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Black Angel Aliza

von

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Kapitel 1

Er hörte seinen Herzschlag laut und dennoch dumpf in seinen Ohren. Es war ein merkwürdiges Gefühl für ihn, ein solches Geräusch zu hören, doch es war das menschlichste Geräusch unter diesen Bedingungen. Er hatte Angst, panische Angst. Das Blut rauschte mit jedem weiteren Schritt immer lauter durch seine Ohren, sodass er schon nach wenigsten Metern das Geräusch seiner eigenen Schuhe auf dem Betonboden nicht mehr hören konnte. Dennoch stoppte er nicht, er wandte sich nicht um. Obwohl ihn alles in seinem Körper wegtrieb von diesem Ort, konnte er nicht anders als weiter zu gehen. Mutig war er nie gewesen, doch er wusste, dass etwas weiter im Gang etwas Merkwürdiges wartete. Eine Ratte huschte an ihm vorbei und lies ihn zusammen zucken. Selten hatte er etwas Gruseligeres als diesen Ort erlebt, doch nun war er soweit gekommen, dass es für ihn kein Zurück mehr gab. Er kehrte in sich jedes Fünkchen Mut zusammen, dass er besaß, jedes Krümelchen Tapferkeit und ging weiter. Dann konnte er es riechen, die Verwesung, das Leid, das Elend. Er wusste, dass er es bald erreicht hatte, hinter der nächsten Biegung musste es sein. Leider wusste er nicht, was ihn erwarten würde. Der Geruch wurde immer stärker, doch auch das Rauschen in seinen Ohren nahm keinen Abbruch. Dann wandte er sich um die letzte Ecke und musste Würgen. Vor ihm lag ein Leichenberg, mehrere Dutzend zerstückelter und ganzer Leichen. Und darauf stand eine junge Frau, bis zu den Knien in Blut und Gedärmen. Auch an ihren Armen klebte Blut und etwas, dass er als Hirn identifiziert hätte. Ihr Atem ging schwer und rasselnd. Sie sprach nicht, sie sah den jungen Mann nicht einmal an, hatte sie sein kommen doch noch gar nicht realisiert. Auch er atmete einmal tief ein. In diesem Moment realisierte die junge Frau, dass jemand vor ihr stand. Er erkannte ihr Gesicht nicht, lag es doch in einem merkwürdigen Halbschatten, geschaffen durch spärliches Licht, das durch einen Spalt fiel. Dafür sah er aber die Schusswaffe, die locker in ihrer Hand ruhte. Ein unruhiges Knurren ging durch den Saal. Sofort machte er kehrt, rannte durch die immer gleichen Gänge des Gewölbes. Nur ein Gedanke schoss ihm durch den Kopf:

‚Warum habe ich mir das angetan? Warum kann ich es nicht einmal sein lassen?‘

Einen Moment hatte er nicht auf den Boden geachtet, so stolperte er über einen hervorstehenden Stein, fiel bäuchlings, da er auf seinen Gummisohlen keinen Halt mehr fand, und schlug mit dem Kopf hart auf den Boden auf. Er spürte, wie das Blut von seiner Schläfe hinab lief und ihm die Sicht verschleierte. Dennoch schaffte er es, sich aufzurappeln. Durch die Gänge hinter ihm erscholl wieder das Knurren vergleichbar mit dem eines wütenden Hundes.

‚Verdammt‘, dachte er und lief weiter. Die Dunkelheit der Gänge verschluckte ihn kurz darauf vollkommen.

In diesem Moment wachte er auf. Sein Kopf dröhnte. Irgendwo aus der Ferne meinte er seinen Namen zu hören, meinte jemanden „Jin!“ rufen zu hören. Doch es gab niemanden, der nach ihm rufen würde. Jins Blick fiel aus dem Fenster. Die Sonne strahlte schon am Himmel und die Vögel zwitscherten fröhlich umeinander. Es war ein schöner Tag, doch für den jungen Mann hatte das keine Bedeutung mehr, nicht nach diesem Traum. Müde schleppte er sich ins Bad und versuchte sich zu waschen. Als er sein Gesicht im Spiegel betrachtete, sah er eine kleine Platzwunde an der Schläfe. Genau an der Stelle, mit der er im Traum auf dem Kopfsteinpflaster aufgeschlagen war.

„Nicht schon wieder“, flüsterte er seinem Spiegelbild zu. Überall am Körper hatte er schon Narben von solchen Träumen, schon zu Kinderzeiten hatte es angefangen. Seine Lehrer hatten vermutet, dass er geschlagen wurde, und daraufhin das Jugendamt alarmiert. Seine Eltern waren im Zuge dessen, und weil sie ihrem Sohn nie zugehört hatten, wenn er ihnen erklärt hatte, dass er damit nicht zu tun hatte, so erbost gewesen, dass er zur Adoption freigegeben wurde. Jin wurde schwindlig, als er sich an die Jahre im Waisenhaus und bei seinen Adoptiveltern erinnerte und er setzte sich auf den Boden, um den Kopf an die kalten Fliesen zu lehnen. Und nie hatte das mit den Träumen aufgehört, immer wieder war er mit neuen Verletzungen zur Schule gekommen. Schon damals hatte er sich gefragt, wer er sei, und niemals eine Antwort erhalten. Auch dieser Moment lies Jin wieder und wieder die Frage stellen, die Frage nach dem Wer und nach dem Wieso. Leider war er der einzige, der nach dem Wieso fragte. Seine Mitschüler hatten ihn als merkwürdig und krank abgestempelt und ausgeschlossen und er wusste, dass es mit seinen Kommilitonen nicht anders werden würde. Dennoch hatte er sich an einer Uni beworben und wurde trotz größter Zweifel über seinen psychischen Zustand angenommen. Mühsam richtete sich Jin wieder auf. Das Blut war geronnen und so verklebte er die Wunde notdürftig. Danach ging er langsam in sein Schlafzimmer zurück und zog sich an. Sein Blick fiel dabei mehrmals auf das Buch, dass auf seinem Bett lag und in dem er zuletzt gelesen hatte: „Magie und Mythologie vom Mittelalter bis heute.“

‚Ich sollte mir wirklich neue Bücher organisieren …‘, dachte er sich, doch er wusste, dass dies wieder einmal nicht in die Tat umgesetzt werden würde. Während seine Klassenkameraden sich nur für Alkohol und Sex interessiert hatten, hatte er dem nichts abgewinnen können. Es war bei weiten mich so, dass Jin nicht auf Frauen stand, er fand einfach nur nie jemanden, der sich für ihn interessiert hatte. Und so hatte er irgendwann die Gesellschaft von guten Büchern der Gesellschaft von Menschen vorgezogen. Unbewusst fuhr er sich mit dem Daumen über die Narben an seinem Unterarm.

„Jede Narbe erzählt eine Geschichte, Jin. Erzählst du mir deine?“, hörte er eine Stimme sagen, doch es war niemand da. Es konnte niemand anwesend sein, gehörte die Einzimmerwohnung doch Jin alleine. In der Küche warf er einen Blick nach draußen und sann über seinen Traum nach.

‚Wer ist dieses Mädchen? Und warum hat sie all diese Menschen getötet? Was für ein kranker Geist wohl in ihrem Körper wohnt?‘

Und wieder fuhr er sich mit dem Daumen über seine Narben.

„Wann erzählst du mir deine Geschichte, Jin?“, fragte die Stimme, doch Jin reagierte nicht, sondern starrte einfach nur weiter aus dem Fenster.

„Jin … wir warten. Deine Geschichte … wir wollen sie hören.“

‚Und ich werde sie euch niemals erzählen, denn ihr seid nur Stimmen in meinem Kopf. Ihr existiert nicht einmal.‘

Dann drehte er die Musik auf und lies die Stimmen, Stimmen sein.
 

„Eh, Jin!“, rief ihm ein Junge aus seiner Klasse zu. Auch wenn er schon seit einer Ewigkeit in dieser Klasse war, erinnerte er sich nicht an den Namen des Jungen. Langsam wandte sich Jin zu ihm um, sah ihn an, sprach aber nicht. Er brauchte nicht zu sprechen, war es ihm doch egal. Der Junge kam langsam auf ihn zu.

„Wieder schön eine runtergehauen bekommen?“

Jin schwieg wieder. Er wusste, was passiert war, würde das aber nicht sagen. Ein paar Tage noch, dann war alles vorbei. Dann würde er sich nicht mehr um sie kümmern müssen.

„Nun, eigentlich wollte ich etwas anderes von dir…“

Jin blickte ihn nur an.

„Hast du schon von den Katakomben hier unter der Schule gehört?“

Jins Blick wurde fester. Er hatte schon von den Katakomben gehört, wusste sogar, wie man hinein kam, wusste, wohin sie führten.

„Man sagt, junge Schülerinnen verschwinden in ihnen. Letzte Woche ist ein Lehrer hinein gegangen und soll nicht wieder hinaus gekommen sein. Die alte Flanigan. Nicht, dass es schade um sie wäre.“

‚Die alte Flanigan? Interessant… ich dachte immer, die alte Kuh stirbt nie…‘

„Naja, das wollte ich dir nur erzählen.“

Dann stand der Junge wieder auf und ging. Jin fuhr mit dem Daumen über die Tätowierung an seinem Innenarm. Ein kleines Relikt an einen anderen Traum in dem ein Dämon ihm Säure über den Arm geschüttet hatte, was nun schon fast ein Jahrzehnt her war. Als die Wunde abgeklungen war, war eine schwarze Linie fast wie ein Mal darüber gewachsen. Dieses trug er auch heute noch, konnte er sich doch nicht davon befreien, egal wie häufig er es versucht hatte. Doch umso mehr er nun über dieses Mal strich, umso mehr wusste er, dass er in die Katakomben musste. Er musste wissen, was geschehen war, was es mit diesem Verschwinden auf sich hatte. Schwach erinnerte er sich an die Nacht. War das Mädchen aus seinem Traum nicht auch in den Katakomben gewesen? Er schüttelte den Kopf. Das war nur ein Traum gewesen, nicht mehr, wie so häufig.



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von:  xDahliax
2012-06-03T20:45:10+00:00 03.06.2012 22:45
Du kannst wirklich total schön schreiben. Beim Lesen kommt die Atmosphäre richtig gut rüber. Am Anfang wirkt es ziemlich unheimlich, als dann die Stelle mit dem Mädchen und den Leichenteilen kommt, hat das irgendwie einen ziemlichen Überraschungseffekt und lässt das ganze ein wenig ehm bizarre Züge annehmen. Aber das löste bei mir dann wiederum noch mehr Neugier aus, dass ich weiterlesen wollte.
Ich muss meinem Vorredner zustimmen, was das Ende betrifft. Den letzten Satz musste ich zweimal lesen, bis ich ihn verstanden habe. Ich glaube zumindest, dass ich ihn verstanden habe.
Vielleicht würde ein Punkt nach dem "nicht mehr" anstelle des Kommas die Aussage deutlicher machen.

"Eine Ratte huschte an ihm vorbei und lies ihn zusammen zucken."
- Vergangenheitsform von lassen = ließ

"Er kehrte in sich jedes Fünkchen Mut zusammen, dass er besaß, jedes Krümelchen Tapferkeit und ging weiter."
- Ich denke, hier braucht man das "das" mit einem s. Insgesamt gefällt mir die Umschreibung hier sehr gut.
Von: abgemeldet
2012-05-22T16:16:14+00:00 22.05.2012 18:16
Das Ende verwirrt mich ein wenig!

"Ganz so wie in seinem Traum, aber nicht mehr so häufgi!"
Oder etwas ähnliches steht dort ...
Hast du dich verschrieben? Oder soll das so sein?
Falls ja ... verwirrend! D:
Aber der Drang weiterzulesen ist durchaus vorhanden (:

MFG Kuro~


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