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BBC Sherlock
von

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Schwarz

 „Noch ein Wunder für mich, Sherlock.“

„Sei-nicht-tot.“
 

Es waren auf den Tag genau drei Jahre vergangen, drei Jahre seitdem Sherlock Holmes in die Geschichte einging. Allerdings nicht mit seiner Arroganz, nein, nicht mit seinem Intellekt – sondern als größter Lügner aller Zeiten.
 

Allerdings nicht für John Watson.
 

„Keiner wird mich davon überzeugen können, dass du mich jemals angelogen hast“
 

Seine Augen hingen müde und leer an der Wand gegenüber. Er hatte es sich zu einer mehr oder weniger traurigen Tradition gemacht, diesen Tag zu feiern. Und dieses Jahr würde er den Suizid seines besten Freundes ein weiteres Mal feiern. Die Hoffnung, dass der Mann auf wundersame Weise wieder aufleben würde, dass er sich bevor er fiel in Baskerville geklont hatte ( irre Idee, aber, es handelte sich hier immerhin um Sherlock Holmes – bei ihm weiß man nie ), dass er sicherlich einen Notfallplan für derartige Situationen hatte.

Nun brach jedoch schon Jahr drei an, ein drittes Jahr, in dem er die Baker Street so gut es ging zu meiden versuchte, grundsätzlich Mrs. Hudson nur in Cafés um die Straße herum traf.

Er konnte einfach noch nicht.

Nein, es ging wirklich nicht.

Und das war das aller Schlimmste daran. Er hatte das Gefühl, Angst davor zu haben, Sherlock zu vergessen und ihm damit unrecht zu tun. Er wollte gar nicht darüber hinwegkommen, jedenfalls fühlte das sich mittlerweile so an.

Er stand jeden Morgen mit dem Gedanken an diesen Tag auf (Sherlock, St Barts, Fall, Tod, Sherlock, Sherlock, Sherlock. ) und ging mit diesem ins Bett ( Sherlock, Grab, bester Freund, Tod, Sherlock, Sherlock, Sherlock. ).

Und er hörte seine Therapeutin abermals sagen: „Vergessen Sie ihn, John. Das hätte er so gewollt. Vergeben Sie sich in einer Sache, für die Sie keinerlei Schuld tragen.“
 

Und er hörte Lestrade immer wieder darüber reden: „Du bist ein Soldat, John. Du weißt wie das mit dem Krieg ist. Viele fallen, dahinter steht weder Gerechtigkeit, noch Schicksal.“

Und er hörte Mrs. Hudson sich über ihn beklagen: „Ich weiß nicht, was ich mit seinen Sachen tun soll. Ich denke immer noch an die Schule…“

John hob langsam den Kopf.

Verdammter Regen.

Als ob seine Stimmung nicht schon trüb genug gewesen wäre.
 

Sein Bein war schlimmer denn je. Allerdings träumte er nicht mehr vom Krieg, nein, er träumte davon, wie er Sherlock dem Krieg überlassen hatte.

Wie er den Zeitungen Futter gab ihn moralisch auszubeuten, wie er versucht hatte, ihn vor diesem Krieg zu beschützen. ( „Diese Woche nur ein kleiner Fall, gut, Sherlock?“ )

Aber sie hatten bereits unglaublich viel Gefallen an dem jungen Mann gefunden, der ein wahres Genie darstellte. Nun, wie Menschen eben sind, wollen sie das nicht wahr haben. Sie wollen einen Menschen sehen ( besonders in der Sun ) der steht - und unbedingt - fällt.

Schon oft hatte der Soldat bemerkt, dass es auf dieser Welt keinen Platz für Helden gibt, egal wie sehr sein Freund dagegen gestimmt hatte, etwas in dieser Art zu sein.

Es gibt keinen freien Raum für Leute, die anders ticken, die besonders sind. Für uns müssen alle gleich sein, am besten genauso wie wir, wenn nicht noch schlechter. Dann gibt es keinen Ärger mehr, man muss zu niemand aufsehen, ihn für intelligenter oder attraktiver als sich selbst halten.

Also, lässt man Sherlock Holmes (Genie) nach vorn treten, als Mann, der einen Schauspieler dazu bezahlt hätte, Fälle zu inszenieren (Lügner).  Als Mann, der selbst Leute in Gefahr gebracht hätte, oder eventuell sogar umgebracht hätte, nur um seine Kicks zu bekommen (Mörder).
 

Fakt ist, Sherlock war kein besonders freundlicher Mensch, dafür aber der ehrlichste der Welt. Er durchlebte wie alle anderen Höhen und Tiefen, vielleicht hin und wieder etwas stärker, wenn man seinen Kokainkonsum von Damals bedenkt. Allerdings war er kein Unmensch.

Er war der Menschlichste von allen. Der Spiegel der Gesellschaft.
 

„Mach’s Gut, John. Bis Morgen.“

Langsam drehte der Blondhaarige seinen Kopf zur Seite hin, sah Sarah in die Augen und nickte ihr zu, als sie die Klinik abschloss. Sie zog den Kragen des Mantels etwas hoch.

Er musste schmunzeln. Wieder. Gottverdammte Erinnerungen.

Wieso nahm ihn das überhaupt so mit?

„Willst du nicht gehen? Ich kann dir meinen Regenschirm ausleihen. Oder worauf wartest du?“, fragte die Frau, als sie sich nochmals umdrehte. Sie wusste nicht, dass sein Bein sich wie gelähmt anfühlte, dass jeder Schritt ihn so fühlen lies, als würde sein Blut aufkochen und sein Körper zerspringen.

„Es geht schon, danke“, erwiderte John ruhig, versuchte einen überzeugenden Schritt nach vorn zu machen. Jedenfalls nur eine Treppenstufe. Das würde doch genügen, nicht? Er würde kämpfen, wie damals. Als er angeschossen wurde. Einfach weiterkrabbeln.

Nicht nachdenken.

Nicht nachdenken.

Sich nicht nochmal treffen lassen.

Einfach weiter.

Gedanken ausschalten.
 

Sie winkte ihm zu, ging dann die Straße entlang, verschwand schließlich.

Und schon stand er allein im Regen. Er hatte sich dorthin gekämpft, mit seinem Bein. Sein Blut schien wieder zu kochen.

Sein Hirn stoß allerhand Hormone aus, die den Schmerz zu überdecken versuchten. Aber es ging nicht.

Psychosomatisch.
 

Im Gegensatz zu früher, nahm John mittlerweile bevorzugt die Tube. Er ignorierte Taxenstände, da er sich hin und wieder blamiert hatte, als er den Kopf zur Seite hingedreht hatte, den Namen „Sherlock“ ausgesprochen hatte.

Es fühlte sich anfangs alles erst wie ein böser Traum an, der dann plötzlich an bekannten Orten vorüber war. Er wäre sicherlich im Taxi nur aufgewacht, nachdem sie einen Kriminellen geschnappt hatten.

Genau, Sherlock war nicht tot. Sherlock war-nicht-tot, nein, nein, nein.

Und er sah neben sich.

Sherlock war tot.

Er hielt sich am Geländer fest, als er die Treppen zur Tube herunterstieg. Mittlerweile war er klatschnass geworden, der Regen strömte ihm über Gesicht und Körper, durchnässte seine Regenjacke und auch sein Gemüt.

Obwohl, das konnte nicht schwerer werden.

Nein. Auf keinen Fall. Auf jeden Fall nicht heute.
 

Aber eine Pause musste sein. Es fühlte sich so an, als wären Granatsplitter in seinem Bein. Er konnte nicht anders, als es mit dem Krieg zu vergleichen.

Er, als Soldat, er kämpfte täglich weiter. Es ging nicht anders. Er musste („Vergessen Sie ihn, Watson. Das hätte er so gewollt. Vergeben Sie sich in einer Sache, für die Sie keinerlei Schuld tragen.“ ) weiterleben, es weiter ertragen, es für Sherlock ertragen.

Den Spott ertragen, den sie in den Medien verbreiteten. Dazu nur eine Äußerung auf seinem Blog: Er war mein bester Freund und ich werde immer an ihn glauben.

Keiner reagierte auf diese Worte.

Die meisten glaubten wohl, dass er mit Sherlock ( wortwörtlich ) unter einer Decke gesteckt hatte, er, Bachelor John Watson.

Er lehnte sich gegen das Geländer, starrte die Wände der Unterführung an. Wieder hatten ein paar Leute dort Poster aufgehängt. Die Polizei war gerade damit beschäftigt, sie zu entfernen.

Er konnte es kaum glauben, als in großen Druckbuchstaben auf zweien der Poster stand:  I BELIVE IN SHERLOCK HOLMES.  und MORIARTY WAS REAL. SHERLOCK HOMES IS NOT A FRAUD.

Halluzinationen. Er war am Durchdrehen. Jetzt war alles vorbei.

Seine Finger umgriffen das Geländer fest, er kämpfte sich noch weitere Stufen herunter, um an den Polizisten vorbei zu gehen, um auf die Blätter zu sehen.

Tatsache.

Er war am verrückt werden. Anders konnte er sich das nicht erklären.

Seine Augen fixierten die Ausdrücke. Nicht professionell, eindeutig am Heim-PC entstanden. Solche Dinge hatte er durch Sherlock gelernt, allerdings war das auch nicht allzu schwer zu erkennen.

Am liebsten hätte er den Männern die Blätter aus der Hand gerissen, aber da lagen sie schon, zerknüllt im Mülleimer.

Da lagen sie gut. Absolut. Perfekt.
 

John senkte den Kopf. Er würde die Tube verpassen, würde er so weiter machen. Und dann auch noch die nächste. Und die Übernächste.

Allerdings sah er auch kaum einen Grund, Heim zu gehen. Das Heim, das er nicht mal mehr Heim nannte. Zuhause war immer noch als 221B Baker Street definiert. 221B Baker Street mit Sherlock Holmes.
 

Vorsichtig legte er einen Fuß vor den anderen.

Schritt.

Einen Fuß nach vorn schieben.
 

Schritt.

Pause.

Das Gefühl erst absolut in sich aufnehmen, es abspeichern, dann es ignorieren. Wenn man weiß wo das Problem liegt, kann man es erfassen und ignorieren.

Wie bei Tinnitus. Einmal richtig hingehört, dann umtrainiert.

Schritt.

Er hatte es fast.

Schritt.

Sein Bein zuckte abermals, als er unten angekommen war. Dann setzte er sich auf eine Bank, wartete.
 

Er ließ seinen Kopf in den Nacken fallen.
 

Warten.
 

Wozu?
 

Worauf?
 

Warum?
 

Er hätte direkt vor der Kliniktür übernachten können. Mehr gab es in seinem Leben derzeit auch nicht.
 

Warten, damit er wieder zur Arbeit gehen kann. Damit er überhaupt aufstehen würde. Er brauchte derzeit die Arbeit mehr als alles andere.
 

Warten, auf etwas.
 

Warten, auf etwas, das ihn ablenken würde.
 

Warten – auf nichts. Auf jemanden, der niemals wieder kommen würde.
 

Sinnlos.
 

Schwachsinnig.
 

Kein Wunder in Sicht.
 

Noch fünfzehn Minuten. Er müsste sich ablenken. Vielleicht auf sein Handy sehen.

Das fiel ihm mittlerweile vermehrt auf.

Keiner sprach mehr miteinander, die meisten starrten auf ihre Handys, gaben ihr Kommentar nur noch durch SMS ab, hörten Musik, spielten Angry Birds.

Das Spiel wäre eindeutig etwas für Sherlock gewesen, besonders wenn er seine Langweilattacken hatte. Eventuell hätte er dann mindestens für eine halbe Stunde Ruhe gegeben, ohne überhaupt an Cluedo zu denken.

Er hat das Spiel schon immer gehasst, aber mit ihm war es weitaus noch schlimmer. Aber… amüsant. Immerhin das.

Gott, was würde er jetzt dafür geben, mit Sherlock Cluedo spielen zu können. Die ganze Nacht durch. Irgendeinen Stuss anhören vor dem Kamin, seltsamen Schlussfolgerungen zuzuhören ( Verzeihung, Deduktionen ) …mehr würde er sich gerade gar nicht mehr wünschen.

Schließlich entschied er sich dazu, auf sein Handy zu sehen.

Drei neue Nachrichten
 

Brüderchen, Kopf hoch. Du schaffst das. HW

-Harriet Watson, 2:40 pm
 

Er seufzte.

Nächste.
 

John, ich mache keine Scherze. Komm sofort. H

-Mrs Hudson, 2.34 pm
 

Bitte?

Er setzte sich sofort auf. Ein paar Sekunden zuvor hatte er sich fast schon auf der Bank herumgelümmelt.

Was war passiert? Hatte er etwas verpasst?

Wurde eingebrochen?

Sein Daumen zog die SMS herunter, er hatte mittlerweile eines der iPhones übernommen. Um ehrlich zu sein, fragte er sich irgendwann, ob ihre einzige Bezahlung aus diesen apple-Handys bestünde.
 

Komm sofort. John, ich bitte dich. Er ist hier. H

-Mrs Hudson, 2.12 pm
 

Wer ist hier?

Er?

Mycroft?

Moriarty?! Um Gottes Willen, nein! Unmöglich!

Sofort stand er auf. Der Schmerz? Wen interessierte schon der Schmerz?

Sofort raus aus der Station.

Sofort.

Er brauchte die Verbindung, um Mrs. Hudson zurückschreiben zu können.
 

Wer ist hier? Was ist passiert? Ist jemand eingebrochen? JW

-John Watson, 4.59 pm
 

Schneller. Doch, er brauchte ein Taxi.

Er musste das beschützen, was ihm noch blieb.

Sein Handy vibrierte. SMS.
 

Nein, er hat geklingelt. Ich hab ihn natürlich  reingelassen. Er redet nur wirres Zeug, John. Ich hab ihn gerade unter die Dusche gesteckt. Er macht mir wirklich Angst. H

-Mrs Hudson, 5.01 pm

Seine Finger bewegten sich über den Touchscreen, während er mit der anderen Hand ein Taxi rief.
 

Wer? Wer ist bei dir? JW

-John Watson, 5.02 pm

Ein Taxi hielt.

Das Handy vibrierte wieder. Der Ton „Dreiklang“, der übliche SMS-Ton, den wohl jeder eingestellt hat, der ein iPhone besitzt, hallte noch lange in seinen Ohren wieder.

Er las die SMS. Wieder.

Wieder.

Wieder.

Wieder.

Und wieder.

Sein Herz stockte. Er fühlte, wie seine Lungen aussetzten. Sein Atem. Es funktionierte für einen Moment gar nichts mehr.

Dann fühlte es sich so an, als wäre er von den Toten wiederauferstanden.
 

Sein Körper arbeitete weiter.

Seine Hand zitterte.

Alles bebte.

Seine Unterlippe.

Er warf das Handy zitternd auf den leeren Sitzplatz neben sich.

Verdammt.
 

Nein.
 

Nein!
 

Sherlock! H

-Mrs Hudson, 5.04 pm



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Riafya
2012-06-08T20:38:33+00:00 08.06.2012 22:38
Ich verstehe ehrlich gesagt nicht, warum dir niemand zu diesem Kapitel ein Kommi hinterlassen hat!
Das Kapitel ist aus meiner Sicht einfach wunderbar geschrieben. Johns Schmerz, seine Trauer, seine Gefühle, das alles ist hervorragend rübergekommen. Mir gefallen besonders die Sätze in den Klammern, die zeigen, was alle anderen sagen, was er hört, aber was für ihn letztendlich keine Rolle spielt, weil er trauert, weil er die Wahrheit kennt oder kennen möchte und weil eigentlich überhaupt nichts eine Rolle spielt, weil sein bester Freund tot ist.
Armer, armer John...
Mir hat auch diese kleine Kritik an die heutige Gesellschaft gefallen... es stimmt schon, heutzutage redet keiner mehr miteinander... man hört Musik, man schreibt SMSs, man spielt Angry Birds... man schottet sich von der Welt ab und lebt in seiner eigenen. Schon irgendwie traurig. Andererseits sind SMS durchaus ein gutes Mittel der Kommunikation... wobei sie sehr verwirrend sein können, was wir an dem kleinen "Gespräch" zwischen Mrs. Hudson und John haben sehen können.
Ich werde sofort weiterlesen! Ich bin sehr gespannt, wie das weitergeht. <3


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