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Danse Macabre -Totentanz-

von

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Mayerling

Langsam richtete sich der Tod wieder auf, zog ein weißes Taschentuch aus der Brusttasche seines nachtblauen Anzuges und wischte sich das Blut von den Lippen. Mit einer behutsamen Handbewegung strich er seinem Opfer einige Haarsträhnen aus dem Gesicht.

„So ein junges Ding. Mit so viel Liebe und Hoffnung im Herzen. Fast schon eine Schande“, sagte er, während seine Mundwinkel ein Lächeln formten, das allerdings frei von jeglichem Mitleid war.

„Du bist wirklich grausam geworden, werter Prinz.“

Doch Rudolf konnte nicht auf die Neckereien des Todes reagieren. Blass stand er am hölzernen Bett des Jagdschlosses Mayerling, wankte ein klein wenig hin und her und in seiner Kehle baute sich ein kränkliches Husten auf. Soeben hatte er seine Geliebte Mary Vetsera erschossen und damit ein gerade einmal 18 jähriges Mädchen in die Obhut des alten Freundes übergeben. In dem Augenblick, als er den Abzug gedrückt hatte, war der Tod erschienen und hatte ihr einen federleichten Kuss auf die Lippen und eine wunderschöne rote Rose in die gefalteten Hände gelegt. Warum der Tod ausgerechnet Mary ein Geschenk mitgebracht hatte, wusste Rudolf nicht. Aber Rudolf wusste gar nichts und gerade jetzt wollte er auch gar nichts wissen.

Er war nicht mal in der Lage um dieses bedauernswerte Wesen zu weinen. Mary hatte alles für ihn getan und ihm schlussendlich sogar ihr wertvollstes Gut geschenkt: Ihr Leben. Damit er nicht alleine sterben musste. Damit sie bis zuletzt bei ihm sein konnte. Und Rudolf? Er war sich nicht sicher, ob er sie geliebt hatte. Mizzi hatte er auch gefragt, ob sie diesen Weg in den Abgrund mit ihm gehen wollen würde, doch sie hatte mehr als lautstark abgelehnt. Mary hingehen war sofort überzeugt ihn zu begleiten. Die liebe, unschuldige Mary.

Die Realität brach wie ein Wasserfall auf den Prinzen herein und der Knoten in seiner Brust schien sich zu lockern, als er die Pistole in seiner zittrigen Hand entdeckte.

„Du wirst nicht lange warten müssen, Mary...“, murmelte er und hob die Waffe einige Zentimeter an, wurde dann aber durch den kalten Griff des Todes aufgehalten.

„Ah ah ah“, sagte sein Gegenüber ruhig und mit dem wohlbekannten Lächeln im Gesicht. „Ich denke, es besteht noch etwas Gesprächsbedarf zwischen uns. Oder was denkst du?“

„Loschek und die anderen werden bald hier...“, wollte Rudolf einwenden, doch sein Mund wurde sogleich von der filigranen, wenn auch kräftigen Hand des Todes verschlossen. Durch den plötzlichen Ruck fand sich der Kronprinz an die Wand des Schlafzimmers gepresst wieder und zwei bedrohliche, pechschwarze Augen funkelten ihn eindringlich an.

„Die Zeit des Beobachters neigt sich dem Ende zu. Das hier, ist meine Aufgabe“, flüsterte der Tod in Rudolfs Ohr und erinnerte diesen an ihre Begegnung im Schlossgarten von Miramare. „Über diesen Tanz bestimme ich. Ich gebe den Takt, den Rhythmus und die Dauer vor. Niemand unterbricht den Totentanz, wenn ich es nicht will, mein kleiner Prinz. So einfach sind meine Regeln.“

Mit einem Mal verdunkelte sich das Zimmer in Mayerling. Die hellen Vorhänge färbten sich in ein verwaschenes Grau, die wenigen Vögel des Winters schwiegen und nicht mal das leuchtende Weiß des Schnees erreichte die verzierten Wände. Lediglich Marys Blut, welches sich langsam auf den bestickten Bettlaken verteilte, schnitt mit seinem brutalen Rot ins Fleisch der Farblosigkeit dieses Augenblicks.

Rudolf, dessen Mund noch immer versiegelt war, lies die Pistole fallen und wunderte sich, dass der Aufprall nicht zu hören war.

„Siehst du? Sogar die Zeit unterliegt meinem Willen. Niemand wird kommen. Niemand wird etwas hören“, lachte der blonde Mann mit Verzückung in der tiefen Stimme.

Endlich füllten sich Rudolfs Augen mit Tränen, welche ihren Weg in die Freiheit der kalten Januarluft fanden und schwer und salzig an den Fingerknöcheln des Todes entlangliefen. Da lies der Tod den Prinzen los und trat einige Schritte zurück, holte erneut das Taschentuch hervor und wischte sich die warme Nässe von der Hand. Sein Gesicht war ausdruckslos geworden, wie immer, wenn ihn etwas anwiderte. Rudolf schnaufte und hustete kurz, fuhr sich dann schnell über die Augen.

„Es lohnt nicht, deine Schwäche zu verbergen, Rudolf. Immerhin bist du drauf und dran den größtmöglichen Akt von Schwäche zu begehen. Neben Mord, versteht sich.“

Der Blick des Todes wanderte kurz zu Marys leblosem Körper und der klaffenden Wunde in ihrem Kopf.

„Ich weiß...“, antwortete Rudolf mit kratzigem Atem, „Aber ich hatte mir geschworen nicht vor dir zu weinen.“

„Oho? Warum das?“, erwiderte der Tod amüsiert, schritt durch die Kammer und setzte sich auf den Fenstersims, die Beine anmutig übereinander geschlagen. Unterdessen richtete Rudolf sich schwerfällig wieder auf.

„Weil du der Tod bist. Und ich habe aufgehört, dir zu vertrauen.“

Die Gestalt lachte. Ein lautes, hohes Lachen dessen Boshaftigkeit das Zimmer flutete und mit einer Atmosphäre überströmte, die jeden Sterblichen in den Wahnsinn treiben würde. Die ganze Welt schien diesem Lachen ein Echo zu bieten und Rudolf war sich sicher, Krähen hätten sich ebenfalls zu diesem grausamen Chor dazugesellt. Doch genauso schnell, wie er begonnen hatte, verstummte der Tod wieder. Seine Mimik war ernst wie nie.

„Ich habe dir vieles durchgehen lassen, kleiner Traumtänzerprinz. Aber du scheinst zu vergessen, wem du hier gegenüber stehst. Wer dich in der Hand hat“, sprach er ruhig, ohne Emotion in der Stimme.

Rudolf zuckte kurz zusammen. Er konnte nicht anders, als einen guten halben Meter zurückzuweichen.

„Glaubst du wirklich, ich weiß nicht, wer in deinen Gedanken wohnt? Bist du so naiv, dass du annimmst, ich würde nicht wissen, wenn du lügst? Gerade ich?“, setzte der Tod nach, verschränkte die Arme vor der Brust und sah abfällig auf Rudolf hinab, „Dummer Junge.“

„Es reicht!“, schrie Rudolf, schnappte sich flink die Pistole vom Boden und hielt sie sich unter das Kinn. „Schluss damit!“

Und damit betätigte er den Abzug.
 

Oh, wie er diesen Blick liebte. Diesen Anblick liebte.

Diese Entschlossenheit in den Augen, welche ihn an seine geliebte Elisabeth erinnerte. Allein wegen dieser Entschlossenheit würde es ihm eine Freude sein, das Spiel mit dem Kronprinzen endlich zu beenden. Ihn mit sich zu ziehen, geradewegs in die Dunkelheit hinab, vor der sich Rudolf als Kind so sehr gefürchtet hatte. Aber noch war es nicht soweit.

„Die Ohren geben keine Ruh' Und doch hört mir der Prinz nicht zu. Die Zeit in diesem Augenblick,

ist gänzlich mein, was für ein Glück“, reimte der Tod spielerisch, während er auf Rudolf zu tänzelte. „Allerdurchlauchtigster, Ihr erlaubt?“

Er nahm ihm den Revolver aus der kraftlosen Hand, hielt ihn sich selbst an die Schläfe und drückte einige Male ab.

„Klick klick klick, fast wie ein Uhrwerk, nicht wahr? Unglücklicherweise besitze ich den Schlüssel zum Aufziehen“, säuselte er und packte Rudolf hart am Kinn.

„Ich weiß...“, murmelte der Prinz atemlos, schob die Hand des Todes langsam beiseite, als wäre sie ein zerbrechliches Stück Porzellan, „Wie lange willst du mich noch warten lassen, alter Freund?“

Rudolfs Gegenüber hob eine Augenbraue und begutachtete interessiert die Pistole.

„So lange ich es für nötig halte“, war seine knappe Antwort, „Alles an dir schreit nach mir und das ist wie Gesang für meine Ohren. Wenn du bereit bist zu tanzen, lasse ich es dich wissen. Keine Angst.“

„Ich habe keine Angst mehr“, sagte Rudolf und schaute zu seiner Mary, die wie eine Puppe auf dem blutverschmierten Kissen lag. Friedlich, nur das Loch in ihrem Kopf wies darauf hin, dass sie nicht bloß schlief. Dann glitt sein Blick wieder zu der dunklen Silhouette vor ihm.

„Als ich sah, wie du Mary geküsst hast, verließ die Angst meinen Körper“, ergänzte er.

Der Tod grinste breit.

„Ich weiß“, sagte er in einem leichten Singsang, „Ich weiß alles über dich, Rudolf.“

Er lies von der Pistole ab und trat an den Prinzen heran, bis sie nur noch ein paar Zentimeter voneinander trennten. Diese Augen. Diese kindlichen Augen, welche voller Neugier für die Welt gewesen waren. Selbst jetzt, kurz vor dem entscheidenden Moment, glimmte ein Funke Lebendigkeit in ihnen und der Tod konnte bereits den süßen Geschmack auf seiner Zunge spüren, welchen dieser letzte Rest Leben hinterlassen würde. Ein berauschendes Gefühl.
 

Es kam Rudolf wie eine Ewigkeit vor, in welcher der Blick des Todes den Seinen gefangen hielt. Unzählige Fragen schwirrten dem jungen Mann durch den Verstand. 'Warum lässt du mich so lange warten? Warum spielst du mit mir? Wo warst du, als ich dich gebraucht habe? Hast du unseren Tanz in Schönbrunn bereits vergessen? Was sollte diese schmerzhafte Maskerade? Bereitet es dir Freude, mich Leiden zu sehen? Denkst du denn genauso viel an mich, wie ich an dich denke?'

Von all diesen Worten, schaffte es allerdings nur ein einziger Satz, den Weg in die Freiheit zu finden.

„Tue ich das Richtige?“, fragte er leise und lies den Kopf hängen.

Der Tod summte einen zustimmenden Ton, bevor er antwortete:

„Deine Entscheidung wurde schon vor langer Zeit gefällt, lieber Prinz. Unnötig sich jetzt noch Fragen zu stellen, oder auf die Zukunft zu hoffen. Ein Mensch wie du hat in dieser Welt keine Zukunft mehr.“

„Du hast Recht, mein Freund“, fügte Rudolf hinzu. „Ich habe gekämpft und es versucht aber...bin meiner Zukunft so müde.“

Von irgendwoher hörte der Kronprinz einen Takt näherkommen. Zunächst glaubte er, es wären Schritte und die Zeit würde weiterfließen, doch als eine Violine energisch zu spielen begann, begann er zu verstehen.

„Ich kenne dieses Stück“, sagte Rudolf ruhig. „Allerdings wird es nur äußerst selten in Wien gespielt.“

Amüsiert schmunzelte der Tod und ergriff der Hand Rudolfs.

„Wohl weil es ein französisches Stück ist? Ich habe es mit Bedacht ausgewählt. Sagen wir, ich finde mich in den Tönen wieder“, scherzte er vergnügt. Seine andere Hand legte sich auf den Rücken des Prinzen und langsam setzten sie sich in Bewegung.

Rudolf schloss die Augen, überließ seinem Gefährten jegliche Führung und versuchte alles um sich herum zu vergessen. Herrlich leicht glitten seine Füße über den Boden; immer und immer wieder drehten sie sich, obwohl der Raum dafür viel zu klein schien. Nie hatte sich Rudolf geborgener gefühlt. Nicht bei Mizzi, nicht bei Mary und nicht einmal bei dem Mädchen aus Prag, das er eins so sehr geliebt hatte. Vergessen war der Kampf gegen die Ungerechtigkeit, die Pflichten, die Krankheit. Sein Vater, von dem er sich Vertrauen gewünscht hatte, war nun nichts weiter als ein Schreckgespenst aus alten Tagen. Die Mutter verwandelte sich in seiner Vorstellung in einen schemenhaften, weißen Nebel. Kalt und unfähig jemals liebevoll zu sein, geschweige denn selbst Zärtlichkeit entgegen zu nehmen.

Der Tanz des Todes hingegen trug ihn kraftvoll und schwerelos durch die Takte der Musik, sodass sich Rudolf vor nichts und niemandem mehr fürchten musste. Irgendwann konnte er nicht anders, als sich in eine stürmische Umarmung zu ziehen. Auch wenn der Tod kalt war, wie der Blick seiner Mutter, so hatte Rudolf nie eine schönere Berührung genossen. Wie sehr er sich diesen Moment herbei gesehnt hatte und er würde jeden Wimpernschlag davon auskosten.

Er war sich nicht sicher, wann die rauschende Bewegung ihr Ende gefunden hatte, doch als er die Augen wieder aufschlug, fand er sich in den Armen des alten Freundes wieder, welcher ernst auf ihn nieder blickte. Neben seinem Kopf hielt er den Revolver. Ohne Zögern ergriff der Prinz die Waffe und führte sie an seine Schläfe, die Hand des Todes ruhte auf seiner eigenen.

Es war soweit.

„Oh, welch schöne Nacht für die arme Welt!“, raunte der Tod.

„Lang lebe der Tod und die Ebenbürtigkeit!“, ergänzte Kronprinz Rudolf und spürte, wie eine Welle mit voller Wucht ein letztes Mal gegen die brüchigen Felsen seiner Existenz schlug und sie mit sich zog.

Alles in diesem lang ersehnten Kuss...und dem leisen Klicken des Abzuges.
 

Leblos sank der Körper des Erzherzogs neben der Baroness auf das Bett und tränkte die Decke augenblicklich in tiefes rot. Der Schuss hallte noch durch das Schloss und der Tod sah keinen Sinn mehr, die Zeit noch länger an ihrem natürlichen Fluss zu hindern.

Er hatte bekommen, was er wollte: Das Leben des Sohnes seiner geliebten Elisabeth.

Erneut zog er das Tuch aus seiner Tasche und tupfte sich damit das Blut aus dem Gesicht. Die Mühe seinen Anzug von der warmen Flüssigkeit zu befreien, machte er sich nicht. Dazu war die Menge an Flecken zu groß.

„Naiver Bengel“, murmelte er und schaute abfällig auf Rudolfs Leiche hinab. „Ich habe schon viele Träumer wie dich geholt. Einer unglücklicher als der Andere.“

Ein böses Lachen entwich seiner Kehle.

„Ob du wohl geahnt hast, dass ich dich nur benutzt habe? Die ganze Zeit? Nun, du warst ein schlauer Bursche, ich bin sicher, du hast es gewusst. Dass ich dich nur wollte, damit deine Mutter zu mir kommt. Damit meine Elisabeth sich endlich zu mir bekennt“, sprach der Tod, den Blick aus dem Fenster gerichtet. Draußen leuchtete der Schnee in stillem weiß; unschuldig, wie die Augen eines Kindes.

Auf dem Flur näherten sich Schritte.

„Jetzt beginnt der interessante Teil der Geschichte“, sagte er grinsend und musterte den kleinen Schnitt an seinem Finger. Ein Erinnerungsstück an eine besondere Nacht. „Ich bin gespannt, was Elisabeth zu deiner Entscheidung sagen wird. Sicher wird es ihr Herz brechen, haha.“

Genüsslich leckte er sich restliches Blut von der Oberlippe.

„Lang lebe der Tod und die Ebenbürtigkeit...“


Nachwort zu diesem Kapitel:
Kurzes Nachwort:

Damit wäre dieses Stück Fanfiction nach Jahren endlich beendet.
Es hat großes Spaß gemacht für dieses Werk zu recherchieren und sich in die Charaktere einzudenken, auch wenn es zwischenzeitlich drohte auf die Psyche zu gehen. So interessant Rudolf zu schreiben ist...so schwer war es manchmal zwischen Charakter und Moderne zu differenzieren.
Auch war es ab und an schwierig den richtigen Grad zwischen der Fiktion des Musicals und der Realität zu finden. Ich hoffe aber, das ist mir gelungen :)

Das Zitat am Ende sowie die Worte die Rudolf kurz vor dem Schuss spricht gehören zu den Lyrics des titelgebenen Musikstückes:
Danse Macabre von Camille Saint-Saëns
Es tolles, kraftvolles Stück, welches mich beim Schreiben oft inspiriert hat :)

Ich bedanke mich für's Lesen!

Hochachtungsvoll
Hielo~ Komplett anzeigen

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