Zum Inhalt der Seite

Ziras unerzählte Geschichte

von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Neue Freunde

Heute war das erste mal, dass Zira Regen sah. Zum allerersten mal seit sie denken konnte sah sie mit eigenen Augen, wovon all die anderen Tiere immer so geschwärmt hatten und all die Gerüche die in der dunstigen Hitze schwer in der Luft lagen waren betörend. Sie glaubte alles zu riechen, selbst das Erdreich tief unter sich. Es war ein unglaubliches Erlebnis und zum ersten mal wurde ihr bewusst, dass die Welt um sie herum nicht nur trocken und heiß sein musste. Es ging auch anders und wenn sie den Erzählungen der anderen Tiere Glauben schenken durfte, dann würden die Pflanzen schon bald völlig anders aussehen.

„Woah, pass auf wo du deinen riesigen Hintern hinparkst.“ Jerk sprang erschrocken auf, während Zira es sich neben ihm gemütlich machte und die kleine Erdkuhle, in der er bis eben noch gesessen war, für sich beanspruchte.

„Oh, ich werde noch größer, keine Sorge.“, meinte sie nur belustigt. Sie ruckte ein Stück zur Seite und bot ihm den Platz neben sich an, was er jedoch ausschlug. Der Regen sickerte in ihr Fell und obwohl sie es anfangs gar als erfrischend empfunden hatte ging es ihr inzwischen nur noch auf die Nerven. Alles klebte an ihrer Haut fest und war unerträglich schwer geworden.

„Schon gut, Kleines. Es gibt sowieso gleich Essen. Zudem, unter uns…“ Jerk sah sich unauffällig nach Chica um und drückte seinen Kopf an Ziras. „Ich glaube ja, dass es bald soweit ist, dass du wieder raus kommst. So richtig diesmal.“

„Wirklich?“ Zira hob neugierig den Kopf. Jerk hatte nicht wirklich oft wirklich wichtige Dinge zu verkünden gehabt, aber das hier… Nun, das hier war das mit Abstand bedeutendste was sie je von ihm gehört hatte. Andererseits kam es von ihm und wenn Chica das Gegenteil behaupten würde, wusste sie schon wer Recht hatte.

„Ja! Linda hat es gestern Abend vor sich her gemurmelt.“, versicherte Jerk ihr.

„Hat sie auch gesagt warum?“, hakte Zira aufgeregt nach und folgte Jerk zum Tor.

„Naja, ich glaube du machst ihr langsam Angst.“

„Ich hab ihr doch nie was getan.“, verteidigte Zira sich entrüstet und schnaubte auf. Sie war nicht angsteinflößend, sie fand sich ziemlich nett! Sie war höchstens Überzeugt von ihren Fähigkeiten, aber das war was ganz anderes.

„Das…“ Jerk stockte und sah sie mitleidig an „Das hat damit nichts zu tun. Du bist ein bisschen zu groß geworden um als gänzlich ungefährlich zu gelten. Für sie.“

„Gut… Das ist dann ihr Pech. Und mein Glück.“

Zira konnte das überhebliche Grinsen einfach nicht lassen und Jerk nahm es ihr nicht mal übel. Sie wollte das hier nie, sie wollte von Anfang an lieber draußen in der Wildnis sein, von wo sie kam, auch wenn es sie zu früheren Zeitpunkten umgebracht hätte. Es war also nur verständlich, dass diese Nachricht sie erfreute und auch wenn er sie lieb gewonnen hatte, so wurde allein ihre Größe allmählich… beängstigend.

Es war besser so und sie alle wussten es.
 

„He, aufwachen, wir machen einen Ausflug.“ Lindas Stimme durchschnitt die Stille und Zira sah merklich irritiert zu ihr. Es war mitten in der Nacht, stockdunkel und bisher waren sie noch nie so früh jagen gegangen. Heute war etwas anders. Sie spürte es, in der Luft, der Stimmung und letztlich auch an in jeder Bewegung die Linda machte. Eine Vorahnung kam in Zira auf und die Hoffnung würde nicht schwinden, bis ihr das Gegenteil bewiesen wäre.

Jerks Halsband klimperte irgendwo in der Dunkelheit und lediglich Chica kam ihr mit wedelndem Schwanz entgegen.

„Na… hat dir ein kleines, sabberndes Vögelchen schon erzählt was passieren wird, hm?“ Sie setzte sich erwartungsvoll zu Zira und legte den Kopf schief. Sie beide wussten was passieren würde, da war sie sich sicher. Zira wusste zwar nicht woher sie es wieder einmal wusste, aber Chica war… aufmerksam. Sie bekam alles mit.

„Vielleicht?“, entgegnete Zira mit halb angelegten Ohren, was Chica nur ein amüsiertes Schnauben entlockte. Ja, sie wusste es.

„Das wird spannend, keine Frage. Reiß dich nur auf der Fahrt zusammen. Keine aufgerissenen Sitze, ja?“ Chica hatte wieder dieses tadelnde, strenge an sich wenn sie ihr sowas erklärte. Als ob Zira es nicht selber wusste…

„Ja doch, ich weiß, ich bin kein kleines Junges mehr!“, stöhnte Zira genervt auf und setzte sich vor das Grundstückstor.

„Ich weiß… Sei nur nicht zu aufgeregt. Nervosität lockt die Leoparden an.“ Chica sah fast schon traurig aus, doch sie war die letzte die vor Zira rumheulen würde.

Doch ihr Gespräch wurde jäh von Linda unterbrochen, die gerade das Tor für sie öffnete.

„Na auf, hier her.“ Linda klatschte sich auf die Oberschenkel und hielt die Tür ihres Wagens auf. Zira hatte das jetzt schon oft genug getan um zu wissen, dass es immer damit endete, dass sie irgendwo hinfuhren und sie jagen durfte. Doch heute würde es endgültig werden. Es war besser so.
 

„Au, pass doch–“Jerk kam jedoch nicht dazu seine Beschwerde vollständig auszusprechen.

„Schnauze!“, knurrte Chica gereizt und warf ihm einen drohenden Blick zu. Das einzig gute momentan war die kühle Luft von draußen und das war es auch schon. Die Fahrt war holprig und sich zwischen Zira und Jerk zu quetschen war schrecklich. Es mal eine kurze Zeit ertragen war in Ordnung, aber das hier ging jetzt seit Stunden. Zira war die einzige, die das irgendwie zu ertragen schien und gar darüber lachte, wie die Hunde mit dem wenigen Platz neben ihr zu kämpfen hatten.

„Ihr könnt euch auch auf mich setzen, bitte reißt euch jetzt nicht in Stücke.“, meinte Zira kichernd.

„Kleines, du bist warm. Ich schlage mich lieber mit Jerk um den ach so großzügigen Luftschlitz. Ist dir nicht warm?“, fragte Chica und drückte das Maul zum Fenster raus.

„Hm, es geht.“, meinte Zira nonchalant, auch wenn sie es tatsächlich warm fand. Selbst dafür, dass es noch immer Nacht war, aber niemals würde sie das zugeben. Sie nahm jede Chance wahr sich gegenüber den Hunden überlegen zu fühlen und das war nur noch schlimmer geworden, seit sie größer war als sie.

„Hey, ruhe da hinten, allesamt.“, befahl Linda und warf ihnen einen strengen Blick über die Schulter zu. Aber sollten sie sich ruhig die Köpfe einschlagen, einen Unterscheid machte das auch nicht mehr. Sie waren nämlich an ihrem Ziel angekommen.

„So, raus mit euch.“ Linda hielt an und öffnete ihnen die Tür. Da waren sie also.

Zira versuchte in der Dunkelheit irgendwelche ihr bekannten Orte zu erkennen, aber hier war sie ganz sicher noch nie gewesen. Weder die Gerüche noch sonst was kam ihr bekannt vor und sie waren tatsächlich sehr lange gefahren. Am Horizont war sogar das erste Licht der Morgendämmerung zu sehen und auch wenn sie nicht alles erkannte, so roch es gut. Sie roch noch schwach Antilopen und Zebras und das bedeutete zumindest Futter. Im schlimmsten Fall eben Aas.

„Na dann, es wird Zeit…“ Linda streichelte Zira ein letztes Mal über den Kopf, ließ jedoch recht schnell von der Löwin ab, als diese ihr ein genervtes Brummen entgegenbrachte. Eigentlich war Zira noch zu klein. Eigentlich. Aber ihr gingen allmählich die Möglichkeiten aus, sich entsprechend um sie zu kümmern und sie wurde immer größer. Irgendwann würden die Hunde sie nicht mehr beschützen können und sie hatte ihr Bestes getan um der Löwin irgendwas beizubringen und zumindest so groß werden zu lassen, dass sie sich wenigstens gegen ein paar Feinde verteidigen konnte. Der Rest lag jetzt nicht mehr in ihren Händen.

„Tja, jetzt ist es so weit, hm?“ Jerk sah seufzend zu ihr und setzte sich unentschlossen hin. Irgendwie tat das hier doch etwas mehr weh als er gedacht hätte. Er fragte sich ob Chica es sich anmerken lassen würde. Tat sie nicht.

„Wir sind stolz auf dich. Pass auf dich auf und denk an die Leoparden.“ Chica warf ihr ein neckisches Grinsen zu und deutete mit der Schnauze auf die Weite vor sich. „Und die Wildhunde.“

„Immer doch, ich hatte schließlich die schlimmsten Hunde von allen als Gesellschaft.“, antwortete Zira und musste sich bei Chicas Augenrollen ein amüsiertes Kichern verkneifen. Sie liebte es sie zu ärgern und das hier war ihre letzte Chance dazu.

„Es ist etwas Neues. Jetzt fängt dein Leben erst richtig an. Und denk immer an das was ich dir über Rangordnung und Unterwürfigkeit erzählt habe. Du bist noch sehr jung. Stolz und Arroganz liegen dicht beieinander.“, meinte Chica mit diesem nervigen, belehrenden Ton in der Stimme. Immer das gleiche bei ihr. „Ich muss es wissen.“

„Oder wie ich sagen würde: Pass auf dich auf solang es kein anderer tut.“, fügte Jerk grinsend hinzu.

„Das tu ich doch immer!“, entgegnete Zira. Sie war zu aufgeregt um ernst zu sein und die Neugierde für die Welt vor sich war größer als der Abschiedsschmerz. Selbst die Tatsache, dass sie allein hier draußen war konnte sie nicht ängstigen. Das hier war es, was sie schon so lange wollte und nichts hätte ihre Freude darüber trüben können.

„Jerk, Chica, kommt.“ Linda hatte anscheinend nicht vor allzu lange hier zu bleiben und das war es also, der große Abschied.

„Wir meinen es ernst. Wir werden uns wahrscheinlich nie wieder sehen.“ Chica seufzte schwermütig und drückte den Kopf ein letztes mal an die Löwin „Pass auf dich auf.“

„Keine Sorge. Das ist es was ich immer wollte und das lass ich mir nicht nehmen.“, versicherte Zira und schenkte ihr ein zuversichtliches Lächeln. Es würde schon gut gehen, sie wusste genug um sich irgendwie durchzuschlagen.

„Na dann wird es stimmen. Leb wohl.“ Chica sah noch einmal kurz über ihre Schulter zu Zira, ehe sie sich umdrehte und zurück zu Linda in das Auto sprang.

Jerk zögerte. Es gefiel ihm noch immer nicht so wirklich Zira allein zu lassen, einfach weil sie noch so jung war. Andererseits hatte sie ihnen oft genug erzählt was ihre Pläne für die Zukunft waren und so wie er sie kannte würde sie das sogar schaffen. Sie war stur und ein bisschen arrogant und die anderen Löwen würden ihr schon sehr bald klar machen, was geduldet wurde und was nicht.

„Hör auf sie. Du weißt wie sie wird, wenn man nicht auf sie hört.“, meinte er schließlich leise.

„Mach du dir nicht auch noch Sorgen!“, murrte Zira und rollte genervt die Augen. Wie oft wollten sie ihr das noch sagen? Sie wusste schon was sie tun musste. Ihre Mutter hatte ihr einiges beigebracht, zwar nicht alles, aber es würde schon reichen. Es musste.

„Wir alle wissen, dass anderes für dich besser gewesen wäre… Ich hoffe einfach, dass du… Ich wünsche dir einfach alles Gute.“ Er schnaubte amüsiert. Wahrscheinlich würde Zira im Leben keinen Gedanken mehr an sie verschwenden, aber er wollte einfach glauben, dass sie ein gutes Leben führen würde. Jerk war kein so guter Schauspieler wie Chica und konnte bei weitem nicht so gut überspielen, wie traurig ihn dieser Abschied eigentlich machte. Zira jedenfalls hatte fast schon Mitleid mit ihm, einfach weil er es so schwer zu nehmen schien.

„Danke für’s Durchfüttern.“, meinte sie und warf ihm ein aufmunterndes Lächeln zu. Das hier war ihr langersehnter Tag, er sollte nicht diesen bitteren Nachgeschmack behalten. Zudem musste sie jetzt wirklich endlich los. Sie wollte noch vor Tagesanbruch herausfinden wo nun dieses Geweihte Land war, von dem die Löffelhunde damals gesprochen hatten und sich so schnell wie möglich dorthin auf den Weg machen. Vielleicht schaffte sie es noch vor der nächsten Nacht dort anzukommen und so der Gefahr von Leoparden zu entgehen.

„Danke für’s nicht auffressen.“, entgegnete Jerk und seufzte. Es war Zeit. „Alles Gute.“

Zira drückte ihm im Vorbeigehen die Stirn gegen die Seite und ehe er noch etwas erwidern konnte war sie mit schnellen Schritten im hohen Gras verschwunden. Sie war endlich wieder da wo sie hingehörte.

Es war besser so.
 

Es ließ sich nicht mal im Entferntesten der Geruch von Löwen ausmachen, nicht hier und auch nirgends sonst, wo Zira bisher vorbei gelaufen war. Die Morgendämmerung hob sich inzwischen überdeutlich vom Horizont ab und das Gezwitscher der Vögel war unüberhörbar.

Soweit Zira das erkennen konnte, so war diese Gegend hier so viel fruchtbarer als sie es gewohnt war. Das Gras und die Büsche vor denen sie stand rochen sogar üppiger und die Erde unter ihren Pfoten war noch immer feucht, obwohl sie keinen Regen mehr in der Luft riechen konnte. Und fruchtbarer Boden bedeutete fettere Beute. Ja, ihr würde es hier gefallen, aber sie musste unbedingt nach diesem Geweihten Land Ausschau halten. Vielleicht wussten irgendwelche Vögel Bescheid. Die kamen weit rum und zudem waren sie keine Gefahr für sie. Es war verrückt, aber obwohl sie sie überall zwitschern hörte, konnte sie keinen einzigen in den dichten Blättern der hiesigen Vegetation erkennen.

Sie blieb schließlich unter einem Baum stehen und starrte konzentriert ins Blätterwerk hinauf. Sie könnte es doch einfach mal auf gut Glück mit fragen probieren, nicht?

„Hey! Entschuldigung, ihr Vögel, ich habe eine Frage! Hallo?“, rief sie so nett wie möglich den Baum hoch, doch nichts tat sich. Sie hörten sie entweder zwischen ihrem Gezwitscher nicht oder ignorierten sie absichtlich. Gut, dann würde sie es eben woanders versuchen.

Zira trabte durch das feuchte Gras zum nächsten Baum und sprang auf einen tiefer hängenden Ast. Diesmal sah sie sogar wie ein paar Vögel in dem Baum erschrocken in die Höhe flogen. Sehr gut, das bedeutete, dass sie sie gesehen hatten und nicht einfach so tun konnten, als wäre sie nicht da. Also auf ein Neues.

„He, ihr da, ihr Vögel! Ich habe eine Frage!“ Sie stemmte sich mit den Vorderbeinen am Baumstamm ab und versuchte sich so weit es nur ging auf die Hinterbeine zu stellen. Sie sollten ruhig merken, dass sie mit ihnen sprach. „Könnt Ihr mir helfen? Ich suche das Geweihte Land!“

„Was sollten wir dir helfen? Runter von unserem Baum!“, kreischte plötzlich eine Stimme und bevor Zira reagieren konnte, spürte sie einen kleinen Stein auf ihrem Kopf landen. Es tat nicht weh, aber sie erschrak sich dennoch. Der erstaunlich kleine Vogel mit dem viel zu großen Selbstbewusstsein schien sich jedoch zu freuen.

„Hey! Was sollte das, seid ihr bescheuert?!“, fauchte sie empört und rieb sich den Kopf.

„Runter!“, krächzte der Vogel weiter und sammelte bereits im Sturzflug den nächsten Kiesel vom Boden auf.

„Ich will nur wissen wo das Geweihte Land ist, was ist los mit euch?“, zischte Zia merklich gereizt. Wenn dieses dämliche Vieh es noch einmal wagen würde, sie zu bewerfen würde, würde sie es auffressen!

„Immer geradewegs nach Osten, da, der Sonne entgegen! Und jetzt verschwinde!“ Der nächste Kiesel war bereits wurfbereit im Schnabel des Vogels und Zira hatte absolut keine Lust sich noch länger mit diesem dämlichen Ding zu beschäftigen. Gut, nach Osten.

„Danke, zu freundlich!“, bedankte sie sich gespielt freundlich und bleckte im Vorbeigehen die Zähne. Hoffentlich musste sie nie wieder mit einem Vogel sprechen.
 

Seit ein paar Stunden tat sie nun das, was der Vogel ihr gesagt hatte. Sie hielt beständig die Richtung nach Osten bei und auch wenn sie es nicht für möglich gehalten hätte, so wurde das Gras hier sogar noch grüner. Sie sah sogar schon richtige kleine Zebraherden, für die sie jedoch noch zu klein war. Sie hatte Hunger und sollte vielleicht demnächst irgendwas erlegen, aber bisher hatte sich noch keine gute Gelegenheit ergeben. Sie sollte einfach dem nächsten Schakal auflauern, aber selbst die gingen ihr aus dem Weg.

Aber ihr Hunger war momentan drittrangig. Zunächst einmal brauchte sie einen Ort an dem sie ein paar Stunden über den Mittag ruhen konnte und dann würde sie sich auf den weiteren Weg zum Geweihten Land machen.

Sie hatte eine der Akazien im Auge. Solange es dort nämlich keine Spuren von Leoparden gab, sprach nichts dagegen dort ein paar Stunden zu dösen.

Zira umrundete die Akazie schließlich prüfend und roch angestrengt daran. Nichts. Weder Löwe noch Leopard noch hing irgendein Kadaver im Baum. Sehr gut.

Sie wollte gerade zum Sprung ansetzen und sich auf den niedrigsten Ast hangeln, als ihr Blick doch auf etwas fiel, war ein gutes Stück über ihr in der Baumrinde zu sehen war. Kratzspuren. Lange, tiefe Kratzer.

Ihr Herz begann zu pochen. War das hier etwa die Grenze zum Geweihten Land? Waren das Markierungen eines Löwens oder eines Leoparden? Markierten Leoparden überhaupt Bäume?

Sie sah sich nochmals ganz genau um und blieb ein paar sehr lange Momente stocksteif im Gras stehen. Sie roch nichts, absolut gar nichts. Lediglich Gras, sehr entfernten Straußenkot und noch immer feuchte Erde. Aber nichts was auf Gefahr hindeutete. Gut, das Risiko war es wert.
 

Lachen. Irgendwer lachte. Zira öffnete verwirrt die Augen und blinzelte in Richtung der Sonne. Sie stand tief, wie lange war sie hier oben rumgelegen? Oh, das war gar nicht gut, sie hatte bestimmt den gesamten Mittag verschlafen.

Der Schreck über die verschwendete Zeit ließ sie schneller wach werden als gut für sie war und um ein Haar wäre sie vom Ast gefallen.

Das Lachen wurde noch lauter und hysterischer. Zira riss den Kopf zur Seite und suchte hastig den Boden unter sich ab und tatsächlich saß da eine graubraune Gestalt und sah breit grinsend zu ihr hoch.

„Äh… hallo?“, begrüßte sie das Tier vorsichtig. Sie musste zweimal hinsehen um zu erkennen, dass es sich dabei um eine Hyäne handelte und zu ihrer Überraschung machte sie keine Anstalten sie vom Baum jagen und fressen zu wollen. Zur Antwort bekam Zira im Übrigen wieder nur ein albernes Lachen. Gut, der Witz war draußen, sie war wach, was gab es da noch zu lachen? Die Hyäne kam sowieso nicht an sie ran.

„Sehr lustig. Also… Wer bist du? Wie wäre es sich einmal vorzustellen?“ Zwar ertönte diesmal nur ein unverständlicher Laut, aber Zira konnte die Hyäne nun endlich ein bisschen besser betrachten, da sie ihr endlich ins Gesicht sah. Er musste wohl noch recht jung sein, jedenfalls war er kaum größer als Zira selbst und das erleichterte sie ungemein. Es war schön zu wissen, dass sie zumindest im Ernstfall Chancen hätte. Seine Ohren waren angebissen, seine Zunge hing aus dem Maul und er machte insgesamt einen ungepflegten, fast schon kränklichen Eindruck. Zira jedenfalls wollte so viel Abstand wie möglich halten.

„Nun sag schon, wer bist du? Ich bin Zira.“, stellte sie sich vor und wartete ein paar Sekunden, ohne dass eine Antwort kam „Äh… bist du ganz allein hier? Bist du aus dem Geweihten Land?“ Doch die einzige Antwort war wieder dieses bekloppte Lachen.

„Wie bitte? Sprich doch mit mir, das wird langsam wirklich langweilig.“, meinte Zira merklich genervt. Sie hatte keine Lust auf diese Zeitverschwendung, für wen hielt er sich? Doch wieder keine wirklich brauchbare Antwort, nur seltsame Laute. Sie würde es noch einmal versuchen, danach würde sie sein dummes Lachen einfach ignorieren.

„Stimmt was nicht? Na komm, red mit mir, ich tu dir schon nichts.“, wiederholte Zira gezwungen freundlich und atmete tief durch, als die Hyäne keine Antwort gab. Wenigstens kein Gelächter mehr, nur ein sehr verwirrter, leerer Blick. Aber in dem Fall war Schweigen wenigstens besser als dieses nervtötende Lachen.

„Pf, gut, dann eben nicht. Tz, unhöflich.“ Zira würdigte die Hyäne keines Blickes mehr und machte es sich wieder in der Astgabelung gemütlich. Sie würde noch warten bis sie wieder allein war und dann ging es weiter. Vielleicht fand sie auch irgendeinen Kadaver oder gar eine lebende, passende Beute.

„ÄH!“

Zira schreckte auf.

„Was?“

„Äh!“, wiederholte die Hyäne breit grinsend und sah aufgeregt zu ihr hoch.

„Ist das dein Name? Äh? Oder Ed?“, hakte Zira nach und konnte sich ein kleines Grinsen nicht ganz verkneifen, als er nickte und zustimmende Laute von sich gab. Zira hatte mit einer Antwort um ehrlich zu sein gar nicht mehr gerechnet und das hier war doch zumindest ein Anfang.

So gefährlich schien Ed nicht zu sein und vielleicht wusste er ob es hier irgendwo Futter gab oder wie weit das Geweihte Land noch entfernt war. Sie wollte es gerade wagen eine Pfote von dem Ast zu setzen, als sie plötzlich ein Rascheln im Gras vernahm. Sie sollte Ed vorwarnen, immerhin könnte das auch für ihn gefährlich sein. Zu dumm nur, dass sie nicht erkennen konnte was genau das war.

„Ich glaube wir bekommen Besuch… Vielleicht solltest du–“ Sie kam nicht dazu ihren Satz zu Ende zu sprechen, denn noch bevor Ed den Kopf heben und sich umsehen konnte platze eine weitere graubraune Gestalt aus dem hohen Gras und landete auf Ed, der jaulend und kläffend auf dem Boden landete.

„Da bist du ja! Das ist langsam nicht mehr witzig, Ed!“ Eine zweite Hyäne hatte Ed unter sich begraben und bleckte drohend die Zähne. Sie war kaum größer als Ed, sah jedoch wesentlich gesünder aus. Und reden konnte diese hier auch.

Zira hörte dem Gejaule schweigend zu und entschied vorerst unentdeckt zu bleiben, zumindest so lange es ging. Es gefiel ihr nicht in der Unterzahl zu sein, denn zwei gegen eine war nun wirklich nicht mehr ganz ungefährlich.

„Was tust du hier!? Wir wollten grade Essen!“, keifte die Hyäne weiter, woraufhin Ed nur lachte und hastig auf Zira deutete. Die andere Hyäne erspähte die junge Löwin sofort und machte überrascht einen Satz zurück. Das hatte ihm gerade noch gefehlt, noch so ein Vieh!

„Shenzi! Hey, Shenzi, komm mal her, das musst du dir ansehen!“, rief er aufgeregt und drückte Ed ein Stück von dem Baum weg. „Und du bettelst doch nur so darum zu sterben, ja?“ Ed winselte kleinlaut, woraufhin der andere bereits wieder etwas erwidern wollte, doch augenblicklich verstummte, als eine fremde Stimme hinter ihnen ertönte.

„Banzai!“ Getrampel wurde laut und Gras raschelte. Irgendwer kam ihnen sehr schnell sehr nahe. „Hast du Ed jetzt etwa doch gefunden? Was hat er wieder gemacht?“ Das Gras wurde lichter und eine dritte Hyäne bahnte sich ihren Weg zu den beiden anderen. Diese hier sah ganz anders aus. Sie war ein Weibchen und größer, stämmiger und wahrscheinlich auch etwas älter als Ed und das andere Männchen und sie hatte eine längere Mähne die ihr schon ins Gesicht fiel. Ganz zu schwiegen davon, dass sie von allen dreien am wahrscheinlich gesündesten aussah und mit es mit Sicherheit mit Zira allein hätte aufnehmen können. Gut, ja, Zira würde definitiv erstmal nicht von diesem Baum runterkommen, solange die hier war.

„Shenzi, schau mal was Ed gefunden hat! Warum läuft eigentlich ausgerechnet uns ständig dieses Ungeziefer vor die Pfoten?“

„Ich kann euch hören, Dankeschön.“, meinte Zira und verschränkte eingeschnappt die Vorderbeine. Wie schön dass man gleich so freundlich zu ihr war.

„Jaja, schön für dich. Wer um alles in der Welt bist du?“, fragte die weibliche Hyäne und sah sie verwirrt an. Sie hatten hier draußen noch nie fremde Löwen gesehen und zu Ahadis Rudel gehörte diese hier sicher nicht, das wusste sie. Oh nein, ein zweites Löwenrudel hatte ihnen grad noch gefehlt, noch mehr Probleme…

„Ihr seid äußerst unhöflich, hat euch das schon mal jemand gesagt? Von einem bekomm ich nur Gelächter zu hören und der nächste beleidigt mich, also wirklich…“, rügte Zira die Hyänen und sah gespielt gleichgültig in den Himmel. Hier oben konnten die ihr wenigstens nichts anhaben, sie konnte sich also zumindest ein bisschen Dreistigkeit leisten.

„Aber natürlich, wo sind nur unsere Manieren? Man stellt sich doch erst vor, wie konnte ich das nur vergessen?!“, begann die große Hyäne theatralisch und verdrehte genervt die Augen. Sogar diese halbe Portion da oben war arrogant, was war nur los mit diesen Löwen?

„Aber sie–“ Die andere Hyäne kam nicht dazu zu widersprechen, da ihm sofort das Wort abgeschnitten wurde.

„Banzai! Lass mich das regeln! Also, wenn es denn so wichtig ist: ich bin Shenzi, das ist Banzai und das sein Bruder Ed, aber den kennst du ja schon. Und nun zu dir.“ Shenzis Stimme nahm plötzlich wieder diesen keifenden Ton an und ihr Blick verfinsterte sich. „Wer bist du und woher kommst du?“

Zira legte verunsichert die Ohren an. Sie wusste nicht genau was für eine Antwort von ihr erwartet wurde, denn wo wie Shenzi es sagte, würde eine falsche Antwort nicht gut für Zira ausgehen.

Doch in diesem Moment kam Ed an den Baumstamm gelaufen, stützte sich daran auf und grinste aufgeregt zu ihr hoch.

Shenzi und Banzai warfen sich einen überraschten Blick zu und sahen dann unschlüssig zu Zira auf. Es war eigentlich ein gutes Zeichen wenn Ed jemanden mochte.

„Sollten wir sie mitnehmen? Vielleicht weiß Taka was mit ihr anzustellen.“, schlug Banzai an Shenzi gewandt vor.

Sie schien unschlüssig. Löwen waren immer schwierig, andererseits war die hier noch jung. Sie würde es wohl kaum wagen sich ganz allein gegen drei Hyänen zu stellen. „Bist du von Ahadis Rudel?“, hakte sie sicherheitshalber nach und musterte die junge Löwin genauestens. Sie war sicher noch kein Jahr alt, doch von einer Mutter oder gar einem Rudel war weit und breit nichts zu sehen, riechen oder hören.

„Ahadi? Nein, ich suche das Geweihte Land.“, antwortete Zira. Shenzis Ohren schossen instinktiv in die Höhe. Gut, das hier konnte sie tatsächlich zu ihrem Vorteil nutzen.

„Oh, das ist nicht unser Ziel, aber wir können dir erklären wie man dort hinkommt. Bis dahin brauchst du aber einen Schlafplatz.“, meinte Shenzi.

„Ähm… Nein, danke, ich bleibe hier oben.“, lehnte Zira misstrauisch ab.

Shenzi grinste auf einmal breit und nickte bestätigend. „Natürlich, wie könnte man auch einer Horde Hyänen trauen… Vor allem wo wir doch da diesen einen perfekten Ort für Neulinge wie dich kennen. Du hast deine Ruhe und eine Menge Höhlen zum Verstecken und es gibt fast keine anderen Tiere… Außer einige Hyänen, aber wenn die wissen das du zu uns gehörst, wird dir schon nichts passieren. Aber leider lehnst du ja ab.“ Shenzi seufzte gespielt traurig und sprang auf. „Banzai, Ed, kommt, wir müssen weiter.“ Es dauerte keine zwei Sekunden für Shenzis Plan um aufzugehen.

„Wartet! Vielleicht sollte ich das Angebot doch annehmen.“, rief Zira aus und atmete erleichtert auf, als Shenzi sich zufrieden grinsend zu ihr umdrehte. Keine der beiden wusste, auf was sie sich in diesem Moment eingelassen hatten. „Ich heiße übrigens Zira.“

„Also gut Zira, komm mit. Aber die wichtigste Regel sollst du gleich lernen.“ Shenzi sah sie streng an. „Ich rede, ihr seid ruhig. Vor allem du, klar?“

„Ja.“, antwortete Zira gehorsam und folgte den Hyänen mit etwas Abstand. Sie wollte lieber ein wenig Raum haben, sollte einer von ihnen auf die Idee kommen, sie spontan als Mittagessen anzusehen. Shenzi jedoch dachte bis jetzt gar nicht dran. Die Löwin war zwar jünger als sie, aber kaum kleiner und sie hatte bestimmt auch schon genug Kraft um ihr die eine oder andere Narbe zu verpassen.

„Gut, aber eine Frage noch: was ist das für ein bescheuertes Ding in deinem Ohr?“, fragte Banzai neugierig und drehte den Kopf in ihre Richtung.

„Ach das…“ Zira verdrehte genervt die Augen. Es war ja klar, dass sie irgendwer danach fragen würde. „Ein Unfall… mit Menschen.“ Sie versuchte es möglichst beiläufig klingen zu lassen. Chica hatte ihr oft genug eingebläut, dass Menschen ein Tabuthema waren und nichts in ihrem Leben zu suchen hatten. Sie meinte Tiere mögen keine Menschen, was Zira sogar ganz gut verstehen konnte. Zudem war gerade dabei sich Freunde zu machen und da wollte sie es sich nicht schwerer machen als nötig.

„Menschen?“ Banzai sah überrascht zu ihr „Die gibt’s wirklich? Ich dachte das sei ‘ne dumme Erfindung unseres Vaters, stimmt’s Ed? … Ed?“

Ed war einige Meter neben ihnen und spielte mit einem Schmetterling herum, der an ihm vorbei flog.

„Oh Ed, lass das! Man entdeckt uns sonst noch! Komm jetzt!“, rief Banzai genervt.

„Wer entdeckt uns?“, fragte Zira und sah verwirrt zu Shenzi. Diese schein hier am meisten Ahnung von allem zu haben, also würde Zira sich auch mit allen Fragen an sie werden.

„Wir erklären dir das wenn wir zu Hause sind. Ich will keinen Ärger von meiner Mutter…“, lenkte diese nur ab und sah mit einem vielsagenden Grinsen zu ihren Freunden. Taka würde sich sicher über diese zusätzliche Belastung freuen, aber was taten sie nicht alles um ihn zu ärgern? Zudem war ein Löwe mehr, der sie nicht hasste immer eine gute Sache.



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (0)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.

Noch keine Kommentare



Zurück