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Die Seele der Zeit

Yu-Gi-Oh! Part 6
von

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Rastlos

Die Nacht war dabei, sich über das Land zu senken. Vereinzelt waren bereits die ersten Sterne am Firmament zu erkennen. Die Wärme des Tages wich allmählich der Kühle, die das Verschwinden der Sonne mit sich brachte.

Mana zog ihren Umhang enger um die Schultern und hielt ihn fest, damit der Wind ihn ihr nicht gleich wieder vom Leib zerrte. Seit dem Morgen waren sie unterwegs, ohne Rast zu machen. Allmählich schmerzten ihre Glieder von der kauernden Position, in der sie sich befand. Kiarna trug sie und Marlic in je einer ihrer Pranken, während Samira sich einen Platz auf den Schultern der Ka-Bestie gesucht hatte.

Das Monster hatte bereits einen beachtlichen Teil der Strecke zurückgelegt und es konnte sich nur noch um eine Frage der Zeit handeln, bis sie Theben erreichen würden.

Die Hofmagierin warf einen Blick zu Marlic. Er hatte es sich, so gut es eben ging, gemütlich gemacht, lag auf seinem Rücken und hatte die Arme hinter dem Kopf verschränkt.

Vielleicht hätte sie auch ein wenig ruhen sollen. Sobald sie angekommen waren, würde ihr das erst einmal nicht vergönnt sein. Doch sie glaubte kaum, dass sie Erfolg gehabt hätte. Die Kälte des Gegenwindes ließ sie zu sehr frieren.

Ihre Gedanken wanderten zu Atemu. Sie seufzte. Er tat ihr leid. Seit Monaten stand er unter solch enormem Druck und jetzt hatte sich die Lage noch einmal mehr angespannt. Sie würde ihm zu gerne helfen, wusste jedoch, dass sie das nicht konnte. Weder war sie in der Lage, Caesian verschwinden zu lassen, noch konnte sie irgendetwas gegen den Konflikt mit den Schattentänzern tun. Auch die verbleibenden Relikte konnte sie nicht herbeizaubern. Das Einzige, was sie tun konnte, war, ihm unterstützend zur Seite zu stehen. Und auch, wenn ihr bewusst war, dass ihre Mittel nichts anderes zuließen, fühlte es sich an, als wäre das, was sie machen konnte, gar nichts. Sie war nutzlos. Dazu verdammt, daneben zu stehen und zuzusehen, wie der Kindheitsfreund, den sie von klein auf an immer bewundert hatte, litt, ohne die Möglichkeit, sein Leid zu lindern. Sie konnte es nur mit ihm teilen, aber das erlaubte er nicht. Sie wünschte, er würde es tun, sie daran teilhaben lassen, damit er diese Bürde nicht alleine tragen musste. Doch das ging nicht. Er war der Pharao von Ägypten und durfte keine Schwäche zeigen. Sie wiederum war nur eine Hofmagierin. Und diese verschiedenen Schichten, denen sie angehörten, trennten sie nicht nur gesellschaftlich, sondern auch, wenn es um das ging, was sie für ihre Heimat zu tun vermochten.

Streng genommen hatte sie in Sachen Politik – und damit eingeschlossen auch Kriegsführung – überhaupt kein Mitspracherecht. Lediglich, wenn an der Front magische Unterstützung gebraucht wurde, kam sie ins Spiel. Das war es jedoch auch schon wieder. Ihr Platz war dort, wo geforscht und untersucht wurde. Neue Zaubersprüche, Heilmittel und alles sonst, was Volk und Regentschaft das Leben erleichterte. Die politischen Strategien schmiedeten andere, Leute, die höher gestellt waren, als sie. Dass ihr alter Meister Mahad überhaupt so sehr in die Rechtsfragen des Staates involviert gewesen war, war alleine der Tatsache geschuldet, dass er Hofmagier und Aufseher der Stadtwache zugleich gewesen war. Wäre letzteres nicht der Fall gewesen, er hätte den Thronsaal nur äußerst selten von innen gesehen, geschweige denn einen Milleniumsgegenstand anvertraut bekommen. Sie wünschte, sie könnte in seine Fußstapfen treten und mehr für ihr Land tun. Doch dieser Wunsch war utopisch. Sie war nicht wie er und würde es auch nie sein. Sie kam aus einer völlig anderen Schicht als ihr Meister und konnte sich glücklich schätzen, dass man ihre Fähigkeiten überhaupt entdeckt und erlaubt hatte, sie zu einer Magierin auszubilden.

Ihre Gedanken wanderten zu Seto. Seit er seine Regierung angetreten hatte, hatte sie ihn kaum noch zu Gesicht bekommen. Er war die meiste Zeit dabei, Probleme des Staates zu lösen, oder an offiziellen Weihungen, Prozessionen oder sonstigen Feierlichkeiten teilzunehmen. Sie hingegen verbrachte viel Zeit in Bibliotheken, den magischen Werkstätten oder außerhalb der Stadt, um dort üben zu können, ohne dass jemand zu Schaden kam, wenn ihr ein Zauber missglückte. Wenn Atemu nach dem Krieg wieder den Thron besteigen sollte … würde es dann ebenso sein? Würde sie ihn auch so selten sehen, sich langsam von ihm entfernen? Würde sie ihn irgendwann vielleicht nicht mehr ihren Freund nennen können? Sie wusste, er würde nie aus bösem Willen mit ihr brechen. Doch was, wenn es ihm sein Stand und all die Aufgaben, die auf seinen Schultern ruhten, irgendwann nicht mehr erlaubten, sie zu sehen? Bei Seto war es nicht belastend gewesen. Den Hohepriester akzeptierte und schätzte sie zwar, er war jedoch grundlegend gegensätzlicher Natur. Kurzum: Freunde im eigentlichen Sinne waren sie nie geworden. Bei Atemu lag die Sache anders … Es würde schmerzen, dabei zuzusehen, wie sie sich langsam voneinander entfernten.

Sie schreckte aus ihren Gedanken hoch, als Kiarna ein Grollen vernehmen ließ. Sie richtete den Blick zum Horizont und konnte gegen das restliche Licht der nun beinahe vollständig verschwundenen Sonne eine Stadt ausmachen. Mana seufzte erleichtert. Endlich hatten sie es geschafft. Sie hielt sich an einer Kralle der Ka-Bestie fest, während sie zu Samira hinauf sah.

„Wir landen am besten außerhalb der Stadtmauer. Ich glaube nicht, dass im Inneren genug Platz für Kiarna wäre.“

Die junge Schattentänzerin nickte knapp, sagte jedoch nichts. Die Hofmagierin spürte, wie der Phönix allmählich zur Landung ansetzte.

Bitte, lass das Relikt hier sein, bat Mana in Gedanken, ohne sie an jemand bestimmten zu richten. Gib uns endlich einen Triumph, den wir auskosten können.
 

Atemu und seine Verbündeten hatten beschlossen, heute erst später zu rasten. Je eher sie Theben erreichten, desto besser würde es sein. Es konnte jedenfalls nicht schaden, die Stadt eine Weile vor Caesians Truppen zu erreichen, um dort noch einmal alle Kräfte zusammennehmen zu können, ehe der Feind sie einholte.

Der Pharao war den ganzen Tag über erstaunlich still gewesen. Yugi beunruhigte sein Verhalten. Seit dieser Krieg ausgebrochen war, war er häufig nachdenklich, doch sein Partner glaubte nicht, dass seine Gedanken heute etwas mit der ihnen folgenden Bedrohung zu tun hatten. Er vermutete, dass ihn Kipinos Tod mehr belastete, als man auf den ersten Blick sah – besonders in Zusammenhang mit den Anschuldigungen Rishas. Er hatte den Anderen bislang nicht angesprochen, wägte noch immer ab, ob er ihn in Ruhe lassen oder dazu ermuntern sollte, über das, was ihn bedrückte, zu reden.

Die Entscheidung sollte ihm kurz darauf abgenommen werden. Er bekam mit, wie Atemu Seto anwies, weiterzuziehen, und erklärte, dass er für eine Weile alleine nachdenken müsse. Der Hohepriester hatte noch nicht auf den Befehl reagiert, da hatte der Pharao sein Pferd bereits aus der Gruppe herausgelenkt und preschte in den Sonnenuntergang hinaus.

Yugi zögerte noch etwas, dann ließ er sich zurückfallen und folgte dem ägyptischen König.
 

Seit dem Morgengrauen war er nun schon unterwegs – doch bislang blieb seine Suche erfolglos.

Bakura schnaubte abfällig. Sie konnte sich nicht einfach in Luft aufgelöst haben! Und wenn sie nicht gerade auf Cheron unterwegs war, dann konnte sie noch nicht weit gekommen sein. Wäre das aber der Fall, dann hätte sie kein Pferd mitgenommen.

Er ließ den Blick über die Wüste schweifen, die sich unterhalb der Düne, auf der er stand, erstreckte. Naturgemäß hatte er keine Fußspuren ihres Reittieres mehr gefunden, denen er hätte folgen können. Der Wind hatte sie längst verweht. Zudem hatte er keine Ahnung, wohin sie eigentlich wollte. Alle Anlaufpunkte der Schattentänzer waren zerstört. Ansonsten gab es nichts, wohin sie sich zurückziehen könnte. Oder etwa doch?

Gerade bemerkte er zum ersten Mal, wie schlecht er Risha eigentlich kannte. Wobei schlecht noch untertrieben war. Er kannte sie gar nicht. Deshalb erschloss sich ihm auch nicht recht, weswegen sie überhaupt so überstürzt abgehauen war. Klar, sie hatte eine ziemliche Wut auf Atemu und Riell gehabt. Aber das … damit hatte er nicht gerechnet. Sie wirkte eigentlich weitestgehend überlegt, relativ kalkulierend. Da hatte er sich offenbar getäuscht.

„Oder sie hat einfach nur ihre verdammten Tage …“, murmelte Bakura frustriert.

Warum tat man so etwas? Leute, die kleinbeigaben hatte er noch nie verstehen können. Wenn ihn etwas störte, dann räumte er den Störfaktor aus dem Weg. Wobei es im gestrigen Streit eigentlich niemanden gegeben hatte, der irgendetwas falsch gemacht hatte. Der Pharao hatte den Schattentänzer nicht auf dem Gewissen, das war sogar dem Grabräuber von Anfang an klar gewesen – und er war nun wirklich alles andere als gut auf ihn zu sprechen. Man musste schon einiges tun, damit seine Hoheit bereit war zu töten. Und so, wie Bakura das Clanmitglied, das nun irgendwo in der Unterwelt wandelte, einschätzte, hätte der Kerl das nie im Leben fertig gebracht. Atemu hätte sich wahrscheinlich sogar noch in die Flugbahn des Pfeils geworfen, um den Mann zu beschützen, wenn er es irgendwie hätte einrichten können – und das, obwohl Kipino nicht einmal annähernd so wichtig in diesem Krieg gewesen war. Aber so war der Pharao nun mal. So aufopferungsvoll, so selbstlos … so abgrundtief dämlich.

Genau wie Risha. Ihre Anschuldigungen waren absolut haltlos gewesen. Das Einzige, was sie in Wahrheit gewollt hatte, war, ihren Frust an jemandem abzulassen. Typisch Frau eben …

Er legte die Stirn in Falten und grübelte weiter über den letzten Gedanken nach. Das traf es eigentlich ziemlich gut. Wahrscheinlich rannte er ihr nur wegen irgendeiner weibischen Laune hinterher, die ebenso schnell wieder abgeklungen sein würde, wie sie gekommen war. Vielleicht war sie auch längst zu den anderen zurückgekehrt?

Irgendetwas ließ ihn daran zweifeln. Genau so typisch weiblich war nämlich ihre Angewohnheit, Fehler nicht zuzugeben. Sie würde also lieber irgendwo elendig in der Wüste verrecken, als sich einzugestehen, dass sie falsch gelegen hatte – und Letzteres würde sie tun, wenn sie zurückkam. Aber warum suchte er eigentlich nach ihr? Das hier war der reinste Kindergarten! Dann fiel ihm wieder ein, was er gegenüber Riell an Argumenten vorgebracht hatte. Truppenstärke und so … um die mussten sie leider tatsächlich fürchten, wenn die Führungsriege des Clans nicht bald wieder komplett war, denn dem Pharao würden sich nur die wenigstens Mitglieder unterstellen. Außerdem wollte er ihr mal eine Portion ihrer eigenen Medizin verpassen. Hatte sie nicht noch kurz bevor sie letztlich versucht hatte, Atemu abzustechen, davon geredet, dass sie sich würden gedulden müssen, bis der Krieg vorbei war, ehe sie zum Schlag ausholten? Dass sie keine andere Wahl hatten, als Seite an Seite zu kämpfen, bis Caesian fiel? Ha, er würde es genießen, ihr endlich mal eine Kostprobe dieses Gelabers reindrücken zu können.

Zudem – aber das musste ja keiner wissen – hatte er so einen triftigen Grund gehabt, sich endlich mal eine Weile aus der ach so verbrüderten Gemeinschaft zu lösen. Alleine das Gerede von den Freunden des Pharao war Nerv tötend. Und jetzt waren auch noch zwei Idioten mehr dazu gekommen …

Er sah auf, als Diabound zurückkehrte. Er hatte die Bestie kurz zuvor ausgesandt, um die Umgebung abzusuchen.

„Irgendetwas gefunden?“, erkundigte sich der Grabräuber knapp.

Das Monster nickte. „Ja. Einen enthaupteten und bis zur Unkenntlichkeit verbrannten Tross Soldaten gen Westen. Sieht aus, als hätten sie Bekanntschaft mit Cheron gemacht.“

„Na endlich. Zeig mir den Weg.“

Damit schwang er sich auf sein Pferd und folgte Diabound.
 

Yugi entdeckte ihn auf einer Anhöhe, die am Nilufer lag. Sein Blick war auf den Fluss gerichtet, sodass er ihn zunächst nicht kommen sah. Er wandte sich allerdings sogleich um, als er das Wiehern eines Pferdes hörte.

Atemu erblickte den Jüngeren, als dieser gerade von seinem Reittier stieg, ehe er langsam näher kam. „Partner. Was tust du hier?“

„Störe ich dich?“, äußerte der Andere die Gegenfrage.

„Nein. Ich … habe lediglich einen Moment für mich gebraucht. Hast du dir etwa Sorgen gemacht?“

Yugi zuckte mit den Schultern. „Würde ich es leugnen, wäre das eine Lüge.“

„Das musst du nicht. Wirklich. Es geht mir gut.“

„Bist du sicher?“ Als der Pharao ihm einen fragenden Blick zuwarf, fuhr er fort: „Du bist schon seit heute Morgen so still. Du scheinst die meiste Zeit in Gedanken versunken zu sein. Ist es wegen dem, was gestern passiert ist?“

Atemu seufzte schwer und fuhr sich mit einer Hand durch die Haare. „Es tut mir leid, wenn ich dir Sorgen bereitet habe.“

„Darum geht es mir doch gar nicht“, meinte Yugi mit einem Lächeln und setzte sich in den Sand. „Ich möchte dir lediglich die Möglichkeit geben, darüber zu sprechen – sofern du das möchtest. Wenn nicht, ist das auch in Ordnung, ich werde dich nicht dazu drängen. Ich will nur nicht, dass du etwas in dich hineinfrisst, weil du Angst hast, du könntest mich oder die Anderen damit belasten.“

Der Pharao überlegte einen Moment, dann verschränkte er die Arme vor der Brust, wobei er keine Anstalten machte, sich ebenfalls niederzulassen. „Es ist nur so, dass … Sag, kennst du dieses Gefühl, wenn du rückblickend alles anders machen würdest? Wenn du wegen eines simplen Zwischenfalls so vieles in Frage stellst?“

Der Kleinere nickte. „Ja … auch, wenn ich wohl selten so schwerwiegende Entscheidungen treffen musste, wie du.“

„Gestern beispielsweise. Heute könnte ich mich dafür ohrfeigen, dass ich nur danebenstand und mitangesehen habe, wie Risha … ach, ich weiß nicht, was genau sie gemacht hat, doch würde es noch einmal passieren, ich würde nicht nur dabei zusehen, wie Riell und Seto für mich in die Bresche springen!“, sagte er und es hörte sich an, als schwinge Verzweiflung in seiner Stimme mit.

„Sie hat sich unmöglich benommen. Wobei ich denke, dass auch sie unter großem Druck steht. Aber trotzdem hätte das nicht passieren dürfen. Ihre Anschuldigungen gegen dich waren nicht nur falsch, sondern auch verletzend.“

Atemu schnaubte. „Sie glaubt, mich zu kennen und dabei weiß sie überhaupt nichts über mich! Weder über mich, noch über meinen Vater, den sie ebenso verurteilt! Ich habe es satt, mir ständig Vorhaltungen wegen Kul Elna machen zu lassen! Als all das passiert ist, war ich noch ein Kind! Und selbst mein Vater wusste erst lange nach der Erschaffung der Milleniumsgegenstände, was sich in dieser Nacht wirklich zugetragen hat!“ Er spuckte die Worte aus, als lägen sie ihm bitter auf der Zunge. „Mal davon abgesehen geht es hier verdammt nochmal nicht um Kul Elna! Es geht um die Zukunft dieses Landes, unserer Heimat! Und Risha hat nichts, aber auch absolut gar nichts Besseres zu tun, als andauernd wieder von dieser Sache anzufangen! Die Welt dreht sich nicht um sie! Wann rafft sie das endlich? Zudem liegt sie falsch und sucht lediglich einen Schuldigen, den sie bestrafen kann, weil mein Onkel dafür nicht mehr zur Verfügung steht, aber das merkte sie nicht einmal! Egal, welche Argumente ich vorbringe, egal, ob ich auf den Knien vor ihr herumrutschen würde, es würde nichts, rein gar nichts ändern! Und das treibt mich in den Wahnsinn! Sie ist genauso verbohrt wie Bakura, aber der schafft es im Moment wenigstens seine verdammte Klappe zu halten! Ich versuche es allen Recht zu machen, wirklich! Aber wenn sie mir nicht einmal die Möglichkeit gibt, ihr zu zeigen, dass sie sich irrt, wie soll mir das gelingen? Ich habe sie lange reden lassen, mich zusammengerissen, aber irgendwann ist auch meine Geduld einmal zu Ende! Diese ständigen Anfeindungen, diese andauernden Beschuldigungen für etwas, das nicht meine Schuld war … es reicht! Genauso wenig habe ich irgendetwas mit Kipinos Tod zu tun gehabt! Verflucht, ich hätte alles, alles getan, um das zu verhindern! Aber ich konnte es nicht! Ich habe ihn weder umgebracht, noch ihn an meiner statt sterben lassen! Ich hasse mich dafür, dass ich nichts getan habe, während Seto und Riell diesen Konflikt, der mir galt, für mich ausgebadet haben!“

Atemu merkte selbst nicht, wie er lauter wurde, sich immer mehr in Rage redete.

„Hätte ich doch nur den Mund aufgemacht! Dann wären die Schattentänzer vielleicht gar nicht desertiert – wenn sie nur gesehen hätten, dass ich jemand bin, der nicht nur für das, was seine Untergebenen tun, sondern auch für das, was er selbst tut, Verantwortung übernehmen kann! Der nicht nur delegiert und ständig die Schuld auf andere schiebt! Wer weiß, ob sie wirklich gegangen sind, weil sie Rishas Worten glaubten? Vielleicht sind sie auch nur abgehauen, weil ich so feige war! Wer folgt schon einem feigen König?“

Er holte aus und rammte die geballte Faust in den Stamm einer nahestehenden Palme. Dann war es still. Das einzige Geräusch waren die schweren Atemzüge des Pharao, der wieder um Beherrschung rang, und das Flüstern des Windes.

Schließlich zog Atemu die Hand zurück und richtete sich wieder auf. „Es … tut mir Leid, Partner. Ich hätte nicht …“

„Alles okay.“

Er wandte sich zu dem Jüngeren um. Der lächelte ihn an – jedoch nicht mitfühlend oder dergleichen, sondern ehrlich erleichtert.

„Warum … siehst du so fröhlich aus?“, erkundigte sich der Pharao verdutzt.

„Weil du endlich all das, was sich angestaut hat, herausgelassen hast. Das ist gut. Jedenfalls besser, als es irgendwann in einer Schlacht zu tun, denn da musst du einen kühlen Kopf bewahren. Hör zu, das, was eben passiert ist, ist vollkommen menschlich. Auch du hast Sorgen, Ängste, Bedürfnisse und ja, auch du wirst mal sauer. Ich weiß, das kannst du dir in deiner Position meistens nicht leisten. Deshalb ist es nochmal umso besser, dass dieser Ausbruch jetzt passiert ist, da wir nicht bei den Anderen waren. Ich glaube zwar, dass Riell deine Meinung im Moment teilen würde, und trotzdem … es hätte nicht das beste Klima für eure weitere Zusammenarbeit geschaffen. Aber hey, was ich eigentlich sagen will, ist, dass auch du das Recht hast, dir mal den Frust von der Seele zu schreien oder einer – zugegebenermaßen unschuldigen – Palme eine zu verpassen.“

Atemu musste aufgrund des letzten Kommentars schmunzeln. „Ich danke dir, Partner …“

„Kein Problem. Dafür sind Freunde doch da. Und wenn du mal wieder Druck ablassen musst, dann sag einfach Bescheid!“

Der Pharao nickte dankbar. „Das werde ich. Wollen wir zurück zu den Anderen gehen?“

„Aber klar doch. Nicht, dass sie uns noch abhängen.“

Damit liefen beide zurück zu ihren Pferden – Atemu mit wesentlich leichteren Schritten, als zuvor.
 

Marlic trieb sein Pferd durch das Grün des Nilufers. Inzwischen hatte die Nacht das Land fest im Griff.

Endlich hatte er aufbrechen können. Zunächst hatte ihn Mana mit sich durch die Stadt geschleift, um mit dem Vorstehenden der Stadtwache zu sprechen. Dort hatten sie dann schließlich erreichen können, dass Marlic uneingeschränkten Zugang zum Tal der Könige bekam. Zu diesem Zeitpunkt war er sich schon sicher gewesen, sie bald los zu sein, doch er hatte sich getäuscht – die Hofmagierin hatte ihm zunächst noch einen Vortrag darüber gehalten, dass er noch nicht einmal daran denken sollte, in der Nekropole irgendetwas mitgehen zu lassen. Gleich, ob er sie angepampt oder ihr versichert hatte, dass das nicht passieren würde, sie hatte keine Ruhe gegeben. Marlic war jetzt noch genervt von dem Gespräch. War er Bakura oder was?

Umso mehr hatte er aufgeatmet, als er endlich zu den Ställen geführt wurde. Mana hatte zwar vorgeschlagen, er solle bis zum Morgen mit der Suche warten, doch er hatte abgelehnt. Erstens wollte er sie loswerden. Zweitens war ihm verdammt langweilig. Schon seit Tagen. Den Pharao vor der Seele der Zeit vorführen zu können, war zwar vergnüglich gewesen, ebenso wie der Auftritt von Bakuras Cousinchen, bei dem er erwartet hatte, es würde irgendwann einfach platzen, aber na ja … irgendwie hielt das nicht lange nach. Gab immerhin nicht viel, das man in der Wüste machen konnte, außer den ganzen Tag vor sich hin zu latschen. Natürlich hatte er mehr als einmal versucht, seine Mitstreiter zu piesacken, aber die waren meistens zu erschöpft von der Hitze und dem ständigen Laufen, weswegen sie kaum auf seine Anfeindungen eingingen oder sie nur mit verdrehten Augen abnickten. So machte das keinen Spaß. Darum galt nun: diese Sonnenscheibe finden und dann ab in eine ordentliche Kneipe in Thebens Zentrum. Je schneller, desto besser.

Eines beschäftigte ihn jedoch. Schon seit er die Stadt verlassen hatte, hatte er das Gefühl, beobachtet zu werden. So oft er jedoch inne hielt und sich umsah, war da niemand. Zunächst hatte er versucht, es zu ignorieren, doch es wollte ihm einfach nicht gelingen. Zwischenzeitlich fragte er sich, ob er paranoid wurde. Wobei das seltsam wäre, denn wenn er auch alles Mögliche war, aber paranoid gehörte eigentlich nicht dazu. Marlic war viel mehr der Typ Mensch, der vollkommen unbedarft in jede Situation hineinging, egal, wie lebensgefährlich sie auch sein mochte. Sein Selbstvertrauen war groß genug, um sich vor nichts und niemandem zu fürchten, sich auch Widersachern zu stellen, die bedeutend stärker waren, als er selbst. Davon gab es aber in seiner Selbstsicht natürlich nicht viele. Um genau zu sein lediglich einen, nämlich Atemu, aber das verdrängte er bis heute relativ erfolgreich.

Plötzlich zügelte er sein Pferd erneut. Verdammt, er bildete sich das nicht ein! Da war irgendjemand, ganz sicher. Und er würde auch herausfinden, wer es war. Ein kurzer Lichtblitz, dann schälte sich Des Gardius aus der Dunkelheit. Der schneidende Ton von aufeinander klirrendem Metall erklang, als er die Klauen gegeneinander rieb.

„Ich zähle bis zehn! Entweder du kommst bis dahin raus oder mein Ka wird dich holen!“, rief er in die Nacht hinaus. „Eins!“

Es blieb still in der Finsternis.

„Zwei!“

Lediglich das Rauschen des Windes in den Kronen der Palmen war zu hören.

„Drei!“

Ebenso wie das Plätschern des nahen Nils, dessen Fluten niemals schliefen.

„Vier!“

Seine Augen wanderten unablässig umher.

„Fünf!“

Doch obgleich der Mond hell am Himmel stand, konnte er nichts erkennen.

„Sechs!“

Machte er sich hier vielleicht doch zum Affen und da war gar nichts?

„Sieben!“

Nein. Er spürte deutlich, dass ihn jemand beobachtete.

„Acht!“

Und dieser jemand würde leiden, wenn er nicht endlich aus seinem Versteck kam!

„Neun!“

Selbst Schuld.

„Ze…“

„Schon gut! Hier bin ich!“

Marlic zog verwundert eine Augenbraue in die Höhe, als ein Stück abseits des Weges ein Pferd samt Reiter aus den Schatten trat. Er hatte die Stimme sofort erkannt.

„Was, in Ras Namen, willst du hier?“, hakte er augenblicklich nach.

Das Reittier trabte näher. Schließlich trat es unter dem Palmendach hervor und auf den Weg hinaus. Im Mondschein konnte er erkennen, dass er sich nicht geirrt hatte – es war niemand anderes als Samira.

„Ich dachte … na ja, dass du vielleicht ein wenig Hilfe bei der Suche gebrauchen könntest“, sagte sie, als sie ihn erreicht hatte und spielte nervös mit ihren Fingern

Marlic schnaubte amüsiert. „Pah! Sehe ich aus, als bräuchte ich irgendwelche Hilfe? Jetzt zieh Leine.“

„Aber ich will mitkommen!“

„Kinder gehören um diese Zeit ins Bett. Und jetzt mach‘, dass du wegkommst.“

Er rief Des Gardius zurück, wandte sein Pferd um und ließ es antraben. Es dauerte jedoch nicht lange, bis er weitere Hufschläge hinter sich vernahm. Kurz darauf schloss das Mädchen zu ihm auf.

„Ich bin kein Kind! Außerdem könnte Kiarna helfen! Um diese Zeit ist es im Tal der Könige bestimmt sehr dunkel und sie ist ein Feuermonster!“

„Ich finde das Relikt auch ohne dein zu groß geratenes Vögelchen. Da entlang geht es zurück nach Theben. Hopp, hopp!“, entgegnete Marlic gelangweilt und machte eine scheuchende Bewegung mit der rechten Hand.

„Aber … ich will mitkommen!“, echauffierte sich die Rothaarige. Es hätte nur noch gefehlt, dass sie mit dem Fuß aufstampfte.

„Tja, zu dumm, dass wir da nicht einer Meinung sind. Ich will nämlich nicht, dass du das tust.“

Samira verschränkte die Arme vor der Brust. „Du kannst mich nicht dazu zwingen, umzukehren!“

„Sei dir da mal nicht so sicher …“

„Du würdest mir nichts tun. Niemand vergreift sich an Kindern.“

„Das mag auf die meisten Menschen zutreffen, aber nicht auf mich. Außerdem dachte ich, du wärst kein Kind?“

Es herrschte kurzes Schweigen, während dem die Schattentänzerin jedoch keine Anstalten machte, ihn in Ruhe zu lassen. „Bin ich auch nicht“, entschied sie schließlich.

„Dann verzieh dich endlich, bevor ich gewalttätig werde!“, knurrte Marlic zurück.

„Ach komm schon! Ich mach‘ auch alles, was du sagst!“

„Na schön. Dann hau jetzt ab.“

„Alles außer das.“

Frustriert riss Marlic sein Pferd herum und fixierte Samira mit eiskaltem Blick. „Ich gebe dir noch diese eine Chance, zu verschwinden. Danach tue ich dir weh. Und zwar sehr, sehr weh. Habe ich mich klar und deutlich ausgedrückt?“

„Aber … ich will nicht zurück nach Theben. Ich will bei dir bleiben!“

Die Augen des ehemaligen Milleniumsgeistes weiteten sich. Was hatte die Kleine da eben gesagt? Das … hä? Für gewöhnlich mieden ihn die Menschen, solange sie konnten. Und die da wollte …

„Was?“, äußerte er schließlich perplex.

Samira sank ein wenig auf ihrem Pferd zusammen und seufzte schwer. „Ich … ich fühle mich unwohl, seit Risha weg ist. Sie war immer die Einzige, die mich richtig verstanden hat. Sie hat nie gemeckert, wenn ich meine Meinung gesagt habe. Jetzt ist bloß noch Riell da, und der denkt immer nur diplomatisch, damit er ja nicht bei anderen aneckt. Er ist nie er selbst. Er achtet andauernd ganz genau auf das, was er sagt. Das ist total ätzend. Und der Rest sind irgendwelche Freunde vom Pharao, mit denen will ich erst Recht nichts zu tun haben. Aber du bist in Ordnung. Du sagst auch immer alles, was du denkst, und es ist dir egal, was andere davon halten. Und du bist zwar schon irgendwie komisch, aber auf eine gute Art und Weise, finde ich. Außerdem …“ Sie setzte den besten Liebes-Kindchen-Blick auf, den sie meistern konnte. „… musst du mir irgendwann noch zeigen, wie man Leute mit ihren Gedärmen stranguliert! Und wenn wir im Tal auf irgendwelche Probleme stoßen, wäre das doch die ideale Gelegenheit, immerhin ist kein doofer Pharao da, der einem das vermiesen kann.“

Marlic war baff. Wobei es das nicht ganz traf: Schockiert wäre wohl bezeichnender gewesen. Er hatte anscheinend ohne sein Wissen und Zutun einen Fan bekommen. Einen ziemlich großen, zumindest machte es den Eindruck. Eigentlich wollte er sie trotzdem wegschicken, aber irgendetwas hielt ihn zurück. Das war das erste Mal, dass ihn irgendjemand bewunderte, wo er doch sonst nur Abscheu erntete – nicht ungeplant, natürlich. Was diese Situation nur umso seltsamer machte. Da war diese halbe Portion, die seine bei den meisten Menschen als vollkommen abartig verschrienen Vorstellungen toll fand. Wider aller Logik und gegen jegliche Intention Marlics war sie scheinbar begeistert von dem, was er tat. Das bedeutete, er machte entweder irgendetwas ganz furchtbar falsch – oder die Kleine hatte nicht mehr alle Latten am Zaun. Auf jeden Fall faszinierte ihn ihre Reaktion.

So hörte er sich schließlich ein „Mach doch, was du willst“ murmeln, ehe er sein Pferd abermals umwandte und den Pfad weiter hinab ritt. Die Schattentänzerin folgte ihm freudestrahlend auf den Fuß.
 

Der Morgen war noch fern, als Marlic und seine ungewollte Begleitung den Zugang zum Tal der Könige erreichten. Der Bote, der ihnen vorausgeeilt war, hatte die dortigen Wachen bereits von ihrem Kommen unterrichtet, sodass beide ungehindert passieren konnten.

Sie mussten ein Stück weit in die Schlucht hineinreiten, bis sich die ersten Grabanlagen aus dem Fels schälten. Sie Zugänge waren durch Fackeln markiert. Schließlich zügelte Marlic sein Pferd und stieg ab. Die Schattentänzerin tat es ihm gleich. Beide ließen ihren Blick umherschweifen.

„Bleibt die Frage, wo wir anfangen sollen …“, murmelte der fleischgewordene Geist.

„Wie wäre es, wenn wir erstmal ein bisschen Licht machen?“, schlug Samira vor und beschwor ihre Ka-Bestie.

Der heilige Phönix von Nephthys erhob sich brüllend in die Nacht und landete direkt hinter seiner Trägerin. „Kia? Wäre es möglich, dass du diesen Ort ein bisschen erhellst? Wir müssen so viel sehen können, wie möglich.“

Das Monster nickte zur Antwort. Es sammelte seine Kräfte und ließ die Flammen, die aus seinem Körper schlugen, wachsen. Der goldene Panzer des Wesens reflektierte ihr Licht zusätzlich, sodass sie die nähere Umgebung problemlos erkennen konnten.

„Nun gut. Dein Vögelchen soll uns folgen, damit wir immer da etwas sehen, wo wir gerade sind. Des Gardius!“, rief nun auch Marlic seinen Ka herbei. Die Bestie erschien sofort. „Also, haltet die Augen nach irgendwelchen verdächtigen Stellen offen. Die Gräber können wir ausschließen, das Relikt wäre bei ihrer Anlage bereits entdeckt worden.“

Damit machten sie sich an die Arbeit. Während der ehemalige Milleniumsgeist und sein Monster besonders die unteren Bereiche der steilen Felswände in Augenschein nahmen, forderte Samira Kiarna auf, sie auf ihren Kopf zu nehmen, damit sie die höher gelegenen Stellen untersuchen konnte. Eine Weile herrschte Schweigen in der Nekropole, bis die junge Schattentänzerin schließlich entschied, dass es ihr zu still war.

„Warum genau magst du den Pharao eigentlich nicht?“, fragte sie vom Schädel des Phönix herunter an Marlic gewandt. Der nahm seinen Blick nicht von der Felswand, an der er soeben entlang schritt, während er antwortete. „Wer sagt denn, dass ich ihn nicht mag?“

„Na ja … so, wie du dich ihm gegenüber verhältst … außerdem habe ich Gerüchte gehört, dass du mal versucht haben sollst, ihn umzubringen. Stimmt das?“

„Allerdings …“ Seine Gedanken wanderten zu der Zeit zurück, da das Battle City Turnier stattgefunden hatte. Er war seinem Ziel so nah gewesen … und dann war ihm seine Made von einem Wirt dazwischen gekommen. Ein Glück, dass er Marik los war. Wobei er es ja schon ein wenig vermisste, den Geist des Anderen zu malträtieren …

„Wie genau hast du es denn machen wollen?“

Marlic warf ihr einen Seitenblick zu. Ja, der Pharao verstand es wirklich, sich Feinde zu machen. Hätte er mehr auf Samira gehalten, so hätte er sogar zu behaupten gewagt, dass die Kleine seiner Majestät eines Tages noch gewaltige Bauchschmerzen bereiten würde. Wobei … wer wusste, was die Zukunft brachte? Den Anfang schien sie jedenfalls schon einmal zu machen. Wenn auch aus den falschen Intentionen. Rache für jemanden zu nehmen, hing immer mit Emotionen zusammen – positiven Emotionen, die man für die verlorene Person gehegt hatte. Das bedeutete, dass man irgendwo tief in sich einen weichen Kern trug, eine Schwachstelle. Eine solche hatte schon Bakura zu Fall gebracht. Marlic hingegen war der Form gewordene Hass seines Wirts gewesen - eine durch und durch aus negativen Gedanken geschaffene Entität, die dem Pharao deswegen nach dem Leben getrachtet hatte, weil sie daraus den Sinn ihres Daseins zog. So war es auch heute noch, auch wenn sich der böse Geist seit seiner Manifestation in einem menschlichen Körper des Öfteren seltsam … menschlich fühlte.

Als er noch Mariks Körper kontrolliert hatte, war er zum Beispiel nie trinken gewesen. Jetzt tat er es recht gerne, weil es ihm eine eigenartige Form von Befriedigung gab, zumindest für einen kurzen Zeitraum. Dieses Gefühl, wenn der Kopf langsam neblig wurde, war ab und an angenehm. Auch Weiber hatten ihn früher kein bisschen interessiert. Heute taten sie es ebenfalls nicht, zumindest nicht auf irgendeine emotionale Weise. Aber er musste zugeben, dass es da doch einige ganz attraktive Exemplare gab, die er durchaus anziehend fand … zumindest für ein, zwei Nächte.

All das hatte ihn anfangs durchaus verwirrt. Aber Marlic war – richtiger, eigener Körper hin oder her – schon immer ein Genussmensch gewesen. Noch vor einiger Zeit hatte er sich nur am Leid anderer ergötzen können, jetzt waren eben noch ein paar andere Dinge hinzugekommen, die er spaßig fand. Und so genoss er erst einmal einfach. Konnte ja nicht schaden, sich noch ein paar andere Hobbies zuzulegen, dann wurde es wenigstens nicht langweilig.

Sollte er aber jemals mit irgendeiner Form von Gefühlsduselei anfangen, und sei es auch nur, dass er jemandem mal die Tür aufhielt, so schwor er sich, auf der Stelle Selbstmord zu begehen.

„Marlic? Hörst du mir eigentlich zu?“

Samiras Stimme riss ihn aus den Gedanken. „Wie ich den Pharao umbringen wollte, das war deine Frage.“

„Und kriege ich auch eine Antwort?“

Der ehemalige Milleniumsgeist überlegte. Was sollte er ihr denn erzählen? Dass er dreitausend Jahre in der Zukunft versucht hatte, den Pharao in einem Kartenspiel auf Leben und Tod in die Knie zu zwingen? Nein, dann würde sie nur noch mehr fragen. „Wie wohl? Ich bin mit meinem Ka gegen ihn angetreten.“

Das besagte Monster zuckte noch nicht einmal. Irgendwo hatte er ja Recht. Des Gardius hatte immer irgendwo tief in ihm geschlummert, jedoch nie Form angenommen.

„Echt? Gegen die Göttermonster?“

„Gegen Slifer und Obelisk, ja.“

„Und was war mit dem geflügelten Drachen des Ra? Bist du besiegt worden, bevor er aufgetaucht ist?“

„Natürlich nicht! Ra stand zu diesem Zeitpunkt unter meiner Kontrolle …“ Kaum, da er die Worte ausgesprochen hatte, hätte er sich am liebsten selbst eine gelangt. Jetzt kamen mit Sicherheit …

„Was? Wirklich? Du hast mal einen Gott kontrolliert? Das ist ja der Wahnsinn! Wie hast du das gemacht?“

Scheiße … Zum Glück arbeitete sein Kopf recht zügig, sodass er nicht lange überlegen musste. „Es gab einst einen Spruch, der einen befähigte, Ra zu befehligen. Bevor du fragst: Nein, er existiert nicht mehr. Er wurde zerstört, es gibt also keinen Weg, denselben Zug noch einmal zu machen.“

Oder vielleicht doch? Gab es die Götterkarten noch? Selbst wenn nicht, Marlic erinnerte sich noch an die altägyptischen Worte, die auf der mächtigsten von ihnen geschrieben waren als wäre es gestern gewesen. Eventuell sollte er das bei Gelegenheit einmal ausprobieren …

„Ich schätze mal, es hat nicht gereicht, sonst hättest du ihn ja bezwungen. Zwei gegen einen ist aber auch nicht ganz gerecht …“

Der Geist des Milleniumsstabes schnaubte. „Schreib‘ dir eines gleich hinter die Ohren, Kindchen: Diese Welt ist niemals gerecht. Jeder, der dir etwas anderes erzählt, lügt.“

Samira ließ sich die Worte durch den Kopf gehen. „Ich weiß. Ich weiß das sogar sehr gut.“

Marlic hatte das Gefühl, als warte sie darauf, dass er nachhakte. Und irgendwie … na ja, diese Suche, bei der sie bislang lediglich Steine angafften, war nun wirklich alles andere als aufregend. Aber das musste er sie ja nicht spüren lassen. „Pft“, schnaubte er daher. „Ich bezweifle, dass jemand in deinem Alter weiß, wie die Welt tickt.“

„Und ob!“, entgegnete die Rothaarige, jedoch ohne die sonstige Schärfe in ihrer Stimme.

„Ach ja? Und was genau veranlasst dich zu dieser Annahme?“

Als er zunächst keine Antwort erhielt, wandte er sich um. Samira saß noch immer auf dem Kopf ihrer Ka-Bestie, ihr Blick lag jedoch nicht mehr auf den Felswänden und suchte, sondern er war gen Boden gerichtet. Sie kaute auf ihrer Unterlippe und schien … trübselige zu sein? Schließlich seufzte sie.

„Meine Eltern … weißt du, früher, als es die Milleniumsgegenstände noch nicht gegeben hat, waren Ka-Bestien deutlich seltener, als heute. Und auch nach ihrer Erschaffung dauerte es eine ganze Weile, bis man sie als … normal empfunden hat. Selbst dieser Tage gibt es noch Menschen, die sie fürchten und als ein Übel betrachten. Meine Eltern waren solche Leute. Als sie entdeckt haben, dass ich in der Lage bin, Kiarna zu rufen, sind sie zu Tode erschrocken und haben irgendetwas von großem Unheil erzählt. Sie … haben Heiler gerufen und so gut wie alles versucht, um sie aus meiner Seele zu vertreiben. Aber wie soll das gehen, wenn sie doch ein Teil davon ist? Letztlich blieben ihre Bemühungen erfolglos und sie haben mich inmitten der Wüste ausgesetzt. Ich bin einige Zeit umhergeirrt und wurde schließlich von einer Räuberbande aufgegriffen, die vorhatte, mich für Geld zu verkaufen. Eines Nachts sind sie allerdings den Schattentänzern begegnet und die haben mich befreit und aufgenommen. Risha selbst war damals die, die meine Fesseln gelöst hat. Seitdem bin ich Mitglied des Clans. Ich habe also sehr wohl eine Ahnung davon, dass diese Welt alles andere als gerecht ist. Wenn es noch nicht einmal die eigenen Eltern sind … wie soll es dann der Rest der Menschheit sein?“

Marlic schwieg einen Moment, nachdem sie geendet hatte. Es schien so, als habe das Kind tatsächlich schon mehr in seinem Leben durchgemacht, als er gedacht hatte. „Es wird immer so sein, dass die, die schwächer sind, die Stärkeren fürchten und alles dafür tun werden, sie zu eliminieren. Ist praktisch ein Naturgesetz. Und das, obwohl doch die ganze Welt danach strebt, sich stetig weiterzuentwickeln. Einfach paradox …“, murmelte er schließlich.

Sie waren inzwischen im hinteren Teil des Tales angelangt, doch noch fehlte jegliche Spure von einem göttlichen Relikt. Marlic seufzte. Irgendwie hatte er sich das mit dem Auftreiben eines Artefaktes einfacher vorgestellt …


Nachwort zu diesem Kapitel:
Da bin ich wieder, diesmal leider nicht ganz so zufrieden mit dem Titel des Kapitels, aber mei ... Lasst mich wissen, ob es in euren Augen wenigstens einigermaßen passt.

In diesem Teil gibt es mal wieder etwas mehr zu den Canon-Charakteren, wie es sich gehört. Man darf aufatmen, weil Atemu endlich mal seinen Wutausbruch hatte, man darf sich fragen, ob Mana mit ihren Befürchtungen Recht haben würde und man darf abwarten, ob Marlic seine ungewollte Begleitung noch töten wird.

So, zwei Dinge zum nächsten Kapitel:

1. Erscheinungstermin ist voraussichtlich Anfang Oktober. Ich mache jetzt nochmal Heimaturlaub, bevor die Uni anfängt. Kann sein, dass ich da was zustande bringe und das Kapitel früher kommt, ich verspreche aber nichts.

2. Für alle Risha-Hasser wird das nächste Kapitel eher nichts sein. Ich habe mich entschieden, endlich mal zu erklären, wie Madam eigentlich in Kul Elna gelandet ist, sprich einen Einblick in ihre Vergangenheit zu geben. Hatte ich bisher noch gar nicht getan, fiel mir die Tage beim Durchsehen meiner Plotplanung auf. Muss aber mal sein. Das Kapitel wird aus Cherons Sicht geschrieben sein, wenn das etwas hilft, und etwas kürzer sein, als die anderen. Ich möchte es aber eigenständig halten - warum weiß ich nicht, das sagt mir aber mein Bauchgefühl.
Ich hoffe natürlich, ihr lest es trotzdem, es wäre jetzt aber nicht zwingend nötig, um den Rest der Handlung zu verstehen. Dafür reicht es, wenn ihr den letzten Absatz in Augenschein nehmt.

Vielen Dank nochmal an meine fleißigen Kommi-Schreiber und wir sehen uns hoffentlich beim nächsten Mal wieder!

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