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Vom gleichen Schlag

~Eine Geschichte um God & Princess~
von

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"Ein rosa Schlafzimmer..."

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Inspirationsmusik zum Anmachen:
 

Phil Collins - Against All Odds (Take A Look At Me Now)

Phil Collins - Do You Remember?

Carly Simon - That's The Way I've Always Heard It Should Be

Carly Simon - Legend In Your Own Time

Carly Simon - You're So Vain

Fiona Joyce - Cry Over You

Ayumi Hamasaki - No More Words

Shakira - Inevitable
 

~~~
 


 

"How can you just walk away from me

When all I can do is watch you leave

'cause we shared the laughter and the pain

And even shared the tears

You're the only one who really knew me at all"
 

Phil Collins ~ "Against All Odds (Take A Look At Me Now)"
 


 

"Das ist meine Tochter Wendy. Wendy, das ist Donivan, der Sohn meines Freundes Caden Charteris. Wollt ihr euch nicht begrüßen?"
 

Das Mädchen trug ein blassrosa Spitzenkleid, silberne Ohrringe und schwarze Lackschuhe mit flachen Sohlen. Ihre kastanienbraunen Locken waren mit einer Schleife zu einer Maditafrisur gebunden.
 

Der Junge hatte einen schwarzen Anzug und darunter ein langärmliges weißes Hemd an. Um den Hals hatte er eine weinrote Krawatte geknotet, und sein blondes Haar sah aus, als wäre es erst kürzlich geschnitten worden.
 

Sie gaben sich die Hand.
 

Man nahm Platz, als das Hausmädchen das Abendessen auftrug. Während Mrs. Adlington sie anwies, was wo hin gehörte und ihr dabei zur Hand ging, Mrs. Charteris ihre Handtasche verstaute und Mr. Adlington und Mr. Charteris bereits in eine Unterhaltung vertieft waren, packte Donivans kleiner Bruder seinen Game Boy aus. Da er den Ton abgeschaltet hatte, ermahnte ihn niemand.
 

Die beiden Kinder beäugten sich stumm.
 


 

Viele Monate, Abendessen, Tanzveranstaltungen und Teekränzchen, Geburtstage, Wohltätigkeitsfeste und Betriebsfeiern später saßen sie auf Wendys Balkon und waren verlobt.
 

"Was werden wir machen, wenn wir verheiratet sind?" fragte Wendy ihn neugierig.
 

Donivan überlegte. "Ich werde dir ein Haus kaufen,"
 

" - mit einem rosa Schlafzimmer?" unterbrach ihn Wendy, denn bis jetzt hatte sie es nur zu einem weißen gebracht.
 

"Mit einem rosa Schlafzimmer," bestätigte er, "und mit einem schönen Garten und einem Balkon so wie diesem. Und du wirst ein Kind haben,"
 

"Nur eins? Ich will aber mehrere, mindestens fünf! So wie Anne." beschwerte sich Wendy.
 

"Aber das geht nicht," erklärte er ihr ernsthaft, "Heutzutage haben die Leute nur ein Kind. Oder kennst du jemanden, der mehrere hat?"
 

"Ja, deine Eltern." erwiderte sie verständnislos und reckte störrisch ihr Kinn.
 

"Ja..." meinte er unbehaglich und sagte dann schnell: "Aber das zählt nicht. Eigentlich hat man nur ein Kind, das gehört sich so."
 

"Und was werden wir machen, wenn wir ein Kind und ein Haus und alles haben?"
 

"Nun, ich werde arbeiten gehen." antwortete er, verwundert, dass sie überhaupt fragte.
 

"Und was werde ich machen?" Den Kopf in die Hände gestützt, sah sie ihn an.
 

Wieder musste er nachdenken. "Keine Ahnung. Du kannst einkaufen gehen oder zum Teekränzchen oder in die Kirche, wenn du willst."
 

"Das will ich nicht. Ich will lieber einen Ortsverschönerungsverein gründen. So wie Anne!" rief sie.
 

Etwas gereizt fragte er: "Sag mal, wer ist eigentlich diese Anne, von der du die ganze Zeit redest?!"
 

"Das weißt du nicht? Warte, ich hole sie." Lachend lief sie in ihr Zimmer.
 

Er sah, wie sie sich auf den Boden kniete und eine Kachel in der Wandtäfelung lockerte, dort einen Schlüssel zutage förderte und mit diesem ein kleines herzförmiges Muschelkästchen im Regal aufschloss, aus dem sie wiederum einen Schlüssel nahm und damit ihr Nachtschränkchen entriegelte. Nach dieser umfangreichen Prozedur hörte er nur noch Poltern und Rascheln, bis sie mit einem Stapel Bücher auf dem Arm wieder auf den Balkon gewankt kam.
 

"Hier, das ist Anne," meinte sie etwas atemlos und lud den ganzen Packen Literatur auf seinem Schoß ab, "sag bloß, du kennst nicht die Bücher von Lucy Maud Montgomery?"
 

"Äh... jetzt wo du so fragst..." begann er leicht aus der Fassung gebracht, "...nicht direkt, äh, ich meine, keine Ahnung, nein, eigentlich nicht, überhaupt nicht...", während Wendy anfing aufzuzählen:
 

"Anne auf Green Gables, Anne in Avonlea, Anne in Windy Willows, Anne in Four Winds, Anne in Kingsport, Anne in Ingleside... Hier, lies es doch einfach mal. Ich geb dir Anne in Avonlea, das ist auch das mit dem Ortsverschönerungsverein. Es ist wirklich toll, vor allem Gilbert, er ist sooo süß...!" plauderte sie und schob ihn samt Buch zur Tür hinaus, wo er dankbar seine Mutter von unten rufen hörte: Sie gingen.
 


 

(c) by Amber 2003

"He, Donivan, schläfst du?!" brüllte ihm jemand ins Ohr und als wäre das nicht genug gewesen, wachte er endgültig auf, als der Fußball gegen seinen Kopf prallte. "Nein," gab er etwas säuerlich zurück, während er sich die Beule rieb. Er war es nur nicht gewohnt, in der Schule mit dem Vornamen angesprochen zu werden und auch Fußball hatten sie an seiner alten Schule eher selten gespielt.
 

Seit zwei Monaten ging er jetzt auf die Hobson High, und allen Fußbällen zum Trotz war er froh darüber. Das letzte Schuljahr hatte er zählend verbracht, im Unterricht die Minuten, die die Stunden ausmachten und Stunden, die Tage ergaben und zu Wochen wurden.

Es war etwa gegen Mitte letzten Winters gewesen, als ihm endgültig klar geworden war, dass er nicht mehr auf die Chairman High gehen wollte, an dem Tag, als er seine schmutzige, zerlöcherte erste Schuluniform unerwartet in einem Winkel seines Kleiderschranks gefunden hatte. Nachdem er sie in den Mülleimer geworfen hatte, war er zum Arbeitszimmer seines Vaters gegangen und ohne anzuklopfen eingetreten.
 

"Ich gehe nicht mehr auf diese Schule!" hatte er gesagt, es war das allererste Mal, dass er seinen Entschluss aussprach.
 

Sein Vater schob ruhig Mappen, Ordner und Zeitungsausschnitte beiseite, sortierte und stapelte sie sorgfältig und schaltete am Computer noch den Bildschirmschoner ein, ehe er aufblickte.
 

"Du gehst." sagte er nur.
 

Sein Gesicht war weder überrascht noch erzürnt, es war ganz einfach unnachgiebig.
 

"Nein!"
 

Aber er wusste, dass er keine Chance hatte. Er hatte es von Anfang an gewusst, seit er die Tür geöffnet und seinen Entschluss hinausgeschleudert hatte, doch gleichzeitig wusste er, dass dieser Entschluss fest stand, dass ihn nichts und niemand dazu bringen konnte, noch ein weiteres Jahr wie dieses auf der Chairman High zu verbringen.
 

Die Klasse, in die er ging, war keine Klasse, es war lediglich eine Ansammlung von Individuen, die geeint wurden durch das eine Ziel, das jeder von ihnen verfolgte: Der Beste zu sein, und zwar in allen Bereichen. Die Lehrer wussten das, und viele stachelten den Ehrgeiz der Schüler noch an, indem sie ihren Lehrplan besonders wettbewerbsfördernd gestalteten: Kaum Mannschaftsspiele, lieber Vergleichsdisziplinen. Dabei unterschied sich der Unterricht nicht wesentlich von dem im Rest des Landes, doch die Atmosphäre in der er stattfand war enorm anders: Die Jungen waren stets angespannt und darauf aus, den Nachbarn bei einem Fehler zu ertappen, denn ein fremder Fehler war der beste Weg, die eigenen Leistungen überbewertet zu sehen.
 

Und leider Gottes hatte er einen Fehler gemacht.
 

Als sie herausgefunden hatten, dass er mit einem Grundschüler befreundet war - und das war nicht eben schwer gewesen, war Snake doch allen Ernstes am Schultor aufgekreuzt und hatte nach ihm gefragt, Idiot der er war! - als sie das heraus gefunden hatten, war er bei ihnen unten durch gewesen. Von da an hatte niemand mehr mit ihm gesprochen. Eine Woche lang war ihm das egal gewesen, weil in dieser Klasse ohnehin nicht sonderlich viel geredet wurde. Nach zwei Wochen hatte man das Schweigen auch auf sonstige Nichtbeachtung ausgedehnt, und nach drei Wochen war jeder beiseite gerückt oder nach Möglichkeit gleich hinausgegangen, wenn er einen Raum betrat.

Danach war es unerträglich geworden. Es war nicht so, dass jemand ihn geärgert, ihn ausgelacht hätte oder über ihn hergezogen wäre, dann hätte er sich nämlich wehren können. Er war ganz einfach nicht mehr präsent gewesen und das volle vier Monate lang - bis heute.
 

Sein Vater wusste alles über diese Schule, weil er selbst dorthin gegangen war, aber das wusste er nicht. Und von ihm würde er es auch nicht erfahren.
 

Wie aber sonst sollte er ihn überzeugen?
 

In diesem Moment hörte er auf dem Flur seinen kleinen Bruder, oder genauer gesagt, ein krachendes Geräusch, das auf ihn, der sonst eher selten Geräusche von sich gab, hinwies: Cross war die Treppe heruntergefallen, wahrscheinlich hatte er wieder im Laufen Game Boy gespielt. Er wartete angespannt, wie sein kleiner Bruder warten mochte, und war sehr erleichtert, als seine Mutter nach siebenunddreißig Sekunden kam und ihn hochnahm und tröstete - immerhin, das letzte Mal hatte es doppelt so lange gedauert -, und gleichzeitig wusste er blitzartig, was er zu seinem Vater sagen musste.
 

"Cross geht doch auch auf die Wakefield Primary."
 

Er betonte jede Silbe, denn das wusste er genau, es war die Schule, auf die auch Snake zu diesem Zeitpunkt noch gegangen war, bevor er auf die weiterführende gewechselt hatte. Er ließ seinem Vater keine Zeit, etwas darauf zu antworten, sondern fuhr unbeirrt fort:
 

"Und er wird doch auch auf die Wakefield High oder eine andere staatliche Schule gehen, nicht wahr? Du kämest doch nie im Leben auf die Idee, ihn auf die Chairman High zu schicken, da könnte er ja etwas lernen und sei es nur, was man tun kann, wenn man der unsichtbare Mann ist. Und..."
 

Er brach ab, erschrocken von dem Hohn, der in seinen Worten mitschwang, und noch erschrockener von dem Ausdruck im Gesicht seines Vaters, der sich grundlegend verändert hatte.

Sie hatten nie darüber gesprochen, auf welche Schule Cross gehen würde oder darüber, wie seine Zukunft überhaupt aussehen würde, und dennoch war ihm in dem Moment, indem er es ausgesprochen hatte, klar geworden, dass er den Nagel auf den Kopf getroffen hatte. Dass er seinen Vater getroffen hatte.

Auf einmal wünschte er sich, es nicht getan zu haben. Denn wenn es in seiner Familie ein Tabuthema gab, dann war es die Tatsache, dass sein Vater ihn und seinen Bruder nicht gleich behandelte, und weil das so war, traf es jeden von ihnen.

"Ich... ich meinte..." versuchte er mit schwacher Stimme, den Nagel wieder gerade zu biegen.
 

Doch sein Vater sah mit einem Mal einfach nur müde aus.
 

"Lass es," sagte er, heiser, rauh, fremd, "lass es sein. Auf welche Schule willst du gehen?"
 

"Ich... weiß nicht." Jetzt, da er spürte, dass er gewonnen hatte, war alle Entschlossenheit von ihm abgefallen.
 

"Na komm schon. Irgendeine musst du mir schon sagen."
 

Er grübelte angestrengt, und plötzlich fiel ihm etwas ein, das Snake gesagt hatte, "Hobson High."
 

"Gut. Dieses Jahr musst du aber auf der Chairman noch durchstehen. Ich melde dich dann fürs nächste Jahr an. Einverstanden?"
 

Es war das erste und seitdem einzige Mal gewesen, dass sein Vater ihn nach seiner Meinung gefragt hatte.
 

"Ja," sagte er, noch immer verwirrt.
 

Er sah, dass sein Vater die Hand ausstreckte, doch es dauerte mehrere Sekunden bis er begriff, dass er sie schütteln sollte.

Er tat es.
 

Von diesem Tag an hatte er die Minuten gezählt, die Stunden und die Tage und die Wochen und die Monate, und es hatte ihm nichts ausgemacht, dass er am Schuljahresende keinen Preis erhielt, und es war ihm egal gewesen, dass ihn die anderen als einen Versager betrachteten, und im nächsten Jahr war er auf die Hobson High gegangen, in die auch Snake, einen Jahrgang unter ihm, eingeschult wurde, und hatte seine alte Schule nicht ein Mal vermisst.
 

"Hey, Donivan,", der kräftige Junge, der ihn mit dem Ball geohrfeigt hatte - er hieß Terence - klopfte ihm auf die Schulter, "tut mir leid wegen vorhin."
 

"Ist schon gut," erwiderte er, während er sich das T-Shirt über den Kopf zog.
 

Zugegeben, es war am Anfang etwas gewöhnungsbedürftig gewesen, aus einer reinen Jungenschule in eine gemischte Klasse zu kommen, aber nach ein paar Wochen hatte er sich mit den Verhältnissen arrangiert. Mit den Jungen kam er aus, obwohl sie ihn für einen Sonderling hielten. Die Mädchen konnten ihn nicht leiden, sie fanden ihn arrogant.
 

"Mann, das war echt ein lausiges Training heute. Wenn wir bei dem großen Spiel nächsten Monat gewinnen wollen, müssen wir aber noch um Einiges besser werden." meinte ein anderer Junge namens Peter - ein begnadeter Fußballer, der sein Hirn offensichtlich in den Beinen hatte. "Ihr solltet euch mal ein bisschen anstrengen." Er nickte ihm und einigen anderen zu, die sofort aufbegehrten: "Ach ja? Wenn du so ein Problem mit uns hast, dann versuch's doch mal alleine!"
 

"Ich hab's ja nicht so gemeint," winkte Peter ab, was die Gemüter etwas besänftigte, denn immerhin hatten sie mit ihm ihre beste Garantie, gut abzuschneiden.
 

Idiot, dachte er bei sich, Fußball war ja so ein Idiotenspiel, also genau das Richtige für diesen Typen. Was für einen Sinn sollte es machen, einen bekloppten Ball durch die Gegend zu kicken und was bitte war so toll daran, wenn man es konnte?

Ihm war es wirklich egal, ob sie dieses Spiel, dem seit Wochen die halbe Schülerschaft - insbesondere in dieser Umkleide - entgegen fieberte, gewannen oder verloren - es war sowieso nur ein internes Spiel zwischen den sechs Klassen seiner Stufe.
 

In diesem Augenblick unterbrach aber erfreulicherweise ein Dritter, Thomas, das leidige Gespräch mit dem einzigen Thema, das sie neben Fußball alle interessierte: Mädchen.
 

"Theresa und ich gehen ja jetzt miteinander," begann er gewichtig und schaute zufrieden drein, als er sofort die ungeteilte Aufmerksamkeit erhielt.
 

"Ja?" rief Peter, "Hast du sie endlich rumgekriegt?"
 

Theresa war ein Mädchen aus ihrer Klasse, und das war auch das Einzige, was ihm zu ihr einfiel, abgesehen davon, dass sie eine Zahnspange trug und jedesmal, wenn sie ihn sah, die Augenbrauen hochzog.
 

Verschwörerisch beugte sich Terence zu ihm hinüber. "Ich find Theresa ja nicht so toll. Aber Susie, die ist süß. Wen findest du denn gut?"
 

"Ich bin verlobt," gab er zurück, als wäre das Antwort genug.
 

Aber das war es anscheinend nicht, da der imaginäre Scheinwerfer augenblicklich auf ihn umschwenkte.
 

"Du bist was?" fragte Peter verblüfft.
 

"Echt? Du verarschst uns!" rief Thomas ungläubig.
 

Einen aberwitzigen Moment lang wünschte er sich tatsächlich, er wäre wieder auf seiner alten Schule. Dort hätte das kein Mensch seltsam gefunden.
 

"Neeein," meinte er gedehnt, wobei er die Hände in den Hosentaschen drehte. Mussten die ihn so anglotzen?
 

"Wer ist sie? Wie heißt sie? Wie sieht sie aus?"
 

"Sie ist die Tochter von Freunden von uns," begann er genervt und machte ein paar Dehnübungen mit den Fingern, "und sie heißt Wendy."
 

"Aber wie um alles in der Welt kommst du an eine Verlobte?" erkundigte sich Peter.
 

Während er sich fragte, warum die Betonung gerade auf dem ?du' so stark gewesen war, antwortete er seufzend: "Unsere Eltern wollten gern, dass wir uns verloben. Weil unsere Familien so gut befreundet sind."
 

"Im Ernst? Aber so was ist doch schon seit 100 Jahren nicht mehr üblich." sagte Thomas ein wenig abfällig. In die Gesichter der anderen allerdings stahl sich langsam etwas, was man nur als Bewunderung bezeichnen konnte.
 

Er warf Thomas einen "I-D-I-O-T!"-Blick zu und teilte dem Rest mit: "Sie sieht gut aus."
 

"Ja? Bring mal ein Foto mit!" bat Terence ungewohnt eifrig.
 

Er grinste, bückte sich nach seinem Rucksack und förderte kurz darauf sein Portemonnaie zutage, aus dem er ein Foto zauberte, das sie beide kürzlich an Wendys Pool aufgenommen hatten.
 

Eine Traube Neugieriger scharte sich sofort um das kleine Bildchen, und irgend jemand pfiff durch die Zähne.
 


 

"Physik für Mädchen" stand auf dem kaum 100 Seiten starken Buch. Eine kleine Falte bildete sich zwischen ihren Augenbrauen, während sie sich in die Betrachtung vertiefte. Zwar fiel es ihr schwer, den Grund zu erklären, aber etwas störte sie an dieser unmissverständlichen Etikettierung. Sie tat einen unterdrückten Seufzer und beeilte sich, die Seite zu finden, die aufzuschlagen die Lehrerin sie angewiesen hatte.
 

"Wie Sie sehen, besagt das Newtonsche Gesetz..."
 

Es war selten, dass der Unterricht einfach so an ihr vorbei strömte, doch in der letzten Zeit und in diesen speziellen Stunden geschah das immer öfter. "Physik für Mädchen", dachte sie erneut und runzelte die Stirn. Zugegeben, sie hatte ihre Probleme damit, all diese seltsamen Formeln mit F und m und W und P und Newton und Joule zu begreifen und zu lernen, aber das lag doch nicht daran, dass sie ein Mädchen war! Es gab auch andere Mädchen in ihrer Klasse, die sehr gut mit diesen Dingen zurecht kamen und sie - unglaublich aber wahr - sogar interessant fanden. Zum Beispiel Laura Harrisford in der Reihe vor ihr - so gern wäre sie auf eine gemischte, mehr naturwissenschaftlich orientierte Schule gegangen. Umsonst, ihre Eltern hatten es nicht erlaubt.

Ihr hatte Laura leid getan, denn sie mochte sie, obwohl sie oft Dinge sagte, die Wendy nicht verstand. Aber wenn ihre Eltern nein sagten, konnte man nichts machen.
 

"Daraus folgt logischerweise: F ist gleich m mal g..."
 

Andererseits wäre es doch sehr schade gewesen, wenn Laura die Schule verlassen hätte, denn außer ihr gab es in ihrer Klasse nur wenige Mädchen, die Wendy wirklich leiden konnte. Die meisten ihrer Klassenkameradinnen waren ihr fremd. Dorothea Abernathy, Miriam Gardiner, Susanna Fitzgerald und wie sie alle hießen, kannten sich bei Harrod's und Liberty's besser aus als ihre Mütter, rochen wie eine ganze Parfümboutique und wussten genau, wieviel man essen durfte, damit man noch in die winzigen Rockmodelle von Kookai oder Versace, oder was auch immer in diesem Sommer chic war, hinein passte. Nicht dass das während der Schulzeit eine Rolle gespielt hätte, da trugen sie alle die gleiche Uniform mit dem knielangen dunkelblauen Faltenrock und der weißen Bluse. Doch was wirklich zählte, waren die außerschulischen Veranstaltungen: das Weihnachtskonzert, die Kunstausstellung und... das jährliche Sommerpicknick.

Aber das schlimmste an diesen Mädchen war, dass sie tratschten - oh, und wie sie tratschten! Sie maßen alles, was man tat, sagte und, wie sie sich manchmal einbildete, sogar dachte, mit ihren eigenen engen Maßstäben und da diese sich wie erwähnt irgendwo zwischen Harrod's und Liberty's bewegten, war einem schnell der Stempel ?maßlos' aufgedrückt.
 

"Schaut euch Kathy Saunders an, wie die in den Ferien mal wieder gefressen hat!"
 

"Oder Monica Moriarty, was die letztes Wochenende beim Tennis anhatte!"
 

Und vielleicht auch: "Und erst Wendy Adlington, was die immer für ein bescheuertes Buch mit sich rumträgt und wie blöd sie dabei aus der Wäsche schaut - als wäre sie geistig gerade in Kur!"
 

Sogar Laura hatte das, bewusst oder unbewusst, schon getan.
 

Und deshalb hieß ihre beste Freundin auch nicht Laura, Susanna oder Miriam, sondern Diana.
 

Mit Diana konnte man sich die Haare grün färben, sich aus Versehen mit Johannisbeersaft betrinken, auf Geistersuche gehen und einen Ortsverschönerungsverein gründen. Mit Diana konnte man lachen, streiten und weinen, aber eines wurde es nie: langweilig.

Nur leider hieß Dianas beste Freundin nicht Wendy, sondern Anne. Und leider war Wendy nicht Anne. Leider befanden sich Diana und Anne und ihre grünen Haare, ihr Johannisbeersaft und ihre Geister in einem Buch, während Wendy sich über einem ganz anderen Buch befand. Einem nüchternen und unerfreulichen Buch, das den Titel "Physik für Mädchen" trug.
 

Sie fuhr erschrocken zusammen und blickte auf, als die Schulglocke schrillte.
 

Aus dem Augenwinkel sah sie noch das spöttische Lächeln ihrer Sitznachbarin Dorothea Abernathy aufblitzen, bevor diese sich erhob und aus dem Physiksaal zum Hauswirtschaftssaal ging.
 

Kochen!
 

Es war ihr noch mehr ein Graus als alle physikalischen Formeln dieser Welt. Egal was, egal wie sie es zusammen kippte, rührte, kochte und backte, das Ergebnis war fast immer ungenießbar.
 

Von Anfang an war das so gewesen und dass sich bis zum bevorstehenden Sommerpicknick etwas daran ändern würde, war leider mehr als unwahrscheinlich.
 

Was man in der Schule so salopp Picknick nannte, war in Wirklichkeit eine mit Mahagonimöbeln, chinesischem Porzellan und gestärkten Leinentischdecken sorgfältig vorbereitete Gartenparty, bei der alle Eltern und oft noch zusätzlich Bekannte der Familien kamen, um in sommerlich-warmem Klima und kultivierter Atmosphäre erlesene Speisen zu sich zu nehmen.
 

Und für das diesjährige Sommerpicknick hatten sich die Lehrer zu allem Überfluss folgende Krönung ausgedacht: Die Schülerinnen sollten ihre Eltern und deren mitgebrachte Gäste mit selbst zubereiteten Gerichten begrüßen.
 

Das Weihnachtskonzert hatte sie mit überdurchschnittlichem Klavierspiel und die Kunstausstellung mit einer mittelmäßigen Stickerei durchgestanden, aber das Sommerpicknick würde sie mit einem miserablen Essen verderben.
 

Und dabei war ihr Vater ein Feinschmecker und ihre Mutter eine so gute Köchin, die, sooft sie Zeit hatte, dem Hausmädchen die Arbeit abnahm. Wie enttäuscht sie sein würden.
 

Ach, dachte Wendy, während sie die schwarz verbrannte Masse, die einmal Kartoffeln gewesen war, aus dem Topf kratzte - und dabei neidisch auf Kathy Saunders' Gratin schielte - am liebsten würde ich überhaupt nicht hingehen.
 

Aber wie um alles in der Welt sollte sie das bewerkstelligen?
 


 

(c) by Amber 2003

"Nun, Caden, was macht das Geschäft? Ich habe gehört, ihr wollt expandieren." begann Wendys Vater, während er sich in seinem Stuhl zurücklehnte und genüsslich seine Pfeife zu rauchen begann.

"Oh, es geht gut," antwortete Caden und dann verloren die beiden sich in einen unverständlichen Jargon, dem zu folgen er weder willens noch fähig war.
 

Sein Vater, Caden Charteris, war stämmig und untersetzt und etwas kleiner als seine Frau, was er dadurch zu kompensieren versuchte, dass er speziell für ihn angefertigte Schuhe mit dickeren Sohlen trug. Er hatte krauses, rotblondes Haar, ein Erbe seines schottischen Urgroßvaters, der, wie er nie zu erzählen müde wurde, vor vier Generationen mit nichts in der Tasche in dieses Land gekommen war und eben jene Firma gegründet hatte, die Caden noch heute fortführte und die er, Donivan, eines Tages übernehmen sollte. Sein einziges Hobby war Schießen und wenn er las, dann meistens die Times oder irgendwelche Wirtschaftsblätter.
 

Philip Adlington schien auf den ersten Blick das genaue Gegenteil von ihm zu sein. Er war als Abgeordneter im Parlament in Wellington tätig, wo die Familie auch eine geraume Zeit gewohnt hatte, ehe sie nach Auckland gezogen waren. Er war ein großer Mann mit einem kleinen Bauchansatz und einem dezenten Schnurrbart, der seine Pfeife, seinen Garten und gutes Essen und guten Wein liebte - und natürlich seine Tochter, auf die er sehr stolz war.
 

"Nun, Wendy," meinte er jetzt, "hättest du nicht Lust, uns nach dem Dessert ein kleines bisschen auf dem Klavier vorzuspielen?" Wendy nickte, während sie ihr Erdbeereis löffelte.

An die anderen Tischgäste gewandt, fügte ihr Vater hinzu: "Wendy hat beim letzten Weihnachtskonzert ihrer Schule eine Auszeichnung erhalten. Ihr Spiel war wirklich wunderschön, nicht wahr, Mabell?"
 

"Ja," bestätigte seine Frau lächelnd und fuhr mit den Fingern ihrer rechten Hand durch ihre brünetten Locken.
 

Sie saßen auf der Terrasse der Adlingtons in der Abendsonne, es war Sonntag und die sonst so gestressten Erwachsenen wirkten alle sehr entspannt und gelassen. Die Adlingtons hatten ihn, seine Eltern und seinen Bruder, der auf einem Klappstühlchen saß und gerade Game Boy spielte, zu einem Essen eingeladen, das Mabell, Wendys Mutter, selbst gekocht hatte und er musste zugeben, dass es sich von dem Fraß, den ihre Köchin sonst kochte, erfreulich unterschied.
 

"Das war köstlich, Mabell," rief auch seine Mutter Lavinia, wobei sich mit einem Tuch über den Mund tupfte. "Ich verstehe wirklich nicht, warum du nicht öfter kochst."
 

"Oh, das würde ich gern," lachte Mabell, "aber Philip meint, er bekommt mich so schon wenig genug zu Gesicht, und wenn ich dann auch noch jeden Tag in der Küche stehen müsste... deshalb hat er die Köchin eingestellt."
 

"Ach so, ich verstehe," erwiderte Lavinia.
 

Sie hatten keine Köchin - nicht, weil sie es sich nicht hätten leisten können, sondern weil sein Vater es vorzog, niemandem im Haus zu haben - das störe seine Privatsphäre, meinte er - und weil er, ehrlich gesagt, auch ziemlich geizig war.

Seine Mutter kochte ebenfalls gut, nur fehlte ihren Essen wohl einfach der Glanz des Besonderen. Und es war tatsächlich so, dass das Kochen sehr viel von ihrer Zeit beanspruchte, doch schien das weder ihr noch Caden viel auszumachen.

Er hatte sich schon oft gefragt, wie es ihr gelang, trotz Fett und Flecken, die man in der Küche unweigerlich abbekam, immer so adrett auszusehen - wahrscheinlich lag es daran, dass sie wie alle Mütter, die er kannte, nicht arbeiten ging und ihre restliche Zeit mit gelegentlichem Kirchgang und dem Einkauf von Kleidung und Kosmetikartikeln verbrachte. Und sie verstand es wirklich, sich geschmackvoll zu kleiden und zurechtzumachen, fand er - eine gertenschlanke, hochgewachsene Frau Ende 30, deren feines blondes Haar noch von keiner grauen Strähne durchzogen war.
 

"Und wie geht es euch so?" erkundigte sich Wendys Mutter bei seiner interessiert.
 

"Soweit ganz gut," sagte Lavinia, und weil sie selbst merkte, dass das wohl etwas kurz angebunden gewesen war, ergänzte sie: "Donivan hat die Schule gewechselt, er... wir..." Etwas hilflos brach sie ab und ließ den Satz in der Luft hängen.
 

Die beiden Männer unterbrachen ihr Gespräch, in das sie bis eben vertieft gewesen waren.
 

"Ja," meinte sein Vater schnell, sowohl an Mabell als auch an Philip gerichtet, "wir dachten, dass es besser für ihn wäre, weil er dort mehr soziale Kontakte knüpfen kann. Er geht jetzt auf die Wakefield High, eine staatliche Schule," fügte er hinzu.
 

"Hobson High," verbesserte er und staunte zum hundertsten Mal, wie glatt sein Vater lügen konnte. Wahrscheinlich war das eines von den Dingen, die man in seinem Beruf lernte.
 

"Aber es gefällt dir dort, nicht wahr, Donivan?" fragte seine Mutter ihn.
 

"Ja," sagte er und auf einmal merkte er, dass das stimmte.
 

Wendys Eltern nickten bedächtig.
 

"Hm, ja, das ist sicher gut," bemerkte Mabell, "... ... ...es gibt dort sicher auch viel mehr sportliche Gruppenaktivitäten als auf einer Privatschule, oder?"
 

"Richtig," Caden nickte, "Donivan hat dort auch bald ein Fußballspiel, um genau zu sein, am nächsten..." Wochenende? Erntedankfest? St. Nimmerleinstag? Mit langem Gesicht sah sein Vater ihn an.
 

"Wochenende," half er.
 

"...Wochenende," schloss Caden, "ja, das wird sicher ein Erfolg für ihn." Er verschwieg, dass definitiv weder er noch Lavinia bei diesem Spiel zugegen sein würden, weil er Fußball für einen Proletensport hielt und nicht den geringsten Grund sah, weshalb er seine Zeit damit verschwenden sollte. Was ihm, Donivan, sehr recht war!
 

"Oh ja," erklärte Mabell, "an der St. Martha's High findet ja auch bald wieder das Sommerpicknick statt. Das ist eine Tradition in Wendys Schule, wisst ihr, aber dieses Jahr..."
 

"...dieses Jahr," unterbrach sie ihr Mann begeistert, "dieses Jahr werden die Schülerinnen selbst kochen!" Er wuschelte seiner Tochter durch die sorgsam zusammengesteckte Frisur. "Ich bin mal gespannt, was meine kleine Wendy uns zaubern wird. Wirklich, ich freue mich."
 

Wendy lächelte, saß aber stocksteif da. Und bildete er sich das ein, oder versuchte sie gerade krampfhaft, die Tränen zu unterdrücken?
 

Es quietschte vernehmlich auf den Terrakottafliesen, als sie ihren schweren Stuhl zurück schob.
 

"Ich... ich..." begann sie hastig, wobei ihre Augen fahrig durch die Runde streiften. Dann blieb er an ihm hängen. "...zeige Donivan den Garten, in Ordnung? Donivan, kommst du?"
 

Ein flehender Blick. Schnell sprang sie auf und lief so schnell davon, dass er, der noch seinen Rucksack unter dem Tisch hervor kramte, Mühe hatte, sie einzuholen.
 

"Ein schöner Garten." "Ja." "Groß." "Hm-hm." "Mein Vater hat geholfen, ihn anzulegen." "Aha."
 

Sie liefen jetzt eine geschlagene Viertelstunde durch den in der Tat schönen, großen, von Wendys Vater mit angelegten Garten der Adlingtons und etwas Anderes als das war dabei bisher nicht herausgekommen.
 

"Ich zeig dir noch unsern Teich. Der ist ganz neu. Da gibt's Frösche und Goldfische, die ganz zerfressen aussehen. Japanische." rief Wendy und war auch schon auf den moosbewachsenen, extrem glitschigen Steg hinaus spaziert, der den flachen Tümpel teilte.
 

Er eilte hinterher, den Rucksack über der Schulter, als ihm etwas einfiel. "Ach ja. Ich hab dein Buch dabei." Er nahm den Rucksack ab und holte "Anne in Avonlea" heraus.
 

Erfreut drehte Wendy sich zu ihm um. "Ja? Hast du es gelesen?"
 

"Nun..."
 

Er hatte es gelesen. Wirklich. Obwohl es schwer gefallen war. Es hatte ihm nur überhaupt nicht gefallen. Er hatte es überspannt, naiv, kitschig, dumm, sinnlos, unlogisch, langweilig und realitätsfern gefunden.
 

"...ja."
 

Wendy kam auf ihn zu. "Ja? Und wie fandest du es?" fragte sie aufgeregt.
 

"Na ja..."
 

Erwartungsvoll sah sie ihn an.
 

"...es war nicht so ganz mein Fall." meinte er lahm.
 

"Nein?" rief sie enttäuscht, "Was mochtest du denn nicht daran? Doch nicht Gilbert, oder? Ich finde ihn toll!"
 

"Also..."
 

Tatsächlich hatte er Gilbert am allerschlimmsten gefunden. Dieser eingebildete, strohdumme, schleimige Kerl war ihm irgendwann so auf den Geist gegangen, dass er nahe daran gewesen war, alle Szenen mit ihm kurzerhand zu überspringen... was er letztendlich doch nicht getan hatte, da das Buch leider zu drei Vierteln daraus bestand, und er sich beständig von einer kleinen Wendy beobachtet fühlte, die auf seiner Schulter hockte und tadelnd die Augenbrauen hochzog. Was bei ihm lediglich für noch weitere Aggressionen gegenüber Gilbert gesorgt hatte.
 

"...ich mochte ihn nicht so."
 

"Ach? Und warum nicht?" erkundigte sie sich schnippisch.
 

Gute Frage. Wenn sie die Antwort denn hören wollte!
 

"Weil, liebe Wendy, solche Typen wie er auf dieser Welt leider nicht existieren - und es, nebenbei bemerkt, auch nicht könnten - und ich es darum extrem dumm finde, sie in Bücher einzubauen, die bei den Lesern vollkommen falsche Vorstellungen wecken und sie den Sinn für die Realität verlieren lassen. Ich meine, es ist ja klar, dass Mädchen solche Bücher lesen und mögen, aber..." erklärte er etwas gönnerhaft, wurde von ihr jedoch unterbrochen.
 

"So?" Sie fixierte ihn. Scharf. Ihr Blick war seltsam. Und ihre Stimme klang merkwürdig gepresst, als sie fragte: "Was liest du denn bitte schön für Bücher? Hm, Donivan?"
 

Damit hatte er nicht gerechnet. Darauf fiel ihm nichts ein.
 

"Ähm... ja... zum Beispiel... Sachbücher."
 

"Sachbücher!" Verächtlich stampfte sie mit dem Fuß auf.
 

Das hätte sie nicht tun sollen. Der altersschwache Steg erbebte und schüttelte sie beide kräftig durch, Wendys heißgeliebtes "Anne in Avonlea" entglitt seiner Hand und flog in hohem Bogen in den Teich. Fast in Zeitlupe schien es durch die Luft zu segeln, bis es schließlich auf der Wasseroberfläche aufschlug und die japanischen Goldfische an den Rande des Herzinfarkts brachte.
 

Wendy fing an zu weinen. Er fluchte, krempelte sich aus seinem Jackett und watete in das niedrige Gewässer, bemüht, das Buch zu fangen, ehe es endgültig unterging und im Morast verschwand. Wie ein Wilder angelte er nach ihm, doch immer wieder schwappte es weg, kaum dass er in Reichweite kam. Als er es schließlich hatte, war es aufgequollen und die Farben auf dem Umschlag in alle Himmelsrichtungen zerlaufen - und seine Klamotten sahen nahezu identisch aus.
 

"Wendy! Jetzt wein doch nicht! Komm! Es ist doch nicht so schlimm! Bitte!" bat er und legte ihr tröstend die Hand auf die Schulter. "Ich trockne es dir, ich leg es unter den Bettpfosten, dann wird es schon wieder schön, ich kauf dir ein neues, ach was, zehn neue, zwanzig neue, wenn du willst, aber bitte, hör auf zu weinen..." Hilflos wedelte er mit dem ruinierten Buch, sodass ein paar Wassertropfen durch die Gegend spritzten, die nur zur Folge hatten, dass Wendys Tränenstrom noch heftiger wurde.
 

"Ich will kein neues," hörte er sie schluchzen, "ich will nicht, dass jemand über mein Buch lacht und ich will nicht zu diesem Sommerpicknick, ich will nicht, dass meine Eltern enttäuscht sind und ich will gar nichts..."
 

Er wusste nicht, was er sagen sollte. Fast achtlos legte er das Buch auf seinem Rucksack ab, sah nicht einmal hin. Er stand nur da, ohne etwas zu tun und blickte sie an.

Er verstand sie. Oh, und wie er sie verstand. Er verstand, wie es war, wenn die Menschen, die man doch liebte, lieben wollte, Erwartungen an einen hatten, die man erfüllen musste, um von ihnen geliebt zu werden. Und wenn man stattdessen versagte, ihren Erwartungen zuwiderhandelte und mit Verachtung gestraft wurde.
 

Und er verstand nicht, warum er sie nicht einfach in den Arm nahm und ihr das alles erzählte, er verstand nicht, warum er die Hand von ihrer Schulter nahm, sich räusperte, verlegen sagte: "Jetzt komm schon. Ist doch alles halb so wild. Wann ist dieses Picknick denn?"
 

Vielleicht war auch er jemand, dessen Erwartungen nicht erfüllt worden waren.
 

"Es ist... am nächsten Wochenende..." flüsterte sie, ihre Stimme erstickt von Tränen, "es ist... meine Eltern werden kommen, und die ganze Schule wird dabei sein und zusehen, und ich werde kochen müssen, und alle werden probieren, und ich... ich kann nicht kochen. Ich kann es wirklich nicht. Ich hab es schon so oft versucht, aber immer kommt nur ungenießbares Zeug dabei heraus. Aber meine Eltern wissen das nicht... sie denken... sie denken, ich würde mich auf das Picknick freuen... das denken sie!"
 

"Wendy," begann er, wobei er sich bemühte, seinen Tonfall sicher und überzeugend klingen zu lassen, doch obwohl sie hier zusammen auf dieser wackligen Brücke standen und nur wenige Zentimeter sie trennten, schien irgendwie die Entfernung zwischen ihnen immer größer zu werden. "Wendy... du brauchst keine Angst zu haben. Du wirst das bestimmt schaffen. Deine Mutter kann doch auch gut kochen, warum solltest du dann nicht..."
 

Ein Aufschrei unterbrach ihn. "Eben! Das ist es ja gerade! Sie kann kochen und ich nicht, und deshalb werden sie es nicht verstehen... deshalb..." Wieder schluchzte sie, wischte sich hastig mit der Hand über die Augen und senkte den Kopf.
 

"Wendy. Mach dir doch keine Sorgen," sagte er beschwichtigend, "schau... ich hab am Wochenende auch ein Fußballspiel an meiner Schule, und dann werd ich an dich denken."
 

"Ein Fußballspiel...?"
 

Er horchte auf, doch die Veränderung in ihrer Stimme war so wenig zu greifen wie der Wind.
 

"Donivan!" Ruckartig hob sie den Kopf, ihr Pony wirbelte durch die Luft und sie lachte auf. "Donivan! Darf ich mitkommen?" Allenfalls eine leichte Röte in ihrem Gesicht erinnerte noch an die Tränen, die sie eben geweint hatte.
 

Ihm war, als träfe ihn der Schlag, doch nicht schnell, heftig, sondern langsam, schleichend und deshalb um so unerträglicher.
 

"Ich weiß nicht, ob das eine so gute Idee ist - " wollte er sagen, aber sie strahlte ihn an, wie zu Beginn ihres Gesprächs viele Erwartungen zuvor, und meinte hoffnungsvoll: "Schau, wenn du meine Eltern fragst, dann werden sie nicht ablehnen. Sie werden höflich sein wollen. Und wenn ich dann sage, dass ich gern hingehen möchte, werden sie sich freuen und ja sagen und ich muss nicht zu diesem Sommerpicknick und kochen gehen!"
 

Und ich?, dachte er. Was werde ich müssen?
 

Aber als sie dann auf ihn zukam und ihn anlächelte und sich auf die Zehenspitzen stellte und ihn küsste, da wusste er, dass er wieder einmal verloren hatte.
 

Scheiße, dachte er. Scheiße!
 


 

(c) by Amber 2003

Natürlich hatten Wendys Eltern ja gesagt. Sie hatten es vielleicht nicht unbedingt gern getan, doch mit gefasster Haltung und verständnisvollen Mienen, ihren Unwillen unter einer Maske der Nachsicht verbergend. Und deshalb saß Wendy jetzt neben ihm im Auto und fuhr mit ihm zu seiner Schule, um dort ein Fußballspiel zu betrachten, dass er sich inzwischen so weit weg wünschte wie den Pluto. Seine Mutter bremste gerade in der Kurve zum Parkplatz ab, als er aus dem Augenwinkel etwas höchst Unerfreuliches wahrnahm.
 

"Wendy," begann er behutsam, "du wirst jetzt vielleicht ein paar Leute treffen, die dir ein wenig seltsam vorkommen werden, aber du musst dir überhaupt keine Sorgen machen, ok? Sag einfach gar nichts und lass mich reden, ja?" "Aber warum denn..." hörte er sie noch einwenden, doch glücklicherweise ging der Rest ihres Dialogs im Motorengeräusch unter.
 

"Viel Spaß, ihr beiden. Und pass auf Wendy auf, damit sie sich nicht verirrt, ja, Donivan? Die Schule ist groß. Ich hole euch dann nachher hier ab."
 

"Ja. Ja, Mama. Ist gut."
 

Ohne richtig zuzuhören, stolperte er fast aus dem Auto, wo ihm auch schon Terence, Peter und Thomas entgegenkamen. Bei ihrem Anblick musste er sich erstmal innerlich setzen.
 

Terence war offensichtlich zur Feier des Tages zum Friseur gegangen, ein Jammer nur, dass es allem Anschein nach ein Hundefriseur gewesen war, der es mit seinem dackelbraunen Haar nicht eben gut gemeint hatte. Peter trug ein schreiend gelbes T-Shirt der New Zealand Rangers, in dem, dem Verschmutzungsgrad nach zu urteilen, bereits seine sämtlichen älteren Brüder Fußball gespielt hatten. Und Thomas' Sweatshirt mit dem geschmackvollen Aufdruck "HOOLIGAN RULEZ!" setzte dem Ganzen die Krone auf.

Wendy erschien mit erstaunter Miene in der Autotür und Peter begrüßte sie sogleich mit dem optimistischen Ausruf: "Yo Mann, das wird ein geiles Spiel heute geben! Gib mir fünf, Mann!"
 

Etwas ilflos sah Wendy ihn an.
 

"Ja.... also... nun... Wendy, das sind... ähm... Klassenkameraden von mir." Viel lieber hätte er gesagt: "Diese Leute? Kenn' ich nicht!"
 

Wendy sah ihn immer noch an. "Aah ja." war alles, was sie sagte.
 

"Und... Terence, Peter, Thomas... das ist Wendy, meine Verlobte."
 

Augenblicklich änderte sich das Verhalten der drei Jungen. Terence fuhr sich wild durch die Haare, nicht ahnend, dass er damit alles nur noch schlimmer machte, Peter zog hastig seine Jacke über und Thomas verschränkte unauffällig die Arme vor der Brust, um die peinliche Aufschrift so gut es ging zu verdecken.
 

Wie aus einer Kehle murmelten die drei: "Warum hast du das denn nicht gleich gesagt?" - "Freut mich, dich kennenzulernen!" - "Wirst du bei dem Spiel zusehen?"
 

Da endlich lächelte Wendy. "Danke. Ja. Sicher, das werde ich."
 

"Oooh." - "Fein." - "Gut!"
 

"Ihr gewinnt bestimmt," sagte Wendy, "Ihr seht aus, als könntet ihr gut Fußball spielen. Ich bin schon so gespannt auf das Spiel."
 

"...Hm..." - "...Ja..." - "...Danke..."
 

"Du hast nette Klassenkameraden, Donivan," meinte Wendy dann an ihn gewandt, "Warum hast du mir denn nicht eher von ihnen erzählt? Du hast wirklich Glück!"
 

"Ja. Find ich auch. Nicht wahr?" gab er zurück und kam sich sehr ?glücklich' vor.

Es war, wie er befürchtet hatte: Sie wirkte hier so fehl am Platz wie ein Osterhase unter dem Weihnachtsbaum.
 

"Ich habe jetzt noch eine halbe Stunde mit den anderen Training," sagte er zu ihr, "Wenn du möchtest, kannst du ja in der Zwischenzeit..." Fieberhaft suchte er noch nach einem Vorschlag, da fiel Wendy ihm aufgeregt ins Wort: "...die Schule angucken?"
 

"Ja. Ja genau. Das wollte ich sagen. Die Schule angucken. Guck dir die Schule an."
 

Während sie strahlend abrauschte, fühlte er sich, als ob ihm ein schwerer Klotz auf den Kopf gefallen war. Der Klotz war rosa.
 

"Hobson High School" stand klein und schüchtern auf einem wackligen Emailleschild am Eingangstor, die letzten Buchstaben von einer schwarzen Spraydose verunstaltet.

Wendy war hellauf begeistert von Donivans Schule. Sie bewunderte die phantasievollen Graffiti an den Schulhauswänden. Sie bestaunte den bunt bestückten Kiosk mit den Mohrenkopfbrötchen. Sie schlich sich in die Schulbücherei und war entzückt, als sie dort einen Band von "Anne auf Green Gables" fand. Sie studierte aufmerksam den Stundenplan und konnte kaum glauben, dass es nirgendwo das Fach Handarbeit gab. Sie störte sich nicht an den Rissen im Verputz oder den Spinnweben in den Ecken. Ihr gefiel der Text eines Rocksongs, den jemand sorglos mit einem Filzstift auf die Toilettentür geschrieben hatte:
 

"We don't need no education

We dont need no thought control

No dark sarcasm in the classroom

Teachers leave them kids alone

Hey! Teachers! Leave them kids alone!

All in all it's just another brick in the wall.

All in all you're just another brick in the wall."
 

Es war die Lebendigkeit, die sie liebte, die vielen verschiedenen Menschen, die durch die Hallen, durch die Gänge und über den Schulhof gingen, liefen oder rannten, kreuz und quer, aus allen Richtungen, jeder in seinem eigenen Tempo und mit seinem eigenen speziellen Ziel. Mädchen und Jungen. Kinder und Jugendliche. Weiße und Maori. Und keiner von ihnen trug eine Uniform.

Sie selbst wanderte mit erstaunten Blicken langsam und zögerlich durch diese Schule, die für die meisten hier so ganz und gar alltäglich schien. Niemand beachtete sie sonderlich. Aber aus irgendeinem Grunde fühlte sie sich gerade dadurch mehr in die in die lärmende Menge eingebunden, als sie es an ihrer eigenen Schule jemals gewesen war.

Sie wusste nicht genau, wie hoch das Schulgeld war, dass ihre Eltern zahlten, aber dem Anteil an Aufmerksamkeit nach, den die einzelnen Schülerinnen erhielten, musste es sehr hoch sein.

Der jährliche Veranstaltungsmarathon der St. Martha's High war enorm, doch diente er ganz und gar nicht - wie sie noch vor einem Jahr so naiv gedacht hatte - zur Unterhaltung, sondern hauptsächlich dazu, die Leistungen der Mädchen zu vergleichen und sie den Eltern zu präsentieren. Jede Aktivität - Weihnachtskonzert, Handarbeitswettbewerb, Sommerpicknick, Kunstausstellung und was es sonst noch alles gab - lief stets nach den gleichen, seit Jahrzehnten festgelegten Regeln ab, die besagten, dass jede Schülerin sich auf die eine oder andere Weise einbringen und ihre Talente zeigen musste. Ihr war das immer steif und langweilig vorgekommen und sie hatte sich oft unwohl gefühlt, doch sie hatte geglaubt, das müsse so sein. Immerhin hatte ihre Mutter ihr schon häufig erzählt, dass es auf ihrer Schule in Wellington damals nicht anders zugegangen war. Und sie kam auch immer mit ihrem Vater und war sehr stolz auf Wendy und lobte sie.

Auch heute wären sie gekommen... wenn sie dagewesen wäre. Aber heute war alles anders. Heute war sie selbst diejenige, die nicht gekommen war... weil sie Angst gehabt hatte, einmal nicht gelobt zu werden.

Auf einmal fragte sie sich, ob sie ihre Eltern nicht dadurch, dass sie überhaupt nicht hingegangen war, mehr enttäuscht hatte, als sie es durch ein misslungenes Essen gekonnt hätte.

Der Gedanke behagte ihr nicht. Er machte sie bedrückt. Sie wollte nicht bedrückt sein.
 

Trotzig warf sie den Kopf in den Nacken, so dass ihr brauner Zopf umher flog, und sah sich in der Halle um, mit der verzweifelten Hoffnung, die Atmosphäre von Alice im Wunderland erneut her zaubern zu können.

Es wirkte und sie begann, sich wieder auf das Spiel zu freuen. Obwohl sie noch nie ein Fußballspiel gesehen hatte, konnte sie sich die aufgeheizte Stimmung vorstellen, in der es stattfand. Sicherlich würde Donivan gut spielen, schließlich war er sportlich. Sie würde dabei sitzen und ihn anfeuern.
 

Kaum dass er sich umgezogen hatte, stürzte Donivan aus der Umkleidekabine. Unterwegs traf er Snake, er rannte fast in ihn hinein. Anstatt einer Begrüßung keuchte er nur: "Wo ist Sheldon? Mike Sheldon? Aus der 6 F?"
 

"Wer? Wie? Was?" fragte Snake, machte große Augen und war die Ruhe selbst. "Hallo, Donivan! Ich bin schon so gespannt auf euer Spiel. Wir sind alle ganz aufgeregt, und Nicky hat mit Tammy gewettet, und sie haben sich verkracht, obwohl sie das sonst nie tun, weil sie Zwillinge sind, weißt du, und sie meint ihr gewinnt und er meint die andern. Und ich hab ihr zugestimmt, weil ich glaub auch, dass ihr gewinnt und ich hab eine Fahne gemacht, schau mal..."
 

Treuherzig enthüllte er eine Rolle Kreppapier: "Support Donivan Charteris / 2 D!"
 

Er nahm all seine innere Ruhe zusammen, sah Snake fest in die glückseligen Äuglein und wiederholte langsam und deutlich: "Michael Sheldon. Wo ist er? Es ist sehr, sehr wichtig, verstehst du?"
 

"Mike Sheldon? Den hab ich gerade gesehen! Ist das nicht der..." rief Snake entgeistert und wollte schon in Bewunderungsstürme ausbrechen, was er jedoch kurzerhand unterband, indem er ihn am Kragen packte und hinter sich her schleppte.
 

"Ganz recht, der..." erwiderte er im Rennen, "...und weißt du was? Das Spiel fängt in einer Viertelstunde an! Also, wo hast du ihn gesehen?"
 

"Aber Donivan, renn doch nicht so! Warum bist du denn so nervös?" wollte Snake wissen, dem langsam, langsam dämmerte, dass da etwas nicht stimmen konnte, während er mitgeschleift wurde.
 

Er blieb so plötzlich stehen, dass Snake gegen ihn fiel, ließ ihn los und sagte:
 

"Ganz einfach, Snake. Wendy ist hier. Wendy Malika Adlington. Meine Verlobte. Du weißt schon, ich hab dir von ihr erzählt."
 

"Deine Verlobte? Hier?" fragte Snake verblüfft, wobei er sich den Hals rieb, "Das ist ja toll!"
 

"Das ist nicht toll, Snake." meinte er nur und verpasste ihm eine Kopfnuss. "Zeig mir, wo Sheldon ist."
 

Wendy suchte Donivan. Sie hatte sich verirrt, und sie hatte keine Ahnung, wo die Sporthalle war. Aber eben hatte ein Lautsprecher - das gab es bei ihnen auch nicht - verkündet, dass in 15 Minuten das Spiel anfangen würde und da sie gern einen guten Platz haben wollte, musste sie sich beeilen. Außerdem wollte sie Donivan vorher noch Glück wünschen - er war so nervös gewesen, der Arme. Sie wandte sich um, aber das Gewimmel hinter ihr war genauso undurchdringlich wie vor ihr. Sie schien die Einzige zu sein, die die Turnhalle suchte. Mit fahrigem Blick sah sie umher und musste sich die Augen reiben und die Ohren zuhalten. Diese vielen Sinneseindrücke und der Lärm waren so ermüdend. Die Beine taten ihr weh und im Gedränge wurde ihr heiß.

Auf einmal sah sie von links eine Gruppe Schüler auf sie zusteuern. Es waren zwei Jungen und zwei Mädchen in etwa ihrem Alter. Der eine Junge war dick und trug ein gelbes T-Shirt, unter dem sein Bauch aussah wie eine Honigmelone. Sein schwarzes Haar und seine dunklen Augen wiesen auf eine südländische Herkunft hin. Das Mädchen rechts von ihm war braun gebrannt und hatte eine feuerrote Mähne, die ein Kamm allein bestimmt nicht bändigen konnte. Sie trug eine kurze Hose und sah sehr burschikos aus. Der Junge in der Mitte war braunhaarig und seine blauen Augen hatten einen aufrichtigen Blick. Er sieht nett aus, schoss es ihr durch den Kopf. Ihn frage ich.

Neben ihm lief noch ein Mädchen her, das ebenfalls dunkelbraunes Haar hatte. Es war gelockt und lang wie ihres, mit dem Unterschied, dass sie es offen trug und nicht in einem festen Zopf.

Sie hatte die Hand auf die Schulter des mittleren Jungen gelegt, lächelte und sagte irgend etwas zu ihm. Ob sie seine Verlobte war? Aber nein, dafür sah sie ihm zu ähnlich.

Sie war selbst erstaunt, wie piepsig und schüchtern sich ihre Stimme anhörte, als sie auf die vier zuging und höflich fragte: "Entschuldigung, aber könntet ihr mir bitte sagen, wo ich die Sporthalle finde?"

"Klar. Immer der Nase nach!" gab der Junge mit den braunen Haaren gutgelaunt Auskunft. Er grinste sie an. "Ich kicke heute auch mit. Drück mir die Daumen, ja?"

Sie nickte perplex, vergaß vollkommen, sich zu bedanken und starrte ihm immer noch hinterher, als er mit seinen Freunden längst um die Ecke verschwunden war.
 

Irgendwie erinnerte er sie an Gilbert.
 

Aber dann fiel ihr ein, dass sie Donivan suchte und hastig machte sie sich auf den Weg zur Turnhalle.
 

Da ist er ja, dachte Wendy erleichtert. Dort drüben stand Donivan. Er schien mit einem älteren und einem jüngeren Jungen in ein Gespräch vertieft zu sein. Ob ich da so einfach rein platzen darf? fragte sie sich besorgt. Die Entscheidung wurde ihr abgenommen, denn inzwischen hatte der kleinste Junge sie entdeckt. "Hallo, Wendy," rief er und winkte ihr fröhlich zu. Während sie noch grübelte, woher um alles in der Welt sie ihn kennen sollte, drehte auch Donivan sich um.

"Oh... Wendy..." murmelte er. Er machte ein seltsames Gesicht, wirkte hektisch und gereizt. Seine rechte Hand steckte in der Tasche seiner Sporthose, als verstecke er etwas darin. Bildete sie sich das ein, oder war ihre Anwesenheit ihm auf einmal unbehaglich?

Der große Junge grinste, wurde jedoch sofort wieder ernst, als Donivan sich ihm zuwandte und ihm etwas gab, was er in der Tasche gehabt hatte. Ohne etwas zu sagen, trat er dann zurück, hakte sie unter und lief mit ihr in Richtung Sporttrakt. Der kleinere Junge folgte ihnen wie ein Hund.

"Danke!" rief der Ältere ihnen noch hinterher, aber Donivan überhörte ihn.
 

Erst als sie an der Sporthalle angekommen waren, schien Donivan sich wieder einigermaßen zu fangen.
 

"Wendy," begann er, als sei nichts gewesen, "das ist Will Conly, ein Freund von mir."
 

Der jüngere Schüler schüttelte ihr freundlich ihre Hand.
 

"Und wer war der andere eben?" fragte sie Donivan neugierig.
 

"Das war... auch ein Freund von mir." hörte sie ihn sagen. Danach folgte eine von diesen wohlbekannten Pausen, wie ihre Mutter sie immer machte, wenn sie mit Gästen sprach, und dann meinte er: "... ... Ich muss jetzt los. Das Spiel fängt an. Setz dich zu Snake, er zeigt dir alles."
 

Er rannte fast davon.
 


 

(c) by Amber 2003
 

Textauszug aus "Another Brick In The Wall" (c) Pink Floyd

Snake führte sie zu einem erhöhten Platz auf der Tribüne, wo sie beste Sicht auf das beginnende Spiel hatte. Dennoch fiel es ihr schwer, sich zu konzentrieren, weil noch immer Donivan und sein merkwürdiges Verhalten sie beschäftigten. Sie versuchte, mit Snake ins Gespräch zu kommen und ihn ein wenig auszufragen, doch Donivans sonst offensichtlich so lebhafter Freund schien nicht willens - oder auch fähig - ihr eine Auskunft über den Dialog mit dem älteren Jungen zu geben. Erschwert wurden ihre Bemühungen noch zusätzlich dadurch, dass Snake die meiste Zeit johlend mit einem Krepposter gefährlich nahe vor ihrem Gesicht herum wedelte und "Donivan! Donivan! 2 D!" brüllte, was es ihm manchmal unmöglich machte, ihre Fragen überhaupt zu verstehen.

Irgendwann gab sie es auf, weil das Spiel sie mehr und mehr zu interessieren begann. Wie überall in dieser Schule herrschte auch in der Sporthalle ein Heidenlärm, obwohl es sich - wie sie dem an die Wand gepinnten Spielplan hatte entnehmen können - nur um ein internes Spiel zwischen den sechs zweiten Klassen der Hobson High handelte. Allerdings schien das die allgemeine Fußballbegeisterung der meisten Schüler nicht zu beeinträchtigen.

"Hey! Das war doch glasklar ein Foul!" hörte sie jemanden direkt neben sich erbost zischen und erkannte weit unten Peter, Donivans Klassenkamerad, der in seinem zitronengelben T-Shirt - denn Trikots hatten sie hier offenbar auch nicht - zielstrebig über das Spielfeld wuselte und den Ball mit sich nahm, als sei er angewachsen. Zwar konnte sie so etwas nicht wirklich beurteilen, aber in ihren Augen spielte er sehr gut und sie glaubte nicht, dass er irgend jemanden gefoult hatte, denn dazu war er viel zu nett gewesen.

Peter bremste ab und kickte den Ball geschickt durch eine Verteidigungslinie hinüber zu Thomas ("HOOLIGAN RULEZ!"), der den Pass mit einigen Schwierigkeiten annahm und ihn dann mehr oder weniger sicher ins Tor beförderte.

"Toooor!" erscholl es Sekundenbruchteile später begeistert aus ihrer Reihe, die - ihren Nachbarn einmal ausgenommen - von 2-D-Anhängern beherrscht schien, bis selbst der Letzte mitbekommen hatte, dass sie und nur sie hier und heute gewinnen würden. "Tooor!" rief auch sie, ein bisschen leiser als der Rest, jedoch nicht weniger enthusiastisch, und beugte sich noch etwas weiter vor, gespannt was folgen mochte.
 

Leider sah das, was tatsächlich folgte, verglichen mit Peters und Thomas' Leistung eher schwach aus. Terence, der rundliche Junge mit der Dackelfrisur, versuchte vergeblich, einem anderen - "2 B!" pries ihr Sitznachbar - den heißbegehrten Ball zu entwenden, doch erst mit der erneuten Hilfe von Thomas gelang ihm das.

Terence dribbelte los und traf dabei wohl ein paar Schienbeine, was mit Buh-Rufen aus der gegenüberliegenden Publikumshälfte und an ihrem rechten Ohr quittiert wurde, ansonsten aber niemanden zu stören schien. Und jetzt trat ihm ein Mädchen in den Weg, eines der wenigen, das den Mut hatte, hier überhaupt mitzuspielen - "Die kenne ich doch!", schoss es ihr durch den Kopf, bestätigt von der Alarmsirene neben ihr: "Tiiiiger!"

Tiger preschte vor, ihr rotes Haar leuchtend wie ein Warnsignal. Der arme Terence ergab sich diesem Namen und dieser Mähne augenblicklich, suchte sein Heil in der Flucht und überließ ihr reumütig den Ball. Sogar von ihrem erhöhten Platz aus konnte Wendy Tigers Grinsen sehen. Sie selbst freute sich für dieses Mädchen, das da unten gegen die Jungen spielte und sich Dinge traute, die sie im Leben nicht wagen würde. Tiger holte aus und wollte schießen - als ein schriller Ton sie auf der Stelle erstarren ließ.

Wendy, das Kinn in die Hände gestützt, biss sich auf die Lippe.

Eine größere Gestalt eilte über das Spielfeld auf Tiger zu und hielt ihr etwas entgegen.

"Was, gelbe Karte? Du tickst wohl nicht mehr richtig?! Was soll ich denn bitte schön gemacht haben?" beschwerte sich Tiger verständnislos, die Fäuste in die Hüften gestemmt. "Ach, die rote passt also noch besser zu meinen Haaren? Weißt du was? Du kannst mich mal!" Den letzten Satz schrie sie fast, riss dem Größeren die Karte aus der Hand und stampfte so würdevoll wie möglich vom Feld. Kaum dass sie einen Schritt getan hatte, ertönte eine Woge des Protests, diesmal nicht nur von der gegenüberliegenden Seite, sondern von allen Bänken. Doch der größere Junge hob nur beschwichtigend die Hand und stellte sich wieder auf seinen Platz.

"Scheeeeißschiiiiiri!" schrie es hasserfüllt zu ihrer Rechten. "Schiiiiebung!"
 

Wendy blickte auf. Sie hob den Kopf, ihre Hände blieben hilflos in der Luft hängen. Zum ersten Mal seit Beginn des Spiels sah sie sich ihren Sitznachbarn genauer an - ein cholerischer, rotgesichtiger Schüler etwa in Snakes Alter, der definitiv auf der falschen Seite saß. Aber mehr noch als sein Aussehen bestürzten sie seine Worte - der große Junge auf dem Spielfeld war der Schiedsrichter, natürlich! Und vor allem, es war derselbe wie der, mit dem Donivan keine halbe Stunde zuvor so eindringlich gesprochen hatte! Donivan -
 

Donivan erhielt den Ball und versuchte ihn in Richtung des fremden Tors zu manövrieren. Aber er spielte unsicher und vage und noch schlechter als Terence, sodass ein plötzlich auftauchender Gegner ihn ohne große Mühe völlig aus dem Gleichgewicht bringen konnte. Stumm rangen die beiden - zwei, drei Sekunden - der andere Junge wandte ihr den Rücken zu - vier, fünf Sekunden - nun drehte er sich um, Wendy sah sein braunes Haar, seine blauen Augen - sechs, sieben Sekunden - es war der, der sie an Gilbert erinnert hatte, der ihr so hilfsbereit den Weg gewiesen hatte. Dann rammte Donivan ihm das Knie in den Bauch.
 

Der, den sie Gilbert nannte, keuchte und presste die Hände gegen seinen Magen. Doch Donivan zog ein so schmerzerfülltes Gesicht, als sei er derjenige, der getroffen worden war. Der Ball rollte beiseite und wäre ins Aus gegangen, wenn Peter nicht vorgesprungen wäre und ihn gehalten hätte. Aber er schoss nicht. Er wartete. Alle warteten.
 

"Was ist? Worauf wartet ihr?", fragte der Schiedsrichter unwillig und ließ einen lauten Pfiff los.
 

Kurz darauf ging der Ball für die 2 D ins Tor. Der Beifall hielt sich in Grenzen, selbst in ihrer Reihe.

Sie hörte es nicht mehr. Sie befand sich noch immer in der Sporthalle der Hobson High School, wacher als je zuvor, aber sie hörte es nicht mehr.

Sie konnte es einfach nicht fassen. Noch weniger konnte sie es begreifen. Und eines konnte sie am allerwenigsten, sich das noch länger antun!
 

"Mir ist nicht gut, Snake," sprach sie die altbekannte Lüge aus, die heute, in diesem Fall, keine war, und ging.
 

Donivan sah auf, zu dem Platz, nach dem zu sehen er in den letzten Minuten erfolgreich vermieden hatte, und sah, dass er leer war. Ihr Platz war leer und sie war fort.
 

Teilnahmslos stand er da, ein toter Punkt im lebendigen Netz von Spielern und Ball. Er wünschte sich nichts sehnlicher als die rote Karte, die er, das wusste er genau, nicht bekommen würde. Dafür hatte er schließlich selbst gesorgt.
 

Vielleicht ist sie nur auf die Toilette gegangen, redete er sich ein, doch er glaubte nicht daran.
 

Mit den Fehlern war es wie mit den Hausaufgaben, man musste sie machen und wenn man damit nicht fertig wurde, war man selber schuld und bekam zur Übung gleich noch einmal das Doppelte auf.
 

Sein Fehler war wohl, dass er seinen Plan nicht gut genug geheimgehalten hatte.

Und das Doppelte hieß jetzt nur eins: Weiterspielen. Gewinnen, um das Verlorene zu vergessen.
 

Eine Viertelstunde später hatte er gewonnen, doch das Verlorene war das Einzige, woran er denken konnte. Wie viele Fehler zuvor stürzte er aus der Umkleidekabine der 2 D, die trotz des überraschenden Sieges wortkarg und nicht zu Scherzen aufgelegt war, und wie zuvor rannte er fast in jemanden hinein - was hieß fast, er prallte mit voller Wucht gegen ein Mädchen, dass er zuerst für Wendy hielt, weil sie brünette Locken hatte und kleiner war als er. Aber hier hörten die Gemeinsamkeiten auch schon auf, denn ihre Augen waren von einem warmen Braunton und das viel dunklere Haar fiel ihr offen über die Schultern
 

"Entschuldigung," sagte er atemlos und ihm wurde fast schlecht bei dem Gedanken, dass er vor nicht allzu langer Zeit jemandem das Knie so fest wie möglich in den Bauch gerammt hatte, ohne auch nur etwas Annäherndes sagen.
 

"Nicht schlimm," meinte sie lächelnd, "Ich bin ja auch gerannt, ich suche nur meinen Cousin, er hat sich beim Fußballspiel verletzt."
 

Er spürte, wie ihm die Röte ins Gesicht stieg. Aber wenn sie ihn erkannte, so ließ sie sich nichts anmerken. Auf einmal fiel ihm auf, dass sie ihn schon eine ganze Weile ansah, doch sie schwieg, hatte nur wieder dieses eigentümliche Lächeln auf den Lippen, aus dem fast so etwas wie... Mitleid sprach?
 

Es störte und fesselte ihn gleichermaßen, nahm der Begegnung jede Flüchtigkeit und machte es ihm so unmöglich, sie zu beenden.
 

"Was... was hältst du von Fußball?" fragte er das ihm völlig fremde Mädchen aufs Geratewohl und war sich durchaus bewusst, dass seine Frage nicht gerade von Intelligenz strotzte.
 

Unerwartet wurde sie ernst. "Ich frage mich, warum man sich um einen Ball streiten muss, wenn doch alle einen haben können?" Noch einmal ein Lächeln, ein leises Lachen, ehe sie weiterging. Er konnte beim besten Willen nicht einordnen, ob es er, sie oder ihr Cousin war, über den sie lachte.
 

Wie hatte er sie nur mit Wendy verwechseln können? Sie sah ganz anders aus.
 

Er fand sie am Parkplatz, dort, wo seine Mutter sie beide hatte abholen wollen.

Die Arme eng um die Schultern geschlungen, stand sie da und blickte ins Leere, als ob sie innerlich bereits sehr weit fortgegangen war.
 

"Wendy!" rief er.
 

Plötzlich erwacht, fuhr sie herum. Zerzauste Strähnchen, die sich aus der festen Frisur gelöst hatten, umflatterten ihren Kopf und gaben ihr das Aussehen eines zerrupften Jungvogels. Die Tränenröte betonte ihre blauen Augen in dem blassen Gesicht und ließ sie größer erscheinen, als sie tatsächlich waren. Sie wirkte wie ein Mensch aus Porzellan, jemand Zerbrechliches und Beschützenswertes, doch Porzellan war gleichzeitig auch ein ebenso hartes und scharfes Material.
 

Schweigend sah sie ihn an. Er las von Zweifeln, Verwirrung und Angst, ihren Verdacht bestätigt zu sehen, Angst, die sie die Flucht hatte ergreifen lassen, bis er sie hier eingeholt hatte.
 

Den ganzen Weg war er gerannt, getrieben von der irrationalen Hoffnung, sie möge es nicht herausbekommen haben.
 

Nun besiegte ihre Angst seine Hoffnung. Ihr Blick zwang ihn, es ihr gleichzutun und ebenfalls haltzumachen. Einen Moment lang teilten beide die selben Gefühle, fürchteten beide die Konfrontation. Sie konnten versuchen, sie zu verdrängen, sie aufschieben und unter Ausflüchten begraben, aber eines Tages würde sie kommen. Weil sie unausweichlich war.
 

"Ich frage mich, warum man sich um einen Ball streiten muss, wenn doch alle einen haben können?" hatte ein fremdes Mädchen zu ihm gesagt und über diese sonderbare Welt gelacht.
 

Er gab sich einen harten Ruck und ging weiter, weiter, bis sie einander gegenüberstanden.
 

"Donivan," fragte sie ihn, "hast du den Schiedsrichter bestochen?"
 

"Ja," sagte er, "das habe ich."
 

Alles hätte sie geschluckt: Eine Ausrede, einen Versuch der Rechtfertigung, eine Lüge, ganz gleich wie durchsichtig - sie hätte sie geschluckt, weil es ihren Erwartungen entsprach.

Jeder log, wenn die Situation es erforderte: Ihre Eltern, seine Eltern, sie und er. Man bog die Wahrheit ein wenig zurecht, drapierte sie hübsch, beschattete die unschönen Seiten, verdeckte die häßlichen Schmutzflecken. Da war nichts Schlimmes bei, es machte das Leben erträglicher. Dieses Leben, bei dem man Schritt für Schritt nebeneinander herging, die gleichen Sorgen, Zweifel und Ängste mit sich trug, ohne sie jemals zu teilen, von diesen Sorgen niedergedrückt wurde, bis man schließlich, irgendwann, zu Boden fiel und nicht mehr weitergehen konnte. Die Lüge half und verhinderte, dass man stehenblieb, seinem Gegenüber in die Augen blickte und Dinge erkannte, die das reibungslose Nebeneinander zerstörten. So oft hatte sie es erlebt, sich daran gewöhnt und gelernt, damit umzugehen. Sie hatte geglaubt, dass er es genauso hielt.
 

Aber seine rückhaltlose Ehrlichkeit jetzt, hier, in diesem Moment, war mehr als sie ertragen konnte.
 

"Und wieviel hast du ihm gegeben?" erkundigte sie sich, ein verzweifelter Versuch, sachlich zu bleiben, ihre Stimme, die es nach oben zerrte wie ein angebundenes Pferd, im Zaum zu halten und sich nicht von seiner Wahrheit fortreißen zu lassen.
 

"100 Dollar," sagte er.
 

"100 Dollar!" fauchte sie, als hätte er ihr gerade erzählt, dass er den Eiffelturm gekauft hatte, "Und wovon hast du das bezahlt?"
 

"Von meinem Taschengeld natürlich," gab er zurück.
 

Auf seinen Lippen lag ein Lächeln, das so scharf war wie ein Rasiermesser. Doch es war ein zweischneidiges Messer, das sie beide verletzte. Sie fühlte, wie es tief in sie schnitt und wie aus dem Schnitt etwas hervorquoll, was sie mit aller Kraft unterdrückt hatte. Und endlich reagierte sie.
 

Sie schrie: "Warum hast du das gemacht? Du gottverdammter Idiot, warum um alles in der Welt hast du das gemacht? Wie konntest du bloß so gemein und hinterhältig und unehrlich sein? Warum hast du Gilbert weh getan und Tiger verraten und Alice ihr Wunderland kaputt gemacht? Warum?"
 

"Ich musste gewinnen," sagte er, "weil du dabei warst und zugesehen hast. Und da ich das anders nicht bewerkstelligen konnte, habe ich Sheldon das Geld gegeben."
 

Es lag kein Vorwurf in seinen Worten, es war, als er erkläre er einfach nur eine simple Tatsache.
 

,Das Donivansche Gesetz besagt demnach: Wendy => Gewinnen = Geld + Schiedsrichter', genauso hätte es in "Physik für Mädchen" stehen können.
 

Und das machte sie rasend.
 

Sie sah ihm in die Augen. Sie waren blaugrün und fast immer ein wenig zusammengekniffen, als dächte er angestrengt nach oder versuchte, etwas in der Ferne zu entdecken. Sie konnten freundlich und tröstend blicken und angespannt und nervös, manchmal vielleicht auch ein bisschen überheblich und eingebildet, doch noch nie waren sie ihr so kalt erschienen.
 

"Du bist so dumm! Du bist so dumm! Wie kannst du nur so DUMM sein? Ich hasse dich!" schrie sie weinend, schlug ihm ins Gesicht, wollte ihn aufwecken, seinen Ausdruck ändern, sein Handeln rückgängig machen - vergeblich.
 


 


 

(c) by Amber 2003

"Keine Worte mehr..."

Wendy und Donivan standen nebeneinander auf dem Parkplatz der Hobson High School. Ein kalter Wind wehte, wirbelte zwei trockene Blätter zwischen ihnen auf und ließ sie wieder fallen.
 

Wir sind wie diese Blätter, trocken und tot, brüchig und steif, haben unseren Halt verloren und wissen nicht wohin, während unsere Altersgenossen frisch und grün an den Bäumen wachsen.
 

"Bist du jetzt fertig?" fragte er ruhig, nachdem sie ihn fünfmal geohrfeigt hatte und seine Backen glühten wie Bratäpfel.
 

Sie konnte nicht mehr antworten. Die Tränen schnürten ihr die Kehle zu. Kraftlos sank sie zu Boden, fiel auf die Knie, ihr Rock auf dem rauhen Asphalt ausgebreitet.
 

Er bückte sich, nahm ihre Hände und tätschelte sie sanft, zog sie hoch. Sie ließ es geschehen, als er die Arme um sie schloss und legte den Kopf an seine Schulter.
 

Gemeinsam warteten sie darauf, dass seine Mutter sie abholen kam. Keiner von ihnen sagte ein Wort.
 

Eine Wand aus Erwartungen, Lügen und Wahrheiten hatte sich aufgetürmt, die nichts mehr hindurch ließ.
 

Es gab keine Worte mehr zwischen ihnen.
 


 

(c) by Amber 2003



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Kommentare zu dieser Fanfic (10)

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Von:  Sushi
2003-04-26T16:18:07+00:00 26.04.2003 18:18
Hm, wirklich gut geschriben!
Mir tut Wendy voll leid, auf ne Mädchenschule gehen zu müssen, noch dazu so ne kleine High Society ist sicher nicht schön....

Was ich mich aber irritiert hat, war Donivans Argument gegeüber seinem Vater: warum sollte der nicht wollen, dass Cross etwas lernt?
Von:  Sushi
2003-04-26T16:02:14+00:00 26.04.2003 18:02
Princess hast du wirklich herrlich geschildert!^^
God tut mir irgendwie leid, dass er jetzt all die Bücher lesen muss... als Junge mein ich. Wie alt sind die beiden eigentlich zu diesem Zeitpunkt?
Von: abgemeldet
2003-04-26T12:15:31+00:00 26.04.2003 14:15
Hi Amberlein!
Großes Lob an dich!Du hast es sogar geschafft dass ich Wendy mag^-^und das will was heißen.
Ich versteh den armen God.....er wollte sich doch bloß nicht vor seiner Verlobten blamieren....der Arme kann doch nichts dafür das er ne Niete im Fußball ist^-^°!!
Von: abgemeldet
2003-04-25T17:46:35+00:00 25.04.2003 19:46
Also ich habe auch keine Worte mehr. *auch so schön schreiben können will*
Das ist ein wirkliches letztes Kapitel. Gerade in den letzten beiden Teilen habe ich wirklich mitgefühlt.
Das war ein wirklich emotionales Ende. Es hat mir ganz einfach gut gefallen.
Es ist wirklich schlimm, schlechte Aspekte kann man an deiner Story mal wieder nicht finden. Aber langsam weiss ich wirklich nicht mehr wie ich dich noch loben soll. :)
Deswegen mach ich es dieses Mal kurz:
Die Fanfiction war unglaublich gut.
Mach nur weiter so und informiere mich, wenn du eine neue anfängst.
Cu Jenny
Von: abgemeldet
2003-04-25T17:36:48+00:00 25.04.2003 19:36
Das war bis jetzt wirklich mein Lieblingsteil. Es war die ganze Zeit über spannend.
Aber Donivan ist ja wirklich ein Mistkerl. (Sorry, ich weiß ja, dass du ihn magst)Der besticht den Schiedsrichter um zu gewinnen und das nur um ihr zu imponieren. Aber wie du schon sagtest, Menschen machen Fehler. Nur daraus können sie lernen. Nur ob er nun wirklich was daraus gelernt hat? Außer vielleicht es beim nächsten Mal geschickter anzustellen?!
Allerdings muss man ihm anrechnen, dass er direkt die Wahrheit gesagt hat und nicht versucht hat zu lügen.
Und weiter geht's.
Da ist man mal zwei Tage im Stress und schon hat man wieder drei Teile verpasst. Andererseits bin ich wirklich froh, dass du so schnell bist. Ich warte nicht gerne so lange.
Cu Jenny
Von: abgemeldet
2003-04-25T17:16:28+00:00 25.04.2003 19:16
Jetzt mal ganz ehrlich, dein Stil ist wirklich toll. Bei mir und auch bei vielen anderen kommt es mir immer so vor als sei der Text an einigen Stellen etwas holprig. Bei dir merke ich davon nichts. Deine FF sind immer gut und flüssig zu lesen.
An diesem Teil gefiel mir wirklich gut wie du beschrieben hast wie Princess die Schule erkundet. Wie ungewohnt und gleichzeitig um so viel besser ihr alles vorkommt. Und das die Freiheit und Ungezwungenheit, die dort herrscht und für alle Normalität zu sein scheint, für sie etwas völlig neues ist.
Dann werde ich mich gleich mal an den nächsten Teil machen.
Bye Jenny
Von:  Miaka
2003-04-24T17:04:16+00:00 24.04.2003 19:04
Ich habe sofort die beiden letzten Kapitel gelesen, als ich gesehen habe, dass sie up waren und ich weiß nicht, was ich sagen soll.. außer Wendys Worte zu benutzen: God ist ein Idiot -.-'''...
Ich bin jetzt richtig sauer auf ihn ^^° du schreibst so lebendig, dass man richtig in die Geschichte eintauchen kann! *mit Lob überhäuf*
Mehr weiß ich jetzt nicht zu sagen ^^; *nya*.. außer: die Geschichte hat mir durch und durch gefallen!
Mia
Von:  Miaka
2003-04-24T15:16:53+00:00 24.04.2003 17:16
Diese Fic ist auch sehr gut geschrieben und gefällt mir total gut... ich bin schon gespannt, wie es weiter geht! ^-^
Von: abgemeldet
2003-04-22T16:31:31+00:00 22.04.2003 18:31
Wieder mal sehr gelungen dieser Teil.
Die Beschreibungen der Eltern fand ich echt klasse. Besonders der Teil mit den extra angefertigten Schuhen ist gut.
Aber auch die Vorstellung wie Wendy (im Keinformat) Donivan immer wieder ermahnt, während dieser sich durch das Buch quält ist toll.
Auch die Endszene fand ich spitze. Das Männer weinenden Mädchen aber auch nicht widerstehen können.
Hoffentlich kommentiert auch noch mal jemand anders. Die Story ist nämlich wirklich gut.
Bye Jenny
Von: abgemeldet
2003-04-19T13:03:48+00:00 19.04.2003 15:03
Die Idee die Beziehung von God und Princess vor JT darzustellen, finde ich klasse. Die Beschreibungen der beiden Charaktere sind wirklich gut. Besonders diese herrlich naive Princess gefällt mir. Das sie nach diesem Buch lebt. Das Anne ihr "Vorbild" ist.
Auch das God und Princess sich eigentlich gar nicht richtig kennen. Sie scheinen sich ja kaum einig zu sein über ihre Zukunft. Von Liebe sollte man erst gar nicht sprechen.
Mach weiter so.
Jenny


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