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The Darkness Inside Me

von

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Un'ultima mattina?


 

Ein letzter Morgen?

10. März 2013
 

Namis prüfender Blick bescherte ihr ein unangenehmes Prickeln auf der Haut.

Zum Teil durfte er dem Chaos gelten. Ihre sonst penible Ordnung litt stark unter den Ereignissen. Den Emotionen. Der Arbeit. Natürlich auch dem Umzug.

Was blieb und was mitkam, war genau geregelt. Und obwohl sich am Schreibtisch bloß noch das Aktuelle befand, stapelten sich ein Dutzend Bücher, ein paar Ordner und etliche lose Papiere.

Robin wäre nicht Robin, wenn sie nicht wüsste, wo sie was fand, und so kramte sie auf ihrem selbst geschaffenen kleinen Schlachtfeld.

Zeit schinden könnte man meinen, bevor sie das unausweichliche Ende besiegelte. Alles andere wären falsche Hoffnungen. Zu viel war zusammengekommen, um an eine Wendung zu glauben.

So offensichtlich es auch war, wartete Nami geduldiger als sonst auf eine Antwort. Oder wollte sie es einfach nicht hören, die letzte Bestätigung?

Gefühle hin oder her, die gemeinsame Nacht blieb ein Ausrutscher. Einer, von dem man öfter hörte. Eine Nacht rettete keine Beziehung. Schon gar nicht auf ihrer Basis. Dabei blieb verständlich, dass ein Funke auflebte, der ein Kippen erwartete, ein Geradebiegen. Sie beide, und dessen war sich Robin klar, hatten sich für ein paar Stunden eine Fortsetzung ausgemalt. Ob diese von Dauer war oder ihnen einfach nur ein bisschen mehr Zeit schenkte. Irgendetwas ohne ein sofortiges Ende.

Gefühle lebte nach ihren eigenen Regeln, das hatte Robin schmerzlich festgestellt. Rationales Denken war deplatziert und sie akzeptierte den Umstand sogar. Bloß führten sie keine Veränderung herbei.

„Du weißt, was kommt“, murmelten sie irgendwann.

„Hier trennt sich unser Weg“, sprach Nami schlussendlich das Offensichtliche mit einem tiefen Seufzen aus. Ein Blick zur Seite ließ Robins Herz schwer werden. Ein wehmütiges Lächeln und wieder standen sie schweigend beieinander. Eine nie dagewesene Schwere wurde spürbar, füllte erdrückend den gesamten Raum aus.

Verräterisch knarzte das alte Parkett. Nackte Füße tapsten laut auf sie zu. Ohne sich von dem Bildschirm abzuwenden, schmunzelte Robin. Pure Absicht. Nami hatte den Dreh herausgefunden, konnte sich durchaus lautlos fortbewegen, wenn sie wollte.

Dann ein provokantes Räuspern. „Muss ich dich an unsere Abmachung erinnern?“, tadelte ihre Freundin, als Robin keine Reaktion zeigte.

„Hast du einen Blick auf die Uhr geworfen?“

„Wir haben keine Uhrzeit festgelegt“, lachte Nami, die mittlerweile hinter ihr stand. Sie schlang die Arme um Robins Schultern, drückte ihr einen Kuss auf die Wange, ehe sie auf den Bildschirm starrte. „Das Schöne an den Toten ist, dass sie Geduld haben. Sie laufen dir nicht davon. Ich schon“, witzelte sie.

„Tust du?“, fragte Robin ungerührt, mit gehobener Braue. Erst jetzt schielte sie zur Seite. „Wie ich das sehe, läufst du mir nach.“ Jedes Spielchen konnte gedreht werden.

„Wer läuft wem nach? Komm, frühstücke lieber mit mir. Wenn du mich am Valentinstag schon allein lässt.“

Es war eben kein normaler Morgen. Der letzte fühlte sich an, als läge eine Ewigkeit dazwischen. Sie beide hielten einen angemessenen Abstand zueinander. Liebevolle Gesten und Berührungen, sogar Worte waren deplatziert. Dass wussten sie. Und später würde es kein ausgelassenes Frühstück geben, keine Chance auf Zweisamkeit oder das Schmieden von Plänen für den restlichen Tag.

Nichts davon würde geschehen.

Dieses Mal würde Nami endgültig gehen.

Eben kein normaler Morgen. Nur Abstand und Ernüchterung.

Das hier war alles, das Robin sich wünschte. Eine Lektion, die Robin endgültig verinnerlichte – Wünsche blieben Wünsche.

Es war unfair.

„Tust du mir einen Gefallen?“, fragte Nami leise, hielt die Tasse fester. Robin horchte auf. „Das Abschließen fällt mir schwer … ich muss verstehen oder wenigstens alles hören. Keine Ausflüchte, keine Lügen. Einfach die Wahrheit. Mag sie noch so grausam sein.“

Schluckend richtete sich Robin auf. In ihrer Stimme lag kein Fordern, vielmehr hörte Robin eine Resignation und ein Stückchen Nervosität. Oder doch der Hauch von Angst?

„Wir haben nie darüber geredet. Okay, ich habe dir keine Möglichkeit gegeben. Irgendwie wollte ich nichts hören, aber was bringt mir das? Ich kann mir manches ausmalen, aber entsprechen meine Gedanken deiner Sicht der Dinge? Nein. Erzähl mir deine Geschichte. Erzähl mir was genau in den letzten Tagen und Wochen passiert ist. Und ich möchte wissen, warum du den Entschluss so plötzlich gefasst hast.“ Auf Robins fragenden Blick hin, zuckten Namis Schultern. „Mein kleiner Überfall mag dich für einen Moment ins Wanken gebracht haben, aber ändert er nichts an den Umständen. Du ziehst dein Vorhaben so oder so durch und den Punkt möchte ich verstehen.“

„Hast du unser letztes Gespräch vergessen?“ Augenrollend trank Nami ihren Kaffee aus. Wenigstens eine Kleinigkeit, die sich nicht änderte. Gegenfragen ärgerten Nami meist.

„Du legst gerade einen schnellen Wandel hin.“ Fand sie? Robin neigte den Kopf. Ausgerechnet die Frau, die zuerst flüchten wollte, sprach über einen Wandel. Das Gespräch selbst hatte genug ausgesagt. Immerhin hatte Nami Tage Zeit gehabt, sich Gedanken über das herausgekommene Geheimnis zu machen. Ob sie damit leben konnte oder eben nicht. Seither war Stille zwischen ihnen gewesen. Sicher ihr Vorbeikommen sorgte für Zweifel an dem Gesagten. Wäre Hoffnung umsonst, wäre die vergangene Nacht nie zustande gekommen.

„Nami …“

„Willst du sagen, du bist über Nacht vernünftig geworden? Du hast endgültig eingesehen, wie sinnlos unser Wunsch ist?“ Unser. Da war wieder diese verfluchte leise Stimme. Es war eben keine einfache Liebelei. Lange hatte sich Robin gegen ihre Gefühle gewehrt, dabei hatte sie von Anfang an geahnt, worauf sie hinausliefen.

Von Anfang an.

Nie war Robin jemanden begegnet, der sie vom ersten Blick an faszinierte, selbst Wochen später. Dann die überraschende Begegnung auf dieser sonst so mühsamen Gala.

Nie hatte Robin deutlich darüber gesprochen, aber das war vielleicht das erste Mal, dass sie dankbar über das Einmischen eines Dritten war. Umso mehr schmerzte Vivis Vorwurf. Denn Nami war der einzige Mensch in all den Jahren für den sie alles über Bord geworfen hätte. Für den jeder Kampf wert war – zu spät.

Robin war zu spät, weil sie lieber genossen anstatt gehandelt hatte. Andererseits wäre nicht alles genauso gekommen? Oder vielleicht noch schlimmer? Manches ging eben nicht über Nacht. Schon gar nicht problemlos.

So seufzte sie. „Wenn ich mich richtig erinnere, bin ich die Vernünftigere.“ Ein kläglicher Versuch, um die Stimmung aufzulockern. Dementsprechend blieb Nami ernst.

„Irgendetwas ist faul an der Sache. Sei ehrlich, du hast Gründe. Rede mit mir, bitte.“

„Warum? Was bringen dir die genaueren Hintergründe?“, hinterfragte sie aufrichtig, ohne direkt ausweichen zu wollen. „Bisschen spät für Einzelheiten. Manches solltest du lieber deiner Fantasie überlassen.“

„Hast du daran gedacht, dass mir das Kopfzerbrechen bereitet? Während ich dich oft genug verteufelt habe, haben mich genauso Fragen beschäftigt. Ein Teil will verstehen.“

Leider konnten manche Informationen die Situation verschlimmern, dachte sich Robin. Je nachdem worüber sie sprachen. Entscheidungen traf Robin nie unbegründet, dementsprechend hielt sie genug hinterm Berg. Für sich, für ihre Freunde, aber auch Nami wegen. Und was schlummerte, war eben keine Kleinigkeit.

„Bist du dir sicher?“, hinterfragte sie nochmals mit Nachdruck.

„Warum der rasche Umzug?“ Anscheinend hatte sie die Fragerunde satt. Sie könnten das Spiel lange genug fortsetzen. Ganz wie ihnen beliebte.

„Hierfür habe ich mehrere Gründe.“ Ein unzufriedenes Brummen ließ Robin lächeln. Die letzten Neckereien durfte sie auskosten. Wobei es der Wahrheit entsprach. Es blieb eben nicht bei einem Grund. „Bevor wir reden, brauche ich einen Kaffee. Auch noch eine Tasse?“ Sie griff bereits nach ihrer als sie Namis Stimme hörte: „Robin! Hör mit deinen Spielchen auf!“ Doch spielte sie nicht. Wo begann sie? Das war ihr Problem. Daher warf sie wiederum einen Blick auf den Schreibtisch. Unbeirrt von Namis Ungeduld. „Erinnerst du dich an meine St. Petersburg Reise?“, warf sie ein und zog eine schwarze Mappe zwischen den größeren Ordnern heraus.

„Clovers Tod.“ Robin nickte.

„Er hat mir einen Brief hinterlassen, liegt oben auf.“ Damit drückte sie einer verwirrten Nami die Mappe in die Hände. Eine knappe Erklärung, aber würde Nami verstehen, wenn sie ihn las. Wenn sie schon darüber sprachen, dann begann Robin lieber mit der leichten Kost. Später würden die Themen rauer und für Nami weitaus realer, als über einen Mann zu hören, den sie nie kennengelernt hatte. Es war einfach unpersönlicher. Wenn sie überhaupt so weit kamen.
 

1. März 2013

Ein Durchbruch – das hatte Kalifa gesagt, kurz bevor sie sich spontan nach Zürich aufmachte und den wollte sie nicht am Telefon, zwischen Tür und Angel, besprechen. Seit sie jedoch hier, in dem von Robin gemieteten Apartment war, tat sie bloß eine Sache: Kochen. Vor der Ankunft war ein Zwischenstopp im Lebensmittelladen unausweichlich gewesen.

Etwas worüber sie Robin weniger den Kopf zerbrach. Für Kalifa war das unverständlich. Besonders Robins Entscheidung. Idealer wäre ein Hotelzimmer, aber Robin suchte Ruhe und lebte nach ihrem Zeitplan. Hatte sie Hunger machte sie eben irgendwo Halt.

„Du spannst mich heute unnötig auf die Folter. Sag lieber, warum du dich aufgemacht hast.“ Robin unterlegte die Worte mit einem frustrierten Seufzen. Manchmal war sie genauso ungeduldig wie andere, mit dem Unterschied nach außen ruhig zu bleiben.

Dieses Mal zeigte sie offen, was sie von Kalifas Besuch hielt. Kalifa schwieg über die erhaltenen Informationen, das tat sie selten. Noch seltener reiste nie extra nach. Im Normalfall gab sie Schlagwörter durch, mit denen Robin etwas anzufangen wusste oder in anderen Fällen, da behielt sie bis zur Rückkehr sämtliches Wissen unter Verschluss.

Umso mehr stärkten sich Robins Bedenken. Worum es auch immer ging, es war eine größere Sache.

„Stell dir vor, ich habe Hunger!“, erklärte sie mit einem mahnenden Schulterblick. „Sei lieber dankbar, so kümmere ich mich auch um dein Wohlergehen.“ Kopfschüttelnd wandte sie sich wieder ab. „Du wirst wieder nachlässiger, achtest deutlich weniger auf dich.“

Robin ließ den Kopf hängen, betrachtete dabei ihre Hände. Machte ihr Lebensstil erneut Rückschritte? Vielleicht. Genauso aber übertrieb Kalifa. Nicht immer kochte Robin für sich.

„Dir ist klar, dass ich auswärts esse?“ Eine Kleinigkeit fand sie bei Bedarf immer. Oder sie bestellte sich, nahm irgendwas Schnelles mit. Kein großes Ding.

„Ja, ja. Ist angekommen. Trotzdem bin ich hungrig.“ Kalifa tickte anders. Sie liebte das Kochen ob zuhause oder auf Reisen. Wobei auf gewissen Reisen eine Spur Paranoia mitschwang. Sie misstraute jedem Menschen, aber das war wohl das Berufsrisiko und sie beide brauchten lange, um miteinander warm zu werden.

„Multitasking. Kochen und reden ist machbar.“

„Soll schlecht sein.“

„Hör auf … sagst du mir bitte was los ist?“ Momentan lagen Robins Nerven durchaus blank. Ausgerechnet einer Trennung wegen. Das Gespräch hatte keine Linderung gebracht. Eher litt sie stärker darunter und damit umzugehen, war für jemanden wie Robin kein Kinderspiel. Ob sie sich die Gefühle nun anmerken ließ oder sie auf den ersten Blick hin unterdrückte. Zudem stand die Trennung nicht allein da, um sie herum drohte große Gefahr.

„Hast du den Kerl schon aufgesucht?“, fragte Kalifa neugierig. Der Chirurg. Er war ein Teil davon. Er hatte alles in der Hand, wenn er wollte. Keine Sekunde durfte sie auf sein Versprechen vertrauen. Im richtigen Moment, mit dem richtigen Anstoß … er würde Nami ignorieren. Diesen Punkt hatte sich in Robins Kopf verankert.

„Habe ich mir für die nächsten Tage vorgenommen.“

„Ah, natürlich. Dein Rotschopf hat Vorrang“, kicherte Kalifa amüsiert. „Dein Hinterherlaufen funktioniert, wie ich sehe – Entschuldige, bin ich grob?“

Niemand sagte, dass die Wahrheit Balsam war. Geredet hatten sie miteinander, aber kamen sie auf keinen Nenner. Keinen, den Robin erhoffte. Vielmehr musste sie lernen, ihn nie zu finden. Allmählich realisierte sie das Ganze. Während der Stille hatte sie noch auf eine Chance gehofft. Eine Besserung. Einfach ein paar Worte, die auf eine Zukunft deuteten. Mag es ein Kampf werden und Zeit kosten. Das Ende hinterließ stattdessen eine erdrückende Ernüchterung. Ein paar Tage darüber nachdenken, änderten eben keine Grundeinstellung.

„Erzwingen wäre ein Fehler.“

„Zwingen oder warten. Wir wissen, was dir die Kleine wert ist und auf welchen Ausgang du spekulierst“, begann Kalifa ungewohnt mitfühlend. „Leider sagt mir mein Gefühl, dass du deine Einstellung bald änderst. Ich ärgere dich nicht, ich möchte dir nur noch die letzte Hoffnung nehmen.“ Was? Robin sah mit schnellem Herzklopfen auf. Welche Neuigkeit brachte sie zum Aufgeben? „Lass uns essen.“

Kalifa blieb sich treu. Sie aßen ohne nähere Erklärung, sprachen über Belangloses, wenn überhaupt. Obwohl ihr der Hunger endgültig vergangen war, ließ sie keinen Bissen zurück. Vielleicht vermied sie so eine weitere, unnütze Diskussion.

Erst als ihr Hunger gestillt war, veränderte Kalifa ihr Gemüt.

„Gräbt man tief genug, wird man fündig.“ Korrekt. Das hatte Robin oftmals am eigenen Leib erfahren. Besonders während der letzten Monate. Viel war ans Tageslicht gekommen.

„Erinnere dich kurz daran, was ich dir über den Arzt erzählt habe.“ Gesagtes vergaß Robin nie. Natürlich hatte sie sofort alles im Kopf, wobei Kalifa ein paar Eckpunkte aussprach. „Schnell war die Verbindung zu Donquixote und den Charlottes hergestellt. Genug Hinweise auf Querverbindungen, die für sich allein genügend Material bieten. Nebenbei habe ich über deine Freundin recherchiert. Über sie wolltest du weniger wissen, ich mach dir keinen Vorwurf. Die Gefahr, die von dem Kerl ausging, besonders im Zusammenhang mit Lucci hat in dem Moment Vorrang gehabt. Mich hingegen … mich hat alles angespornt.“

Nach und nach war ihre Welt klein geworden. Irgendwann fand sich schnell die nächste Verbindung. Alles in einem überschaubaren Kreis. Wenig Menschen involviert, aber die Ausmaße waren beängstigend.

„Ihre Schulakte oder Trafalgars Bekannte?“

„Beide“, gestand sie unverblümt. „Damals natürlich rein oberflächlich. Bis vor einer Weile … da habe ich ihr komplettes Leben und Umfeld einer genaueren Prüfung unterzogen.“ Robins Herz machte einen Satz. Eine böse Vorahnung schlich sich ein. In welche Richtung entwickelte sich das Gespräch? „Alles nach der Reihe. Wie du weißt, habe ich Luccis Häuser durchforstet und bin fündig geworden. Hab mir ein paar Nächte um die Ohren geschlagen – seine Unterlagen sind sehr aufschlussreich. Darunter lässt sich finden, womit er den Schönling um die Finger wickelte.“

„Er will Informationen betreffend der Ermordung seiner Familie“, unterbrach Robin ungeduldig. Nichts davon war ihr neu.

„Lass mich ausreden“, tadelte die andere. „Eigentlich wäre die Kooperation längst beendet. Es scheint, als hätte Lucci das fehlende Stück bewusst zurückgehalten. Anders kann ich mir seine Zurückhaltung nicht erklären. Wir wissen, dass er den Mörder sucht. Er weiß, dass die Donquixote-Familie involviert ist, aber wer genau die Verantwortung trug? Nein.“

„Warum? Aus Angst? Weil er glaubte, dass die Zusammenarbeit bröckelt, sobald Trafalgar hat, was er möchte? Er ist nicht dumm. Wehrt er sich, lässt ihn jemand wie Lucci schnell verschwinden. Aus so einem Pakt kommst du nur raus, wenn der eine stirbt. Eigentlich muss er uns dankbar sein.“ Sicher, seine Quelle war versiegt, aber er kam heil heraus. Die Chance auf mehr blieb offen. Besser als nichts. Außerdem wusste niemand, ob er sich dagegen entschieden hätte. Luccis Bezahlung war, was sie bereits mitbekommen hatte, recht gut und er bot ihm Zugriff auf wertvolle Schätze. „Lucci wollte immer die Oberhand behalten. Er gab ungern alles preis.“ Nachdenklich stützte Robin den Kopf ab. Irgendwie ging die schräge Geschäftsbeziehung sogar tiefer. Das dachte sie sich seit dem Barbesuch. Lucci wirkte, als ob er ihn mochte, sofern das für den Kerl überhaupt möglich war. Eine Freundschaft war gar nicht abwegig. Eine merkwürdige, auf eine vollkommen falsche Basis hin, aber möglich.

„Werden wir nie wissen. Ist auch irrelevant. Wichtiger ist, was er wusste. Wer die Verantwortung trug und dieser jemand steht ihm sehr nahe. Wenn er auf Rache aus ist, würde er nicht stillhalten.“

„Corazon?“, fragte Robin lächelnd. Würde eine nette Wendung geben. Bis heute dürfte Trafalgar nichts von seiner Vergangenheit wissen, sonst müsste es einen gröberen Bruch geben. Oder kannte er die Wahrheit und akzeptierte den Umstand, dass er sich angeblich von der Familie losgelöst hatte? Zu viele Fragen und Möglichkeiten, die Robin eigentlich gar nicht interessierten. Wäre der Kerl Nami nicht nahe, würde sie ihm gar keine Bedeutung schenken. „Was?“ Ein schwaches Magenziehen. Kalifa lachte nicht, sie blieb vollkommen ernst.

Kein gutes Zeichen.

„Dank Lucci habe ich das Puzzle gelöst, Robin. Ich habe auf alles eine Antwort und unsere Welt ist verdammt klein geworden. Unser aller Leben sind sehr eng verflochten.“

Wieder.

Wieder war kein Spaß daran. Ihre Stimme klang kühl und kalkulierend. Der Hebel war umgelegt und Robin wusste nicht, ob sie irgendeine Antwort hören wollte.

Es war der Moment, in dem Robin verstand, warum Kalifa nachgereist war.

Es war der Moment, der ihre gesamten Hoffnungen zerstörte.

„Vergo. Er ist das fehlende Stück. Für Trafalgar und … dich.“
 

10. März 2013

Mit einer frischen Tasse Kaffee sah Robin wartend aus dem Fenster. Binnen ein paar Wochen war ihr bisheriges Leben aus dem Ruder gelaufen. Schlimmer als je erwartet.

Früher hatte sie den Nebel vorgezogen. Manchmal, weil sie vergessen wollte und dann wiederum, weil sie nicht vorankam und somit eine Ausrede fand.

Heute?

Der gedachte Scherbenhaufen setzte sich selbstständig zusammen. Leider auf eine makabre Art und Weise.

Sorgfältig hatte Nami den Brief gelesen. Seit sie fertig war, zog sie Schweigen vor, während ihr Blick dann und wann zu Robin schwang. Sie spürte ihn. Als wartete sie auf eine Erklärung. Für sie musste das Geschriebene noch kryptischer klingen.

„Mittlerweile kenne ich die Hintergründe. Die Strippenzieher“, flüsterte Robin.

„Ziehst du in einen Rachefeldzug?“ Ihrem Ton zufolge war Nami ganz und gar nicht begeistert. Ein Blick zurück bestätigte den Gedanken. Die Mappe landete wieder am Tisch.

„Wenn dem so wäre?“

Ein missbilligender Seufze folgte. „Bringt sie dir deine Eltern zurück? Wie genau ändert deine Rache ihren Tod? Oder wird dein Leid gelindert? Denkst du so? Robin, Tote bleiben tot.“ Da verkniff sie sich ein Lachen. Dessen war sich Robin sehr bewusst. Sonst wäre manche ihrer Arbeiten recht langweilig. „Du findest keine Erlösung oder hat dir Luccis Tod welche gegeben? Sieh dir uns an. Welche Erfüllung hat dir sein Tod denn gebracht? Jede Entscheidung hat Konsequenzen.“ Grimmig sah Nami auf. „Kaku ist tot. Lucci ist tot. Sanjis Brüder sind tot. Und wir stehen am Ende. Hast du irgendwo etwas Positives mitgenommen?“

Die Wahrheit tat weh, deshalb scheuten sich Menschen oft vor ihr. Robin wich ihr nicht aus. Als ob sie selbst nie darüber nachgedacht hatte? Ein Leid folgte dem nächsten. Wobei die Frage blieb, wie es sich sonst entwickelt hätte. Wie wäre es sonst ans Licht gekommen? Vermutlich hätte eine andere Herangehensweise, einfach einen neuen Weg gefunden. Dass die Lüge ewig halten würde, hatte Robin nie geglaubt.

„Deiner Meinung nach sollen die Schuldigen ungestraft bleiben? Ohne Konsequenzen weiterleben und morden?“

Schwungvoll stand Nami auf, warf die Hände in die Luft. „Ganz ohne sage ich gar nicht, aber was unterscheidet euch?“, fragte sie provokant. „Sicher, wir wissen nie, was gekommen wäre. Vielleicht hätte sich dein Leben anders entwickelt, du wärst auf andere Weise in diese Lage gekommen oder im besten Falle gar nicht. Wer weiß? Fakt ist, dass du dich in dem einen verdammten Punkt von solchen Leuten überhaupt nicht unterscheidest. Du tötest Menschen. Du tötest sie für Geld und was auch immer. Dabei stehst du auf keiner Seite. Warum du das tun musst, ist dir am Ende egal. Du tust, was man dir aufträgt. Wenn sie genauso agieren? Auftrag annehmen. Ihn ausführen. Nach Hause gehen. Arbeit ist Arbeit, oder?“ Nami war wütend und redete sich in Rage.

Indes atmete Robin durch.

Mehrmals.

Tief ein und wieder aus.

Ruhig bleiben.

Nami traf den Kern, über den sich Robin oft den Kopf zerbrach. Auch ihre Freunde. Wurde es dann persönlich, suchte man eben nach Ausreden. Dabei waren ähnliche Gedanken aufgekommen, die Nami nun aussprach und von ihr hörte es sich anders an. Realer. Schmerzhafter, sodass es Robin für einen Augenblick die Kehle zuschnürte. Sie hatte kein Recht auf Rache. Dafür die Mittel und Wege, die anderen verwehrt blieben.

Hier existierte kein Gut und Böse. Keine Unterscheidung zwischen einem guten und einem bösen Mörder. Schon gar nicht in der Ausführung. Der eine zog das andere eben vor. Darüber war sich Robin im Klaren. Warum verletzten sie dann Namis Worte?

„Robin?“ Nami stand neben ihr und kurz trafen sich ihre Blicke. „Was du tust, ist deine Entscheidung. Ich halte dich nicht auf. Eher stellt sich mir die Frage, wo all das enden soll. Wie weit willst du noch in dieses Unheil geraten, statt endlich auszubrechen? Aus Rache entsteht nichts Gutes. Es sei denn du willst endgültig das Monster werden, dass du deinen Worte nach nicht bist.“

Verzweifelt gluckste Robin. Wer hätte je gedacht, dass sie mit Nami so darüber reden würde?

Lange schon hörte sie eine leise Stimme, die dasselbe sprach. Pausenlos. Sie war aus gutem Grund leise. Robin brachte sie zum Schweigen. Nur so führte sie die Arbeit aus. Nur so überlebte sie. Was danach geschah, war ein anderer Kampf. Nach der Tat kam die Stimme wieder, weitaus lauter. Dann, wenn nichts rückgängig gemacht werden konnte, wenn alles längst zu spät war. Sie blieb für eine Weile, bis Robin sie irgendwie zurückschickte.

Und Nami hatte ihre Lage zunehmend erschwert. Sobald sie in ihr Leben getreten war, waren die Abstände kürzer geworden. Das Aufbäumen lauter.

„Noch habe ich keine Entscheidung getroffen. Keine wirkliche. Eher will ich mich auf ihre Forschungen konzentrieren. Ihr Werk beenden.“ Dank Clover hatte Robin sämtliche Nachforschungen gefunden und die allein brachten Gefahren mit sich. Im Nachhinein fanden sie genug Gründe, warum ihre Tötung entschieden worden war. Grub sie tiefer und wurde entdeckt, was dann? Vielleicht wollten diese Leute für sie dasselbe Schicksal? Waren jene am Werk, würde der eigentliche Rachegedanke schneller Bedeutung finden, als es Robin lieb war. „Lucci ist eine eigene Angelegenheit. Ich habe dir unser Handeln nie erklärt.“

Halt suchend stützte sich Robin an der Fensterbank ab. Das Chaos war zu schnell gekommen. Dann der erste Schock. Natürlich änderten Worte nichts an seinem Tod. Sie hoffte lediglich darauf, dass Nami begriff, warum das Ganze aus dem Ruder gelaufen war.

„Kaku war euer Partner, euer Freund.“

„Kaku war Familie“, korrigierte Robin. „Wir wollten unsere Rache, genauso wollten wir unseren Fehler gutmachen. Wir waren zu langsam. Lucci hätte längst verschwinden müssen. Schon vor Jahren. Im Blutrausch verlor er die Kontrolle. Er schoss über das Ziel hinaus. Wir töten, wen wir müssen. Wir umgehen Kollateralschäden. Wir töten schnell und präzise. Er? Ein Blutbad nach dem anderen. Für uns wurde er selbst eine Gefahrenquelle. Daher trafen wir Vorkehrungen – eine Notfallnachricht.“

„Damit ihr Bescheid wisst, sollte er die Linie überschreiten?“

„Ja. Selbst ohne Nachricht … zwei reisen ab, einer kommt zurück. Wir sind alles andere als naiv.“

„Wie habt ihr ihn …?“ Prüfend betrachtete sie Nami. Darüber reden bereitete Robin schon ein surreales Gefühl, aber diese eine Frage?

„Da kommt Bonney ins Spiel.“

„Was?“, stieß Nami aus und zog überrascht die Brauen hoch. „Ferrara?“ Nachdenklich wiegte Robin ihren Kopf.

„Ferrara hat uns ein paar Probleme eingeheimst. Alles ist schnell und somit planlos abgelaufen. Sanjis Geschwister, die-“, brach Robin ab. Dieser Punkt erwies sich als komplizierter. Den Namen wollte sie noch zurückhalten. „Die Leute, für die sie arbeiteten, haben nach Spuren gesucht. Sie sind normalerweise gründlich und lassen kaum locker. Wir mussten reagieren. Lucci diente als Sündenbock für die Nacht, für Bonneys Entkommen. Zwei Fliegen mit einer Klappe. Da sie sich um Lucci gekümmert haben, sind wir aus dem Schneider und Bonney ist in Sicherheit. Sofern sie keiner dummen Idee nachjagt.“ Besser hätte es nicht kommen können. Durch die Zusammenarbeit standen sie den Charlottes neutral gegenüber. Für die Zukunft, wie immer sie sich auch entwickelte, ein wichtiger Aspekt. Eine direkte Fehde wollten sie vermeiden.

„Bonney ist euer Mittel zum Zweck“, entgegnete Nami unterkühlt. Wenn sie das bloß wäre. Robin erkannte, dass sie diesen Teil noch nicht vollkommen verstand.

„Findest du? Wir haben keine Sekunde gezögert und sind Zorro zur Hilfe geeilt. Ohne Bezahlung, ohne Hintergedanken. Vollkommen unvorbereitet. Denkst du, wir machen das immer? Für jeden? Oder wir agieren planlos? Traust du uns das zu?“ In dem Fall waren sämtliche Vorwürfe deplatziert. Die Entscheidung hatte keinen persönlichen Nutzen – Im Gegenteil. Hätten sie das getan, wären sie zuhause geblieben. „Als ob ich uns für nichts auf Spiel setze. Hast du daran gedacht?“ Zu gut erinnerte sich Robin an den Ausgang. An ihre Verletzungen, dem Zusammenbruch im Auto und später. Eigentlich fand sich dort der Wendepunkt. Von da an war alles nach und nach zusammengebrochen. Ja, auf jede Entscheidung folgte eine Konsequenz. Leider erkannte sie erst im Nachhinein wie weitreichend sie war.

Nami schnaufte über. „Und hast du an mich gedacht? Denkst du deine Verletzungen gehen spurlos vorüber? Erinnere ich mich zurück, bist du mein erster Gedanke. Ich habe mir Sorgen gemacht. Dich so zu sehen, tut weh. Seit ich die Wahrheit kenne, schmerzt es umso mehr! Weil ich nun weiß, dass du dich mit irgendeinem Kerl angelegt hast. Was, wenn du gestorben wärst? Daran mal gedacht? Eigentlich kannst du mir gestohlen bleiben, ich sollte dich hasse und vergessen, aber da ist auch eine neue Angst. Ich gehe deine Reisen durch. Jede einzelne Reise und frage mich, welche Risiken du eingehst. Die Sorgen wären jetzt jedes Mal da, wenn du fort bist. Ich will mir das gar nicht ausmalen.“ Verräterisch bebte Namis Lippe, sie blinzelte mehrmals. Irgendwie hatte sich die Richtung gerade gedreht. Robin hob die Hand, aber noch bevor sie diese austrecken konnte, wich Nami einen Schritt zurück. „Du hast mir die Wahrheit am Silbertablett serviert, aber mich hat die Sorge um dich zerfressen. Wäre ich hartnäckig gewesen, hättest du mir alles erzählt?“

„In dem Moment? Ja.“

„Mein Fehler, was?“

Robin verschränkte die Arme und sah wieder nach draußen. „Ich habe durchgehend an dich gedacht. Der Gedanke dich zu verlieren … stattdessen hast du mir in diesen Stunden Sicherheit gegeben. Du bist geblieben. Du liebst mich, was auch passiert, hast du gesagt.“ Wenn Liebe bloß ausreichte.

„Leider tue ich das heute noch“, sprach Nami gepresst und schritt an ihr vorbei, wobei sie sich über die Augen strich. Indes blieb Robin angewurzelt stehen. Der Schmerz hielt sie fest. „Zorro hat mir die Geschichte erzählt und für Bonney bin ich dankbar. Sie ist kein schlechter Mensch, aber wie kannst du-“

„Anfangs bist du selbst ungläubig. Du kannst dir die Tat nicht vorstellen. Du glaubst, es wäre ein unmögliches Unterfangen“, unterbrach Robin gefühlslos. „Bis du handelst. Dann merkst du erst, wie leicht es von der Hand geht. Die Ausführung ist nie das eigentliche Problem. Dass ist das Gewissen. Sobald es hörbar wird, setzt die Zermürbung ein. Komischerweise ist jeder Mord unterschiedlich. Manchmal hörst du es laut, dann wiederum ist Totenstille. Lucci oder Sanjis Brüder? Ich empfinde keine Reue – tut mir leid. Andere verfolgen mich heute noch.“ Dieser Kerle waren anders, sie waren der letzte Dreck. „Wären wir wie sie … wir würden niemanden helfen.“ Vielleicht machten sie in dem Gespräch einen Fehler. Vielleicht sollten manche Gedanken verschlossen bleiben. Denn Nami konnte, solange sie anders lebte, kaum ihre Schritte nachvollziehen. „Egal, darüber diskutieren ist sinnlos.“



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von:  Dark777
2023-05-14T18:29:34+00:00 14.05.2023 20:29
Die Geschichte neigt sich nach all den Jahren langsam dem Ende zu und ich kann es noch gar nicht richtig erfassen. Die Story um Nami und Robin steht kurz vor der Auflösung und langsam fügen sich die Puzzleteile zusammen.
Dass Vergo nicht ganz astrein ist, war mir irgendwo klar, aber die Verbindung zu Robin ist dennoch überraschend. Bloß.....macht es das Gesamtbild nicht unbedingt besser, jetzt ist Nami auch direkt betroffen wenn Robin in Aktion tritt.
Ich finde es gut, dass beide endlich miteinander reden. Nami hat hierbei auch nicht unrecht, wohin soll der ganze Racheakt führen? Es erinnert mich etwas an den TLOU 2, wo Ellie zwar mit dem Leben davon kommt, zum Schluss aber alles verloren hat. Ich befürchte hier ein ähnliches, wenn nicht sogar noch tragischeres Ende.

Wie immer sehr spannend und aufschlussreich, freue mich aufs nächste Kapitel.

V(~_^)
Von:  BurglarCat
2023-01-29T14:07:09+00:00 29.01.2023 15:07
Spitzt sich zu.. langsam zieht sich alles zusammen und das Bild wird ein bisschen klarer. Bin gespannt wie tief das alles noch geht. Dia Hauptsache ist wohl, dass sie überhaupt miteinander reden und sich zuhören. Wobei fraglich ist, was das am Ende bringt. Nami sagt es selbst, selbst wenn sie das hinnehmen könnte, selbst wenn die Situation die gleiche bliebe, sie würde sich immer Sorgen machen und darunter leiden. Sofern man es denn wirklich akzeptieren oder irgendwie nachvollziehen könnte. Alleine das scheint schon ein schwer Punkt zu sein.
Habe es ja schon einmal geschrieben, ab diesem Punkt ist alles möglich. Wobei es doch eher festgefahren wirkt. Kann mir trotz allem nicht ganz vorstellen, wie sich das alles zu Gunsten der beiden drehen sollte und selbst wenn.. würde Robin dieses Leben aufgeben? Könnte sie normal leben oder wäre es nicht eher so, dass die Schatten sie weiter verfolgen würden? Und Nami.. könnte sie wirklich wieder ganz vertrauen? Könnte sie das ruhen lassen?
Bin mir da wirklich nicht sicher. Da liegt eben einfach diese Schwere über allem. Eine komische Ruhe.
Ich bin sehr gespannt was das nächste Kapitel bringt, wie es aussehen wird und das Gespräch weiter verläuft, wobei ich mir immer weniger gutes erhoffe auch, wenn Nami endlich dazu stehen kann was sie noch empfindet.


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