dir, dich auszuführen, sobald wieder etwas Geld in der Kasse ist.“

„Schon gut“, sagte ich, „Ich weiß doch. Ich würde gerne helfen, ist noch etwas zu organisieren? Vielleicht Werbung machen? Habt ihr Flyer?“
 

Zwei Stunden später spazierte ich durch die Einkaufsmeile, einen Beutel mit Flyern in der Hand, die ich von einer der anderen Bands abgeholt hatte. Ein kurzer Blick auf das Blatt hatte gezeigt, dass ich viele der Namen schon mal gehört hatte, auch wenn ich im Moment nicht genau wusste, wann und wo. Vermutlich im Zusammenhang mit dem „Kittchen“. Oder im Internet.

Ich klapperte die Cafés und Bars ab, da man hier gut Flyer deponieren konnte. Manchmal ließ ich sie auch „zufällig“ irgendwo liegen, in der Bahn oder auf Bänken. Ein guter Anlaufpunkt waren auch Buchläden und Elektrogeschäfte. Da musste man zwar ein bisschen aufpassen, aber wenn man es ein paarmal machte, war es ganz einfach, die Zettel in Büchern und zwischen CDs zu platzieren.
 

„Hey!“ Als ich, einen Stapel Flyer noch in der Hand haltend, einmal wieder auf die Straße trat, wurde ich angesprochen. Vor mir stand eine Gruppe Mädchen, vielleicht fünfzehn Jahre alt, rockig zurechtgemacht. Sie beäugten mich schüchtern. „Ja?“, fragte ich neugierig, und eine von ihnen, blondiert, deutete auf meine Hand. „Verteilst du Flyer für Showdown?“

Ich folgte sinnloserweise ihrem Fingerzeig. „Ja, unter anderem“, antwortete ich, „Wollt ihr welche? Die Jungs geben am Samstag ein Konzert im ‚Trash‘. Kommt doch vorbei, wenn ihr…könnt.“ Ich wollte nicht „wenn ihr dürft“ sagen. Sie würden schon irgendwie reinkommen. Auf meine Worte hin nickten die Mädchen begeistert und ich teilte großzügig Flyer aus. „Wir können auch noch ein paar verteilen!“, riefen sie und ich gab ihnen noch mehr. Konnte mir nur recht sein, wenn sie mir ein bisschen Arbeit abnahmen.
 

„Bist du eigentlich vom Streetteam?“, fragte jetzt eine andere, dunkelhaarig mit pinken Strähnen. Ich schüttelte den Kopf und bemerkte, wie sie sichtlich erleichtert ausatmeten. „Was ist denn mit dem Streetteam?“, fragte ich, da mich diese Reaktion doch etwas stutzig machte. Die Mädchen erzählten mir daraufhin eine recht unschöne Geschichte: Sie waren auf MingMings Konzert gewesen und hatten das Glück gehabt, ebenfalls in der ersten Reihe zu stehen, allerdings auf der anderen Seite des Steges. Hinter ihnen mussten die Damen vom Streetteam gestanden haben, denn als diese mitbekamen, wie sich die jüngeren über Showdown unterhielten, fingen sie an, sich lautstark zu beschweren. Warum denn die Babys vorn stehen mussten und seit wann Showdown so kommerziell geworden war, das kleine Emokinder sie toll fanden. Während des Auftritts der Band begannen sie sogar zu rangeln und versuchten, die Mädchen nach hinten zu ziehen, um selbst an die Absperrung zu kommen. Dabei hatten sie unentwegt nach den Jungs geschrien.
 

Mit steigender Fassungslosigkeit hörte ich mir alles an. „Also“, schlug ich dann vor, „Ich kann die Jungs fragen, ob sie vielleicht auf ihrer Website Stellung dazu nehmen und solche Fans wie die, von denen ihr erzählt, mahnen, damit so etwas nicht mehr passiert. Aber mehr können sie leider auch nicht tun, sie können ja nicht kontrollieren, was ihre Fans machen…“ Doch das genügte scheinbar schon, denn augenblicklich war ich für die Mädchen wohl der größte Held. Ich musste ihnen dreimal versichern, das wirklich zu machen und mir noch eine Weile ihr aufgeregtes Gerede anhören, bevor sie in eine andere Richtung abschnürten. Irgendwie war das ja auch süß. Und es erinnerte mich ein bisschen an mich selbst…
 


 

Das Wochenende kam schließlich schneller heran, als erwartet. Die restlichen Tage bis dahin hatte ich damit verbracht, die Jungs zu unterstützen, wo es nur ging. So lernte ich auch die anderen Bands persönlich kennen. Ich hätte am Samstagabend sogar die Kasse gemacht, doch war ich nicht die einzige Helferin, und so kümmerte ich mich um die Getränke, während die Freundin eines Gitarristen am Eingang Stellung bezog. Die Auftritte der ersten beiden Gruppen verpassten wir beide, denn es kamen immer noch Nachzügler und backstage war bei weitem noch nicht alles so, wie es meiner Meinung nach zu sein hatte. Erst bei der dritten Band trafen wir uns wieder vor der Bühne, nickten einander kurz zu und blickten dann zu den Musikern auf. Es war alles in allem eine gute Mischung: Grundsätzlich eher hart, Metal und Punk in verschiedenen Ausprägungen, manchmal eher anstrengend, aber auch sehr gut. Die meisten spielten um die fünf Songs, was mit allem Drum und Dran jeweils dreißig Minuten dauerte. So hatten wir es vorher geplant, und so war ich sehr zufrieden mit dem reibungslosen Ablauf. Der Stress der letzten Tage hatte sich offensichtlich gelohnt.
 

Die vierte Band erfreute sich ziemlicher Beliebtheit, weshalb binnen weniger Minuten ein kleiner Moshpit vor meiner Nase entstand, vor dem ich schließlich floh, als ich es satt hatte, im Minutentakt stolpernde Kerle wieder zurück ins Getümmel zu stoßen. Ich drehte mich um und bahnte mir einen Weg durch die Menge, versuchte, irgendwie in Richtung Bar zu kommen, die Gott sei Dank grellblau ausgeleuchtet und somit schnell zu finden war. Das Licht nicht aus den Augen lassend quetschte ich mich zwischen den Leuten hindurch und verzog das Gesicht, wenn jemand, den ich berühren musste, allzu verschwitzt war. Hier schob ich einen Arm zur Seite, da prallte ich gegen eine Schulter, und dann –stand plötzlich Kai vor mir.
 

Ich starrte ihn an wie einen Geist und er starrte einfach zurück. Falls er erstaunt war, ließ er es sich schon lange nicht mehr anmerken. „Was machst du denn hier?“, fragte ich, weil mir so schnell nichts Besseres einfiel. Ich hätte natürlich auch einfach weitergehen können. Aber das war gar nicht so leicht in dem Gedränge.

„Ich sehe mir ‚2nd Gear‘ an“, antwortete Kai schlicht und nickte mit dem Kopf in Richtung Bühne, „Du bist wegen Showdown hier, oder?“

Ich nickte mechanisch und er wiederholte meine Geste. „Tja, dann…“, setzte ich an und wollte meinen Satz mit einer eleganten Verabschiedung beenden, doch in diesem Moment tauchte ein blondes Mädchen neben Kai auf. Alyona. Beinahe wäre mir die Kinnlade heruntergefallen. „Hey, Hiromi, das ist ja eine Überraschung!“ Sie lächelte mich breit und glücklich an und machte dann tatsächlich auch noch einen Schritt auf mich zu, um mich zu umarmen. Über ihre Schulter hinweg sah ich, wie Kai kurz die Stirn runzelte, als wollte er sie daran hindern, doch da hatte sie schon wieder von mir abgelassen. „Ach, was wundere ich mich überhaupt“, fuhr sie lachend fort, „Showdown treten ja auch auf. Kai hat mir erzählt, dass du mit Katsumi zusammen bist.“ Sie zwinkerte mir zu. Ich blickte wieder von ihr zu Kai, doch er hatte wieder einmal sein steinernes Pokerface aufgesetzt. Das durfte doch alles nicht wahr sein…
 

„Seit wann…“ Ich deutete von einem zum anderen. „Seit wann geht ihr wieder miteinander aus?“ Wenn schon, denn schon. Kai sollte eine volle Breitseite abbekommen. Doch Alyona winkte ab, eine Bewegung, die irgendwie überbetont wirkte. „Ach was, das ist kein Date“, meinte sie leichthin, „Wir sehen uns nur eine unserer gemeinsamen Lieblingsbands an. Obwohl ich sagen muss…“ Sie verzog das Gesicht, „2nd Gear waren auch schon mal besser…“

„Ach so“, brummte ich. Kein Date also. So ein Quatsch. Zumindest Alyona war an der Nasenspitze anzusehen, dass sie auf eine Zugabe bei Kai zu Hause hoffte. Binnen Sekunden wurde ich verdammt wütend, hielt mich jedoch zurück und dachte fiebrig darüber nach, wie ich ihm eins auswischen konnte. Dumm nur, dass mir vor lauter Zorn nichts einfiel.
 

Es war Katsumi, der mich rettete. Er tauchte plötzlich auf, fröhlich grinsend und eine Bierflasche in der Hand. „Hier bist du“, rief er mir ins Ohr, „Ich hab die ganze Menge nach dir abgesucht. Gar nicht so einfach! Bin über die Mädels vom Streetteam gestolpert und wär sie fast nicht mehr losgeworden.“

„Was ist?“, fragte ich, „Gibt’s Probleme? Soll ich helfen?“

„Nein, nein. Ich wollte nur noch ein bisschen Zeit mit dir verbringen. Heeey!“, rief er langgezogen, als er endlich bemerkte, dass die beiden anderen noch vor uns standen. Katsumi nickte Alyona zu und schüttelte Kai die Hand. „Gut, dass du da bist, wir müssen uns mal über Klamotten unterhalten…“ Ich verdrehte die Augen und zupfte an Katsumis Shirt, um ihn auf mich aufmerksam zu machen. Ich zog ihn zu mir herunter und küsste ihn demonstrativ. Das war billig, okay, aber das Beste, was mir gerade einfiel. Vermutlich ließ es Kai sowieso kalt, wie ihn alles kalt ließ, aber man wusste ja nie. Ich dehnte den Kuss aus, bis mich irgendwer unsanft anrempelte und ich zur Seite stolperte. War dieser blöde Moshpit jetzt zu uns gewandert, oder was? „Hey“ Ich nahm Katsumis Hand. „Kauf mir ein Bier, okay?“ Er nickte und ließ sich von mir mitziehen, drehte sich aber noch einmal zu Kai und Alyona um. „Wollt ihr mitkommen?“ Doch Kai schüttelte den Kopf und deutete zur Bühne, bevor er sich umdrehte und in diese Richtung verschwand, gefolgt von seinem Mädchen. Ich wünschte, mein Blick hätte ihn von hinten erstechen können.
 

Katsumi trank sein Bier in meiner Gesellschaft aus, dann musste er wieder backstage, um sich auf den Auftritt vorzubereiten. Showdown würden in einer Viertelstunde spielen. Da 2nd Gears Nachfolger nicht so sehr meinem Geschmack entsprachen, entschied ich, ein wenig frische Luft zu schnappen. Also wieder ein Stück durch die Menge, die sich zusehends lichtete, je näher ich dem Ausgang kam. Dann schlug mir die Kälte von draußen entgegen. Inzwischen war es dunkel, doch rechts von mir konnte ich noch einen hellen Streifen hinter den Häusern sehen. Ich lehnte mich an die Wand und sah ein paar Leuten beim Rauchen zu. Von drinnen drang das stetige Wummern des Schlagzeugs heraus. Ich schloss die Augen und versuchte mich zu entspannen.
 

„Hey.“

Die Stimme kannte ich nicht. Überrascht blickte ich wieder hoch. Vor mir hatte sich eine Gruppe junger Frauen aufgebaut, die mich abschätzig musterten. Zuerst wusste ich gar nicht, was sie von mir wollen konnten, doch dann las ich den Druck auf ihren Shirts und wurde schlagartig nervös. Das Streetteam. Mir fielen die Mädchen von vor ein paar Tagen wieder ein. Ich hatte Katsumi und die anderen tatsächlich dazu überredet, einen Apell auf ihrer Websites zu posten, in dem sie ihre Fans darum baten, sich nicht gegenseitig zu diskriminieren. Aber wie hätten die Damen vor mir herausfinden können, dass ich sie verpetzt hatte?

„Ja?“, fragte ich vorsichtig. Einfach weggehen ging nicht mehr. Sie hatten mich ziemlich eingekesselt. Ganz schöner Aufwand. Die wollten mir wohl wirklich eine kleine Lektion erteilen. Innerlich machte ich mich auf eine verbale Schlammschlacht gefasst.
 

„Sag mal, du bist doch die, die gerade mit Katsumi rumgemacht hat, oder?“, fuhr die Vorrednerin fort. Ich fiel aus allen Wolken. Scheiße: Eifersüchtige Fangirls. Jetzt wurde es brenzlig.

„Warum willst du das wissen?“, entgegnete ich provokant, obwohl ich mir im Klaren war, dass die ganze Sache auch gewaltig schief gehen konnte, wenn ich die Ladys zu sehr reizte. Hatte es wohl alles schon gegeben.

Die Sprecherin rückte mir noch ein Stück auf den Pelz. „Okay, ich sag’s jetzt nur einmal“, giftete sie, „Lass die Finger von ihm.“

Am liebsten hätte ich die Augen verdreht. Wie alt waren die? Doch bestimmt noch ein, zwei Jahre älter als ich. Und benahmen sich wie Sandkastenkinder. Die Situation wäre fast komisch gewesen, hätte ich nicht Angst davor haben müssen, dass sie mir mit ihren Plastiknägeln das Gesicht zerkratzten. Ich hob schließlich einfach die Schultern.
 

„Was soll das denn jetzt?“

„Findet ihr das nicht ein bisschen übertrieben?“, stellte ich die Gegenfrage, doch damit löste ich einen Schwall von Beschimpfungen aus, von denen ich keine einzige wirklich verstand, weil alle fünf durcheinander redeten. Automatisch wich ich vor der Lautstärke und der hysterischen Höhe ihrer Stimmen zurück und stieß mit dem Rücken gegen die Wand. Sie setzten mir nach, kreischten und gestikulierten alle gleichzeitig und kamen immer näher. Das wurde jetzt wirklich langsam gefährlich, stellte ich fest, als mir bereits der Geruch ihrer Parfums in die Nase stieg. Es würde nicht mehr lange dauern, bis der ersten schimpfen zu milde wurde und sie mir ins Haar griff. Ich versuchte, sie anzubrüllen, aber ihre Lautstärke stieg noch weiter an, sobald ich nur den Mund aufmachte.
 

„Lasst sie in Ruhe!“

Augenblicklich verstummte das ganze Streetteam und sah sich um. Ich schloss resigniert die Augen. Das durfte doch alles nicht wahr sein…
 

„Was willst du denn jetzt?“, fragte die Anführerin hochmütig und machte zwei Schritte auf Kai zu, der mit verschränkten Armen, eine nicht angezündete Kippe im Mund, vor uns stand und die Szenerie skeptisch betrachtete. Seufzend nahm er die Kippe und schob sie hinter sein Ohr, da er wohl erkannt hatte, dass er sie in den nächsten Minuten nicht rauchen würde. „Könnt ihr euch nicht wie zivilisierte Menschen benehmen und sie einfach in Ruhe lassen?“, wiederholte er und nickte dabei in meine Richtung, „Ich glaube nicht, dass es den Jungs von Showdown gefallen würde, wenn ihr Streetteam eher als Hooligans bezeichnet werden könnte. Habt ihr den Post auf ihrer Website nicht gelesen? Ihr stalkt doch sonst immer allem und jedem hinterher…“

Diese Worte beeindruckten die Ladys wohl irgendwie, denn sie grummelten nur unverständlich vor sich hin, anstatt Kai weiter anzuzicken. Und dann zogen sie tatsächlich ab. „Sonst verpassen wir noch den Auftritt“, meinte eine von ihnen noch betont laut, dann waren sie im Club verschwunden.
 

Kai wandte sich halb von mir ab und zündete sich endlich seine Zigarette an. Ich blieb noch ein, zwei Minuten an die Wand gelehnt stehen, bevor ich mich schließlich von ihr abstieß. „Danke“, sagte ich im Vorbeigehen zu Kai und er sagte „Keine Ursache“ zu meinem Hinterkopf. Ich blieb stehen und ärgerte mich über mich selbst. Doch dann drehte ich mich doch noch mal zu ihm um. Er fing meinen Blick auf, erwiderte ihn abwartend und stützte eine Hand in die Hüfte. Stieß einen Strom weißen Rauchs aus, nur, um gleich darauf einen weiteren, tiefen Zug zu nehmen.
 

Der einzige Grund, warum ich Kai nie darum gebeten hatte, mit dem Rauchen aufzuhören, war, weil er dabei so verdammt gut aussah. Und das, obwohl ich es absolut nicht leiden konnte, wenn er beim Küssen danach schmeckte.
 

„Ich wünsch dir noch viel Spaß mit Alyona“, meinte ich, „Heute Nacht.“

Er hob die Schultern. Augenscheinlich hatte ich ihn damit nicht getroffen, aber wer wusste schon, wie es in ihm aussah. „Ich glaube, eher nicht“, entgegnete er gleichgültig. Nun war es an mir, mein Desinteresse auszudrücken. „Auch gut“, sagte ich also und setzte meinen Weg fort.

Im Türrahmen traf ich auf Alyona, die den Mund zu einer Frage öffnete, doch ich schnitt ihr das Wort ab, indem ich ihr kurzerhand verkündete, dass Kai draußen sei, falls sie ihn suche. Daraufhin zog sie fröhlich ab.
 

Über die Menge hinweg konnte ich noch einen Teil der Bühne sehen. Katsumi lief von links nach rechts und wieder zurück, schrie, tobte und sang wie immer. Der ganze Laden gehörte ihm und ich genoss sein Schauspiel. Ein paar Minuten stand ich so da und wippte im Takt, dann war das Lied zu Ende.

Ob Kai und Alyona gegangen waren? Oder lehnten sie vielleicht an der Wand, total miteinander beschäftigt, genau dort, wo ich gerade gestanden hatte?

Zögernd wendete ich mich wieder der Tür zu. Neugierig war ich ja schon. Also drückte ich die Klinke nach unten und öffnete sie einen Spalt breit, während hinter mir die ersten Töne des neuen Songs erklangen. Wenn die beiden draußen tatsächlich rummachen sollten, würden sie es sofort bemerken, dass jemand nach draußen kam, denn die Lautstärke nahm bei geöffneter Tür schlagartig zu. Doch es war alles ganz anders.
 

Kai und Alyona nahmen keine Notiz von mir. Sie waren viel zu sehr damit beschäftigt, sich zu streiten. Fetzen einer russischen Diskussion drangen zu mir durch; es schien, als bräuchten sie nicht einmal Luft zu holen, während beinahe übergangslos der eine auf den anderen einredete und umgekehrt. Ich hatte Kai wirklich noch nie so außer sich gesehen, aber vielleicht unterstützte seine Muttersprache seine Wut. Sie wirkten beide sehr zornig, eher so, als wollten sie sich mit ihren Gesten erschlagen, anstatt mit ihnen das Gesagte zu untermalen.

Kurzum: Es war wirklich heftig, und ich konnte nur dastehen und mit geöffnetem Mund zusehen, bis Kai sich schließlich auf dem Absatz umdrehte und einfach ging.

Nicest Thing

Ich stand vor dem Dojo und kaute auf meiner Unterlippe herum. Vor ein paar Stunden hatte Takao eine Rundmail geschrieben und alle zu sich eingeladen. Wie immer eigentlich. Aber die letzten dieser Mails hatte ich ignoriert.

Ich hatte meine Jungs seit zwei Wochen nicht gesehen.

Ich wusste gar nichts. Nicht, ob Mao und Rei sich wieder zusammengerauft oder sich sogar getrennt hatten. Nicht, ob Kai doch wieder zu Alyona gerannt war. Nicht, ob überhaupt irgendetwas von Belang passiert war. Ich hatte einfach nicht hingehen können. Es war mir alles zu viel geworden, und ich hatte mich verkrochen wie eine Schnecke im Schneckenhaus. Jedesmal, wenn ich auf meinem Handy eine SMS oder einen Anruf von einem der Jungs sah, wollte ich es am liebsten irgendwo hinwerfen, wo ich es nicht mehr sehen musste. Schließlich hatte ich es tatsächlich ausgeschaltet, es kam mir vor, als wäre es das erste Mal seit Jahren, dass ich das tat. Und von da an konnte ich wieder klarer denken.
 

Ich ging auch nicht mehr mit Katsumi auf irgendwelche Konzerte. Die Gefahr, dort auf Kai zu treffen, war wirklich zu groß. Und spätestens unsere letzte Begegnung hatte mir gezeigt, dass ich Abstand von ihm brauchte. Seit ich an diesem Abend mit Katsumi nach Hause gegangen war, fühlte ich mich zunehmend mieser. Einerseits fragte ich mich die ganze Zeit, wegen was zum Teufel Kai und Alyona sich so heftig gestritten hatten. Andererseits sah ich ihn auch immer nur einfach vor mir. Wie er in der Menschenmasse plötzlich vor mir stand. Wie er das Gesicht verzog, als Alyona mich ahnungslos umarmte. Wie er an einer Zigarette zog (dabei verengte er die Augen, als würde er angestrengt nachdenken) und beim Sprechen langsam weißen Rauch ausstieß.
 

Das war einfach zu viel. Ich musste einen Schlussstrich ziehen, oder es würde mir nie gelingen. Also kappte ich jede Verbindung zur Clique. Natürlich taten mir die anderen, die doch nichts mit der Sache zu tun hatten, Leid. Sie wussten gar nicht, warum ich so handelte. Und besonders Mao hätte bestimmt eine Freundin nötig, die sie trösten konnte.

Das war doch alles krank. Mao zwang sich, still zu halten und zu lächeln, während Rei seine verfrühte Midlife-Crisis an ihr ausließ, und ich versteckte mich, um Kai ja nicht unter die Augen zu treten. Warum machten wir so etwas? Wir konnten auch einfach auf die Kerle zugehen und ihnen klipp und klar erklären, dass es so nicht laufen konnte. Dass sie sich gefälligst selbst am Riemen reißen sollten.

Aber dann war mir eingefallen, dass das vielleicht Mao helfen würde, aber nicht mir. Jemandem wie Kai zu sagen, er solle sich zusammenreißen, war ein Eigentor epischen Ausmaßes.
 

Ich stand also vor dem Dojo und hoffte inständig, dass nicht alle die mühsam halb-verarbeiteten Gefühle wieder hochkamen, wenn ich es betrat.

„Hiromi? Hey, schön dich zu sehen!“ Ich drehte mich zu dem Sprecher um und sah Max, der gerade von seinem Fahrrad absaß. „Hey“, grüßte ich zurück und merkte erleichtert, dass ich wirklich froh darüber war, ihn wieder zu sehen.

„Schön, dass wenigstens du kommst“, meinte Max gut gelaunt und ging voraus ins Dojo, „Rei hat schon wieder angefangen zu lernen, weil es für eines seiner Seminare im nächsten Semester einen Eingangstest gibt. Und Kai muss arbeiten, hat er gesagt.“

„Oh, schade“, murmelte ich, doch in Wahrheit war ich einfach nur erleichtert. Kais Abwesenheit würde das Ganze nur einfacher machen. Aber dann stutzte ich: „Er muss arbeiten?“
 

„Jepp“, antwortete Max, „Sein Großvater gibt ihm wohl wieder mal nicht genügend Geld, also hat er einen Nebenjob genommen. Barkeeper oder so. Irgendwas mit Alkohol jedenfalls.“ Er lachte. „Es wird ihn umbringen, wenn er im Semester weiterarbeitet, aber du kennst ihn ja.“ Ich schnaubte. Kai kam normalerweise erst zu der Erkenntnis, dass irgendwas falsch lief, wenn er kurz vorm Zusammenbruch war. Dass er uns davor schon wochenlang mit seinem zombiehaften Aussehen schockierte, merkte er irgendwie nicht, oder besser: er ignorierte unsere besorgten Äußerungen gekonnt.

Wir betraten das Wohnzimmer der Kinomiyas, wo Takao mangalesend auf uns wartete. Neben ihm saßen Daichi und Kyouyju und wählten lustlos ein Fernsehprogramm. Sie freuten sich allesamt darüber, mich zu sehen und unterließen es Gott sei Dank, mich mit Fragen zu löchern. Vielleicht hatten sie aus meinem Verhalten geschlossen, dass ich irgendwann von alleine reden würde, oder gar nicht. Schließlich waren in letzter Zeit schon genug seltsame Sachen innerhalb der Gruppe passiert.
 

„Wisst ihr, was ich heute gefunden habe?“, fragte Takao später. Wir hatten die erste Stunde unseres Treffens damit verbracht, einen alten Film zu gucken und dabei Knabberzeug in uns reinzustopfen. Die Gespräche hatten sich auf blöde Kommentare zur Filmhandlung beschränkt, aber die Stimmung war trotzdem durchweg gut. Gemütlich und friedlich. Wie die faulen Wochenenden von vor ein paar Jahren, die wir oft abhielten, wenn wir Kai dazu überreden konnten, nicht jede freie Minute mit Beyblade-Training zu verbringen.

„Na?“, fragte Max erwartungsvoll, doch gerade, als Takao zu einer Antwort ansetzen wollte, ging die Tür auf und Mao kam herein. „Hallo. Tut mir Leid, dass ich zu spät bin.“ Dann sah sie mich. Auf ihrem Gesicht breitete sich ein breites Lächeln aus, und sie fiel mir in die Arme. „Na endlich bewegst du deinen Hintern wieder hierher!“, rief sie aus, „Ich wollte schon zu dir kommen und nachsehen, ob du dich nicht vielleicht erhängt hast oder so!“

„Schön, dich wiederzusehen“, murmelte ich und es war ehrlich gemeint. Ich hatte sie vermisst. Wir sahen uns an und wussten wohl beide, dass wir uns bald noch einmal lang und ausführlich unterhalten mussten. Aber nicht jetzt. Hier hatten wir nicht die Ruhe dazu.
 

Ich zog Mao neben mich auf die Couch und drückte ihr eine Schüssel mit Chips in die Hand. Der Nachmittag versprach besser zu werden, als ich mir hätte erhoffen können. „Na was hast du denn nun gefunden, Takao?“, nahm ich den angefangenen Gesprächsfaden wieder auf. Takao hob den Zeigefinger und griff neben sich, wo etwas auf dem Boden lag. Es war ein Fotoalbum.

„Oh, Fotos! Was denn für welche?“, fragte Mao neugierig, während Max das Buch erkennend musterte. „Oh Gott, ich erinnere mich!“, sagte er, „Das ist unser Bladebreakers-Album!“

Das Bladebreakers-Album. Natürlich. Kurz nach dem Justice-Five-Turnier hatte Mr. Dickinson uns dicke Ordner übergeben, die er aus der alten BBA-Zentrale mitgenommen hatte und Takao zur Aufbewahrung überließ, bis ein neues BBA-Gebäude errichtet sein würde. In diesen Ordnern hatten wir neben vielen offiziellen Schriftstücken auch Fotos von den verschiedenen Turnieren gefunden. Daraufhin hatten wir festgestellt, dass sich auch in unserem privaten Besitz der ein oder andere Schnappschuss befand. Und so war dieses Album entstanden. Ich hatte es eigentlich nie ganz zu Gesicht bekommen, weil die Jungs es zusammengeklebt hatten, als ich im Familienurlaub gewesen war, und danach war irgendwie lange keine Zeit gewesen, es sich anzusehen. Und dann hatten wir es vergessen.

„Hier, nimm“, sagte Takao und reichte Mao das Album. Er ging um die Couch herum, um ihr über die Schulter zu sehen. Wir anderen beugten uns von links und rechts über das Buch.
 

Die erste Seite zeigte die Profilbilder der Jungs vom ersten Turnier, an dem sie alle teilgenommen hatten und das zur Gründung der Bladebreakers geführt hatte. „Oh mein Gott, ihr seht so jung aus!“, stellte ich laut fest, denn zu dieser Zeit hatte ich die Jungs ja auch noch nicht gekannt. „Takao, du hast total den Babyspeck!“, giggelte Mao und deutete auf Takaos Bild, woraufhin hinter uns nur ein beleidigtes Brummen ertönte. „Wir hatten alle Babyspeck“, murmelte er, „Guck dir doch Reis Pummelgesicht an!“

Auf der nächsten Seite fanden wir einen Zeitungsartikel, der vom Sieg der Bladebreakers bei den Asian Tournaments berichtete. „Meine Güte!“, stieß Max überrascht aus, „Ich habe bisher nie gemerkt, dass Kai auf diesem Bild tatsächlich lächelt!“

„Wahrscheinlich vor Erleichterung, weil er es entgegen aller Vermutungen doch überlebt hat“, kommentierte Takao.
 

So ging es weiter. Seite um Seite verfolgten wir den Weg des Teams durch Asien, Amerika und Europa. Es gab Aufnahmen von Battles und Pressekonferenzen, aber auch Unmengen an Schnappschüssen aus ihrer Freizeit. Mehr als einmal sah man Takao sich auf ein Buffet stürzen oder Kyouyju an einem Blade basteln. Da waren auch die typischen Touristenfotos, auf denen sie vor irgendwelchen Wahrzeichen posierten. Und einmal hatten sie es sogar geschafft, Kai im Schlaf zu knipsen.

Takao stieß zufrieden die Luft aus. „Ich wusste, ich würde ihn kriegen, hah!“, meinte er, „Ohne Streifen, ohne Haarspray und schlafend! Liebe Leute, das ist der Beweis: Kai Hiwatari ist ein Mensch!“

Ich lächelte in mich hinein und betrachtete das Foto. Er sah immer noch beinahe genauso aus, wenn er schlief…
 

„Haha, sieh mal!“ Max deutete auf ein anderes Foto, „Kennst du den?“ Ich beugte mich noch ein Stück weiter über das Buch und runzelte die Stirn. „Ist das Yuriy?“, fragte ich ungläubig.

„Psycho-Mode“, ergänzte Takao, „Da war noch nicht so gut mit ihm Kirschenessen.“

„Ich seh’s“, murmelte ich. Selbst auf Papier war dieser Blick noch unheimlich genug. Wer war bloß so lebensmüde gewesen, davon ein Foto zu machen? Ich war froh, den Russen erst Jahre später kennengelernt zu haben.

Dann die Bilder aus der Zeit, in der ich die Jungs kennenlernte. Die harten Trainingseinheiten am Strand. Morgens, mittags, in der Abendsonne. Das Barbecue… „Das Barbecue!“, riefen Takao und ich gleichzeitig aus. „Was ist damit?“, fragte Daichi, also erzählten wir abwechselnd, wie wir uns mal wieder zerstritten hatten und zur Versöhnung diese Grillparty am Kanal veranstalteten.
 

Fotos von den Saint Shields. Fotos von den Psykicks. Fotos von Zeo Zaggart.

„Hat man von ihm eigentlich noch mal was gehört?“, fragte Kyouyju.

„Jepp“, antwortete ich, denn ich hatte vor ein paar Monaten erst seinen Namen in einem Bericht gelesen, „Er soll sich in Europa rumtreiben und den Majestics ordentlich einheizen.“

„Oh, wisst ihr, was ich gehört habe?“, fügte Max hinzu, „Erinnert ihr euch noch an Carlos?“ Nachdenkliches Schweigen und verständnislose Blicke. Dann schnipste Takao mit den Fingern: „Klar! Der Typ von den Blade Sharks! Der war schuld daran, dass Kai und ich uns überhaupt kennengelernt haben.“

„Kennen und lieben, heh?!“, stichelte Max, „Aber ja, ich meine genau den. Der ist in Amerika aufgetaucht und hat vor kurzem Rick herausgefordert. Aber ich bin irgendwie nicht dahinter gekommen, wie das Match ausgegangen ist.“

„Moment mal.“ Ich hob beide Hände. „Das geht mir zu schnell. Wer ist Carlos, und warum hat er schuld an Takaos und Kais…nennen wir es Freundschaft?“
 

Daraufhin erzählten mir Max, Takao und Kyouyju von den wüsten Ursprüngen des Teams. „Kai war damals Chef der gefürchtetsten Blader-Gang in da hood“, sagte Max, „Aber Takao hatte natüüürlich keine Angst vor ihm und hat dafür erstmal ordentlich aufs Maul bekommen.“

„Hey!“, protestierte Takao, doch Kyouyju unterbrach ihn: „Er hat deinen Blade zu Konfetti verarbeitet, falls du dich nicht mehr erinnerst. Ja, ich würde sagen, da hast du aufs Maul bekommen, wie Max so schön sagt.“

Es war seltsam, so etwas erst jetzt zu erfahren. Aber die Jungs ließen sich Zeit und berichteten richtiggehend detailverliebt. Wahrscheinlich war auch die Hälfte von dem Gesagten übermäßig ausgeschmückt.
 

„Er war ein ziemliches Arschloch“, schloss Max achselzuckend.

„Ich find, da hat sich bis heute manchmal nichts dran geändert“, schickte Takao brummend hinterher und wurde dafür von seinem Vorredner in die Seite geknufft. „Na, ist doch wahr!“, beschwerte er sich, „In letzter Zeit war er wieder unerträglich. Ich meine, klar, sein Opa lässt ihn am ausgestreckten Arm verhungern, aber das ist ja nun nicht das erste Mal, und bis jetzt ist er deswegen noch nie so angepisst gewesen.“

„Schon mal dran gedacht, dass er wegen irgendwas anderem sauer sein könnte?“, meldete sich Daichi zu Wort, wofür er von uns allen überrascht angesehen wurde. Das machte ihn sichtlich verlegen; immerhin waren wir es auch nicht gewohnt, dass er sich in so ein Gespräch einmischte. Normalerweise konnte man mit Daichi gut übers Bladen, Manga und Anime reden, aber selten über irgendwelche zwischenmenschlichen Dinge. „Naja…“, fuhr er zögernd fort, „Ich meine, vielleicht liegt es ja gar nicht daran, dass sein Opa ihm wieder den Geldhahn zugedreht hat…vielleicht hat er ja andere Probleme…mit dem Studium oder…mit nem Mädchen oder so.“
 

„Mit nem Mädchen?“, fragte Takao zweifelnd. Ich sah Mao an und sie blickte mit gehobenen Augenbrauen zurück. Vermutlich dachte sie dasselbe, wie ich.

„Naja, diese Alyona zum Beispiel“, sagte Mao und ich war froh, dass sie es zur Sprache gebracht hatte. Verdammt, ich hatte doch gerade nicht über Kai nachdenken wollen. Aber ich war eben doch verdammt neugierig, ob ich was verpasst hatte. Schließlich konnte ich auch einen guten Grund gebrauchen, um wütend auf ihn zu sein. Das würde einiges erleichtern.

„Was, die? Nee!“, antwortete Max, „Hast du das gar nicht mitbekommen? Die hat ihn wohl dermaßen genervt, dass er sie in den Wind geschossen hat. Ist noch gar nicht so lange her…also, sie waren ja nicht mal zusammen, war wohl nur so ein ständiges Hin und Her, und dann hatte er doch keinen Bock mehr auf sie.“

„Sie wird ihn hassen“, murmelte ich.

„Na, davon kannst du ausgehen“, meinte Max, „Aber ihr Sexappeal in allen Ehren, Alyona war ne ziemliche Tussi, wenn du mich fragst. Wobei ich zwischendurch auch dachte, dass Kai einfach jemanden braucht, mit dem er sich anzicken kann. Aber es war schon heftig. Ich glaube, sie haben ewig darüber diskutiert, warum er immer noch das Foto mit dir, Hiromi, als Facebook-Profilbild verwendet. Ja, genau so“, fügte er hinzu und deutete auf Takao, der die Augen verdrehte, „Das hat Kai sich bestimmt auch gedacht.“

„Aber das erklärt ja schon mal einiges“, meinte Mao und warf mir einen vielsagenden Blick zu. Ich schüttelte unmerklich den Kopf. Nein. Ganz sicher nicht. Sie nickte, als wolle sie sagen: Oh doch, meine Liebe, und das weißt du.
 

„Ach, ich sag euch was“, sagte Takao grinsend, „Wahrscheinlich geht es in Wahrheit nicht um Alyona. Kai wird einfach Yuriy hinterherheulen, weil er sich jetzt wieder ohne seine Unterstützung mit uns rumschlagen muss.“

„Genau, das wird’s sein!“, bestätigte ich schnell und lachte. Je eher wir das Thema wechselten, desto besser. Sonst würde Mao mich mit ihren Blicken noch auffressen.

„Stimmt schon“, meinte nun auch Max, „Wenn Takao und Kai ein altes Ehepaar sind, dann sind Yuriy und Kai…“ Er suchte nach einem Vergleich.

„…Ein sich liebendes altes Ehepaar“, ergänzte Kyoujyu leise, wofür er von Max einen Schulterklopfer zur Belohnung bekam. „Genau!“
 

Während sie sich weiter unterhielten, klinkte ich mich ganz aus und griff nach dem Fotoalbum, um es selbst durchzublättern.

Ich hatte so vieles vergessen, stellte ich fest, als sich Seite um Seite die letzten Jahre vor mir entrollten. Und vor allem, das musste ich mir eingestehen und grinste dabei sogar in mich hinein, hatte ich vergessen, wie ich Kai damals angehimmelt hatte. Warum waren die Jungs eigentlich nie darauf gekommen, dass ich verschossen in ihn war? Man sah doch auf so vielen Fotos ganz deutlich diesen Blick, den ich aufgesetzt hatte. Vielleicht war es armselig, so zu gucken, aber als ich meinem alten Ich nun wieder entgegenblickte, dachte ich nur daran, wie schade es war, dass das alles nun schon so lange zurücklag.

Hatte Kai diese Blicke denn nie bemerkt?
 

All I know is that you're so nice,

You're the nicest thing I've seen.
 

Das lief jetzt schon so lange. Irgendwie war ich ja immer ein Wenig verliebt in ihn gewesen, selbst wenn ich mit anderen Kerlen gegangen war. Ich war gern in seiner Nähe, redete ganz ernst mit ihm oder nur über kompletten Schwachsinn. Ich stritt mich sogar gern mit ihm, weil ich bis jetzt immer gewusst hatte, dass er es mir nicht übel nehmen würde. Wir vertrugen uns immer verdammt schnell.

Außer jetzt, dachte ich.
 

I wish that we could give it a go,

See if we could be something.
 

Da tauchte es auf. Dieses Foto. Kai und ich an einer Strandbar auf dieser Party, zu der Max uns alle geschleppt hatte. Ich hatte einen pikierten Spruch über irgendeinen Fremden gemacht und guckte dementsprechend aus der Wäsche und Kai lachte sich kaputt. Wirklich kaputt. Ich glaubte, es gab kein anderes Bild, auf dem er so lachte.

Eine Ecke des Fotos war nicht auf dem Papier befestigt. Ich schob den Fingernagel darunter und merkte, dass die Klebestellen sehr leicht nachgaben. Die anderen beachteten mich gar nicht. Vorsichtig löste ich das Foto aus dem Buch und schob es unbemerkt in meine Handtasche.
 

I wish I was your favourite girl,

I wish you thought I was the reason you are in the world.

I wish my smile was your favourite kind of smile,

I wish the way that I dressed was your favourite kind of style.

I wish you couldn't figure me out,

But you always wanna know what I was about.
 

Ich wollte ihn sehen. Jetzt. Ich dachte gar nicht daran, mich nach dem Warum zu fragen, es war einfach so. Dieses Treffen war doch sinnlos; wir redeten nur über Belanglosigkeiten, um nicht daran erinnert zu werden, wie viele Probleme wir noch zu lösen hatten. Und die meisten Anwesenden wussten nicht einmal, worum es dabei ging.

Also, warum nicht den Anfang machen? Ich wusste nicht, was das für eine Aktion werden sollte, aber ich hatte nun einmal das starke Bedürfnis, mit Kai zu reden. Unruhig rutschte ich hin und her. Ich konnte einfach nicht still hier sitzen bleiben, wenn so vieles im Argen lag.

„Was ist denn, Hiromi?“, fragte Mao verwirrt, als sie meinen unbehaglichen Gesichtsausdruck bemerkte.
 

I wish you'd hold my hand when I was upset,

I wish you'd never forget the look on my face when we first met.
 

„Sag mal, Max…“, sagte ich, ohne auf ihre Frage einzugehen, „Du hast doch gesagt, Kai arbeitet in irgendeiner Bar. Weißt du, wo?“

„Willst du ihn besuchen?“, entgegnete er verwundert, „Oder wollen wir einen trinken gehen?“

Noch bevor jemand seine Zustimmung zu diesem Vorschlag geben konnte, lenkte ich ein: „Ach nein, ich wollte heute nicht trinken. Ich hatte eigentlich gehofft, dass er hier wäre, weil ich ihm noch was zurückgeben muss. Und naja, ich wollte sowieso nicht allzu lange bleiben und dachte…ich dachte, ich brings ihm dann noch schnell vorbei.“

„Oh, ach so“, meinte Max. Er klang etwas enttäuscht, und ich hoffte, dass ich sie alle nicht allzu sehr mit meinen Worten getroffen hatte. „Lass mich kurz überlegen, er hat irgendwas erzählt…“

„Die Bar heißt ‚Kaiser Wilhelm‘“, sagte Kyoujyu.

„Okay, Chef, jetzt wird’s unheimlich!“, fuhr Takao ihn an, „Woher weißt du das alles?“

„Im Gegensatz zu anderen höre ich zu“, entgegnete Kyoujyu scharf und tippte etwas in sein Telefon, das smarter war, als wir alle zusammen. Dann hielt er mir das Gerät unter die Nase. „Da hast du die Adresse.“
 

I wish you had a favourite beauty spot that you loved secretly,

'Cause it was on a hidden bit that nobody else could see.
 

„Danke“, sagte ich verdutzt, als ich auch noch Stift und Papier zum Abschreiben gereicht bekam.
 

Basically, I wish that you loved me
 

Dann packte ich hastig mein Zeug zusammen und verschwand.
 

I wish that you needed me,

I wish that you knew when I said two sugars, actually I meant three.

I wish that without me your heart would break,

I wish that without me you'd be spending the rest of your nights awake.

I wish that without me you couldn't eat,

I wish I was the last thing on your mind before you went to sleep.
 

„Kaiser Wilhelm“ war gar nicht so weit von Kais Wohnung entfernt. Ich kannte die Gegend sogar, weil es hier ein paar gute Klamottenläden gab und einen Herrenausstatter, zu dem die Jungs immer gingen, wenn sie sich für irgendeinen offiziellen Event einkleiden mussten. Die Bar selbst allerdings war neu. Ich erinnerte mich dunkel, dass der Laden vorher ein Möbelgeschäft gewesen war. Davon war natürlich nichts mehr zu erkennen, man hatte die Inneneinrichtung komplett umgekrempelt. Am Eingang hing sogar noch ein Schild mit Stellengesuchen für Kellnerinnen und Kellner.

Insgesamt wirkte der Laden ziemlich szenig. Draußen standen ein paar grob gezimmerte Holztische mit passenden Stühlen, auf denen sich hippe Leute in der Sonne aalten. Als ich von der anderen Straßenseite aus nach drinnen spähte, erkannte ich verspielte Stuckelemente an den Wänden und Mobiliar mit roten Samtbezügen. Neobarock oder wie das hieß. Auf jeden Fall eine sehr coole Location.
 

Nun war aber die Frage, ob ich auch reingehen würde. Ich biss mir auf die Unterlippe. Was wollte ich noch mal hier? Ach ja, mit Kai reden.

Was für eine beschissene Idee.

Vielleicht konnte ich so tun, als wäre ich nur zufällig hier und wollte mir die Bar einfach nur mal ansehen. Aber ich wusste nicht, ob ich angemessen überrascht wirken würde, wenn ich Kai tatsächlich sah. Und überhaupt, worüber sollten wir schon reden? Bei allem, was zwischen uns passiert war, konnte es ja nur ein Thema geben, und das war mir verdammt unangenehm.

…Aber ich konnte auch einfach einmal daran vorbeigehen und gucken, ob von Nahem etwas mehr drinnen zu sehen war. Schaden tat das bestimmt nicht. Und außerdem war ich neugierig. Kais Anwesenheit sollte mich nicht davon abhalten, einen neuen Laden unter die Lupe zu nehmen!

-Ja, mir war klar, dass ich mir selbst etwas vormachte. Aber ich musste all meinen Mut zusammennehmen, um die Straßenseite zu wechseln. Ich wusste, wenn ich es nicht getan hätte, hätte ich mich noch viel mehr über mich geärgert. Immerhin war ich schon so weit gekommen.
 

Ich stand vor der Bar.

So.

Nur einmal dran vorbeigehen, dachte ich.

Setzte mich in Bewegung.

Und sah Kai.
 

Ich blieb wie angewurzelt stehen. Wer hätte denn auch ahnen können, dass der Tresen direkt am Fenster stand? Zum Glück stand er mit dem Rücken zu mir und sah meine entgleisten Gesichtszüge nicht. Als ich wieder einen tiefen Atemzug machen konnte und sich meine Glieder entspannten, ging ich ein Stück weiter und stellte mich neben eine Gruppe Touristen, die eine Karte studierten. Mit etwas Glück fiel ich ihm so nicht sofort ins Auge und konnte ihn noch eine Weile beobachten, während ich darüber entschied, ob ich reinging oder nicht.
 

Nicht, dass er irgendetwas Spannendes tat. Gläser putzen, den Tresen putzen…da danach immer noch kein neuer Gast aufgetaucht war, begann er, die Getränkekarte zu studieren. Wahrscheinlich musste er sie auswendig lernen.

Seltsamerweise hatte ich noch keine Tätigkeit, die von Kai ausgeführt wurde, als langweilig empfunden. Ich sah ihm einfach gerne zu, immer auf der Suche nach seinen kleinen, eigenen Gesten. Wenn er las, rieb er sich manchmal eine Stelle hinter dem linken Ohr oder zupfte an seiner Lippe (Aber das passierte wirklich selten. Kai war wie eine Katze; eigentlich achtete er immer darauf, dass er nicht so weit abschweifte, dass er nicht bemerkte, was er tat. Aber manchmal gab es Bücher, die waren einfach zu gut.).
 

All I know is that

you're the nicest thing

I've ever seen…
 

Hinter mir war es leise geworden. Die Touristen mussten wohl weitergegangen sein. Doch ich blieb, wo ich war; irgendwie war es ja auch egal. Ich beobachtete Kai.
 

And I wish that we could see if we could be something
 

Er richtete sich auf, legte die Karte weg und drehte sich um. Als hätte ich seinen Blick magisch angezogen, wanderte er zu mir. Wir starrten uns an, und ich glaube, ich blinzelte ein paarmal verwirrt.

Dann zog er einen Mundwinkel nach oben und bat mich mit einem Wink hinein.
 

And I wish that we could see if we could be something
 


 


 

Song: "Nicest Thing" von Kate Nash

Klartext

Gott, ich bin beinahe ein bisschen gerührt, dass ich es endlich wieder mal pünktlich geschafft habe ;.; Das Kapitel konnte sogar noch zwei Tage reifen, bevor es jetzt onkommt...Schönes Gefühl.
 

Ich saß wie bestellt und nicht abgeholt auf einem Barhocker, der übertrieben stark gepolstert war. Es roch noch ein wenig nach Farbe und anderen neuen Materialien, aber sie hatten es irgendwie geschafft, dass es nicht mehr penetrant war, obwohl „Kaiser Wilhelm“ erst seit ein paar Tagen geöffnet hatte.

Der Tresen war aus massivem, dunklem Holz und mit pompösen Schnitzereien verziert. An den bestuckten Wänden waren silberne Kerzenhalter montiert, unter denen kleine Sofas auf zierlichen Beinen standen. Auch sie waren mit großzügigen, roten Samtpolstern versehen. Wie gesagt, diese Bar war eine Ausgeburt des Neobarock. Im Vergleich zu draußen war das Licht zwar dem Ambiente entsprechend schummrig und alles wirkte verdammt fein, aber durch die vielen Stoffbahnen, die für die Einrichtung verwendet worden waren, blieb es doch irgendwie gemütlich.

Passend dazu lief im Hintergrund Panic! At The Disco.
 

„Wenn du etwas Trinken willst, such dir was von Seite Drei aus“, meinte Kai und schob mir die Karte zu, „Die sehen bei mir fast alle noch nicht so aus, wie sie aussehen müssten, also kann ich dir einen umsonst geben. Optisch misslungene Cocktails darf ich nicht verkaufen.“

„Dann macht dein Chef ja noch ganz schön Verluste…“, murmelte ich, während ich die Liste durchlas.

„Nope. Im Moment arbeite ich nur probehalber. Chef entscheidet nächste Woche, ob er mich einstellt.“

„Hm“, murmelte ich und wählte schnell irgendeinen der Drinks aus, dessen Namen ich nicht aussprechen konnte. Kai beugte sich mit gerunzelter Stirn ebenfalls über die Karte und war mir plötzlich so nahe, dass ich sein Shampoo riechen konnte. Ich zuckte zurück, doch er merkte es Gott sei Dank nicht. Wahrscheinlich war er mit den Gedanken bei dem Cocktailrezept, denn er griff unter die Arbeitsfläche und holte ein paar Flaschen hervor. Ich hob die Augenbrauen. So viel Alkohol –na das konnte ja lustig werden…

„Und?“, fragte er, während er ein paar Zentiliter abmaß und die Menge kritisch begutachtete, „Was verschafft mir die Ehre?“

„Ich hatte Lust, dich zu sehen“, antwortete ich wahrheitsgemäß, „Und mit dir zu reden. Ich war bei Takao, aber ohne dich war’s irgendwie langweilig.“
 

„Wer hätte gedacht, dass ich jemals der ausschlaggebende Punkt für Gelingen oder Misslingen eines Treffens sein könnte“, entgegnete er gestelzt und stellte einen bunten Drink vor meine Nase, den ich neugierig beäugte. „Also für mich sieht der okay aus“, meinte ich, um erstmal wieder ein neutrales Thema anzuschneiden. Kai brummte missmutig. „Das da unten dürfte sich eigentlich nicht so absetzen. Ich glaube, ich muss das Zeug noch länger schütteln…“ Ich hob die Schultern. Schmecken tat’s trotzdem, obwohl ich schon beim ersten Schluck bemerkte, dass wirklich mehr Alkohol darin war, als gut für mich wäre. Kai beobachtete meine Reaktion, deswegen nickte ich ihm kurz zu und trank gleich noch ein bisschen mehr.

„Du musst dich meinetwegen aber nicht betrinken, oder?“, kommentierte er. Ich schüttelte schnell den Kopf, stellte das Glas ein Stück zur Seite und stützte mich auf dem Tresen ab. „Und?“, fragte ich, wobei ich möglichst beiläufig klingen wollte, „Was machst du so? Also, außer Drinks mixen?“

„Illegal Bücher aus dem Internet downloaden“, antwortete er spöttisch, „Ich habe gerade die Liste fürs nächste Semester gesehen. Wenn ich die wirklich alle kaufen wollte, müsste ich meinen Großvater umbringen, damit ich ihn endlich beerben kann.“
 

Ach Gott, war es wirklich schon wieder soweit, dass das Semester bald anfing? Ich hatte mir in den letzten Wochen herzlich wenig Gedanken darum gemacht, denn meine Ausbildungsstelle hatte ich seit Ewigkeiten in Sack und Tüten gebracht, sodass ich nur noch auf den Tag warten musste, an dem sie anfing. Vorbereitungen waren da nicht nötig, aber da Kai und Rei mir ein Jahr voraus waren, hatte ich schon öfter erlebt, wie sie zu rotieren begannen, sobald der Unialltag wieder beginnen sollte.

„Der Job wird dich umbringen“, stellte ich lakonisch fest und deutete zur Unterstreichung auf mein Glas, „Wenn du jetzt wieder anfängst, gleichzeitig zu lernen und zu arbeiten, bist du in spätestens zwei Wochen tot.“ Kai hatte dafür nur ein Schulterzucken übrig. „Es geht nun mal nicht anders“, sagte er, „Voltaire hat eben ein mieses Timing. Er dreht mir immer sofort den Geldhahn zu, wenn es in der Firma Schwierigkeiten gibt. Vermutlich hat er bloß einen Auftrag nicht bekommen, aber das ist ihm schon genug. Dummerweise zicken seine Kunden regelmäßig zu Semesterbeginn rum. Ich hab ja schon überlegt, ob ich mich auf ein Stipendium bewerbe, aber ehe ich mich durch die ganzen Tests gearbeitet und mich mit allen Mitbewerbern geprügelt habe, fließt die Kohle entweder wieder oder bin ich längst tot.“

„Shit happens“, murmelte ich.

„Story of my life“, ergänzte er trocken. Ich versuchte zu ergründen, ob er mir (noch) böse war, aber er ließ sich wie immer nichts anmerken. Es gab nicht das kleinste Anzeichen darauf, dass er überhaupt an unsere Beziehung zurückdachte. Ich seufzte. Da musste ich wohl nachhaken.
 

„Ähm, ich hab gehört, dass du dich von Alyona getrennt hast…?“, setzte ich vorsichtig an und erntete einen genervten Blick. Kai warf das Handtuch, mit dem er gerade wieder ein Glas abgetrocknet hatte, zur Seite und stützte die Hände in die Hüften. „Was die anderen erzählen, ist kompletter Bullshit“, sagte er, „Ich hatte nichts mit ihr. Zugegeben…“ In diesem Moment wich er tatsächlich kurz meinem Blick aus, aber er fing sich blitzschnell wieder und sah mich an, „Ich will nicht behaupten, dass da gar nichts gelaufen ist. Aber wir waren verdammt noch mal nicht zusammen. Ich bin nicht so einer, der sofort zur nächsten rennt, wenn es mit der ersten nicht klappt…“, fügte er so leise hinzu, dass ich es kaum verstand. Sein Ton war aber keineswegs anklagend, also fühlte ich mich auch nicht beschämt –er wirkte wirklich eher wie eine Richtigstellung.

„Ich weiß doch“, murmelte ich entschuldigend.

Als danach betretenes Schweigen zwischen uns herrschte, hörte ich zum ersten Mal wieder auf die Musik. Ich erkannte den Song nach ein paar Takten und hätte am liebsten laut aufgelacht.
 

Is it still me that makes you sweat?

Am I who you think about in bed?

When the lights are dim and your hands are shaking as you're sliding off your dress?

Then think of what you did

And how I hope to God he was worth it.

When the lights are dim and your heart is racing as your fingers touch his skin.
 

Das passte beinahe unverschämt gut zu Kais Gesichtsausdruck, denn er sah mich wirklich äußerst aufmerksam an. Ich erwiderte seinen Blick und merkte, wie ich nun doch verlegen wurde.

Ich dachte manchmal an ihn, wenn ich neben Katsumi lag. Eigentlich dachte ich sowieso ständig über ihn nach…

Neben mir tauchte eine Kellnerin auf und gab im Vorbeigehen einen Kaffee in Bestellung. Kai unterbrach unseren Blickkontakt und wandte mir den Rücken zu, um die Kaffeemaschine zu bedienen. Ich starrte wie hypnotisiert seinen Rücken an, während das Gluckern und Rattern der Maschine die Musik übertönte. Es half nichts, ich war wieder beim Ausgangspunkt angelangt: Ich wollte Kai nicht einfach nur mal eben besuchen. Ich wollte zeigen, hier, da bin ich, überzeug mich gefälligst davon, wieder zu dir gerannt zu kommen.

Gott, das war ja so erniedrigend.

Der Kaffee war fertig, Kai schob ihn über den Tresen, damit seine Kollegin ihn abholen konnte, und klopfte dann das Kaffeepulver aus dem Portionierer. Und da bemerkte ich es; zuerst sah ich, dass er kaum merklich die Lippen bewegte, und dann hörte ich es sogar. Er sang ganz leise mit.
 

I've got more with, a better kiss, a hotter touch, a better fuck

Than any boy you'll ever meet, sweetie you had me

Girl I was it, look past the sweat, a better love deserving of

Exchanging body heat in the passenger seat?

No, no, no, you know it will always just be me
 

Auf einmal fühlte ich mich komplett entlarvt und wurde knallrot.

„Ist alles in Ordnung?“

Die Kellnerin war wieder neben mir aufgetaucht und stellte die Tasse auf ihr Tablett. Dabei musterte sie mich neugierig. „Ist Ihnen nicht gut?“ Auch Kais Aufmerksamkeit war mir so wieder sicher. Schnell winkte ich ab. „Nein, nein, es ist nur…ein bisschen warm hier drin…“ Über Kais Gesicht huschte ein Grinsen, für das ich ihn am Liebsten geschlagen hätte, doch seine Kollegin gab sich mit der Ausrede zufrieden und zog wieder ab.

„Also jetzt mal Klartext, Hiromi“, sagte Kai, sobald wir wieder unter uns waren, „Ich habe seit zwei Wochen kein Wort mehr von dir gehört, und wir haben noch nie so wirklich über diese Sache zwischen uns geredet. Das willst du doch nachholen, oder?“

Ich verzog den Mund. Ja, das wäre zumindest ein guter Anfang, obwohl ich schon wieder nicht wusste, ob ich einfach ganz neutral über „diese Sache“ sprechen konnte, wo er mir doch sofort wieder den Kopf verdrehte.

„Hast du denn Zeit?“, fragte ich und hoffte, dass er passen musste. Doch natürlich hob er nur beide Hände, um zu signalisieren, dass sowieso nicht viel los war und er praktisch alle Zeit der Welt hatte. „Kaffee?“, bot er mir an, und dazu sagte ich nicht nein.
 

Nachdem er das erledigt hatte, kam er vor den Tresen und setzte sich ebenfalls auf einen Barhocker. Ich fragte mich kurz, was wohl sein Chef dazu sagen würde, aber ihm schien dieser Gedanke gar nicht zu kommen. Er sah eine Weile zu, wie ich erst den Cocktail austrank und dann den Kaffee umrührte, bevor er wieder zu sprechen begann: „Also, das hilft dir jetzt bestimmt nicht weiter, aber ich wollte nur sagen, dass ich natürlich verstanden habe, warum du das beendet hast…“

„Naja, mir war eigentlich klar, dass du das tust“, entgegnete ich spöttisch, wodurch es mir tatsächlich gelang, dass er sich verlegen am Kopf kratzte.

„Jaah“, machte er langgezogen, „Ich weiß, dass ich einen Fehler gemacht habe. Du bist schließlich nicht wie Alyona –hey, ist nicht böse gemeint!“, sagte er schnell, als ich empört die Luft einzog. „Ich meine, mit dir kann man halt nicht solche Dummheiten machen, wie offene Beziehungen und so. Das hast du nicht verdient, und ich hätte gar nicht damit anfangen dürfen.“

Ich sah ihn verwirrt an. „Du…du machst dir Vorwürfe?“, fragte ich, „Du?“

„Was soll denn das jetzt heißen? Natürlich mache ich mir Vorwürfe, wenn ich jemanden verletze, den ich sehr…mag.“ Sympathiebekundungen fielen ihm wohl doch noch ziemlich schwer. Als er merkte, worauf sein Satz zusteuerte, wurde er wieder verdächtig leise.

Ich strich mir verlegen die Haare aus dem Gesicht, um wenigstens etwas zu tun. Gerade weil er sich offensichtlich doch so einige Gedanken um mich machte, was ich ihm irgendwie nicht zugetraut hatte, schoss mein Puls wieder in die Höhe. Er dachte an mich. Irgendwie war das schön.
 

Ich räusperte mich kurz. „Aber, naja, ich hab mich ja schließlich darauf eingelassen“, sagte ich dann, „Und mir ist dann auch klar geworden, dass es halt nichts für mich ist, so eine…offene Sache eben. Aber ich bin daran genauso…Schuld, wie du. Ich hätte ja auch einfach nein sagen können.“ Verdammt, ich redete schon wieder mehr mit dem Boden und den Wänden, als mit ihm.

„Ich will nicht, dass du denkst, ich hätte dir das nur vorgeschlagen, weil es mir gerade in den Kram passte“, murmelte Kai. Ein kurzer Blick sagte mir, dass er die Oberfläche des Tresens auch ziemlich interessant fand. „Ich meine, ich wollte eigentlich gar nichts machen und lieber abwarten, was jetzt mit Katsumi wird. Aber dann ist das mit uns so nebenher gelaufen und Yuriy hat mich vollgequatscht…“

„Was hat er denn gesagt?“, unterbrach ich, weil ich meine Neugierde natürlich wieder mal nicht zurückhalten konnte. Kai verdrehte die Augen. „Naja, das Übliche –dass ich endlich mal den Arsch an die Wand kriegen soll. Ich glaube, er meinte eigentlich, dass ich Katsumi aufs Maul geben und richtig mit dir zusammen sein sollte. Aber du warst so verschossen in ihn, und das mit uns war ja eher so eine Affäre…“
 

„Verdammt, Hiwatari“, stieß ich hervor und vergaß vollkommen meine Verlegenheit, sodass ich ihm direkt in die Augen sah, „Du machst dir mehr Gedanken, als eine Frau!“

„Sagt die, die wochenlang behauptet, es wäre alles in Ordnung, obwohl man ihr an der Nasenspitze ansieht, dass sie einfach nicht darauf klarkommt, zweigleisig zu fahren.“

„Ach ja? Und warum hast du bitteschön nichts gemacht, wenn du doch alles gewusst hast?“, fragte ich spitz.

„Weil ich geahnt habe, dass du dich früher oder später für Katsumi entscheidest. Und mir war später einfach lieber.“

An seiner Miene war deutlich abzulesen, wie ihm erst klarwurde, was er gesagt hatte und dann, welche Konsequenzen das haben könnte. Eigentlich ein sehr seltener Anblick.

„Scheiße“, nuschelte er, „Sorry.“

„Warum?“, fragte ich rhethorisch. Jetzt war der Karren gegen die Wand gefahren. Die letzten Wochen über hatte ich mir eingeredet, dass es Kai sowieso nicht kümmerte, ob ich nun was mit ihm hatte oder nicht. Aber irgendwie war mir auch immer klar gewesen, dass das nur eine billige Ausrede war. Wenn dem so wäre, hätte er wirklich erst gar nichts mit mir angefangen.

Er musterte mich ausgiebig. Ich bemühte mich nicht, irgendwas vor ihm zu verbergen. Er durfte sehen, wie unentschlossen ich war und wie sehr ich einige meiner Entscheidungen bereute.

„Es war einfach so kompliziert“, erklärte ich, „Und ich war so…wütend auf dich. Katsumi war immer so nett und du schienst dich für nichts zu interessieren, dabei…wollte ich doch gerade von dir, dass du dich um mich kümmerst.“ Jetzt war es raus und ich wurde ganz automatisch wieder rot. Das kam ja einem Liebesgeständnis gleich.
 

„Tja, und ich dachte, du bräuchtest nur noch ein bisschen Zeit, um Katsumi näher kennenzulernen und wollte nicht dazwischen stehen. Jedenfalls nicht mehr, als ich es schon tat. Ich hab doch nie angenommen, dass du wirklich ernsthaft erwogen hast, Katsumi in den Wind zu schießen. Du warst immer so gelassen, wenn du bei mir warst. Ich dachte wirklich, du würdest dir nur Sorgen machen, dass Katsumi dahinter kommt und mit dir Schluss macht.“

„Na, da sind wir wohl auf direktem Weg aneinander vorbei gelaufen“, stellte ich lakonisch fest und Kai stieß zustimmend die Luft aus.

Einer Eingebung folgend griff ich nach seiner Hand und umschloss sie leicht. „Und jetzt?“

„Das ist eine verdammt gute Frage“, entgegnete er, „Schließlich liegt dir ja doch ziemlich was an Katsumi, oder?“

Klar, stellte ich achselzuckend fest. Sonst wäre ich nicht mit ihm zusammen. Vielleicht war ich auch noch in ihn verliebt. Ich war gern seine Freundin; er war zuvorkommend, zärtlich und kein schlechter Liebhaber. Wir verstanden uns gut. Es war unkompliziert. Aber bis auf die Tatsache, dass er Musiker war, auch nichts Besonderes.

„Naja, ich will schon nicht so einfach mit ihm Schluss machen“, murmelte ich und fühlte mich, als müsste ich mich rechtfertigen. Fakt war aber, dass ich sofort ein schlechtes Gewissen bekam, wenn ich an ihn dachte.

„Das verlangt ja auch keiner“, sagte Kai, „Ich meine, jetzt hast du das schon so lange durchgehalten…“
 

Ich runzelte die Stirn. Eigentlich hätte man bei diesen Worten einen sarkastischen Unterton erwarten können, aber Kai sagte das, als würde er es völlig ernst meinen.

„Naja, sooo schlimm ist er nun auch wieder nicht“, entgegnete ich verwirrt und erntete einen ebenso verwirrten Blick von Kai. Seine Hand umfasste meine Finger ein bisschen fester.

„Aber wir reden schon von derselben Sache, oder?“, fragte er.

„Häh? Also ich rede von Katsumi“, antwortete ich perplex.

„Ja, und ich rede von dem, was wegen euch grad im Internet los ist“, sagte Kai, „Hast du das noch nicht bemerkt?“

Natürlich hatte ich nichts bemerkt. Ich war seit zwei Wochen internetabstinent. „Was ist denn los?“, fragte ich vorsichtig. Statt eine Antwort zu geben, zog Kai sein Handy aus der Tasche und loggte sich auf Facebook ein. Kurz danach reichte er mir das Gerät. Auf dem Display erkannte ich die Facebookseite von Showdown, die ich natürlich auch vernachlässigt hatte, was die Jungs aber mit einem gelassenen Abwinken toleriert hatten, so nach dem Motto, was soll schon passieren?
 

Was da alles passieren konnte, erkannte ich jetzt. Sprachlos scrollte ich nach unten und las die Pinnwandeinträge. Beinahe alle enthielten Beschimpfungen über Katsumis neue Freundin. Über mich. Diverse umgangssprachliche Bezeichnungen für „Prostituierte“ waren noch das Harmloseste. Meine Hand wanderte zu meinem Mund; ich hatte früher nie geglaubt, dass diese Geste außerhalb von Hollywoodfilmen überhaupt gemacht wurde, aber in Situationen wie diesen passierte es einfach. Dort standen Beschwerden, Lästereien, Gerüchte und Drohungen. Jemand behauptete, Katsumi habe mich geschwängert und sei nur deswegen mit mir zusammen. Andere sagten, ich würde wahrscheinlich gut ficken und er würde mich nur als Zeitvertreib „halten“. So ging es weiter, die Einträge waren Stunden, Tage, Wochen alt. Unsinnig viele Links zu irgendwelchen Hiromi-Hass-Seiten tauchten auf. Irgendwann sah ich sogar ein Foto von mir –es war mein Myspace-Profilbild. Irgendjemand hatte mich dort gefunden, das Bild kopiert und es so bearbeitet, dass ich jetzt Mittelpunkt einer obszönen Karikatur war. Und wer wusste denn, wie weit sich dieses Bild schon verbreitet hatte.
 

Ich spürte, wie mir vor lauter Fassungslosigkeit die Tränen in die Augen stiegen. In meinem Kopf tauchten Erinnerungen an Nachrichten auf, die es von anderen Internetusern gegeben hatte, die eine Dummheit begangen hatten und deswegen für immer bloßgestellt waren. Und ich hatte meines Erachtens noch nicht einmal eine Dummheit gemacht. Ich hatte weder ein peinliches Video von mir gedreht, noch irgendwelche dummen Sprüche irgendwo gepostet. Ich war doch nur mit einem Typen zusammen.

„Viele von den Posts wurden auch gemeldet“, sagte Kai neben mir, „Aber es waren einfach zu viele. Und die meisten Leute sind zu faul, sich jeden Tag hinzusetzen und die ganze Pinnwand zu melden. Oder haben keine Zeit…“ Ich nickte nur. Natürlich, und das verlangte auch keiner. Das wäre ja auch eigentlich meine Aufgabe gewesen, also war es irgendwie auch meine eigene Schuld.

„Weißt du, wie es auf den anderen Plattformen aussieht?“, fragte ich leise und nahm dankbar die Serviette entgegen, die er aus ihrem Halter gezupft hatte, damit ich die Tränen wegwischen konnte.

„Als ich das letzte Mal nachgesehen habe, ungefähr genauso“, sagte er, „Aber auf Facebook ist es am Schlimmsten, weil das alle haben.“

„Scheiße“, stieß ich hervor und merkte, dass meine Stimme blockiert war, „Scheiße…“
 

Kai rutschte von seinem Hocker und umarmte mich. Sofort drückte ich mich an ihn, als wollte ich mich in ihm verkriechen, damit mich niemand mehr sehen konnte. Wenn uns jetzt zufällig eines dieser Fangirls sah und ein Foto machte, würde der Skandal noch größer werden. Mir wurde klar, dass mir ab sofort immer bewusst sein musste, dass mich irgendjemand sehen und mir aus meinen Taten einen Strick drehen könnte.

Warum, verdammt noch mal, hatte Katsumi mir nichts erzählt? Er musste doch davon wissen! Hatte er mir den zusätzlichen Stress etwa ersparen wollen, weil er gesehen hatte, wie mies ich mich ohnehin schon fühlte? Eine andere Erklärung fiel mir nicht ein. Und was sollte ich jetzt machen? Heute Abend hatte ich eigentlich zu ihm zurückgehen wollen, aber unter diesen Umständen? Ich war komplett überfordert, wollte nur noch raus, aus diesem ganzen Chaos verschwinden.
 

Und dann kam mir ein rettender Gedanke. Ich hob den Kopf und sah zu Kai hoch, der nachdenklich und mit einem Hauch Wut ins Leere blickte. Aber würde ich ihn dann nicht schon wieder ausnutzen? Wir hatten uns doch gerade erst wieder vertragen…Und was, wenn wieder etwas passierte? Dann ging alles wieder von vorn los.

Aber es war eine unleugbare Tatsache: Bei Kai fühlte ich mich wirklich sicher.

„Kai?“, fragte ich vorsichtig, „Kann ich vielleicht…also, wenn du hier Schluss hast…kann ich mit zu dir kommen? Ich will auch gar nicht über Nacht bleiben oder so…aber zu Hause würde ich alleine rumsitzen und die anderen würden mich nur ausfragen und…“

„Okay“, unterbrach er mich.
 


 

Schon eine Stunde später betraten wir seine Wohnung. Ich war erleichtert. Noch immer fühlte ich mich ein wenig von der Welt entrückt, sobald ich hier war, und genau das brauchte ich jetzt.

Minerva lag zusammengerollt auf dem ungemachten Bett und ich setzte mich zu ihr, um ihr über das dicke Fell zu streichen. Kai legte seine Tasche ab und fuhr den Computer hoch. Er musste noch was für die Uni machen, und wir waren stillschweigend übereingekommen, dass sich jeder mit sich selbst beschäftigen würde. Ich wollte ihm auch nicht gleich wieder zur Last fallen. Erschöpft sank ich auf die Seite, sodass mein Kopf neben Minerva lag und ich sie weiter streicheln konnte. Ein leises Schnurren ging von der Katze aus, das mich ganz dösig machte. Dann setzte das gleichmäßige Klackern der Computertastatur ein, unterbrochen von Mausklicks.
 

Ich musste eingeschlafen sein. Als ich wieder erwachte, dämmerte es bereits. Kai saß neben mir und sah fern. Ich fühlte mich wie gerädert.

„Alles klar?“, fragte er, während ich mich aufsetzte.

„Hm“, brummte ich, „Besser, als vorhin.“ Tatsächlich hatte ich mich nach dem ersten Schock wieder gefasst. Jetzt hieß es, mit den Jungs von Showdown zu reden und eine Lösung zu finden –aber nicht heute. Diese Diskussion würde etwas länger dauern. „Ich kann immerhin wieder klar denken“, meinte ich und sah ihn von der Seite an. Jedenfalls in dieser Hinsicht. Was Kai betraf…da war noch einiges durcheinander.

„Willst du jetzt nach Hause?“

„Ich…ähm…“, druckste ich. Von Wollen konnte nicht unbedingt die Rede sein. Aber es wäre schon an der Zeit, ja. Er drehte den Kopf zu mir und sah mich an. „Du könntest auch…einfach hier bleiben.“

Es verlangte mir alles ab, daraufhin den Kopf zu schütteln. „Nein…lieber nicht…“ Und er nickte. Entschlossen stand ich auf und ging in Richtung Tür. „Na dann werd ich mal.“
 

Kai kam mir nach und reichte mir meine Jacke. „Danke, dass du heute da warst“, sagte er leise, als wir uns vor der Tür gegenüber standen und ich schon eine Hand auf der Klinke hatte, sie aber einfach nicht herunterdrücken wollte, ohne noch etwas gesagt zu haben.

„Danke, dass ich heute mit hierher kommen durfte“, entgegnete ich daher. Doch noch immer nichts.

Würde er doch nur…, dachte ich, und mir schossen viele informelle Formen von Verabschiedung durch den Kopf.
 

Und dann tat er es. Er beugte sich vor und küsste mich. Ich ließ die Klinke los und hielt mich dafür an seinem Shirt fest, während ich das vertraute Gefühl genoss, das sich in meinem Bauch ausbreitete.

Eine ganze Weile standen wir so da, im Halbdunkel des Flures, bis er den Kuss irgendwann wieder löste. „Tut mir leid“, murmelte er, doch ich schüttelte den Kopf. „Muss es nicht.“ Einen Moment überlegte ich, doch dann fügte ich hinzu: „Wenn du willst, komm ich übermorgen wieder ins ‚Kaiser Wilhelm‘.“

„Du kannst mich abholen und wir gehen woanders noch was trinken“, ergänzte er.

„Ist das ein Date?“

„Wir sollten offiziell bei ‚einen Trinken gehen‘ bleiben.“

„Hm, ja“, stimmte ich zu.
 


 


 

Song: "Lying is the most fun a girl can have without taking her clothes off" *lufthol xD* von Panic! At The Disco

Kuppeln

„Meine Katze ist schwanger.“

„Deine…was?!“ Im Angesicht von Kais miesepetriger Miene konnte ich nicht anders, als in meinen Kaffee zu prusten. Das besserte seine Laune nicht gerade. „Das ist nicht lustig, Hiromi…möchte mal wissen, wessen Vieh das war –bestimmt dieser räudige Kater von der Alten zwei Häuser weiter. Ich hätte Minerva einfach sterilisieren lassen sollen, aber nein, dazu war ich wieder zu weich.“

„Ach was“, meinte ich und tätschelte ihm den Arm, „Siehs doch mal so: In ein paar Monaten hast du ganz viele kleine Kätzchen…“ Allein der Gedanke daran ließ mich innerlich beinahe sterben vor Niedlichkeit. Wie fast alle Frauen liebte ich Kätzchen.

„Ja, so fett, wie sie jetzt schon ist, wird es garantiert die volle Ladung. Sechs Katzen, Alter, wenn sie klein sind, geht es ja noch, aber wo soll ich mit ihnen hin, wenn sie größer sind?“

„Lass doch den Vater Alimente zahlen“, schlug ich, noch immer kichernd, vor. Dafür erntete ich einen glatten Todesblick, dem ich ungerührt standhielt. Es ging hier schließlich um Kätzchen; nicht einmal jemand wie Kai konnte ernst genommen werden, wenn er über dieses Thema redete.

„Freu dich doch einfach!“, meinte ich, „Immerhin wirst du Opa…oder Onkel…oder so.“

Kai verzog keine Miene, als er ein Zuckerstück aus dem Papier wickelte und es mir an den Kopf warf. Ich grinste ihn fröhlich an.
 

Ich ging inzwischen regelmäßig ins „Kaiser Wilhelm“, um einen Kaffee zu trinken. Nach dem etwas hektischen ersten Treffen zwischen mir und Kai hatten wir erstmal einen Gang heruntergeschaltet, um die Dinge nicht noch komplizierter zu machen, als sie eh schon waren. Ich hatte alle Hände voll damit zu tun, das Cybermobbing gegen mich einzudämmen. Showdown hatten inzwischen Stellung dazu genommen, und ihre Mitteilung klang gar nicht mal so freundlich. Aber natürlich wollten sie auch nicht riskieren, ihre Fans für die Freundin des Bandleaders zu verlieren. Außerdem spielte ich immer ernsthafter mit dem Gedanken, einfach mit Katsumi Schluss zu machen. Wobei „einfach“ das falsche Wort war. Katsumi war in letzter Zeit wirklich zuckersüß zu mir, und ich mochte ihn einfach zu sehr, um ihn verletzt sehen zu können. Allerdings hatte ich auch eingesehen, dass „mögen“ eben nichts im Vergleich zu dem war, was ich für Kai empfand; gerade jetzt, wo ich wusste, dass ich ihn wirklich haben konnte. Er schien momentan eigentlich nur noch auf mich zu warten.
 

„Es gibt übrigens noch etwas neues“, sagte Kai. Ich hob erwartungsvoll die Augenbrauen.

„Rate, wer gestern zu mir gekommen ist und zugegeben hat, dass er Scheiße gebaut hat.“

„Nein!“, rief ich aus, „Rei hat sich bei dir entschuldigt?“

Er nickte. „Stand auf einmal vor meiner Tür“, erzählte er, „Und ich dachte schon, er will mir wieder wegen irgendetwas eins aufs Maul geben. Aber er sah…ganz schön geknickt aus. Gelinde gesagt. Hat furchtbar viel geredet, ich weiß nicht mal mehr, was er alles gesagt hat, aber im Prinzip hat er sich bei mir ausgekotzt.“

„Wegen Mao?“, hakte ich nach; wie immer bildete sich ein kleiner Knoten in meiner Brust, sobald ich an die beiden dachte. Sie haderten nach wie vor mit ihrer Beziehung, während ich es praktisch mit einem Fingerschnipsen geschafft hatte, mich wieder mit Kai zu vertragen. Es kam mir ungerecht vor.

„Ja“, antwortete Kai langgezogen, „Rei hat da grad so das typische Problem: er hält sich für zu jung, um sich jetzt schon für eine Frau zu entscheiden. Es ist das Gegenteil von der Torschlusspanik, nehm ich an.“

Ich brummte zustimmend, denn das war mir nicht ganz fremd. Mao und Rei kannten sich schon ihr Leben lang und waren seit der frühesten Kindheit ineinander verschossen. Rei hatte praktisch gar keine Erfahrungen mit anderen Frauen und fürchtete nun, etwas zu verpassen.

„Aber wenn er sie doch liebt…“, murmelte ich, „Ich meine, wenn’s nun mal die richtige für ihn ist?“

„Naja, so ganz wissen kann er’s ja gar nicht“, entgegnete Kai, „Obwohl ich ja auch der Meinung bin, dass das mit den beiden passt wie Arsch auf Eimer.“

Ich kicherte. Kai kannte immer nur die fäkalhumoristische Version von Sprichwörtern. Dann nahm ich mich jedoch schnell wieder zusammen. Ein Schlachtplan musste her. Wenn Rei und Mao das nicht von allein hinbekamen, musste nachgeholfen werden.
 

„Woran denkst du gerade?“, fragte Kai vorsichtig, denn er hatte wohl die Veränderung in meinem Gesichtsausdruck bemerkt.

„Wir müssen Kuppler spielen“, antwortete ich schlicht.

„Moment mal. Wir?“

Ich lächelte ihn zuckersüß an.

„Warum ich?“

„Weil du einen guten Draht zu Rei hast. Inzwischen wieder, meine ich. Und so generell“, erklärte ich ihm, „Und ich kann Mao bezirzen. Wir müssen uns doch nur etwas ausdenken, was die beiden sich wieder näher kommen lässt.“

Kai hob eine Augenbraue, was wohl dem kleinen Wörtchen „nur“ in meinem Satz galt. Doch zu einer Erwiderung seinerseits kam es nicht, denn plötzlich stand sein Chef hinter ihm und betrachtete uns mit einem nachsichtigen Lächeln. „Wieder am Flirten, Hiwatari?“, fragte er.
 

„Ach was“, entgegnete Kai und lief zum anderen Ende des Tresens, wo gerade jemand signalisiert hatte, dass er eine Bestellung aufgeben wollte. Diese Unterbrechungen durchzogen alle unsere Gespräche, also war ich daran gewöhnt. Ich grinste Kais Chef unschuldig an und nippte weiter an meinem Kaffee.

Während Kai also arbeitete, brütete ich in Gedanken eine Idee aus. Es würde gar nicht so einfach werden, Rei und Mao wieder zueinander zu bringen, wenn man nicht gleich mit der Tür ins Haus fallen wollte. Und so, wie es bei den beiden gerade aussah, musste man da schon sehr vorsichtig herangehen. Zumindest Rei war zuzutrauen, dass er komplett dicht machte, wenn er uns durchschaute.

Man müsste irgendwas ganz harmloses machen, so was wie…
 

„Ein Doppeldate“, sagte ich, als Kai schließlich wieder zu mir kam.

„Mit Rei und Mao meinst du?“, fragte er, „Ist das nicht ein bisschen zu offensichtlich?“

„Nö“, entgegnete ich, „Wir sagen ihnen einfach, dass wir mal wieder was mit ihnen unternehmen wollen. Wir können uns ja einfach bei einem von uns zum Kochen treffen oder was essen gehen oder so.“

Kai musste eine Weile darüber nachdenken, denn er sagte erstmal nichts, sondern trocknete seelenruhig Gläser ab.

„Dir ist klar, dass sie denken werden, wir wären wieder zusammen, wenn wir so was veranstalten?“, meinte er dann. Ich runzelte die Stirn. Das hatte ich schon wieder völlig vergessen. Kai hatte den Satz mit leichter Ungeduld ausgesprochen, und mir wurde klar, dass ich bald mal Nägel mit Köpfen machen musste. Sprich, ich musste Katsumi den Laufpass geben. Ich seufzte. Es wäre alles viel einfacher, wenn er mir nicht so leidtun würde… Aber es war auch unfair Kai gegenüber, wenn ich ihn noch länger hinhielt.
 

„Ja, gut, dann mach ich mit Katsumi Schluss“, murmelte ich resigniert.

„Das wollte ich damit nicht sagen…“

„Oh doch“, unterbrach ich ihn, „Und ich versteh’s ja auch. Lass mich nur machen. Augen zu und durch, nicht wahr?!“ Ich versuchte zu lächeln, aber allein bei dem Gedanken ans Schlussmachen wurde mir ganz anders. Ich hasste so etwas. Es war viel bequemer, wenn man das Opfer war und sich bei anderen über seinen fiesen Ex-Partner auslassen konnte. Diesen Luxus würde ich nun nicht haben. Ich konnte nur hoffen, dass Katsumi den Kontakt nicht ganz abbrechen wollte, denn die ganze Band war mir irgendwie ans Herz gewachsen. Aber das war ja erwiesenermaßen eh nur Wunschdenken; ich konnte die Frage „Wollen wir Freunde bleiben?“ ja auch nicht ertragen.

Kai sah mich aufmerksam an. „Soll ich vielleicht mitkommen…?“

„Nein, bloß nicht!“, rief ich entsetzt, „Das würde alles nur schlimmer machen!“ Er hob die Schultern. „Na gut.“

„Hör zu, wir machen das so“, sagte ich, „Wir geben mir jetzt einen Tag Zeit. Wenn ich das nächste Mal hierher komme, habe ich mit ihm Schluss gemacht.“
 


 

Nicht einmal vierundzwanzig Stunden später saß ich heulend vor einem riesigen Eisbecher, den Kais Chef mir spendiert hatte. Kai selbst beobachtete mich mit diesem Gesichtsausdruck, den er immer aufsetzte, wenn er wusste, dass er nicht ganz unschuldig an der miesen Stimmung eines Mädchens war: Er wirkte leicht pikiert. Da er mich mochte, hatte er es mit einigen ruppigen Tröstungsfloskeln versucht, aber da er sowieso nicht sonderlich gut in so etwas war und wir uns zudem in einem öffentlichen Raum befanden, war das erfolglos geblieben.

„Also, ähm“, sagte er schließlich, „Ist es dir wohl doch nicht so leicht gefallen, das Schlussmachen?“

Ich schluchzte gleich noch ein bisschen lauter. „Nein, schlimmer!“, stieß ich aus, „Ich hab gar nicht Schluss gemacht!“

Wäre die Situation nicht so beschissen gewesen, hätte ich Kai für seinen dämlichen Gesichtsausdruck ausgelacht. Ich sah ihn zum ersten Mal in meinem Leben komplett verwirrt. „Okay…“, meinte er, „Ich passe. Das musst du mir erklären.“
 

Ich versuchte es, so gut es ging. Das Problem war Katsumis Nettigkeit. Ich war gestern mit einem Gesicht wie sieben Tage Regenwetter bei ihm aufgekreuzt, fest entschlossen, ihn vor vollendete Tatsachen zu stellen. Doch er hatte mich nicht einmal beginnen lassen. Was denn los wäre, hatte er gefragt, und ob er etwas für mich tun könnte. Ohne nach meinem genauen Problem zu fragen hatte er mich hereingezogen und mir sprichwörtlich die Welt zu Füßen gelegt; dabei hatte er unentwegt gesprochen, und ich war gar nicht zu Wort gekommen. Als er endlich damit aufhörte, war ich schon so weich geworden, dass ich es einfach nicht übers Herz brachte, ihm die Hiobsbotschaft zu überbringen.
 

Kai seufzte, als ich fertig war. „Weißt du was?“, brummte er dann missmutig, „Der Typ erinnert mich immer stärker an Brooklyn.“

„Oh ja“, sagte ich, „Ob ich Katsumi jetzt auch die Fresse polieren muss, damit er was merkt, so wie du Brooklyn damals?“

„Ich hoffe nicht“, meinte Kai, „Das könnte nämlich ganz schön schmerzhaft werden. Wer weiß, vielleicht dreht Katsumi dann auch komplett frei.“

Ich dachte an die BEGA-Zeit zurück. „Das ist eigentlich nicht lustig“, murmelte ich dann, „Ich möchte nicht noch mal sehen, dass einem meiner Freunde so etwas passiert, wie dir damals mit Brooklyn. Ich hatte eine Heidenangst um dich.“

Anstatt eine Antwort zu geben, stützte Kai sich auf dem Tresen ab, um sich zu mir zu beugen und mir einen flüchtigen Kuss zu geben. Es ging so schnell, dass außer uns wahrscheinlich niemand etwas bemerkte. Ich wurde augenblicklich verlegen, lächelte ihn jedoch an. Über die Zeit hatte ich gemerkt, dass es Kai besonders viel bedeutete, wenn jemand fürsorgliche Gefühle für ihn aufbrachte. Da seine Familie weit verstreut lebte und es nicht gerade eine ihrer Tugenden war, hatte diese Fürsorglichkeit in seinem bisherigen Leben nur eine untergeordnete Rolle gespielt. Vielleicht war sein Beschützerinstinkt deswegen so deutlich ausgebildet.
 

„Wann machen wir das Doppeldate?“, fragte er dann.

„Oh!“ Das hatte ich beinahe vergessen. „Na so bald wie möglich, oder?“

„Und was ist, wenn sie nach Katsumi fragen?“

„…Notlüge?“, schlug ich zögerlich vor. Etwas Besseres fiel mir wirklich nicht ein. Und wir mussten langsam mal in die Gänge kommen mit Rei und Mao, sonst wurde es zu spät für eine Rettungsaktion.

„Weißt du, ich hab überlegt, ob wir vielleicht…“ Eine Kellnerin, die ihm im Vorbeigehen einen Zettel auf den Tresen knallte, unterbrach Kai. Er las kurz, was auf dem Zettel stand und betätigte dann die Kaffeemaschine. „Wir könnten zu diesem Beyblade-Turnier gehen“, sagte er laut über das Rauschen der Maschine hinweg. „Das im Park. Am Wochenende.“

„Beyblade?“, fragte ich ebenso laut, „Nach all den Jahren?“
 

Die Jungs waren schon lange nicht mehr im Geschäft, jedoch immer upt-to-date. Vor ein oder zwei Jahren waren wir auch noch regelmäßig zu Turnieren gegangen, um zu sehen, wie die jüngste Generation Blader sich abrackte, aber inzwischen taten wir auch das nicht mehr. Takao schleppte nur noch manchmal eine Ausgabe der „Beyblade World“ an, wenn eine Retrospektive über irgendeinen der alten Blader geschrieben wurde oder sich irgendein bedeutendes Ereignis, das einen Artikel würdig war, jährte. Gänzlich waren die Bladebreakers nie aus den Medien der Szene verschwunden, aber das Interesse hatte doch nachgelassen.

Kai meinte wohl das alljährliche Sommerturnier, das die BBA veranstaltete. Rund um die Bowls fand immer ein kleines Straßenfest statt, doch die lockere Atmosphäre konnte nicht darüber hinwegtäuschen, dass es tatsächlich um wichtige Punkte ging, mit denen die offizielle Rangliste der BBA errechnet wurde. Diese Mischung war allerdings ziemlich günstig für das, was wir vorhatten. Es war nicht so romantisch, dass Rei und Mao sich irgendwie bedrängt fühlen könnten (und die Fragen zu mir und Kai mit Nährstoff versorgt wurden), aber familiär genug, um sich wieder ein bisschen näher zu kommen. Schließlich war das Sommerturnier ein inoffizieller Pärchenmagnet.

„Eigentlich gar keine schlechte Idee“, sagte ich deswegen, als Kai fertig mit dem Kaffee war und mich erwartungsvoll ansah.
 


 

Einige Tage später, es war Freitag, machten wir uns zu viert auf in den Park. Sobald die Reporter bemerkten, dass einige ehemalige Spitzenblader anwesend waren, hielten sie uns einige Minuten lang ihre Kameras ins Gesicht, doch wir waren alle Schlimmeres gewohnt. Ich erinnerte mich an einen Paparazzo, der die Teams während der letzten Weltmeisterschaft verfolgt und seine Bilder an diverse Klatschzeitschriften verkauft hatte. Die wenigsten von uns hatten damals überhaupt schon Erfahrungen mit Paparazzi gemacht, und so waren wir entsprechend ratlos. Schließlich hatte sich die BBA eingeschaltet und mit einer Klage gedroht, was wahrscheinlich sogar geklappt hätte, da wir zu diesem Zeitpunkt alle noch minderjährig waren.

Nun, die Aufmerksamkeit heute war da, aber nicht penetrant. Nach einigen Augenblicken konnten wir uns normal weiterbewegen und das Turnier genießen.
 

„Ooh, sieh mal, Kai!“ Ich deutete wahllos auf die Auslage irgendeines Standes, damit wir ein Stück hinter Rei und Mao zurückblieben. „So weit so gut“, raunte ich ihm dann zu, „Wie geht es weiter?“

„Hiromi, ich habe keine Ahnung vom Kuppeln“, entgegnete er gereizt.

„Ich weiß, ich weiß. Wir könnten…ein Eis essen, was meinst du? Da sind wir ein bisschen unter uns.“ Er hob lediglich die Schultern. Ich vermutete, dass seine Laune gesunken war, weil sich immer wieder die Leute nach uns umdrehten. Natürlich erkannten sie ihn. Wahrscheinlich hatte Kai vergessen, wie stressig es war, ständig angestarrt zu werden und das Getuschel über sich ringsum zu hören. Ich zog ihn also am Ärmel hinter mir her und rief nach Rei und Mao, damit sie stehen blieben und sich von mir zu einem Eis überreden lassen konnten.
 

„Und?“, fragte ich schließlich, als wir uns alle an einem Stehtisch versammelt und den ersten Löffel Eis in den Mund gesteckt hatten, „Wie geht es euch so? Kommt ihr in der kleinen Bude noch klar?“ Ich wusste, das war ziemlich direkt, aber über das Thema Wohnung war der Einstieg noch relativ neutral.

„Naja.“ Mao lächelte verlegen, „Uns fällt gerade mal wieder so ein Bisschen die Decke auf den Kopf.“

„Streitet ihr?“, fragte Kai. Rei verneinte. „Ihr solltet öfter streiten“, sagte Kai daraufhin, „Um Dampf abzulassen, meine ich.“

Rei und Mao sahen ihn pikiert an. „Na ich weiß nicht…“, murmelte Mao.

„Aber Fakt ist, dass es nicht so bleiben kann“, mischte ich mich nun wieder ein, um den Schwerpunkt des Gesprächs zu verlagern. „Habt ihr mal über eine größere Wohnung nachgedacht? Was hast du eigentlich für Pläne, Mao? Du bleibst doch jetzt hier, oder?“

„Ja, ich habe eigentlich alles so eingerichtet, dass ich hier auch arbeiten dürfte“, berichtete Mao, „Und ich bin gerade auf der Suche nach einem Job. Wenn ich selbst Geld verdiene…sehen wir weiter…“ Sie warf Rei einen kurzen Seitenblick zu.

„Du könntest dir dann vielleicht auch eine eigene Wohnung leisten…“, meinte ich vorsichtig.

„Vielleicht täte euch das gut“, fügte Kai hinzu, der erst Mao und dann Rei ansah, „Es ist ja offensichtlich, dass es eurer Beziehung nicht gut bekommt, wenn ihr ständig aufeinander hockt.“

Ich seufzte leise. Jetzt war Kai mit der Tür ins Haus gefallen; Schluss mit Behutsamkeit.
 

„Jaah…“, druckste Rei.

„Fakt ist, dass ihr irgendwie Abstand zueinander braucht“, sagte ich, „Also braucht Mao eine eigene Wohnung. Wenn du willst, helfe ich dir dabei, eine zu suchen. Und bis es so weit ist, könntest du ja auch wieder zu mir ziehen.“

„Ich kann meinen Vermieter fragen, ob er mir Bescheid gibt, wenn demnächst mal was frei wird“, bot Kai an, „Bei uns ziehen sie ständig aus und ein.“

„Das, äh, ist wirklich nett, Leute“, stammelte Mao, die trotz allem noch nicht glücklicher wirkte. Ich betrachtete die beiden vor mir. Ihre Gesichter spiegelten das pure Unwohlsein wieder.

„Wollt ihr euch trennen?“, fragte Kai da.
 

„Wir? Ach…Scheiße!“, stieß Mao plötzlich aus und stürzte von uns weg. In diesem Moment legte Rei den Kopf in die Hände. „Oh, na toll!“, sagte ich zu Kai und lief Mao hinterher, bevor sie in der Menge verschwinden konnte. Hoffentlich nutzte Kai die Gelegenheit, um Rei ein wenig den Kopf zu waschen…

Ich holte sie in der Nähe der Bowls ein, wo das metallische Geräusch aneinander schlagende Beyblades in der Luft lag. „Mao, warte doch mal!“, rief ich und kam neben ihr zum Stehen. „Hey, tut mir Leid. Du weißt ja, dass Kai manchmal schmerzhaft ehrlich ist…Alles in Ordnung?“

„Jaja.“ Sie sah mich geknickt an, doch was mich erstaunte, war, dass sie keineswegs weinte. Sie schien, im Gegenteil, sehr gefasst. „Es ist nur…wir haben tatsächlich gestern erst darüber gesprochen, ob wir uns nicht trennen sollten.“

„Und?“, fragte ich nervös. Sollte unsere ganze Kuppelaktion etwa zu spät kommen? Warum nur war ich in letzter Zeit so beschäftigt mit mir gewesen? Hätte ich doch wenigstens ein Auge auf die beiden geworfen…

„Naja, wir…also, wir haben uns dafür entschieden“, sagte sie, „Wir sind seit gestern auseinander.“
 

Ich riss ungläubig die Augen auf. Als sollte das alles umsonst gewesen sein? Die ganze Kuppelaktion? Wir waren tatsächlich zu spät…

„Nein“, nuschelte ich, „Ach, scheiße…“ Doch Mao hob nur die Schultern. Sie sah ziemlich erledigt aus. „Weißt du, in letzter Zeit war alles so stressig…ich bin beinahe froh, dass es so gekommen ist. Aber wo wir schon mal darüber geredet haben: Kann ich vielleicht trotzdem noch mal zu dir ziehen? Das muss auch nicht gleich heute sein, in den nächsten Tagen reichts auch…aber dann brauch ich erstmal Abstand zu Rei.“

Ich nickte mechanisch. „Natürlich…meine Eltern merken das wahrscheinlich gar nicht, wenn noch jemand bei uns wohnt.“ Ich rang mir ein Lächeln ab, doch innerlich plagten mich Schuldgefühle. Jetzt war wirklich alles durcheinander gekommen.
 

Wir gingen langsam zurück zu den Jungs. Rei sah uns gar nicht an, doch Kais Gesichtsausdruck entnahm ich, dass er ihm ebenfalls von der Trennung erzählt hatte. Wir blickten uns einen Moment lang ratlos an, bevor wir uns wieder dem Häufchen Elend vor unseren Augen zuwandten. Doch ich wusste gar nicht, was ich sagen sollte.

„Wir sollten uns das Finale ansehen, wenn wir schon mal hier sind“, meinte Kai und nickte in Richtung der Bowls. Damit hatte er uns auf neutrales Gebiet manövriert, und Erleichterung machte sich zwischen uns breit. Von da an redeten wir beinahe nur noch über das Beybladen und fachsimpelten über neue Blades und Techniken. Alles war sehr freundschaftlich, wurde aber begleitet von einem ziemlich unangenehmen Beigeschmack.
 

Schließlich standen wir wieder an der Bushaltestelle und warteten auf die richtige Linie. Eigentlich würde ich mit Mao und Rei zusammen fahren können, aber unsere misslungene Kuppelaktion hatte mich ziemlich runtergezogen. Ich zupfte Kai am Ärmel. „Kann ich mit zu dir kommen?“, fragte ich.

„Ist meine Wohnung jetzt deine persönliche Emo-Ecke?“, entgegnete er amüsiert.

„Ich muss mich ablenken.“

Er beugte sich zu meinem Ohr. „Kriegen wir hin.“ Und kassierte einen schrägen Blick von Rei. Ich rieb mir die Stirn. Morgen, morgen musste ich Katsumi klipp und klar sagen, dass das mit uns nichts wurde. Innerlich verwünschte ich denjenigen, der Schlussmachen per SMS für unhöflich erklärt hatte.

Und dennoch…freute ich mich darauf, mit Kai allein zu sein.
 

Gott, dieses Kapitel war ein wahrer Krampf...ich hab gefühlte tausend Mal die Hälfte wieder umgeschmissen und neu geplottet. Und länger werden wollte es auch nicht...Ich bin momentan auch mit ein paar FFs für meinen anderen Account beschäftigt (Ablenkung: Oooh, eine Idee! *anderes Dokument aufmach* xD), deswegen lief es verdammt schleppend *sfz*



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Kommentare zu dieser Fanfic (128)
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Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  devil-angelXD
2023-06-20T07:15:18+00:00 20.06.2023 09:15
Ich bin auch in 2023 noch voll bei deiner FF <3
Von:  FreeWolf
2020-05-06T10:42:08+00:00 06.05.2020 12:42
Ich glaub, das ist mein Lieblingskapitel. Mit dem Abschluss vom letzten und dem nächsten. Ich liebe Yuriy und Hiromi immer noch. Und lustig: Ich finde immer noch den Satz den ich in meinem Kommi von 2011 erwähnt habe, total gut. 😂
Von:  LittleLionHead
2019-11-04T18:32:46+00:00 04.11.2019 19:32
Ich habe diese Fanfic in den letzten Wochen mehrmals gelesen, einzelne Kapitel bestimmt fünf, sechs Mal. Sie ist irgendwie abgedreht, aber auch herrlich normal - so wie das Leben eben. Du schaffst es einfach jede Emotion so zu beschreiben als wäre man selbst Teil der Geschichte. Ich hoffe wirklich, wirklich sehr dass du den Faden hier noch einmal aufnimmst. Bis dahin lese ich das Ganze eben nochmal. Und nochmal. Und dann nochmal. :)
Antwort von:  FreeWolf
08.05.2020 12:09
So halte ich das auch! :D
Von: abgemeldet
2016-09-05T03:03:22+00:00 05.09.2016 05:03
Ich will _ nach jahren _ immer noch wissen wies weiter geht!!
Antwort von:  papierkorb
27.12.2017 14:55
Ooops. Dann sollte ich mal weiterschreiben :D
Antwort von: abgemeldet
27.12.2017 22:26
JA! BITTE!
Von:  Stilinski-Hale-Pack
2013-04-17T22:45:50+00:00 18.04.2013 00:45
Ich sterbe hier direkt vor meinem Laptop! So genial!!!
Ich bin verliebt ahahaha xD Wow o.O Jetzt bin ich doch länger aufgeblieben...aber es hat sich gelohnt,morgen suchte ich weiter!! Ich danke dir so sehr für diese FF! Sehr,sehr unterhaltsam.
LG Sakura-ssi
Von:  Stilinski-Hale-Pack
2013-04-17T21:27:09+00:00 17.04.2013 23:27
Ach du meine Güte!! Erst vor 1-2 Stunden deine FF entdeckt und ich bin unglaublich begeistert!! Ich bin so begeistert,dass ich nich mehr aufhören kann zu lesen! Ich habe eine sehr,sehr lange Zeit nur Englische FF's gelesen,da ich die meisten auf Deutsch geschriebenen nicht besonders mochte aber deins....!!!! *Q*
Du hast mich eiskalt an der Angel!! Ich freue mich so sehr,wie es weiter laufen wird,würde am liebsten die Nacht durchlesen~

LG Sakura-ssi
Von:  Lady_Black16
2013-03-14T19:46:19+00:00 14.03.2013 20:46
Hey
Wow ich muss sagen die ff hat was und zwar einfAch nur richtig toll.
Dein schreibstil Klasse du beschreibst alles so schön und genau das man es sich richtig gut vorstellen kann.
Ich hoffe nur das Kai mit hiromi endlich wieder zusammenkommen ich Liebe Kai und weibliche Freundinnen bin nicht so der schönen -ai typ aha
Aber leider hab ich auch bemerkt das dass letzte Kapitel. Vor einem Jahr geschrieben und hochgezogen wurdenist.
Kommt da noch was ? Ich hoffe es so doll
LG
Von:  Yazz
2013-02-15T12:54:49+00:00 15.02.2013 13:54
Hi, seit langem mal wieder eine sehr gelungene FF. Ich mag es, wie Du die Charaktere darstellst und dass sie ein Leben außerhalb des Beybladen bekommen haben. Ich hoffe, es geht bald weiter, wäre zumindest schade, wenn nicht. Und irgendwie werde ich das Gefühl nicht los, dass zwischen Alyona und Kazumi auch was läuft...
Von:  SilverClaw
2012-08-01T20:00:28+00:00 01.08.2012 22:00
Eine sehr gelunge Fanfic...ich bin schon lange bei animexx und lese regelmäßig die Beyblade fic´s und deine ist mit abstand eine der bessten die ich gelesen habe. Da kann ich mich meinen vorkomentierern nur anschließen. freue mich schon auf die nächsten Kapitel.
Von:  FreeWolf
2012-07-30T20:56:36+00:00 30.07.2012 22:56
Uff, nur ein kurzer Kommentar, der auch noch sehr verpsätet kommt, aber ich will das hier nicht unkommentiert lassen. Ehrlich? Ich finde die Vorstellung von Barkeeper-Katzenopa-Kai wun-der-bar. Mit Bindestrichen und extra Silbenbetonung. *lach*
Generell der gescheiterte Kupplerversuch - ich bin gespannt, was als nächstes folgt ;)

Gruß & Kuss
Wolfi


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