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Die Seele der Zeit

Yu-Gi-Oh! Part 6
von

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Gefunden

„Ich frage mich, ob bei ihnen alles in Ordnung ist“, seufzte Tea und starrte nachdenklich in den Becher Wasser, den sie in Händen hielt.

„Mach‘ dir keine Gedanken. Nach dem, was wir wissen, ist dieser Ort, den Atemu gesehen hat, ein gutes Stück weit weg. Ist doch klar, dass sie da länger brauchen, bis sie wieder da sind“, versuchte Duke sie aufzumuntern. Er zupfte dabei unterbewusst an den ägyptischen Kleidern herum, die er und Tristan inzwischen bekommen hatten.

„So ist es. Solange sie nicht in Men-nefers Nähe kommen, dürfte keine Gefahr bestehen“, pflichtete Ryou ihm bei, ehe er sich umsah. „Aber sagt mal … Keiro ist jetzt schon ganz schön lange weg, oder?“

„Du hast recht“, meinte Mana, deren Zustand sich inzwischen soweit gebessert hatte, dass sie sich wieder daran machen konnte, die Schriften zu studieren, die die anderen aus dem ehemaligen Lager des Clans geholt hatten. „Und niemand scheint zu wissen, wo er ist.“ Sie beobachtete Risha, die erneut über den Hof der Himmelspforte tigerte und abermals einen der Wachtmänner ansprach. Auch sie schien das Verschwinden Keiros zu beunruhigen – wenn wohl nicht auf dieselbe Weise, wie den Rest der Gruppe.

Sie wurde aus den Gedanken gerissen, als Riell zu ihnen herüberkam. „Hallo Mana“, sprach er die junge Hofmagierin auch direkt an. „Ich wollte mich erkundigen, ob Ihr den Papyri bereits irgendetwas entnehmen konntet?“

„Nein, leider nicht“, entgegnete sein Gegenüber. „Ich mache nur eben eine Pause, dann löse ich Marik für heute ab.“

„Wenn er sich ablösen lässt“, warf Tea ein. „Seitdem wir die Schriften haben, tut er beinahe nichts anderes mehr, als zu lesen.“

„Er muss irgendwann eine Pause machen“, meinte Ryou.

„Dem stimme ich zu. Ich kann nicht darüber klagen, dass er mit solchem Eifer versucht, uns zu helfen, doch er darf sich nicht übernehmen. Auch er ist in der letzten Schlacht verletzt worden. Ich werde mir ebenfalls nochmal ein paar Papyri vornehmen und sehen, ob ich etwas finde. Je mehr von uns das tun, desto besser“, sagte Riell schließlich.

„Was ist mit Seto? Er müsste das Gekritzel doch auch lesen können?“, warf Tristan daraufhin ein.

„Er ist noch immer nicht wieder aus seinem Quartier gekommen. Die Nachricht bezüglich Kisara scheint ihn wirklich getroffen zu haben“, erwiderte Tea. „Es muss schlimm sein, nur hier herumsitzen und nichts dagegen tun zu können, dass Caesian sie in seiner Gewalt hat.“

„Aber Seto ist doch nicht der Einzige! Riell, Alter, wir würden euch echt gerne helfen, aber wir können es leider nicht. Umso weniger kann ich verstehen, wieso Risha, Bakura, Keiro und Marlic den ganzen Tag tun und lassen, was sie wollen, wenn sie sich in der Zeit nützlich machen könnten! Das wären vier Leute mehr, die an der Sache arbeiten könnten“, wandte sich Joey schließlich an das Oberhaupt des Clans.

„Schon mal versucht, Marlic zum Lesen zu überreden? Oder überhaupt zu irgendetwas, das sich sein krankes Hirn nicht selbst ausgedacht hat? Ich prophezeie dir, dass du kläglich scheitern wirst“, erklang plötzlich Mariks Stimme hinter ihnen. Er hatte seinen Posten verlassen, um sich etwas zu trinken zu holen.

„Was Keiro anbelangt“, ergriff wieder Riell das Wort, „werde ich unter keinen Umständen erlauben, dass er auch nur in die Nähe dieser Aufzeichnungen gelangt. Mir ist klar, wie ihr darüber denken müsst, aber dabei bleibe ich.“

„Dann haben wir noch immer Bakura und dein Schwesterherz“, erinnerte Joey noch einmal.

„Jep. Und das sieht nicht gut aus …“, meinte Mana gedehnt und nickt zum gegenüberliegenden Ende des Hofes.

Der Grabräuber und die Schattentänzerin standen sich gegenüber. Ihre Haltung verriet, dass sie nicht über das Wetter plauderten. Worum es ging, wurde der Gruppe deutlich, als die Unterhaltung schlagartig an Lautstärke gewann.

„Bin ich sein Bruder oder du? Du musst doch wissen, wo er steckt!“

„Ich bin aber nicht seine Amme und jetzt geh‘ mir nicht weiter auf die Nerven!“

Der Grabräuber drehte sich abrupt auf dem Absatz um und wollte verschwinden, doch Risha folgte ihm. „Machst du dir etwa gar keine Sorgen?“

„Ach, seit wann machst du dir denn Sorgen um Keiro? Ist ja was ganz Neues! Entscheid‘ dich mal darüber, was du eigentlich willst!“

„Ich mache mir keine Sorgen um ihn, sondern darum, dass er uns in ernsthafte Schwierigkeiten bringen könnte! In der Himmelspforte ist er definitiv nicht, das bedeutet, er muss irgendwo da draußen rumlaufen!“

„Himmel hilf, er macht einen Spaziergang! Wir werden alle sterben!“, erwiderte Bakura mit triefendem Zynismus.

„Nimm‘ mich gefälligst ernst und hör‘ auf, dich wie ein Kleinkind zu verhalten! Was, wenn er in irgendeine Patrouille hineinläuft oder sich doch entschlossen hat, das Land zu verlassen? Mit dem Relikt?“

Marik bemerkte derweil aus dem Augenwinkel, wie seine dunkle Hälfte aus einer der Kavernen gekrochen kam und das Schauspiel neugierig beobachtete.

„Wenn er tatsächlich abgehauen ist, dann war der Schachzug gar nicht mal dumm. Dann kommen zwar, oh weh, die Schattentänzer nicht mehr an das Artefakt, aber Caesian auch nicht! Und bevor er geschnallt hat, dass das Ding nicht mehr in Ägypten ist, friert mit Sicherheit die Unterwelt zu.“

„Hat es denn nicht ausgereicht, dass er dich belogen hat, um zu erkennen, dass man ihm nicht trauen kann? Dass er immer mehr im Schilde führt, als man auf den ersten Blick glaubt?“

„Halt dich gefälligst da raus! Das geht dich einen Dreck an!“

„Oh, verzeiht mir bitte, König der Diebe – aber soweit ich mich erinnere war ich Hauptbestandteil dieses Konflikts!“

„Ihr dürft euch jetzt küssen!“, flötete Mariks dunkle Seite dazwischen.

„Schnauze, Marlic!“, kam es unisono von den Streithähnen.

„Wenn du unbedingt wissen willst, was er treibt“, wandte sich Bakura schließlich wieder zu Risha um, „dann geh doch da raus und such ihn!“

„Weißt du was? Genau das werde ich tun! Aber beschwer dich nicht bei mir, wenn er nicht in einem Stück zurückkommt!“

Damit rauschte sie ab, auf die Höhlen zu, in denen die Pferde standen. Riell machte gar keine Anstalten, sie zurückzuhalten. Er würde es im Augenblick sowie so nicht schaffen. Vielleicht war es sogar besser, wenn sie und Bakura sich für den Moment aus dem Weg gingen. Zumindest bei Keiro hatte das meistens geholfen. Er seufzte schwer. Kein einziger Tag verging, ohne dass sich irgendwelche Parteien an die Gurgel gingen …

Er sah auf, als ein Pferd samt Reiter an ihm vorbei preschte. Seufzend sah er Risha hinterher, bis sie in dem Tunnel verschwunden war, der aus der Himmelspforte hinausführte. Dann machte er sich auf, um einige Papyri zu holen.
 

„Bei allem Respekt, Euer Hoheit – doch seid Ihr Euch bei dieser Entscheidung sicher?“

Caesian warf Gladius einen Seitenblick zu, dann richtete er die Augen wieder auf das Schriftstück in seinen Händen. „So wie du sprichst, hast du Bedenken – die da wären?“

„Mein Herr, die Himmelspforte ist ein strategisch überaus günstiger Ort. Wenn Ihr das Heer dorthin marschieren lasst, wird es rasch entdeckt werden. Der Pharao und seine Verbündeten wären in der Lage, zu verschwinden, ehe die Truppen sie erreichen.“

Ein amüsiertes Lächeln spielte auf Caesians Lippen. „Aber Gladius – wer sagt denn, dass ich nicht genau das erreichen will?“

Sein Gegenüber hob verdutzt die Augenbrauen. „Majestät, ich verstehe nicht …“

Der König legte die Schrift, die er eben noch studiert hatte, beiseite und faltete die Hände. „Es ist ganz einfach, mein Guter. Sie suchen nach den Relikten. Wieso sollte ich mir also die Hände schmutzig machen, wenn ich doch einfach warten kann, bis sie die Arbeit für mich erledigt haben?“

„Aber … zu Keiro sagtet Ihr …“

„Was ich zu ihm sagte, war gelogen. Denkst du allen Ernstes, ich weihe ihn auf der Stelle in all meine Pläne ein, nur, weil er mir ein Relikt vor die Füße wirft? Gewiss nicht. Es könnte ebenso gut eine Falle sein. Nein, dieser Angriff ist lediglich ein Test. Wenn das Heer in einen Hinterhalt geraten sollte, wissen wir, dass er nicht mit ehrlichen Absichten zu uns gekommen ist. Wenn er aber die Wahrheit sprach, so werden ich seine … Gesinnung zu nutzen wissen.“

„Und wenn es den Truppen tatsächlich gelingt, den Pharao zu töten?“

Caesian zuckte mit den Schultern. „Dann haben wir ein Problem weniger. Sollte es heute enden, werden wir die restlichen Relikte eben selbst finden müssen.“

Eine Weile herrschte Schweigen, bis Gladius erneut das Wort ergriff. „Da ist noch etwas, dass wir bedenken sollten, Euer Hoheit.“ Auf den auffordernden Blick seines Herrn hin fuhr er fort: „Wenn sie tatsächlich entkommen, wird uns auch dieser Herumtreiber nicht mehr sagen können, wo sie stecken. Ägypten ist riesig – wie sollen wir sie dann wiederfinden?“

„Mit Logik, Gladius. Mit simpler Logik“, entgegnete Caesian und schenkte sich Wein ein. „Sie werden nicht mehr zur Himmelspforte zurückkehren können. Das heißt, sie brauchen einen neuen Rückzugsort. Und davon gibt es in diesem Land derzeit nicht gerade viele.“

„Ohne Euch kritisieren zu wollen, Majestät, aber alleine die Nilufer abzusuchen würde Mondläufe dauern.“

Caesian ließ ein kurzes, freudloses Lachen vernehmen. „Sonst bist du doch weitaus scharfsinniger, mein Lieber.“ Er erhob sich und schritt zum Fenster. „Was ich meine, Gladius, ist der Süden. Die ägyptischen Truppen – oder vielmehr, was davon noch geblieben ist – haben sich dorthin geflüchtet. Sie werden Men-nefer nach diesem Angriff in einem weiteren Umkreis meiden, als bislang. Im Osten erwartet sie das Meer, im Westen die Wüste – das bedeutet, sie können lediglich nach Süden gehen.“

Dem Söldner ging ein Licht auf. „Ihr wollt sie immer weiter den Nil hinab treiben, bis sie wieder mit dem ägyptischen Heer zusammentreffen.“

„Richtig. Ich werde sie vor mir hertreiben und ihnen gelegentlich erlauben, Reißaus zu nehmen – sollten sie sich nicht nach Süden bewegen, kann nur ein Relikt dahinter stecken, es sei denn, sie wollen sich freiwillig ersäufen oder in der Wüste verrotten. Ich würde es ihnen in ihrer Lage nicht verübeln, aber ich glaube nicht, dass das die Motivation dahinter sein wird. Früher oder später werden sie dann auf ihren alten Pfad zurückkehren – und wenn alle wieder glücklich vereint sind, die mickrigen Reste des Heeres im Rücken und mit neuer Hoffnung, werde ich sie zerschmettern.“

„Herr … der einzige Wermutstropfen des Ganzen ist, dass unsere Späher lediglich gesehen haben, dass das Heer Richtung Süden gezogen ist. Ob sie irgendwann von ihrem Weg abgewichen sind, ist unklar. Wir verlassen uns in Bezug auf den Aufenthaltsort der feindlichen Truppen auf Worte aus dem Mund eines Tunichtguts. Was, wenn das Heer nicht dort lagert und wir ihre Spur tatsächlich verlieren? Sie könnten erneut erstarken und uns unerwartet angreifen. Majestät, ich halte Euch für den einzig wahren Regenten unter dieser Sonne, aber die Göttermonster des Pharao sind wahrlich nicht zu unterschätzen.“

„Gladius! Mein Bester, heute ist nicht dein Tag, habe ich Recht? Wo, außer im Süden gen Theben haben sie die Möglichkeit eine Armee über längere Zeit lagern zu lassen? Zudem könnten sie das Tal, das sie zur Bestattung ihrer hochrangigen Würdenträger und Könige nutzen, als strategischen Punkt verwenden. Sie können nur dort sein. Und sollte dem wider allem gesunden Menschenverstand nicht so sein … nun, dann wird der gute Keiro erfahren, was es heißt, mich zu verärgern.“

Er nahm einen Schluck Wein, als eine der Flügeltüren, die in den Thronsaal führten, aufgeschoben wurde.

„Was ist?“, erkundigte er sich, ohne den Soldaten anzusehen, der mit einer Verbeugung eintrat.

„Euer Hoheit, ich bin gekommen, um Euch mitzuteilen, dass soeben ein Kundschafter aus dem Westen zurückkam. Meister Taisan ist nur noch einen Tagesritt von der Stadt Eurer Majestät entfernt. Er wird wohl am Morgen hier eintreffen.“

Caesian gelang es für den Bruchteil einer Sekunde nicht, seine Überraschung zu verbergen. Doch ebenso schnell, wie der Ausdruck gekommen war, war er wieder verschwunden und durch den kalten Blick des gnadenlosen Tyrannen ersetzt worden. „Gut. Du kannst gehen. Du ebenfalls, Gladius.“

Als seine Untergebenen den Raum verlassen hatten, blickte er eine Weile gedankenverloren in das Rot des Weins, während er die Flüssigkeit leicht hin und her schwenkte.

„Endlich …“
 

„Mana?“

Die Hofmagierin sah auf und entdeckte Ryou am Eingang zu der Kaverne, in der die Schriften lagerten. Marik hatte sich inzwischen davon überzeugen lassen, sich zumindest für kurze Zeit auszuruhen, sodass die junge Frau alleine war.

„Hallo Ryou. Was gibt es?“

„Hast du vielleicht einen Augenblick?“

Sein Gegenüber zog verwundert eine Braue nach oben, nickte jedoch und bedeutete ihrem Gegenüber, sich zu setzen. Er kam der Aufforderung nach und ließ sich neben ihr nieder.

„Kommst du gut voran?“, fragte er und ließ den Blick über die schier unzähligen Papyri wandern.

Mana verzog die Mundwinkel. „Wie man es nimmt. Ich mache Fortschritte, aber irgendwie sieht man davon nichts“, seufzte sie. „Bislang bin ich auf nichts von Bedeutung gestoßen – leider. Aber das war sicher nicht, weshalb du zu mir gekommen bist, habe ich recht?“

„Nein. Es ist so …“ Ryou schien einen Moment lang nach den richtigen Worten zu suchen, ehe er fortfuhr. „Als wir am Lager der Schattentänzer mit Caesians Soldaten aneinander geraten sind, hat Risha Cheron beschworen. Und er sah irgendwie … anders aus.“

„Anders?“, wiederholte Mana und sah ihn eindringlich an.

„Ja. Seine Eckzähne waren plötzlich viel spitzer und länger. Auf der Stirn hatte er auf einmal ein Horn. Mähne und Flügel wirkten irgendwie ausgefranst. Ich weiß nicht, wie ich es genau beschreiben soll, aber etwas schien nicht in Ordnung zu sein. Es wirkte als wäre er … krank? Verwahrlost?“

Die Hofmagierin ließ sich das Erzählte kurz durch den Kopf gehen, dann nickte sie. „Er hat sich verändert. Auch, wenn das, was du eben sagtest, nicht gut klingt, so ist es normal.“

„Normal?“, hakte Ryou verdutzt nach.

Mana lächelte. „Es ist ein wenig kompliziert. Aber ich werde versuchen, es dir zu erklären. Wie du bereits weißt, sind Ka-Bestien ein Teil unserer Seele. Menschen verändern sich mit der Zeit – und dementsprechend wandeln sich auch ihre Zwillingsseelen. Du warst nicht dabei, als Atemu gegen Bakura gekämpft hat. Damals hat man das sehr deutlich gesehen. Noch bevor der alte Grabräuber überhaupt den Mund aufgemacht hat, konnte man die rapiden Veränderungen in seinem Inneren, seinen Zorn und seinen Hass, an Diabound erkennen. Als wir ihn zum ersten Mal sahen, war er noch ein Wesen mit weißer Haut, einem menschlichen Antlitz und reinen Flügeln. Im letzten Gefecht erinnerte er schon mehr an einen Dämon – er mutete damals genauso an, wie heute. Aber Veränderungen sind nicht immer negativ. Darla hat auch nicht immer so ausgesehen, wie jetzt. Ich habe mich verändert, und sie sich ebenfalls. Wir sind beide erwachsener geworden, das zeigt sich auch an ihrem Äußeren. Wusstest du, dass eine Ka-Bestie bei der Geburt ihres Trägers ebenfalls die Gestalt eines Kindes oder Jungtieres hat?“

Ryou wollte schon nicken, hielt sich dann aber noch rechtzeitig zurück und schüttelte den Kopf. Es wäre zu kompliziert, Mana zu erklären, dass die Ägyptologen seiner Zeit mit dieser ‚altägyptischen Vorstellung‘ vertraut waren, sie allerdings für bloßen Aberglauben hielten. Sie hatten die Informationen aus Hieroglyphen-Inschriften gewonnen. Aus den Überresten von dem, was einmal von Ägypten übrig sein würde … nein, es wäre zu taktlos, auch wenn Mana den Niedergang des Reiches nicht erleben würde. Außerdem würde sie nicht nachvollziehen können, wie jemand die Existenz von Ka-Bestien anzweifeln konnte.

Schließlich fuhr die junge Hofmagier fort und wischte seine Gedanken so beiseite. „Die Bestien wachsen mit uns. Wenn es stimmt, was du sagst, dann hat sich in Risha irgendetwas verändert.“

Ryou brauchte nicht lange nachzudenken. „Meinst du, Reshams Tod könnte der Auslöser dafür gewesen sein?“

„Es ist durchaus möglich, aber man kann es nicht mit Sicherheit sagen. Sie ist nicht gerade die Art von Person, der man es rasch anmerken würde – ein Ekel ist sie immerhin schon, seit wir sie kennengelernt haben.“

„Da magst du Recht haben. Aber müsste sich Riells Ka dann nicht auch gewandelt haben?“, überlegte Ryou laut.

„Nicht unbedingt. Bei manchen sind die Veränderungen sehr plötzlich, bei anderen gehen sie langsam vonstatten. Es kommt vor allem auf die … wie soll ich sagen? Vielleicht ist Stabilität der richtige Begriff. Ja, es hängt mit der Stabilität eines Gemüts zusammen. Risha ist, gleich wie sehr sie es leugnen mag, extrem impulsiv und zugleich ein wahnsinnig negativ denkender Mensch. Genau wie Bakura – Diabound spiegelte augenblicklich wider, was in ihm vorging und mit Cheron verhält es sich jetzt eventuell genauso. Riell hingegen ist sehr besonnen und für negative Gefühle nicht so empfänglich. Die Veränderungen an Anwaar müssten demnach gering bis nicht vorhanden sein.“

Ryou ließ sich die Gedanken noch einen Moment lang durch den Kopf gehen, dann nickte er. „Das klingt logisch. Ich danke dir, Mana!“

Sein Gegenüber lächelte freundlich. „Gern geschehen!“

„Kann ich dir hier vielleicht noch irgendwie behilflich sein? Ich meine, ich kann zwar keine Hieroglyphen lesen, aber ich könnte dir zum Beispiel etwas zu Essen oder zu Trinken bringen.“

Die Hofmagierin schien kurz zu überlegen. „Nein, dan… obwohl, warte. Da wäre etwas.“

„Was denn?“

Sie beugte sich verschwörerisch zu Ryou hinüber.

„Weißt du, wie man ‚Popcorn‘ macht?“
 

Der Tag zog dahin.

Risha schnaubte abfällig, als sie den Kamm einer Düne erklomm und den Blick über das Land schweifen ließ. Die Sonne begann bereits, in grellem Orange am Horizont zu versinken. Eine Weile stand sie einfach nur da und betrachtete das in Ägypten beinahe alltägliche Naturschauspiel, bis sie das Schlagen von Flügeln aus den Gedanken riss. Kurz darauf landete Cheron leichtfüßig neben ihr.

„Immer noch keine Spur von ihm?“

„Nein“, war die knappe Antwort der Ka-Bestie.

Seit sie die Himmelspforte verlassen hatte, hatte sie unentwegt versucht, Keiro aufzuspüren. Doch er war wie vom Erdboden verschluckt. Gleich wie weit Cheron ausflog, er konnte ihn nicht finden. Rishas Verdacht, dass er sich aus dem Staub gemacht hatte, solange er noch konnte, verstärkte sich zunehmend. Es würde passen. Keiro war nie jemand gewesen, der sich Konflikten stellte, gleich welcher Art sie waren. Es gab lediglich Male, da hielt er länger durch – doch letzten Endes knickte er immer ein und tauchte ab. Er hatte es schon oft getan, warum nicht auch diesmal?

Dennoch ließ irgendetwas Risha daran zweifeln, dass er gegangen war. Und dieses Etwas hieß Bakura. Sie traute ihm viel zu, aber dass er seinen eigenen Bruder sitzenlassen würde, kurz, nachdem sie wieder zueinander gefunden hatten? Als er vorgehabt hatte, aus Men-nefer zu verschwinden, hatte er versucht, Bakura mitzunehmen. Warum war er also jetzt ohne ihn losgezogen?

„Cheron? Tu mir einen Gefallen und flieg noch bis zum Horizont. Danach kehren wir zur Himmelspforte zurück, mit oder ohne Keiro“, bat sie und nickte gen Nord-Osten.

Die Ka-Bestie erhob sich mit mächtigen Flügelschlägen in die Luft.

Nein. Nein, noch etwas passte nicht. Selbst wenn er sich dazu entschlossen hatte, sich von nun an aus dem Krieg herauszuhalten, sie hätten ihn finden müssen. Keiros Monster war nicht in der Lage, zu fliegen. Selbst, wenn er nicht auf einem Pferd, sondern auf Shadaras Rücken unterwegs war, hätte er nicht über die Distanzen hinaus kommen können, die Cheron heute abgeflogen war.

Ein panisches Wiehern riss aus sie aus den Gedanken, als der Pegasus vom Himmel geschossen kam und knapp über ihr in der Luft verharrte.

„Hast du ihn …?“

„Wir müssen sofort verschwinden!“

Eine Woge von Unruhe und Dringlichkeit rollte durch die seelische Verbindung und ließ Risha schaudern. „Was, in Sachmets Namen, ist los?“

„Caesian, sein Heer. Es kommt genau auf uns zu. Es scheint, als marschiere es zielstrebig gen Süd-Westen.“

Es fühlte sich an, als gefriere das Blut in ihren Adern. Dann schallte der Ruf eines Horns über die abendliche Wüste. „Das bedeutet … sie werden auf die Himmelspforte stoßen.“

Die Blicke von Ka und Träger trafen sich.

„Ich glaube nicht an einen Zufall“, grollte Cheron.

„Flieg‘ voraus. Ich bin direkt hinter dir. Warn‘ die Anderen. Wir müssen umgehend weg.“

Sie wirbelte herum und rannte zu ihrem Pferd. Kaum, dass sie aufgesessen war, preschte sie bereits über den Wüstensand dahin, so schnell sie das Tier trug. Der Pegasus war bereits zu einem winzigen Punkt in der Ferne geworden.

Risha?, hörte sie seine Stimme in ihren Gedanken. Wohin?, griff er ihre letzte Äußerung auf.

Die Schattentänzerin schluckte schwer. Ich weiß es nicht, Cheron. Ich weiß es nicht …
 

Caesian hatte nicht bemerkt, wie sich eine Gestalt hinter einem Vorhang des Thronsaales hervorgestohlen hatte. Ebenso wenig hatte er zur Kenntnis genommen, wie diese Gestalt lautlos aus dem Fenster gestiegen war und sich an einer Säule des darunter befindlichen Freigangs herabgelassen hatte. Kaum, dass sie wieder festen Boden unter den Füßen hatte, verschmolz sie mit dem Schatten der Gebäude.

Hatte Caesian allen Ernstes geglaubt, ihn täuschen zu können? Scheinbar ja.

Keiro mochte nie als Soldat gedient haben. Er hatte sich seine Fähigkeiten in den Gossen verschiedenster Städte angeeignet. Doch selbst er war sofort misstrauisch gewesen, als Caesian das Heer ohne zu Zögern zur Himmelspforte entsandt hatte, ohne zuvor auch nur einen einzigen Späher die Gegend auskundschaften zu lassen. Zudem hatte er seinen obersten Feldherren in Men-nefer verweilen lassen.

Er wollte ihn testen. Sollte er. Keiro hatte in dieser Hinsicht nichts zu verbergen. Zugleich hatte er soeben etwas gelernt: Gleich, wie viele Relikte und Pharaonenhäupter er Caesian vor die Füße schmiss, er musste wachsam bleiben. Der Tyrann überließ nichts dem Zufall, das musste man ihm lassen.

Aber auch Keiro würde sich nicht lumpen lassen. Wenn Caesian glaubte, ihn kontrollieren zu können, hatte er sich geschnitten. Er war hier, um eine Aufgabe zu erfüllen. Er würde dafür Sorge tragen, dass auch die letzten Reste der Schattentänzer vom Antlitz der Welt verschwanden. Er selbst würde für ihren endgültigen Untergang herbeiführen. Wenn sich herausstellen sollte, dass Caesian dabei im Weg stand, würde er seine Ansichten über diese Allianz revidieren müssen. Zur Not mit Gewalt.

Nichtsdestotrotz stahl sich ein Lächeln auf Keiros Lippen. Caesians Finte hatte ihm Zeit verschafft. Und er würde sie nutzen. Es würde wohl noch etwas dauern, bis er Risha in die Finger bekam. Er würde das Beste daraus machen – und sie leiden lassen.
 

Marlic schlurfte über den Hof des Verstecks. Zunächst sah er sich ziellos um, ehe er plötzlich auf die kleine Gruppe zusteuerte, die im Schatten der Felsen saß. Yugi, Tea, Joey, Duke und Tristan sahen auf, als er sich näherte.

„Immer noch nichts Neues?“, erkundigte er sich eigenartig normal.

Yugi überwand als Erster seine Überraschung und schüttelte den Kopf. „Nein“, erwiderte er knapp.

Marlics Miene verzog sich. „So ein Mist … Diese Warterei macht mich wahnsinnig!“, brummte er und verpasste einer Schüssel, die am Boden stand, einen Tritt, sodass sie ein Stück weit flog und dann in dutzende Teile zersprang.

„Das heißt noch lange nicht, dass du …“

Tristan kam nicht dazu, seine Aussage zum Ende zu bringen. Ein aufgeregter Ruf schallte von den Klippen der Himmelspforte herab. Es dauerte nicht lange, bis sie beobachten konnten, wie einer der Soldaten am Boden in Richtung der Kaverne lief, die Riell als Quartier diente. Kurz darauf zeigte sich das Oberhaupt der Schattentänzer.

„Was ist los?“, rief er die steinigen Wände hinauf.

„Etwas kommt auf uns zu, Majestät! Ich glaube, es ist Cheron. Aber … er ist allein!“

Sofort breitete sich eine Anspannung aus, die regelrecht greifbar war. Yugi und die Anderen kamen augenblicklich auf die Beine und eilten zu Riell hinüber.

„Was hat das zu bedeuten?“, erkundigte er sich bei dem Ägypter.

„Ich weiß es nicht. Aber wir werden es gleich wissen“, erwiderte der diplomatisch. Es gelang ihm jedoch nicht, die Besorgnis gänzlich aus seiner Stimme zu verbannen. Irgendetwas war seltsam. Cheron würde Risha niemals verlassen, wenn sie in Gefahr war – was bedeuten musste, dass sie sich keiner unmittelbaren Bedrohung gegenüber sehen konnte. Auf der anderen Seite würde er sie in diesen Zeiten auch dann nicht alleine dort draußen lassen, wenn weit und breit keine Gefahr zu erkennen war. Nein, irgendetwas war falsch.

Während sich der Hof der Himmelspforte allmählich füllte, glitt der Pegasus schließlich über die Umgrenzung der Himmelspforte hinweg und landete aufgebracht vor Riell.

Der Schattentänzer versuchte, ihm eine Hand auf den Hals zu legen, um ihn zu beruhigen, doch die Bestie wich der Geste sofort aus. „Cheron, was ist …?“

„Keine Zeit für Erklärungen! Wir müssen weg! Auf der Stelle!“

Einen Wimpernschlag lang breitete sich erschüttertes Schweigen aus.

„Was soll das heißen, wir müssen weg?“, hakte Joey schließlich als Erster nach. „Wieso? Ohne einen guten Grund werden wir bestimmt nicht den einzig sicheren Ort in ganz …“

Er brach abrupt ab und taumelte zurück, als sich Cheron zunächst auf die Hinterläufe stellte und dann seine Hufe nur knapp vor dem jungen Mann in den Boden rammte, dass das Gestein splitterte.

„Ist das Überleben von uns allen vielleicht Grund genug?“, fauchte das Monster und entblößte die langen, spitzen Eckzähne. Das Horn an seiner Stirn schwebte knapp vor Joeys Gesicht.

Riell war kurz davor gewesen, Anwaar zu rufen, doch er hielt inne. Der Pegasus war Schweiß gebadet, seine Flanken hoben und senkten sich ruckartig. Sein Verhalten war vollkommen fern von dem ruhigen Charakter, den er sonst an den Tag legte.

Cheron hatte Angst.

„Was ist passiert?“, wandte er sich noch einmal an das Seelenwesen, diesmal lauter. „Wir müssen wissen, was los ist!“

Der Pegasus schüttelte die Mähne und tänzelte einige Schritte zurück. „Caesian … seine Armee … sie marschieren genau auf uns zu.“

Riells Blut gefror. Gemurmel brach um ihn herum aus, während er versuchte, das Gehörte zu verarbeiten. Auch Yugi starrte den Ka sprachlos an. Doch er fing sich schneller wieder, als das Oberhaupt des Clans. „Das bedeutet …“

Er stockte und schluckte hart. Die folgenden Worte fühlten sich an wie eine Verheißung.

„Sie haben uns gefunden.“


Nachwort zu diesem Kapitel:
Wirklich schneller kam das Kapitel diesmal nicht, aber die Uni spannt mich derzeit ziemlich ein - was nicht zwingend negativ ist. Mir macht mein Studium Spaß, und ich tue gerne was dafür, auch wenn es manchmal schade ist, dass diese Geschichte darunter leiden muss.
Darum verspreche ich diesmal bezüglich dem nächsten Update gar nichts. Wie immer wird es so schnell wie möglich kommen, aber "schnell" bleibt hierbei eben ein dehnbarer Begriff. Meine Ausbildung geht einfach vor.

Im nächsten Kapitel werden dann wieder die Canon-Charas mehr zum Zuge kommen. Und wir werden Taisan kennenlernen. Irgendwelche Spekulationen, um wen es sich dabei handelt? Wäre interessant zu wissen, ob jemand eine zutreffende Vermutung hat. :) Er wird jedenfalls eine wichtige Rolle dabei spielen, Caesians Motive zu erklären. Außerdem kriegt Atemu im nächsten Kapitel auch wieder einen Auftritt, nachdem ich ihn diesmal links liegen gelassen habe.

Also dann, ich hoffe, es hat wie immer gefallen und wir sehen uns im nächsten Kapitel!

EDIT: Da fällt mir auf ... ich weiß nicht, ob ich lachen oder weinen soll, aber am 29.6. wird diese Geschichte in der Tat 4 Jahre alt. ... Wuhu? Komplett anzeigen

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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Seelendieb
2015-06-12T05:00:28+00:00 12.06.2015 07:00
Viel Glück bei deinem Studium. RL geht natürlich vor!

Sehr spannendes und packendes Kapitel.

Mich würds nicht wundern, wenn dieser Taisan Setos Vater ist. Der hat ja noch ne Rechnung mit Atemu offen...

Fange dann mal an die Sekunden zu zählen, bis es weiter geht... :D
Antwort von:  Sechmet
12.06.2015 14:02
Danke, ein bisschen Glück kann nie schaden!

Vielen Dank, freut mich, dass es dir wieder gefallen hat. :) Eine interessante Vermutung. Mal sehen, ob sie zutrifft ...

Oh weh ... Das kann eine ganze Menge werden. Ich erwarte dann eine genaue Summe, sobald das nächste Kapitel online geht! ;p

LG, Sech
Antwort von:  Seelendieb
12.06.2015 17:41
Die bekommst du :D


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